Zusammenfassung
Beratung hat im deutschsprachigen Raum keine Leitdisziplin, es gibt keine konsistente Beratungstheorie und trotz vielfältiger Versuche, existiert nicht einmal eine allgemein geteilte Definition über Beratung (vgl. z.B. Engel/ Nestmann 1995). Alle Bemühungen seitens Wissenschaft und Praxis, (wissensfundierte) Regelhaftigkeit oder (institutionelle) Ordnung herzustellen, werden zudem durch dynamische soziale Wandlungsprozesse unterlaufen. Diese Entwicklung spiegelt sich in dem Anwachsen des individuellen Beratungsbedarfs zur Planung und Bewältigung alltäglicher Lebensanforderungen (vgl. z.B. Münchmeier 1992; Rauschenbach 1994) ebenso wie in der Vielzahl von Beratungsangeboten und -schulen. Die Diffusität von Beratung findet ihren Ausdruck darüber hinaus in der Ausweitung von disziplinübergreifender Spezialisierung und Kooperation der unterschiedlichsten psychosozialen Beratungsangebote und einer eklektizistischen Verwendung von Wissensquellen und Interventionsmethoden. Gerade aufgrund dieser Unübersichtlichkeit wird Soziale Arbeit und damit auch Beratung bestenfalls als „Semi-Profession“ (Rabe-Kleberg 1996) oder als „bescheidene Profession“ (Schütze 1992) angesehen oder aus der Logik der strukturfunktionalistischen und systemtheoretischen Professionstheorien als nicht professionalisiert eingeschätzt (vgl. Oevermann 1996 und Stichweh 1992; 1996). Bisher zielen Professionsdiskurse in der Sozialen Arbeit deshalb verstärkt auf die Etablierung und Erhaltung eines Professionsstatus Sozialer Arbeit2 (vgl. z.B. Merten 1995) und nur in geringem Umfang auf die Exploration und grundlagentheoretische Aufarbeitung des professionellen Handelns selbst. Theorien oder Praxishilfen, die biographische und institutionelle Veränderungen innerhalb der Gesellschaft auf einer professionstheoretischen Aktionsebene aufgreifen und den Beraterinnen damit Orientierungs- und Handlungsmuster zur Bearbeitung biographischer Unsicherheiten und institutioneller Unzulänglichkeiten aufzeigen, gibt es (noch) nicht. Beraterinnen handeln gegenwärtig in Ungewissheit und müssen individuell nach professionellen Lösungswegen und Bewältigungsstrategien suchen.3
Dieser Aufsatz beruht auf den Ergebnissen der Dissertation von Sandra Tiefel: „Beratung und Reflexion. Eine qualitative Studie zum professionellen Handeln unter Modernisierungsbedingungen“, die im März 2002 an der Universität Magdeburg eingereicht wurde.
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Tiefel, S. (2004). Auf dem Weg zu einer pädagogischen Beratungstheorie? Ein empirisch generiertes Modell zu professioneller Reflexion in der Beratungspraxis. In: Fabel, M., Tiefel, S. (eds) Biographische Risiken und neue professionelle Herausforderungen. Biographie und Profession. Studien zur qualitativen Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung. ZBBS-Buchreihe, vol 1. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80919-3_7
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