FormalPara Infobox Wichtigste Punkte
  • Das Diabetesmanagement bei Kleinkindern mit Typ-1-Diabetes ist sehr fordernd. Sowohl die Nahrungsaufnahme als auch das Ausmaß der körperlichen Aktivität sind unvorhersehbar, die Insulindosierung daher schwierig.

  • Bei der KidsAP02-Studie wurden in randomisierter Reihenfolge für vier Monate eine normale Insulinpumpe und ein Glukosesensor verwendet, für weitere vier Monate ein Hybrid-Closed-Loop-System.

  • Unter Anwendung eines Hybrid-Closed-Loop-Systems mit automatischer Insulinanpassung basierend auf kontinuierlich gemessenen Glukosewerten konnte die Diabeteseinstellung bei Kleinkindern verbessert werden – HbA1c-Reduktion um 0,4 %.

  • Mit dem Hybrid-Closed-Loop-System konnten Kleinkinder täglich um 2,1 h länger den Glukosezielbereich erreichen, und dies, ohne dass dabei mehr Hypoglykämien aufgetreten wären.

  • Das psychosoziale Outcome in semistrukturierten Interviews zeigt Verbesserungen des Nachtschlafs und der Lebensqualität für die gesamte Familie.

  • Daher empfehlen wir bei Kleinkindern mit Diabetes vorzugsweise die Therapie mit einem Hybrid-Closed-Loop-System zu wählen.

Warum war diese Forschungsarbeit notwendig?

Menschen mit Typ 1 Diabetes müssen ein therapeutisch aufwendiges Diabetesmanagement mehrmals täglich mit Insulinzufuhr und regelmäßiger Kontrolle ihrer Glukosewerte durchführen. Die Glukosewerte stabil zu halten, ist eine große Herausforderung, vor allem bei sehr jungen Kindern mit schwer vorhersehbarer Nahrungsaufnahme und kaum planbarem Bewegungsverhalten. Viele Kinder werden mit einer Insulinpumpe und mit Glukosesensoren behandelt. Die Berechnung der notwendigen Insulindosis und die intensiven Kontrollen der Glukosewerte vor allem auch nachts sind sehr herausfordernd für die Kinder, Eltern und Betreuungspersonen – das intensive Diabetesmanagement kann die Lebensqualität der gesamten Familie beeinträchtigen.

Ein Closed-Loop-System ist eine neue Technologie, die versucht, die Funktion einer gesunden Bauchspeicheldrüse nachzuahmen. Es besteht aus drei Komponenten:

  1. 1.

    Der Glukosesensor, der im subkutanen Fettgewebe die Glukosewerte alle paar Minuten – kontinuierlich – misst.

  2. 2.

    Diese gemessenen Glukosewerte werden an einen Algorithmus auf einer Handy-App gesendet. Dieser Algorithmus (künstliche Intelligenz) berechnet automatisch, wie viel Insulin der Körper benötigt, um die Glukosewerte im Zielbereich zu halten.

  3. 3.

    Der Algorithmus (CamAPS FX App) kommuniziert mit der Pumpe und die entsprechend berechnete Insulinmenge wird über die Pumpe ins subkutane Fettgewebe abgegeben (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

CamAPS FX App auf Android Handy, Dexcom G6 Sensor und Dana RS Insulinpumpe. (© Julia Ware. Diese Abbildung wurde mit biorender.com erstellt)

Derzeit sind alle verwendeten Closed-Loop-Systeme ‚hybride‘ Systeme. Das bedeutet, dass die Anwender, Eltern oder Betreuungspersonen für jede Mahlzeit einen Insulinbolus abgeben müssen. Für die übrige Zeit (ohne Essen) regelt der Algorithmus die Insulinzufuhr selbstständig und versucht, die Glukosewerte im Zielbereich zu halten. Eltern und Betreuungspersonen können die Glukosewerte auf einer App an ihrem Handy verfolgen, auch wenn das Kind nicht bei ihnen, sondern beispielsweise im Kindergarten ist.

Wie wurde die Studie angelegt?

Unterstützt durch die Europäische Union im Rahmen der Horizion-2020-Forschungsförderung (Grant Number 731560) wurden durch das Team von Wissenschaftlern rund um Prof. Roman Hovorka an der Universität Cambridge geeignete Kliniken und pädiatrische Diabetologen gesucht, um die Untersuchung des Algorithmus bei sehr jungen Kindern in einem internationalen multizentrischen Setting durchzuführen. In der KidsAP02-Studie untersuchten wir, ob für Kinder im Alter von 1 bis 7 Jahren ein Hybrid-Closed-Loop-System die Glukosekontrolle und die Time in Range (TIR) verbessern kann. 74 Kinder aus vier verschiedenen Ländern (Österreich, Deutschland, Luxemburg und England) haben teilgenommen. In randomisierter Reihenfolge wurden die Kinder für vier Monate mit einer Insulinpumpe und einem Glukosesensor behandelt und für vier weitere Monate wurden die Pumpe und der Sensor mit dem Closed-Loop-Algorithmus gesteuert. Wir wollten wissen, ob durch die automatische Steuerung der Insulinzufuhr durch die CamAPS-FX-App die Glukosewerte besser und länger im Zielbereich waren, ein Unterschied zwischen HbA1c und der Häufigkeit von Hypoglykämien auftrat und ob die Verwendung des Systems einen Einfluss auf psychosoziale Faktoren in den Familien hat.

Untersuchungsergebnisse zur metabolischen Einstellung

Während der Verwendung des Closed-Loop-Modus waren die Glukosewerte der Kinder um 2,1 h pro Tag länger im Zielbereich als bei der normalen Insulinpumpentherapie. Während der Verwendung des Closed-Loop-Systems konnten 72 % der Tageszeit im Zielbereich (TIR) von 70–180 mg/dl erreicht werden, beim herkömmlichen System nur 63 %. Am Ende jeder Vier-Monats-Untersuchung wurde ein HbA1c-Wert gemessen. Die HbA1c-Werte nach Closed-Loop-Anwendung waren um 0,4 % niedriger als unter Pumpe und Sensor ohne Closed Loop.

Auch die hohen Glukosewerte konnten durch die Anwendung der Closed-Loop-App verbessert werden (32 % hohe Werte über 180 mg/dl bei Pumpe und Sensor und nur 23 % bei Closed Loop). Die Rate von Hypoglykämien war bei beiden Systemen gleich gering – es konnte kein signifikanter Unterschied festgestellt werden (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Sensorglukosewerte mit Hybrid-Closed-Loop-System (rote Linie, 73 Teilnehmende) und Sensor-unterstützter Pumpentherapie (schwarze Linie, 74 Teilnehmende). Die rot gepunkteten Linien (Closed-Loop-Insulingabe) und der grau schattierte Bereich (Sensor-unterstützte Pumpentherapie) zeigen die Interquartilsbereiche an. Die gestrichelte horizontale Linie zeigt den Zielbereich der Glukosewerte von 70–80 mg/dl (3,9–10 mmol/l) an. Die Umrechnung der Glukosewerte in mmol/l erfolgt durch Multiplikation mit 0,05551. (Aus [1] mit Genehmigung der Massachusetts Medical Society. © Massachusetts Medical Society)

Große Erleichterung brachte das System während der Nachtstunden. In der Nacht lagen 80 % der Werte im Zielbereich. Eltern mussten in der Nacht weniger häufig die Glukosespiegel kontrollieren bzw. korrigieren, sodass sich die Schlafqualität für Eltern gebessert hat (Tab. 1).

Tab. 1 TIR und Glukoseparameter getrennt für Tag und Nachtstunden mit und ohne Hybrid-Closed-Loop-Systema. (Aus [1] mit Genehmigung der Massachusetts Medical Society. © Massachusetts Medical Society)

Wie sieht das psychosoziale Outcome aus?

Um die Erfahrungen der Eltern mit dem Hybrid-Closed-Loop-System und der Möglichkeit der Fernüberwachung – „remote control“ – zu untersuchen, wurden 33 Eltern von 30 Kindern aus England, Luxemburg, Deutschland und Österreich in semistrukturierten Interviews befragt.

Ziel dieser Erhebung war es herauszufinden, welchen Einfluss diese technische Behandlungsmethode auf den Alltag von Eltern und deren Kinder nimmt, um daraus Empfehlungen für eine optimale Nutzung dieser Systeme in Familien mit jungen Kindern ableiten zu können.

Eltern wurden aufgefordert, uns darüber zu informieren, welche Themen sie am meisten beschäftigt haben, welche positiven und vor allem welche negativen Erfahrungen sie bei der Anwendung des Hybrid-Closed-Loop-Systems gemacht haben. Dabei wurden folgende Themenbereiche bearbeitet:

  1. 1.

    Leben mit Diabetes VOR der Anwendung von Closed Loop

  2. 2.

    Herausforderungen während der Anpassungsphase an das Closed-Loop-System

  3. 3.

    Bessere Kontrolle – weniger Arbeit

  4. 4.

    Ermöglichen von Normalität im Alltag

  5. 5.

    Optimieren der technischen Systeme für die Anwendung bei Kleinkindern

Wie zu erwarten war, berichteten die Eltern über große Einschränkungen im Alltag durch die Diabeteserkrankung ihres Kindes. Die ständige Kontrolle der Glukosewerte und die ständige – wenn auch oft unterschwellige – Sorge und Angst um das Wohlbefinden des Kindes führen bei Eltern von Kleinkindern zu Zuständen von Dauermüdigkeit bis hin zu Erschöpfung. Die eingeschränkten Möglichkeiten, die Betreuung des Kindes mit Diabetes zumindest für ein paar Stunden anderen zu überlassen, beschrieben die Eltern als sehr belastend. Das Familienleben wurde beschrieben als geprägt von Gesprächen über Glukosewerte und Diabetesmanagement, Benachteiligung von Geschwistern ohne Diabetes und Einschränkungen hinsichtlich „normaler“ kindlicher Aktivitäten des Kindes mit Diabetes.

Die Anpassungsphase an die Closed-Loop-Systeme wiederum war geprägt von der Herausforderung, die Kontrolle einem technischen System zu überlassen. Loszulassen und nicht permanent die Steuerung der Insulinzufuhr zu übernehmen, sich mit Interventionen zurückzuhalten, Glukoseverläufe abzuwarten und Vertrauen zum Algorithmus aufzubauen wurde von Eltern als große Herausforderung beschrieben. Eine regelrechte Zerreißprobe zwischen „Nicht-einschreiten-Dürfen“ und dem schlechten Gewissen und Schuldgefühlen, wenn doch Interventionen gemacht wurden, die dann nicht zum gewünschten Erfolg führten.

Nach der Anpassungsphase gelang es Eltern zunehmend leichter, den Algorithmus ohne zusätzliche menschliche Interventionen arbeiten zu lassen. Durch die sichtbare Steigerung der Time in Range und Abnahme der Glukoseschwankungen konnten Eltern erkennen, dass die Aktivität des Algorithmus in einer so präzisen Art und Weise erfolgt, dass die künstliche Intelligenz die menschlichen Fähigkeiten und zeitlichen Ressourcen bei weiten überragt.

Bessere Kontrolle – weniger Zeitaufwand

Durch die beobachtete Stabilisierung der Glukosewerte mit mehr Zeit im Zielbereich und weniger Glukoseschwankungen konnten Eltern mehr Tageszeit für andere – nicht diabetesspezifische – Aktivitäten finden. Ein Schritt zu mehr „Normalisierung“ des Alltags mit sowohl für das Kind mehr an altersentsprechender Freizeitbeschäftigung (Übernachten bei Freunden) als auch mehr an elterlicher Freizeit (Essen im Restaurant, Theaterbesuch) wurde während der Closed-Loop-Phase berichtet.

Auch die Kontaktaufnahme mit betreuenden Diabetesteams wurde vonseiten der Eltern reduziert, die Notwendigkeit, klinische Kontrolltermine wahrzunehmen oder einzufordern, verringert.

Wünsche für die Weiterentwicklung

Die expliziten Fragen nach negativen Erfahrungen und Wünschen für die Weiterentwicklung der Devices zeigte den Wunsch nach kleineren Geräten auf. Das ständige Tragen eines Mobiltelefons im Kleinkindalter ist für Eltern wenig wünschenswert. Neben der Größe der Geräte, die an kleinen Körpern oft schwer zu tragen sind, wurde auch eine Verbesserung der Reichweite der Verbindungen gewünscht.

Fazit für die Praxis

Die Studienergebnisse zeigen, dass die CamAPS FX App als Closed-Loop-System die Glukosewerte bei sehr jungen Kindern mit Diabetes verbessern konnte, ohne dass dabei mehr Unterzuckerungen aufgetreten sind. Dies bedeutet, dass dieses Closed-Loop-System bei Kleinkindern sicher und effektiv angewendet werden kann. Die Möglichkeit der Fernüberwachung zeigte besonders für Eltern und Betreuungspersonen von Kleinkindern mit Diabetes überzeugende positive psychosoziale Benefits. Die Verbesserung der elterlichen Lebensqualität mit Verbesserung der Schlafqualität und Rückgewinnung sozialer Aktivitäten von Eltern sind für die praktische Verwendung der Devices im Alltag relevant.

Die Untersuchung der psychosozialen Aspekte erweitert unsere Erkenntnisse zu Closed-Loop-Systemen im Alltag weit über die klinischen Benefits hinaus.