1 Einleitung

Zu den zentralen Aufgaben des Kanzleramtes sowie der Staats- und Senatskanzleien – den Regierungszentralen – gehört die Ressortkoordination mit ihren Spiegelreferaten. Sie bildet eine eigenständige Abteilung, der in den Geschäftsverteilungsplänen die Funktion der Ressortkoordination zugewiesen wird. In der Forschungsliteratur über Regierungszentralen wird diese formale Zuordnung übernommen:

„Spiegelreferate sind eine Art Scharnier zwischen dem jeweiligen Ressort und dem Bundeskanzler mit seinem Amt. Immer auf dem Laufenden über die Vorgänge in den Häusern zu sein und die Informationen daraus auch im Hinblick auf Entscheidungen des Bundeskanzlers, der Leitung des Bundeskanzleramtes und des Kabinetts aufzubereiten, ist eine Seite ihrer Aufgabe. In umgekehrter Richtung haben sie Entscheidungen des Bundeskanzlers und des Bundeskabinetts aus dem Regierungszentrum an ‚ihr‘ jeweiliges Ressort zu übermitteln, zu begleiten und zu fördern. Spiegelreferate stehen so in ständigem Kontakt mit den jeweiligen Bundesministerien.“ (Knoll 2004, S. 64)

Bastian Jantz und Sylvia Veit sprechen der Regierungszentrale „vor allem eine koordinierende Funktion“ zu. „Diese Rollenzuschreibung spiegelt sich in der internen Aufbauorganisation des Bundeskanzleramtes in einer streng hierarchischen Gliederung in Abteilungen, Gruppen und (auf die Geschäftsbereiche einzelner Fachressort spezialisierte) Spiegelreferate wider“ (Jantz und Veit 2011, S. 285).

Diese Arbeitsbeschreibung entspricht zwar normativen Vorstellungen, ist aber in der Praxis der politischen Steuerung unscharf: Zum einen arbeiten auch andere Abteilungen der Regierungszentrale (z. B. der Regierungssprecher und die politische Planung) an einer einheitlichen Linie der Regierung, und zum anderen leisten die Spiegelreferate für den Regierungschef mehr als nur den Kontakt mit ihren jeweiligen Ressorts. Auch Pressestelle, Ministerbüro, Kabinettreferat und andere Arbeitseinheiten der Staatskanzlei haben einen regelmäßigen Austausch mit anderen Ressorts. Der Befund, „die Ressortkoordination soll eine konsistente Regierungspolitik gewährleisten und dem Ministerpräsidenten die Durchsetzung seiner Richtlinienkompetenz ermöglichen“ (Korte et al. 2006, S. 78), gilt im Prinzip für alle Arbeitseinheiten einer Staatskanzlei.

Die Ressortkoordination entfaltet innerhalb des Organisationsgefüges einer Regierungszentrale eine eigene Identität. Während sich andere Arbeitseinheiten nur auf bestimmte Aspekte eines Politikfeldes konzentrieren (z. B. auf die Durchsetzbarkeit einer Position im Bundesrat), sind Spiegelreferate viel enger in die operativen Angelegenheiten der Ressorts eingebunden.

Das Umfeld von Spiegelreferaten ist eher fachlich und weniger strategisch geprägt. Intern sind sie deshalb für alle Vorgänge (mit)zuständig, die den Ministerpräsidenten für seine vielfältigen Aufgaben vorbereiten, auch wenn die Federführung bei einer anderen Arbeitseinheit liegt. Das betrifft Reisen, repräsentative Termine, Reden, Grußworte, Ordensverleihungen, Beantwortung von Petitionen und Bürgeranfragen, Gespräche mit Politikern oder Verbänden sowie die Teilnahme an Diskussionsrunden und Ortsterminen. Fast immer geht es dabei auch um einen bestimmten Politikbereich. Die Faktenblätter über die zu erwartenden Themen, die Gesprächspartner und über die Lokalität werden weitgehend von der Spiegelreferaten vorbereitet, die wesentlich auf Informationen des Ressorts beruhen. Allein die Aufbereitung dieser Informationen und Erstellung eines „Drehbuchs“ von den Besonderheiten des Termins (Staatsbesuch, Festveranstaltung) bis zu politischen Aussagen und möglichen Konflikten bildet einen wesentlichen Teil der Arbeit von Spiegelreferaten. Dass diese Arbeit weitgehend „unsichtbar“ bleibt, liegt daran, dass formal die Vorbereitung z. B. beim Regierungssprecher, der Planungsabteilung oder beim Ministerbüro liegt und nicht leicht erkennbar ist, wer welchen Beitrag geliefert hat.Footnote 1

Es scheint, dass die Verwaltungs- und Regierungszentralenforschung (Bröchler 2020; Bröchler und Blumenthal 2011; Florack 2022; König 1993) diesen blinden Fleck zum Teil übernommen hat. So stellt Bröchler (2011, S. 23) zu Recht fest, dass die Forschung zu stark an der Polity-Dimension orientiert ist und die „Bedeutung informeller Strukturen“ (a. a. O.) zu kurz kommt. Der vorliegende Beitrag ist auch ein Versuch, diese Informalität und die Regierungspraxis im Rahmen formeller Vorgaben von Regierungszentralen darzustellen.Footnote 2

Im Folgenden werden zunächst die Aufgaben der Ressortkoordination, ihre spezifische Arbeitsweise sowie ihre internen und externen Kooperationen dargestellt. Dabei wird sichtbar, dass zwischen ihrer Darstellung in der Forschungsliteratur und ihrer tatsächlichen Praxis ein Zerrbild entsteht. Dieses fließt über die Literatur auch in die Lehre ein und verfestigt somit ein unrealistisches Bild von der Arbeit in Regierungszentralen im Allgemeinen und von Spiegelreferaten im Besonderen. Um dem entgegenzuwirken, werden im Berufsfeldkurs „Die öffentliche Verwaltung als Berufsfeld für Sozialwissenschaftler“ des BA-Studiengangs Sozialwissenschaften (Medien, Politik, Gesellschaft) der Universität DüsseldorfFootnote 3 seit einigen Jahren die Tätigkeiten in einem Regierungsressort in Rollenspielen und am Beispiel konkreter Fälle vermittelt. Dabei wird auch die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis der Regierungsforschung reflektiert.

2 Erwartungen an die Spiegelreferate und ihre tatsächlichen Aufgaben

Die formellen Regelungen über die Aufgaben der Ressortkoordination in den Geschäftsverteilungsplänen der Regierungszentralen sind eher kurz. So heißt es in der Staatskanzlei NRW lediglich: „Richtlinien der Politik und Beobachtung der Parlamentstätigkeit sowie der Verbände in landespolitisch bedeutsamen Fragen“ in den Bereichen der jeweiligen Ressorts.Footnote 4 Etwas genauer heißt es seitens der Bremer Senatskanzlei:

„Die Referentinnen und Referenten dieser Abteilung (Koordinierung und Planung) sowie deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind den jeweiligen Politikfeldern der Fachressorts zugeordnet. Sie sind die sogenannten ‚Spiegelreferenten‘. Jede Referentin/jeder Referent ist Experte für eines oder mehrere dieser Felder und Ansprechpartner für das entsprechende Senatsressort. Hinzu kommen bestimmte Sonderaufgaben.“Footnote 5

Die Aufgaben der Spiegelreferate und die Erwartungen der Hausspitze an sie gehen weit über die eigentliche Koordinierungsaufgabe – die Herstellung einer einheitlichen Linie der Regierungspolitik (Frohn 2011) – hinaus. Im Prinzip sind sie für alles zuständig, was in irgendeinem Zusammenhang mit einem Vorgang eines Ressorts steht. Das Spektrum reicht von der Eingabe eines Bürgers über die Bearbeitung parlamentarischer Anfragen bis zur Begleitung von Gesetzesvorhaben und größerer Projekte. Allein die Beantwortung der zahlreichen Eingaben und Kleinen Anfragen kann fast die gesamte Kapazität eines Spiegelreferats beanspruchen.Footnote 6 Auch in die Funktion des Ministerpräsidenten als „Staatsoberhaupt“ sind die Spiegelreferate eingebunden, indem sie Voten zu Schirmherrschaften, Ordensverleihungen, Einladungen zu besonderen Anlässen, Petitionen oder Vorbereitungen von Staatsbesuchen anfertigen. Auch wenn andere Abteilungen (Protokoll, Orden, Grußworte) die Federführung haben, ist der Beitrag der Spiegelreferate essenziell.Footnote 7

Wie alle Arbeitseinheiten einer Regierungszentrale erhalten auch die Spiegelreferate ihre Arbeitsaufträge vom Ministerpräsidenten oder vom Chef der Staatskanzlei. Die Arbeitsaufträge gelangen sie auf dem Dienstweg über die Abteilungs- und Gruppenleitung zu den einzelnen Referaten. Die häufigsten Verfügungen sind

  • Antwortentwurf zur Unterschrift des Ministerpräsidenten,

  • Abgabe an das zuständige Ressort mit der Bitte um Übernahme des Vorgangs,

  • Votum (fachliche Einschätzung des Vorgangs und Handlungsempfehlung),

  • Sachstand zu einem laufenden Projekt,

  • Termin- oder Gesprächsvorbereitung,

  • Redeentwurf.

Bei den zahlreichen Eingaben von Bürgern oder organisierten Interessen, die die Regierungszentrale täglich erreichen, gilt eine Frist für die Erledigung von zwei bis drei Wochen. Wenn der Regierungschef kurzfristig zu einem Interview oder zu einer Stellungnahme im Parlament gebeten wird, muss die Vorlage des Spiegelreferats sofort erfolgen. Darüber hinaus können Spiegelreferate mit der Erstellung eines Dossiers zu einem bestimmten Thema beauftragt werden. Als selbstverständlich gilt die Teilnahme der Spiegelreferate an den Sitzungen der Parlamentsausschüsse und des dazu gehörenden Arbeitskreises der Mehrheitsfraktion (Mai 2022) sowie der regelmäßige Austausch mit dem Ressort.

Ihren Erwartungen können Spiegelreferate nur gerecht werden, wenn sie sehr eng mit „ihrem“ Ressort zusammenarbeiten und mit ihren wichtigsten Issues vertraut sind. Um nicht nur von den Informationen des Ressorts abzuhängen und somit zu seinem unkritischen Sprachrohr zu werden, muss sich das Spiegelreferat auch andere Quellen erschließen. Je nach Ressort sind das die institutionellen Akteure des jeweiligen Politikfeldes: Verbände, NGOs, Gewerkschaften, Hochschulen, Forschungsinstitute, Stiftungen, Kommunen oder einzelne Unternehmen. In der Regel suchen die Akteure eines Politikfeldes von sich aus den Kontakt zur Regierungszentrale, wenn sie mit einem Anliegen beim zuständigen Ressort nicht weiterkommen. Das geschieht entweder durch direkte Ansprache des Regierungschefs oder über die Spiegelreferate. Gerade im Vorfeld von Gesetzesvorhaben sind die Spiegelreferate Ansprechpartner für Interessenvertreter. Lobbyisten platzieren ihre Anliegen an möglichst vielen Stellen der Regierung (Baruth und Schnapp 2015).

Zu den Quellen eines Spiegelreferats gehören auch Studien aus den Politikbereichen eines Ressorts. Vom Spiegelreferat wird erwartet, dass es die aktuellen Diskussionen zu einem bestimmten Thema – Energiewende, Bürgergeld, Krankenhausreform und viele weitere – kennt. Häufig erhalten sie den Auftrag, eine Studie für die Hausspitze auszuwerten, damit der Ministerpräsident in einer Rede oder in einem Gespräch seine Sicht zu dem Thema der Studie äußern kann. In allen Politikbereichen gibt es Studien, die zum Teil jahrelang den Diskurs prägen, sei es der Bericht des Weltklimarats, eine Expertise zur Künstlichen Intelligenz oder die Prognose eines Wirtschaftsforschungsinstituts. Dabei geht es immer auch um ihre Bewertung aus politischer Sicht. Oft werden die zuständigen Ressorts von der Staatskanzlei dazu um eine Stellungnahme gebeten.

Das Auswerten einschlägiger Studien nimmt viel Zeit in Anspruch, wenn man bedenkt, dass z. B. in den Bereichen Klima, Migration, Soziales, Gesundheit, Bildung oder Infrastruktur regelmäßig Studien veröffentlicht werden, die in den Medien, Parteien und Parlamenten diskutiert werden. Zu allen diesen Studien muss nicht nur das zuständige Ressort, sondern auch der Ministerpräsident sprechfähig und in der Lage sein, sich dazu zu positionieren. Auch hier geht es weniger um die Herstellung einer einheitlichen Regierungspolitik, sondern um die Ermöglichung eines schnellen Agierens des Ministerpräsidenten.

Die wichtigste Ressource der Spiegelreferate ist ihre Expertise in einem bestimmten Politikbereich. Damit stehen sie in Konkurrenz zu Referaten anderer Abteilungen, die ebenfalls beanspruchen, über Expertenwissen zu bestimmten Themen zu verfügen. Auch die Referate für politische Planung, Europa, Recht und die für Kommunikation verfolgen die Diskussionen über politisch relevante Themen und können zu anderen Einschätzungen als das Spiegelreferat kommen. Dabei dominiert allerdings eine bestimmte Sichtweise, etwa die aus europapolitischer oder verfassungsrechtlicher Sicht. Die Ressortkoordination kennt eher die Details eines Vorgangs. Die anderen Arbeitseinheiten kennen die Diskussionen eher aus der Fraktion oder aus den Medien. Ihre Sicht ist mehr strategisch, da sie nicht den regelmäßigen Zugang zum Ressort haben und daher z. B. nicht die konkreten Sachstände kennen. Der Zugriff der Spiegelreferate auf die Ressorts ist ein Privileg der Ressortkoordination. Er kann zu Konflikten führen, weil auch andere Arbeitseinheiten – z. B. die Ministerbüros, Kabinett- und Pressereferate – Kontakte zu den Ressorts haben und bei schnell benötigten Infos nicht immer den Dienstweg über die Spiegelreferate gehen.

Es gibt verschiedene Gründe, warum sich Bürger, Verbände oder andere kollektive Akteure mit einem Anliegen direkt an die Staatskanzlei wenden und nicht an das zuständige Ressort. Jemand ist z. B. mit einem Anliegen beim Ressort nicht weitergekommen, weil ein Förderantrag abgelehnt wurde. Das Spiegelreferat bittet dann das federführende Ressort um eine Stellungnahme und formuliert auf dieser Basis die Antwort an den Petenten.Footnote 8 In der Regel schließt sich die Staatskanzlei dem Votum des Ressorts an. Ausnahmen bilden politisch besonders bedeutsame Projekte, wo die Staatskanzlei zunächst auf Arbeitsebene ein Gespräch mit den beteiligten Ressorts anbietet um zu klären, wie es mit dem Projekt weitergehen könnte. Meist liegt es an fehlenden Mitteln. Da solche Gespräche immer mit Vertretern des Finanzministeriums stattfinden, werden Wege gesucht, die Finanzierung sicherzustellen. Wenn es sich um ein wichtiges Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag handelt, werden Spitzengespräche mit allen beteiligten Ministern geführt. Der Ministerpräsident kann dann verdeutlichen, dass dieses Projekt im landespolitischen Interesse ist. Dem Spiegelreferat kommt dann die Aufgabe zu, dieses Gespräch vorzubereiten: Darstellung des Sachstands, Positionen der beteiligten Ressorts, Konfliktpunkte, Ergebnisse der bisherigen Gespräche auf Arbeitsebene und Lösungsvorschläge.

3 Spielräume der Ressortkoordinierung

Die Leiter der Spiegelreferate haben wie alle anderen Referatsleiter einen Spielraum, wie sie die im Geschäftsverteilungsplan festgelegten Anforderungen erfüllen. Je nachdem, welche Ausbildung und Vorerfahrungen sie mitbringen, entwickeln sie auch einen typischen Arbeitsstil. Neben der Pflicht wie die Beantwortung parlamentarischer Anfragen, Erstellung von Kabinettvoten, Berichte über Ausschusssitzungen und Sachstände laufender Vorhaben oder die Teilnahme an interministeriellen Besprechungen bleibt Raum für die Kür:

  • Ob und wie tief jemand in ein Projekt einsteigt,

  • ob man an Veranstaltungen des Ressorts (Tagungen, Kongresse, Pressekonferenzen) teilnimmt,

  • ob man sich auf einen oder mehrere Politikbereiche seines Ressorts konzentriert (z. B. Arbeit, Gesundheit oder Soziales),

  • ob man sich bei interministeriellen Arbeitsgruppen eher aktiv oder passiv verhält,

  • ob man kleinste Projektfortschritte „nach oben“ meldet oder nur Meilensteine,

  • ob man marginale Abweichungen vom Koalitionsvertrag problematisiert oder erst mit dem Ressort bespricht

ist Interpretationssache. Diese hängt nicht nur von der Motivation des jeweiligen Referatsleiters ab, sondern auch von den (wahrgenommenen) Erwartungen der Hausspitze. Diese zeigen sich z. B. in den Reaktionen der Hausspitze auf Vermerke des Spiegelreferats. Wer seine Vermerke unkommentiert zurück erhält weiß nicht einmal, ob sie überhaupt gelesen wurden. Das andere Extrem besteht darin, dass der Regierungschef diesen Vermerk auch anderen Abteilungen zur Kenntnis gibt, um Zusatzinformationen bittet und ihn auf die Tagesordnung wichtiger Besprechungen (Morgenlage, Kabinett, Koalitionsausschuss) setzt. Das Feedback ist nicht nur für die Motivation der Ressortkoordinierer wichtig, sondern auch für die Kenntnis der Linie, die die Hausspitze in einer bestimmten Sache verfolgt: Gibt es Bedenken oder gar Weisungen, wie sich das Spiegelreferat in dieser Sache gegenüber dem Ressort verhalten soll? Aufgrund eines Vermerks des Spiegelreferats über eine problematische Angelegenheit kann beispielsweise der Regierungschef den Ressortminister darauf ansprechen. Nicht selten wird in den Voten an den Ministerpräsidenten vorgeschlagen, ein solches Gespräch zu führen, weil man auf Arbeitsebene nicht weiterkommt.

Die Spielräume von Spiegelreferaten haben ihre Grenzen dort, wo die Funktionen der Regierungszentrale und die des Ressorts nicht mehr klar zu trennen sind. Vieles, was Spiegelreferenten aus ihren Ressorts erfahren, ist vertraulich. Jedes Ressort hat gegenüber der Regierungszentrale seine Gründe, sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Das ist nicht nur eine Folge des Ressortprinzips, sondern auch eine des politischen Wettbewerbs. „Der Parteienwettbewerb zwischen Koalitionspartnern endet nicht mit der Verabschiedung eines Koalitionsvertrages oder der Bildung einer gemeinsamen Regierung“ (Korte et al. 2006, S. 108).

Neben der Expertise ist Vertrauen die wichtigste Ressource eines Spiegelreferats. Im Gegensatz zur Expertise ist Vertrauen ein flüchtiges Gut. Jedes Missverständnis zwischen dem Spiegelreferat und dem Ressort kann dazu führen, dass es die Kooperation auf ein Minimum beschränkt und beispielsweise allen Stellen im Ressort außer dem Ministerbüro verbietet, mit der Staatskanzlei zu sprechen. Schwierig ist es, wenn das Ressort dem Koalitionspartner gehört, der die Spiegelreferate der Staatskanzlei verdächtigt, alle Informationen an die Mehrheitsfraktion weiterzuleiten. Verhindern lässt sich das nicht und ist eine Konsequenz der Tatsache, dass Regierung, Fraktion und Partei in einer Regierungszentrale nicht voneinander zu trennen sind. Die unterschiedlichen Logiken der Sachpolitik einerseits und die der Darstellungspolitik andererseits mit ihren jeweils unterschiedlichen Arenen können keine scharfe Abgrenzung garantieren, zumal die handelnden Personen in allen Arenen präsent sein müssen und in verschiedene Kontexte (Fraktion, Partei, Kabinett, Medien) eingebunden sind.

Spiegelreferate sind in diesem Kräftefeld einer Regierungszentrale der Sachpolitik zuzuordnen (Mai 2011) – ebenso wie die Referate für Internationales, Recht, Medien, Europa, Ministerpräsidentenkonferenzen sowie die Landesvertretungen in Berlin und Brüssel. Die engen Beziehungen zur Fraktion und Parteigremien sind die Domäne der Planungsabteilung. Jede Information über einen Sachstand ist auch Teil der Darstellungspolitik insofern, als es als Erfolg einer bestimmten Partei und Politikers verbucht werden kann. Auch innerparteilich können Ressortchefs zu Wettbewerbern um politische Ämter und Macht werden. Korte (2011, S. 129) spricht in diesem Zusammenhang von „Policyakzentuierung durch Gewinnerthemen“.

4 Konflikte der Ressortkoordination

Spiegelreferate leben in einem Spannungsfeld zwischen dem Ressort, das sie spiegeln, und ihrer eigentlichen Dienststelle. Die Staatskanzlei erwartet von ihnen, dass sie über die Angelegenheiten der Ressorts informiert sind. Die Ressorts erwarten dagegen, dass sie sich beim Ministerpräsidenten für ihre Anliegen einsetzen – vor allem beim Finanzministerium.

Ein Problem bei interministeriellen Besprechungen ist, dass vom Vertreter der Staatskanzlei oft eine Positionierung erwartet wird, die dieser aber noch nicht abgeben kann, weil es zu einem bestimmten Vorgang noch keine gibt. Ohne Kenntnis der vom Ministerpräsidenten vertretenen Linie ist Ressortkoordination sinnlos. Worauf soll denn das Spiegelreferat in Ressortbesprechungen hinarbeiten, wenn das Ziel unklar ist? Als Maßstab zur Beurteilung gilt der Koalitionsvertrag. Aber nicht immer lässt sich aus einer Ressortinitiative erkennen, ob das Vorhaben diesen Kriterien entspricht.Footnote 9 Meist geht es darum, ein eher abstraktes Ziel („Schaffung von mehr Bildungsgerechtigkeit“) umzusetzen, was an die Situation zwischen Principal (Koalitionsvertrag) und Agent (Ressort) erinnert. Für die Ressorts ist es wichtig, die Position des Ministerpräsidenten zu kennen: Kann man mit seiner Unterstützung rechnen oder gibt es Einwände? Oft beschränkt sich die Teilnahme des Spiegelreferats an interministeriellen Runden darauf, der Hausspitze mitzuteilen:

  • Welches Ressort plant was?

  • Wie sind die zeitlichen und finanziellen Dimensionen?

  • Wie verhalten sich die anderen Ressorts – insbesondere das Finanzministerium – dazu?

  • Wie sollte sich die Staatskanzlei dazu verhalten?

Alle diese Punkte werden in einem Votum, das auch den anderen betroffenen Spiegelreferaten mit der Bitte um Zustimmung („Mitzeichnung“) zugeleitet wird, dem Ministerpräsidenten vorgelegt. Nicht selten erfolgt dann eine interne Runde mit Vertretern der anderen Spiegelreferate, um eine einheitliche Position der Landesregierung zu erarbeiten. Bei größeren ProjektenFootnote 10 wird zu einer Ressortbesprechung eingeladen, an der die Vertreter – zunächst nur die Arbeitsebene – mehrerer Ressorts und ihre jeweiligen Spiegelreferate teilnehmen. Daraus kann z. B. eine Kabinettvorlage entstehen, die vom Kabinett verabschiedet wird.

Nach der Verfassung hat jedes Ressort die Verantwortung für die Vorgänge in seinem Geschäftsbereich. Dass sich Regierungschefs dennoch gelegentlich in die Angelegenheiten eines Ressorts einmischen, hat verschiedene Gründe. Ein häufiger Grund ist der Eindruck, dass ein wichtiges Projekt nicht vorankommt. Um das zu vermeiden, überprüft die Planungsabteilung durch regelmäßige Abfragen beim Ressort den Stand aller Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag. Dabei arbeiten Planungsabteilung, Ressortkoordination und die Ministerbüros der Ressorts zusammen. Gemeinsam erstellen sie eine Monitoringliste, in der der Ministerpräsident über den Fortschritt aller wichtigen Projekte informiert wird. Dieses Frühwarnsystem hat jedoch Schwächen. So entspricht der vom Ressort der Staatskanzlei gemeldete Sachstand nicht immer der Realität. Das Ressort wiederum beruft sich dabei auf falsche oder zu spät erfolgte Informationen der Projektverantwortlichen. Typischerweise ist das der Fall bei größeren Bauvorhaben, deren Zeit- und Kostenrahmen gesprengt werden. Dennoch kann sich das Ressort der Verantwortung für solche Projekte nicht entziehen, schließlich hat es die Mittel dafür bewilligt und sollte über die einzelnen Meilensteine (Mittelabflüsse, Baufortschritte) im Bilde sein.

Keine Ressortkoordinierung kann alle denkbaren Fehlentwicklungen voraussehen. Sie muss aber die sich daraus ergebenden Krisen managen und Schlimmeres verhindern. Die Federführung des Krisenmanagements liegt zwar bei anderen Abteilungen, aber das Spiegelreferat ist stets eingebunden. Es muss beispielsweise Anfragen dazu aus dem Parlament ebenso beantworten, wie die Teilnahme der Hausspitze an den Sitzungen eines Untersuchungsausschusses vorbereiten. Spätestens in so einem Fall muss das Spiegelreferat auf kritische Distanz zum Ressort gehen, da die Verantwortlichkeit von der Staatskanzlei abgelenkt werden muss.Footnote 11 Intern muss der Ressortchef sich fragen lassen, warum er von der Fehlentwicklung nichts gewusst haben will, zumal er mit seinen Kontakten zu Abgeordneten vor Ort und anderen Projektbeteiligten in der Regel über gute Sensoren verfügt.

Spiegelreferate können auch untereinander Konflikte haben, wenn sie sich die Positionen „ihrer“ Ressorts zu eigen machen. So konnten sich etwa beim Thema Finanzierung von Universitätskliniken die betroffenen Ressorts für Gesundheit und das für Wissenschaft nie einigen, wer für welche Leistungen zahlt. Gestützt wurden diese unterschiedlichen Positionen durch die jeweiligen Fachministerkonferenzen. Den beteiligten Spiegelreferaten blieb dann nichts weiter übrig, als in ihren Voten für die Ministerpräsidentenkonferenz ihre jeweiligen Positionen darzustellen.Footnote 12 In diesen und anderen Fällen wurden die jeweils unterschiedlichen Positionen der betroffenen Ressorts dargestellt und im Votum etwa für die Ministerpräsidentenkonferenz festgehalten, dass eine Einigung auf der Sachebene nicht möglich ist. Hier zeigen sich auch die Grenzen der Ressortkoordinierung. Die Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten ist in diesen Fällen kaum in der Lage, die Fronten der jeweiligen Ressortinteressen, hinter denen jeweils eine starke Klientel steht, aufzulösen.

5 Formalität und Informalität

Mehr als andere Arbeitseinheiten arbeiten Spiegelreferate mit den Ressorts zusammen. Der Kontakt zwischen Spiegelreferat und Ressort erfolgt in der Regel über den Leiter des jeweiligen Ministerbüros. Es ist üblich, dass man sich zu Beginn einer Legislatur trifft und die Zusammenarbeit unter Beachtung des Dienstwegs regelt. Wegen der Fülle der möglichen Anfragen ist es sinnvoll, andere Ansprechpartner zu benennen, da die Leiter der Ministerbüros nicht immer erreichbar sind oder sich bei Detailfragen selbst erst in ihrem Haus informieren müssen. Auf jeden Fall sollte der Büroleiter darüber informiert sein, wenn die Staatskanzlei in seinem Haus Informationen abfragt. Da in der Regel bekannt ist, welches Referat mit einem bestimmten Vorgang befasst ist, ruft das Spiegelreferat oft direkt bei dem zuständigen Abteilungsleiter, Referenten oder Sachbearbeiter an. Jeder von ihnen weiß, dass er der Staatskanzlei nur auf dem – langsameren – Dienstweg antworten darf. Je mehr das Spiegelreferat die Personen im Ressort kennt, umso größer ist auch das gegenseitige Vertrauen. Wichtige Informationen aus einem Ressort – z. B. Antworten auf parlamentarische Anfragen oder Kabinettvorlagen – müssen zuvor von der Hausspitze unterzeichnet werden. Der Leiter des Ministerbüros entscheidet, welche Informationen auch ohne ministerielle Freigabe an die Staatskanzlei weitergegeben werden können.

Nach § 28 der „Gemeinsamen Geschäftsordnung für die Ministerien des Landes Nordrhein-Westfalen (GGO)“ ist es nicht erlaubt, mit den Dienststellen nachgeordneter Behörden eines Ressorts zu kommunizieren.Footnote 13 Das erschwert die Aufgabe der Ressortkoordination. Wenn z. B. beim Ministerpräsidenten eine Beschwerde über eine Arbeitsagentur, ein Technologiezentrum, eine Schule oder eine Forschungseinrichtung eingeht, ist es nicht möglich, diese Institutionen nach dem Hintergrund zu fragen. In der Praxis geschieht das dennoch, auch wenn die angesprochen Behörde darauf hinweist, dass sie eigentlich nicht antworten darf. Auf dem Dienstweg kann es unter Umständen Monate dauern, bis die erbetene Antwort erfolgt, die dann nicht selten überholt ist. Dennoch: Ressorts reagieren sensibel, wenn die Staatskanzlei in ihren Bereichen recherchiert und werten dies als Vertrauensbruch. Korrekt wäre es gewesen, das Ministerbüro oder den zuständigen Abteilungsleiter über den Eilbedarf dieser Antwort zu unterrichten. Im Alltagsgeschäft der Ressortkoordination kann das verloren gehen. Umgekehrt gilt es als Vertrauensbruch, wenn das Ressort von sich aus versäumt, die Staatskanzlei über eine wichtige Entwicklung zu informieren und der Ministerpräsident erst in der Kabinettsitzung oder über die Fraktion davon erfährt.

Es ist aus diesen und anderen Gründen für beide Seiten hilfreich, sich regelmäßig auszutauschen. Gelegenheiten dafür bieten z. B. die Ausschuss- und Arbeitskreissitzungen im Parlament, wo das Ressort immer mit mehreren Beamten vertreten ist. Fast immer dabei sind neben dem Staatsekretär die Leiter des Ministerbüros, der Kabinettreferent und die Presse. Vor und nach den Ausschusssitzungen gibt es immer Gelegenheit, neben Sachfragen auch Fragen der Zusammenarbeit zwischen Staatskanzlei und Ressort anzusprechen. Informalität ist unter Beachtung formaler Vorschriften für die effiziente Arbeit in jeder Organisation konstitutiv (Mayntz 1985; Mai 2011; Florack und Grunden 2011; Mielke 2011; Pannes 2014).

Das Ressort sieht in seinem Spiegelreferat immer auch einen Botschafter seiner Anliegen. Meist geht es darum, sich in der Staatskanzlei gegen die Anliegen anderer Ressorts, die ebenfalls ihre jeweiligen Spiegelreferate „pflegen“, zu wappnen. Das kann z. B. die Federführung eines prestigeträchtigen Projekts sein oder das Werben um die eigene Position gegenüber der des anderen Ressorts. Ressortkonflikte werden so auch auf die Spiegelreferate übertragen. Typisch sind etwa Fragen der Strukturpolitik (Wer bekommt welche Mittel für welche Projekte?), der Digitalisierungspolitik (Wer bestimmt die Digitalstrategie: Der Wirtschafts‑, Verkehrs- oder der Wissenschaftsminister?) oder der Innovationspolitik (Wer erhält welche Cluster?). Diese und andere Konflikte zwischen den Ressorts sind in jeder Legislatur ein Thema und immer wieder Gegenstand von Verhandlungen der betreffenden Ressortchefs, denen es um Ressourcen und politische Macht geht. Diese Konflikte über Zuständigkeiten zeigen sich auch im Alltag der Spiegelreferate, wenn es darum geht, Voten, Terminvorbereitungen oder Reden des Ministerpräsidenten vorzubereiten. Diese relativ häufigen Konflikte zwischen den Spiegelreferaten werden in der Regel von der Abteilungsleitung durch eine klare Zuweisung entschieden.

6 Praktische Übungen im Berufsfeldkurs

Die 20 Teilnehmer des Berufsfeldkurses (BFK) im Bachelor-Studiengang Sozialwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf erhielten eine Liste von konkreten Fällen aus unterschiedlichen Politikbereichen der Landespolitik. Teams von zwei bis drei Studierenden wählten aus dieser Liste jeweils einen dieser Fälle aus, um die mit diesen Fällen verknüpften Aufgaben im BFK präsentieren. Die Aufgabenstellung entsprach der Regierungspraxis dahingehend, dass die Hausspitze einer Staatskanzlei oder eines Ministeriums zu einer konkreten Frage von den zuständigen Referaten eine Handlungsempfehlung in Form eines Votums anfordert. Ein Votum enthält jeweils eine Handlungsempfehlung, Hintergrundinformationen zum Sachverhalt sowie eine wertende Stellungnahme.

Die Voten zu den einzelnen Fällen wurden dann im Seminar präsentiert und mit den Teilnehmern diskutiert. Teilweise wurden zu bestimmten Fällen auch Gruppen gebildet, denen jeweils eine unterschiedliche Rolle im Entscheidungsprozess der Regierung zukam. Typische Rollen waren die des Regierungssprechers, des Haushaltsreferats, anderer Spiegelreferate und beteiligte Ressorts. Wichtig ist, dass bei allen Fällen zunächst der Sachstand ermittelt wird, sowie die beteiligten Interessen und noch zu beteiligende Akteure benannt wurden. Am Ende muss ein klarer Entscheidungsvorschlag für die Hausspitze stehen, der mit anderen Spiegelreferaten und/oder Ressorts abgestimmt ist sowie auch den Kosten- und Zeitrahmen berücksichtigt. Da der BFK als Blockveranstaltung durchgeführt wurde, hatten die Teams mehrere Tage Zeit, sich auf die Themen vorzubereiten. Sie erhielten dabei von der BFK-Leitung Hinweise zum realen Hintergrund der jeweiligen Fälle und zu einzelnen Informationsquellen. Der BFK begann mit einer Übersicht über Strukturen und Funktionen der Exekutive, die Aufgaben der einzelnen Arbeitseinheiten, Kritik am Öffentlichen Dienst, typische Arbeitsweisen in einem Ministerium und Karrierewege für Sozialwissenschaftler in die Öffentliche Verwaltung allgemein.

Alle im BFK behandelten Fälle haben die Landespolitik teilweise jahrelang beschäftigt und liegen oft schon länger zurück. Bei jedem der Fälle lässt sich daher rekonstruieren, wie sie wirklich verlaufen sind. So zum Beispiel die konkret behandelten Fragen,

  • wie dem Ärztemangel in ländlichen Regionen zu begegnen ist und

  • ob man der Forderung aus Kreisen der Werbewirtschaft entsprechen soll, eine Werbeakademie zu errichten.Footnote 14

Die Studierenden sollten dabei lernen, zunächst die Fakten zu den jeweiligen Projekten (Was sagen Prognosen für die ärztliche Versorgung in ländlichen Gebieten? Gibt es Beispiele aus anderen Ländern?) zu ermitteln und welche Interessen (Wie stehen die Vertreter der Region und der Ärztekammer zu dieser Forderung? Gibt es Gegner des Projekts?) involviert sind. Anschließend ging es um die Frage, ob die Ziele dieser Interessenten mit denen der Landesregierung, wie sie im Koalitionsvertrag stehen, übereinstimmen. Wichtig ist, aus den zahlreichen Informationen eine klare Positionierung (Zustimmung oder Ablehnung) und eindeutige Handlungsempfehlung (Was muss von wem veranlasst werden?) zu erarbeiten.

Es zeigte sich in allen Fällen, dass die Studierenden die unterschiedlichen Rollen schnell verinnerlichten und ein politisches Vorhaben etwa nur aus der Sicht seiner Finanzierbarkeit oder seines Prestiges („Nice to have“) bewerteten. Allerdings war ihnen nicht immer klar, welche Aspekte und Akteure bei den diskutierten Fällen zusätzlich eine Rolle spielten. Das mag daran liegen, dass die Studierenden im dritten Semester die Vielfalt möglicher Akteure (EU-Behörden, Kommunalverwaltungen, Wirtschaftsverbände, Kammern u. a.) noch nicht kennen. Auffallend war darüber hinaus, dass Studierende, die bereits ein Verwaltungspraktikum absolviert haben oder politische Erfahrungen mitbrachten, in der Regel kreativere Vorschläge machten. In den Rückmeldungen am Ende des Seminars zeigte sich auch, dass Rollenspiele beliebter waren als Präsentationen mit anschließender Diskussion.

Hilfreich wäre es, Fallsammlungen, wie sie z. B. im Jurastudium üblich sind, auch in der politikwissenschaftlichen Lehre anzulegen. Die in der Politikwissenschaft zitierten Fälle haben oft einen Bias zugunsten negativer Beispiele, um als Belege für ein Staats- oder PolitikversagenFootnote 15 zu dienen. Es käme darauf an, konstruktive Beispiele aus der Regierungspraxis zu finden, ohne die damit verbundenen Probleme zu ignorieren. Wie soll man Studierende der Politikwissenschaft für ihr Studium und ihren späteren Beruf motivieren, wenn sie nur Fälle lesen, die ein Systemversagen beschreiben, für das sie durch ihre Mitarbeit in der Exekutive auch noch verantwortlich gemacht werden? Angehende Mediziner sezieren schließlich auch nicht nur Leichen.

7 Fazit

Die Rolle der Regierungszentralen bei ihrer Aufgabe, „unter Beachtung der Ressortverantwortung die Aufgaben der Ministerien (zu koordinieren)“Footnote 16, nimmt in erster Linie die Abteilung Ressortkoordination wahr. Ihre Arbeit geht jedoch weit über die Abstimmung von Antworten auf parlamentarische Anfragen und Kabinettvorlagen hinaus. Spiegelreferate sind darüber hinaus Ressourcen zu allen Vorgängen eines bestimmten Politikfeldes. Ihr Rollenprofil ist in den Geschäftsverteilungsplänen der Regierungszentralen nur knapp definiert. Das lässt zum einen viel Spielraum für die Erfüllung dieser Aufgaben und zum anderen für weitere Aufgaben, die ihnen von der Hausspitze übertragen werden. Diese machen aus den Spiegelreferaten interne Universaldienstleister für alle anderen Arbeitseinheiten der Regierungszentrale.

Mit ihrer Orientierung an Policy steht die Ressortkoordination in einem Spannungsfeld zu Politics der Politischen Planung von Regierungszentralen. Ein weiteres Spannungsfeld der Ressortkoordination besteht in der Balance zwischen Nähe und Distanz zu den einzelnen Ressorts. Ob aus diesen Spannungen ernste Konflikte erwachsen, hängt nicht nur von der Arbeit der Spiegelreferate ab, sondern vor allem von der politischen Führung. Nur durch sie können eindeutige Vorgaben gemacht, rechtzeitige Interventionen gestartet und klaren Ansagen formuliert und dadurch größere Konflikte vermieden werden.

Die Darstellung der Regierungspraxis zeigt die Diskrepanz zu den formalen Aufgabenzuweisungen und zur politikwissenschaftlichen Lehre. Letztere vermitteln zwar ein Grundverständnis auf der Basis einer Arbeitsteilung unterschiedlicher Funktionen und Strukturen einer Regierungszentrale. Sie übersehen aber die vielfältigen Kommunikationswege innerhalb einer komplexen Organisation, die sich mit Informalität noch am besten beschreiben lässt. Auch Informalität – gern auch als „Staatspraxis“ bezeichnet – hat ihre verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Grenzen. Wie diese Staatspraxis in einer Regierungszentrale aussieht, wurde hier am konkreten Beispiel der Spiegelreferate gezeigt. Es ist möglich und sinnvoll, diese Praxis auch in der Lehre in geeigneten Formaten zu vermitteln.