1 Einleitung

Gewaltenteilung und Gewaltenhemmung setzen voraus, dass politische Entscheidungen nicht von einer Institution allein getroffen werden können, sondern sich ein Verhältnis der wechselseitigen Kontrolle und Abhängigkeit zwischen den Funktionsbereichen von Herrschaft konstituiert. Die effektive Kontrolle der Regierung zählt dabei nicht zufällig zu den zentralen Bedingungen von Demokratie; folgerichtig attestieren Demokratiemessungen Staaten ernsthafte Defizite, wenn die Regierungskontrolle nur eingeschränkt realisiert ist (Lauth 2004). Im Mehrebenensystem der EU, das maßgeblich von intergouvernementalen Verhandlungen geprägt ist, erweist sich gerade die parlamentarische Kontrolle der Regierung jedoch als ein äußerst voraussetzungsvolles Unterfangen. Dabei ist es für Parlamente essentiell, informale Strategien zu entwickeln, mit denen kontrollrelevante Informationen gewonnen und verarbeitet werden können. Der nachfolgende Beitrag widmet sich eben solchen Strategien, die sich in der vertikalen Dimension über die Institutionen des EU-Mehrebenensystems hinweg erstrecken und horizontal zwischen Parlament und Regierung wirksam werden.

Die vergleichende Forschung zu nationalen Parlamenten in der Europäischen Union bemisst deren Stärke gegenüber den Exekutiven an ihren Möglichkeiten, das Handeln der eigenen Regierung in Brüssel effektiv kontrollieren zu können. Auch wenn sich Studien diesem Schwerpunkt zumeist nicht unter dem Etikett der klassischen Gewaltenteilungslehre nähern, so kreisen sie doch wesentlich um die Frage, wie und in welchem Umfang Parlamente ihre Regierungen für ihre Handlungen und Entscheidungen verantwortlich machen können (Eberbach-Born et al. 2013; Auel et al. 2015). Als zentrale Dimensionen einer „accountability“ lassen sich Information sowie das Erklären und Rechtfertigen exekutiven Handelns anführen (Lauth 2007, S. 49).

Lange Zeit ging die vergleichende Parlamentsforschung davon aus, dass unter den Bedingungen der Europäischen Integration ein historisch irreversibler Kontroll- und Funktionsverlust der Parlamente in Gang gesetzt worden sei. Die Logik intergouvernementaler Verhandlungen schien Parlamente mehr oder weniger zu Ratifikationsinstanzen exekutiver Entscheidungsmacht herabgestuft zu haben. Spätestens seit dem Vertrag von Lissabon vom Dezember 2009 widmet sich die Parlamentsforschung jedoch zunehmend den vielfältigen Aktivitäten nationaler und subnationaler Parlamente (vgl. Abels in diesem Band; Hefftler et al. 2015), die zwar in beträchtlichem Umfang Gesetzgebungskompetenzen nach Brüssel transferiert, sich aber auch neue Kontrollmöglichkeiten erschlossen haben (vgl. Kropp et al. 2012). Nicht erst seit der Wirtschafts- und Finanzkrise, wenn auch durch sie verstärkt, rücken Parlamente EU-bezogene Themen zunehmend in den Mittelpunkt parlamentarischer Debatten und kommunikativer Strategien und intensivieren dadurch die Kontrolle der Regierung (Auel und Raunio 2014b). Etliche nationale Parlamente haben in den vergangenen Jahren von der Regierung unabhängige Informationskanäle aufgebaut, die zudem darauf zielen, die Flut an EU-bezogenen Informationen zu reduzieren. Nachdem in etlichen Mitgliedstaaten lange Jahre ein „permissive consensus“ vorherrschte, geht diese Entwicklung nun auch mit einer wachsenden Politisierung des Themas „Europa“ einher (Zürn 2006; de Wilde 2011). Entstanden sei zudem ein Netz von inter-parlamentarischen Aktivitäten (Sprungk 2011b), das sich zu einem „multilevel parliamentary field“ verdichte (Crum und Fossum 2009). In diesem organisationalen Feld bilden parlamentarische Akteure gemeinsame Interessen und Sichtweisen aus und koordinieren ihr Handeln.

Trotz der erwähnten Tendenzen zur Reparlamentarisierung kommen Analysen der Finanzkrise vielfach zum Ergebnis, dass die Regierungen in der Summe weiter gestärkt wurden (Puntscher Riekmann und Wydra 2013, vgl. Behnke in diesem Band). Die derzeitige Finanz- und Bankenkrise schärft zusätzlich den Blick dafür, dass parlamentarische Kontrolle im Mehrebenensystem oft anderen Gesetzmäßigkeiten gehorcht als denen, die aus dem nationalen Kontext bekannt sind. Gleichzeitig belegen neuere Studien auch, dass die nationalen Parlamente ihre Regierungen auf sehr unterschiedliche Weise und in verschiedener Intensität kontrollieren (Auel und Höing 2015; Benz 2013).

Im Folgenden werden die häufig untersuchten formalen und organisationalen Kontrollressourcen der Parlamente nicht ein weiteres Mal dargestellt (siehe dazu Auel et al. 2015; Winzen 2012; Karlas 2012). Gegenstand sind nicht die EU-Ausschüsse nationaler Parlamente, sondern Konfigurationen von Kontrolle (vgl. Siefken 2013), die in den bislang kaum untersuchten sektoralen Politiken auftreten. Die Kontrollmuster wurden von uns am Beispiel der stark europäisierten Umweltpolitik sowie der Sozialpolitik untersucht. In diesen sektoralen Politikbereichen lassen sich die alltäglichen Kontrollbeziehungen zwischen Parlament und Regierung genauer abbilden als im Querschnittsbereich „Integration“ (vgl. Sprungk 2011a; Mastenbroek et al. 2014). Die nachfolgenden Ausführungen konzentrieren sich vornehmlich darauf, informale Strategien der Informationsgewinnung und verarbeitung vergleichend zu untersuchen, da diese eine wesentliche Voraussetzung für parlamentarische Kontrolle darstellen. Dieser Eingrenzung liegt zum einen die Erkenntnis zugrunde, dass formale Ressourcen lediglich Handlungspotentiale sind, die parlamentarische Akteure ausschöpfen können oder auch nicht: Die bloße Institutionalisierung sagt wenig über die tatsächliche Stärke parlamentarischer Kontrolle aus (Auel und Benz 2005). Zum anderen erweisen sich formale Informationswege oft als wenig praktikabel, weil Parlamente politisch bewertete und für den politischen Prozess verwertbare Kenntnisse und Informationen benötigen. Die nachfolgende Darstellung arbeitet daher anhand einer modifizierten Anwendung der Prinzipal-Agent-Theorie informale Wege der Informationsbeschaffung heraus, die der Gewaltenhemmung zwischen Parlament und Regierung in europäisierten Fachpolitiken dienen. Hierfür wird eine idealtypische Unterscheidung von Information in das Modell eingeführt, die zwischen „policy“ und „political“ information differenziert (vgl. Sabatier und Whiteman 1985; Webber 1992).

Der nachfolgende Beitrag konzeptualisiert zunächst verschiedene Dimensionen parlamentarischer Kontrolle im europäischen Mehrebensystem (Abschn. 2). Im Abschn. 3 werden die informalen Informations- und Kontrollstrategien dreier Arbeitsparlamente (vgl. Steffani 1979), des Deutschen Bundestags, des Schwedischen Reichstags und der Ungarischen Nationalversammlung, zusammenfassend dargestellt. Abschnitt 4 diskutiert die wichtigsten Befunde. Angesichts der notwendigen Kontextualisierung der Fälle und der damit einhergehenden kleinen Fallzahl unternimmt die vorliegende Studie keine quantitative Analyse, sondern folgt einem Fallstudiendesign, mit dem die informalen Aspekte parlamentarischer Kontrolle herausgearbeitet werden.Footnote 1

2 Dimensionen parlamentarischer Kontrolle in EU-Angelegenheiten

Das Leitbild des „alten Dualismus“ folgt der Idee von „checks und balances“ zwischen Regierung und Parlament, wobei letzteres in seiner Gesamtheit die Regierung kontrollieren soll. In modernen parlamentarischen Regierungssystemen wird parlamentarische Kontrolle realiter jedoch auf doppelte Weise wahrgenommen. Im „neuen Dualismus“, der Regierung und regierungstragende Fraktionen als eine Handlungseinheit begreift, übernimmt die Opposition die „Aufsicht über die fremde Amtsführung“ der Regierung, während sich Kontrolle innerhalb der Regierungsmehrheit im Wesentlichen durch Mitsteuerung bzw. Mitregieren der regierungstragenden Fraktionen vollzieht (Patzelt 2013, S. 28–32). Während oppositionelle Kontrolle typischerweise öffentlich und durch formale Kontrollinstrumente vorgenommen wird, ist regierungsinterne Aufsicht naturgemäß informaler Natur und weitgehend intransparent, da die Abgeordneten der Regierungsmehrheit in der Regel kein Interesse daran haben, ihre „eigenen“ Regierungsmitglieder durch öffentliche Kritik vorzuführen. Innerhalb von Koalitionen erfolgt zudem eine „Überkreuzkontrolle“, da die Abgeordneten die Tätigkeit der Minister der jeweils anderen Partei aufmerksamer verfolgen als die des eigenen Regierungspersonals (Lipsmeyer und Pierce 2011).

In Angelegenheiten der Europäischen Union erweist sich parlamentarische Kontrolle erst recht als ein mehrdimensionales Konstrukt (Abb. 1).Footnote 2 Wenn EU-Themen einer parteipolitischen Polarisierung und Politisierung unterliegen, greifen in parlamentarischen Regierungssystemen die herkömmlichen Unterscheidungen des „neuen Dualismus“ von Regierungsmehrheit und Opposition (1). Es gibt jedoch auch davon abweichende Konstellationen. Nicht selten stehen in intergouvernementalen Verhandlungen in Brüssel nationale Interessen auf der Agenda (3), so dass sich das Parlament in seiner Gesamtheit oder mit großen Mehrheiten hinter die eigene Regierung stellt. Hinzu kommt, dass die etablierten Mainstream-Parteien oft schon aus strategischen Überlegungen kein Interesse an einem europapolitischen Konflikt haben (Miklin 2014). In diesem Falle können „cross-party modes“ (King 1976) der Zusammenarbeit entstehen, die über die Grenzen der Regierungsmehrheit hinausreichen. Dabei kann es dazu kommen, dass sich parlamentarische Kontrolle im Rahmen des Mitregierens einer breiten Mehrheit entfaltet (3a) – oder aber dass sie weitgehend entfällt und die Regierung für ihr Handeln in den EU-Institutionen freie Hand erhält (3b).

Gegebenenfalls lassen sich auch Muster des alten Dualismus erkennen (2), etwa, wenn ein Parlament seine institutionellen Eigeninteressen gegenüber die Regierung wahrnimmt, also z. B. Informationspflichten der Regierung durchsetzt, oder wenn es im Rahmen der mit dem Lissabon-Vertrag eingeführten Subsidiaritätskontrolle die Trennlinie zwischen regierungstragender Mehrheit und Opposition überwinden müsste, um die Regierung kontrollieren zu können („unitary-scrutinizer“, vgl. Sprungk 2013). Diese Annahme bedarf jedoch noch empirischer Überprüfungen. Die gestrichelten Pfeile in Abb. 1 zeigen an, dass sich parlamentarische Regierungskontrolle unter den Bedingungen des EU-Mehrebenensystems auch in eine „gouvernementale Parlamentskontrolle“ (Schuett-Wetschky 2004) umkehren kann. Im Folgenden stehen die Konstellationen „neuer Dualismus“ und „Wegfall von Kontrolle“ im Mittelpunkt, da sich der empirische Teil auf Fachpolitiken und damit nicht auf Fragen institutioneller Eigeninteressen des Parlaments (2) bezieht.

Abb. 1
figure 1

Dimensionen nationaler parlamentarischer Kontrolle in Angelegenheiten der EU. (Quelle: Eigene Darstellung)

In zahlreichen Darstellungen wird parlamentarische Kontrolle auf der Grundlage von Principal-Agent-Theorien erfasst. Abbildung 1 zeigt, dass diese Theorien nicht alle Kontrollbeziehungen zwischen Parlament und Regierung im Mehrebenensystem erfassen (grau hinterlegter Bereich). Unter den Bedingungen parteipolitisch polarisierter Fachpolitiken kann oppositionelle Regierungskontrolle, anders als Kontrolle innerhalb der Regierungsmehrheit, nicht einfach als Delegationsverhältnis konzeptualisiert werden. Außerdem verändert sich der Prinzipal je nach Art der zu entscheidenden Materie. In parlamentarischen Regierungssystemen reicht die Delegationskette vom Wähler hin zur Ministerialbürokratie (Strøm 2000). Delegationsprobleme verschärfen sich im Mehrebenensystem der EU, weil Parlamente weder die fachlichen Informationen der an der Policy-Formulierung beteiligten nationalen Ministerialbürokratie kompensieren noch die aus intergouvernementalen Verhandlungen resultierenden Informationsasymmetrien ausgleichen können. Da Parlamente das Handeln ihrer Regierungen und deren Agenten, der Ministerialbürokratie, nicht zu beobachten vermögen, müssen sie versuchen, die Probleme der „hidden information“ und der „hidden action“ zu lösen (McCubbins und Kiewiet 1991). Die nationalen Ministerialbeamten sind in der EU in alle Phasen des Policy-Prozesses integriert, so dass sog. „Agenturverluste“ gegenüber dem Parlament unvermeidlich scheinen. Allerdings wird dieses Problem dadurch abgemildert, dass die in den EU-Gremien der Kommission, des Rates und in der Komitologie verhandelnden Beamten in eine bürokratische Hierarchie mit dem Kabinettsmitglied an der Spitze eingebunden sind und letzteres wiederum dem Parlament gegenüber verantwortlich ist. Die Regierung ist zudem teilweise von sich aus daran interessiert, Informationsasymmetrien auszugleichen, wenn sie den Rückhalt der Parlamentsmehrheit benötigt, um Interessen in Brüssel in intergouvernementalen Verhandlungen glaubwürdig zu vertreten (vgl. Auel et al. 2012).

Principal-Agent-Modelle gehen davon aus, dass sich Akteure opportunistisch verhalten und Agent und Prinzipal zumeist unterschiedliche Interessen verfolgen. Innerhalb der regierungstragenden Mehrheit teilen Parlaments- und Regierungsseite jedoch häufig ähnliche Policy-Positionen, so dass das Problem einer „adverse selection“, dem zufolge der Prinzipal den „falschen“ Agent auswählt, nicht in der prognostizierten Schärfe auftritt. Parlamentarische Kontrolle findet hingegen nicht oder kaum statt, wenn das Parlament bzw. Abgeordnete die eigenen Interessen in EU-Politiken nicht präzise zu definieren vermögen und Positionen der Regierung deshalb ohne kritische Überprüfung übernommen werden.

Um parlamentarische Kontrollstrategien untersuchen zu können, unterscheidet die nachfolgende Darstellung zwischen zwei Idealtypen von Information: Während sich policy-bezogene Informationen auf inhaltliche, sachpolitische Inhalte beziehen, beinhalten politics-bezogene Informationen normative Positionen und schließen Gesichtspunkte wie die potentielle Durchsetzbarkeit von Entscheidungen und prozessuale Aspekte ein (Webber 1992). In konkreten Entscheidungssituationen überlappen sich freilich beide Idealtypen von Information. Auch „politics information“ umfasst in der Regel inhaltliche Aspekte, so dass „policy information“ als Teilmenge von „politics information“ konzeptualisiert werden kann. Fachpolitiker in Parlamenten sind gerade in EU-Angelegenheiten auf „politics information“ angewiesen, weil sie angesichts knapp bemessener Entscheidungsfristen oft selbst keine intensive Informationsverarbeitung und langwierige Positionsbildung vornehmen können und sie auf eine Einordnung und Bewertung von Informationen durch Dritte Bezug nehmen müssen. Auch Ausschusssekretariate, Parlamentsverwaltungen und die Brüsseler Büros der nationalen Parlamente liefern zwar – je nach Aufgabenprofil und Ausstattung – bereits gefilterte Informationen; jedoch unterliegen sie der parteipolitischen Neutralität. Je früher Abgeordnete Informationen im Politikzyklus erhalten, desto zielgerichteter gelingt es ihnen, eine Ex ante-Kontrolle auszuüben. Allgemein setzt eine effektive Kontrolle des Agenten „Regierung“ voraus, dass auch die regierungstragenden Fraktionen Informationen nicht ausschließlich aus der Hand der Regierung erhalten, da diese so durch Selektion und eine eigene Bewertung von Sachverhalten den Kontrollprozess steuern kann; dies gilt ebenso für die Opposition.

Fügt man solche wissenspolitologischen Überlegungen in das Konzept parlamentarischer Kontrolle ein, lassen sich zwei für die Parlamentsforschung bedeutsame Annahmen herleiten: Da Abgeordnete politisch gewichtete Informationen erstens vor allem aus Interaktionen mit anderen politischen Akteuren im europäischem Mehrebenensystem – etwa Schwesterparteien, Verbänden, NGOs – beziehen können, ist im Alltag europäisierter Fachpolitik die Fähigkeit zum „Netzwerken“ eine wesentliche Voraussetzung für Kontrolle und damit von Gewaltenhemmung (Sprungk 2013). Nicht nur die regierungstragenden Fraktionen, sondern auch und gerade die Opposition hat ein Interesse an Informationen, die ex ante, d. h. bevor Entscheidungen getroffen werden, in einem frühen Stadium des Politikzyklus gewonnen werden. Zweitens ist „Netzwerken“, das im Zuge der Europäisierung sogar als eigene Parlamentsfunktion beschrieben wurde, mit einer Informalisierung der Informationsgewinnung verbunden. Die oft trennscharf aufgelisteten Parlamentsfunktionen überlappen sich realiter somit (vgl. Patzelt 2003), so dass Kontrolle wesentlich durch Mitsteuerung, Netzwerken und Kommunikation entsteht.

3 Informale Informationsstrategien in Deutschland, Schweden und Ungarn

In der empirischen Untersuchung stehen die fachpolitischen Informationsstrategien der drei Arbeitsparlamente in Deutschland, Schweden und Ungarn im Mittelpunkt. Im Gegensatz zum „mandatsbasierten“ System der parlamentarischen Kontrolle, wie es etwa im Vereinigten Königreich verwendet wird, sind die drei hier untersuchten Parlamente eher dem „dokumentenbasierten“ Kontrolltyp zuzurechnen (siehe dazu Raunio 2005; Buzogány 2013).Footnote 3 Alle drei Parlamente lassen sich hinsichtlich ihrer formalen Kontrollrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union als „medium-strong scrutinizers“ einordnen (vgl. Winzen 2012; Buzogány 2013), wobei der schwedische Reichstag und insbesondere der Bundestag in den vergangenen Jahren – letzterer nicht zuletzt auch durch Urteile des Bundesverfassungsgerichts (Hölscheidt 2013, vgl. auch Wimmel und Kneip in diesem Band) – und während der Euro-Krise eher an Stärke hinzugewinnen konnten (vgl. Wiesner in diesem Band) und nun in der Spitzengruppe anzusiedeln sind, wohingegen die ungarische Nationalversammlung schon aufgrund der Verkleinerung des Parlaments und der damit einhergehenden Verknappung von Personalressourcen an Stärke eingebüßt hat und zu den passivsten Parlamenten bezüglich der parlamentarischen Kontrolle in EU-Angelegenheiten zählt (Auel et al. 2015; Wessels et al. 2013).

Die Abgeordneten aller Fraktionen erachten von der Regierung unabhängige Informationen als unverzichtbar für eine effektive Kontrolle, auch wenn sie die Anstrengungen hierfür nicht durchgängig aufwenden. Tabelle 1 zeigt, dass sich insbesondere die schwedischen und deutschen Abgeordneten Kanäle erschließen, die „politics information“ liefern können. Dies wirkt sich aus auf das Verhältnis zwischen Fachpolitikern der Fraktionen und Ministerialbürokratie. Eine Arena, in der beide Seiten Informationen austauschen, sind z. B. die Arbeitskreis- bzw. Arbeitsgruppensitzungen der Fraktionen. Im Bundestag sind in den Sitzungen der regierungstragenden Fraktionen Mitglieder der Regierung und Ministerialbeamte zugegen. Das Verhältnis zwischen regierungstragenden Fraktionen und der Regierung ist von einer Mischung aus Vertrauen gegenüber dem selbst ausgewählten Prinzipal und Kontrolle geprägt – letzteres vor allem, wenn es den Koalitionspartner betrifft. Auch Oppositionsfraktionen können Ministerialbeamte in ihre Sitzungen einladen. Diese informierten, so die Abgeordneten, zwar durchaus „ordentlich“, sie hielten sich jedoch mit politischen Einordnungen stärker zurück als gegenüber den regierungstragenden Fraktionen. Die Informationsbeziehungen zwischen den schwedischen Fachabgeordneten aus den regierungstragenden Fraktionen und der im Vergleich zu Deutschland wesentlich kleineren und ressourcenschwächeren Ministerialverwaltung sind demgegenüber enger geknüpft: Hier gibt es wöchentlich stattfindende informelle Treffen,Footnote 4 bei denen auch die europäische Dimension einzelner Fachpolitiken mit einbezogen wird. Zwar ist die schwedische Stimme in der EU zahlenmäßig nur die eines „kleinen Staates“ (vgl. Panke 2010), allerdings macht sowohl das Selbstverständnis der schwedischen Abgeordneten und Ministerialbürokraten als auch die fachliche Expertise das Land zu einem erfolgreichen Exporteur von Normen nach Brüssel (vgl. Kronsell 2002). Im ungarischen Fall hingegen verfügen die regierungstragenden Fraktionen durch die hohe Politisierung der Ministerialverwaltung zwar grundsätzlich über Kontrollmöglichkeiten, allerdings widmen die Fachpolitiker den europapolitischen Bezügen von Fachpolitiken nur wenig Aufmerksamkeit. Erschwerend kommt hinzu, dass die Ministerialverwaltung selbst aufgrund mangelnder Kapazitäten oft nur wenig Einblick in Brüsseler Politikprozesse hat und vor allem darum bemüht ist, ex post die Anpassung bereits verabschiedeter Richtlinien zu bewerkstelligen.

Schwedische und deutsche Abgeordnete nahmen in den Interviews ungefragt, aber in auffallender Übereinstimmung die oben eingeführte typologische Unterscheidung von „policy information“ und „politics information“ vor, wenn sie auf ihr Verhältnis zur Ministerialbürokratie angesprochen wurden. Diese verfügten über hochspezialisierte Expertise und Detailwissen, das jedoch erst politisch aufbereitet werden müsse und daher nur bedingt verwendbar sei: In der „Ministerialverwaltung, [das] sind natürlich…Experten in einem Ausmaß und in einer Tiefe, die völlig unpolitisch ist – normalerweise. […] Da kennen die sich aus wie in der eigenen Hosentasche. Von denen kriegen Sie natürlich nicht mal schnell irgendeine Auskunft, sondern das sind Leute, die können ihnen zu den tollsten Sachen eine Stunde lang oder zwei Stunden lang einen Vortrag halten oder großartige Vermerke schreiben, aber so viel Zeit haben sie [die Abgeordneten, die Verf.] ja gar nicht“ (Mitarbeiter, Oppositionsfraktion, Bundestag).

Zwar hat sich im Laufe der vergangenen Jahre in Schweden, aber auch im Bundestag (Kropp 2010), durchaus die parlamentarische Rolle eines Fachpolitikers ausgebildet, der seine Policy-Expertise auf Themen der Europäischen Union ausdehnt. Allerdings räumen die Abgeordneten ein, dass sie die hochspezialisierte Fachexpertise, wie sie in der Ministerialbürokratie vorliegt, nicht kompensieren könnten, diese Asymmetrie zwischen Prinzipal und Agent somit unweigerlich erhalten bleibe. In Deutschland und insbesondere in Schweden, wo die Ministerialbürokratie vergleichsweise klein ist und wesentliche Verwaltungsfunktionen auf die nachgelagerten Behörden übertragen sind, beanspruchen Abgeordnete jedoch gegenüber der Ministerialbürokratie nachdrücklich die politische Deutungshoheit über EU-Angelegenheiten, denn die „Exekutive ist eine ausführende Gewalt. Das heißt, die machen das, was das Parlament will“ (Mitarbeiter, Oppositionsfraktion Bundestag). Nur gewählte Volksvertreter könnten die politischen und gesellschaftlichen Implikationen getroffener Entscheidungen für die Bürger abschätzen. Schwedische und – dies weniger ausgeprägt – auch deutsche Abgeordnete legitimieren ihren Kontrollanspruch gegenüber den Agenten Regierung und Ministerialbürokratie somit mit ihrer Funktion als „Responsivitätsspezialisten“. Schwedische Parlamentarier legen großen Wert darauf, dass sie gegenüber der Exekutive – und insbesondere gegenüber der Ministerialbürokratie – die Agenda auch in EU-Fragen politisch priorisieren. Die ungarischen Abgeordneten wiederum verfügen nur über relativ wenige Verbindungen in die Ministerialbürokratie. Dieser Befund trifft angesichts der umfassenden Politisierung der Verwaltung nicht nur auf die Opposition zu, der (noch) weniger Zugang zum Regierungsapparat gewährt wird als in Deutschland oder Schweden, sondern auch für die regierungstragenden Fraktionen.

Ungarische Abgeordnete sind auch generell nur schwach in EU-Angelegenheiten involviert. Sie erschließen sich sehr selektiv EU-bezogene „political information“. Eine Europäisierung der fachpolitischen Expertise, die eine Ausweitung der Informationsbeschaffung nach Brüssel oder auch in die anderen Mitgliedsstaaten implizieren würde, findet, abgesehen von eher zufälligen Ausnahmen, nicht statt. „Unsere Fachabgeordneten, ja, manche haben wirklich erstaunliches Detailwissen über einige Themen angehäuft. Viele sind ja auch schon sehr lange dabei. Aber es ist auch sehr spezielles Wissen und hat in der Regel nicht viel mit der EU zu tun. Wie soll ich jemandem, der sich seit fünfzehn Jahren für die Traubenkraut-Kampagne stark macht, erklären, was Brüssel damit zu tun hat?“ (Abgeordneter, Regierungspartei, ehem. Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt- und Naturschutz, Ungarische Nationalversammlung). „Ehrlich gesagt, wundert mich das auch nicht [die geringe Aktivität des Abgeordneten, Anm. d. Verf.]. Wir sind in unterschiedlichen Galaxien unterwegs. Und ich sage nicht, dass wir [die ungarische Ministerialbürokratie, Anm, d. Verf.] die erfolgreichen Yedi-Ritter in Brüssel sind. Wir versuchen unser Bestes, aber in meinem Bereich sind es eindeutig die Initiativen aus Deutschland, England und aus Skandinavien, die diskutiert werden. Wir freuen uns, wenn wir überhaupt verstehen, welche Implikationen das für uns hat“ (Ministerialbeamter, Ministerium für Umweltfragen).

Ob Abgeordnete in EU-Angelegenheiten überhaupt aktiv werden, hängt häufig davon ab, ob die Regierung Anreize für ein solches Verhalten setzt und Informationen weitergibt – dies wiederum geschieht vor allem, um die Position der Regierung im EU-Ministerrat parlamentarisch abzusichern (Takács 2009). Der Befund der „gouvernementalen Parlamentskontrolle“ trifft in der hier vorliegenden Studie somit ehestens auf Ungarn zu. Anders als in Schweden oder Deutschland (Johansson 2003; Schulz und Broich 2013), spielen auch „Mehrebenen-Parteikanäle“ über die europäischen Parteienfamilien in Ungarn eine eher marginale Rolle (vgl. Tab. 1).

Eine anders gelagerte Dimension von Kontrolle entsteht, wenn Oppositionsparteien den parteiübergreifenden Konsens teilen, dass die Verhandlungsposition der Regierung in Brüssel nicht beeinträchtigt werden dürfe (Tab. 1: 3b). In Ungarn, das einen Teil seiner staatlichen Souveränität bald nach der Transformation wieder an die EU abgegeben hat, erschwert diese Haltung trotz der dort scharfen parteipolitischer Polarisierung zwischen Regierungs- und Oppositionslager eine effektive parlamentarische Kontrolle: Man fällt der Regierung bei Brüsseler Verhandlungen, z. B. bei der Aushandlung um Strukturfonds, nicht in den Rücken. Diese Konstellation hat sich erst in den vergangenen Jahren geändert. Die Opposition greift inzwischen die Kritik der EU-Kommission an der Orbán-Regierung bereitwillig auf; jedoch weniger mit Blick auf Fachpolitiken, sondern eher, um die Verfassungspolitik, Verletzungen der Medienfreiheit etc. anzuprangern (Abb. 1, S 1). Auch in Schweden war es lange Zeit üblich, dass EU-Fragen nicht zum Gegenstand innenpolitischer Auseinandersetzungen gemacht wurden; allerdings wurde dadurch, anders als in Ungarn, die parlamentarische Kontrolle nicht außer Kraft gesetzt (vgl. Tab. 1). Nach dem Einzug der euroskeptischen Schwedendemokraten wird die parlamentarische Debattenkultur nun auch bei EU-Fragen kontroverser. In Deutschland wiederum sorgte der „permissive Konsens“ zwischen den Parteien dafür, dass EU-Themen lange Zeit kaum kontrovers diskutiert wurden. Abgeordnete begründeten ihren Verzicht auf Mitgestaltung und Kontrolle der Regierung selbst mit dem Verweis auf die Gewaltenteilung, indem sie EU-Angelegenheiten als Angelegenheit der Exekutive definierten (Kropp 2010); dies hat sich in den vergangenen Jahren jedoch geändert. Vor allem seitdem sich die Griechenland-Krise zugespitzt hat, werden europapolitische Grundsatzfragen nicht nur kontroverser im Plenum debattiert, sondern sind auch Gegenstand eines unterschiedlichen Stimmverhaltens innerhalb der Fraktionen (vgl. zuletzt BT-PlPr. 18/117: 11.388–11.391).

Stark euroskeptische Parteien, wie die Schwedendemokraten oder die ungarische Jobbik, sind entgegen manchen Annahmen keine starken Kontrolleure der Regierung in fachpolitisch relevanten Fragen (Raunio 2005; Buzogány 2011). Ihre Abgeordneten konnten bislang – viel weniger als EU-freundliche Parteien – kaum informelle Kanäle zu Akteuren oder Institutionen auf EU-Ebene knüpfen; zudem fehlt dort auch die Bereitschaft, diese Stimmen anzuhören. Im Deutschen Bundestag zählen die CSU und die Linke zu den gemäßigt euroskeptischen Kräften. Jedoch ist die CSU in die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU und damit ohnedies in alle parteipolitischen und institutionellen Mehrebenen-Kanäle und außerdem in die Fraktionsdisziplin eingebunden; die Linke ist mit einer gewissen Zeitverzögerung europapolitisch aktiver geworden.

Deutsche und schwedische Oppositionsparteien nutzen Kontakte zu Parteien innerhalb der gleichen europäischen Parteifamilie vor allem dann, wenn diese regieren und damit Informationen über intergouvernementale Verhandlungen in Brüssel aus erster Hand liefern können. Seit Einführung des neuen digitalen Informationssystems EuDox können zudem alle Akteure im Bundestag (also auch die Opposition) unmittelbar in die meisten europapolitischen Entscheidungen der Regierung Einsicht erhalten (vgl. Buzogány und Kropp 2013). Fraktionen im Deutschen Bundestag halten zudem mit einiger Regelmäßigkeit Fraktionsvorstandssitzungen in Brüssel ab, um sich dort von eingeladenen Vertretern der Kommission und des Rates in einem frühen Stadium der Politikformulierung informieren zu lassen und eigene (parteipolitische) Positionen in den Prozess einzuspeisen. Die Fachpolitiker der Fraktionen werden zuvor an der Ausarbeitung der Agenda beteiligt, so dass die Informationsflüsse von der Fraktionsführung zurück in die Fraktion nicht auf eine ex post Berichterstattung beschränkt sind.

Schwedische Abgeordnete wiederum orientieren sich bei einer Bewertung von EU-Fachpolitiken dezidiert an der eigenen parteipolitischen Linie. Ebenso wie die Bundestagsabgeordneten messen sie ideologisch „benachbarten“ NGOs und Verbänden, die in Brüssel aktiv sind, eine bedeutsame Rolle bei, da gerade sie die „politics“-Informationen bereitstellen, die der Kontrolle der Regierung und dem Mitregieren dienen. Diese Kontakte werden von den Abgeordneten unabhängig davon genutzt und gegenüber anderen Interessen abgewogen, ob sie die Regierung stützen oder aber auf den Oppositionsbänken sitzen: „weil dort die Expertise vorhanden ist, Detailprobleme zu durchleuchten auf ihre Auswirkung auf die Praxis. Das können wir hier am grünen Tisch nicht […] ich habe mich bei Verbänden umgeschaut, wer hat eine ähnliche Interessenlage […]?“ (Mitarbeiter, Oppositionsfraktion, Bundestag). „Ich kann es Ihnen sagen, wenn wir die nicht hätten, würden wir sehr oft dumm sterben.“ (Abgeordneter, Regierungsmehrheit, Bundestag) „Die eigentlichen Ideen, die kommen aus diesem vorpolitischen Raum.“ (Abgeordneter, Regierungsmehrheit, Bundestag)

Zwar werden solche Kontakte auch von ungarischen Abgeordneten hin und wieder angezapft, insgesamt ist aber deren Einbindung in das europäische Akteursfeld viel schwächer. Dabei wären diese Kanäle von großer Bedeutung, da über sie Informationen ausgetauscht werden, die gleichzeitig mit (partei-)politischen Positionen verbunden werden und damit Entscheidungshilfen bieten können.

Unterschiede zwischen den Ländern lassen sich auch daran ablesen, wie die Fachausschüsse – als Teil der formalen Parlamentsorganisation – als Informationsquelle für die Kontrolle der Regierung genutzt werden. Im schwedischen Reichstag, dessen Arbeit über lange Phasen hinweg von Minderheitsregierungen geprägt ist, sind die Fachausschüsse ein zentraler Ort, wo EU-Angelegenheiten erörtert werden. Zur Debatte standen jüngst sogar die vollständige Abschaffung des Europaausschusses und eine vollständige „Fachpolitisierung“ der parlamentarischen EU-Politik (Buche 2013). Entsprechend fungieren die Ausschusssekretariate in Schweden als eine Drehscheibe parlamentarischer Kontrolle. Im Bundestag haben die Fachausschüsse als Ort der Information und Kontrolle nach Lissabon ebenfalls an Bedeutung gewonnen, während sie in der ungarischen Nationalversammlung nach wie vor nur schwach „europäisiert“ sind (Juhász-Tóth 2014).

Tab. 1 Informationsstrategien in nationalen Parlamenten der EU. (Quelle: Eigene Darstellung)

4 Schlussfolgerungen und Diskussion

Die empirischen Befunde zeigen, dass sich die Europäische Integration nachhaltig darauf auswirkt, wie Gewaltenteilung und -verschränkung zwischen Legislative und Exekutive in nationalen politischen Systemen funktionieren. Parlamentarische Kontrolle wird durch die Einbettung der Legislativen und Exekutiven in das EU-Mehrebenensystem vielfältiger und mehrdimensional. Sie verändert sich je nachdem, welche Interessen und Themen auf der nationalen bzw. europäischen Agenda stehen; Kontrolle kann von den regierungstragenden Fraktionen oder auch größeren Mehrheiten bzw. dem gesamten Parlament ausgehen. In Arbeitsparlamenten findet Kontrolle zudem in verschiedenen, national variierenden Arenen statt. Die Studie zeigt jedoch, dass sich Abgeordnete, ihre Fraktionen und Parteien zusätzlich zu den inzwischen professionalisierten Verfahren der Informationsgewinnung und verarbeitung, die vor allem in Schweden und Deutschland die Informationsflut filtern und Informationen aus erster Hand liefern, informale Informationskanäle erschlossen haben. Da informale Verfahren generell mit hohen Transaktionskosten behaftet sind und immer wieder von neuem belebt werden müssen, werden sie ihrerseits zunehmend institutionalisiert und damit verstetigt. Sie dienen insbesondere einem Ziel: der Gewinnung und Verarbeitung von Informationen, die bereits politisch bewertet sind, also nicht erst noch aufwendig zu verarbeitende spezialisierte Expertise beinhalten. Eine solche „politics information“ ist in Ergänzung zu dokumentenbasierten Informationssystemen unerlässlich, um im zeitlich eng geschnittenen Korsett des europäischen Politikzyklus Kontrolle gegenüber der Exekutive ausüben zu können.

Der Vergleich der drei Parlamente verdeutlicht, dass sich Parlamentsfunktionen weitgehend überlappen, Kontrolle sich somit wesentlich aus anderen Funktionen, wie dem Mitregieren, dem „Netzwerken“ mit Akteuren auf nationaler und europäischer Ebene oder der Kommunikation, speist. „Netzwerken“ ist für die Abgeordneten insbesondere dann ein lohnendes Unterfangen, wenn ihnen andere Akteure „politics information“ liefern können. Neuere Analysen, die auf die Kommunikationsfunktion eingehen und die „Europäisierung“ von Parlamentsdebatten untersuchen, zeigen, dass einige nationale Parlamente, wie auch der Bundestag und der Reichstag, europäische Themen zunehmend auf die Agenda setzen (Auel et al. 2015; Auel und Raunio 2014a), während andere, wie die ungarische Nationalversammlung, davon kaum Gebrauch machen. Die kontrollstärkeren Parlamente verfolgen somit inzwischen nicht nur auf Informationsgewinnung angelegte Strategien einer Ex ante-Kontrolle, sondern intensivieren im Rahmen einer umfassend verstandenen „accountability“ zusätzlich offenbar auch Ex post-Strategien. Hierfür setzen sie auf die Macht öffentlicher Parlamentsdebatten, in denen die Regierung das eigene Handeln gegenüber dem Parlament erklären und rechtfertigen muss (Lauth 2007). Gleichzeitig weisen die Ergebnisse des Beitrags darauf hin, dass Netzwerken und Kommunikation Zeit und personelle Ressourcen binden, die einige Parlamente einfacher als andere aufbringen können. Eine umfassend definierte „accountability“ geht folglich mit erheblichen Transaktionskosten einher, was als – noch näher auszuleuchtende – Kehrseite Ineffizienzen im parlamentarischen Betrieb hervorrufen kann (MacCarthaigh 2007).

Jenseits der formalen Kontrollrechte, die in allen drei untersuchten Parlamenten gut ausgebaut sind, lassen sich bedeutende Unterschiede bei der praktischen Realisierung dieser Rechte feststellen. So kann die begrenzt europäisierte Informationsstrategie der ungarischen Abgeordneten und deren Interpretation der Europapolitik unter dem Vorrang „nationaler Interessen“ als Gründe angeben, warum eher der Befund der „gouvernementalen Parlamentskontrolle“ als der der parlamentarischen Regierungskontrolle auf die Nationalversammlung zutrifft. Verstärkt wird die Zurückhaltung der Abgeordneten durch die durchaus realistische Einschätzung sowohl im Parlament als auch in der Ministerialverwaltung, dass die Möglichkeiten Ungarns, aktiv an der Mitgestaltung europäischer Politiken in Brüssel mitzuwirken, begrenzt sind. Die Opposition bezieht sich auf die EU in ihren Aktivitäten am ehesten, wenn Demokratie schädigende Maßnahmen der ungarischen Regierung auf der Brüsseler Agenda stehen, sie hält sich jedoch bei alltäglichen Fachpolitiken mit Kritik und Kontrolle eher zurück. Sowohl die schwedischen als auch die deutschen Abgeordneten sind sich hingegen ihrer Möglichkeiten sehr wohl bewusst, europäische Entscheidungen mitgestalten zu können.

Informale Formen der Regierungskontrolle ermöglichen somit erst eine wirksame Gewaltenhemmung. Während Plenardebatten Kontrolle über Transparenz herstellen, sind informale Kanäle der Informationsbeschaffung eher im Schatten formaler Institutionen angesiedelt. Ein komplettes Bild ergibt sich jedoch erst, wenn sie mit anderen Formen der formalisierten Ex ante- und Ex post-Kontrolle zusammengedacht werden.