Die Reichweite ist für jedes Elektrofahrzeug entscheidend. Bei Nutzfahrzeugen ist sie vor allem ein Kostenfaktor: Je weniger Zeit elektrisch angetriebene Nutzfahrzeuge an der Ladestation verbringen, je mehr Zeit bleibt für ihre Nutzung. Dadurch sinken die Kosten für Fahrzeug und Personal. Getec ersetzt den Ladestopp komplett - durch einen Batteriewechsel.

Ein Wechsel der Batterie ermöglicht bei elektrisch angetriebenen Fahrzeugen eine komplette Entkopplung des Ladevorgangs. Nach dem Tausch der leeren gegen eine volle Batterie ist das Fahrzeug direkt wieder betriebsbereit. Das Laden der leeren Batterie kann dann schonend in einer speziellen Station erfolgen.

Getec hat in dem hier vorgestellten Projekt die komplette Entwicklung kundenspezifischer Nutzfahrzeuge, Batterien und Ladestationen auf Hardware-, Elektronik- und Steuerungsseite geleitet. Dabei mussten die technischen Lösungen die Anforderungen an Bauraum, Wechselzeit, Haltbarkeit, Geräuschverhalten, Energieverbrauch und Kosten erfüllen. Einen Einblick in den schematischen Aufbau der dabei entwickelten Batteriewechselstation zeigt Bild 1. Die einzelnen Systeme werden nachfolgend beschrieben.

Bild 1
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Aufbau der modularen Batteriewechselstation für kundenspezifisch konfigurierte Nutzfahrzeuge (© GETEC Getriebe Technik GmbH)

Fahrzeugbasierte Batteriehalte- und Verriegelungsstruktur

Generell muss die Montage einer Batteriewechselanwendung so konzipiert sein, dass sie Positionierung, Befestigung, Selbstverriegelung sowie das Lösen der Batterie im Fahrzeug unterstützt. Besonderes Augenmerk gilt hierbei der Befestigung, da die Belastungen insbesondere bei schlechten Fahrstreckenbedingungen oder während eines Unfalls bei der Auslegung als maßgebliche Anforderungen angesetzt werden müssen.

Bei derzeit auf dem Markt etablierten Lösungen für Pkw findet der Batteriewechsel an der Unterseite des Fahrzeugs statt. Der Grund dafür ist, dass bei diesen Fahrzeugen die Batterie normalerweise von unten befestigt wird und typischerweise auch als tragendes Bauteil in die Karosserie integriert ist. Ästhetische Gründe spielen auch eine Rolle dabei, die Batterie von unten einzuführen: Eine große seitliche Klappe ließe sich in einem Pkw nicht ohne Einbußen der typischen Proportionen von etwa Türen oder Seitenschwellern darstellen.

Allerdings gibt es bereits Lösungen für leichte und mittelschwere Nutzfahrzeuge, die den Batteriewechsel von beiden Seiten des Fahrzeugs aus durchführen. Dies erfordert zwar weniger Änderungen an der bestehenden Fahrzeugstruktur, bringt aber erhebliche Nachteile für das Design der Batteriewechselstation mit sich: Entweder muss die Station von beiden Seiten auf das Fahrzeug zugreifen, was zwei schienengeführte Fahrzeuge (Rail-Guided Vehicles, RGVs), zwei Stapler und zwei Batterieladeeinrichtungen erfordert, oder das Fahrzeug muss während des Prozesses um 180° gedreht werden.

Bei Schwerlastfahrzeugen wird die Batterie in der Regel von oben über eine Art Hebesystem gewechselt. Diese Lösung bietet sich vor allem für Fahrzeuge an, bei denen der Platz, der in konventionell angetriebenen Lkw für Verbrennungsmotor und Antrieb genutzt wird, oder der Ruheraum Installationsort für die Wechselbatterie wird.

Nach mehreren Konzeptionen hat sich Getec für die Einführung eines einseitigen Batteriewechsels entschieden, Bild 2. Der Vorteil dieser Wechsellösung für das Stationskonzept ist, dass nur ein RGV benötigt wird, was die Kosten und den Platzbedarf der Station reduziert. Die Batterie wird im Fahrzeug über ein Schienensystem geführt, wie eine Schublade in einem Schrank. Für die Hoch- und Niederspannungsverbindung von Batterie und Fahrzeugsystem wird ein spezieller Schnellverschlussstecker eingesetzt.

Bild 2
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Fahrzeug- und stationsseitige mechanische Ausführung des einseitigen Batteriewechsels (© GETEC Getriebe Technik GmbH)

Zur sicheren Verriegelung der Batterie hat Getec einen patentierten Selbstverriegelungsmechanismus entwickelt, der ohne fahrzeugseitiges Betätigungs- oder Entriegelungssystem auskommt, Bild 3. Die Entriegelung erfolgt bei dieser Lösung über das RGV. Zu den Vorteilen gehört, dass ein Verhindern der Selbstentriegelung die funktionale Sicherheit erhöht, dass keine Aktuatoren und keine Steuerung im Fahrzeug erforderlich sind, was die Kosten reduziert, und dass einfachere Strukturen robuster sind.

Bild 3
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Fahrzeugbasierte Batteriehalte- und Verriegelungsstruktur zur Durchführung des einseitigen Batteriewechsels (© GETEC Getriebe Technik GmbH)

Batteriestruktur

Das Batteriedesign muss die Anforderungen des Batteriewechsels unterstützen. Getec konzentrierte sich speziell auf die Entwicklung und Verifizierung einer selbsttragenden Batteriestruktur, Rollen zur Unterstützung der Batteriebewegung im Fahrzeug beziehungsweise in der Station und einen Schnellverschlussstecker für die Hoch- und Niederspannungsverbindung, Bild 4.

Bild 4
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Fahrzeugbasierter Schnellverschlussstecker für die Hoch- und Niederspannungsverbindung zwischen Batterie und Fahrzeug (© GETEC Getriebe Technik GmbH)

Die selbsttragende Batteriestruktur, Bild 5, muss den Belastungsanforderungen im Fahrzeugbetrieb, zum Beispiel durch schlechte Fahrstreckenbedingungen, und beim Transport in der Batteriewechselstation genügen. Als Struktur befinden sich zwei Varianten im Betrieb: eine selbstragende Stahl- sowie eine selbsttragende Aluminiumstruktur. Die Stahlvariante ist kostengünstiger konzipiert, hat eine Kapazität von 76 kWh und ermöglicht eine Reichweite des Fahrzeugs von rund 220 km mit einer vollen Ladung. Die Aluminiumvariante erlaubt durch die kompaktere und leichtere Strukturbauweise die Installation einer Kapazität von 84 KWh im gleichen Bauraum bei geringer Gewichtszunahme. Das Fahrzeug kommt damit auf eine Reichweite von rund 250 km.

Bild 5
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Selbsttragende Struktur mit Rollen zur Unterstützung der Batteriebewegung im Fahrzeug und in Station (© GETEC Getriebe Technik GmbH)

Die Batteriestruktur umfasst auch die Rollen zur Unterstützung der Batteriebewegung im Fahrzeug und in der Station. Die Rollen sind so konzipiert, dass das Gewicht vertikal getragen und den Belastungskräften sicher standgehalten wird. Seitwärts verhindern weitere Rollen ein Verklemmen der Batteriebewegung auf dem entsprechenden Rahmen. Die Nutzung von Rollen hat auch einen energetischen Vorteil, da nur eine sehr geringe Energiemenge benötigt wird, um die Batterie zu bewegen.

Die Lithium-Batteriemodule wurden von einer Referenzanwendung übernommen, um Entwicklungszeit und -kosten zu reduzieren. Ebenfalls aus Kostengründen ist die Batterieanwendung mit einer passiven Luftkühlung ausgestattet, die die Anforderungen an Lade- und Entladeleistung im vollen Anwendungstemperaturbereich erfüllt. Das Batteriemanagementsystem wurde angepasst, um den Batteriewechsel zu unterstützen. Insbesondere Funktionen zur Überwachung, Energieeffizienzsteigerung und Verfolgung wurden neu integriert beziehungsweise optimiert.

RGV und Stapler

Das RGV ist das komplexeste System der Batteriewechselstation, Bild 6. Es ist gegenüber dem Fahrzeug in drei Hauptrichtungen positioniert - longitudinal (X), transversal (Y) und vertikal (Z). Dazu kommt eine Dreheinstellung, die erforderlich ist, um den unterschiedlichen Beladungszuständen und damit den unterschiedlichen Einfederungstiefen des Fahrzeugs gerecht zu werden. Das RGV hat folgende Funktionen:

Bild 6
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Mechanischer Aufbau des RGV mit Aktuatorik (© GETEC Getriebe Technik GmbH)

  • Entriegelung der fahrzeugbasierten Batteriehalte- und Verriegelungsstruktur

  • Übergabe der leeren Batterie vom Fahrzeug zum RGV

  • Transport der leeren Batterie zur Station

  • Unterstützung bei der Übergabe der leeren Batterie an den Stapler

  • Unterstützung bei der Übergabe der vollen Batterie vom Stapler

  • Transport der vollen Batterie zum Fahrzeug

  • Übergabe der vollen Batterie vom RGV zum Fahrzeug.

Die Funktionen werden durch mehrere Aktoren realisiert, die Teil des RGV sind. Das RGV selbst wurde so konzipiert, dass es durch den kompakten Aufbau den benötigten Platz optimal ausnutzt, durch die Nutzung von Rollen und Schienensystem einen geringen Energieverbrauch aufweist und durch die robuste Struktur zuverlässig und langlebig ist.

Die Batterie wird in der Ladestation vom Stapler übernommen, der folgende Funktionen hat:

  • Übergabe der leeren Batterie vom RGV zum Stapler

  • Transport der leeren Batterie zum vorgesehenen Ladeschacht

  • Übergabe der leeren Batterie vom Stapler zum vorgesehenen Ladeschacht

  • Übergabe der vollen Batterie vom Ladeschacht zum Stapler

  • Transport der vollen Batterie zum RGV

  • Übergabe der vollen Batterie vom Stapler zum RGV.

Für Wartungsarbeiten oder im Falle eines kritischen Problems der Batterie übernimmt der Stapler zusätzlich den Transport der betroffenen Batterie zu einem dafür vorgesehenen feuergeschützten Container außerhalb der Station. In diesem Container kann die Batterie sicher gelagert werden - oder, im Fall eines thermischen Durchgehens, kontrolliert und ohne den Austritt von Flammen oder Projektilen abbrennen.

Ladeeinrichtung und Stationssteuerung

Für die Batterieladung hat Getec in der ersten Version der Batteriewechselstation zwölf Ladeplätze vorgesehen. Jeder der Steckplätze ist mit einem 60-kW-Schnellladegerät verbunden. Mit dieser Konfiguration kann die Station alle 4 min eine vollständig geladene Batterie bereitstellen, was dem Zeitplan des gesamten Wechselvorgangs entspricht, inklusive Ein- und Ausfahrt des Fahrzeugs. Falls eine Batterie schneller geladen werden muss, können zwei Ladeleitungen parallel geschaltet werden, um die Batterie mit 120 kW zu laden. Die installierte Ladekapazität und der erforderliche Leistungsbedarf für den Betrieb der Station können somit mit einem konventionellen 630-kVA-Industrieanschluss gespeist werden. Leistungsspitzen werden durch installierte Energiespeicher abgefangen.

Getec hat auch die zugehörige Stationssteuerung entwickelt, die die Ladestrategie für die Batterien so festlegt, dass ein ausreichender Ladezustand für die nächste zu tauschende Batterie gewährleistet werden kann. Die Mastersteuerung beinhaltet auch Funktionalitäten für den Tauschvorgang selbst, den Brandschutz, die Abrechnung und die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Station, die über die sogenannte T-Box im Fahrzeug durchgeführt wird. Die Daten werden dabei über eine Cloud ausgetauscht.

Zusammenfassung und Ausblick

Getec hat die komplette Entwicklung von kundenspezifischen Fahrzeugen, Batterien und Batteriewechselstationen in Bezug auf Hardware, Elektronik und Steuerung abgeschlossen. Bei der Entwicklung wurde besonderer Wert auf Kosteneffizienz, Robustheit, Benutzerfreundlichkeit und Sicherheit gelegt. Dies führte zu folgenden Kerncharakteristika der technischen Lösung: einseitiger Batteriewechsel, selbstverriegelnde, fahrzeugbasierte Batteriehalte- und Verriegelungsstruktur, rollengeführte, selbstragende Batteriestruktur sowie rein stationsbasierte Aktuatorik.

Die weitere Steigerung der Kosteneffizienz ist das Hauptaugenmerk der nun folgenden Entwicklungsstufen. Je geringer die Stationskosten sind, desto mehr Stationen können gebaut werden, desto enger ist das Netz. Eine Einführung der Systeme in Europa ist in Planung. Dafür müssen jedoch Anpassungen an die lokalen Regularien durchgeführt werden, was aktuell geschieht.