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Unter Impulsivität ist eine Prädisposition zu schnellen, unüberlegten Reaktionen auf internale oder externale Reize, ohne Beachtung negativer Konsequenzen dieser Reaktionen für sich selbst oder andere zu verstehen [1]. Impulsivität stellt somit einen Aspekt der Persönlichkeit dar, der in den letzten Jahren ein reges Forschungsinteresse insbesondere hinsichtlich seiner Relevanz für die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen erfahren hat. Es ist davon auszugehen, dass Impulsivität einen gemeinsamen Risikofaktor für die Entwicklung verschiedenster psychischer Erkrankungen darstellt, der sich dann vorwiegend in einer dieser Erkrankungen manifestiert, wie beispielsweise Substanzabhängigkeit, Verhaltenssüchte, Persönlichkeitsstörungen oder Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) [1, 2].

In den letzten Jahren wurde auch vermehrt die Rolle von Impulsivität hinsichtlich der Entstehung und Aufrechterhaltung von Adipositas und Essstörungen untersucht [3, 4]. Adipositas ist definiert als ein an der Körpergröße standardisiertes Körpergewicht von größer als 30 kg/m2. Im Jahr 1997 wurde Adipositas von der Weltgesundheitsorganisation als chronische Erkrankung mit epidemischem Ausmaß anerkannt. Seitdem sind die Zahlen weiter gestiegen. Aktuell gelten etwa 14% der weltweiten Bevölkerung als adipös [5]. In den Vereinigten Staaten und Europa sind die Zahlen deutlich höher. Hier werden zwischen 20 bis 30% der Bevölkerung als adipös eingestuft [6, 7, 8]. Während die absoluten Prävalenzzahlen der Adipositas auf diesem hohem Niveau zu stagnieren scheinen, lässt sich in den letzten Jahren insbesondere ein Anstieg der Prävalenz extremer Adipositas (Body-Mass-Index [BMI] > 40 kg/m2) beobachten [9]. Für Deutschland liegen Zahlen aus dem Jahr 2010 vor, welche im Rahmen eines Gesundheitssurvey des Robert-Koch-Instituts erhoben wurden. Die Ergebnisse der bevölkerungsbasierten, repräsentativen Umfrage zeigen, dass in Deutschland im Jahr 2010 23% der Männer sowie 24% der Frauen einen BMI über 30 kg/m2 aufwiesen und damit die Kriterien einer Adipositas erfüllten [10]. Auch bei Kindern und Jugendlichen sind besorgniserregende Anstiege zu verzeichnen. So zeigen Daten des Kinder- und Jugendsurveys KiGGS, dass in Deutschland über 6% der 3- bis 17-Jährigen als adipös einzustufen sind, womit sich die Zahlen für diese Altersgruppe seit den 1990er-Jahren verdoppelt haben [11].

Adipositas ist mit einer Vielzahl von Begleit- und Folgeerkrankungen wie beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Mellitus Typ 2 oder orthopädischen Folgeerkrankungen verbunden [12] und ist mit einer deutlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität, der Stimmung und des Selbstwertes, mitunter bedingt durch den hohen psychosozialen Leidensdruck und stigmatisierende Erfahrungen assoziiert [13, 14]. Es ist nicht überraschend, dass vor diesem Hintergrund mehr als die Hälfte adipöser Menschen insbesondere ein bis zu 1,5-fach erhöhtes Risiko zur Entwicklung einer Depression aufweisen [15]. Darüber hinaus sind erhöhte Prävalenzraten für Essstörungen und in letzter Zeit auch für ADHS bekannt [16]. Insgesamt ist von einer hohen psychischen Gesamtbelastung auszugehen.

Pathologisches Essverhalten bei Adipositas

Adipositas kann anhand der vorliegenden Klassifikationssysteme nicht als Essstörung eingeordnet werden und stellt per Definition keine Essstörung im eigentlichen Sinne dar. Jedoch berichten adipöse Menschen deutlich häufiger von pathologischem Essverhalten im Vergleich zu normalgewichtigen Personen [16]. Vor allem die Kriterien der Binge-Eating-Störung (BES), welche mittlerweile im DSM-5 [17] verankert ist (Tab. 1), werden von bis zu 30% adipöser Personen in Gewichtsabnahmeprogrammen erfüllt [18]. Zudem scheinen je nach Studie zwischen 30% und 36% der Patienten mit der Diagnose einer BES übergewichtig beziehungsweise adipös zu sein [19].

Tab. 1 Kriterien der Binge-Eating-Störung nach DSM-5 [17]

Entsprechend der Kriterien des DSM-5 wird die Diagnose einer BES dann vergeben, wenn mindestens einmal pro Woche ein Essanfall ohne das Durchführen von gewichtsregulierenden Gegenmaßnahmen stattfindet. Ein Essanfall ist dabei definiert als Essen einer ungewöhnlich großen Nahrungsmenge innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes. Die Betroffenen nehmen dabei deutlich mehr Nahrungsmittel zu sich als es normalerweise, auch im Rahmen ausgiebiger Mahlzeiten, der Fall ist. Die Zeitspanne beschränkt sich meist auf unter zwei Stunden, ist aber in jedem Fall umgrenzt.

Eine komorbide Essstörung in Form der BES ist bei adipösen Frauen meist mit einem früheren Beginn der Übergewichtsentwicklung sowie einem insgesamt höheren durchschnittlichen Körpergewicht assoziiert. Zudem weisen vor allem adipöse Frauen mit einer BES eine stärkere Störung des Körperbildes vor allem in Form der Überbewertung von Figur und Gewicht im Vergleich zu adipösen Frauen ohne Essstörung auf [20]. Auch scheint eine höhere psychische Belastung mit der komorbiden Essstörung bei adipösen Personen assoziiert zu sein [16].

Neben dem Vollbild der BES kann essgestörtes Verhalten vor allem in Form von „Grasen“ (grazing) auftreten. Hier berichten die Betroffenen von ständigem Essen, insbesondere von Süßigkeiten und Snacks, also kleineren Mengen, die mit nur kleinen Pausen über einen längeren Zeitraum (z.B. die ganze Zeit am Arbeitsplatz) eingenommen werden. Trotz dessen, dass Grazing ein klinisch relevantes, eher häufiges Phänomen bei adipösen Personen zu sein scheint, ist es bislang nicht als eigenständige Essstörung definiert worden [21, 22].

Neuere Studien sehen eine mögliche Verbindung zwischen gestörtem Essverhalten und Adipositas auch in der erhöhten Prävalenz für ADHS bei adipösen Menschen [16]. So gibt es Hinweise darauf, dass Kinder mit ADHS ein höheres Risiko haben als Erwachsene ein höheres Körpergewicht aufzuweisen [15]. Zudem zeigen Langzeitstudien ein höheres Risiko zur Entwicklung einer Essstörung, wenn im Kindes- und Jugendalter eine ADHS vorlag [23]. Levy und Kollegen fanden, dass Personen mit einer ADHS und Adipositas schlechter an Gewicht abnehmen [24]. Zu vermuten ist, dass die stärkere Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit und die Impulsivität/Hyperaktivität die Fähigkeit zur Kontrolle des Essverhaltens negativ beeinflussen. Nazar und Kollegen berichten, dass insbesondere das Ausmaß an Unaufmerksamkeit zusätzlich zu Impulsivität im Zusammenspiel mit einer depressiven Symptomatik das Auftreten von Essanfällen bei adipösen Personen vorhersagen kann [16]. Dieser Befund weist somit auf die Wechselwirkung der unterschiedlichen Faktoren hin. Im Folgenden soll zunächst näher erläutert werden, in welcher Form Impulsivität erfasst werden kann, bevor im Einzelnen auf die Befunde zur Rolle der Impulsivität bei Adipositas und Binge Eating eingegangen wird.

Erfassung von Impulsivität

Impulsivität ist ein facettenreiches Konstrukt und die jeweiligen Komponenten unterscheiden sich je nach Theorie und Messinstrument. So wird in einigen Ansätzen Abenteuerlichkeit (auch Sensation- oder Novelty-Seeking) als ein wesentlicher Aspekt von Impulsivität angesehen und findet sich daher beispielsweise im „Impulsivitätsfragebogen I7“ von Eysenck, den „Sensation-Seeking-Scales“ von Zuckerman oder der „UPPS-Impulsive-Behavior-Scale“ (Tab. 2) [25, 26, 27, 28, 29]. Obwohl Impulsivität und Sensation Seeking verwandte Konstrukte darstellen, wurden ebenso Unterschiede festgestellt: Impulsivität führt nicht immer zu stimulierenden, belohnenden Erfahrungen, während Sensation Seeking nicht immer impulsiv sein muss und weniger mit negativen Konsequenzen assoziiert ist [30, 31]. Weitere Aspekte von Impulsivität umfassen die Unfähigkeit Aufmerksamkeit zu fokussieren (aufmerksamkeitsbasierte Impulsivität), Schwierigkeiten Handlungen zu hemmen (motorische Impulsivität) und die Tendenz schnelle Entscheidungen zu treffen beziehungsweise unzureichend vorauszuplanen (nicht planende Impulsivität), die beispielsweise mit der Barratt-Impulsiveness-Scale erfasst werden können (Tab. 2)[32, 33, 34]. Neben diesen Selbstberichtsfragebögen gibt es auch Verhaltensmaße, die zur Erfassung von Impulsivität herangezogen werden. Die gebräuchlichsten sind Aufgaben zur Verhaltenshemmung und zum Entscheidungsverhalten. Bei Aufgaben zur Verhaltenshemmung muss eine häufig erfolgte Reaktion (z.B. ein Tastendruck) in seltenen Fällen inhibiert, also zurückgehalten werden („Go/No-go- oder Stopp-Signal-Aufgaben“). Häufige Begehungsfehler werden hier als impulsives Verhalten interpretiert. Bei Aufgaben zum Entscheidungsverhalten, beispielsweise beim Delay Discounting oder Delay of Gratification, werden sofortige, kleine Belohnungen (z.B. ein Geldbetrag) und zeitlich verzögerte, größere Belohnungen zur Wahl gestellt. Wählt der Teilnehmer bevorzugt die schnell verfügbare Belohnung wird dies als impulsives Verhalten interpretiert.

Tab. 2 Beispiel-Items zur Erfassung von Impulsivität

Während Impulsivitätsfragebögen ein eher stabiles Persönlichkeitsmerkmal erfassen, sind die Verhaltensmaße anfälliger für momentane, zustandsabhängige Einflüsse und haben entsprechend eine geringere Retest-Reliabilität. Obwohl impulsives Verhalten in diesen Aufgaben und erhöhte Werte in den Impulsivitätsfragebögen positiv korreliert sind, zeigen sich hier entsprechend eher kleine und inkonsistente Zusammenhänge [35, 36, 37].

Einfluss von Impulsivität auf Körpergewicht und Essverhalten

Befunde bei Kindern und Jugendlichen

Sowohl bei Kindern als auch bei Jugendlichen erzielen diejenigen mit Adipositas höhere Impulsivitätswerte auf entsprechenden Fragebogenverfahren und reagieren impulsiver in behavioralen Aufgaben im Vergleich zu Normalgewichtigen [38]. In einigen prospektiven Studien zeigte sich behaviorale Impulsivität (das heißt eine geringe inhibitorische Kontrolle) als prädiktiver Faktor für einen höheren BMI mehrere Jahre später [39] sowie für geringeren Gewichtsverlust nach einem Gewichtsreduktionsprogramm [40]. Interessanterweise scheint sich besonders das Vorliegen von Defiziten in mehreren Bereichen der Impulsivität — nämlich eine erhöhte Belohnungssensitivität zusammen mit einer verringerten Inhibitionsfähigkeit — negativ auf den Gewichtsverlauf auszuwirken [41]. Auch die Art der Reize scheint eine besondere Rolle zu spielen: So zeigte sich ein Inhibitionsdefizit bei übergewichtigen Kindern spezifisch als Reaktion auf hochkalorische Essensreize, während sich als Reaktion auf andere belohnende Stimuli (Spielzeug) kein Unterschied zu normalgewichtigen Kindern fand [42].

Neben einer geringeren inhibitorischen Kontrolle finden sich bei adipösen Kindern und Jugendlichen ebenfalls Defizite in anderen exekutiven Funktionen wie beispielsweise der Arbeitsgedächtnisleistung oder in Aufgaben, die mentale Flexibilität erfordern und sie treffen impulsivere Entscheidungen in Aufgaben zum Delay Discounting [39, 43, 44]. Diese Zusammenhänge scheinen spezifisch die exekutiven Funktionen (also beispielsweise die Fähigkeit zu planen, Impulse zu unterdrücken oder die Aufmerksamkeit zu fokussieren) zu betreffen, da sie auch nach Kontrolle allgemeinerer Maße kognitiver Funktionen (z.B. IQ, Schulnoten) bestehen bleiben [39]. Auch wenn ein negativer Einfluss der Adipositas auf exekutive Funktionen nicht ausgeschlossen werden kann, scheint es sich bei dieser eingeschränkten Leistung eher um eine Prädisposition für zukünftige Gewichtszunahme zu handeln [39, 43].

Innerhalb der Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit Adipositas lassen sich weiterhin Subgruppen differenzieren. Diejenigen mit Binge- oder Loss-of-control-eating reagieren impulsiver und weisen höhere Impulsivitätswerte in Selbstberichtsfragebögen auf als diejenigen ohne diese Art des Essverhaltens [38, 45, 46].

Befunde bei Erwachsenen

Auch bei Erwachsenen ist Impulsivität mit Adipositas und Binge Eating assoziiert. Allerdings sind die Befunde hier eher inkonsistent. Obwohl in einigen Studien eine geringere inhibitorische Kontrolle beziehungsweise ein erhöhtes Delay Discounting bei Menschen mit Adipositas im Vergleich zu normalgewichtigen Kontrollpersonen gefunden wurde [47, 48, 49], zeigten andere Studien keine Unterschiede [50, 51]. Ebenso erbrachten Vergleiche von adipösen Menschen mit BES gegenüber adipösen Menschen ohne BES inkonsistente Ergebnisse [48, 52, 53]. Mögliche Erklärungen für die Unterschiede der Studienresultate sind vielfältig. Die geringe interne sowie Retest-Reliabilität behavioraler Maße erschwert es, Effekte zu entdecken. Weiterhin besteht eine gewisse Heterogenität zwischen den einzelnen Studien, sowohl hinsichtlich der verwendeten Paradigmen als auch der untersuchten Stichproben. Dennoch zeigen sich aber auch konvergierende Befunde: Parallel zu der oben erwähnten Untersuchung bei Kindern weisen Ergebnisse einer kürzlich erschienen Studie darauf hin, dass übergewichtige Erwachsene impulsive Reaktionen nur bei hochkalorischen Essensreizen, nicht aber in einer neutralen Stopp-Signal-Aufgabe zeigten [54].

Ein eindeutigeres — wenn auch nicht unbedingt einheitliches — Muster zeigt sich bei der Betrachtung von Selbstberichtsfragebögen. Hier finden sich erhöhte Impulsivitätswerte bei Menschen mit Adipositas im Vergleich zu normalgewichtigen Personen [55, 56] oder bei adipösen Menschen mit BES im Vergleich zu denjenigen ohne BES [52, 57]. Allerdings kann hier noch einmal hinsichtlich spezifischer Aspekte von Impulsivität differenziert werden. Insbesondere aufmerksamkeitsbasierte und motorische Impulsivität sowie Dringlichkeit und ein Mangel an Beharrlichkeit scheint mit Adipositas und Binge Eating in Verbindung zu stehen [52, 56, 57, 58, 59, 60]. Dahingegen scheint ein Mangel an Voraussicht beziehungsweise Zukunftsplanung und Sensation Seeking nicht mit Adipositas oder Binge Eating assoziiert (ebd.).

Schließlich sollte noch erwähnt werden, dass die meisten Teilnehmer der oben genannten Studien Frauen waren. In wenigen Studien, in denen sowohl Männer als auch Frauen untersucht wurden, fand sich ein Geschlechtereffekt und zwar dahingehend, dass eine erhöhte Impulsivität nur bei adipösen Frauen, nicht aber bei adipösen Männern beobachtet werden konnte [47, 61]. Das Geschlecht könnte also einen entscheidenden Moderator der Beziehung zwischen Impulsivität und Überessen darstellen.

Mögliche Therapieansätze zur Verbesserung der Impulskontrolle

Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie

Bislang ist keine psychotherapeutische Intervention bekannt, die anhand kognitiv-behavioraler Elemente einen direkten Einfluss auf die Selbstregulation beziehungsweise die Verbesserung der Impulskontrolle vornimmt. Zwar wird in unserer Arbeitsgruppe aktuell eine randomisiert-kontrollierte Studie zu einem computergestützten Gruppentherapieprogramm zur Verbesserung der Selbstkontrollstrategien und der Impulsivität bei adipösen Menschen mit pathologischem Essverhalten durchgeführt (Preuss H. et al. 2014). Inwiefern sich dieses Training als hilfreich auch zur Gewichtsreduktion erweist, bleibt abzuwarten. Aktuelle Behandlungsprogramme fokussieren im Bereich der Gewichtsreduktionsmaßnahmen auf eine Normalisierung des Essverhaltens, beispielsweise durch die Etablierung einer regelmäßigen Mahlzeitenstruktur, die Anwendung von Stimuluskontrolltechniken und ähnliches. Konventionelle Programme führen dabei zu einer Gewichtsabnahme bei adipösen Patienten von durchschnittlich 11% im Vergleich zu 2% bei adipösen Patienten mit einer BES [62]. Unabhängig vom Vorliegen einer Essstörung sind die meisten Programme im längerfristigen Verlauf oft nicht erfolgreich: meist wird innerhalb des ersten Jahres bis zu 50% des verlorenen Gewichts wieder zugenommen und nach drei bis fünf Jahren ist in der Mehrzahl der Fälle das Ausgangsgewicht wieder erreicht [63, 64].

Im Falle des Vorliegens einer komorbiden BES bei adipösen Personen scheint es sinnvoll, zunächst die Essstörungssymptomatik zu behandeln, bevor auf den Wunsch nach Gewichtsreduktion eingegangen wird. Durch die erfolgreiche psychotherapeutische Behandlung der BES [65] kann nämlich eine Reduktion der Essstörungssymptomatik erreicht werden, welche sich auch positiv auf die psychische Befindlichkeit auswirkt und damit einer weiteren Gewichtszunahme entgegen wirkt. Eine ausreichende Gewichtsabnahme wird durch ein solches Programm meist nicht erreicht. Allerdings fehlt es noch an empirischen Untersuchungen, die eindeutig belegen, dass dieses Vorgehen uneingeschränkt zu empfehlen ist. Unabhängig davon ist festzustellen, dass ein Wiederauftreten der BES im Langzeitverlauf mit einer schlechteren Prognose für den Gewichtsverlauf assoziiert ist.

Training exekutiver Funktionen

Erste Versuche, direkten Einfluss auf das Ausmaß an Impulsivität zu nehmen, wurden im Rahmen von Trainings im Bereich exekutiver Funktionen vorgenommen. Dieses Vorgehen wurde aus den Befunde zu eingeschränkten exekutiven Funktionen beziehungsweise erhöhter Impulsivität bei Adipositas und BES abgeleitet: Es wird angenommen, dass sich ein solches Training indirekt auch auf die Verbesserung des Essverhaltens und damit des Körpergewichts positiv auswirkt [66]. In einer kürzlich erschienen Studie von Verbeken und Mitarbeitern [67] wurde die Standardtherapie bei adipösen Kindern durch solch ein Training ergänzt, welches ein Training des Arbeitsgedächtnisses und der inhibitorischen Kontrolle beinhaltete. Tatsächlich zeigte sich in der Gruppe der Kinder, die das zusätzliche Training erhalten hatte, eine geringere Wiederzunahme des Gewichts nach acht Wochen im Vergleich zur Standardtherapiegruppe. Nach zwölf Wochen zeigten sich allerdings keine Unterschiede mehr, was auf die Notwendigkeit eines dauerhaften Trainings der exekutiven Funktionen hinweist.

Aufgrund der Spezifität eingeschränkter inhibitorischer Kontrolle als Reaktion auf hochkalorische Essensreize (siehe oben) könnten solche Trainings gezielt die Verhaltenshemmung im Kontext von Essensreizen stärken (Abb. 1). Erste Studien mit erwachsenen Probanden zeigen, dass sich — zumindest kurzfristig — die Nahrungsaufnahme und -auswahl beeinflussen lässt, wenn relevante Essensreize vorher konsistent mit Stopp-Reaktionen gepaart wurden [68, 69, 70, 71]. Ein möglicher Mechanismus hierfür könnte eine Abschwächung automatischer Annäherungsreaktionen beziehungsweise Veränderung impliziter essensbezogener Assoziationen sein [72, 73]. Der langfristige Nutzen solcher Trainings ist jedoch noch fraglich.

Abb. 1
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Schematischer Ablauf eines möglichen nahrungsbezogenen Inhibitionstrainings, bei dem die Probanden auf niedrigkalorische Essensreize mit einem Tastendruck reagieren sollen (GO), nicht aber auf hochkalorische Essensreize (NO-GO). Jedes Bild wird für 500 ms dargeboten, gefolgt von einem Inter-Trial-Intervall von 1.000 ms. Bei Begehungsfehlern (hier: Tastendruck bei Pommes Frites; GO) oder Auslassungsfehlern (hier: kein Tastendruck bei Tomaten; NO-GO) erhält der Proband eine Rückmeldung über die geforderte Reaktion (mod. nach [74]).

Fazit für die Praxis

Adipositas ist eine chronische Erkrankung mit weltweit epidemischem Ausmaß. Insbesondere vor dem Hintergrund der mit dem exzessiven Übergewicht adipöser Patienten assoziierten gesundheitlichen Folgeerkrankungen und des erhöhten Mortalitätsrisikos sowie der Persistenz kindlicher Adipositas steht das Gesundheitssystem vor einer großen Herausforderung. Es ist daher von großer Wichtigkeit, Faktoren zu identifizieren, die zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Adipositas beitragen, um frühestmöglich und langfristig effizient eine ungünstige Gewichtsentwicklung zu beeinflussen und einer Chronifizierung vorzubeugen.

Neben biologischen Mechanismen, insbesondere einer genetischen Vulnerabilität, die mit der Entwicklung einer Adipositas assoziiert sind, werden negative Einflüsse komorbider psychiatrischer Erkrankungen wie Depressionen oder Essstörungen und Persönlichkeitsfaktoren wie die Neigung zu einer erhöhten Impulsivität als mitbedingende und aufrechterhaltende Faktoren untersucht. Aufgrund der dargestellten, wenn auch inkonsistenten Befundlage ergeben sich aus unserer Sicht für den Praktiker zwei relevante Aspekte, die es zu bedenken gilt:

  1. 1.

    Eine erhöhte Impulsivität kann bei adipösen Patienten vorliegen und zu einer Beeinträchtigung der Gewichtsreduktionsmaßnahmen beziehungsweise zu einer weiter anhaltenden Gewichtszunahme führen und ist darüber hinaus oftmals auch mit erheblichen psychischen Beeinträchtigungen verbunden.

  2. 2.

    Insbesondere das Vorliegen einer Essstörung (z.B. in Form einer BES) sowie das Vorliegen einer ADHS oder einer depressiven Symptomatik muss überprüft werden, um möglichen negativen Einflussfaktoren durch gezielte Interventionen entgegenwirken zu können.

Bislang gibt es noch keine spezifischen Trainings, welche sich auf eine möglicherweise dysfunktionale Impulsivität fokussieren. Eine gezielte Verbesserung der Impulskontrolle könnte beispielsweise helfen, den Konsum von hochkalorischen Nahrungsmitteln flexibel zu regulieren.

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Prof. Dr. rer. nat. Tanja Legenbauer

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Dipl.-Psych. Adrian Meule

Impulsivität bei Adipositas und Binge-Eating-Störung

Welche Ergänzung des folgenden Satzes ist richtig? „Unter Impulsivität ist eine …

□ ... Prädisposition zu schnellen, überlegten Reaktionen auf internale oder externale Reize, unter Beachtung negativer Konsequenzen dieser Reaktionen für sich selbst oder andere zu verstehen“.

□ ... Prädisposition zu schnellen, unüberlegten Reaktionen auf internale oder externale Reize, unter Beachtung negativer Konsequenzen dieser Reaktionen für sich selbst oder andere zu verstehen“.

□ ... Prädisposition zu schnellen, unüberlegten Reaktionen auf internale oder externale Reize, ohne Beachtung negativer Konsequenzen dieser Reaktionen für sich selbst oder andere zu verstehen“.

□ ... Prädisposition zu schnellen, unüberlegten Reaktionen auf internale, aber nicht auf externale Reize, ohne Beachtung negativer Konsequenzen dieser Reaktionen für sich selbst oder andere zu verstehen“.

□ ... Prädisposition zu schnellen, unüberlegten Reaktionen auf externale, aber nicht auf internale Reize, ohne Beachtung negativer Konsequenzen dieser Reaktionen nur für sich selbst, aber nicht für andere zu verstehen“.

Für welche psychischen Erkrankungen wurde Impulsivität als möglicher Risikofaktor in der Vergangenheit untersucht?

□ Depressionen, Angsterkrankungen, Zwangsstörungen, posttraumatische Belastungsstörung

□ Somatoforme Störungen, Schlafstörungen, Autismus

□ Psychosen, schizoaffektive Erkrankungen, Schizophrenie

□ Substanzabhängigkeit, Persönlichkeitsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS), Essstörungen

□ Entwicklungsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens

Wie wird Adipositas definiert?

□ Gewicht geteilt durch Körpergröße < 25

□ Gewicht geteilt durch Körpergröße zum Quadrat < 30

□ Körpergröße zum Quadrat geteilt durch Gewicht < 30

□ Bauchumfang von mehr als 100 cm

□ Körperfettanteil von mehr als 35%

Welche Aussage ist richtig?

□ Die Prävalenz für Adipositas steigt seit den 1990er-Jahren kontinuierlich an.

□ Die Prävalenz für Adipositas stagniert bei Erwachsenen, während die Raten für kindliche Adipositas und extreme Adipositas im Erwachsenenalter weiter ansteigen.

□ Die Prävalenz für Adipositas hat sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch bei Erwachsenen ein Plateau erreicht, die Zahlen für die extreme Adipositas sinken.

□ Die Prävalenz für Adipositas sinkt bei Kindern und Jugendlichen, während sie bei Erwachsenen weiter ansteigt.

□ Die Prävalenz für Adipositas steigt bei Kindern und Jugendlichen, während sie bei Erwachsenen sinkt.

Welche der folgenden Essstörungen tritt am häufigsten komorbid zu einer Adipositas auf?

□ Night-Eating-Syndrome

□ Binge-Eating-Störung

□ Bulimia nervosa

□ Anorexia nervosa

□ Pica

Welche der folgenden Komponenten zählt nicht zum Konstrukt der Impulsivität?

□ Sensation Seeking

□ Aufmerksamkeitsbasierte Impulsivität

□ Motorische Impulsivität

□ Empathie

□ Delay Discounting

Ein Kind erhält folgende Aufgabe: Es erhält einen Muffin, den es essen darf. Der Untersuchungsleiter bietet dem Kind zusätzlich einen zweiten Muffin an, wenn es so lange mit dem Essen des ersten Muffin warten kann, bis der Untersuchungsleiter den zweiten Muffin geholt hat, was etwa fünf Minuten dauern wird. Welche der folgenden Komponenten von Impulsivität wird hier getestet?

□ Sensation seeking

□ Aufmerksamkeitsbasierte Impulsivität

□ Motorische Impulsivität

□ Nicht planende Impulsivität

□ Delay of gratification

Prospektive Studien zeigen, dass ...

□ ... niedrige Belohnungssensitivität und niedrige Disinhibition im Kindesalter mit einem höheren Gewicht im Jugend- und Erwachsenenalter assoziiert sind.

□ ... hohe aufmerksamkeitsbasierte Impulsivität und Sensation Seeking im Kindesalter mit einem höheren Gewicht im Erwachsenenalter assoziiert sind.

□ ... die Kombination aus hoher Belohnungssensitivität und hoher Enthemmbarkeit im Kindesalter mit einem höheren Gewicht im Jugendalter assoziiert sind.

□ ... hohe Ausprägungen hinsichtlich nicht planender Impulsivität und Sensation Seeking zu Adipositas im Erwachsenenalter führen.

□ ... einzig das Vorhandensein von Schwierigkeiten bei der „Delay of gratification“ mit höherem Gewicht im Jugendalter assoziiert ist.

Welche der folgenden Komponenten von Impulsivität zeigt die geringsten Zusammenhänge zu Adipositas und Binge-Eating?

□ Motorische Impulsivität

□ Aufmerksamkeitsbasierte Impulsivität

□ Dringlichkeit

□ Mangel an Voraussicht

□ Mangel an Beharrlichkeit

Neuere Forschungsansätze greifen das Training exekutiver Funktionen als mögliche therapeutische Intervention zur Verbesserung der Gewichtsabnahme bei adipösen Kindern auf. Wie wird dieses Vorgehen begründet? Es wird angenommen, dass ...

□ ... ein solches Training den Stoffwechsel positiv beeinflusst.

□ ... sich ein solches Training indirekt auch auf die Verbesserung des Essverhaltens und damit auch positiv auf das Körpergewicht auswirkt.

□ ... sich das Risiko zur Entwicklung einer depressiven Verstimmung verringert und sich damit auch das Essverhalten verbessert.

□ ... dadurch das Empathievermögen verbessert wird und dadurch weniger impulshaft gegessen wird.

□ ... langfristig durch die Stärkung automatischer Annäherungsreaktionen auf hochkalorische Nahrungsmittel die Nahrungsmittelauswahl positiv beeinflusst wird.