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Dr. rer. nat. Ramona Puff Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Zentrum München und Forschergruppe Diabetes, Klinikum rechts der Isar, TUM

_ In Deutschland sind derzeit 30.000 Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren an Typ-1-Diabetes erkrankt [1]. Die Diagnose trifft die meisten Familien völlig unerwartet und häufig erst dann, wenn der fortgeschrittene Insulinmangel zum Auftreten typischer Diabetessymptome, z. B. vermehrtem Durstgefühl führt [2]. Wie internationale Langzeitstudien an mehr als 13.000 prädisponierten Kindern zeigten, kündigt sich die Autoimmunerkrankung jedoch meist schon Monate bis Jahre vorher durch Inselautoantikörper (Insulinantikörper, IAA; Glutamatdecarboxylase-Antikörper, GADA; Insulinoma-assoziiertes Protein-2-Antikörper, IA-2A; Zinktransporter-8-Antikörper, ZnT8A) an [3]. Je nach Glukosetoleranz können drei Frühstadien unterschieden werden (Abb. 1) [4, 5].

Abb. 1
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Frühstadien des Typ-1-Diabetes (Mod. nach [5])

© Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Zentrum München

Stoffwechselentgleisung vermeiden

Durch die frühzeitige Immundiagnostik könnten schwere Stoffwechselentgleisungen als Folge von Hyperglykämien verhindert, die Hospitalisierungsrate gesenkt und Familien rechtzeitig auf eine spätere Insulintherapie vorbereitet werden [6]. Dies ist Ziel der „Fr1da“-Studie in Bayern, das weltweit erste bevölkerungsweite Screening zur Frühdiagnose des Typ-1-Diabetes. Da die Inzidenz für Inselautoimmunität v. a. um das zweite Lebensjahr erhöht ist und die Rate für Typ-1-Diabetes bei Kleinkindern < 5 Jahren besonders stark zunimmt, wird das Screening allen Kindern im Alter von 2–5 Jahren angeboten [3, 4].

Seit dem Beginn der Studie im Jahr 2015 haben bereits mehr als 33.000 Familien teilgenommen. Sie ließen ihre Kinder im Rahmen einer regulären Vorsorgeuntersuchung (U7–U9) auf einen Typ-1-Diabetes untersuchen (Abb. 2). Dabei wurde bisher bei etwa 0,4% aller Kinder ein Frühstadium des Typ-1-Diabetes diagnostiziert. Ein Großteil (< 80%) dieser Kinder zeigte im oralen Glukose-Toleranztest noch keinerlei Auffälligkeiten, während bei weniger als 10% schon ein manifester Diabetes vorlag. Etwa 90% der Kinder mit frühem Diabetesstadium hatten keinen erstgradigen Verwandten mit Typ-1-Diabetes. Diese ersten Studiendaten verdeutlichen, dass insbesondere Kinder aus Familien ohne Typ-1-Diabetes vom Screening profitieren.

Abb. 2
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Früherkennung und frühe Behandlung des Typ-1-Diabetes (T1D) in der „Fr1da“-Studie

© Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Zentrum München

Diagnose „Frühstadium Typ-1-Diabetes“: was nun?

Das frühe Erkennen eines Typ-1-Diabetes bietet betroffenen Familien die Möglichkeit einer optimalen Betreuung und frühen Behandlung. In 16 pädiatrischen Diabeteszentren in Bayern wird ihnen ein strukturiertes Vorsorgeprogramm angeboten, das explizit für „Fr1da“ entwickelt wurde. Es beinhaltet eine Diabetesschulung, in denen Familien u. a. mit den diabetestypischen Symptomen und dem regelmäßigen Messen der Urin- oder Blutzuckerwerte vertraut gemacht werden sowie eine Verlaufsbetreuung der Kinder durch Diabetesexperten (Abb. 2).

Um psychologische Belastungsstörungen zu vermeiden, wird den Eltern eine psychologische Unterstützung zur Verarbeitung der Diagnose angeboten. Insbesondere Familien aus der Allgemeinbevölkerung, die bisher noch keine Erfahrung mit Typ-1-Diabetes haben, könnten davon profitieren.

Die Fr1da-Insulin-Interventionsstudie

Die bayernweite Früherkennung des Typ-1-Diabetes ermöglicht Präventionsstudien, um die Betazellfunktion zu erhalten und die Krankheitsprogression hin zu einem insulinpflichtigen Typ-1-Diabetes zu verhindern. Als vielversprechender Ansatz werden seit einigen Jahren neue antigenbasierte Therapien geprüft [7, 8]. Ähnlich wie die Desensibilisierung bei allergischen Erkrankungen soll hierbei das Immunsystem durch ein bestimmtes Antigen moduliert und im Fall des Typ-1-Diabetes eine autoimmune Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen des Pankreas verhindert werden [9].

Da Insulinautoantikörper den anderen Autoantikörpern als subklinische Marker meist vorausgehen, gilt Insulin als das hoffnungstragende Schlüsselantigen, welches über Schleimhäute von Mund oder Nase appliziert die immunologische Toleranz wiederherstellen soll [10]. Erste erfolgversprechende Ergebnisse stammen aus der internationalen Pilotstudie „Pre-POINT“. Diese Primärpräventionsstudie zeigte bei gesunden, Inselautoantikörper-negativen Kindern mit hohem Typ-1-Diabetes-Risiko, dass eine „Impfung“ mit oralem Insulin keine Nebenwirkungen wie allergische Reaktionen oder Hypoglykämien hervorruft und das Immunsystem aktiv im Sinne einer tolerogenen Immunregulation beeinflussen könnte [11].

An diesen ersten Erfolg anknüpfend, soll nun Kindern mit Frühstadium Typ-1-Diabetes und einer noch normalen Glukosetoleranz im oralen Glukose-Toleranztest eine orale Insulinbehandlung zur Desensibilisierung angeboten werden (Abb. 2). In dieser randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten „Fr1da-Insulin-Interventionsstudie“ werden die Kinder über einen Zeitraum von zwölf Monaten einmal täglich mit dem Studienmedikament (Insulin bzw. Placebo) oral in Pulverform behandelt. Über die Mund- und Darmschleimhaut resorbierte Insulinpeptide sollen eine protektive Immunantwort gegenüber dem Insulin induzieren und dadurch die Progression zum klinisch manifesten Typ-1-Diabetes stoppen.

Aus früheren Studien ist bekannt, dass Vitamin D eine wichtige Rolle im Immunsystem spielt und Kinder in einem frühen Stadium (1–3) des Typ-1-Diabetes einen relativen Vitamin-D-Mangel im Vergleich zu gesunden Kindern aufweisen [12, 13, 14]. Um eine vergleichbare Ausgangsbasis für die Desensibilisierung zu gewährleisten, sollen daher Kinder mit niedrigen Vitamin-D-Spiegeln (< 75 nmol/l) über die gesamte Studiendauer mit 1.000 IE Vitamin D täglich supplementiert werden.

Fazit für die Praxis

  1. 1.

    Durch frühzeitige Diagnose des Typ-1-Diabetes können schwerwiegende Stoffwechselentgleisungen verhindert und betroffene Familien rechtzeitig auf eine Insulintherapie vorbereitet werden.

  2. 2.

    Eine Intervention mit oralem Insulin zur Prävention des Typ-1-Diabetes wird derzeit in klinischen Studien getestet.