Die Rekrutierung von Kindern und Jugendlichen als Teilnehmer*innen für wissenschaftliche Untersuchungen im Bereich der sexuellen Gewalt stellt eine große Herausforderung in Forschungsprojekten dar, da nicht nur die Kinder und Jugendlichen, sondern auch ihre gesetzlichen Vertreter*innen einer Teilnahme am Projekt zustimmen müssen. Hinzu kommt, dass bei Forschungsprojekten im Kontext von Institutionen das Einverständnis der Institution notwendig ist. Trotz der Hürden sind Wissenschaftler*innen verstärkt bemüht, Kinder und Jugendliche zu befragen. Heinz Kindler (2016a) führt den Vorteil dieser direkten Befragungen auf, indem er den potenziellen – zumindest mittelbaren – Nutzen von solchermaßen generierten Forschungsergebnissen für eine Weiterentwicklung von Interventions- und Präventionsangeboten im Zusammenhang mit sexueller Gewalt hervorhebt.

Trotz der Notwendigkeit, Kinder zu befragen, finden sich methodische Hilfestellungen für einen erfolgreichen Feldzugang in der sozialwissenschaftlichen Forschungsliteratur nur vereinzelt (Baxter 2012), an einer systematischen Darstellung möglicher Zugangsbarrieren fehlt es bislang ganz. Ziel der vorliegenden Studie war es, Erfahrungen von Studienmitarbeiter*innen im Zusammenhang mit Untersuchungen zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in pädagogischen Kontexten hinsichtlich eines Forschungszugangs zu Kindern und Jugendlichen darzustellen. Die Arbeit soll helfen, Forscher*innen einen ersten Überblick zu verschaffen, mit welchen Problemen sie beim Feldzugang möglicherweise konfrontiert werden und welche dieser Faktoren Studien mit Kindern und Jugendlichen besonders erschweren.

Probleme entstehen bei der Rekrutierung von Kindern und Jugendlichen als Teilnehmer*innen in Forschungsvorhaben vor allem dann, wenn einzelne Personen oder Institutionen über eine Teilnahme entscheiden (Darian-Smith und Henningham 2014). Personen in Behörden oder Institutionen mit solchen Entscheidungsbefugnissen werden als „Gatekeeper“ (deutsch: Pförtner, Türöffner) oder „Schlüsselpersonen“ bezeichnet. Sie können unter Umständen große Gruppen potenziell zu befragender Personen ein- oder ausschließen (Hagemann-White 2016; Pudelko 2007; Berrick et al. 2000; Heptinstall 2000; Wolff 2000). So werden beispielsweise Kinder gerne in Schulen befragt, da sich hier viele Studienteilnehmer*innen eines bestimmten Alters rekrutieren lassen (Thomas und O’Kane 1998). Um eine Befragung dort durchzuführen, benötigt es in Deutschland allerdings einer Zustimmung der jeweiligen Kultusministerien bzw. Schulämtern der einzelnen Bundesländer und/oder einer Erlaubnis der Schuldirektionen (vgl. Deutsches Jugendinstitut (DJI) 2010). Wird diese Erlaubnis nicht erteilt, sei es auch nur zum Schutz von Kindern und Jugendlichen, etwa, weil befürchtet wird, dass die Befragung Kinder und Jugendliche psychisch belasten könnte, können Forschungslücken unter Umständen nicht geschlossen werden. So können auch bewusst bestimmte Themen konsequent abgelehnt werden (Bailey 2007; Curran und Pecora 1999). Viele Forschungsgruppen lassen sich darüber hinaus bereits im Vorfeld von hohen bürokratischen Hürden abschrecken, so dass Kinder in diesen Institutionen erst gar nicht befragt werden (Darian-Smith und Henningham 2014; Berrick et al. 2000).

Neben Personen, die qua ihrer Position oder Funktion innerhalb einer Einrichtung als Gatekeeper agieren, können z. B. auch Betreuungskräfte von Kindern Vorhaben unterstützen oder behindern, indem sie beispielsweise Einfluss nehmen auf das Interesse und die Bereitschaft von Kindern an Forschung mitzuwirken. Besteht ihrerseits etwa die Befürchtung, dass mit der Befragung von Kindern eine verdeckte Evaluation der eigenen Arbeit verbunden sein könnte (Hagemann-White 2016; Hüttemann et al. 2016) oder wird die Zusammenarbeit mit Forscher*innen als erzwungen (Bolling 2010) oder als Intervention (Gans 2004) empfunden, kann sich dies auch unmittelbar auf die Teilnahmebereitschaft von Kindern auswirken. Auch können negative Folgen für die Einrichtung (Ruhne 2008), beispielsweise eine verstärkte Kontrolle durch Behörden, antizipiert werden oder es wird befürchtet, dass alltägliche Abläufe durch feldunerfahrene Wissenschaftler*innen gestört werden könnten (vgl. Gans 2004). Mit Reinhart Wolff (2000) lässt sich zudem argumentieren, dass manche Gatekeeper, insbesondere wenn sie über eigene wissenschaftliche Vorerfahrungen verfügen, Forschungsvorhaben vor dem Hintergrund ihrer subjektiven Vorstellungen von angemessenen wissenschaftlichen Standards bewerten. Sehen sie diese als nicht gegeben an, kann auch dies ein eigenständiges Hemmnis für den Feldzugang darstellen. Karin Bock (2010) beschreibt darüber hinaus auch, dass der Aufbau einer Arbeitsbeziehung mit Kindern im Rahmen von Studien davon abhängt, wie gut der Beziehungsaufbau zu den Betreuungsfachkräften im Feld gelingt. Gelingt dieser nicht gut, verhalten sich auch Kinder eher ablehnend.

Bei Studien mit Minderjährigen ist zudem zu berücksichtigen, dass diese nur über eine bedingte Einwilligungsfähigkeit bezüglich einer Studienteilnahme verfügen. Das heißt, sie können einer Teilnahme zwar zustimmen (assent) nachdem sie ihrem Entwicklungsstand entsprechend aufgeklärt wurden, formal einwilligen müssen jedoch die Sorgeberechtigten (informed consent). Sorgeberechtigte zu identifizieren und zu kontaktieren und deren Einwilligung zu erreichen wird als zeitaufwändig beschrieben (Gilbertson und Barber 2002; Berrick et al. 2000; Heptinstall 2000; Thomas und O’Kane 1998), insbesondere bei Kindern, die außerhalb des Elternhauses aufwachsen (Berrick et al. 2000). Kate Darian-Smith und Nikki Henningham (2014) berichten im Rahmen ihrer Studien mit Kindern über die Verweigerung einer Zustimmung durch gesetzliche Vertreter*innen, auch wenn Kinder gerne teilnehmen wollten oder von Kindern, die von Erwachsenen so beeinflusst wurden, dass es in der Folge zu einer Absage durch die Kinder kam. Auch Dirk Bange (2016) berichtet von Schwierigkeiten, unter diesen Rahmenbedingungen eine Samplebildung vorzunehmen. Dabei spielen häufig Ängste eine Rolle. So werden Befragungen zu potenziellen Gewalterfahrungen bei Kindern häufig abgelehnt, da bei entsprechenden Erlebnissen von Kindern eine Retraumatisierung – das Wiederaufleben von Erinnerungen an negative Erfahrungen – befürchtet wird (Kindler 2016b; Darian-Smith und Henningham 2014; Pudelko 2007; Brandl und Klinger 2006; Gilbertson und Barber 2002; Heptinstall 2000; Thomas und O’Kane 1998) oder die Angst besteht, dass sexuelle Gewalterfahrungen im Rahmen der Untersuchung erstmalig aufgedeckt werden. Weiterhin trägt häufig die Komplexität und sprachliche Formulierung von Studienmaterialien dazu bei, dass gesetzliche Vertreter*innen von Kindern diese nicht verstehen und daher (durchaus nachvollziehbar) von einer Zustimmung zur Studienteilnahme absehen (Kindler 2016a; Darian-Smith und Henningham 2014). Selbst wenn einer Beteiligung zugestimmt wird, besteht bis zuletzt ein hohes Risiko, dass sich die Studienteilnehmer*innenzahl reduziert (Bange 2016; Gilbertson und Barber 2002), weil Kinder zum Zeitpunkt keine Lust mehr haben oder mittendrin abspringen (vgl. Burgess 2004; Gans 2004).

Neben spezifischen Bedenken wie der Vermutung einer vermeintlichen Gefährdung durch direkte Befragungen von Kindern wird häufig ausgehend vom Untersuchungsfeld von einem impliziten Misstrauen gegenüber Forschung im Allgemeinen oder gegenüber Wissenschaftler*innen im Speziellen gesprochen (Ruhne 2008; Pudelko 2007; Brandl und Klinger 2006; Gans 2004; Berrick et al. 2000; Wolff 2000; Curran und Pecora 1999). Dazu gehören zum einen Bedenken, dass mit Daten nicht vertraulich genug umgegangen wird (Darian-Smith und Henningham 2014; Ruhne 2008; Pudelko 2007; Gans 2004; Wolff 2000) und zum anderen Bedenken, dass Daten gerade nicht weitergegeben werden. Berichtet wird in diesem Zusammenhang von Sorgeberechtigten, die die Erwartungshaltung vertraten, ausdrücklich über kindliche Äußerungen in Bezug auf Missbrauchserfahrungen in Kenntnis gesetzt werden zu wollen und dies durch ihre Erziehungsverantwortung begründeten (Curran und Pecora 1999). Wird eine solche Informationsherausgabe zum Schutz der Kinder verweigert, kann es vorkommen, dass Sorgeberechtigte der Teilnahme ihrer Kinder am Forschungsprojekt (nachträglich) widersprechen.

Neben Problemen mit einem Zugang zu den Forschungsadressat*innen an sich können weitere Hürden auf Seiten der Organisation bestehen. Viele Einrichtungen lehnen beispielsweise Anfragen für Untersuchungen generell ab, wenn ihnen der Aufwand zu hoch erscheint (Brandl und Klinger 2006; National Survey on Child and Adolescent Well-Being (NSCAW) Research Group 2002), die Bedeutung der Ergebnisse für die Einrichtung nicht unmittelbar ersichtlich ist oder die Attraktivität bzw. der Anreiz für eine Mitwirkung fehlt (Rau et al. 2014; Schoneville 2010; Pudelko 2007; Brandl und Klinger 2006; Wolff 2000). Daneben kann es sich negativ auswirken, wenn Zuständigkeiten innerhalb von Institutionen nicht eindeutig geregelt sind. Gibt es für Forscher*innen keine klaren Ansprechpersonen oder kommt es zu häufigem Wechsel der Ansprechpartner*innen, verlieren sich Forschungsanfragen innerhalb der Organisationen oder werden „sicherheitshalber“ abgelehnt (Rau et al. 2014; Ruhne 2008; Pudelko 2007; Brandl und Klinger 2006; NSCAW Research Group 2002; Wolff 2000). Auch in Phasen, die für Organisationen in anderer Weise sensibel sind, weil es z. B. einen Leitungswechsel gab, weil die Organisation gerade in einen Skandal verwickelt war oder weil vor kurzem bereits Erhebungen stattgefunden haben, ist davon auszugehen, dass Forschungsanfragen abgelehnt werden (vgl. Wolff 2000).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bei der Rekrutierung von Kindern und Jugendlichen für Forschungsprojekte weitaus höhere Hürden zu erwarten sind als bei der Rekrutierung von erwachsenen Probanden. Auch staatliche Institutionen setzen in der Regel aufgrund antizipierter Belastung von Kindern durch Forschung höhere ethische Standards an als in anderen Forschungsbereichen, was Forscher*innen den Feldzugang deutlich erschweren und die Studienkosten erhöhen kann. Daneben bestehen allgemeine hinderliche Faktoren für Forschungszugänge, wie etwa eine ablehnende Haltung von Organisationen oder Mitarbeitenden oder rein praktische Hindernisse, wie beispielsweise ein zu hoher Organisationsaufwand (Pudelko 2007; Brandl und Klinger 2006; Wolff 2000).

1 Fragestellung und Ziele der Studie

Ziel der Studie war es, erstmalig eine systematische Befragung zu Schwierigkeiten beim Feldzugang im Zusammenhang von Forschung mit Kindern und Jugendlichen durchzuführen, um auf der Basis von empirischen Daten festzustellen, welche hemmenden Faktoren einen Einfluss auf den wissenschaftlichen Zugang zu Kindern und Jugendlichen haben. Als thematische Basis wurde das Forschungsfeld der sexuellen Gewalt ausgewählt, da zu erwarten war, dass hieran besonders hohe Hürden bei einer Befragung von Kindern geknüpft sind. Aufgrund der einleitend berichteten Literatur wurde erwartet, dass Forschung mit Kindern und Jugendlichen mit vielfältigen Schwierigkeiten verbunden ist, sowohl was den Kontakt zu Kindern und Jugendlichen über Institutionen betrifft, als auch hinsichtlich Einschränkungen durch behördliche Entscheidungsbefugnisse sowie hinsichtlich der Motivation der befragten Kinder und Jugendlichen selbst. Der höchste Problemwert im Zusammenhang mit Befragungen von Kindern wurde im Zusammenhang mit Gatekeepern antizipiert, hingegen wurde davon ausgegangen, dass mangelndes Interesse und die Lust der Kinder, an der Befragung teilzunehmen, weniger ins Gewicht fallen würde. Die Datenerhebung soll Informationen darüber geben, welche Zugangsschwierigkeiten im Zusammenhang mit Forschung an und mit Kindern berücksichtigt werden müssen, um diese in zukünftige Planungs- und Vorbereitungsphasen von Projekten einfließen zu lassen.

2 Methode

Im Rahmen der „Förderung von Forschungsvorhaben im Zusammenhang mit sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in pädagogischen Kontexten“ wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) insgesamt 22 Forschungsvorhaben gefördert. Davon wurden zwölf Forschungsvorhaben identifiziert, die Befragungen von Kindern und Jugendlichen zum Thema der sexuellen Gewalt durchführen. Diese zielten dabei u. a. auf Befragungen zum Zwecke besserer Prävention, indem beispielsweise Risikokonstellationen in Zusammenhang mit Institutionen abgefragt wurden oder die Wahrnehmung von Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen bis hin zu Fragen zur Prävalenzerhebung eigener sexueller Gewalterfahrungen. Zum Zwecke der Befragung wurde mit den Projektverantwortlichen bzw. wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen dieser Projekte per E‑Mail Kontakt aufgenommen und um einen Telefontermin für ein telefonisches Leitfrageninterview gebeten. Das Leitfrageninterview basierte auf einem im Autor*innenteam entwickelten Itemkatalog mit insgesamt 30 Items, die den zwei Befragungsteilen „Feldzugang Allgemein“ mit 17 Items und zwei Items für eine globale Einschätzung sowie „Feldzugang bei der Forschung mit Kindern und Jugendlichen“ mit neun Items und zwei Items für eine globale Einschätzung zugeordnet waren. Die Gesamtbewertung der Probleme und die globale Einschätzung, wie stark eine Einschränkung durch die Probleme (kurz: EINSCHR) im Zugang zum Feld stattgefunden hat, erfolgte auf einer Likert-Skala von „0 = keine Probleme bzw. nicht eingeschränkt“ und „4 = große Probleme bzw. sehr eingeschränkt“. Bei den übrigen Items konnte eine Bewertung der formulierten Problembereiche von „0 = kam nie vor“ bis „4 = kam häufig vor“ erfolgen. Zusätzlich waren vier Freitextfelder vorhanden, einmal im ersten Befragungsteil, in dem weitere Ängste von im Forschungsfeld aktiven Personen (z. B. pädagogische Fachkräfte) dokumentiert werden konnten. Weiterhin konnten in einem Textfeld sonstige Gründe festgehalten werden, die dazu führten, dass potenzielle Probanden oder Organisationen eine Forschungsteilnahme ablehnten. Ein drittes Freitextfeld erfasste sonstige Probleme, die beim Zugang zum Forschungsfeld aufgefallen sind und ein letztes Freitextfeld gab die Möglichkeit, Fragen, Anregungen und Kritik zum Interview zu äußern. Der Itemkatalog wurde von einer Studienmitarbeiterin am Telefontermin vorgelesen und entsprechend der Antworten der Gesprächspartner*innen ausgefüllt.

3 Datenanalyse

Die Auswertung der einzelnen Items erfolgte vorrangig deskriptiv durch die Ermittlung von absoluten und relativen Häufigkeiten mittels der Auswertungssoftware IBM SPSS Statistics 21. Ab einem Mittelwert von 2,0 bei einer Skala von 0–4 wurde davon ausgegangen, dass das Item für die Fragestellung relevant ist. Zur Analyse des Zusammenhangs berichteter allgemeiner Probleme beim Feldzugang und speziell bei Forschung mit Kindern und Jugendlichen mit der Einschätzung, wie stark dadurch der Feldzugang eingeschränkt (EINSCHR) wurde, wurde der Korrelationskoeffizient nach Spearman berechnet. Die Schwelle für signifikante Ergebnisse wurde für die Analysen bei α = 0,05 festgelegt. Zur Einschätzung der Größe des Effekts wurde die Interpretation nach Cohen (1988) gewählt. Ein Wert von r s  > 0,50 kann demnach als hoher Zusammenhang interpretiert werden.

4 Ergebnisse

4.1 Stichprobenbeschreibung

Insgesamt wurden 24 Personen aus zwölf Projekten für ein Telefoninterview angefragt. Sieben Personen gaben an, selbst nicht an der Probandenrekrutierung beteiligt gewesen zu sein, eine Person lehnte eine Interviewteilnahme ab und drei Personen meldeten sich auch nach mehrfachem Nachfragen per E‑Mail nicht zurück. Mit den verbleibenden 13 Personen (54 %) wurde im Zeitraum zwischen Mai und Juli 2016 jeweils ein Telefoninterview durchgeführt. Die befragten Personen waren an neun der 22 vom BMBF geförderten Forschungsvorhaben beteiligt, d. h. es wurden teilweise auch mehrere Personen aus einem Projekt befragt, die jedoch alle an der Rekrutierungsphase beteiligt sein mussten. Bezogen auf die Zahl der Personen, die insgesamt an der Probandenrekrutierung beteiligt waren (n = 17), ergab sich damit eine Teilnehmer*innenquote von 76,5 % der maximal möglichen Zahl von Befragten. Die Telefoninterviews dauerten in Durchschnitt ca. 21 min. Den zweiten Befragungsteil beantworteten lediglich zwölf Personen, da ein Befragungsteilnehmer angab, selbst nicht im Kinder- und Jugendbereich geforscht zu haben.

4.2 Auswertung

Die Mittelwerte und Standardabweichungen für die Items des ersten Befragungsteils, der die allgemeinen Schwierigkeiten beim Feldzugang erfasste, sind in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Feldzugang Allgemein

Es zeigt sich, dass die größten Probleme laut den befragten Wissenschaftler*innen beim Zugang zu Organisationen oder Proband*innen durch Zeitprobleme und Überlastung entstanden sind, gefolgt von einer ablehnenden Haltung, da die Anfrage auf ungünstige Zeitphasen in der Einrichtung traf, beispielsweise wenn der geplante Zeitpunkt der Forschung mit Zeitplanungen der Einrichtung kollidierte. Ein großer Teil der Befragten gab zudem an, dass ein in Einrichtungen befürchteter zu hoher Aufwand bzgl. einer Teilnahme an einer Studie sich hinderlich auf den Feldzugang auswirkte. Geringste Probleme machten laut Aussage der Befragten eigene Vorbehalte und Ängste gegenüber dem Feld. Im Freitextfeld wurden zusätzlich genannt, dass Ängste in Organisationen bestanden, dass Aufarbeitungsprozesse nach sexuellen Gewalterfahrungen durch Forschung gestört werden könnten oder „schlafende Hunde geweckt werden könnten“ im Sinne von „das Thema der sexuellen Gewalt nicht ansprechen zu wollen“. Weiter wurde genannt, dass, sofern eine direkte Befragung von Mitarbeiter*innen geplant war, diese durch die Teilnahme an der Untersuchung negative Konsequenzen für die eigene Stelle befürchteten oder sich einem Generalverdacht ausgesetzt sahen. Angaben zu Überlastung und Zeitprobleme in den Einrichtungen wurden im Freitext nochmals konkretisiert, indem beispielsweise über die hohe Belastung durch die Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge berichtet wurde. In einem Fall (Online-Befragung) fehlte es an technischen Möglichkeiten für einen problemlosen Zugang zu Proband*innen. Ein signifikant negativer Zusammenhang zeigte sich zudem zwischen der Offenheit der im Feld aktiven Personen gegenüber Forschung (z. B. der pädagogischen Fachkräfte) und der Allgemeinbewertung der Einschränkungen beim Feldzugang (r s  = −0,57; p = 0,041).

Mittelwerte und Standardabweichungen der Items des zweiten Befragungsteils, der sich mit den Besonderheiten beim Feldzugang bei Befragungen von Kindern und Jugendlichen auseinandersetzte, sind in Tab. 2 dargestellt.

Tab. 2 Feldzugang bei der Forschung mit Kindern und Jugendlichen

Hier zeigen sich rein deskriptiv insgesamt etwas höhere Mittelwerte im Sinne von höheren Zugangsbarrieren als beim ersten Befragungsteil. Hohe ethische Standards, die erfüllt werden mussten, rangieren bei den Schwierigkeiten beim Feldzugang an oberster Stelle, während das Interesse und die Lust der Kinder weniger häufig vorkam. In Abb. 1 wird dargestellt, welchen Einfluss einzelne Faktoren auf den Kontakt zu Kindern und Jugendlichen zu Forschungszwecken nahmen. Auf der x‑Achse sind dabei diejenigen Faktoren abgetragen, die den Befragten Schwierigkeiten bereiteten. Die Lokalisierung auf der x‑Achse orientiert sich am Mittelwert. Vier der Faktoren zeigen einen Mittelwert über 2,0 und weisen daher auf große Schwierigkeiten in diesem Bereich hin. Die Positionierung der Faktoren auf der y‑Achse ergibt sich aus dem Wert der Korrelation von berichteter Schwierigkeit und Einschätzung zur allgemeinen Einschränkung beim Feldzugang (EINSCHR) durch die berichteten Schwierigkeiten. Die hohen ethischen Standards, die bei der Forschung mit Kindern und Jugendlichen gesetzt wurden, wurden demnach als größte Einschränkung bei der Befragung von Minderjährigen erlebt.

Abb. 1
figure 1

Einfluss der eingeschätzten Schwierigkeiten im Feldzugang auf die Umsetzung der Forschungsprojekte

Im Freitext wurde mehrheitlich nochmals auf die Schwierigkeit eingegangen, über Organisationen oder Sorgeberechtigte an Kinder zu gelangen. Zudem wurden Probleme beim Zugang zu speziellen Zielgruppen geschildert, wie beispielsweise beim Zugang zu „bildungsfernen“ Kindern und Jugendlichen. Ein signifikanter Zusammenhang besteht zwischen den allgemeinen Schwierigkeiten beim wissenschaftlichen Zugang zu Kindern und Jugendlichen und der Einhaltung von hohen ethischen Standards (r s  = 0,64; p = 0,033) sowie den behördlichen Vorgaben (r s  = 0,82; p = 0,007).

5 Diskussion

Ziel der Studie war es, zu analysieren, ob und wenn ja, welche Probleme Wissenschaftler*innen haben, Kinder und Jugendliche (in Institutionen) durch Befragungen zum Thema sexuelle Gewalt zu erreichen und in welchem Maße diese Faktoren die Forschungsbeteiligung von Kindern und Jugendlichen einschränkten. Die Ergebnisse der standardisierten Telefonbefragung deuten darauf hin, dass die Probleme sich auf unterschiedliche Bereiche fokussieren. Bei allgemeinen Problemen, wie Bedenken hinsichtlich Datenschutz, Anonymität, Angst vor Kontrolle und hinsichtlich eines hohen Aufwands durch die Studienteilnahme, spielten fehlende zeitliche Kapazitäten der Praxispartner*innen und Überlastung eine große Rolle, während fehlende Anreize für Einrichtungen oder Probanden oder ein nicht klar ersichtlicher Nutzen durch die Teilnahme eine eher untergeordnete Rolle spielten. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Forschungsaktivitäten auf ein gesellschaftlich und politisch intensiv diskutiertes Problem zurückgehen, das bei den beteiligten Praxispartner*innen und vereinzelt auch bei Kindern und Jugendlichen angekommen ist. So wurde im Zuge der Aufarbeitung von Fällen sexueller Gewalt im Zusammenhang mit stationären Unterbringungsformen in den 50er- und 60er-Jahren verstärkt auch die Situation von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen heute diskutiert und von Expert*innen und Politik gleichermaßen ein Forschungsbedarf in diesem Zusammenhang formuliert (Geschäftsstelle der Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs 2011). Das Förderprogramm des BMBF ist demnach ein Ergebnis langjähriger Bemühungen, das Thema sexuelle Gewalt in pädagogischen Kontexten publik zu machen und hat vermutlich dazu beigetragen, dass Forschung in diesem Bereich prinzipiell als sinnvoll angesehen wird und eine allgemein eher hohe Motivation zur Beteiligung an Forschungsvorhaben besteht. Grundsätzlich lässt sich feststellen: Je umfassender das Forschungsvorhaben die Bandbreite potenzieller Motivlagen möglicher Proband*innen oder Organisationen mit Zugangsmöglichkeiten zu Studienteilnehmenden berücksichtigt, desto größer sind auch die Zugangschancen zum Feld einzuschätzen. Mögliche Motive für die Mitwirkung an Forschungsprojekten auf der Ebene der Organisation können nach Julia Brandl und Stefan Klinger (2006) beispielsweise ein möglicher Innovationsvorsprung gegenüber anderen sein (Generierung von Wettbewerbsvorteilen durch Wissen über Forschungsergebnisse), aber auch Vorteile durch die Zusammenarbeit mit einer forschenden Institution mit hoher gesellschaftlichen Reputation (Hüttemann et al. 2016). Auch können wissenschaftliche Befunde als Grundlage für Entscheidungsprozesse in Einrichtungen als vorteilhaft gesehen werden, so dass sich Organisationen gegenüber Forschung öffnen (Hüttemann et al. 2016; Brandl und Klinger 2006).

Im Bereich der Forschung mit Kindern und Jugendlichen zeigen die Ergebnisse der Befragung, dass hohe ethische Standards und ein hoher bürokratischer Aufwand den Feldzugang erschwerten und die Zustimmung von „Gatekeepern“ notwendig war, um Kinder und Jugendliche befragen zu können, wobei die ethischen Standards die stärkste Auswirkung zeigten. Damit steht in Verbindung, dass dem Schutz von Kindern und Jugendlichen ein höherer Wert eingeräumt wurde als ihrer Teilhabemöglichkeit an Forschung. Kinder konnten dabei selbst wenig Einfluss auf die Entscheidung nehmen. Wissenschaftler*innen müssen folglich nicht nur mit einem hohen organisatorischen Aufwand rechnen, um mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt zu treten, sondern auch Überzeugungsarbeit leisten und ausreichend plausibel darlegen können, wie Risiken einer Befragung, z. B. in Form einer psychischen Belastung der Kinder und Jugendlichen während und nach der Befragung, minimiert werden können. Im Rahmen der Diskussion um Forschungszugänge im Themenfeld von sexueller Gewalt weist Heinz Kindler (2016a, 2016b) darauf hin, dass bei der Auswahl der Forschungsmethoden explizite Nachweise über deren mögliche, wenngleich unwahrscheinlichen Belastungsrisiken (vgl. auch Zajac et al. 2011) für Kinder und Jugendliche beizubringen seien. Ebenso wird eine Ausstattung des Forschungsvorhabens mit Unterstützungsmöglichkeiten für teilnehmende Kinder, die tatsächlich Belastungsreaktionen zeigen, empfohlen. Den Bedenken von Entscheidungsträger*innen hinsichtlich möglicher Retraumatisierung infolge der Beteiligung am Forschungsvorhaben könne dadurch argumentativ entgegengenwirkt werden (Kindler 2016a). Auch kann dies dazu beitragen, Irritationen und Sorgen bei Fachkräften vorzubeugen (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014). Einen Schritt weitergehend verweisen Becker-Blease und Freyd (2006) auf Befragungen mit Betroffenen und konstatieren, dass eine Teilnahme auch positive und hilfreiche Erfahrungen ermöglichen kann. Diese Erkenntnis deckt sich mit Erfahrungen im Zusammenhang mit erwachsenen Studienteilnehmer*innen, die sich im Rahmen einer Studie erstmalig jemandem gegenüber bzgl. ihrer sexuellen Gewalterfahrungen anvertrauten (Hunter 2011).

Bei aller Vorsicht im Zusammenhang mit dem Schutz von Kindern und Jugendlichen darf daher auch nicht vergessen werden, dass Kinder und Jugendliche nach der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen beispielsweise ein Recht haben, sich zu informieren, sich mitzuteilen und gehört zu werden (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2014), was auch dahingehend interpretiert werden kann, dass Kinder und Jugendliche mitentscheiden sollten, ob sie befragt werden und/oder sich mitteilen wollen oder nicht. Der interdisziplinären Diskussion darüber folgend wurden Empfehlungen für die Forschung zu sexueller Gewalt in pädagogischen Kontexten herausgegeben (z. B. Bonner Ethik-Erklärung). Sie beziehen Stellung zur Forschung mit Minderjährigen unter Berücksichtigung forschungsethischer Überlegungen (Poelchau et al. 2015). Danach sollen Wissenschaftler*innen über eine angemessene Qualifizierung zur Durchführung von Studien speziell mit Kindern und Jugendlichen verfügen und sich ihrer Verantwortung in Zusammenhang mit Kinderschutz bewusst sein. Bei Studien mit Minderjährigen sind zudem regelmäßig die jeweilig zuständigen Ethikkommissionen in beratender Funktion einzuschalten, bei Heilberufen sind berufsrechtliche Beratungsmöglichkeiten beispielsweise bei der Landesärztekammer oder Psychotherapeutenkammer anzuhören. Neben weiteren Empfehlungen wird jedoch auch betont, dass Forschung zu sexueller Gewalt zur Erweiterung des Wissens auch im Sinne eines effektiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen notwendig sei (Poelchau et al. 2015). Forschung mit Kindern gilt also, sofern die Ergebnisse nicht auf anderem Wege erzielt werden können, als unabdingbar.

Die Ergebnisse der Studie weisen weiter darauf hin, dass Schlüsselpersonen den wissenschaftlichen Zugang zu Kindern und Jugendlichen aufgrund unterschiedlicher Bedenken einschränkten. Diese sog. Gatekeeper sind allerdings in den meisten Fällen unumgänglich, um Kinder und Jugendliche überhaupt erreichen und Kontakt zu ihnen aufbauen und festigen zu können (Thomas und O’Kane 1998). Daher spielen vertrauensbildendende Maßnahmen im Vorfeld der Untersuchung eine wichtige Rolle. Beispielsweise berichten Forscher*innen von Kontakten zu feldspezifischen Beratungsstellen (Ruhne 2008) oder Hilfseinrichtungen (Thomas und O’Kane 1998), deren Wert für die Rekrutierung von Probanden und den weiteren Verlauf der Forschung von großer Bedeutung war. Ein frühzeitiger Dialog mit Eltern, Pflegeeltern oder Fachkräften in Einrichtungen, die eine Teilnahme von Kindern und Jugendlichen ermöglichen können, ist im Kontext der Kinder- und Jugendforschung daher bedeutsam. In diesem Zusammenhang können auch forschungsethische Aspekte gemeinsam diskutiert werden und mögliche Lösungen für Belastungsmomente bei Kindern im Zusammenhang mit Forschung gemeinschaftlich entwickelt werden (Rau et al. 2014). Grundsätzlich gilt, dass Wissenschaftler*innen, die mit ihren Forschungsthemen Organisationen tangieren, bereit sein sollten, die Abläufe ihrer Projekte an die Gegebenheiten in den Organisationen anzupassen und sich mit der Geschichte, dem Leitbild, der Struktur, der Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung einer Organisation auseinanderzusetzen (Pudelko 2007), um einen reibungslosen Ablauf, auch im Sinne der Kinder, zu gestalten.

Dass Kinder und Jugendliche selbst kein Interesse an der Teilnahme an Forschung haben könnten, wurde eher weniger als Problem gesehen. Sollte letzten Endes eine Studie dennoch an der Teilnahmebereitschaft von Kindern scheitern, so können nach Nigel Thomas und Claire O’Kane (1998) sogenannte „activity days“, an denen sich Kinder in Gruppen außerhalb des Forschungssettings mitteilen können, Kinder motivieren. Auch empfiehlt es sich, Forschung in der alltäglichen Umgebung von Kindern durchzuführen (Thomas und O’Kane 1998) und Personen mit Nähe zum Feld als Co-Forscher*innen am Forschungsprozess zu beteiligen (Unger 2013). Diese können wiederum auch als Schlüsselpersonen wirken. Insgesamt scheint daher ein Erfolgsfaktor für den Zugang zu Probanden zu sein, Offenheit für die Anliegen des Untersuchungsfeldes mitzubringen (Unger 2013) und gleichzeitig Forschungsmethoden an die Zielgruppe, insbesondere unter dem Aspekt ethischer Fragestellungen, anzupassen.

Abschließend muss darauf hingewiesen werden, dass die hier diskutierten Ergebnisse der Befragung von Wissenschaftler*innen eine erste empirische Arbeit zum Thema Feldzugang im Kontext der Forschung mit Kindern und Jugendlichen darstellt, die durch weitere Untersuchungen ergänzt und verifiziert werden sollte – insbesondere unter dem Aspekt der kleinen Stichprobe von nur 13 Teilnehmenden. Zusammenfassend kann jedoch konstatiert werden, dass Forschung mit und an Kindern einen Aushandlungsprozess zwischen Wissenschaft, Organisation, und Gatekeepern erforderlich macht und nicht zuletzt auch eine Kooperation mit Kindern und Jugendlichen darstellt. Je besser es dabei gelingt auf die Bedürfnisse der jeweiligen Akteur*innen einzugehen und sich darauf vorzubereiten, desto reibungsloser kann ein Forschungszugang zu Kindern und Jugendlichen etabliert werden. Grundsätzlich sollte jedoch geklärt werden, wie viel Mitspracherecht Kindern und Jugendlichen hinsichtlich einer Teilnahme an Forschung zugesprochen werden kann unter der Voraussetzung, dass deren Schutz vor negativen Folgen bei einer Forschungsteilnahme gewährleistet ist und ethische Fragestellungen im Zusammenhang mit Forschung an und mit Kindern grundsätzlich geklärt sind.