1 Einleitung

In der Staatstätigkeitsforschung im Bundesländervergleich wurden Parteiendifferenzen – neben sozioökonomischen Unterschieden – als „wirkmächtigste Faktoren“ identifiziert (Wolf und Hildebrandt 2008, S. 366). Trotz bisweilen widersprüchlicher Befunde steht vielfach die Parteiendifferenzhypothese im Zentrum, um Unterschiede in der Ausgestaltung verschiedener Politikfelder zu erklären (Wenzelburger 2015). Mit Parteidifferenz die Policy-Varianz in den Ländern zu erklären stößt mindestens an drei Grenzen: Im Bundesländervergleich hat erstens sich gezeigt, dass die Landesverbände von Parteien durchaus unterschiedliche programmatische Positionen aufweisen; es ist also problematisch, von der Position einer Bundespartei auf diejenige der entsprechenden Landespartei zu schließen (Bräuninger und Debus 2012). Zweitens ist festzustellen, dass es Policies gibt (z. B. die Umwelt- und Gesundheitspolitik), für die keine klar konturierten und stabilen programmatischen Konfliktlinien im Parteiensystem zu identifizieren sind, also Politikfelder, die quer zu den Konfliktlinien liegen, die den Parteienwettbewerb begründet haben. Drittens gilt für Koalitionsregierungen im zunehmenden Maße, dass die Klassifikation „linker“ bzw. „rechter“ Regierungen in Zeiten von „rot-rot-grün“, „Jamaika“ und „Ampel“ kaum noch praktikabel ist. Vielfältige und ungewöhnliche Regierungskonstellationen prägen mittlerweile die Länderpolitik. Insgesamt lassen sich aus parteipolitischen Mehrheiten nur noch bedingt Erwartungen hinsichtlich staatlicher Politiken ableiten. Dies gilt auch für die Agrarpolitik, die wir in unserem Beitrag untersuchen.

Wo eine Untersuchung des Einflusses von Parteiendifferenzen, die nur auf die unterschiedliche parteipolitische Zusammensetzung der Landesregierungen rekurriert, zu kurz greift, stellen (teil-)automatisierte Verfahren der quantitativen Textanalyse eine analytische Alternative dar. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, unter Rückgriff auf neuere Verfahren nachzuzeichnen, wie sich das Politikfeld Agrarpolitik verändert hat und warum die Landesregierungen bestimmte Positionen einnehmen. Wir zeigen auf, wie sich die Relevanz einzelner Themen verändert hat und analysieren, welche parteipolitischen Muster sich hinsichtlich der Positionen im Bereich der Agrarpolitik ergeben. Dabei weisen wir sowohl auf die Stärken als auch auf die Schwächen der angewendeten Verfahren hin, um die Potentiale und Grenzen der existierenden Verfahren deutlich zu machen.

Im Folgenden werden wir zunächst das Politikfeld der Agrarpolitik vorstellen und dabei herausarbeiten, weshalb Parteiendifferenzen eine Rolle spielen und welche Konflikte ihnen zugrunde liegen sollten. Hieraus leiten sich unsere Hypothesen ab. Im dritten Abschnitt werden wir die Möglichkeiten quantitativer Textanalyse im Kontext bundesländervergleichender Politikforschung skizzieren. Anschließend werden wir anhand von Koalitionsverträgen verschiedene textanalytische Verfahren durchspielen und die ermittelten Positionen auf Muster und Konsequenzen hin untersuchen. Wir prüfen, ob die textanalytisch identifizierten Positionen signifikante Unterschiede zwischen den Parteien bezeichnen. Nachfolgend klären wir, in wieweit die Positionen die Policy-Outputs in den Ländern erklären. Davon ausgehend identifizieren wir in der abschließenden Diskussion Vorzüge und Herausforderungen quantitativer Textanalyse für die Politikfeldanalyse.

2 Agrarpolitik und die Politik zur Entwicklung ländlicher Räume in Deutschland

Nach Henrichsmeyer und Witzke (1991, S. 13) wird Agrarpolitik definiert als „Teilbereich der allgemeinen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, der schwerpunktmäßig auf die Landwirtschaft und die mit ihr verbundenen Wirtschaftsbereiche und Bevölkerungsgruppen ausgerichtet ist“. Neben der sektoralen Orientierung auf Agrarstrukturen und -preise ist das Politikfeld demzufolge auch sozial und regional ausgerichtet auf die Unterstützung der ländlichen Räume und der dortigen Bevölkerung. Wir wählen das Politikfeld für unsere Analyse, da (1) aufgrund der großen Unterschiede in den Agrarstrukturen der Bundesländer auch Unterschiede in der Herangehensweise der Landesregierungen zu erwarten sind und (2) das Politikfeld aufgrund der Vielschichtigkeit der verfolgten Ziele quer zu den Konfliktlinien liegt, die den Parteienwettbewerb in Deutschland prägen (vgl. z. B. Ewert 2016).

In den folgenden Abschnitten leiten wir unsere Hypothesen her. Dazu werden wir zunächst den Gestaltungsspielraum der Bundesländer im Politikfeld herausarbeiten, der durch die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union lange sehr stark eingeschränkt war, sich aber in den letzten Jahren deutlich erhöht hat. Anschließend stellen wir die sich grundsätzlich gegenüberstehenden Paradigmen der Landwirtschaftspolitik vor, die analytischer Ausgangspunkt der Positionierung der Parteien und Regierungen sind.

2.1 Länderpolitik in einem europäisierten Politikfeld

Landwirtschaftspolitik ist seit den 1950er Jahren europäisch geprägt. Bereits in den Römischen Verträgen (1957, Artikel 38) wurde festgelegt, dass die Landwirtschaft Teil des Gemeinsamen Marktes ist. Dabei entwickelte sich die GAP in der Folge zu einem Subventionssystem, das die Stabilität der Preise ins Zentrum stellte. Dieses System geriet spätestens in den 1980er Jahren an seine Grenzen. Während die Überproduktion, die hohen Ausgaben und das Aufkommen neuer Anforderungen an Landwirtschaft (z. B. Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz) einen hohen inneren Reformdruck erzeugten, stieg ab den 1990er Jahren im Rahmen der WTO-Verhandlungen auch der äußere Druck spürbar an.Footnote 1 Es kam zu mehreren grundlegenden Reformen (vgl. Garzon 2006). Hinsichtlich der Gestaltungsspielräume für die Länder war dabei insbesondere die Unterteilung der GAP in zwei Säulen Anfang der 2000er Jahre bedeutsam. Während die erste Säule sektoral auf die Landwirtschaft ausgerichtet ist, ist die zweite Säule mit dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) eher regional orientiert.

Die Reformen bedeuteten insgesamt eine gewisse Re-Nationalisierung der GAP (z. B. Swinbank und Daugbjerg 2006, S. 56). In Deutschland hatten die Länder schon vor diesen Reformen Kompetenzen im Bereich der Agrarstruktur- und Agrarumweltpolitik, die Verflechtung mit dem europäischen ELER erhöhte jedoch die Spielräume spürbar (Grajewski und Mehl 2008). Deutschland nutzte die in der ELER-Verordnung gegebene Möglichkeit, den Ländern die Aufgabe der Erstellung regionaler Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums zu übertragen, die jeweils eine siebenjährige Laufzeit haben. Die Kompetenz der Programmerstellung und der Umsetzung macht die Bundesländer zu entscheidenden Akteuren der Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums.Footnote 2 Die finanziellen Mittel aus dem ELER und der GAK geben dabei auch den ärmeren Ländern deutliche Gestaltungsspielräume. Aus dieser Entwicklung leitet sich unsere erste Hypothese ab:

H1

Ab Mitte der 2000er Jahre gewinnt das Thema „ländliche Räume“ innerhalb des gesamten Politikfeldes Landwirtschaft an Bedeutung.

In der Ausgestaltung der Programme unterscheiden sich die Länder erstaunlich deutlich. Bereits in der ersten Förderphase (2007–2013) waren die Aufnahme und die finanzielle Ausstattung der von der ELER-Verordnung vorgegebenen Maßnahmen ausgesprochen heterogen (Tietz 2007). Für die aktuelle Förderperiode (2014–2020) ergibt sich ein ähnlicher Befund: So stellen die Länder für Agrarumweltmaßnahmen und zur Förderung des ökologischen Landbaus in ihren regionalen Programmen zwischen 19,9 (Sachsen) und 46,1 % (Bayern) des Gesamtbudgets bereit (Ewert 2016, S. 242–247). Deutliche Unterschiede sind zudem bei den mit der Förderung verbundenen Vorgaben zu erkennen, die sich etwa auf die Höhe des Viehbesatzes oder die Lagerung der Gülle beziehen. Wir gehen davon aus, dass diese Unterschiede teilweise Merkmale der jeweiligen Agrarsektoren widerspiegeln. Die Bundesländer unterscheiden sich etwa massiv in der Größe der landwirtschaftlichen Unternehmen und in der Bevölkerungsdichte.

2.2 Paradigmen der Landwirtschaftspolitik

Folgt man dem politikfeldanalytischen Ansatz Peter Halls (1993), nach dem sich Entwicklungen in einem Politikfeld auch über paradigmatische Wandel abbilden können, lassen sich mehrere agrarpolitische Paradigmen mit jeweils grundsätzlich unterschiedlichen Ideen, Zielen und Instrumenten bzw. Institutionen unterscheiden. Dabei bilden das Paradigma des Produktivismus und das Paradigma der Multifunktionalität bzw. Nachhaltigkeit zwei unterschiedliche Grundkonzeptionen, die den agrarpolitischen Diskurs in Europa seit den 2000er Jahren prägen (z. B. Muirhead und Almås 2012; Durand und Van Huylenbroeck 2003). Die in diesen Diskursen aufgezeigten unterschiedlichen Grundvorstellungen sollten sich auch in den Positionen der Landesregierungen wiederfinden.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierte sowohl in den USA als auch in Europa die Vorstellung einer landwirtschaftlichen Sonderstellung (agricultural exceptionalism). Bedingt durch die besondere Anfälligkeit des Agrarsektors sowie die zentrale Relevanz der Sicherstellung der Ernährung der Bevölkerung hatte sich eine subventionsbasierte, auf die Erhöhung der Produktionsergebnisse orientierte Landwirtschaftspolitik etabliert (vgl. z. B. Fearne 1997). Unter dem oben skizzierten Reformdruck reformierten die USA ihre Landwirtschaft hin zu einem marktliberalen Modell, während Europa weiterhin stark auf staatliche Unterstützung setzte (Skogstad 1998). Die Begründung der Unterstützung teilte sich jedoch gleichsam in zwei Stränge auf: Während die produktivistische Grundvorstellung weiterhin auf die Subventionierung der Produktion preisgünstiger Lebensmittel setzt, entwickelte sich als Alternative das Paradigma einer multifunktionalen bzw. nachhaltigen Agrarpolitik (z. B. OECD 2001; Muirhead und Almås 2012). Es setzt auf die Unterstützung der Landwirte bei der Erbringung öffentlicher Güter wie der Erhaltung der Kulturlandschaft und der Biodiversität sowie die öffentliche Finanzierung von Entwicklungsprojekten für den ländlichen Raum insgesamt. Dieser Begründungsansatz von Subventionen lässt sich als Post-exceptionalism charakterisieren (Daugbjerg und Feindt 2017). Die Ziele und Instrumente der GAP der EU stellen einen Mix dieser unterschiedlichen Grundvorstellungen dar (Feindt 2018).

Dieses paradigmatische Spektrum der Agrarpolitik bildet sich dabei auf zwei Dimensionen ab. Zum einen stehen sich die Positionen einer starken Förderung auch der konventionellen Landwirtschaft und einer Stärkung des ökologischen Anbaus gegenüber. Während erstere Position über die Notwendigkeit der Produktion preiswerter Lebensmittel gerechtfertigt wird (Produktivismus), begründet sich die gegenüberstehende Forderung über Zielstellungen aus dem Bereich der Nachhaltigkeit wie die Förderung der Biodiversität (Multifunktionalität). Zum anderen steht die Position einer sektoralen Fokussierung auf die Landwirtschaft (landwirtschaftliche Produktion) der Position einer Förderung des ländlichen Raums insgesamt (Multifunktionalität) gegenüber. Entsprechend erwarten wir für die Bundesländer die folgenden Muster:

H2

Die Unterschiede zwischen den Positionen der Landesregierungen lassen sich zweidimensional im benannten paradigmatischen Spektrum verorten.

H3

Im Beobachtungszeitraum sind die Positionen der Landesregierungen zunehmend vom Paradigma der Multifunktionalität und der Nachhaltigkeit geprägt.

2.3 Parteipolitik und Koalitionsregierungen

Im Gegensatz zu anderen Politikfeldern ist in der korporatistisch geprägten Landwirtschaftspolitik ein eher gradueller Paradigmenwechsel beobachtbar (vgl. Coleman et al. 1996). Verschiedene Verbände nehmen im paradigmatischen Spektrum verschiedene Positionen ein (vgl. Abschn. 5.1) und stehen dabei auf der einen Seite der CDU/CSU und auf der anderen Seite den Grünen nahe (Feindt 2009). Die Unionsparteien gelten dabei als traditionelle Verbündete der Landwirte, während die Grünen als Befürworter einer grundsätzlichen Agrarwende angesehen werden (Tosun 2017, S. 1627). Daher ist davon auszugehen, dass aus der Beteiligung verschiedener Parteien an den Regierungen Unterschiede resultieren. Hinsichtlich der Ausgestaltung der EPLR konnte bislang kein direkter Einfluss einer Regierungsbeteiligung der Grünen festgestellt werden (Ewert 2016). Wir gehen jedoch trotz der in der Einleitung skizzierten begrenzenden Effekte der Beteiligung einzelner Parteien davon aus, dass sich Unterschiede zumindest in den formulierten Zielen finden:

H4

Die Positionen der Landesregierungen sind stärker vom Paradigma der Multifunktionalität und der Nachhaltigkeit geprägt, wenn die Grünen an der Regierung beteiligt sind. Bei Beteiligung der Unionsparteien ist die Position stärker produktivistisch orientiert.

3 Methoden und Daten

Um unsere theoretischen Erwartungen empirisch zu überprüfen, nutzen wir Verfahren der quantitativen Textanalyse, um hierüber sowohl die über den Zeitverlauf hinweg diskutierten Themen als auch die Positionen der jeweiligen Regierungen im Politikfeld der Agrarpolitik zu bestimmen. Wir untersuchen Koalitionsverträge und – im Falle von Alleinregierungen – Wahlprogramme. Nachfolgend stellen wir die hierbei genutzten Methoden und Daten vor.

3.1 Themenanalyse mittels Structural Topic Models

Die Analyse der Themenvielfalt dient dazu aufzuzeigen, wie sich das Politikfeld der Agrarpolitik gewandelt hat und wie, unabhängig von der politischen Färbung der jeweiligen Regierung, neue Inhalte in den Vordergrund rückten, während andere Themen in den Hintergrund geraten sind. Um diese Analyse durchzuführen, nutzen wir ein so genanntes Structural Topic Model (STM; Roberts et al. 2014). STM gehört zu der rasant wachsenden Gruppe von Topic Models, welche zum Ziel haben, aus Texten unterschiedliche Themen zu extrahieren (Blei 2012). Die grundlegende Annahme hinter diesem Verfahren ist, dass ein Text als Kombination verschiedener Themen dargestellt werden kann. Das Topic Model extrahiert dann die Themen anhand von Wörtern, die häufig in Kombination miteinander auftauchen. Das STM hat sich in den letzten Jahren in der politikwissenschaftlichen Forschung als ein Standardverfahren durchgesetzt, welches insbesondere dadurch hervorsticht, dass es bei der Identifikation der Themen unabhängige Variablen berücksichtigen kann und hierüber in der Regel zu einer präziseren Themenextraktion kommt. Wie viele andere Topic Models auch handelt es sich bei STM um ein automatisiertes Verfahren, so dass die gefundenen Themen anhand von thematisch besonders repräsentativen Wörtern erst inhaltlich interpretiert werden müssen. Die Anzahl der zu findenden Themen ist durch die Forscherin festzulegen.

3.2 Positionsanalyse anhand von Textskalierungsverfahren

In einem zweiten Schritt nutzen wir Verfahren zur Skalierung von Texten, um hierüber die Positionen der Regierungen auf Konfliktdimensionen in der Agrarpolitik zu bestimmen. Wir gehen davon aus, dass empirische Analysen der Parteiendifferenzhypothese über Kodierungen auf Basis der Parteilabels hinausgehen sollten. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Zuge eines sich immer weiter fragmentierenden Parteiensystems die Positionen zunehmend komplexer und atypisch werden. In anderen Worten heißt dies, dass anstelle des Verwendens von kategorialen Einheiten (Parteien) ein metrisches Verständnis von Politikpositionen sinnvoller scheint, um mehr über den Einfluss von Parteipositionen auf Politikinhalte zu erfahren.

Um die Position von Regierungen in einem Politikfeld zu bestimmen, bieten sich Koalitionsverträge bzw. im Falle von Alleinregierungen Wahlprogramme als Quelle besonders an. In diesen Verträgen werden die grundsätzlichen Prinzipien der jeweiligen Politik bestimmt. Zugleich sind Koalitionsverträge bzw. Wahlprogramme in Form und Stil gut über Bundeslandgrenzen hinweg vergleichbar. Entsprechend hat sich in den letzten Jahren eine Reihe von (teil-)automatisierten Verfahren entwickelt, welche darauf abzielen, aus Texten Positionen zu bestimmen.Footnote 3 Diese Verfahren werden insbesondere angewendet, um Wahlprogramme und Koalitionsverträge zu skalieren. Konkret handelt es sich bei den von uns verwendeten Verfahren um „Wordscores“ (Laver et al. 2003) und „Wordfish“ (Slapin und Proksch 2008). Beide Verfahren sind prinzipiell dazu geeignet, Positionen aus Texten zu extrahieren. Die Verfahren basieren aber auf unterschiedlichen Annahmen, weshalb wir sie im Folgenden beide diskutieren und auf das Politikfeld der Agrarpolitik anwenden.

Wordscores basiert im Wesentlichen auf der Idee, anhand von Texten, deren Positionen bereits bekannt sind (sog. „Referenztexte“), auf die Positionen von Texten zu schließen, deren Positionen nicht bekannt sind. In einem ersten Schritt werden den Referenztexten Werte zugewiesen. Dies setzt die Identifikation inhaltlicher Dimensionen und die Positionierung der Referenztexte voraus. Idealerweise sind die Positionen der Referenztexte anhand weitgehend unabhängiger Quellen bekannt. Für den Fall der Agrarpolitik existieren solche externen Positionseinschätzungen jedoch nicht. Daher weisen wir den von uns gewählten Referenztexten jeweils Werte von −1 oder +1 zu, je nachdem welche inhaltliche Dimension sie widerspiegeln sollen. Auf Grundlage der Position der Referenztexte berechnet Wordscores anschließend einen Wert für jedes in den Referenztexten verwendete Wort. Diese Werte reflektieren, ob das Wort besonders häufig von Texten verwendet wurde, die an einem Ende der Dimension liegen, oder ob das Wort von allen Texten ungefähr gleich häufig verwendet wurde. Diese Werte der einzelnen Wörter werden dann verwendet, um die Position der Texte zu berechnen, deren Position nicht bekannt ist.

Als zweite Methode der Positionsextraktion nutzen wir das von Slapin und Proksch (2008) entwickelte „Wordfish“-Verfahren. Dieses Verfahren ist vollständig automatisiert und kommt ohne die Verwendung von Referenztexten aus. Stattdessen extrahiert Wordfish anhand statistischer Verfahren eine latente Dimension, anhand der sich die Texte unterscheiden. Diese Dimension wird insbesondere aufgrund von Wörtern bestimmt, die häufig in manchen und selten in anderen Texten vorkommen. Diese Wörter „diskriminieren“ im statistischen Sinne, d. h. es sind Wörter, die zu einer systematischen Unterschiedlichkeit zwischen den verschiedenen Texten beitragen. Wie diese aus statistischer Perspektive dominante Dimension zu interpretieren ist, ist dann Aufgabe des Wissenschaftlers. Dabei ist zu betonen, dass die von Wordfish identifizierte Dimension inhaltlich relevant sein kann, dies aber nicht zwingend der Fall ist. Werden etwa Texte aus den deutschen Bundesländern analysiert, dann werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch „regionale“ Begriffe verwendet, die nur in Texten aus bestimmten Bundesländern vorkommen. Solche Probleme können vermieden werden, indem die Daten entsprechend vorbereitet werden. So kann im genannten Beispiel festgelegt werden, dass nur Wörter berücksichtigt werden sollen, die in den Texten aus mindestens zwei unterschiedlichen Ländern vorkommen.

3.3 Auswahl und Aufbereitung der Texte

Zunächst haben wir für alle seit 1990 neugewählten Regierungen in den jeweiligen Koalitionsverträgen die Abschnitte zur Agrarpolitik identifiziert und in einem Datensatz abgespeichert.Footnote 4 Dabei ist anzumerken, dass die genutzten Abschnitte verschiedenen agrarpolitischen Themen und Debatten unterschiedlich viel Aufmerksamkeit widmen. Dies stellt kein Problem dar, sondern wird vielmehr als Ausdruck des variierenden Gewichts verschiedener Paradigmen interpretiert und resultiert – vermittelt über die jeweils verwendeten Worte – in entsprechend unterschiedlichen Positionen.

Der so erstellte Datensatz umfasst also Informationen zu den jeweiligen Regierungen (Bundesland, Jahr der Landtagswahl, an der Koalition beteiligte Parteien, Parteizugehörigkeit des Landwirtschaftsministers) und die jeweils relevanten Ausschnitte zur Agrarpolitik. Diesen Datensatz lesen wir in das Programm R ein, um die Daten anschließend mit dem R Package „quanteda“ (Benoit und Nulty 2018) zu analysieren.Footnote 5 Insgesamt umfasst der Datensatz zunächst 107 Beobachtungen. Allerdings unterscheiden sich die Textabschnitte zur Agrarpolitik deutlich hinsichtlich ihrer Länge. So ist der Anteil der Textabschnitte am Koalitionsvertrag etwa in den Bundesländern besonders groß, in denen die Landwirtschaft eine zentrale Rolle spielt (bspw. Schleswig-Holstein 2005, Mecklenburg-Vorpommern 2006, 2011, 2016). Die unterschiedliche Länge der Programme stellt insofern ein potentielles Problem dar, als dass bei kurzen Texten Aussagen über die ihnen zugrunde liegende Position zunehmend unsicher sind. Wir setzen als Limit eine Mindestlänge von 200 Wörtern, wodurch sich die Anzahl der Fälle auf 83 reduziert.

Für die empirische Analyse reduzieren wir den in den Texten enthaltenen Wortschatz. Unbearbeitet umfasst der Datensatz 13.703 Wörter. Nach den notwendigen und üblichen Bearbeitungsschritten (z. B. Entfernung von „Stopwords“) sind noch 9604 Wörter übrig. Eine deutlich stärkere Reduzierung der Wortanzahl erhalten wir, indem wir festlegen, dass ein Begriff in mindestens zwei Bundesländern verwendet wird und insgesamt in mindestens fünf Texten auftauchen muss. Hierdurch verbleiben nur noch 4236 Wörter für die Analyse, die somit jedoch gesichert nicht spezifisch für eine Region sind. Basierend auf diesem Datensatz werden wir nun im nachfolgenden Abschnitt die Analyse der Regierungspositionen darstellen.

4 Themenentwicklung im Politikfeld der Agrarpolitik

Auf unseren Textkorpus haben wir, wie im vorherigen Abschnitt beschrieben, ein Structural Topic Model (STM) angewendet, um die Entwicklung der jeweiligen Politikinhalte im Feld der Agrarpolitik näher zu betrachten. Wir haben ein STM mit insgesamt sechs Themen berechnet. Die Wörter, die auf die jeweiligen Themen am stärksten laden, sind in Tab. 1 dargestellt. In der letzten Spalte wird der durchschnittliche Anteil dieser Themen am Gesamttextkorpus wiedergegeben und in der vorletzten Spalte das von uns dem Thema jeweils zugewiesene Label.

Tab. 1 Ergebnisse des Structural Topic Models: Themen, Label und Anteile

Ungefähr die Hälfte des Korpus wird von den Themen 4 und 5 abgedeckt (jeweils knapp über 25 %). Basierend auf den auf die Themen ladenden Wörtern kommen wir zu dem Schluss, dass es beim vierten Thema allgemein um die landwirtschaftliche Produktion geht. Das fünfte Thema wird hingegen durch Wörter definiert, die sich allesamt der Gestaltung und dem Wandel des ländlichen Raums widmen. Das erste Thema identifiziert Abschnitte in den Texten, die sich mit dem Verbraucherschutz auseinandersetzen. Das zweite Thema befasst sich maßgeblich mit erneuerbaren Energien. Das dritte Thema bezeichnen wir als „Multifunktionalität“, da hier Aspekte wie Artenschutz und Tierschutz zentral sind. Das sechste Thema beinhaltet zum einen den speziellen Bereich des Weinbaus und umfasst zudem Begriffe, die eher einem grünen Verständnis von Agrarpolitik zuzuordnen sind.

Die in Tab. 1 dargestellten Werte bezeichnen die durchschnittlichen Anteile der Themen am gesamten Textkorpus. Um Rückschlüsse über die Entwicklung des Politikfelds ziehen zu können, stellen wir in Abb. 1 die Entwicklung der Themen zwischen 1990 und 2016 dar. Die x‑Achse stellt die Zeitachse dar und auf der y‑Achse werden die Themenanteile abgebildet. Die Linien innerhalb der Abbildungen sind loess-Smoother und die grauen Flächen sind 90 %-Konfidenzintervalle. Als grobe Schlussfolgerung lässt sich aus Bild 4 ablesen, dass das Thema 4 „landwirtschaftliche Produktion“ besonders während der 1990er Jahre dominiert hat. Im Anschluss verlor dieses Thema deutlich an Bedeutung und taucht in aktuellen Dokumenten nicht mehr auf. Stattdessen zeichnet sich die Agrarpolitik inzwischen durch eine breitere Themenvielfalt aus, was durch den Anstieg nahezu sämtlicher anderer Themen deutlich wird. Eine Ausnahme hiervon stellt das Thema „Ländlicher Raum“ dar. Dies stieg bis in die 2000er Jahre an und ist dann wieder stark abgefallen. Der Anstieg des Themas fällt in die Zeit der ersten Erstellung der ELER-basierten Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum durch die Länder und ist als empirische Bestätigung der Bedeutungszunahme des Politikfeldes „ländlicher Raum“ in der Landespolitik zu interpretieren. Insgesamt finden wir somit durchaus Bestätigung für unsere erste Hypothese sowie die in Hypothese 3 formulierte Erwartung, dass sich in jüngerer Zeit zunehmend die Themen „Multifunktionalität“ und „Nachhaltigkeit“ finden lassen.

Abb. 1
figure 1

Entwicklung der Themenanteile im Zeitraum 1990–2016 (Die y‑Achse stellt die jeweiligen Themenanteile dar. Die x‑Achse gibt die Jahreszahl an. Die Linien sind loess-Smoother mit 90 % Konfidenzintervallen (graue Fläche). Themenanteile berechnet anhand eines Structural Topic Models)

5 Regierungshandeln zwischen Ideologie und Kontext

Die Analyse der Regierungspositionen teilen wir in zwei Abschnitte ein. Zunächst stellen wir deskriptiv die geschätzten Positionen dar. Anschließend widmen wir uns der Erklärungskraft der Positionen mit Blick auf die Politikinhalte.

5.1 Ergebnisse von Wordscores und Wordfish

Während die Analyse von Wordfish nach Vorbereitung der Daten (siehe Abschn. 3) sofort möglich ist, müssen für Wordscores zunächst Referenztexte bestimmt und mit Positionen versehen werden. Dies stellt im Kontext von Koalitionsprogrammen eine Herausforderung dar, da es keine direkt vergleichbaren Dokumente gibt, deren Positionen von vornherein bekannt sind. Wir nutzen daher Veröffentlichungen des Deutschen Bauernverbands (DBV), der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e. V. (AbL), des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) und des Deutschen Landkreistags (DLT), die sich bisweilen relativ klar den zwei potentiell zu erwartenden Dimensionen der Agrarpolitik zuordnen lassen. Aus den Positionspapieren werden vier Referenztexte erstellt, zwei für jede Politikdimension.Footnote 6 Den beiden Texten haben wir dann die Werte −1 bzw. 1 zugewiesen. Auf der ersten Dimension indiziert die Haltung der Agrarverbände zur deutschen „Agrarwende“ Anfang der 2000er Jahre die Positionierung. Während sich der DBV deutlich gegen die Agrarwende der grünen Bundesministerin Künast aussprach, trat die AbL als Befürworterin der neuen Politik hervor und gewann so als „interessenpolitische[r] Hauptkonkurrent[]“ (Rieger 2007, S. 295) des DBV an politischer Kraft (Feindt 2009, S. 85). Die Agrarwende war ein deutlicher Versuch, die Landwirtschaft insgesamt multifunktional und nachhaltig auszurichten. Wir nutzen die Positionen der AbL daher als Referenz für das multifunktionalistische Paradigma, während die DBV-Positionen in unserer Analyse die produktivistische Position abbilden. Die Positionen veröffentlichte die AbL gemeinsam mit verschiedenen Umwelt- und Naturschutzverbänden wie dem BUND und dem WWF. Als ergänzenden Referenztext nutzen wir ein Positionspapier des NABU (2006). Mit dem NABU, dem BUND und dem WWF haben wir drei der wichtigsten agrarpolitisch aktiven Umweltschutzverbände Deutschlands in unsere Analyse aufgenommen (vgl. Feindt 2009, S. 73). Als Interessenverband der Landwirte macht sich der DBV (2014, 2010, 2007) zudem für eine sektoral auf die Agrarwirtschaft ausgerichtete Förderpolitik stark. Diese Texte bilden die Referenztexte der zweiten Dimension. Die Gegenposition vertritt der DLT (2018, 2016, 2012). Der DLT vertritt zwar keine starken Positionen auf der Dimension produktivistische vs. multifunktionale Agrarpolitik, setzt sich aber auf der Dimension Agrarförderung vs. Förderung des ländlichen Raums deutlich für letztere ein.

Die Ergebnisse der Wordscores-Analyse sind in den Abb. 2 und 3 dargestellt. Abb. 2 zeigt die Positionen auf der Dimension „produktivistisch vs. multifunktional“ und Abb. 3 die Ergebnisse für die Dimension „sektoral vs. regional“. Bei Abb. 2 fällt auf, dass sich am oberen bzw. „nachhaltigen“ Ende der Dimension vermehrt Koalitionsabkommen mit Beteiligung der Grünen finden lassen. Am anderen Ende der Dimension finden sich die Programme der CSU. Dies ist durchaus konsistent mit der Erwartung, dass Grüne und Christdemokraten andere Positionen auf dieser Dimension einnehmen (H4). Zu erkennen ist jedoch auch, dass sich die Regierungen mit ähnlicher oder gleicher Parteienbeteiligung teilweise deutlich voneinander unterscheiden. Für die zweite Dimension ergeben sich keine augenscheinlichen Unterschiede zwischen den Parteien.

Abb. 2
figure 2

Geschätzte Position der Koalitionsverträge und Wahlprogramme für die erste Wordscores-Dimension (produktivistisch vs. multifunktional)

Abb. 3
figure 3

Geschätzte Position der Koalitionsverträge und Wahlprogramme für die zweite Wordscores-Dimension (sektoral vs. regional)

Die Ergebnisse der Wordfish-Analyse stellen wir in den Abb. 4 und 5 dar. Was bei den geschätzten Positionen der Regierungen (Abb. 4) am deutlichsten auffällt, ist die eindeutige Korrelation mit den Jahreszahlen. Ältere Programme sind systematisch auf der einen, jüngere Programme eher auf der anderen Seite des Spektrums positioniert. Dies spricht deutlich dafür, dass Wordfish aufgrund des sich wandelnden Politikfelds und dem hiermit einhergehenden Wandel des verwendeten Vokabulars Unterschiede identifiziert. Diese sind aber nur insofern ideologischer Natur, als dass sie den Wandel des Politikfelds abbilden, wie wir ihn bereits durch die Structural Topic Model Analyse nachgezeichnet haben (H3, siehe Abschn. 4).

Abb. 4
figure 4

Wortladungen der Wordfish-Analyse (Die x‑Achse stellt die Stärke der Ladungen dar. Wörter die weiter an den Rändern sind weisen also einen stärkeren Einfluss auf. Die y‑Achse stellt den fixed effect dar. Wörter mit höherem fixed effect werden häufiger verwendet)

Abb. 5
figure 5

Geschätzte Position der Koalitionsverträge und Wahlprogramme basierend auf Wordfish

Um diese Interpretation zu untermauern, bilden wir in Abb. 5 die Wörter ab, die besonders stark auf die jeweilige Dimension laden, d. h. diese Wörter sind besonders relevant für die Positionierung der Texte an den jeweiligen Enden der Dimension. Die x‑Achse bildet die Gewichte der Wörter ab. Je stärker ein Wort an den Rändern der Dimension ist, desto stärker lädt es auf der Dimension. Worte, die nahe bei 0 liegen, sind also von sehr geringer Relevanz für die Positionierung. Die y‑Achse stellt den „Word Fixed Effect“ dar, ein Indikator dafür, wie häufig die Wörter verwendet werden. Hier gilt, dass Wörter mit besonders niedrigen Werten vergleichsweise selten verwendet werden. Es zeigt sich für die eine Seite eine Reihe von Begriffen, die aktuellen Themen der Agrarpolitik zugeordnet werden können (bspw. ‚biodiversitätsstrategi[e]‘), während auf der anderen Seite Begriffe wie „milchquoten“ auftauchen. Hier ist der paradigmatische Wandel im Zeitablauf wiederzuerkennen (H3).

5.2 Erklärung der Politikinhalte

Um zu überprüfen, ob die identifizierten Positionen signifikante Unterschiede zwischen den Parteien reflektieren, berechnen wir zunächst OLS-Regressionen, bei denen die ermittelten Regierungspositionen die abhängige Variable darstellen. Um ein erstes Verständnis für die Positionen zu bekommen, untersuchen wir, ob diese sich zwischen Parteien und über die Zeit systematisch unterscheiden. Bei den Parteien fokussieren wir auf die Grünen und die CDU/CSU und nehmen in die Modelle Dummy-Variablen auf, die Regierungen identifizieren, an denen die jeweilige Partei beteiligt ist. Außerdem schließen wir eine Variable ein, die das jeweilige Wahljahr anzeigt. Zur weiteren Kontrolle berechnen wir auch Modelle, bei denen wir Dummy-Variablen für die Bundesländer einschließen.

Diese Ergebnisse bestätigen sowohl für die Wordfish-Dimension als auch für die erste Wordscores-Dimension unsere Einschätzung. Für die Wordfish-Ergebnisse wird ein maßgeblicher Einfluss der Zeit deutlich. Die an der Regierung beteiligten Parteien spielen hier keine Rolle. Für die erste Wordscores-Dimension, welche die Programme auf der Dimension „produktivistisch vs. multifunktional“ abbildet, gilt dieser Befund nicht. Hier zeigt sich, dass Texte, an denen die Grünen beteiligt sind, systematisch näher am „multifunktionalen“ Ende der Position sind. Wir finden kaum Effekte für die zweite Wordscores-Dimension („sektoral vs. regional“). Hier zeigt sich, dass es einen positiven Zeiteffekt gibt. Kontrolliert man für die Bundesländer, dann zeigt sich auch ein signifikanter Effekt von CDU/CSU, das Muster ist aber nicht eindeutig. Dies kann bedeuten, dass die Dimension „sektoral vs. regional“ nicht parteipolitisch aufgeladen ist. Hypothese 2 kann also nur teilweise bestätigt werden. An dieser Stelle ist die Erklärungskraft der Variablen hervorzuheben, die Unterschiede zwischen den Bundesländern erfassen. Die Positionen der Landesregierungen scheinen – unabhängig von den beteiligten Parteien – vom jeweiligen regionalen Kontext geprägt zu sein (siehe Tab. 2).

Tab. 2 OLS-Regression zur Erklärung der geschätzten Positionen

Ausgehend von der Heterogenität der Positionen der Landesregierungen im Feld der Agrarpolitik stellt sich die Frage, ob diese zur Erklärung von Unterschieden in den Politikergebnissen beitragen. Wir betrachten die Schwerpunktsetzung innerhalb der Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum und zwei Maßnahmen, die sich vergleichsweise klar den identifizierten Paradigmen entsprechend (vgl. Abschn. 2.2) einordnen lassen.Footnote 7 Konkret untersuchen wir den prozentualen Anteil zweier Maßnahmen am jeweiligen Gesamtbudget des Bundeslandes: erstens den Anteil der Mittel, die zur Förderung des ökologischen Landbaus bereitgestellt werden, zweitens den Anteil der Mittel, die zur Entwicklung des ländlichen Raums (LEADER) vorgesehen sind.Footnote 8 Aus dem Analysegegenstand resultiert eine Reduktion der Fallzahl: Da die Stadtstaaten keine (eigenen) Programme umsetzen, gehen 26 Fälle (jeweils zwei Programme für 13 Bundesländer) in die Analyse ein.Footnote 9 Als unabhängige Variablen nutzen wir zum einen die Wordscores-Dimensionen, da diese in der vorherigen Analyse gezeigt haben, dass sie durchaus politische Unterschiede zwischen den Programmen abbilden. Zudem nehmen wir Dummy-Variablen auf, die (1) die einzelnen Bundesländer und (2) Regierungen unter Beteiligung der Grünen identifizieren (siehe Tab. 3).

Tab. 3 OLS-Regression zur Erklärung der Politikergebnisse

Aus den multivariaten Analysen (Tab. 3) ergibt sich folgendes Bild. Für den Anteil an ökologischen Ausgaben gibt es von keiner Wordscores-Dimension einen signifikanten Einfluss. Dieser Anteil wird aber auch nicht durch eine Beteiligung der Grünen oder CDU/CSU beeinflusst.Footnote 10 Diese Ausgaben scheinen also weitgehend unabhängig von der politischen Ausrichtung der Regierung zu sein. Ein anderes Bild ergibt sich für die LEADER-Ausgaben. Hier zeigen die Positionen der Programme auf der „produktivistisch vs. multifunktional“-Dimension positiv signifikante Effekte. Das heißt, eher ökologisch ausgerichtete Regierungen zeigen höhere Ausgaben bei LEADER. Dieser Effekt ist stabil. Er verschwindet auch nicht, wenn man gleichzeitig für die an der Regierung beteiligten Parteien kontrolliert, welche selbst keinen signifikanten Effekt haben. Der Effekt ist auch stabil hinsichtlich des Einschlusses weiterer regionaler Kontrollvariablen.

6 Diskussion

Parteien machen einen Unterschied, sie sind in der Terminologie Halls (1993) Transmissionsriemen des Wandels von Paradigmen. Erfasst man den Effekt unterschiedlicher Positionen auf Politikergebnisse jedoch nur über die Regierungsbeteiligung bestimmter Parteien oder über deren Anteil an den (Kabinetts‑)Sitzen, stößt die Analyse an Grenzen. Wie wir für das Politikfeld Agrarpolitik und Entwicklung ländlicher Räume aufzeigen konnten, finden thematische Schwerpunktveränderungen und paradigmatischer Wandel einerseits über bestimmte Koalitionskonstellationen hinweg statt. Andererseits ist in einigen Bereichen ein Parteieneffekt erkennbar. In dem von uns untersuchten Politikfeld gilt dies insbesondere für die Grünen, die sich – wie in ihren Wahlprogrammen (vgl. Tosun 2017) – auch in Koalitionen deutlich im Paradigma der Nachhaltigkeit und Multifunktionalität verorten und diese Position in den Koalitionsabkommen verankern.

In der Identifizierung der Themenschwerpunkte und -verlagerungen sowie der konkreten Parteipositionen helfen die genutzten Verfahren der Textanalyse Structural Topic Models, Wordscores und Wordfish, unterschiedliche Aspekte von Regierungskonstellationen zu erfassen. Wie unsere explorative Analyse der Erklärung von Politikinhalten jedoch auch verdeutlicht, können die so ermittelten Positionen nur zum Teil einen Beitrag zur Erklärung von Unterschieden in der Agrarpolitik der Bundesländer leisten. Auch wenn hier Fallstudien notwendig sind, um den jeweiligen Mechanismus nachzuzeichnen, ist eine quantitative Textanalyse grundsätzlich gut geeignet, die (Un‑)Ähnlichkeit politischer Akteure unvoreingenommen zu identifizieren.