1 Hintergrund

Die im Jahre 2004/2005 verbindlich eingeführten länderübergreifenden Bildungsstandards stellen das deutsche Bildungssystem vor eine Herausforderung. Lehrkräfte müssen ihre bisherige Orientierung an Lehrplänen oder Prüfungsrichtlinien, d. h. die Orientierung am „Input“ des Unterrichtsgeschehens, hin zu den tatsächlich gezeigten kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schüler und Schülerinnen, d. h. zum „Output“ des Schulsystems, verschieben (vgl. Klieme et al. 2003). Bildungsstandards definieren diese kognitiven Fähigkeiten in Form von zu erreichenden Kompetenzen, die Schüler am Ende eines bestimmten Lernabschnitts erworben haben sollen. Um Lehrkräfte über die Philosophie und die Inhalte der Bildungsstandards zu informieren, liegen bereits vielfältige Materialien vor (z. B. Artelt und Riecke-Baulecke 2004; Blum et al. 2006; Walther et al. 2007). Da aber in den einzelnen Bundesländern keine einheitlichen Implementationsbemühungen erkennbar sind (Krapp 2004; KMK 2005), bleibt trotzdem offen, ob und wie Lehrkräfte diese Materialsammlungen nutzen, um im alltäglichen Unterrichtsgeschehen kompetenzorientiert zu arbeiten, und wie sich diese veränderte Unterrichtskultur möglicherweise auf den Kompetenzerwerb auf Seiten der Schüler und Schülerinnen auswirkt. Im vorliegenden Artikel wird daher erstmals empirisch der Frage nachgegangen, wie die Bildungsstandards Eingang in die Unterrichtspraxis von Lehrkräften in Deutschland finden können. Zunächst stellen wir dazu dar, welche Faktoren überhaupt förderlich für eine flächendeckende und zeitnahe Implementation einer Innovation sein können. Das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, durch eine Intervention Innovationsprozesse zu initiieren und Veränderungen zu beobachten, die sich während der Implementation bei den betroffenen Lehrkräften abspielen. In einem zweiten Abschnitt werden wir genauer die idealtypisch erwarteten Implementationsprozesse beschreiben. Abschließend stellen wir unter Berücksichtigung der als förderlich betrachteten Merkmale eine Intervention zur Implementation der Bildungsstandards im Fach Mathematik vor und legen das Vorgehen zur Begleitforschung dar.

1.1 Förderliche Faktoren zur Implementation von Innovationen

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde eine Intervention mit dem Ziel entwickelt, Lehrkräften die Idee der Bildungsstandards und damit des kompetenzorientierten Unterrichtens näher zu bringen. Wann und wie sich eine Innovation überhaupt verbreiten kann, wurde bereits häufig untersucht (Porter et al. 1988; Porter 1994; Rogers 2003). Im Folgenden werden die vier förderlichen Merkmale beschrieben, die sich wiederholt als einflussreich gezeigt haben und aus denen wir Konsequenzen für unsere Konzeption der Intervention zu den Bildungsstandards ziehen können.

Für die Implementation ist es erstens förderlich, wenn die Innovation spezifisch ist. Je mehr Informationen, Materialien oder Anleitungen es zur Umsetzung einer Innovation gibt, desto klarer wird deren Inhalt für die Beteiligten und desto wahrscheinlicher wird eine neue Idee im alltäglichen Handeln ausprobiert. Zweitens werden Innovationen wahrscheinlicher implementiert, wenn sie als konsistent zu früheren Innovationen und zu bereits existierenden persönlichen Werten und Überzeugungen erlebt werden. Allerdings darf eine Innovation nicht zu ähnlich zu bereits verbreiteten Praktiken erscheinen, sondern der Nutzen gegenüber bisherigen muss erkennbar sein. Drittens ist für den Erfolg einer Innovation wichtig, dass das Umfeld stabil ist, es also personelle Kontinuität gibt und das Reformvorhaben als überdauernd wahrgenommen wird. Die erfolgreiche Verbreitung von Reformen im Schulbereich ist ein Prozess, der bis zu zehn Jahre andauern kann (Cuban 1984; Fullan 2000; Oelkers und Reusser 2008), sodass sich Beteiligte eher engagieren, wenn angenommen werden kann, dass eine Innovation auch noch Jahre später als relevant betrachtet werden wird. Am bedeutsamsten für die Anwendung einer Innovation im Alltag ist viertens, dass eine Innovation an sich Autorität entfaltet und nicht nur mit Hilfe von äußeren Anreizsystemen oder auch Sanktionen durchgesetzt wird (Desimone 2002). Eine Innovation kann beispielsweise Autorität und damit Wertschätzung durch die Beteiligten gewinnen, wenn Personen sich aktiv für eine bestimmte Innovation entschieden haben (Bodilly 1996, 1998; Datnow et al. 1998; Slavin 1999). Eine weitere Möglichkeit, die Wertschätzung einer Innovation im Bildungsbereich zu sichern, ist es, eine Zusammenarbeit der Lehrkräfte in Netzwerken zu ermöglichen, damit Lehrkräfte Expertenwissen über die Innovation erlangen können (Ross et al. 1997; McDonald 1996; Bol et al. 1998; Cooper et al. 1998).

Bei der Implementation einer Innovation im Bildungsbereich handelt es sich insgesamt um einen komplexen Prozess, bei dem nicht nur die Merkmale einer Innovation an sich bedacht werden dürfen, sondern bei dem die Lehrkräfte als unmittelbar Betroffene die zentrale Rolle spielen (vgl. Desimone 2002) und damit bei der Konzeption einer Intervention ebenfalls Berücksichtigung finden sollten. Berends (2000) konnte zeigen, dass konkrete Eigenschaften der Lehrkräfte wie Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, politische Einstellung, Ausbildung oder Berufserfahrung wenig Einfluss auf die Bereitschaft haben, sich mit einer Innovation auseinanderzusetzen. Dagegen stellen die bereits vorhandenen kognitiven Wissensstrukturen einer Personen den entscheidenden Faktor dar, wie genau eine Innovation verstanden wird (sog. Sense-making, Drake 2006). Die Enkodierung, die Speicherung und der Abruf von Informationen werden wesentlich durch bereits existierende Wissensstrukturen einer Person beeinflusst (Schank und Abelson 1977; Rumelhart 1980; Schneider 1991). Das kann beispielsweise zur Folge haben, dass neu eintreffende Informationen durch bereits existierende Wissensstrukturen abgewandelt werden oder dass Informationen schlichtweg ignoriert werden, die nicht zu den persönlichen Einstellungen oder Überzeugungen passen (Keisler und Sproull 1982; Chinn und Brewer 1993). Untersuchungen konnten zeigen, dass Lehrkräfte mit verschiedenen kognitiven Wissensstrukturen eine identische Innovation in völlig unterschiedlichen Art und Weisen für sich interpretieren (Cohen und Barnes 1993; Spillane et al. 2002). Vorhandene kognitive Wissensstrukturen tatsächlich zu verändern, ist ein schwieriger und langwieriger Prozess (Strike und Posner 1985). Ein möglicher Weg stellt dabei die soziale Interaktion und Kommunikation unter Lehrkräften dar, sodass Personen voneinander lernen können und Perspektiven oder Unstimmigkeiten zwischen eigenen Erwartungen und der Innovation aufgezeigt werden, die die Person für sich allein nicht bemerkt hätte (Brown et al. 1989; Brown und Campione 1990). Eine Umgebung, die die Möglichkeit gibt, in einer Gruppe die tieferliegenden Strukturen einer Innovation zu hinterfragen und zu verstehen, kann demnach potenziell zu einem tieferen Verständnis der Innovation und auch zu einer Veränderung von Wissensstrukturen und Handlungen führen (Coburn 2003).

Zusammengefasst sollten bei der Konzeption einer Intervention zur Implementation der Bildungsstandards auf die Ausgestaltung der Innovation geachtet werden, und gleichzeitig muss dafür Sorge getragen werden, dass Lehrkräfte als diejenigen, die diese Innovation umsetzen sollen, mit dieser auch tatsächlich in der Art und Weise arbeiten, wie sie von den Reformgebern (KMK 2006) intendiert wurde. Um die Implementation der Bildungsstandards im schulischen Alltag zu fördern, wurde daher ein Interventionskonzept entwickelt, das diese beiden Aspekte berücksichtigen soll. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, eine spezifische Intervention zur Implementation der Bildungsstandards wissenschaftlich zu begleiten und zu evaluieren, ob durch die Intervention tatsächlich Veränderungen auf Seiten der Lehrkräfte, ihres unterrichtlichen Handelns und auf Seiten der Schüler und Schülerinnen stattfinden. Der folgende Abschnitt gibt einen Überblick, wie nach theoretischer Vorstellung Implementationsprozesse idealtypisch verlaufen können.

1.2 Phasen der Implementation einer Innovation

Bei dem Prozess der Implementation einer Innovation handelt es sich nicht um einen einphasigen Prozess (vgl. Holtappels 2005). Der Concern-theoretische Ansatz von Hall und Hord (2006) beschäftigt sich genauer mit der Auseinandersetzung von Lehrkräften mit Innovationen, also mit Gefühlen, Gedanken, Besorgnissen (sog. Concerns), die Personen durchleben, wenn sie sich in einer Umbruchsituation befinden. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die erfolgreiche Übernahme einer Veränderung in mehreren Phasen vollzieht, in denen sich Personen jeweils mit verschiedenen Themenschwerpunkten auseinandersetzen. Wird eine Innovation neu eingeführt, haben Personen demnach zunächst einen selbstbezogenen Fokus in ihrer Auseinandersetzung mit dem Neuen. Sie beschäftigen sich daher damit, was die Reform für die eigene Person zu bedeuten hat und der eigenen meist neu zu definierenden Rolle, welche die Innovation mit sich bringt. Nachdem die Personen die Möglichkeit hatten, sich mit den neuen Konzepten vertraut zu machen, treten stärker aufgabenbezogene Concerns in den Vordergrund, wie beispielsweise die Gedanken darum, welche konkreten Arbeitsmaterialien zur Umsetzung einer innovativen Unterrichtsgestaltung benötigt werden. Schließlich setzen sich Personen mit außenbezogenen Concerns auseinander, d. h., sie beschäftigen sich beispielsweise damit, welche Auswirkungen auf die Lernenden zu erwarten sind und wie der eigene Unterricht in Zusammenarbeit mit Kollegen und Kolleginnen weiter verbessert werden könnte. Zur Erfassung dieser verschiedenen Phasen der kognitiven Auseinandersetzung mit einer Innovation konstruierten Hall und Hord (2006) den Stages-of-Concern (SoC)-Fragebogen. Im SoC-Fragebogen werden die drei Phasen der Auseinandersetzung nochmals differenziert erfasst, sodass insgesamt sieben Stufen von Concerns unterschieden werden, die als Prozess-Stadien konzeptualisiert werden. Idealtypisch verschieben Individuen im Verlauf eines Implementationsprozesses den Fokus ihrer kognitiven Beschäftigung wie einen Wellenberg von der ersten bis zur siebten Stufe. Dieses Prozessmodell legt nahe, dass es eine Zeit dauert, bis eine Innovation von der Mehrheit der betroffenen Personen akzeptiert wird. Arbeiten der Diffusionsforschung belegen wiederholt, dass im zeitlichen Verlauf betrachtet zunächst nur wenige Personen eine Änderung annehmen (Early Adopters), dann im weiteren Verlauf die Anzahl allerdings rasch ansteigt, bis ungefähr die Hälfte der Personen die Innovation implementiert hat und schließlich die Häufigkeit der Annahme pro Zeiteinheit wieder abnimmt (vgl. Rogers 2003).

Der SoC-Fragebogen von Hall und Hord stellt unserer Ansicht nach ein geeignetes Mittel dar, um eine zunehmende Auseinandersetzung mit der Idee der Bildungsstandards auf Seiten der Lehrkräfte während des langwierigen Prozesses der Implementation einer Large-Scale Reform abzubilden. Um kurz nach der Einführung der Bildungsstandards die kognitive Auseinandersetzung der Lehrkräfte in Deutschland mit dieser Innovation abzubilden, haben wir auf der Grundlage des Concern-Ansatzes von Hall und Hord eine länderübergreifende Studie durchgeführt (Pant et al. 2008a, b). Es wurde einer bundesweit repräsentativen Stichprobe von über 1000 Grundschullehrkräften sowie 500 Lehrkräften der Fächer Mathematik, Englisch und Französisch aller weiterführenden Schulformen der ins Deutsche übersetzte und konkret auf Bildungsstandards adaptierte SoC-Fragebogen zur Bearbeitung vorgelegt. Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl Lehrkräfte im Grundschulbereich als auch im Bereich der Sekundarstufe I kurz nach Beginn der Implementation ein relativ homogenes Einstellungsprofil zum standard- und kompetenzorientierten Unterrichten aufweisen und zum Typ der „Selbstorientierten Kooperierer“ gehören (vgl. Bitan-Friedlander et al. 2004). Die Schwerpunkte der Auseinandersetzung liegen mehrheitlich sowohl auf selbstbezogenen Concerns als auch auf außenbezogenen Concerns. Vergleichsweise gering beschäftigen sich die Lehrkräfte mit aufgabenbezogenen Concerns, also mit der konkreten Umsetzung und Anwendung der Bildungsstandards. Diese erste systematische Untersuchung zur Implementation der Bildungsstandards weist damit darauf hin, dass Lehrkräfte den Bildungsstandards zwar aufgeschlossen gegenüberstehen, dass sie sich aber noch ungenügend über die Innovation informiert fühlen und kompetenzorientierter Unterricht noch nicht zum Schulalltag der Lehrkräfte gehört. Idealerweise sollten sich Lehrkräfte dann in einigen Jahren mit der konkreten Umsetzung der Standards kognitiv beschäftigen und sich stärker mit außenbezogenen Concerns auseinandersetzen, d. h. mit Kolleginnen und Kollegen an der Realisierung und Optimierung konkreter kompetenzorientierter Unterrichtsmodule arbeiten. Vor dem Hintergrund dieses Concerns-theoretischen Ansatzes wird die konkrete Intervention im folgenden Abschnitt zusammen mit der durchgeführten Begleitforschung dargestellt.

1.3 Die Intervention und Begleitforschung zur Implementation der Bildungsstandards

Um Lehrkräfte bei dem langwierigen Prozess der Einführung der Bildungsstandards zu unterstützen, wurde in einer Kooperation zwischen der Humboldt-Universität zu Berlin und einem Landesinstitut für Lehrerbildung (Landesinstitut für Schule und Medien [LISUM] Berlin-Brandenburg) ein Fortbildungskonzept für das Fach Mathematik in der Sekundarstufe I entwickelt (vgl. Zeitler et al. 2009).

Bei den Bildungsstandards handelt es sich um eine top-down angeordnete Reform, für die die Inhalte explizit festgelegt sind. Allerdings sollten in unserer Intervention Lehrkräften Materialien, konkrete Anregungen und Handwerkszeug an die Hand gegeben werden, mit deren Hilfe ein tieferes Verständnis sowie eine einfache erste Anwendung im Unterricht ermöglicht wird, sodass die Idee der Bildungsstandards von den Lehrkräften als möglichst spezifisch wahrgenommen werden kann. Um die Konsistenz der Innovation zu bisherigen Praktiken zu verdeutlichen – mit den Bildungsstandards wird kein völlig neuer Unterricht, sondern ein Umdenken gefordert (vgl. Klieme et al. 2003) –, sollte die Intervention Wissen über die Bildungsstandards vermitteln, das direkt an den Erfahrungsraum der Lehrkräfte anknüpft. Dazu initiierte, moderierte und begleitete eine erfahrene Koordinatorin einen Prozess der fachbezogenen Unterrichtsentwicklung an den beteiligten Schulen. An sechs bis acht Treffen innerhalb eines Schuljahres konnten sich Lehrkräfte dazu aus acht Modulen Themen wählen. Die ersten beiden Module (Bildungsstandards und Aufgaben) waren verbindlich für alle teilnehmenden Schulen und sie nahmen den Großteil der Fortbildungszeit in Anspruch; aus den verbleibenden sechs Modulen konnten die Schulen je nach Bedarf frei wählen (Entdecken und Üben, Diagnose und Fördern, Leistungsmessung, Langfristiger Kompetenzaufbau, Schulinternes Curriculum, Lebensweltbezug). Durch die Verbindlichkeit der ersten beiden Module sollte sichergestellt werden, dass alle Lehrkräfte mit der Idee der Bildungsstandards vertraut gemacht werden und dass sie über Wissen verfügen, wie die Idee der Bildungsstandards über den geeigneten Einsatz von kompetenzorientierten Aufgaben im Unterricht umgesetzt werden kann. In diesem Rahmen konnten die Lehrkräfte beispielsweise bisher eingesetzte Aufgaben auf die Kompetenzorientierung hin überprüfen und Aufgaben gemeinsam so verändern, dass aus bisher eingesetzten Aufgaben kognitiv anspruchsvolle Aufgaben entstanden (Baumert et al. 2004; Ditton 2006; Kunter und Voss 2011). Verschiedene Varianten von Aufgaben konnten im Unterricht eingesetzt und die Erfahrungen in der Fachgruppe ausgetauscht werden. Des Weiteren wurden in den zusätzlichen freiwilligen Modulen beispielsweise jahrgangsübergreifende kompetenzorientierte Klassenarbeiten von Teams erstellt und zusammen ausgewertet, neue Methoden der Unterrichtsführung entwickelt und Formen des intelligenten Übens erprobt. Zur Umsetzung dieser Themen brachte die Koordinatorin zu den gemeinsamen Treffen Impulse und geeignete Materialien mit, die Hauptarbeit leisteten die Lehrkräfte jedoch zwischen den gemeinsamen Treffen mit der Koordinatorin.

Die Förderung von Kooperation und Kommunikation innerhalb einer Fachgruppe sollte das Risiko vermindern, dass die beteiligten Lehrkräfte die Intervention vornehmlich in Abhängigkeit der jeweils bestehenden eigenen kognitiven Wissensstrukturen interpretieren (Desimone 2002), und sollte gleichzeitig ermöglichen, dass die Innovation Autorität und Wertschätzung erhält (Porter et al. 1988; Porter 1994). Dem Aufbau von professionellen Kooperationsstrukturen in einer Fachgruppe kommt bei der Einführung der Bildungsstandards eine besondere Rolle zu. Im deutschen Schulsystem stellt die professionelle Zusammenarbeit unter den Lehrkräften eher die Ausnahme dar (Terhart 1987, 1995, 1996), gleichzeitig zeigen verschiedene Untersuchungen, dass Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften zur Schulentwicklung positiv beitragen (z. B. Luyten 1994; Scheerens und Bosker 1997; Sammons 1999). Um die Kooperation zwischen den Lehrkräften im Rahmen unserer Intervention zu fördern, fanden die Treffen der Koordinatorin jeweils mit dem gesamten Mathematik-Kollegium einer Schule statt, sodass sich die Lehrkräfte gemeinsam mit dem Konzept der Bildungsstandards vertraut machten, über die eigene Unterrichtspraxis reflektierten sowie Ideen entwickelten und erprobten, wie auf der Basis der Standards unterrichtet werden kann. Außerdem wurden in regelmäßigen Abständen gemeinsame Fortbildungsveranstaltungen für alle teilnehmenden Schulen beispielsweise zur Effizienz der Zusammenarbeit, zur Teamentwicklung oder zur Feedback-Kultur von ausgewiesenen Expertinnen und Experten des jeweiligen Feldes durchgeführt. Diese Veranstaltungen gaben den Lehrkräften überdies die Möglichkeit, Kontakte zu den anderen Schulen herzustellen und damit Materialien und Ideen auszutauschen.

Insgesamt kombiniert die Intervention zur Implementation der Bildungsstandards somit Aspekte der professionellen Kooperation von Lehrkräften und der Wissensvermittlung und damit verbundenen konkreten Handlungsmöglichkeiten im Klassenzimmer. Dass eine solche Kombination unter den Rahmenbedingungen des deutschen Schulsystems erfolgreich sein kann, zeigt das BLK-Programm SINUS (Steigerung der Effizienz mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts, vgl. Hertrampf 2003; Prenzel et al. 2005).

Um Aussagen über Veränderungen bei Lehrkräften und Schülern und Schülerinnen treffen zu können, fanden sowohl zu Beginn als auch nach einem Jahr der Projektarbeit umfangreiche Datenerhebungen statt. Zusätzlich wurden diese Datenerhebungen zeitgleich an weiteren acht Schulen, die keine Intervention erhielten, durchgeführt. Mit Hilfe dieses Kontrollgruppen-Designs sollen erstens Aussagen über die Kooperation innerhalb der Mathematik-Kollegien getroffen werden. Da das Implementationsprojekt insbesondere die Zusammenarbeit unter den Lehrkräften verstärken soll, erwarten wir, dass die Lehrkräfte der Projektschulen nach einem Jahr Projektarbeit stärker untereinander kooperieren als die Lehrkräfte der Vergleichsschulen. Zweitens soll im Rahmen der Begleitforschung die Wirksamkeit des Implementationskonzepts auf der Basis des Concern-Ansatzes von Hall und Hord (2006) auf der kognitiven Ebene und der Handlungsebene von Lehrkräften untersucht werden. Da sich die Lehrkräfte im Laufe des Projektjahres nicht nur mehr Wissen über die Bildungsstandards aneignen, sondern auch tatsächlich konkrete Handlungsvorschläge ausarbeiten, um mit ihren Schülern und Schülerinnen kompetenzorientiert zu arbeiten, erwarten wir, dass sich die Lehrkräfte der Projektschulen im Laufe des Projektjahres intensiver mit der Thematik der Bildungsstandards auseinandersetzen und häufiger kompetenzorientiert arbeiten, während wir für die Lehrkräfte der Vergleichsgruppe nur geringe bis keine Veränderungen über die Zeit erwarten.

Um die Frage nach der kognitiven Auseinandersetzung mit den Bildungsstandards zu beantworten, konnte auf einen bereits entsprechend adaptierten und erprobten Fragebogen zu den Stages of Concerns (SoC, Pant et al. 2008a, b) zurückgegriffen werden. Erwartet wurde, dass die Lehrkräfte der Projektschulen ihren Fokus der Beschäftigung von den selbstbezogenen Concerns zu den außenbezogenen Concerns hin verschieben, während wir bei den Lehrkräften der Vergleichsschulen eine geringere Veränderung erwarteten. Um die Arbeit mit den Bildungsstandards im Unterricht zu überprüfen, wurde ein Fragebogen neu konstruiert, da bisher keine geeigneten Fragebögen zu diesem Thema zur Verfügung standen. Er erfasst konkret die Häufigkeit von durch Lehrkräften initiierten kompetenzbezogenen Schülertätigkeiten für jede der sechs prozess-orientierten allgemeinen mathematischen Kompetenzen, die in den Bildungsstandards definiert werden (Blum et al. 2006). Wir erwarten, dass die Lehrkräfte der Projektschulen angeben, nach einem Jahr der Teilnahme am Implementationsprojekt häufiger kompetenzorientiert zu arbeiten, während sich bei den Lehrkräften der Vergleichsschulen keine vergleichbaren Zuwächse über die Zeit zeigen sollten.

Diese Veränderungen auf der Seite der Lehrkräfte sollen sich idealerweise auch in den Leistungen der Schüler und Schülerinnen in standardbasierten Leistungstests niederschlagen. Demnach erwarten wir schließlich einen Leistungszuwachs bei den Schülern und Schülerinnen vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt, wobei der Leistungszuwachs in den Projektschulen größer sein sollte als in den Vergleichsschulen.

2 Methode

2.1 Stichprobe

Insgesamt wurden fünf Berliner und vier Brandenburger Schulen zufällig als Projektschulen (davon vier Gymnasien, eine Realschule, zwei Gesamtschulen, zwei Oberschulen) und je vier Berliner und Brandenburger Schulen als Vergleichsschulen (davon drei Gymnasien, zwei Realschulen, zwei Gesamtschulen, zwei Oberschulen) für die Teilnahme an dieser Untersuchung geworben. In die Untersuchung wurden keine Hauptschulen einbezogen, da nur Schulen ausgewählt wurden, an denen Schülerinnen und Schüler den Mittleren Schulabschluss zum Ende der 10. Jahrgangsstufe ablegen können. Auf diese Zielpopulation beziehen sich die Vorgaben der Bildungsstandards Mathematik für den Mittleren Schulabschluss und unser entwickeltes Fortbildungskonzept.

Zu zwei Messzeitpunkten wurden Daten der Mathematik-Lehrkräfte und der Schüler und Schülerinnen der 9. Klasse bzw. 10. Klasse an den 17 teilnehmenden Schulen erhoben. An der ersten Erhebung nahmen 113 Mathematik-Lehrkräfte teil (71 weiblich, 40 männlich, zwei ohne Angabe). Zum zweiten Messzeitpunkt bearbeiteten 73 Mathematik-Lehrkräfte den Fragebogen (49 weiblich, 22 männlich, zwei ohne Angabe). Die Hälfte der Lehrkräfte war zum Zeitpunkt der Untersuchungen zwischen 40 und 49 Jahre alt (13 % waren jünger und 37 % älter). Weiterhin bearbeiteten 1368 Neuntklässler (720 weiblich, 648 männlich) den Test der ersten Erhebung, zum zweiten Messzeitpunkt füllten 1383 Zehntklässler (707 weiblich, 605 männlich, 71 ohne Angabe) unsere Materialien aus. Zum ersten Messzeitpunkt war der Großteil der Schüler und Schülerinnen 15 Jahre alt.

Von 50 % der Lehrkräfte und 59 % der Schülerinnen und Schüler liegen Angaben zu beiden Messzeitpunkten vor.

2.2 Durchführung der Erhebungen

Zu beiden Messzeitpunkten liefen die Datenerhebungen vergleichbar ab. Die Schüler und Schülerinnen bearbeiteten zunächst standardbasierte Mathematikaufgaben und beantworteten einen Fragebogen zu demographischen Angaben. Am Testtag erhielten die Mathematik-Lehrkräfte der Schule den Lehrerfragebogen und wurden von der Testleitung gebeten, diesen innerhalb von zwei Wochen zu beantworten und ihn in einem verschlossenen Umschlag an uns zurückzugeben. Die Schüler und Schülerinnen und die Lehrkräfte wurden gebeten, in ihren Fragebögen einen persönlichen Code zu generieren, sodass die Daten der ersten und zweiten Testung von uns miteinander in Beziehung gesetzt werden konnten. Die Fragebögen wurden im Anschluss von geschulten Personen an der Humboldt-Universität zu Berlin kodiert.

2.3 Messinstrumente

Die Lehrkräfte bearbeiteten zu beiden Zeitpunkten einen Fragebogen, der folgende Konstrukte erfasste: Zunächst wurde mit dem SoC-Fragebogen (Pant et al. 2008b, in Anlehnung an Hall und Hord 2006) die Intensität der Auseinandersetzung mit den Bildungsstandards erfragt. Dieser Fragebogen umfasst 35 Items, welche die selbstbezogenen, aufgabenbezogenen und außenbezogenen Concerns der kognitiven Auseinandersetzung mit einer Innovation erfassen (Antwortskala: 1 = trifft zz. gar nicht auf mich zu bis 7 = trifft zz. völlig auf mich zu, 0 = zz. nicht relevant). Die selbstbezogenen Concerns werden über drei verschiedene Stufen erfasst (vgl. Tab. 1 mit Beispiel-Items der sieben Stufen und Angaben der Reliabilitäten zu beiden Messzeitpunkten): Auf der Eingangsstufe Kein Bewusstsein (Stufe 0) haben Lehrkräfte keine oder kaum eine Vorstellung von der Innovation und verspüren auch wenig Bedürfnis, sich damit zu beschäftigen. Bei der Stufe I Information beginnt eine wenig emotional getönte Auseinandersetzung im Sinne der Informationsbeschaffung. Schließlich folgt bei Stufe II Persönliche Betroffenheit ein Fokus auf die persönlich anstehenden Veränderungen und Konsequenzen. Die Phase der aufgabenbezogenen Concerns wird über die Stufe III Aufgabenmanagement erfasst. Auf dieser Stufe konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die organisatorischen, logistischen und technischen Anforderungen, die mit der Neuerung in- und außerhalb des Klassenzimmers einhergehen. Die Phase der außenbezogenen Concerns wird in drei Stufen differenziert: Zunächst stehen auf der Stufe IV Auswirkung auf Lernende Fragen der Wirksamkeit, der Effizienz oder der negativen Begleiterscheinungen der Innovation für die direkt betroffenen Schüler und Schülerinnen im Mittelpunkt. In Stufe V Kooperationsmöglichkeiten verschiebt sich der Fokus der Beschäftigung auf das Bestreben, die neu aufgebauten Handlungsmuster in formalen und informellen Kooperationen mit anderen Lehrkräften zu validieren und zu festigen. In der Stufe VI Revision und Optimierung werden schließlich weiterreichende oder alternative Formen der Innovation erprobt.

Tab. 1 Reliabilitäten und Beispiel-Items des Stages of Concern (SoC)-Fragebogens

Weiterhin wurde die tatsächliche Arbeit mit den Bildungsstandards im Unterricht mit dem Fragebogen zur Erfassung der kompetenzbezogenen Schülertätigkeiten erfasst. Zu den sechs allgemeinen mathematischen Kompetenzen Argumentieren, Probleme lösen, Modellieren, Darstellungen verwenden, technisches Arbeiten und Kommunizieren (vgl. Blum et al. 2006) wurden Items entwickelt, die die Häufigkeit der Umsetzung in entsprechendes Unterrichtshandeln erfragte (Antwortskala: 1 = nie bis 6 = fast jede Stunde). Um die neu konstruierten Items vorzutesten und den Fragebogen zu verkürzen, wurden die insgesamt 35 Items in einem Vortest zunächst 82 Mathematik-Lehrkräften zur Bearbeitung vorgelegt (51 weiblich, 26 männlich, fünf ohne Angabe, die Hälfte jünger als 40 Jahre). Zur Auswertung des Vortests wurden die Reliabilitäten der sechs Subskalen bestimmt und anhand dieser Werte Items eliminiert, sodass jede der Skalen nur noch vier Items und der Gesamtfragebogen somit 24 Items umfasst. Im Vortest lagen die Reliabilitäten (Cronbachs Alpha) der gekürzten Subskalen zwischen α = 0,73 (Technisches Arbeiten) und α = 0,87 (Modellieren). Tabelle 2 enthält Beispiel-Items und Angaben zu den Reliabilitäten zu beiden Messzeitpunkten.

Tab. 2 Reliabilitäten und Beispiel-Items des Fragebogens zur Erfassung der Kompetenzbezogenen Schülertätigkeiten

Schließlich bearbeiteten die Lehrkräfte neun Items zur Kooperation im Mathematik-Kollegium (z. B. „Bei der Zusammenarbeit in der Fachgruppe Mathematik habe ich den Eindruck, dass wir alle an einem Strang ziehen“, Antwortskala: 1 = trifft nicht zu bis 4 = trifft zu)Footnote 1. Cronbachs Alpha lag für die neun Items zur Kooperation zum ersten Messzeitpunkt bei .78 und zum zweiten bei .82.

Die Schüler und Schülerinnen der untersuchten 17 Schulen bearbeiteten standardbasierte Mathematik-Aufgaben, deren Beantwortung jeweils mehrere der insgesamt sechs mathematischen Kompetenzen erforderte. Bei diesen Aufgaben handelte es sich um normierte Testaufgaben, die bereits im Zuge der bundesweiten Überprüfung der Bildungsstandards von ca. 10.000 Schülern und Schülerinnen bearbeitet wurden. Diese umfangreiche Normierungsstudie wurde zeitlich früher als unsere Interventionsstudie mit dem Ziel durchgeführt, ein Pool von Aufgaben für Schulleistungsvergleichsstudien zur Verfügung zu stellen.

3 Ergebnisse

3.1 Kooperation in der Fachgruppe

Da unser Implementationsprojekt die Kooperation innerhalb des Kollegiums fördern sollte, wurde über die gemittelten Antworten zur Kooperation als abhängige Variable eine Varianzanalyse mit den Faktoren Interventionsstatus (Projektschulen, Vergleichsschulen) und Messzeitpunkt (1. MZP, 2. MZP) mit Messwiederholung auf dem letzten Faktor berechnet. Insgesamt nahm die Kooperation vom 1. MZP (M = 2,91, SD = 0,44) zum 2. MZP zu (M = 2,97, SD = 0,50, F(1,53) = 6,00, p < 0,05). Dieser Haupteffekt für den Messzeitpunkt wurde durch den Faktor Interventionsstatus qualifiziert, F(1,53) = 13,51, p = 0,001. In den Projektschulen nahm die Kooperation vom 1. MZP (M = 2,87, SD = 0,61) zum 2. MZP zu (M = 3,18, SD = 0,57, t(18) = − 3,58, p < 0,01), für die Vergleichschulen wurde die Veränderung nicht bedeutsam (1. MZP: M = 2,93, SD = 0,33, 2. MZP: M = 2,86, SD = 0,44, t(35) = 1,08, ns). Zum 1. MZP unterscheiden sich Projekt- und Vergleichsschulen nicht, t(109) = − 1,19, ns, zum 2. MZP kooperierten die Projektschulen tendenziell stärker als die Vergleichsschulen, t(70) = − 1,87, p = 0,07).

3.2 Kognitive Auseinandersetzung mit den Bildungsstandards

In einem ersten Schritt wurde überprüft, ob die Beantwortung des SoC-Fragebogens, der die kognitive Auseinandersetzung mit den Bildungsstandards erfasst, von den Lehrkräften unserer Stichprobe mit den bundesweit repräsentativen Stichproben (Pant et al. 2008a, b) vergleichbar ist. Dazu wurden die Daten des ersten Messzeitpunkts der sieben SoC-Stufen zunächst gemittelt und getrennt für die Projekt- und Vergleichsschulen als Profil dargestellt (siehe Abb. 1a und b). Die Profile zeigen zum ersten Messzeitpunkt einen Wellenberg auf den selbstbezogenen Concerns (Stufen 0 bis II) und den außenbezogenen Concerns (Stufen IV bis VI), sodass beide Gruppen wie die verschiedenen Stichproben aus den repräsentativen Erhebungen zum Typ der „Selbstorientierten Kooperierer“ gehören (vgl. Bitan-Friedlander et al. 2004).

Abb. 1
figure 1

a SoC-Profile der neun Projektschulen zu beiden Messzeitpunkten (MZP). b SoC-Profile der acht Vergleichsschulen zu beiden Messzeitpunkten (MZP)

Um unsere Annahme zu prüfen, dass sich nach einjähriger Projektarbeit die Lehrkräfte der Projektschulen intensiver mit der Thematik der Bildungsstandards auseinandersetzen als die Lehrkräfte der Vergleichsschulen, wurde eine Varianzanalyse mit den Stufen des SoC-Fragebogens als abhängigen Variablen und den Faktoren Interventionsstatus (Projektschulen, Vergleichsschulen) und Messzeitpunkt (1. MZP, 2. MZP) mit Messwiederholung auf dem letzten Faktor durchgeführt. Insgesamt nahm die Zustimmung zu den Items des Fragebogens vom 1. MZP (M = 4,05, SD = 3,88) zum 2. MZP tendenziell ab (M = 3,88, SD = 0,82, Haupteffekt Messzeitpunkt: F(1,53) = 3,90, p = 0,053), wobei dieser Effekt insbesondere durch die Antworten zu den Stufen I und II zustande gekommen ist (Interaktion Messzeitpunkt und Stufen des SoC-Fragebogens, F(6,318) = 5,91, p < 0,001). Weiterhin wurde den sieben Stufen des SoC-Fragebogens unterschiedlich stark zugestimmt (Haupteffekt Stufen des SoC-Fragebogens, F(6,318) = 39,15, p < 0,001). Dieser Effekt verdeutlicht, dass in der Gesamtstichprobe der bereits oben beschriebene M-Typ des „Selbstorientierten Kooperierers“ vorherrscht, mit besonders starker Zustimmung bei den selbstbezogenen und außenbezogenen Stufen. Dieser Haupteffekt wird durch den Faktor Interventionsstatus qualifiziert, F(6,318) = 2,40, p < 0,05, da das M-Profil bei den Lehrkräften der Projektschulen deutlicher zu erkennen ist als bei den Lehrkräften der Vergleichsschulen.

Wie erwartet wurde die dreifach-Interaktion zwischen den Faktoren Interventionsstatus, Messzeitpunkt und den Stufen des SoC statistisch bedeutsam, F(6,318) = 2,16, p < 0,05. Die Lehrkräfte der Projektschulen stimmten demnach zum zweiten Messzeitpunkt nur den Items zur Erfassung der selbstbezogenen Concerns schwächer zu (Stufe 0: M = 2,64, SD = 0,95, Stufe I: M = 4,09, SD = 1,17 Stufe II: M = 3,83, SD = 1,62) als zum ersten Messzeitpunkt (Stufe 0: M = 3,18, SD = 1,09, t(18) = 2,27, p < 0,05, Stufe I: M = 5,81, SD = 0,76, t(18) = 7,22, p < 0,001, Stufe II: M = 5,47, SD = 1,07, t(18) = 5,39, p < 0,001), während sich auf den anderen Stufen keine Unterschiede zeigten. Bei den Lehrkräften der Vergleichsschulen war dagegen eine stärkere Zustimmung vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt bei den aufgabenbezogenen Concerns (Stufe III) (1. MZP: M = 3,35, SD = 1,26, 2. MZP: M = 3,81, SD = 1,31, t(35) = − 3,14, p < 0,01) und auf der Stufe IV „Auswirkung auf Lernende“ der außenbezogenen Concerns zu verzeichnen (1. MZP: M = 3,49, SD = 1,83, 2. MZP: M = 4,15, SD = 1,14, t(35) = − 2,11, p < 0,05).

3.3 Arbeit mit den Bildungsstandards

Um zu überprüfen, ob die Lehrkräfte der Projektschulen häufiger kompetenzorientierte Schülertätigkeiten initiieren als die Lehrkräfte der Vergleichsschulen, wurde eine Varianzanalyse mit den sechs Kompetenz-Skalen als abhängige Variablen und mit den Faktoren Interventionsstatus (Projektschulen, Vergleichsschulen) und Messzeitpunkt (1. MZP, 2. MZP) mit Messwiederholung auf dem letzten Faktor berechnetFootnote 2. Es zeigte sich wie erwartet eine Interaktion zwischen dem Interventionsstatus und dem Messzeitpunkt, F(1,52) = 10,17, p < 0,05. Demnach gaben die Lehrkräfte der Projektschulen an, bei den Schülern und Schülerinnen zum Ende häufiger als zum Anfang des Projektjahres kompetenzbezogene Tätigkeiten zu initiieren (1. MZP, M = 4,21, SD = 0,69, 2. MZP: M = 4,60, SD = 0,56, t(18) = − 2,92, p < 0,01), während sich bei den Vergleichsschulen kein Unterschied zeigte (1. MZP: M = 4,39, SD = 0,69, 2. MZP: M = 4,33, SD = 0,61, t(35) < 1). Die dreifach-Interaktion zwischen den Kompetenz-Skalen, dem Interventionsstatus und dem Messzeitpunkt, F(5,260) = 2,80, p < 0,05 (siehe Tab. 3), weist darauf hin, dass die Lehrkräfte in den Projektschulen ihre Schüler und Schülerinnen bis auf zwei Ausnahmen (bei den Kompetenzen Argumentieren, t(18) = − 1,13, ns und Technisches Arbeiten, t(18) < 1, ns) zum Projektende hin stärker kompetenzorientiert arbeiten ließen (Probleme lösen: t(18) = − 2,72, p < 0,02, Modellieren: t(18) = − 3,10, p < 0,01, Darstellen: t(18) = − 3,66, p < 0,01, Kommunizieren: t(18) = − 2,06, p = 0,054), während sich bei den Lehrkräften der Vergleichsschulen keine Unterschiede zwischen den beiden Messzeitpunkten zeigten (Argumentieren: t(36) = 1,41, p = 0,17, alle anderen t-Werte < 1) oder sogar ein Abnahme der Tätigkeiten zu beobachten war (Probleme lösen: t(35) = 2,40, p < 0,05).

Tab. 3 Mittlere Zustimmung zum Fragebogen zu den kompetenzorientierten Schülertätigkeiten getrennt für Interventionsstatus und Messzeitpunkt

3.4 Schülerleistungen

Die Leistungen der Schüler und Schülerinnen unserer Stichprobe wurden in der Auswertung mit den Leistungen von ca. 10.000 Schülern und Schülerinnen verglichen, die den Mittleren Schulabschluss anstreben und die im Jahr 2006 und 2007 an der bundesweit repräsentativen Normierungsstudie teilgenommen haben. Zur Auswertung der kompetenzbezogenen Mathematikaufgaben wurden daher zunächst die Antworten der Schüler und Schülerinnen kodiert und anschließend unter Berücksichtigung der Itemparameter der Normierungsstichprobe gemäß dem Rasch-Modell skaliert. Diese Skalierung liefert einen Personenparameter, der als Wert für die Leistung eines Schülers bzw. einer Schülerin herangezogen wird. In einem weiteren Schritt wurden die Personenparameter unserer Stichprobe auf die Berichtsskala der Normierungsstichprobe transformiert. Auf der Berichtsskala beträgt der Mittelwert für die Neuntklässler der Normierungsstichprobe 500, die Standardabweichung 90. Durch dieses Vorgehen sind die Leistungen der getesteten Schüler und Schülerinnen mit den Leistungen der Normierungsstichprobe direkt vergleichbar.

Um zu überprüfen, ob die Schüler und Schülerinnen der Projektschulen einen stärkeren Leistungszuwachs erreichten als die Schüler und Schülerinnen der Vergleichsschulen wurde mit den transformierten Personenparametern als abhängige Variable eine Varianzanalyse mit den Faktoren Interventionsstatus (Projektschulen, Vergleichsschulen) und Messzeitpunkt (1. MZP, 2. MZP) mit Messwiederholung auf dem letzten Faktor durchgeführt. Zunächst zeigte sich, dass die Projektschulen (M = 517,15, SD = 102,48) insgesamt bessere Leistungen erreichten als die Vergleichsschulen (M = 484,67, SD = 100,65, Haupteffekt Interventionsstatus F(1,887) = 23,64, p < 0,001). Beide Gruppen erreichten aber Leistungen, die mit den Leistungen der Normierungsstichprobe vergleichbar sind, sodass wir davon ausgehen können, dass unsere Schülerstichprobe in der Mathematikleistung dem bundesweiten Durchschnitt ähnelt. Die Leistung nahmen weiterhin vom 1. zum 2. MZP zu (1. MZP: M = 487,04, SD = 94,79, 2. MZP: M = 537,67, SD = 110,90, Haupteffekt Messzeitpunkt, F(1,887) = 481,78, p < 0,001). Allerdings wurde die erwartete Interaktion zwischen den Faktoren Interventionsstatus und Messzeitpunkt nicht bedeutsam (F(1,887) < 1, ns).

4 Diskussion

Bildungsstandards sollen einen kognitiv aktivierenden und handlungsorientierten Unterricht befördern, der zum Kompetenzaufbau bei Schülern und Schülerinnen beiträgt. Für die Überprüfung dieses Kompetenzerwerbs stehen in Deutschland fächerspezifische und bereits normierte Aufgabensammlungen bereit, die in den einzelnen Bundesländern und auch länderübergreifend in Leistungsmessungen wiederholt eingesetzt werden. Durch diese Leistungsmessungen allein wird sich unserer Ansicht nach die Unterrichtskultur aber nicht im Sinne der Bildungsstandards verändern. Vielmehr sind Maßnahmen zur Lehrerprofessionalisierung nötig, damit die Idee des kompetenzorientierten Unterrichtens (Blum et al. 2006) auch tatsächlich im Klassenzimmer implementiert wird und sich überhaupt in den Leistungsergebnissen der Schüler und Schülerinnen niederschlagen kann. Im vorliegenden Artikel wurde daher eine Möglichkeit zur Implementation der Bildungsstandards vorgestellt: Ausgewählte Berliner und Brandenburger Lehrkräfte wurden angehalten, gemeinsam über das Konzept der Bildungsstandards zu reflektieren, ihren Unterricht kompetenzorientiert zu gestalten und sich über die gemachten Erfahrungen untereinander auszutauschen um ggf. Verbesserungsmöglichkeiten zu entwickeln (vgl. Zeitler et al. 2009). Diese regelmäßig stattfindenden Zusammenkünfte der Lehrkräfte sollten Konsequenzen für die Arbeit der Lehrkräfte haben. Es wurde erwartet, dass Lehrkräfte der Projektschulen sich zum Ende des Projektjahres stärker mit dem Konzept der Bildungsstandards auseinandersetzen und häufiger kompetenzorientiert arbeiten als Lehrkräfte einer Vergleichsgruppe ohne Interventionsmaßnahmen.

Die Ergebnisse des Stages-of-Concern-Fragebogens deuten zunächst darauf hin, dass sich zu Beginn des Projekts die Lehrkräfte der Projekt- als auch der Vergleichsschulen in einer ähnlichen Art und Weise kognitiv mit dem Konzept der Bildungsstandards auseinandersetzen. Die Lehrkräfte waren an Informationen über die Innovation interessiert und beschäftigten sich damit, welche Konsequenzen für die eigene Person zu erwarten sind, damit lag der Schwerpunkt der Beschäftigung auf selbstbezogenen Concerns (vgl. Hall und Hord 2006). Mit der Umsetzung des kompetenzorientierten Unterrichtens oder mit den Auswirkungen auf Schüler, Schülerinnen oder Kollegen setzen sich die Lehrkräfte dagegen weniger stark auseinander. Dieses Profil ist mit den Profilen einer repräsentativen bundesweit durchgeführten Studie vergleichbar (Pant et al. 2008a, b). Nach einem Jahr der Implementationsarbeit veränderte sich das Profil der Projektschulen dahingehend, dass den Items zur Erfassung der selbstbezogenen Concerns im Vergleich weniger zugestimmt wurde als den Items der außenbezogenen Concerns. Das bedeutet, der Schwerpunkt der Beschäftigung liegt bei den Lehrkräften nun vielmehr bei Überlegungen, welche Konsequenzen die Innovation für die Lernenden haben wird und in welcher Art und Weise mit Kollegen und Kolleginnen an der Innovation gearbeitet werden kann. Bei den Lehrkräften der Vergleichsschulen ist das Profil zum zweiten Messzeitpunkt weniger deutlich ausgeprägt, es gibt keine eindeutige Stufe, auf der der Schwerpunkt der Beschäftigung liegt. Im Sinne des SoC-Modells lag der Wellenberg bei den Lehrkräften der Vergleichsgruppe nicht auf einer höheren Stufe. Möglicherweise äußert sich darin eine Überforderung der Lehrkräfte, sich selbständig mit der Innovation vertraut zu machen und das alltägliche Arbeiten so zu organisieren, dass eine Weiterentwicklung im Umgang mit den Bildungsstandards möglich wird. Zusammengefasst konnten wir bei den Lehrkräften unserer Interventionsgruppe im Vergleich zu den Lehrkräften der Vergleichsgruppe eine verstärkte kognitive Auseinandersetzung mit den Bildungsstandards nach dem Projektjahr auffinden, was wir auf unsere Implementationsmaßnahme zurückführen.

Neben dieser kognitiven Ebene hatten wir zusätzlich erfragt, wie häufig Lehrkräfte kompetenzorientierte Tätigkeiten bei ihren Schülerinnen und Schülern initiieren. Insgesamt zeigte sich dabei, dass die Lehrkräfte der Vergleichsschulen zum ersten und zweiten Messzeitpunkt ähnlich viele kompetenzorientierte Tätigkeiten von den Schülerinnen und Schülern einforderten. Anders sieht das Bild bei den Projektschulen aus. Demnach gaben die Lehrkräfte an, dass ihre Schüler und Schülerinnen häufiger als zu Beginn der Intervention, die folgenden Kompetenzen verwenden sollten: Lösungswege finden und darüber reflektieren (Probleme lösen), Mathematik und Realität miteinander verbinden (Modellieren), Darstellungen mathematischer Gegenstände erzeugen bzw. verstehen (Darstellungen verwenden) sowie Mathematische Inhalte mündlich und schriftlich verstehen und auch selbst wiedergeben (Kommunizieren). Bei der Kompetenz „Technisches Arbeiten“ gab es dagegen keine Veränderung über die Zeit. Insgesamt zeigte sich aber, dass die Lehrkräfte zu beiden Messzeitpunkten angaben, dass Schüler und Schülerinnen diese mathematische Kompetenz häufig anwenden mussten, sodass hier von einem Deckeneffekt ausgegangen werden kann. Die Lehrkräfte gaben demnach an, dass sie bereits vor Beginn der Intervention von den Schülern und Schülerinnen diese Basiskompetenz eingefordert hatten und dass sich die Häufigkeit über die Zeit nicht weiter verstärkt hat. Weiterhin zeigte sich nur eine geringe Zunahme im Verstehen und kritischen Bewerten von mathematischen Sachverhalten (Argumentieren), was darauf hinweisen könnte, dass in diesem Bereich noch Ausbaupotential bei den Lehrkräften und Schülern und Schülerinnen besteht.

Letztlich gaben die Lehrkräfte der Projektschulen an, zum Ende des Projektjahres stärker als zu Beginn miteinander zu kooperieren, während es bei der Vergleichsgruppe keine Unterschiede über die Zeit gab. Diese Zunahme der Kooperation sollte dazu beitragen, dass Lehrkräfte die Innovation eher akzeptieren (Porter 1994; Porter et al. 1988) und kognitive Wissensstrukturen tatsächlich um neues Wissen über eben die Innovation aufgenommen werden kann (Spillane et al. 2002). Offen bleibt allerdings, welche Qualität die Zusammenarbeit der Lehrkräfte in den Projektschulen hat. So kann auf der Grundlage der hier berichteten Daten nicht beschrieben werden, ob es in den Projektschulen zu Prozessen gemeinsamer Entwicklungsarbeit im Lehrerteam gekommen ist oder ob sich die von den Lehrkräften berichtete Zunahme der Kooperation auf den gegenseitigen Austausch oder die arbeitsteilige Kooperationen beschränkte (vgl. zu Formen der Zusammenarbeit in Lehrerkollegien Little 1990; Gräsel et al. 2006) und damit die Innovation augenscheinlich implementiert wurde, ohne dass Beteiligte die Kernidee verinnerlicht haben (Spillane 2000; Spillane und Callahan 2000). Um weiter zu erforschen, inwiefern die intensivere kognitive Auseinandersetzung und Arbeit mit den Bildungsstandards auf Kooperationsprozesse im Kollegium oder allein auf den fachdidaktischen Input der Koordinatorin zurückgehen, werden in unserem Forschungsprojekt parallel zu den hier vorgestellten Untersuchungen Gruppendiskussionen mit den Lehrkräften der Projektschulen erhoben und mit Hilfe qualitativ-rekonstruktiver Verfahren ausgewertet (Zeitler et al. 2009).

Insgesamt zeigten sich auf Seiten der Lehrkräfte positive Veränderungen. Lehrkräfte unserer Projektschulen beginnen, sich mit den Bildungsstandards auseinanderzusetzen und mit ihnen zu arbeiten. Allerdings muss einschränkend erwähnt werden, dass diese Ergebnisse nur auf Selbstaussagen der Lehrkräfte beruhen, die durch soziale Erwünschtheit verzerrt sein könnten. In weiterführenden Untersuchungen sollten daher zusätzlich Unterrichtsbeobachtungen durchgeführt werden oder eingesetzte Unterrichtsmaterialien und Klassenarbeiten in die Auswertung mit einbezogen werden, um ein umfassenderes Bild über eine gegebenenfalls geänderte Aufgabenkultur in den Schulen zu erhalten. Neben dieser eingeschränkten Aussagekraft der Fragebogendaten muss in der Interpretation berücksichtigt werden, dass nur von gut der Hälfte der Stichprobe Datensätze von beiden Messzeitpunkten vorlagen. Zwischen beiden Messzeitpunkten lag etwas mehr als ein Schuljahr, sodass die Schülerinnen und Schüler zwischenzeitlich von der 9. in die 10. Jahrgangstufe gewechselt waren. Damit einhergehende Lehrerwechsel, aber auch abnehmende Motivation zum Ausfüllen des Fragebogens könnten daher ursächlich für die geringe Teilnahmequote über die beiden Messzeitpunkte sein.

Die Ergebnisse der Schüler weisen allerdings nicht darauf hin, dass diese Bewegungen auf Lehrerseite bereits Auswirkungen auf die tatsächlichen Leistungen der Schüler und Schülerinnen haben. Die Zunahme der Leistungen unterscheidet sich bei den Schülern und Schülerinnen der Projekt- und Vergleichsschulen nicht. Letztendlich ist aber dieser Output der Schulen das Kriterium, an denen die Schulen zukünftig gemessen werden (für einen Überblick über die Gesamtstrategie siehe KMK 2006). Da die Umsetzung einer Innovation, wie die Einführung der Bildungsstandards ins deutsche Bildungssystem, allerdings bis zu zehn Jahren in Anspruch nimmt (Oelker und Reusser 2008), gehen wir davon aus, dass die Zeit unserer Intervention möglicherweise zu kurz war, um sich von den Lehrkräften auf die Schüler und Schülerinnen auszuwirken. Da unsere Fragebögen zur Umsetzung der Bildungsstandards nur die Häufigkeit der kompetenzbezogenen Tätigkeiten abfragt, wäre denkbar, dass die Lehrkräfte der Projektschulen zwar beginnen, die kompetenzorientierten Aufgaben „rezeptbuchartig“ im Unterricht einzusetzen, die sie im Rahmen der Implementationsmaßnahme durch die Koordinatorin kennen gelernt haben, aber ihre Lernkultur (noch) nicht im Sinne es kompetenzorientierten Unterrichts (Blum et al. 2006) verändert haben. Dazu würden beispielsweise die Förderung individueller Lernprozesse, kognitiv anregende Unterrichtsgestaltung, intelligentes Üben, ein veränderter Umgang mit Fehlern und entdeckendes Lernen gehören. In Folgeuntersuchung sollten neben den kompetenzbezogenen Tätigkeiten auch allgemeine Merkmale von Unterrichtsqualität (Helmke 2003) erhoben werden, um die Frage weiterzuverfolgen, inwiefern die Einführung von Bildungsstandards tatsächlich zur Qualität von Unterricht beiträgt.