1 Problemaufriss: Die Leiden der Lehrer und die Schwächen der Forschung

„Lehrkräfte gehören zu den Berufsgruppen, die unter besonders viel Belastung leiden“ (Abele/Cabdova 2007, S. 107). Eine Aussage wie diese ist nicht allein in den Medien bzw. allgemeiner im öffentlichen Diskurs über den Lehrerberuf anzutreffen, sondern sie dient ebenso als Ausgangspunkt sowie als Begründung intensiver Forschungsbemühungen im Kontext der empirischen Forschung zum Lehrerberuf, ohne dass jedoch die Ergebnisse der Forschung zur Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf mangels entsprechender Untersuchungen diese Annahme decken. Einschränkend kommt hinzu, dass in der öffentlichen Darstellung des Lehrerberufs (vgl. Blömeke 2005; Rothland 2007c) sowie in dem angeführten Zitat behauptet wird, Lehrerinnen und Lehrer würden in höherem Maße unter den Belastungen, die ihr Beruf mit sich bringt, leiden. Inwieweit dieser Vorstellung einer leidenden Lehrerschaft empirische Befunde zu den Wirkungen berufsspezifischer Belastungen sowie kausale Zusammenhänge zwischen beruflichen Beanspruchungen und dem psychischen Befinden entsprechen, bleibt genauso offen wie die Frage, ob und welche anderen Berufsgruppen im Vergleich zu den Lehrkräften in ge ringerem Maße unter berufsspezifischen Belastungen leiden.

Gerade der Bezug auf das subjektive Empfinden, das Leiden der Leh rkräfte, verweist auf ein weiteres Problem, das die scheinbar eindeutige Ausgangslage relativiert: Leiden die Lehrkräfte besonders, weil die berufsbezogenen Belastungen so hoch und zahlreich sind – zahlreicher als in anderen Berufsgruppen? – oder leiden sie besonders, weil sie, wie in der Öffentlichkeit z. T. kolportiert, besonders wehleidig sind? Leiden Lehrerinnen und Lehrer womöglich auch deshalb in besonderem Maße, weil sie nur auf diese Weise Aufmerksamkeit, vielleicht sogar Anerkennung, zumindest aber Mitleid an Stelle pauschaler Lehrerschelte und Abwertung in der Öffentlichkeit sowie in den Medien gewinnen können (vgl. Rothland 2007a)?

Die empirische Forschung zur Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf kann mit Blick auf die potentiellen, häufig unterstellten Zusammenhänge und die hier aufgeworfenen Fragen trotz einer Vielzahl von Untersuchungen bislang kaum eindeutige Antworten und Ergebnisse liefern. Generalisierungen, welche die Lehrerschaft pauschal als höher belastet und daher als besonders leidend kennzeichnen, entbehren insofern einer gesicherten empirischen Grundlage. Gleichwohl spiegeln sie in gewissem Sinne maßgebliche Orientierungen und damit die Lage der sog. Lehrerbelastungsforschung wider: Denn die Konzentration auf das subjektive, arbeitsbezogene Empfinden von Lehrerinnen und Lehrern stimmt mit der konzeptionellen und forschungspraktischen Konzentration auf personenbezogene Einflussfaktoren und Folgen im Kontext der Lehrerbelastungsforschung überein, die ihrerseits aus der Perspektive der Arbeits- und Organisationspsychologie kritisiert wird (vgl. Krause 2002, 2003; Krause/Dorsemagen 2007; Oesterreich 2008).

Der vorliegende Beitrag schließt an diese Kritik und die Bemühungen um eine konzeptionelle und praktische Erweiterung der Forschungsbemühungen an, die für die erziehungswissenschaftliche – und hier insbesondere für die schulpädagogische Diskussion – sowie die empirische Forschung zum Lehrerberuf von Bedeutung ist. Bislang sind die Ergebnisse einer persönlichkeitspsychologisch dominierten Lehrerbelastungsforschung im schulpädagogischen Kontext eher einseitig und kritiklos rezipiert worden.

Zunächst werden in einem ersten Überblick zur weiteren Konturierung des Problems die Schwerpunkte der bisherigen Lehrerbelastungsforschung näher umrissen (2.1), bevor die auf die Lehrerinnen und Lehrer verengte Perspektive der Forschung am Beispiel aktueller Forschungsansätze und Befunde diskutiert und bewertet wird (2.2 sowie 2.3). Eine Zusammenfassung der Forschungslage und ein Ausblick auf künftige Orientierungen der Forschung zur Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf bilden den Abschluss (3).

2 Problembereiche der Forschung zur Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf

2.1 Konzeptionelle und forschungspraktische Engführung: Forschungsschwerpunkte

Im Kontext der empirischen Lehrerforschung zählt die Forschung zur Belastung und Beanspruchung von Lehrkräften zu den besonders intensiv bearbeiteten Bereichen (vgl. Rothland/Terhart 2009). Nachdem der Erfassung der Beanspruchung von Lehrpersonen zunächst in den 1970er- und 1980er-Jahren im anglo-amerikanischen Raum zunehmende Aufmerksamkeit geschenkt wurde, wurde dieser Forschungsbereich insbesondere seit den 1990er-Jahren auch im deutschsprachigen Raum ausgebaut. Das Ergebnis sind eine Vielzahl verschiedener Forschungsansätze, Untersuchungen und Befunde, die unterschiedliche Aspekte des Themenbereichs abdecken, ohne dabei jedoch ein einheitliches Bild in den Ergebnissen präsentieren zu können (vgl. Guglielmi/Tatrow 1998; Kyriacou 2001; Herzog 2007; Rothland 2007b).

Eine systematische Übersicht zu den einzelnen Bereichen im Kontext der Forschung zur Belastung und Beanspruchung bietet die Abbildung 1 in Anlehnung an die orientierende Übersicht bei Krause/Dorsemagen (2007, S. 59).

Abb. 1
figure 1

Ergänzte Fassung des Rasters zur Einordnung empirischer Untersuchungen in der Lehrerbelastungsforschung nach Krause/Dorsemagen 2007, S. 59

Deutlich werden in dem facettenreichen Forschungsbereich einzelne, in der Abbildung grau unterlegte Schwerpunkte, auf die sich die bisherigen Untersuchungen besonders konzentriert haben. Zu diesen Schwerpunkten zählen vor allem Untersuchungen, die sich den individuellen Aspekten und Merkmalen der Lehrerpersönlichkeit widmen und Untersuchungen zu den – vor allem affektiven – mittel- und langfristigen Beanspruchungsfolgen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Erfassung der subjektiven Wahrnehmung der Belastung, die querschnittlich mittels standardisierter Fragebögen und anhand vorgegebener, mehr oder weniger berufstypischer Aspekte (Items) erhoben wird. Insbesondere die zahlreichen Untersuchungen zum Burnout-Syndrom im Lehrerberuf fallen in diesen letztgenannten Bereich, während etwa die Potsdamer Lehrerstudie (Schaarschmidt 2005a; Schaarschmidt/Kieschke 2007) ein prominentes Beispiel für die auf individuelle Persönlichkeitsaspekte konzentrierte Forschung darstellt.

Betrachtet man das gesamte Spektrum der Forschung zur Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf, so kann zusammenfassend festgehalten werden, dass Persönlichkeitsmerkmale, die unterschiedliche Beanspruchungen und Beanspruchungsreaktionen auf identische bzw. allgemein berufstypische Belastungen erklären (sollen), klar im Mittelpunkt stehen, gefolgt von Untersuchungen zu den individuellen, mittel- und langfristigen Folgen sowie Forschungsarbeiten, welche die subjektive Wahrnehmung als belastend wahrgenommener Aspekte der Berufstätigkeit über Selbstauskünfte erfassen. Die Lehrerinnen und Lehrer erscheinen somit in der Forschung nicht nur als Informanten über die Belastungsquellen sowie über die Wirkungen und Folgen der beruflichen Beanspruchungen, denn auch diese werden in der Regel querschnittlich über Selbstauskünfte erhoben. Sie werden zugleich auch über die in der Forschung dominierende Erfassung individueller Persönlichkeitsmerkmale implizit selbst und zuallererst als Urheber, als maßgeblicher Faktor der Belastung und Beanspruchung behandelt und empirisch erfasst. Implizit deshalb, weil die Forschung hier zumindest nicht explizit einer entsprechenden forschungsleitenden Hypothese folgt und auch in den Ergebnissen der im Forschungsansatz persönlichkeitspsychologisch orientierten Untersuchungen die Lehrerinnen und Lehrer i. d. R. nicht als Ursache der Beanspruchungsproblematik ausgewiesen werden.

Gleichwohl entsteht der Eindruck, dass die Frage, was den Lehrerberuf allgemein so belastend und in der Folge individuell beanspruchend macht, angesichts der Konzentration auf personenbezogenen Aspekte unter Einschluss der subjektiven Wahrnehmung der Tätigkeitsmerkmale bereits klar zu sein scheint: es sind die Lehrerinnen und Lehrer selbst, die in großen Teilen aufgrund ihrer individuellen, persönlichen Eigenschaften, Einstellungen, Kompetenzen oder arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmuster ein hohes Belastungs- und ein daraus resultierendes hohes negatives Beanspruchungserleben bedingen. Wie anders – so die Begründung für den entstehenden Eindruck – wäre eine derartige Konzentration der Forschungsbemühungen auf personengebundene Merkmale zu verstehen, wenn nicht unter der Prämisse, dass im Bereich der personenbezogenen Einflussfaktoren der Schlüssel zum Verständnis der Beanspruchungsproblematik vermutet wird.

Die auch in der Forschung mitunter anzutreffende Erklärung der auf der Basis von Selbstauskünften häufig auch im Rahmen einer Globalbewertung erfassten hohen Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf erscheint infolge dieser Prämisse einfach: Die Berufsgruppe der Lehrerinnen und Lehrer rekrutiert sich in hohem, ja in vermeintlich höherem Maße als in anderen Berufsgruppen, aus einem für die Berufsanforderungen ungeeigneten Personal. Oder einfacher: Viele Lehrerinnen und Lehrer ergreifen schlichtweg den falschen Beruf, sind ungeeignet, in der Konsequenz schnell überfordert und resignieren (vgl. Schaarschmidt 2005b, 2005c; Rauin 2007).

Die „Lösung des Problems erscheint im Anschluss an diese Erklärung schließlich ebenso einfach: Verpflichtende Eignungsprüfungen für angehende Lehrerinnen und Lehrer, gefordert etwa von der ehemaligen Präsidentin der KMK Ute Erdsiek-Rave als bildungspolitische Reaktion auf die deutlich breitere Befundlage der Potsdamer Lehrerstudie, sollen die Rekrutierung des Lehrernachwuchs verbessern und all diejenigen vom Lehrerberuf fernhalten, die aufgrund ihrer persönlichen Voraussetzungen und individuellen Merkmale für die Ausübung des Berufs ungeeignet sind. Ansonsten kann – so scheint es zumindest – alles bleiben wie bisher.

Die skizzierte Argumentation und weitgehende Interpretation von Teilergebnissen bzw. einzelnen Fragmenten der Forschung zur Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf steht jedoch aus zweierlei Gründen auf tönernen Füßen: Zum einen wird davon ausgegangen, dass die im Vergleich zu anderen Berufen als besonders hoch veranschlagte Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf durch die hohe Zahl ungeeigneter Berufsinhaber hervorgerufen wird. Es liegen allerdings keine vergleichenden Untersuchungen vor, die belegen, dass insbesondere der Lehrerberuf höhere Anteile an „ungeeigneten“ Berufsinhabern aufweist als andere akademische Berufe. Insofern kann hier auch bislang kein berufsspezifisches Phänomen identifiziert werden.

Zum anderen fehlt der empirische Nachweis für die These, dass die individuellen Aspekte und Merkmale der Lehrpersonen vor a l len anderen Einflussfaktoren – wie den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und den nicht personengebundenen, arbeitsb e zogenen Einflussfaktoren – in einem kausalen Zusammenhang zur Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf stehen, die ihrerseits bislang fast ausschließlich über Selbstauskünfte der Betroffenen erfasst wird. Insbesondere die letztgenannte Einschränkung soll im folgenden Abschnitt als zentrales Problem behandelt werden.

2.2 Auf einem Auge blind: Die Konzentration der Forschung auf personenbezogene Einflussfaktoren und die Folgen für die Aussagekraft der Befunde

Bei der Untersuchung der Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf wird scheinbar davon ausgegangen, dass den „Aspekten der Persönlichkeit […] ein Primat bei der Verursachung von Beanspruchungsfolgen zuzuordnen“ ist (Krause 2002, S. 38). Alltagssprachig gewendet könnte man auch sagen: nicht berufsspezifische Anforderungen oder Arbeits- und Handlungsbedingungen verursachen die hohe Beanspruchung im Lehrerberuf, sondern es liegt vielmehr an den Lehrerinnen und Lehrern selbst. Just dieses Bild spiegelt sich auch in der Rezeption der Forschung sowie in der öffentlichen Darstellung des Lehrerberufs wider. So konnte Blömeke bspw. auf der Basis einer Auswertung von Beiträgen in den Wochenmagazinen Der Spiegel und Focus feststellen, dass dort der Eindruck erweckt wird, „Lehrpersonen seien unfähig und unwillig, sich den Anforderungen ihres Berufes zu stellen – und tun sie es doch, werden sie krank“ (Blömeke 2005, S. 31).

In der Forschung ist die Dominanz personenbezogener Forschungsansätze – neben dem forschungspraktischen Argument der vergleichsweise einfacheren Erhebung personenbezogener Aspekte über Selbstauskünfte – darauf zurückzuführen, dass die Untersuchungen zur Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf nach wie vor in der Tradition transaktionaler Stressmodelle stehen, welche die kognitive Auseinandersetzung mit den Stressoren und den Abgleich mit den vorhandenen individuellen Ressourcen betonen. Beanspruchungen und Stress erscheinen so als subjektive Erfahrungen, die über die persönliche Wahrnehmung zu erfassen sind. Alternative Rahmenmodelle wie das Job Characteristics Model von Hackman und Oldham (1980), welches Tätigkeitsmerkmale als arbeits- bzw. bedingungsbezogene Aspekte systematisch berücksichtigt, werden hingegen selten zur konzeptionellen Rahmung von Forschungsvorhaben genutzt (vgl. van Dick/Stegmann 2007).

Bei der Begründung einer personenbezogenen Erfassung der Belastungen und Beanspruchungen wird ebenfalls darauf verwiesen, dass sich Lehrerinnen und Lehrer unter gleichen Bedingungen und Arbeitsanforderungen im individuellen Belastungs- und Beanspruchungserleben voneinander unterscheiden. Ob die Ausgangslage, also die berufsspezifischen Arbeits- und unmittelbaren Handlungsbedingungen tatsächlich „objektiv“ gleich sind, kann jedoch in personenbezogenen Studien nicht erfasst werden (Krause 2002, S. 49ff.).

Letztlich sind im Bereich der Lehrerbelastungsforschung bislang keine gesicherten Befunde zur Gewichtung sowie zum Zusammenspiel von Personen- und Arbeits- bzw. Situationsmerkmalen vorhanden. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass mit personenbezogenen Instrumenten, die in diesem Forschungsbereich in erster Linie zur Anwendung kommen, nicht geklärt werden kann, „wie groß der Einfluss der Personenmerkmale einerseits und der Situationsmerkmale andererseits ist” (ebd., S. 50) bzw. in welchem Zusammenhang beide stehen.

Als Beispiel kann hier die Potsdamer LehrerstudieFootnote 1 angeführt werden, da in dieser groß angelegten und breit rezipierten Untersuchung von Personenmerkmalen unabhängige spezifische Arbeitsbedingungen und Berufssituationen auf der Schul- und Unterrichtsebene und ihre Bedeutung für die Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf nicht systematisch erfasst wurden.Footnote 2 Ob es also primär die riskanten arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmuster sind, die im Lehrerberuf zu hohen negativen Beanspruchungen mit gesundheitlichen Folgen führen, kann in dieser Untersuchung nicht nachgewiesen werden, obwohl die konzentrierte Anlage der Untersuchung und die Interpretation sowie die Rezeption der Ergebnisse dies suggerieren.

In den forschenden Blick gerät somit – bildlich gesprochen – nur eine Seite der Medaille, während die andere, die arbeits- und situationsbezogene Aspekte umfassende Seite, systematisch unterbelichtet bleibt. Dies ist jedoch kein Makel der persönlichkeitspsychologisch orientierten Potsdamer Lehrerstudie, sondern vielmehr ein Problem der Forschung zur Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf insgesamt. Denn die gleiche Einschränkung ist auch für eine Vielzahl weiterer Untersuchungen zu formulieren. So werden bspw. in der Studie von Wendt (2001), in der 1105 Berliner Lehrkräfte befragt wurden, ebenfalls personenbezogene Faktoren als primäre Ursachen für die unterschiedlichen „Belastungskonfigurationen” gedeutet. Wendt identifiziert in seiner Untersuchung einen subjektiven Belastungsraum mit zehn stabilen Dimensionen. Des Weiteren werden mittels Cluster-Analyse neun „Belastungstypen“ unterschieden. Schulische Merkmale, so ein Fazit, spielen für die Charakterisierung dieser Belastungstypen keine oder nur eine nachrangige Rolle. „Wahrscheinlich kommt (genetischen und ansozialisierten) Aspekten der Persönlichkeit eine entscheidende Rolle zu“ (ebd., S. 213).

Personenunabhängige, schulische Merkmale erscheinen hier als unbedeutend, obwohl diese mit dem der Studie zugrunde liegenden personenbezogenen Instrumentarium nicht erfasst werden konnten. Als schulische Merkmale gelten hier im Übrigen lediglich die Schulart und die jeweiligen Unterrichtsfächer. Tätigkeits-, organisations- und schließlich situationsbezogene Merkmale werden damit nicht erfasst. Inwieweit sich bedingungsbezogene Aspekte der Berufsausübung und des Arbeitsplatzes auf die „Belastungskonfigurationen“ auswirken, kann somit nicht bestimmt werden.

Als ein weiteres Beispiel für die personenbezogene Konzentration im Kontext der Lehrerbelastungsforschung soll die Untersuchung von Schröder (2006) herangezogen werden. Diese Studie (n = 278 Lehrkräfte) ist hier auch deshalb zu erwähnen, weil in ihr der Zusammenhang zwischen Lehrerpersönlichkeit und der Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf letztlich als Passungsproblematik im Sinne einer Fehlpassung von Persönlichkeitsmerkmalen und beruflichen Anforderungen und Bedingungen der Tätigkeit mit negativen Auswirkungen auf das Berufserleben und die Berufsausübung als zentrales „Dilemma des Lehrerberufs“ ausgewiesen wird (Schröder 2006, S. 220 ff.). Diese Passungsproblematik wird in der Untersuchung von Schröder allerdings darauf reduziert, dass Lehrpersonen sich durch starke soziale Motive leiten lassen und diese „starke Orientierung zum Menschen“ (S. 351) zugleich zu erhöhten Beanspruchungen führe.

Von einer Passungsproblematik im Sinne einer Fehlpassung von Person und Umwelt kann in diesem Zusammenhang jedoch kaum gesprochen werden, zumal eine „starke Orientierung zum Menschen“ in einem Beruf, zu dessen zentralen Merkmalen die Arbeit mit jungen Menschen zählt, durchaus als ‚passend‘ bezeichnet werden kann. Zwar weist auch Schröder darauf hin, dass eine solche Orientierung bei Lehrkräften wünschenswert sei. Zugleich hält er an der These von der Passungsproblematik zwischen Persönlichkeitsmerkmalen auf der einen und den Anforderungen des Berufs auf der anderen Seite als dem zentralen Problem des Lehrerberufs fest. Anders formuliert: Das Dilemma des Lehrerberufs sind demnach die Lehrer selbst.

Schließlich gilt jedoch auch für diese wie für die anderen beispielhaft angeführten Untersuchungen, dass systematisch nur personenbezogene Merkmale erfasst und insofern ein Primat dieser Faktoren vor personenunabhängigen, bedingungs- bzw. verhältnisbezogenen Aspekten keinesfalls empirisch belegt werden.

Die Potsdamer Lehrerstudie weist in ihrer Anlage noch eine weitere Besonderheit auf: einen breit angelegten Berufsvergleich. Erfasst wurden Pflegekräfte, Strafvollzugsbeamte, Beschäftigte der Polizei und der Feuerwehr, Existenzgründer und als Extremgruppen innerhalb der Vergleichsstichprobe Erzieher aus Heimen für geistig Behinderte und Angestellte in Sozialämtern in ostdeutschen Städten mit sehr hoher Arbeitslosenquote.

In den Ergebnissen der Untersuchung bleibt bei aller Kritik an der die Belastungssituation individualisierenden Forschungsaktivitäten und der Konzentration auf die Persönlichkeitsmerkmale der Lehrkräfte der Befund, dass in keiner der zum Vergleich herangezogenen Berufsgruppen die Anteile riskanten arbeitsbezogenen Verhaltens und Erlebens so hoch sind wie bei den Lehrerinnen und Lehrern (vgl. Schaarschmidt 2005b). Kurz: riskante Merkmalskonstellationen der Persönlichkeit sind insbesondere bei den Lehrkräften anzutreffen und verdienen, so könnte weiter gefolgert werden, zu Recht besondere Aufmerksamkeit.

Hinsichtlich des Berufsvergleichs in der Potsdamer Lehrerstudie sind indes ebenfalls Einschränkungen zu formulieren. So fällt auf, dass keine akademischen Berufsgruppen zum Vergleich herangezogen wurden (eine Ausnahme könnten die Existenzgründer bilden, zu denen u. a. Betriebswirte zählen können). Begründet wird die Auswahl mit den nicht belegten vergleichbaren psychosozialen Beanspruchungen, die aus der Ausübung der jeweiligen Berufe resultieren sollen, in denen der Kontakt mit und die Verantwortung für Menschen von Bedeutung ist. Nicht aber die berufsbezogenen, sondern individuelle personenbez o gene Merkmale werden schließlich in der Untersuchung verglichen. Hier wäre im Übrigen zu fragen, ob sich Absolventen eines Hochschulstudiums nicht womöglich von Absolventen einer Berufsausbildung hinsichtlich berufsbezogener Einstellungen und Verhaltensweisen, aber auch mit Blick auf ihre Persönlichkeitsmerkmale allgemein unterscheiden.

Entscheidend für die Bewertung des Berufsvergleichs ist, dass der höhere Anteil der Lehrerinnen und Lehrer, die mittels der empirischen Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen riskanten Verhaltens- und Erlebensmustern zugeordnet werden, kein empirischer Nachweis dafür ist, dass diese individuellen Aspekte der Persönlichkeit auch primär für berufliche negative Beanspruchungen und Stress verantwortlich sind.

Bilanzierend kann festgehalten werden, dass kausale Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitsmerkmalen, arbeitsbezogenen Umwelt- sowie Situationsdaten und Beanspruchungsreaktionen bislang in der Forschung zur Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf nicht oder nur in ersten Ansätzen herausgearbeitet werden konnten.

Hinweise darauf, dass die hier skizzierte Konzentration auf personale Faktoren nicht nur konzeptionell zu kurz greift, finden sich u. a. in den Ergebnissen eines Forschungsprojekts von Abele und Cabdova (2007), in dem 266 Mathematiklehrkräfte im Rahmen einer prospektiven Längsschnittstudie mit drei Erhebungszeitpunkten (unmittelbar nach dem Examen, während des Referendariats und vier Jahre nach dem Examen) untersucht wurden. In dieser Studie zeigt sich, dass die Probanden der Stichprobe trotz gut ausgeprägter personaler Ressourcen (hohes instrumentelles Selbstkonzept, hohe Werte in der beruflichen Selbstwirksamkeit) und trotz steigender beruflicher Selbstwirksamkeitserwartung über die vierjährige Untersuchungszeit in der regulären Lehrertätigkeit im Vergleich zum Referendariat ihre Berufstätigkeit in zunehmenden Maße als belastend wahrnehmen (ebd., S. 115). Zwar gehen die Autorinnen nicht auf die besondere Problematik des Berufseinstiegs ein, die hier von Bedeutung sein könnte. Interessant bleibt indes der Hinweis der Befunde darauf, dass die personenbezogenen Merkmale, hier hohe Ausprägungen personaler Ressourcen, offensichtlich mit Blick auf die wahrgenommenen Belastungen im Lehrerberuf nicht allein entscheidend sind.

Hinweise auf die Bedeutung arbeitsbezogener, struktureller Bedingungen für die Belastungssituation und die Beanspruchungsfolgen im Lehrerberuf finden sich zudem in Untersuchungen, die kurzfristige psychophysische Beanspruchungsreaktionen in der Unterrichtssituation oder über den gesamten Arbeitstag messen und die neben bedingungsbezogenen Analysen Informationen zum Grad der Beanspruchung der Lehrertätigkeit über die individuelle Wahrnehmung hinaus liefern (vgl. u. a. Scheuch/Knothe 1997; Stück/Rigotti/Balzer 2005).

In der Studie von Bickhoff (2002) wurde untersucht, wie ein Unterrichtstag das Cortisolniveau von Lehrkräften beeinflusst (n = 45 Lehrerinnen und Lehrer). Hier erscheint bemerkenswert, dass sich die körperlichen und geistigen Belastungen während der Unterrichtstätigkeit kaum auf das Cortisolniveau auswirken. Dagegen scheint es insbesondere die kognitive Auseinandersetzung mit dem Unterricht im Vorfeld zu sein, die zu körperlichen Belastungsreaktionen führt. Zudem werde die Belastung auch nach dem Unterricht innerlich vor allem aufgrund der gedanklichen Weiterbeschäftigung aufrechterhalten: Der erwartbare Rückgang der Cortisolkonzentration am Nachmittag blieb aus.

In dieser Untersuchung, die die psychophysiologischen Reaktionen bei Lehrkräften misst, spiegelt sich in der körperlichen Reaktion ein Aspekt wider, der zum einen in den persönlichkeitsdiagnostischen Erhebungen eine bedeutende Rolle spielt, nämlich das „nicht-abschalten-können“ oder allgemeiner die mangelnde Distanzierungsfähigkeit zum Beruf, der zum anderen aber auch strukturell verankert ist. Denn als bedingungsbezogenes Charakteristikum des Lehrerberufs kann die Zweiteilung des Arbeitsplatzes gelten: Neben dem (öffentlichen) Arbeitsplatz Schule findet die Tätigkeit des Lehrers immer auch an einem weiteren Arbeitsplatz zu Hause statt – verbunden mit den Problemen einer ungeregelten Arbeitszeit (vgl. Böhm-Kasper et al. 2001) und der schwierigen Trennung von Arbeit und Privatem, von Arbeits- und Freizeit sowie einer Missachtung der häuslichen Arbeit in der öffentlichen Wahrnehmung („Halbtagsjob“).

Der einzelne, hier lediglich beispielhaft hervorgehobene strukturelle bzw. arbeitsbezogene Bedingungsaspekt des zweigeteilten Arbeitsplatzes erweist sich als ein Teil der Belastungssituation im Lehrerberuf mit – methodisch unterschiedlich nachweisbaren – Beanspruchungsreaktionen und -folgen. Diese berufsspezifischen Bedingungen des Arbeitshandelns und der Arbeitsorganisation (vgl. Rothland/Terhart 2007) verdienen neben, aber auch in der Verbindung mit den personenbezogenen Aspekten besondere Beachtung in der Belastungs- und Beanspruchungsforschung.

2.3 Die Konzentration auf personenbezogene Folgen und verhaltensbezogene Präventions- und Interventionsmaßnahmen

Die Forschung zur Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf hat sich nicht allein auf verhaltens- bzw. personenbezogene Aspekte als maßgebliche Einflussfaktoren für die Belastungssituation konzentriert, sondern auch bei der Erfassung der Folgen in erster Linie die Lehrerinnen und Lehrer selbst und hier insbesondere die affektiven Beanspruchungsfolgen in den Blick genommen (vgl. Hillert/Schmitz 2004).

Ob Lehrerinnen und Lehrer infolge ihrer Berufsausübung und der Beanspruchungen im Beruf besonders häufig erkranken, kann auf der Basis der bisherigen Forschungstätigkeiten nicht belegt werden: „Repräsentative Untersuchungen zur Häufigkeit psychischer und psychosomatischer Erkrankungen bei Lehrpersonen gibt es bislang nicht“ (Hillert 2007, S. 155).

Die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe von Lehrerinnen und Lehrern weist keine berufspezifischen Besonderheiten und nur einen geringen Anteil an psychischen Erkrankungen auf (Schönwälder et al. 2003). Und auch mit Blick auf das Gesundheits-, Sucht- und Risikoverhalten zeigen Lehrkräfte im Vergleich mit der berufstätigen Bevölkerung insgesamt keine auffälligen Unterschiede (Scheuch/Knothe 1997).

Hinsichtlich des psychischen Wohlbefindens konnten Schaarschmidt und Fischer anhand einer älteren, nur wenig beachteten Untersuchung auf der Basis einer großen Stichprobe österreichischer Lehrkräfte (n = 1463) im Vergleich zu einer zugrunde liegenden Eichstichprobe (Norm) keine bedeutenden Abweichungen feststellen (Schaarschmidt/Fischer 1995, S. 52 f.). Mit Blick auf körperlich funktionelle Beschwerden zeigt sich ebenfalls, dass sich die österreichischen Lehrkräfte kaum von einer „zufällig ausgewählten Stichprobe gesundheitlich unauffälliger erwachsener Personen unterscheiden“ (ebd., S. 60). Angesichts dieser Befunde, so das Fazit von Schaarschmidt und Fischer, „wäre es unangemessen, von einer generell dramatischen Belastungssituation der Lehrerinnen und Lehrer zu sprechen“ (ebd., S. 84).

Betrachtet man die Befundlage zu den personenbezogenen, physiologisch-körperlichen und psychosomatischen Folgen der Berufsausübung insgesamt, so kann entgegen medialer Pauschalisierungen auf der Basis der vorhandenen empirischen Daten nicht von einer im Berufsvergleich besonders hohen und mit Blick auf das Befinden besonders folgenreichen berufsspezifischen Beanspruchungssituation, geschweige denn von einer kollektiv „ausgebrannten“, kranken Lehrerschaft gesprochen werden.

Infolge der einseitigen Konzentration der Lehrerbelastungsforschung auf die personenbezogen Folgen erweist sich die Frage nach den Auswirkungen hoher Beanspruchungen, aber auch bspw. riskanter beruflicher Verhaltens- und Erlebensmuster auf das unterrichtliche Handeln der Lehrer, vor allem aber auf das Lernen der Schüler als systematisch vernachlässigter Bereich.

Ein erster Versuch, lehrerbezogene Beanspruchungsanalysen mit der Untersuchung der Unterrichtsqualität und der Erfassung der Schülerleistungen zusammenzuführen, stellt die Untersuchung von Klusmann et al. (2006, 2008) dar. Die bei Schaarschmidt identifizierten und von Klusmann et al. in einer Stichprobe von 300 Mathematiklehrkräften replizierten vier Muster arbeitsbezogenen Verhaltens und Erlebens werden in Beziehung zur von den Schülern wahrgenommenen Unterrichtsqualität gesetzt. Das Unterrichtsverhalten des Gesundheitstyps (Muster G) unterscheidet sich deutlich von dem des Risikotyps B (Risikomuster B mit Verhaltens- und Erlebensmerkmalen, die denen des Burnout-Syndroms ähnlich sind). In der Wahrnehmung ihrer Schüler förderten die Lehrer des Risikotyps B ihre kognitive Selbstständigkeit in geringerem Maße, „wiesen häufiger ein unangemessen schnelles Interaktionstempo auf und wurden von ihren Schülern im Mittel als weniger gerecht und weniger interessiert an den Belangen der Schüler eingeschätzt als Lehrkräfte des Gesundheitstyps“ (Klusmann et al. 2006, S. 171). Die Lehrkräfte des Risikomusters A sowie des Schonungstyps S unterscheiden sich von den Lehrpersonen des Gesundheitstyps ebenfalls signifikant. Schüler, die von Lehrkräften des Gesundheitstypus unterrichtet werden, bewerten das Unterrichtshandeln insgesamt sowie die eigene Motivierung positiver (Klusmann et al. 2008).Footnote 3

Mit Blick auf die Unterrichtsqualität unterscheiden sich die beiden Risikotypen und der Schonungstyp jedoch nur in geringem Maße. Während Lehrkräfte des sog. Schonungstyps (Muster S) aus der Perspektive der Belastungs- und Beanspruchungsforschung kein Problem darstellen, sind sie mit Blick auf das Lernen der Schüler und die Unterrichtsqualität durchaus problematisch. Aus dieser, über die personenbezogenen Folgen hinausgehende Perspektive erscheinen dann auch die Befunde zu den positiven Wirkungen bspw. entwickelter und erprobter Trainingsmodelle in einem anderen Lichte, da bei aktiven Lehrkräften, Referendaren und Lehramtsstudierenden eine Verringerung der B-Muster-Anteile in einer Stichprobe, die an einer solchen Interventionsmaßnahme teilgenommen hat, vor allem mit einer Zunahme des Schonungsmusters einher geht (vgl. Abujatum et al. 2007).

Insgesamt ergibt sich aus der Dominanz persönlichkeitspsychologischer Ansätze zur Bearbeitung des Forschungsbereichs Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf schließlich auch die Konzentration auf verhaltensbezogene Interventions- und Pr ä vention s maßnahmen (vgl. u. a. Kramis-Aebischer 1995; Arold 2005; Lehr/Sosnowsky/Hillert 2007). Dass bei riskanten persönlichen Verhaltensweisen, die zudem potentiell mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen einhergehen, Maßnahmen der Verhaltensprävention notwendig sind, steht außer Frage. Wie Lehrerinnen und Lehrer mit den Belastungen ihres Berufes umgehen, ist im Sinne eines verhaltenspräventiven Ansatzes ein wichtiger Faktor, wobei als grundsätzliches Problem berufsspezifischer Interventions- und Präventionsmaßnahmen der Umstand anzusehen ist, dass sie der Situationsspezifität der Beanspruchung, von der die jeweiligen Bewältigungsstrategien abhängig sind (vgl. Dewe 1985), nur mit Einschränkungen gerecht werden können. Insbesondere die Frage nach der Wirksamkeit geförderter Bewältigungsstrategien und -kompetenzen erscheint situationsabhängig (Dewe 2003), womit wiederum die Notwendigkeit einer zu berücksichtigenden breiteren Perspektive herausgestellt wird, die sich auch im Bereich der Prävention nicht allein auf die individuellen, personenbezogenen Aspekte beschränken kann.

In der bisherigen Forschung tritt die Verhältnisprävention und die Frage, wie der Arbeitsplatz und die Arbeitstätigkeit von Lehrkräften zu gestalten sind, um Belastungen mit negativen Folgen zu minimieren oder zu verhindern, in den Hintergrund. Die Forschung zur Belastungs und Beanspruchung im Lehrerberuf erweist sich auch hier systematisch und konzeptionell auf dem verhältnis- oder bedingungsbezogenen Auge blind, setzt die Verhältnisprävention doch gesichertes Wissen über die riskante Wirkung bestimmter Arbeits- und Handlungsbedingungen sowie der Arbeitstätigkeit voraus, um Verbesserungen zu initiieren. Verhaltensorientierte Maßnahmen können die Lehrkräfte zwar für die Anforderungen und Belastungen ihrer Tätigkeit wappnen, die relevanten strukturellen und potentiell belastenden Arbeits- und Rahmenbedingungen der Berufsausübung bleiben indes unverändert.

Erst wenn belastbare Befunde zu Einfluss und Wirkung sowohl strukturell arbeitsbezogener als auch personenbezogener Merkmale und Faktoren vorliegen, kann entschieden werden, ob verhaltens- oder verhältnisbezogenen Interventionen der Vorzug zu geben ist bzw. inwieweit beide Interventionsmöglichkeiten aufeinander abzustimmen und miteinander zu verzahnen sind (vgl. Mohr/Semmer 2002).

3 Fazit

Trotz der regen Tätigkeit im Bereich der Forschung zur Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf in den letzten 20 Jahren und der kaum noch zu überblickenden Zahl von Publikationen sind hinsichtlich des Erkenntnisgewinns in Anbetracht der hier skizzierten ‚blinden Flecke’ der Forschung die genannten Einschränkungen geltend zu machen. Die systematische Unterbelichtung relevanter Einflussfaktoren und Aspekte in der Lehrerbelastungsforschung wird durch die Konzentration auf die Persönlichkeitseigenschaften der Lehrkräfte verursacht, während berufsspezifische Aspekte, der strukturelle Rahmen der Berufstätigkeit und des Arbeitsplatzes in den Hintergrund geraten bzw. gar nicht erfasst werden. Beurteilungen, die in den Lehrkräften selbst die primäre Ursache für die Belastungs- und Beanspruchungssituation sehen und in der Konsequenz das Thema auf ein Rekrutierungsproblem reduzieren, verfügen mangels entsprechender Untersuchungen, die beide Facetten systematisch erfassen, über keine gesicherte empirische Grundlage.

Untersuchungen, die allein personenbezogene Merkmale erfassen und die in der Lehrerbelastungsforschung bislang zweifellos eine bedeutende Facette im Zusammenhang zwischen Belastung und Beanspruchung, Arbeit und Gesundheit beleuchten, sind daher in verstärktem Maße durch Studien zu ergänzen, die sich der Erfassung struktureller, berufsspezifischer Merkmale des Arbeitsplatzes und des beruflichen Handelns von Lehrerinnen und Lehrern und damit einer arbeits- bzw. bedingungsbezogenen Analyse der Berufstätigkeit mit Blick auf Belastungen und Beanspruchungen widmen (vgl. Krause 2004a , b; Krause et al. 2008), um auf diese Weise langfristig eine fruchtbare Integration beider Betrachtungsweisen zu ermöglichen. Zudem erscheint eine systematische Erweiterung der Perspektive der Lehrerbelastungsforschung auf die bislang vernachlässigten nicht-lehrerbezogenen Folgen dringend geboten.

Die Erfassung „objektiver“ Merkmale des beruflichen Handelns von Lehrerinnen und Lehrern wäre das Ziel einer bedingungsbezogenen Analyse der Berufstätigkeit und ihrer Belastungen und Beanspruchungen (Oesterreich 2008). Unter Nutzung einer solchen arbeits- und bedingungsbezogenen Perspektive auf den Beruf des Lehrers gilt es letztlich, im Sinne einer Primärprävention und des Gesundheitsschutzes, die Arbeitstätigkeit und ihre Bedingungen so zu gestalten, dass die mit der Berufsausübung einhergehenden Belastungen keine negativen Folgen im Sinne negativer Beanspruchungen haben. Lehrerinnen und Lehrer unter personen- bzw. verhaltensbezogener Perspektive auf den Umgang mit negativ wirkenden beruflichen Belastungen, speziell aber für die Bewältigung beruflicher Beanspruchungen zu wappnen, erscheint m.E. erst dann primär geboten, wenn sich die negativen Beanspruchungen strukturell nicht verhindern lassen.