1 Die Herausforderungen

Unternehmen, soziale Organisationen und öffentliche Verwaltungen stehen derzeit vor tiefgreifenden Transformationsprozessen. Der Strukturwandel betrifft Geschäftsmodelle, Prozesse, Produkte und Dienstleistungen. Im 21. Jahrhundert hat die Geschwindigkeit der Veränderung noch einmal zugenommen (Schwab und Malleret 2020; Straubhaar 2019). Treiber hierfür sind mitunter die 3 „D“s: Digitalisierung, De-karbonisierung und Demografie, die zeitgleich bewältigt werden müssen. Nach Schätzungen von IBM werden sich in den kommenden fünf Jahren 120 Mio. Beschäftigte weltweit neu erfinden müssen (Kämpf et al. 2023, S. 17 f.). Die Ursache: KI-basierte Automatisierung – die Bot-Ära (Linden 2023). Auch die durch den Klimawandel notwendige Dekarbonisierung erfordert einen tiefgreifenden Wandel in vielen Branchen wie z. B. der Energiewirtschaft, der Automobilindustrie oder der Chemischen Industrie. Ein Treiber, der in der bisherigen Diskussion leider noch viel zu wenig Aufmerksamkeit erhält, ist der demografische Wandel. In einer aktuellen Studie kommt der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Bernd Fitzenberger zu dem Ergebnis, dass im weiteren Verlauf der 2020er-Jahre die Erwerbsbevölkerung in Deutschland demografiebedingt schrumpfen wird (2024). Damit bestätigt sich eine Analyse aus dem Jahr 2021 des IAB, wonach Erwerbspersonenpotential im Jahr 2060 um bis zu 16 Mio. Erwerbstätigen, d. h. um 33 % sinken könnte (Fuchs et al. 2021, S. 4).

Angesichts der 3‑D-Megatrends und der anspruchsvollen Kontextbedingungen gilt heutzutage die Fähigkeit, sich schnell auf veränderte Umweltanforderungen einstellen zu können, als zentrale Kernkompetenz von Unternehmen, aber auch für Organisationen des öffentlichen Sektors, wie zum Beispiel der Bundesagentur für Arbeit (BA). Als ein zentraler Akteur des deutschen Arbeitsmarktes hat die BA im Kontext ihres gesetzlichen Auftrags den Anspruch, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformationsprozesse aktiv und vorausschauend mitzugestalten. Mit dem Ziel, die modernste öffentliche Dienstleisterin Europas zu werden, möchte die BA eine Vorbildfunktion im öffentlichen Sektor einnehmen. Damit dies gelingt, muss sich die BA kontinuierlich weiterentwickeln und sich den veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen.

Dabei ist die BA als Organisation selbst von den 3 D’s betroffen und muss den aktuellen Herausforderungen von Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografischer Entwicklungen, gerecht werden. So verliert die BA in den nächsten 10 Jahren altersbedingt ein Drittel ihres Personals (Nahles und Schmitz 2023, S. 57). „Um diese Herausforderung bewältigen zu können, bedeutet dies konkret“, so Nahles/Schmitz, „dass wir alle Potenziale der Automatisierung heben müssen, die sich uns bieten, wir aber zugleich unseren Mitarbeitenden das Versprechen geben müssen, dass wir niemanden entlassen“ (ebd.). „Automatisierung küsst Demografie“ bringt die Vorstandsvorsitzende Andrea Nahles diesen Zusammenhang auf den Punkt.

Da bis 2030 alle Bundesbehörden klimaneutral organisiert sein sollen, verfolgt die BA zudem das Ziel, die Klimaziele des Bundes umzusetzen und einen wesentlichen Beitrag zur CO2-Reduktion zu leisten. Neben der ökologischen Nachhaltigkeit verfolgt die BA zudem die ökonomische und soziale Dimension der Nachhaltigkeit.

In der Gestaltung ihres Zukunftsgeschäftes muss sich die BA auf die sich verändernden Umweltbedingungen einstellen, veränderte Bedürfnisse und Erwartungen ihrer Kundinnen und Kunden aufgreifen und in ihren Produkten, Programmen und Dienstleistungen oder gar Geschäftsmodellen adressieren und innovativer und produktiver werden. Dabei gilt es sowohl die Chancen der Automatisierung zu nutzen als auch Produkte und Dienstleistungen auf sozial innovative Weise anzubieten.

Diesen Aufgaben und Herausforderungen will sich die BA stellen, ohne ihr bisheriges Kerngeschäft, die Existenz- und Grundsicherung, das Kindergeld, die Förderung der Teilhabe an der Gesellschaft sowie die Arbeits- und Fachkräftesicherung, zu vernachlässigen. Bei eingeschränkten Ressourcen muss sie einerseits Standardmassenlösungen (z. B. Kurzarbeit) hocheffizient, zuverlässig und transparent bearbeiten und dabei die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte berücksichtigen, damit sie die steigende Nachfrage von Kundinnen und Kunden bedienen und die Kosten reduzieren kann. Andererseits sind zunehmend individualisierte Lösungen für Kundinnen und Kunden zu ermöglichen.

Wie aber kann die BA ihre Innovations- und Veränderungsfähigkeit steigern, ohne an Effizienz und Stabilität im laufenden Geschäft zu verlieren? Das Konzept der Ambidextrie kann hierbei einen wichtigen Beitrag leisten. Das im folgenden Beitrag dargestellte Führungsmodell der Bundesagentur für Arbeit baut auf diesem Konzept auf. Ziel der Entwicklung des Führungsmodells war es, zu beschreiben, was gute Führung in der BA ausmacht, um den oft gegensätzlichen Anforderungen an Führung, die sich aus erfolgreichem Management des Kerngeschäftes der BA und mutiger Zukunftsgestaltung ergeben, gerecht zu werden.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA)

mit Sitz in Nürnberg ist Ansprechpartnerin für die Arbeits- und Ausbildungsvermittlung und die Beratung zu Themen rund um den Beruf. Sie erbringt Leistungen für den Arbeitsmarkt, insbesondere die Arbeitsvermittlung sowie die Arbeitsförderung, sowie das Kindergeld. Zudem regelt sie als Verwaltungsträgerin der deutschen Arbeitslosenversicherung die finanziellen Entgeltersatzleistungen, z. B. das Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld.

Die BA ist eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung, die der Rechtsaufsicht durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unterliegt. Die Bundesagentur für Arbeit ist mit etwa 113.000 Beschäftigten im Bundesgebiet (davon arbeiten 42.900 in den gemeinsamen Einrichtungen – Jobcentern – und 5200 in der Familienkasse) eine der größten Behörden in Deutschland und eine der größten Arbeitgeberinnen des Bundes.

2 Ambidextrie und ambidextre Führung – Stand der Forschung

Für die beschriebenen multiplen Transformationsprozesse liefert das Konzept der Ambidextrie einen zeitgemäßen Lösungsansatz. Im Managementkontext wurde der Begriff AmbidextrieFootnote 1 erstmals 1976 von Robert Duncan verwendet. Er sprach sich dafür aus, duale Strukturen für Innovationen zu entwickeln, nämlich organische Strukturen in frühen Phasen und mechanistischere Strukturen in der Umsetzungs- und Skalierungsphase von Innovationen (ebd., S. 167–188). March (1991, S. 71–74) griff diese Argumentationslinie auf und hat sie mit der Unterscheidung der beiden Lernmodi „Exploration“ und „Exploitation“ erweitert. Hinsichtlich des Wesens von Exploration und Exploitation formulierte March (1991, S. 71): „Exploration includes things captured by terms such as search, variation, risk taking experimentation, play, flexibility, discovery, innovation. Exploitation includes such things as refinement, choice, production, efficiency selection, implementation, execution“. Exploration bezieht sich demzufolge auf Innovation und die Generierung neuen Wissens. Exploitation hingehen auf Effizienz und das Ausbeuten etablierter Erfolgsmuster. Nach Duncan (1976) und March (1991) beherrschen ambidextre Organisationen sowohl Anpassungsfähigkeit als auch effiziente Umsetzung und balancieren geschickt zwischen der Optimierung des gegenwärtigen Kerngeschäftes und dem zukünftigen Erfolg und den Innovationen für die Zukunftsgestaltung (Birkinshaw und Gibson 2004; O’Reilly und Tushman 2008; Gergs und Lakeit 2020).

Mit Beginn der 1990er-Jahre hat sich zum Thema Ambidextrie eine lebhafte wissenschaftliche Diskussion entwickelt. Von besonderer Bedeutung waren in dieser Zeit die wegweisenden Arbeiten von Tushman und O’Reilly (1996), die dem Konzept der Ambidextrie zu einem Durchbruch in der wissenschaftlichen Debatte verhalfen. Der Aufschwung des Konzeptes hat sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts weiter fortgesetzt (Guth 2021, S. 11 ff.).

Dabei wurden die zumeist theoretischen Überlegungen der Anfangsjahre durch eine Vielzahl empirischer Studien untermauert. Vor dem Hintergrund der eingangs beschriebenen multiplen Transformationsprozesse (Digitalisierung, Dekarbonisierung, Demographie) und der beschleunigten Innovationszyklen, erlebt das Konzept der Ambidextrie gegenwärtig einen regelrechten Boom. O’Reilly und Tushman (2021) kommen in ihrem aktuellen Buch zu dem Schluss, dass Ambidextrie gerade in Zeiten hoher Dynamik, Unsicherheit und Komplexität von wachsender Bedeutung ist. Die Grundidee der Ambidextrie findet dabei breite Anwendung in unterschiedlichsten Feldern, wie z. B. im strategischen Management, im Innovationsmanagement oder dem Change-Management.

Die positiven Auswirkungen von Ambidextrie auf den Unternehmenserfolg konnte in zahlreichen Studien nachgewiesen werden. Im Rahmen einer Metaanalyse konnten Junni et al. (2013) zeigen, dass organisationale Ambidextrie positiv und signifikant mit der Unternehmensleistung zusammenhängt. Frühere Untersuchungen konnten ferner nachweisen, dass organisationale Ambidextrie insbesondere bei erhöhtem Wettbewerbsdruck zu einem zentralen Erfolgsfaktor wird (Auh und Menguc 2005; Bierly und Daly 2007). Diesen Zusammenhang konnten Szlang und Bruch (2020) in einer großen Studie bestätigen. Fojcik (2015a) referenzierte auf Untersuchungen, die einen signifikanten und positiven Effekt zwischen dem ganzheitlichen Ambidextrie-Konstrukt und objektiven Performanz Parametern wie Umsatzwachstum, Innovationsfähigkeit, Marktbewertung sowie die Überlebensfähigkeit konstatierten.

Dieser positive Zusammenhang zwischen Ambidextrie und Unternehmenserfolg lässt sich nicht nur für Unternehmen feststellen, sondern auch für Organisationen des öffentlichen Sektors (Cannaerts et al. 2020), die, wie oben beschrieben angesichts disruptiver Veränderungen durch Digitalisierung, E‑Government, New Public Management und den gesellschaftlichen Wandel ebenfalls unter steigendem Veränderungsdruck stehen.

Wenn man die bislang vorliegenden Veröffentlichungen zur Ambidextrie betrachtet, wird jedoch deutlich, dass sich die bisherige Diskussion stark um die Themen Strukturen und Prozesse (Sailer 2020, S. 12) oder Strategie (Zakrzewska-Bielawska 2021, S. 28 ff.) dreht.

O’Reilly und Tushman (2008, 2021) weisen darauf hin, dass ambidextre Organisationen insbesondere ambidextre Top Manager und Top Management Teams benötigen, die die unterschiedlichen Anforderungen in den verschiedenen Bereichen verstehen und sie erfolgreich ausbalancieren können. Diese Bedeutung des Top-Managements bestätigen auch die Untersuchungen von Lubatkin et al. (2006) und DaHee Shon (2019). Zacher und Rosing (2015) sowie Gerlach et al. (2020) konnten in ihren Untersuchungen nachweisen, dass sich ein ambidextres Führungsverhalten positiv auf die Innovationsfähigkeit von Teams und auf die operativen Leistungen von Mitarbeitenden auswirkt.

Obwohl immer wieder darauf hingewiesen wird, dass die Rolle von Führungskräften in der Gestaltung einer ambidextriefähigen Organisation von großer Bedeutung ist (Kearney 2013; Klonek et al. 2023; Mueller et al. 2020; Papachroni und Heracleous 2020) sind theoretische Konzepte und empirische Befunde zur Führung von ambidextren Organisationen noch überschaubar. Gleichzeitig werden Führungsmodelle gefordert, die den Anforderungen des 21. Jahrhunderts, beispielsweise im Hinblick auf den geeigneten Umgang mit Widersprüchen und Paradoxien (Kearney 2013), den Umgang mit größerer Mehrdeutigkeit und schnellem Wandel (Kaplan und Kaiser 2006) gerecht werden.

Im Rahmen ihrer Untersuchungen zu Führung in Innovationsprozessen entwickelten Rosing und Zacher 2011 erstmals einen Ansatz ambidextrer Führung, die im Spannungsfeld von kreativer Ideengenerierung und effizienter Ideenumsetzung mit unterschiedlichen Führungsverhaltensweisen (öffnende und schließende Führungsverhaltensweisen), Teams und Individuen dabei unterstützen, sowohl die Erkundung und Innovation zu fördern als auch die strukturierte und effiziente Umsetzung von Ideen im Kerngeschäft ermöglichen (Rosing et al. 2011; Rosing und Zacher 2023).

DaHee Shon definierte (2019) in seinem Ambidextriemodell effektive, ambidextre Führung als die Fähigkeit, je nach situativer Anforderung zwischen Exploitation und Exploration hin- und herzuwechseln und im Zeitverlauf ein Gesamtgleichgewicht zwischen Exploration und Exploitation auf hohem Niveau aufrechtzuerhalten. Kearney beschrieb (2013) ambidextre Führung von Teams als bewusste Verbindung komplementärer Verhaltensweisen und nahm eine Operationalisierung mit jeweils zwei Items entlang der vier Gegensatzpaare aus Autonomie und Vorgaben, Dissens und Konsens, Exploration und Exploitation sowie Qualität und Geschwindigkeit vor.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass zahlreiche empirische Belege dafürsprechen, dass ambidextre Führung zu einer gesteigerten Innovations- und damit auch Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens führt. Ein wissenschaftlich fundiertes ambidextres Führungsmodell, das das Ambidextrie-Konstrukt in konkretes Führungsverhalten herunterbricht, liegt aber bislang nur in Ansätzen vor (Rosing und Zacher 2023, S. 7).

3 Ambidextre Führung – Das Führungsmodell der BA

Da der Ansatz der Ambidextrie Verhaltensmöglichkeiten für den Umgang mit konkurrierenden und scheinbar paradoxen Zielen und Anforderungen aufzeigt, schien er für die Bundesagentur für Arbeit, geeignet, um im Spannungsfeld zwischen effizientem Management des Kerngeschäftes und innovativer Zukunftsgestaltung, geeignete Antworten zu finden. Die Handlungsmuster Exploitation und Exploration und die geeignete Balance zwischen den beiden Handlungsmustern sind auf die Dienstleistungsprozesse der Bundesagentur für Arbeit übertragbar.

Deshalb hat sich die BA dazu entschieden, ein ambidextres Führungsmodell zu entwickeln. Bei der Entwicklung des Führungsmodells wurde auf interne und externe Überlegungen, Analysen und Erfahrungen zurückgegriffen. Im Sinne der Verbindung von „Be“-stehendem und „Ent“-stehendem, entstand das Führungsmodell in Anknüpfung an die bisherigen Führungsgrundsätze und das Kompetenzmodell der BA. Um das Führungsmodell auf eine theoretisch-konzeptionell und empirisch fundierte Basis zu setzen, wurden in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für empirische Organisationsforschung und dem Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpsychologie der Universität Regensburg zahlreiche in der Literatur und Praxis vorliegenden Führungsmodelle gesichtet und in einer vergleichenden Synopse analysiert (vgl. Abb. 5 im Anhang)Footnote 2. Auf der Grundlage dieser Analyse wurden die zentralen Dimensionen für das ambidextre Führungsmodell der BA abgeleitet.

3.1 Der wissenschaftliche Hintergrund des Modells

Mit dem Zusammenhang von Stabilität und Wandel hat sich bereits in den 1950er-Jahren Talcott Parsons (1951) – einer der großen Soziologen seiner Zeit – beschäftigt. Auf der Grundlage von empirischen Ergebnissen aus der Kleingruppenforschung hat Parsons mit dem AGIL-Schema ein elaboriertes theoretisches Modell entwickelt, das sich auf alle Arten von sozialen Systemen (Gruppen, Organisationen, Gesellschaften) übertragen lässt. Er hat in seinen Studien festgestellt, dass die sozialen Systeme nur dann dauerhaft bestanden, wenn sie vier grundlegende Funktionen erfüllten:

  1. 1.

    Adaptation (Anpassung/Zukunftsbezug): Die Fähigkeit eines sozialen Systems, auf die sich verändernden äußeren Bedingungen zu reagieren und sich entsprechend anzupassen.

  2. 2.

    Goal Attainment (Zielverfolgung/Gegenwartsbezug): Die Fähigkeit eines sozialen Systems, eigene Ziele zu definieren und zu verfolgen.

  3. 3.

    Integration (Eingliederung/Gegenwartsbezug): Die Fähigkeit eines sozialen Systems, Kohäsion (Zusammenhalt) und Inklusion (Einschluss) im Inneren herzustellen und abzusichern (Rollen, Positionen, Arbeitsorganisation etc.).

  4. 4.

    Latency bzw. Latent Pattern Maintenance (Aufrechterhaltung/Zukunftsbezug): Die Fähigkeit eines sozialen Systems, zur dauerhaften Gewährleistung seiner inneren Ordnung grundlegende Werte und Normen auszubilden und aufrechtzuerhalten (Identität, Kultur).

Während „Adaptation“ und „Goal Attainment“ für Anpassung und Veränderung eines sozialen Systems stehen (Zukunft/Exploration), sichern „Integration“ und „Latency“ die Ordnung, die Normen und Werte des Systems (Gegenwart/Exploitation) (siehe Abb. 1). Jedes soziale System muss also zwei Probleme zeitgleich bewältigen: Es muss sich an seine Umwelt anpassen (Außenperspektive) und zugleich den inneren Zusammenhalt sicherstellen (Innenperspektive). Nach Parsons sind alle vier Funktionserfordernisse als gleich wichtig zu betrachten und beeinflussen sich nicht nur wechselseitig, sondern sind vielmehr wechselseitig aufeinander angewiesen.

Abb. 1
figure 1

Das AGIL-Schema von Parsons

Problematisch dabei ist, dass sich die vier Funktionserfordernisse nicht leicht in Einklang bringen lassen, da sie in einem dauerhaften Widerspruch zueinanderstehen. Sie sind Spannungspole, die kontinuierlich aufeinander bezogen werden müssen. Widerstrebende Impulse müssen permanent neu austariert und unter einen Hut gebracht werden: Wandel vs. Beständigkeit, Zusammenhalt vs. Offenheit, die Verteidigung unserer Identität vs. die Fähigkeit, Neues anzunehmen. In der Praxis bedeutet das nach Parsons, diesen Abstimmungsprozess unter den vier Funktionserfordernissen kontinuierlich in Gang zu halten. Es gehört zu der hohen Kunst der Führung, die widersprüchlichen Anforderungen aller vier Felder in Einklang zu bringen. Geschieht dies nicht, ist der Bestand der Organisation auf Dauer gefährdet.

Diese konzeptionellen Grundlagen des AGIL-Schemas haben die Organisationsforscher Rohrbaugh und Quinn (1983) und später Cameron und Quinn (2011) aufgegriffen. Sie gingen der Frage nach, wie Unternehmenskultur und Unternehmenserfolg zusammenhängen. Auf der Suche nach Kriterien organisationaler Effektivität entstand das „Competing Values Framework“ (CVF), das wichtige Ansatzpunkte liefert, wie beidhändige Führung (von Exploration und Exploitation) in der Führungspraxis funktionieren kann.

Die Forscher stellten für die Entwicklung des CVF 30 Kriterien zum Erfolg von Unternehmen zusammen und ließen diese in mehreren Studien von ExpertInnen hinsichtlich ihrer Bedeutung beurteilen. Die 30 Kriterien konnten im Verlaufe des Forschungsprozesses auf 12 zentrale Kriterien verdichtet werden, die sich auf einer vertikalen und einer horizontalen Achse anordnen ließen (Cameron et al. 2014, S. 30 ff.; Cameron und Quinn 2011). Die vertikale Achse verläuft entlang der Pole interner vs. externer Fokus (d. h. auf Mitarbeiter und Prozesse der Organisation gerichtet vs. auf die organisationale Umwelt, den Markt gerichtete Orientierung) und die horizontale Achse verläuft entlang der Pole Wandel vs. Stabilität. Hierdurch entstehen vier Handlungsfelder: „Collaborate“, „Create“, „Compete“ und „Control“ (siehe Abb. 2). Sie lassen sich entlang der Achse Wandel vs. Stabilität dem Bereich Exploration (Create & Collaborate) bzw. dem Bereich Exploitation (Control & Compete) zuordnenFootnote 3.

Abb. 2
figure 2

Das Competing Values Framework. (Aus Gründen der besseren Vergleichbarkeit mit dem Führungsmodell der BA haben wir in der Abbildung die Achsen „extern/intern“ und „Flexibilität/Stabilität“ des CVF getauscht)

Dem CVF liegen zwei zentrale Annahmen zu Grunde:

  1. 1.

    Die Handlungsfelder stehen (wie beim AGIL-Schema) in Spannung bzw. in Konkurrenz zueinander, weshalb Cameron et al. von „Competing Values“ sprechen (2014, S. 51 ff.).

  2. 2.

    Langfristig betrachtet sind alle vier Handlungsfelder, die in einer wechselseitigen Abhängigkeit zueinanderstehen, gleich wichtig.

Das CVF geht ferner davon aus, dass die vier Handlungsfelder nicht immer in genau dem gleichen Umfang und mit der gleichen Energie bearbeitet werden müssen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt der Entwicklung einer Organisation kann bzw. muss die Führung ein bestimmtes Handlungsfeld mit Priorität behandeln. So muss z. B. das Management eines Start-ups den Fokus seines Handelns zunächst auf die beiden Handlungsfelder „Create“ und „Compete“ richten, ohne jedoch die beiden anderen Handlungsfelder völlig aus dem Blick zu verlieren. Sie werden bei späterem Wachstum der Organisation zunehmend bedeutsamer. Es gibt also beim „Auspendeln“ der vier in sich widersprüchlichen Handlungsfelder keinen archimedischen Punkt, keine „vernünftige Mitte“ (Cameron et al. 2014, S. 66 ff.). Zentrale Aufgabe der Führung ist es, in diesem fortlaufenden Prozess des Ausbalancierens alle vier Handlungsfelder im Blick zu behalten. Dies ist die zentrale Aufgabe der Führung.

Die vier Handlungsfelder des CVF bieten eine hervorragende Grundlage, für die Entwicklung eines ambidextren Führungsmodells. Die Felder lassen sich wie folgt den beiden Feldern Exploration (öffnendes Führungsverhalten) und Exploitation (schließendes Führungsverhalten) zuordnen:

Exploration:

  • „Create“: Entwicklung von neuen Produkten, Geschäftsfeldern, etc. (Zukunft/externer Fokus)

  • „Collaborate“: Entwicklung von Menschen, Beziehungen, Netzwerken, etc. (Zukunft/interner Fokus)

Exploitation:

  • „Compete“: Stabilisierung/Sicherung von Ergebnissen, Gewinnen, Marktanteilen (Gegenwart/externer Fokus)

  • „Control“: Stabilisierung/Sicherung von Strukturen, Prozessen, Kontrolle, etc. (Gegenwart/interner Fokus)

Insgesamt wird in diesem Modell öffnendes und schließendes Führungsverhalten (Rosing et al. 2011) im Sinne Luhmanns (2002) nach einer sozialen und einer sachlichen Dimension weiter differenziert. Diese Differenzierung stellt eine wichtige Weiterentwicklung in der Diskussion um ambidextre Führung dar. Sie erlaubt es Führungskräften bezogen auf öffnenden und schließendes Verhalten, sowohl den internen Kontext der Organisation wie auch den externen Kontext der Umfeldbedingungen angemessen zu berücksichtigen.

Ambidextre Führungskräfte haben die vier Handlungsfelder immer im Blick. Ihre wesentliche Qualität besteht darin, zu wissen, wann sie welches Handlungsfeld bearbeiten müssen. In Situationen, in denen nach kreativen, neuen Lösungen gesucht wird, braucht es Führung in der Rolle des Innovators und Entrepreneurs, d. h. ein öffnendes Führungsverhalten. In Situationen, in denen es um die Steigerung der Produktivität, um Kostenreduzierung und Ähnliches geht, braucht es den strukturierten Manager, d. h. ein schließendes Führungsverhalten. Erfolgreiche ambidextre Führungskräfte schaffen es, die inhärenten Widersprüche und Paradoxien der vier Handlungsfelder auszutarieren. Sie können, wenn es die Situation erfordert, zielgerichtet zupacken, aber auch aufmerksam zuhören. Sie können erst die Richtung vorgeben und dann wieder einfühlsam mitgehen. Kurzum: Sie schaffen es, Exploitation und Exploration intelligent und dynamisch miteinander zu verbinden und behalten dabei sowohl den Markt bzw. die externen Umfeldbedingungen als auch den internen Kontext der Organisation im Blick.

3.2 Das ambidextre Führungsverständnis der Bundesagentur für Arbeit

Das Führungsverständnis der BA baut wesentlich auf dem Konzept der Ambidextrie auf und verbindet dieses mit der Theorie des „Competing Value Framework“ (CVF)Footnote 4. Diese Kombination eröffnet Führungskräften hilfreiche, praxistaugliche Ansätze für den ausgewogenen Umgang mit Veränderungen, Spannungspolen, Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen.

Das ambidextre Führungsverständnis der BA soll ihren Führungskräften …

  • eine gemeinsame Orientierungsgrundlage geben, was gute Führungsleistung bei der Bundesagentur für Arbeit bedeutet.

  • verschiedene für den Führungsprozess relevante Ebenen aufzeigen und die Verhaltensflexibilität erweitern.

  • helfen, über ihr persönliches Führungshandeln, ihre Stärken und ihre persönliche Weiter-Entwicklung zu reflektieren.

  • konkrete Ansatzpunkte liefern, wie sie persönliche Ambidextriefähigkeit erlangen und diese an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergeben.

Entsprechend dem Managementkonzept der Ambidextrie sollen die Führungskräfte der BA ihren Blick sowohl auf das aktuelle Tagesgeschäft (Exploitation) als auch auf die Zukunftsgestaltung (Exploration) richten und sich dabei sowohl an ihrem externen Umfeld und ihren externen Interessensgruppen wie Kundinnen und Kunden als auch an ihrer Organisation und ihren internen Interessengruppen orientieren.

Inspiriert vom CVF wurden für das Führungsverständnis der BA entlang der vertikalen Achse „externer Fokus vs. interner Fokus“ und der horizontalen Achse „Stabilität/Gegenwart/Kerngeschäft vs. Wechsel/Zukunft(sgeschäft)“ Handlungsfelder abgeleitet (siehe Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Das Führungsmodell der BA im Überblick

Führungskräfte …

  • unterstützen und fördern Menschen („Collaborate“ im CVF)

  • sorgen für Struktur („Control“ im CVF)

  • sichern gute Ergebnisse („Compete“ im CVF)

  • gestalten Zukunft („Create“ im CVF)

Die Wahrnehmung und Priorisierung der vier Handlungsfelder sind je nach Führungsebene, Funktion, Kontext und Zielstellung, unterschiedlich ausgeprägt und bergen mitunter beträchtliche Zielkonflikte in sich. Es wird explizit dazu eingeladen, im Führungsteam Themen- und Rollenbereiche gemeinsam zu bearbeiten bzw. aufzuteilen.

Mit jedem der vier Handlungsfelder werden konkrete Verhaltenserwartungen an die Führungskraft geknüpft. Für jedes Handlungsfeld sind aus diesem Grunde sogenannte Verhaltensanker definiert, die mit konkreten Verhaltensbeschreibungen (und Kompetenzen) hinterlegt sind. Die insgesamt 17 Verhaltensanker dienen den Führungskräften als Orientierungspunkte für den Führungsalltag (siehe Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Das Führungsmodell der BA mit den 17 Verhaltensankern zur Konkretisierung des Führungsverhaltens

Idealtypisch bewegt sich eine ambidextre Führungskraft flexibel zwischen den Handlungsfeldern und balanciert dabei mögliche Zielkonflikte und Widersprüchlichkeiten aus. Sie entscheidet, je nach externen und internen Rahmenbedingungen, welches Handlungsfeld sie schwerpunktmäßig verfolgt bzw. welche Rolle sie schwerpunktmäßig einnimmt, wann sie flexibel in eine andere Rolle wechselt und wie sie die einzelnen Rollen – und mit wessen Unterstützung – wahrnimmt.

Dieser „Tanz“ zwischen den Handlungsfeldern fordert ein hohes Maß an Reflektionsfähigkeit und Ambiguitätstoleranz. Die ambidextre Führungskraft überprüft ihr Führungsverhalten kontinuierlich auf Wirksamkeit und reflektiert systematisch, mit welchem Führungsverhalten sie den jeweiligen Anforderungen am besten gerecht wird. Sie lässt sich kontinuierlich auf andere Perspektiven ein, führt Aufgaben (Sachdimension) und Menschen (Sozialdimension) zusammen und stärkt den gemeinsamen Dialog. Ergeben sich Spannungen und Konflikte zwischen den Handlungsfeldern, erkennt die ambidextre Führungskraft diese nicht nur, sondern thematisiert diese offen und findet einen konstruktiven Umgang damit. Zentral dabei ist: sie integriert Widersprüche, die sich zwischen den vier Handlungsfeldern zeigen.

Die wesentliche Qualität einer ambidextren Führungskraft besteht also darin, zu wissen, wann sie in welcher Kombination die vier Handlungsfelder über ihr jeweiliges Führungsverhalten „bedient“. Geht es um Innovation, neue Angebote und Geschäftsmodelle oder persönliches und gemeinsames Lernen (Exploration), so stehen die Handlungsfelder „gestaltet Zukunft“ und „unterstützt und fördert Menschen“ im Fokus. Wenn es dagegen eher um die effiziente Abarbeitung des Tagesgeschäftes und um inkrementelle Verbesserungen in Strukturen und Prozessen geht (Exploitation), dann stehen die Handlungsfelder „sorgt für Struktur“ oder „sichert Ergebnisse“ im Vordergrund. Die ambidextre Führungskraft nimmt sich bewusst aller vier Handlungsfelder an. Sie bindet ein, baut Brücken und vermittelt zwischen den Ansprüchen des Tagesgeschäfts und der Innovationsarbeit. Und: Sie erkennt immer, in welchem Kontext sie sich gerade bewegt und passt ihr Führungshandeln daran an.

Ambidextre Führung nach dem Führungsmodell der BA wird demzufolge, ähnlich wie bei Rosing et al. (2011), operationalisiert als die kontextabhängige adäquate Balance zwischen explorativem (Verhaltensanker aus dem Handlungsfeld „gestaltet Zukunft“ sowie dem Handlungsfeld „unterstützt und fördert Menschen“) und exploitativem (Verhaltensanker aus dem Handlungsfeld „sichert Ergebnisse“ sowie dem Handlungsfeld „sorgt für Struktur“) Führungsverhalten. Beidhändige Führung im Sinne des Führungsmodells der BA entspricht also dem situationsabhängigen kombinierten Ausmaß von explorativen und exploitativen Verhaltensweisen (Birkinshaw und Gibson 2004; Lubatkin et al. 2006).

4 Grenzen des Modells und Ausblick für weitere Forschung

Ambivalenzen und Dilemmata sind nicht nur Charakteristika des Führens in Zeiten multipler Transformationsprozesse. Sie sind und waren schon immer ein unvermeidliches Übel moderner Organisationen: Unvermeidlich, weil Organisationen schon immer mit konfliktären Zielsetzungen und komplexen, sich widersprechenden Handlungslogiken zu tun haben. Im AGIL-Schema hat Parsons diese Paradoxien und Dilemmata des Organisierens bereits in den 1950er-Jahren systematisch beschrieben. Neu ist, dass sich in der „Hypermoderne“ nicht nur das Tempo der Veränderungen beschleunigt, sondern auch, dass der Wandel parallel auf unterschiedlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Feldern stattfindet (Klimawandel, demografischer Wandel, etc.). Dies hat dazu geführt, dass sich die Frequenz und Amplituden der Paradoxien und Dilemmata der Führung erhöht haben und im Laufe der Dekade aller Voraussicht nach noch weiter erhöhen werden. Deshalb ist die Frage, wie Führungskräfte damit erfolgreich umgehen können, bedeutsamer denn je.

Dies ist aus unserer Perspektive ein wesentlicher Grund dafür, warum das Konzept der Ambidextrie sowohl in der Wissenschaft wie auch der Praxis derzeit einen weiteren Aufschwung erfährt. Doch trotz der wachsenden Anzahl empirischen Studien gibt es noch eine ganze Reihe von Forschungslücken, die es dringend zu schließen gilt:

Wir sehen für die zukünftige Forschung folgende drei Ansatzpunkte:

  1. 1.

    Zunächst gilt es der Frage nachzugehen, welche grundlegenden Kompetenzen ambidextre Führung erfordert. Aus Sicht der Führungskräfteentwicklung stellt sich konkret die Frage, welche Metakompetenzen systematisch weiterentwickelt werden müssen, um die Ambidextriefähigkeit der Führungskräfte zu erhöhen. Auf der Grundlage unserer bisherigen explorativen Forschungen (Angress-Pletsch 2024) sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass es hier auf fünf Kompetenzen ankommt: Reflexionsfähigkeit, Ambiguitätstoleranz, Lern- und Anpassungsfähigkeit, Integrationsfähigkeit und Selbstregulation. Es gilt nun empirisch zu überprüfen, ob dies wirklich die fünf zentralen Metakompetenzen sind und welchen Beitrag die einzelnen Kompetenzen zur Entwicklung der Ambidextriefähigkeit leisten. Ferner gilt es zu klären, wie die Kompetenzen miteinander zusammenhängen und voneinander abhängig sind.

  2. 2.

    Da individuelle Ambidextrie nachweislich eine wichtige Basis für die Ambidextriefähigkeit von Organisationen ist, muss ferner der Frage nachgegangen werden, inwiefern nicht nur die Ambidextriefähigkeit der Führungskräfte, sondern auch die der Beschäftigten von Bedeutung ist (Rosing und Zacher 2017; Tempelaar und Rosenkranz 2017). Wang et al. (2021) kommen in einer Studie zu dem Befund, dass ambidextres Führungsverhalten für Mitarbeitende belastend sein kann, wenn das Konzept der Ambidextrie zuvor nicht angemessen vermittelt wurde. Wir vertreten hier in Anlehnung an Sparr et al. (2022) die Hypothese, dass das volle Potenzial der Ambidextriefähigkeit einer Organisation erst dann ausgeschöpft werden kann, wenn nicht nur die Ambidextriefähigkeit der Führungskräfte, sondern auch der Beschäftigten systematisch weiterentwickelt wird. Aber auch hierzu braucht es weitere empirische Studien.

  3. 3.

    Es stellt sich drittens die Frage, wie das vorgestellte Führungsmodell mit der Persönlichkeit von Führungskräften zusammenhängt. Die Meta-Analysen von DeRue et al. (2013) und Judge et al. (2002) bestätigten, dass die Big Five der Persönlichkeit zur Untersuchung der dispositionellen Prädiktoren von Führung geeignet sind und Zusammenhänge zwischen den Persönlichkeitsmerkmalen und Führung sowie Führungserfolgskriterien hergestellt werden können. Nimmt man das Persönlichkeitsmodell der Big Five (Rammstedt et al. 2017), stellt sich die Frage, wie die einzelnen Handlungsfelder des ambidextren Führungsmodells der BA mit den Persönlichkeitsmerkmalen korrelieren. Hier liegt die Vermutung nahe, dass z. B. der Erwartungsbereich „sorgt für Struktur“ mit der Persönlichkeitseigenschaft Neurotizismus eng zusammenhängt. Aus der bisherigen Ambidextrie-Forschung (Angress-Pletsch 2024; Ghanizadeh und Ardabili 2021) lassen sich einzelne Zusammenhänge zwischen Big Five Merkmalen und exploitativen, explorativen beziehungsweise ambidextren Führungsverhaltensweisen erkennen. Die Klärung dieser Frage ist für eine Führungskräfteentwicklung und insbesondere der Führungskräfteauswahl äußerst wichtig.

5 Fazit

Ähnlich wie Wirtschaftsunternehmen, profitieren auch öffentliche Verwaltungen wie die Bundesagentur für Arbeit, wenn sie eine ambidextre Strategie verfolgen. So können sie Flexibilität und Effizienz erfolgreicher miteinander verbinden und reduzieren die Risiken einer Überoptimierung, indem sie ihre begrenzten Ressourcen zwischen Optimierung des Kerngeschäfts und innovativer Zukunftsgestaltung ausgewogen einsetzen. Sie können dann stabile und effiziente Dienstleistungsprozesse und Produkte anbieten und vermögen ihr Produkt- und Dienstleistungsangebot kontinuierlich, auf Basis sich ändernder Kundenbedarfe, weiterzuentwickeln. Die aktuellen Forschungsbefunde haben gezeigt, dass es nicht ausreicht, wenn man sich beim Aufbau von Ambidextriefähigkeit nur strukturelle und strategische Aspekte im Blick hat. Ambidextre Organisationen brauchen insbesondere auch ambidextre Führungskräfte, die die unterschiedlichen Anforderungen explorativer und exploitativer Handlungsmuster verstehen und gleichermaßen managen können und dabei Widersprüche und Paradoxien konstruktiv aufnehmen und nutzen. Die Erfahrungen bei der Bundeagentur für Arbeit haben gezeigt, dass das ambidextre Führungsmodell den Führungskräften als wissenschaftlich fundierter Orientierungsrahmen hilft, ihr Führungsverhalten systematisch zu reflektieren, auf die jeweiligen Kontextsituationen flexibel anzupassen und sich persönlich weiterzuentwickeln.