Ein Unternehmen der Energiewirtschaft hat seit 120 Jahren die Aufgabe Menschen mit Energie zu versorgen. Das Verständnis der eigenen Aufgabe wurde bei dem lange Jahre auch staatlichen Unternehmen derart verinnerlicht, dass auch gegenüber den eigenen MitarbeiterInnen eine deutliche Versorgungsmentalität ausgeprägt wurde. Innovationen und Veränderungen werden eher als unnötig angesehen. Insbesondere gesetzliche Vorgaben haben diesem „Idyll“ ein Ende bereitet. Die Organisation wurde aufgespalten. Ein Teil entwickelte fortan unter neuem Namen innovative Techniken zur Energiegewinnung sowie für neue Geschäftsmodelle. Innovationen werden nach Möglichkeit umgehend gewinnbringend umgesetzt, da die Organisation nun börsennotiert ist und Boni einen Anteil der Vergütung ausmachen.

„Schluss mit der Versorgungsmentalität!“ – und so innovativ sein, wie nur eben möglich, ist nun die Devise. Das verstehen die MitarbeiterInnen. Doch das noch existente alte Unternehmenslogo auf dem Dach, dass sie jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit sehen, das Briefpapier mit altem Logo, das noch für Notizen taugt, der gute Kugelschreiber in alten Farben – all diese Dinge erinnern ständig an die alte Zeit, alte Gewohnheiten, alte Abläufe, altes Verhalten – die es nun zu verändern gilt.

Die Forschung aber auch die Praxis zur Gestaltung von Veränderung hat häufig nur das Neue, das Ziel der Veränderung fokussiert, dass es zu erreichen gilt (Kluge und Gronau 2018). Dies kann dann hinreichend sein, wenn die Organisation und ihre MitarbeiterInnen über keine Historie verfügen, die der Anwendung von Neuem entgegensteht.

Gibt es jedoch eine organisationale Historie ist für das Gelingen der Veränderung entscheidend, dass Altes, was durch Neues abgelöst wird, nicht mehr zur Anwendung kommt, und somit das Alte zu Gunsten des Neuen willentlich vergessen wird.

Dies gilt insbesondere für die Veränderung von Verhalten, besonders dann, wenn zu veränderndes Verhalten Teil von Routinen und Prozeduren ist, die hochgelernt und mit geringem Bewusstsein ausgeführt werden können (Becker 2004), die das Rückgrat von Organisationen bilden.

Ziel dieses Beitrags ist es, den Umgang mit Altem, dass es zum Gelingen der Veränderung zu ersetzen gilt, zu fokussieren und darzustellen, wie Strategien des willentlichen Vergessens helfen Veränderung zu meistern.

1 Verhalten verändern

Auch wenn MitarbeiterInnen willens sind Veränderungen meistern zu wollen, ist dies kein Garant für Erfolg. Verhalten, das mit einer hohen Aufmerksamkeit und als Resultat eines bewussten Entscheidungsprozesses ausgeführt wird, kann als bewusst gesteuert gelten. Dem gegenüber steht Verhalten, das hochgradig geübt ist und als Routine in einer bestimmten Situation gewohnheitsmäßig, alternativlos zur Anwendung kommt.

Auch die bewusste Entscheidung über die Ausführung von Verhalten, dass es zu verändern gilt, wird von Kontextreizen beeinflusst. Im Moment der Entscheidung zur Ausführung eines neuen Verhaltens muss die angestrebte Veränderung bewusst sein. Hier ist das generelle Bewusstsein für die notwendige Veränderung maßgeblich für den Erfolg der willentlichen, veränderten Verhaltensausführung. Generelle Hinweisreize der Umgebung entfalten hier ihre Wirkung.

Das neue, bzw. alte Firmenschild auf dem Dach, das Logo auf dem Briefpapier stiften Orientierung und geben den Kontext vor.

Bei der Veränderung von Verhalten, über dessen gewohnte Ausführung üblicherweise nicht bewusst entschieden wird, das Teil einer Routine ist, die einmal aktiviert standardisiert abläuft, reicht es jedoch nicht aus, dass die ausführende Person weiß was zu tun ist, willens und in der Lage ist ihr Verhalten zu verändern.

Auch dann wird in einer Standardsituation das Verhalten aktiviert, das am stärksten mit der Situation assoziiert ist und am einfachsten abgerufen werden kann. Da Routinen als häufig wiederholt und überlernt gelten, sind es ihre Handlungselemente, die quasi automatisiert abgerufen und ausgeführt werden (Kluge und Gronau 2018).

Häufig bestehen Veränderungen nicht darin die gesamte Routine vollständig zu verändern, sondern nur einzelne Elemente, einzelne spezifische Handlungen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Symbolische Abfolge einzelner Handlungselemente einer Routine. Markiert ist eine einzelne Handlung der Routine, die es zu verändern gilt

In diesem Zusammenhang meint der Begriff Handlung die kleinste einzeln erfassbare und sinnvoll abgrenzbare Einheit von Verhalten. Nach Hacker (2010) sind Handlungen durch Ziele abgegrenzte Einheiten von Tätigkeiten. Eine Handlung ist eine zeitlich gegliederte Einheit einer Tätigkeit und ist die kleinste psychologisch relevante Einheit willentlich gesteuerter Tätigkeiten. Die Abgrenzung von Handlungen erfolgt durch bewusste Ziele. Ein Ziel stellt die mit der Absicht der Realisierung (Intention) verknüpfte gedankliche Vorwegnahme des Ereignisses (Antizipation) da.

Handlungen, die miteinander verbunden sind, sind Handlungssequenzen, die sich wiederum zu Routinen zusammensetzen. Arbeitstätigkeiten setzen sich üblicherweise aus mehreren solcher Handlungssequenzen zusammen und bilden zudem ein von Hacker als sequenziell hierarchisch beschriebenes Modell. Eine vorausgehende Handlung löst dabei die Ausführung der nächsten Handlung, im Sinne einer wenn-dann Verbindung aus und ist als prozedurales Wissen gespeichert.

Die meisten Organisationen sind heute in diesem Sinne der verknüpften Handlungen zu Prozessen als Prozessorganisationen organisiert (Czichos 2014; Gersick und Hackman 1990; Pentland und Hærem 2015; Wuester 2010), d. h. im Sinne einer dauerhaften Regelung der Arbeitsabläufe.

Als Routine verstehen wir Sequenzen von Handlungen, die von mehreren Akteuren, ineinandergreifend, wechselseitig ausgelöst werden („Multi-actor, interlocking, reciprocallytriggered sequences of action“, Cohen und Bacdayan 1994, S. 554).

Das ineinandergreifende, wechselseitige Auslösen von Handlungen, d. h. dass der Abschluss einer vorangegangenen Handlung der Auslöser für die Ausführung der nachfolgenden Handlung ist, hebt das charakteristische Merkmal von Routinen hervor, mit geringer Aufmerksamkeit einmal gestartet quasi automatisch abzulaufen.

Eine Veränderung einzelner Handlungen einer Routine gelingt also erst dann, wenn die Assoziation zwischen dem Abschluss der vorangegangenen Handlung und der veränderten nachfolgenden Handlung stärker ist, als zu der alten, unveränderten Handlung.

Genau diese Schwächung des Abrufs der alten Handlung, die Reduktion des Einflusses alter Gedächtniselemente auf kognitive und behaviorale Prozesse, entsprechen dem hier zu Grunde gelegten Verständnis von Vergessen (Grisold et al. 2017; Kluge und Gronau 2018). Vergessen meint in diesem Zusammenhang nicht löschen – d. h. Gedächtniselemente können auch weiterhin gespeichert sein und abgerufen werden, Verhalten kann weiterhin ausführbar sein. Jedoch sollte der Abruf in einem spezifischen Kontext als Wirkung von Vergessen erschwert werden (Kluge et al. 2019).

Die Voraussetzung von Vergessen zur Veränderung einzelner Elemente von Routinen bezieht sich hierbei nicht nur auf Verhalten von einzelnen Individuen. Versteht man Routinen als Handlungssequenzen, bei deren Ausführung mehrere Individuen beteiligt sind, ist es notwendig, dass alle Beteiligten zur Veränderung der Routine das zu verändernde Verhalten vergessen.

Dieser Anspruch lässt sich auf ganze Organisationen übertragen, je nachdem wie weitreichend und umfassend die zu verändernden Routinen ausgestaltet sind.

Routinen bilden das Rückgrat von Organisationen. Routinen, bzw. standard operation procedures bzw. standardisierte Abläufe, sind das Grundgerüst, auf dem die Funktionalität von Organisationen beruht (Becker 2004).

Daher lässt sich die Forderung nach willentlichem Vergessen zur willentlichen Veränderung in Organisationen vom Verhalten des Einzelnen über das Verhalten von innerhalb einer Routine zusammenarbeitenden Gruppen bis auf die Organisation als Gesamtes übertragen.

2 Vergessen verstehen

Nach gewohnt freundlicher Begrüßung am Empfang vorbei, mit dem Aufzug auf die gewohnte Etage, den Flur entlang ab an den schon in die Jahre gekommenen Schreibtisch. Den alten Rechner gestartet, Mitarbeiterkennung und Passwort eingegeben: ERROR.

Mit der Ausgründung der Unternehmenssparte hat jede Mitarbeiterin, hat jeder Mitarbeiter neue Zugangsdaten erhalten.

Vergessen kann auf individueller Ebene eines Mitarbeiters, einer Mitarbeiterin, als das Gegenteil von Erinnern betrachtet werden (Shotter 1990; Sadeh et al. 2014). Die Grundvoraussetzung dafür etwas zu Erinnern ist die Existenz einer zu erinnernden, gespeicherten Information, ein sogenanntes Gedächtniselement (im Beispiel die Mitarbeiterkennung). Damit das gespeicherte Gedächtniselement aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen, erinnert wird, bedarf es der Wahrnehmung eines mit ihm assoziierten Hinweisreizes (Tulving und Thomson 1973). Das Zustandekommen der Assoziation zwischen Gedächtniselement und Hinweisreiz ist Teil eines vorangegangenen Lernprozesses.

Im eingangs eingeführten Beispiel ist die gewohnte, unveränderte morgendliche Routine der Hinweisreiz für den Abruf der alten Mitarbeiterkennung.

Hinweisreize können „bottom-up“ über ihre ungerichtete Wahrnehmung die Aktivierung, die Erinnerung des mit ihnen verbundenen Gedächtniselements auslösen oder aber sie werden situationsabhängig gezielt top down gesucht. Beide Prozesse können sowohl bewusst als auch unbewusst ablaufen (Ciaramelli et al. 2008).

In dem Beispiel wird die gewohnte Routine als ungerichteter Hinweisreiz „bottom-up“ wahrgenommen. Wäre die Person vor Eingabe ihrer Mitarbeiterkennung verunsichert und würde nach Anhaltspunkten zum Abruf der Mitarbeiterkennung suchen, würde ein top-down Prozess angestoßen.

Im Prinzip gehen Organisationsforscher/innen von analogen Prozessen in organisationalen Gedächtnissen aus. Speichermedien sind hier z. B. Routinen, schriftliche Regelwerke und Datenträger (Daft und Weick 1984; Martin de Holan und Philips 2004; Walsh und Ungson 1991).

Wie Vergessensmechanismen intrapersonell wirken wird seit 1900 (Müller und Pilzecker 1900) kognitiv und neuronal untersucht. Hierbei darf heute die Wirkung von Hinweisreizen sowohl auf den Abruf als auch dessen Ausbleiben als weitestgehend akzeptiert gelten (Anderson 2003; Sadeh et al. 2014). Der ausbleibende Abruf wird entsprechend als eine Form von Vergessen verstanden (Anderson et al. 1994; Bjork und Bjork 1992). Behavioral gelten diese Vergessensbefunde auch für die Aktivierung von Verhalten. Verhalten mit einer vorherrschenden Assoziation wird abgerufen und aktiviert, wohingegen Verhalten mit einer schwächeren situativen Assoziation nicht ausgeführt, sondern vergessen wird.

Die Situative Assoziation wird insbesondere durch Hinweisreize geprägt (Nairne und Pandeirada 2008). Ihre Identifikation und Gestaltung entscheiden darüber, was erinnert und was vergessen wird, welches Verhalten ausgeführt wird.

3 Vergessen gestalten

Die Wahrnehmung von Hinweisreizen entscheidet darüber, was erinnert und was vergessen wird. Sie zu gestalten bedeutet demnach Vergessen zu gestalten.

Bisherige Forschung hat Hinweisreize verschiedenen Kategorien zugeordnet.

Wir argumentieren in unserer Forschung, dass die Eliminierung von Hinweisreizen die Schwächung von Gedächtniselementen ermöglicht, weil die damit verbundenen situativen, sensorischen oder routinemäßigen Hinweisreize zur Ausführung nicht mehr vorhanden sind. Durch die Übertragung der Ergebnisse zu den Auswirkungen der Eliminierung von Hinweisreizen schlagen wir vor, dass drei Hinweisarten beim Vergessen von organisatorischen Routinen relevant sind (Kluge und Gronau 2018):

  • sensorische Hinweise, die basale visuelle, olfaktorische, orale und taktile Hinweise einschließen,

  • routinebezogene Hinweise, die Akteur bezogene, objektbezogene, Abfolge von aufgabenbezogene und informationsbezogene Hinweise umfassen und

  • Zeit- und Raumhinweise, die Stimuli enthalten, die den Ort (z. B. die Produktionsstätte) und die Zeit (von Jahr, Monat, Woche, Tag) der Ausführung einer Routine anzeigen.

Übertragen auf das geschilderte Beispiel sind mögliche sensorische Hinweise der Schreibtisch oder auch die freundlich grüßende Person am Empfang. Routinebezogene Hinweise sind die aufeinanderfolgenden gewohnheitsmäßigen einzelnen Handlungen über das Laufen ins Büro bis zur Anmeldung am PC. Zeit- und Raumhinweise sind die morgendliche Situation, sowie Büro und Unternehmensgebäude an sich.

Zur Überprüfung der bisher dargestellten Zusammenhänge zwischen Hinweisreizen, Erinnern, Vergessen und Verhaltensänderungen kann angenommen werden, dass Handlungen, die einander auf Grund einer festgelegten Abfolge innerhalb einer Routine bedingen, als Hinweisreize für die jeweils nachfolgende Handlung wirken.

Eine empirische Bestätigung dieses angenommenen Zusammenhangs würde die bereits dargestellten Hinweisreiz-Kategorien dahingehend erweitern, dass Handlungen selbst wechselseitig die Funktion von Hinweisreizen übernehmen können. Hieraus lassen sich weitere Implikationen zur Gestaltung von Verhaltensänderungen ableiten.

Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass sich Verhaltensänderungen innerhalb einer Sequenz von Handlungen in drei Dimensionen darstellen lassen:

  • keine Veränderung

  • Veränderung

  • neu eingefügt

Hieraus ergeben sich bezogen auf die Betrachtung der Abhängigkeiten der Veränderungsbedingungen zweier aufeinanderfolgender Handlungen neun mögliche Kombinationen (siehe hierzu auch Abb. 2):

Fall 1

innerhalb einer Sequenz von Handlungen wird keine Handlung verändert. In diesem Fall folgt eine unveränderte Handlung auf eine unveränderte (bezogen auf das Beispiel: an der morgendlichen Routine ändert sich nichts – auch die Login Daten wurden nicht verändert).

Fall 2

innerhalb einer Sequenz von Handlungen wird nur eine nachfolgende Handlung verändert. In diesem Fall folgt die veränderte Handlung auf eine unveränderte (bezogen auf das Beispiel: ausschließlich die Login Daten haben sich geändert).

Fall 3

innerhalb einer Sequenz von Handlungen wird nur eine nachfolgende Handlung neu eingeführt. In diesem Fall folgt die neu eingeführte Handlung auf eine unveränderte (bezogen auf das Beispiel: Die Login Daten ändern sich nicht, jedoch ist abschließend ein neuer Fingerabdrucksensor zur finalen Bestätigung der Anmeldung zu bedienen).

Fall 4

innerhalb einer Sequenz von Handlungen wird nur eine vorausgehende Handlung verändert. In diesem Fall folgt eine unveränderte Handlung auf eine veränderte (bezogen auf das Beispiel: bei den Login Daten wurde nur die Mitarbeiterkennung und nicht auch noch das nachfolgend einzugebende Passwort verändert).

Fall 5

innerhalb einer Sequenz von Handlungen werden zwei aufeinanderfolgende Handlungen verändert. In diesem Fall folgt eine veränderte Handlung ebenfalls auf eine veränderte (bezogen auf das Beispiel: Mitarbeiterkennung und Passwort wurden verändert).

Fall 6

innerhalb einer Sequenz von Handlungen wird eine vorausgehende Handlung verändert und eine nachfolgende neu eingeführt. In diesem Fall folgt die neu eingeführte Handlung auf eine veränderte (bezogen auf das Beispiel: nach der Eingabe eines veränderten Passworts muss noch der neue Fingerabdrucksensor bedient werden).

Fall 7

innerhalb einer Sequenz von Handlungen wird nur eine vorausgehende Handlung neu eingeführt. In diesem Fall folgt eine unveränderte Handlung auf eine neu eingeführte (bezogen auf das Beispiel: um sich am System unverändert anmelden zu können muss erst der neue Fingerabdrucksensor bedient werden).

Fall 8

innerhalb einer Sequenz von Handlungen wird eine vorausgehende Handlung neu eingeführt und eine nachfolgende verändert. In diesem Fall folgt die veränderte Handlung auf eine neu eingeführte (bezogen auf das Beispiel: um sich am System mit veränderter Mitarbeiterkennung anmelden zu können muss der neue Fingerabdrucksensor bedient werden).

Fall 9

innerhalb einer Sequenz von Handlungen werden zwei aufeinanderfolgende Handlungen neu eingeführt. In diesem Fall folgt eine neu eingeführte Handlung auf eine ebenfalls neu eingeführte (bezogen auf das Beispiel: um sich am System anmelden zu können müssen der neue Fingerabdrucksensor und eine neue Gesichtserkennung bedient werden).

Abb. 2
figure 2

Innerhalb einer Routine aus einzelnen Handlungen (grau) werden einzelne Handlungen verändert (rot) oder neue eingefügt (grün) (ebenfalls zu beachtende unveränderte Handlungen sind gelb markiert)

Eine Verhaltensveränderung wird dann erfolgreich ausgeführt, wenn nur noch das korrekte Verhalten zur Anwendung kommt. Bezogen auf die vorliegende Forschungsfrage ist jedoch auch fehlerhaftes Verhalten von besonderem Interesse. Werden zu verändernde Handlungen unverändert, in alter Art und Weise ausgeführt, kann dies als Beweis dafür herangezogen werden, dass das zu Grunde liegende Verhalten das am einfachsten zu aktivierende war und nicht vergessen wurde. Daher ist der spezifische Fehler ein eindeutiger Beweis und Indikator für fehlgeschlagenes Vergessen. Diese Fehler können von allgemeinen Fehlern differenziert werden, die weder als veränderte noch als unveränderte Handlung interpretierbar sind, da sowohl die veränderte neue als auch die unveränderte alte Handlung ihrer Ausprägung nach bekannt und definiert sind.

Sind routinebezogene Hinweise wirksam, gehen wir davon aus, dass die Veränderungsbedingung der vorausgehenden Handlung einen positiven Einfluss auf die Ausführung einer nachfolgenden Handlung mit gleicher Veränderungsbedingung hat und einen negativen auf nachfolgende Handlungen mit abweichender Veränderungsbedingung. Diese Grundannahme ist der angenommenen Funktion der vorausgehenden Handlung als Hinweis auf eine veränderte oder unveränderte Situation bezogen auf die Ausführung der nachfolgenden Handlung geschuldet.

Hypothesen:

H.1

Folgt eine veränderte Handlung auf eine veränderte Handlung (Fälle 5, 6, 8 & 9) wird sie hinsichtlich ihrer Veränderungsbedingung mit einer geringeren Fehlerrate ausgeführt (also besser vergessen), als eine veränderte Handlung, die auf eine unveränderte Handlung (Fälle 2 & 3) folgt.

H.2

Folgt eine unveränderte Handlung auf eine unveränderte Handlung (Fall 1), wird sie mit einer geringeren Fehlerrate ausgeführt, als eine unveränderte Handlung, die auf eine veränderte Handlung (Fälle 4 & 7) folgt.

4 Methode

Die Untersuchung fand an der der Universität Potsdam im Anwendungszentrum Industrie 4.0 (AZI, siehe Abb. 3) (Gronau et al. 2012) im Zeitraum Januar bis August 2018 statt. Insgesamt nahmen 57 ProbandInnen teil (weiblich: 23, männlich: 34) Die Untersuchung wurde von der Ethikkommission der Ruhr-Universität Bochum bewilligt.

Alle TeilnehmerInnen wurden für Ihre freiwillige Teilnahme jeweils mit 40,- € entlohnt. Die TeilnehmerInnen waren überwiegend, bedingt durch den Standort des Labors, Studierende der Universität Potsdam. Die Teilnehmerwerbung fand durch Direktansprache sowie über soziale Medien statt. Alle TeilnehmerInnen wurden darüber aufgeklärt, ihre Teilnahme jederzeit ohne Nachteile befürchten zu müssen abbrechen zu können und unterzeichneten eine informierte Einwilligung.

Abb. 3
figure 3

Das Anwendungszentrum Industrie 4.0 mit drei Werkern auf ihren Positionen und Versuchsleitung im Hintergrund

5 Die Produktionsroutine

Jeweils Gruppen aus drei TeilnehmerInnen erlernten in einem ersten Termin die Produktionsroutine eines medizinischen Produkts (Kluge et al. 2018). Hierbei wurde jedem Gruppenmitglied durch ein Zufallsverfahren eine spezifische Position in der gemeinsamen Produktion zugewiesen. Mit Hilfe einer Anlernunterlage erlernten die TeilnehmerInnen die Produktion der ersten drei Werkstücke und produzierten anschließend 40 min so viele Produkte so fehlerfrei und so schnell wie möglich.

Im Anschluss an den ersten Labortermin trainierten die TeilnehmerInnen ihre jeweilige Produktionsroutine mit einer App, genau am 7. Und 14. Tag des Experiments. Am 21. Tag kehrten die TeilnehmerInnen zu exakt derselben Zeit wie bei ihrem ersten Labortermin wieder zurück in das AZI in der Erwartung zu zeigen, was sie gelernt hatten. Hier wurde ihnen nun eröffnet, dass sich auf Grund einer Unternehmensfusion des den Produktionsprozess bereitstellenden Unternehmens der Prozess verändert hat. Erneut erhielten die TeilnehmerInnen eine Anlernunterlage, die sie mit dem veränderten Produktionsprozess vertraut machte. Sie bekamen die Gelegenheit ein Werkstück unter Zuhilfenahme der Anlernunterlage zu fertigen. Anschließend wurden sie abermals aufgefordert 40 min lang so viele Produkte so schnell und so fehlerfrei wie möglich zu fertigen (siehe Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Genereller Ablauf des Experiments

Neben den durch die Logfiles direkt über die Anlage gewonnenen Performance Daten jedes einzelnen Teilnehmenden, trugen alle TeilnehmerInnen mobile Eye-Tracker (SMI ETG 2W), die es ermöglichten alle Handlungen, die nicht durch die Logfiles der Anlage registriert wurden zu erfassen und einer Auswertung zuzuführen. Darüber hinaus sah die Produktionsaufgabe verschiedene Dokumentationsschritte vor, die auf entsprechend bereitgestellten Formblättern zu bearbeiten waren.

Die Logfiles wurden mittels DALAS (diagonal adjusted logfile analyzing structure, Schüffler und Kluge 2019a) analysiert, wobei für jede registrierte Bedienung festgelegt wird, ob die Handlung korrekt ausgeführt wurde oder ob sie einer Fehlerkategorie zugeordnet wird (Auslassung, Handlung an falscher Stelle, Mehrfachhandlung und Anwendung falscher Parameter).

Die Auswertung der Eyetracker-Daten erfolgte mit SMI BeGaze Analysis Pro 3.6. Hier wurde jede einzelne Handlung der TeilnehmerInnen in einem ersten Schritt transkribiert. Die transkribierten Handlungen wurden dann in einem zweiten Schritt nach den gleichen Kategorien (korrekt, Auslassung, Handlung an falscher Stelle, Mehrfachhandlung und Anwendung falscher Parameter), wie die Logfiles bewertet.

Zusätzlich umfasste die Auswertung der transkribierten Eyetracker-Daten noch die Kategorie „neutral“ die dann zur Anwendung kam, wenn die Handlung von nicht im Sinne des Experimentalgeschehens interpretiert werden konnte.

Die auf Papier bearbeiteten Dokumentationsaufgaben wurden analog durch Betrachtung von Scans der bearbeiteten Dokumente in den Kategorien korrekt, ausgelassen und falsch bearbeitet ausgewertet.

Die weitgehend übereinstimmenden Auswertungskategorien aller drei Datenquellen (Logfiles, Eyetracker-Daten, Dokumente) ermöglicht eine Vergleichbarkeit der durch sie erfassten Performance der einzelnen Handlungen.

6 Unabhängige Variablen

Den Hypothesen folgend ist die unabhängige Variable dieser Untersuchung die Veränderungsbedingung der vorausgehenden Handlung. Entsprechend mussten alle Handlungen, bis auf die jeweils letzte einer Routine einer Veränderungsbedingung zugeordnet werden. Hierbei war auf Grund der identischen Auswertungskategorien unerheblich, ob die Handlung via Logfile, Eyetracker oder Dokumentation erfasst wurde.

Die genutzten Veränderungsbedingungen waren (siehe Tab. 1):

  • Unveränderte Ausführung einer vorausgehenden Handlung bei der ersten als auch zweiten Routine (Fall 1, 2 & 3).

  • Veränderte Ausführung einer vorausgehenden Handlung der ersten Routine bei der Anwendung der zweiten (Fall 4, 5 & 6)

  • Neu bei der zweiten Ausführung eingefügte vorausgehende Handlung, die nicht Bestandteil der ersten Routine war (Fall 7, 8 & 9).

Tab. 1 Übersicht der erhobenen Variablen

7 Abhängige Variablen

Als abhängige Variable wird die relative Fehlerrate der Ausführungen der im Sinne der Veränderungsbedingung der Routine jeweils nachfolgenden Handlung erfasst.

Bei unveränderten nachfolgenden Handlungen (Fall 1, 4 & 7) kann nur die allgemeine Fehlerrate erfasst werden, mit der die nachfolgende Handlung ausgeführt wurde. Bei veränderten nachfolgenden Handlungen (Fall 2, 5 & 8) kann sowohl die allgemeine Fehlerrate als auch der spezifische Vergessensfehler gemessen werden, da die verändert auszuführende Handlung entweder als verändert oder unverändert ausgeführt bewertet werden kann. Bei neu eingefügten nachfolgenden Handlungen (Fall 3, 6 & 9) kann neben der allgemeinen Fehlerrate gesondert die Auslassung der Handlung erfasst werden, dies erlaubt jedoch keinen Rückschluss auf eine Vergessensleistung, da nicht erfasst werden kann, ob die Ausführung der Handlung gelernt wurde, was Voraussetzung dafür ist sie vergessen zu können (siehe Tab. 1).

8 Ergebnisse

Hypothesenkonform zeigt sich, dass auf unveränderte nachfolgende Handlungen die Veränderungsbedingung der vorausgehenden Handlung einen signifikanten Einfluss hat (alg. Fehlerrate unveränderte vorausgehende Handlung: M = 25,97; SD = 26,96; alg. Fehlerrate veränderte vorausgehende Handlung: M = 50,98; SD = 37,08; t(21) = −2,533; p = 0,019). Die Fehlerrate der unveränderten Handlungen verdoppelt sich nahezu, geht ihr eine veränderte Handlung voraus (siehe Tab. 2 und Abb. 5).

Tab. 2 Übersicht der Mittelwerte der allgemeinen Fehlerraten in Prozent, spezifischen Vergessensfehler und Auslassungen relativ gemessen an der Gesamtausführung der jeweiligen Handlung (in Zeilen) in Abhängigkeit der Veränderungsbedingung der vorausgehenden Handlung (in Spalten) mit Angabe der jeweils vorbeschriebenen Fallnummer in Klammern
Abb. 5
figure 5

Darstellung der allgemeinen Fehlerrate der nachfolgenden Handlungen in Abhängigkeit der Veränderungsbedingung der vorausgehenden Handlung

Ebenfalls hypothesenkonform lässt sich sowohl für die allgemeine Fehlerrate, als auch den relativen Auslassungsfehler zeigen, dass neu auszuführende Handlungen mit einer in beiden Fällen signifikant geringeren Fehlerrate ausgeführt werden, wenn sie auf eine veränderte vorausgehende Handlung folgen statt auf eine unveränderte (alg. Fehlerrate: t(15) = 3,357; p = 0,004; rel. Auslassungsfehler: t(15) = 4,402; p = 0,001; siehe Abb. 5 und 6).

Abb. 6
figure 6

Darstellung der Auslassungsfehler der neu auszuführenden nachfolgenden Handlungen in Abhängigkeit der Veränderungsbedingung der vorausgehenden Handlung

Der hypothetisierte Einfluss der Veränderungsbedingung der vorangegangenen Handlung auf eine veränderte nachfolgende Handlung kann jedoch nicht bestätigt werden. Hier zeigen sich keine signifikanten Unterschiede (siehe Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Darstellung der Vergessensfehler der verändert auszuführenden nachfolgenden Handlungen in Abhängigkeit der Veränderungsbedingung der vorausgehenden Handlung

Entgegen der getroffenen Annahme nimmt die allgemeine Fehlerrate bei veränderten und neu eingefügten nachfolgenden Handlungen, die auf eine veränderte Handlung folgen sogar im Gegensatz zu denen, die auf eine unveränderte Handlung folgen signifikant zu (t(41) = −3,342; p = 0,002; siehe Abb. 5 und Tab. 2).

Die Überprüfung der Bedingung, dass eine neue eingefügte Handlung auf eine unveränderte folgt (Fall 7) war nicht möglich, da die experimentell gewonnene Datengrundlage hierfür nicht ausreichend war.

9 Diskussion

Ziel unseres Beitrags war es die Bedeutung von willentlichem Vergessen für die erfolgreiche Gestaltung von Veränderungen in Change-Prozessen darzustellen. Dazu haben wir die Wirkung von Hinweisreizen im Kontext von Routinen experimentell untersucht.

Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass bei aufeinanderfolgenden Handlungen, wie sie Kernmerkmal von Routinen sind, die vorangegangene Handlung ein Hinweisreiz für die Ausführung der nachfolgenden Handlung sein kann.

Nicht dargestellt werden konnte eine förderliche Wirkung als Hinweisreiz auf Veränderung für Handlungen, die selbst verändert wurden. Dieser Befund wirft detailliertere Fragen zum Wesen von Hinweisreizen auf. Hinweisreize sind der mit einem Gedächtniselement (hier einer Handlung) assoziierte Hinweis zu deren Aktivierung. Kann ein Element, dass selbst einer eigenen Veränderung unterworfen ist überhaupt Hinweis auf eine weitergehende Veränderung sein? Benötigen Hinweisreize ein Mindestmaß an Stabilität um Hinweis sein zu können?

Abweichende Ergebnisse zwischen veränderten und neu eingefügten Handlungen in ihrer Funktionalität als Hinweisreiz legen darüber hinaus nahe, die genaue Art und Weise der Veränderung zu hinterfragen. Es bleibt offen, welche Aspekte der Veränderung von Hinweisreizen dazu beitragen, dass der Hinweisreiz im alten, im neuen oder in keinem Sinne als solcher funktional ist.

Darüber hinaus kann die mit zunehmender Veränderung ansteigende Komplexität der Gesamtsituation ebenfalls als mögliche Ursache für einen Anstieg fehlerhafter Handlungen genannt werden (Roelle und Berthold 2017).

Aus den Befunden lässt sich daher ableiten, dass neu eingefügte Hinweisreize, hier im Sinne neuer Handlungen, eine positive Wirkung auf nachfolgende Veränderungen haben und das unveränderte Hinweisreize, hier im Sinne unveränderter Handlungen, eine positive Wirkung auf unveränderte folgende Handlungen haben.

Lediglich nur veränderte Hinweisreize haben hingegen keine Wirkung auf Veränderung.

Die Betrachtung einer Handlung als Hinweisreiz erfüllt die Kriterien minimaler räumlicher und zeitlicher Nähe zu der sie beeinflussenden nachfolgenden Handlung.

Hinweisreize wirken jedoch auch, wenn sie nicht derart unmittelbar im Kontext der sie beeinflussenden Handlung stehen (Schilling et al. 2014).

Die Frage der räumlichen und zeitlichen Entfernung bei der Wirkung von Hinweisreizen im Kontext von intentionalem Vergessen stellt sich insbesondere dann, wenn Hinweisreize nicht mehr nur das Verhalten eines Individuums, sondern das von Gruppen und Organisationen beeinflussen.

Hinweisreize, die für Gruppen und Organisationen Geltung haben sollen, können ihre Wirkung erst dann entfalten, wenn sie kollektiv wahrgenommen werden. Dazu sind sie häufig räumlich und zeitlich unspezifisch für das Handeln des einzelnen Gruppenmitglieds verfügbar (z. B. Firmenlogos auf Dächern oder Fassaden). Welche Bedeutung räumlicher und zeitlicher Nähe von Hinweisreizen zur Gestaltung von willentlichem Vergessen von Individuen, Gruppen und Organisationen beigemessen werden kann, ist ebenfalls eine Frage an zukünftige Forschung.

Methodisch stellt sich die Frage, inwiefern eine Untersuchung mit einer überwiegend studentischen Stichprobe und der Produktion eines medizinischen Produktes zum Gegenstand Anspruch auf Allgemeingültigkeit im organisationalen Kontext hat.

Um Vergessen präzise zu untersuchen ist das zu Vergessende zu kontrollieren. Hierbei wären heterogene Vorkenntnisse der ProbandInnen aus einer realen Produktionsumgebung für die kontrollierte Erhebung im Labor nachteilig, wohingegen eine Stichprobe, die kontrolliert über keine Vorkenntnisse verfügt absolut vergleichbare Bedingungen bezogen auf den Untersuchungsgegenstand schafft.

Die Fertigung eines medizinischen Produktes hat das Potential, dass auch Novizen im Produktionskontext die Bedeutung von präziser und gewissenhafter Arbeit akzeptieren und bemüht sind den kognitiv anspruchsvollen Prozess korrekt auszuführen.

Bezogen auf unsere Befunde gehen wir davon aus, dass sich die Art und Weise der von uns gestalteten Handlungen: Bewertung von Situationen, Notizen auf Papier, Bewegung im Raum, Aufsuchen des Arbeitsplatzes, Eingabe von Parametern in Maschinen, mit den allermeisten Handlungen in einem allgemeinen Arbeitskontext vergleichen lassen (… den Flur entlang ab an den schon in die Jahre gekommenen Schreibtisch. Den alten Rechner gestartet, Mitarbeiterkennung und Passwort eingegeben: ERROR …).

10 Praktische Implikationen

Changemanagement hat zum Ziel eine Veränderung bestmöglich für Individuen, Gruppen und die Organisation an sich zu gestalten. Changemanagement, das auch das Management des intentionalen Vergessens auf Ebene des Individuums, der Gruppe und der Organisation berücksichtigt, kann dazu beitragen, dass alte Handlungen und Routinen schneller und präziser nicht mehr zur Anwendung kommen, dass Beharrung auf Altem, Loszulassendem, verringert wird.

Die gezeigte Wirkung von Hinweisreizen auf willentliches Vergessen zeigt, wie durch die Gestaltung von Hinweisreizen, willentliches Vergessen, die Anpassung von Verhalten an notwendige Veränderungen unterstützt und verbessert werden kann. Analog der dargestellten Forschung kommt es bei der praktischen Umsetzung zentral auf die Frage an, welche Hinweisreize für ein spezifisches Verhalten, für eine einzelne Handlung die relevanten Hinweisreize sind. Die Frage nach dem Wirkungsbezug von räumlicher und zeitlicher Nähe zwischen Hinweisreizen und Verhaltensabruf, sowie die gezeigte Wirkung vorausgehender Handlungen als Hinweisreiz auf nachfolgende legen nahe, dass es in der Regel mehr als einen Hinweisreiz in einer spezifischen Situation gibt, der den Verhaltensabruf auslöst, da in einer spezifischen Situation mehr als nur das direkt vorangegangene Verhalten wahrgenommen wird.

Von zentraler Relevanz ist also die Bedeutung, die einzelne Hinweisreize für die Verhaltensaktivierung eines Individuums haben.

Um sich die Mechanismen des willentlichen Vergessens für die eigene Anpassungsfähigkeit auf Veränderungen zu erschließen, ist in einem ersten Schritt das im Sinne der Anpassung an die Veränderung anzupassende Verhalten zu identifizieren. Je komplexer sich das anzupassende Verhalten darstellt, desto bedeutsamer ist es, es möglichst in kleinste Einheiten im Rahmen einer Analyse zu zerlegen, um so einzelne Handlungen zu identifizieren. Die Identifikation einzelner Handlungen erleichtert es dann, die für ihre jeweilige Aktivierung spezifischen und bedeutsamen Hinweisreize zu identifizieren. Die Identifikation bedeutsamer Hinweisreize ermöglicht es wiederum final durch ihre bewusste Gestaltung willentliches Vergessen des anzupassenden Verhaltens zu gestalten. Die Gestaltung der Hinweisreize kann dann darin bestehen Hinweisreize, die ausschließlich auf eine zu unterlassende Handlung hinweisen, zu entfernen und neue Hinweisreize zu schaffen. Die neuen Hinweisreize, die auf die Ausführung der neuen, angepassten Handlung hinweisen, vereinfachen ihren Abruf, ihr Erinnern, was zum ausbleibenden Abruf der nicht mehr auszuführenden Handlungen beiträgt und damit zu deren Vergessen.

Hinweisreize, die auf die Veränderung selbst aufmerksam machen, tragen nicht zu willentlichem Vergessen bei. Im Gegenteil: sie führen dazu, dass sowohl die alte als auch die neue Handlung erinnert werden und nötigen dem Akteur eine Entscheidung für eine der beiden Handlungen ab. Der Abruf der alten Handlung steht hier in direktem Gegensatz zu der Absicht sie nicht mehr auszuführen, sie vergessen zu wollen. Die Befunde dieser Studie haben ebenfalls gezeigt, dass Hinweisreize die lediglich verändert wurden, jedoch noch alte Merkmale weiterhin verfügbar halten, eher geeignet sind Verunsicherung zu stiften als eine förderliche Wirkung zu entfalten.

Bezogen auf das eingangs geschilderte Beispiel könnte sich z. B. der Mitarbeitende ein Schild mit dem neuen Unternehmenslogo auf die Tastatur legen. Seine morgendliche Routine wäre um eine Handlung, das Schild bei Seite zu legen, bereichert. Handlung und Schild wären geeignete Hinweisreize sich gleich korrekt mit den neuen Zugangsdaten am System anzumelden.

In diesem Sinne sind Organisationen gut beraten, Firmenschilder, die auf nicht mehr gewünschte Mentalitäten und Verhaltensmuster hinweisen, zu entfernen, Briefpapier, das für das Alte, zu Verändernde steht, nicht mehr als Schmierpapier salient zu halten, sondern zu entsorgen und auch liebgewonnene Andenken wie Kugelschreiber auszutauschen.

Gruppen müssen sich über die Bedeutung und die Hinweisreize an sich austauschen und einigen, damit sie kollektiv ihre Wirkung entfalten können. Auch für Gruppen können einzelne Handlungen auch nur einer Person ausreichender Hinweisreiz sein – nur muss der von allen in gleicher Weise verstanden werden.

Organisationen können Hinweisreize mit größtmöglicher Reichweite gestalten. Bezogen auf unser Beispiel obliegt es der Organisation den Empfang, den gesamten Weg des Mitarbeitenden durch das Unternehmen und sogar Teile seines Büros bis hin zu der Anmeldemaske auf dem Bildschirm seines PC’s neu zu gestalten.

Das aktive Management von Hinweisreizen hat so das Potential den Erfolg von organisationalem Change voranzutreiben.