1 Evolution der Arbeit

Der innere Zusammenhang der gesellschaftsstrukturellen und der semantischen Entwicklung betrifft auch die Arbeit und den Begriff, den man sich zu den verschiedenen Zeiten von ihr gemacht hat. Den Menschen der Moderne scheint nichts selbstverständlicher zu sein, als zu arbeiten. Das war nicht immer so. Wie alles Soziale hat Arbeit im Verlauf der historisch-gesellschaftlichen Entwicklung ebenso ihre Form verändert wie sie einem Bedeutungswandel unterzogen wurde. Jahrtausende galt Arbeit als Mühsal, Qual und Fron, wurde ausschließlich aus Notwendigkeit verrichtet. Erst dem Kapitalismus ist es gelungen, sie als die eigentlich menschliche Daseinsform erscheinen zu lassen und sogar mit dem Anspruch auf Selbstverwirklichung zu verknüpfen (Arlt und Zech 2015). Dies blieb nicht ohne Folgen für die gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt. Der Kapitalismus ist aber insofern revolutionär, als es ihm gelingt, sein ihm inhärentes Verwertungsprinzip in unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnissen in immer wieder neuen Formen zu realisieren.

Bereits die alte Kritische Theorie von Horkheimer und Adorno geht im Anschluss an Lukàcs’ Verdinglichungstheorie davon aus, dass sich mit der totalitären Warenförmigkeit der kapitalistischen Gesellschaft Sozialformen durchsetzen, bei denen die Beteiligten sich wechselseitig zu Objekten machen und sich nach dem Muster instrumenteller Rationalität behandeln. Die Fixierung auf den individuellen Nutzen führt zu bloß strategischem Umgang mit anderen und letztlich auch mit sich selbst. Auch Habermas lässt sich noch von der Vorstellung leiten, dass das Potenzial kommunikativer Rationalität unter ökonomischen Verwertungsbedingungen nicht zum allgemeinen Vergesellschaftungsmodus werden kann, weil die Imperative der Kapitalverwertung die Lebenswelt der gesellschaftlichen Individuen kolonialisieren. Habermas geht zwar davon aus, dass der Kommunikation das Telos der Verständigung innewohnt, der Kapitalismus aber eine bloß egoistisch-instrumentelle Verwendung unserer kommunikativen Fähigkeiten erzwingt. Dieser Prozess verschärft sich noch einmal dramatisch, wenn Kommunikation selbst arbeitsförmig umcodiert wird.

Dieser kurze Rückgriff in die Reflexionsgeschichte der Kritischen Theorie zeigt, dass die Bedrohung gesellschaftlicher Kommunikation durch kapitalistische Produktionsverhältnisse und instrumentelle Arbeits- und Sozialformen kein neues Phänomen ist. Neu ist meines Erachtens allerdings die erweiterte Dimension der Bedrohung gesellschaftlicher Verständigungsorientierung durch das qualitative Hegemonial-Werden der immateriellen Arbeit in der so genannten Wissensgesellschaft. Immaterielle Arbeit hat in zunehmendem Maße den Charakter reiner Kommunikationsarbeit, d. h. einer Arbeit, die sich wesentlich als Kommunikation vollzieht. Möglicherweise ist es unnötig zu betonen, dass ich von einem qualitativen Hegemonialwerden und einer Tendenz spreche, wohl wissend, dass es nach wie vor große Bereiche gibt, in denen körperlich-materielle Arbeit verrichtet wird. Zugleich ist kein Bereich des gesellschaftlichen Lebens mehr vor dem Zugriff neoliberaler Verwertungsinteressen sicher.

Den gesellschaftlichen Arbeitsformen sind bestimmte Machtverhältnisse implizit. War die Herausbildung der kapitalistischen Produktion noch in den unterdrückenden Formen der feudalen Souveränitätsmacht erfolgt, so evoluierte die Herrschaftsmacht mit der Durchsetzung der Industrialisierung zu disziplinarischen Formen der Herstellung gelehriger Körper (Foucault 1977) und mit dem Hegemonialwerden der immateriellen Arbeit auch willfähriger Psychen (Han 2014). Die aktuelle Form gesellschaftlicher Machtausübung in Arbeitsverhältnissen lässt sich am besten als Kontrollmacht bezeichnen, die ihr Spezifikum dadurch erhält, dass die wahrnehmbare externe Machtausübung durch Internalisierung in dem Anschein nach freiwillige Selbstkontrolle überführt wird, wobei die Arbeitenden sich so weitgehend selbst und gegenseitig kontrollieren und disziplinieren, dass sie in der Illusion der Freiheit handeln (Deleuze 2010). Das wird erreicht, indem soziale Sicherheiten abgebaut, gesellschaftliche Risiken in die Verantwortung der einzelnen Individuen verlagert und die Arbeitenden umprogrammiert werden von Lohn- bzw. Gehaltsempfängern in autonome Arbeitskraftunternehmer, die für ihr Wohl und Wehe allein verantwortlich sind und sich projektförmig in wechselnden Arbeitskontexten verdingen und selbst organisieren müssen.

Die Legierung von Arbeit, Kommunikation und Macht in der immateriellen Kommunikationsarbeit und die Folgen für die Gesellschaft sind das Thema dieses Aufsatzes.

2 Die Herausbildung immaterieller Kommunikationsarbeit als vorherrschende Arbeitsform

Jede Gesellschaft muss, um überleben zu können, zunächst die Produktion und Reproduktion ihrer materiellen Lebensbedingungen sicherstellen. Bereits bei Marx erscheint die „Produktion des Lebens“ als „doppeltes Verhältnis“ – des eigenen Lebens in der Arbeit und des fremden in der Zeugung (Marx 1969, S. 29–30). Dieser doppelte Produktionsbegriff geht also über die Sphäre der Wirtschaft hinaus, ist „keine rein ökonomische Angelegenheit, sondern muss allgemeiner als gesellschaftliche Produktion begriffen werden, … also als die Produktion nicht nur materieller Güter, sondern ebenso als die Produktion von Kommunikation, von Beziehungen und Lebensformen.“ (Hardt und Negri 2004, S. 11) Dies gilt insbesondere für alle Arten von Arbeit, die Immaterielles hervorbringen, also Ideen, Symbole, Bilder, Geschichten, Affekte, Beziehungen etc. Die Produktion des Lebens beschränkt sich also nicht nur auf materielle Güter im streng ökonomischen Sinne, sondern umfasst alle Facetten des gesellschaftlichen Lebens, also auch den gesamten kulturellen Bereich im weitesten Sinne.

Materielle Arbeit als Teilbereich der Produktion des Lebens ist heute in den westlichen Ländern tendenziell im Verschwinden begriffen, wird automatisiert von Maschinen und Robotern übernommen oder in Billiglohnländer ausgelagert. Die Entwicklung des Kapitalismus hat dazu geführt, dass a) die Arbeitsprozesse informatisiert werden und b) mehr und mehr gesellschaftliche Kommunikationsprozesse ökonomisiert werden. Das Kennzeichen moderner Arbeit ist also, dass sie immer mehr mit Kommunikation verschmilzt bzw. zur Kommunikation wird. Bei dieser immateriellen Arbeit als Kommunikation geht es aber weiterhin um die Produktion des Lebens als Produktion von bestimmten Formen sozialer Beziehungen mit ihren entsprechenden Subjektivitätsformen (Hardt und Negri 2004, S, 84 und 113). Hardt und Negri (2004, S. 126–127) stellen immaterielle Arbeit in zwei Formen vor, als intellektuelle und sprachliche Arbeit im Umgang mit Symbolen und analytischen Aufgaben sowie als affektive Arbeit in der Produktion von Gefühlen und Leidenschaften. Meistens sind bei immaterieller Arbeit beide Formen kombiniert und mit Formen materieller Arbeit vermischt. In gewisser Weise bleibt auch immaterielle Arbeit materiell; „für jede Arbeit brauchen wir Körper und Geist. Was immateriell ist, ist das Produkt.“

Menschsein bedeutet den Umgang mit Dingen und mit Zeichen, wobei es die Zeichen sind, die die Dinge in einer bestimmten Weise hervortreten lassen. Wenn Luhmann (1991) die Kommunikation zur sozialen Basisoperation von Gesellschaft bestimmt hat, dann können wir ergänzen, dass die Tätigkeit – und hier insbesondere die Arbeit – die zweite basale Sozialform von Gesellschaft ist. Das Kennzeichen der spätmodernen Gesellschaft ist nun, dass diese beiden Basisoperationen zunehmend verschmelzen, d. h. dass Arbeit zur Kommunikation wird bzw. Kommunikation zu Arbeit.

Arbeitskommunikation hat es zu Koordinationszwecken schon immer gegeben. Bereits die frühen Menschen jagten in Gruppen, die sich abstimmen mussten. Selbst Galeerensklaven wurde ihr Takt vorgegeben, damit sie koordiniert rudern konnten. Kommunikationsarbeit unterscheidet sich von Arbeitskommunikation dadurch, dass die Kommunikation nicht mehr nur Koordinationsaufgaben verrichtet, sondern dass sich Arbeit als Kommunikation vollzieht. Die älteste Form der Kommunikationsarbeit ist vielleicht die Predigt. Bereits seit längerem bekannte Formen sind Marketing/Werbung, Journalismus und Unterhaltung, aber auch Lehren und Unterrichten. In den letzten Jahrzehnten ist die allgegenwärtige Beratung dominant geworden. Auch Führung in Unternehmen ist heute mehr als ostentativ machtgestützte Arbeitsanweisung, sondern vollzieht sich gerade unter Machtgesichtspunkten subtiler als persuasive Einwirkung auf das Verhalten der Mitarbeitenden. Mitarbeiter wollen und müssen motiviert sowie zur Loyalität und Identifikation mit dem Unternehmen angereizt werden, damit sie die geforderten Höchstleistungen erbringen. Die Macht ist nicht verschwunden, sondern hat ihre Form gewechselt. Die These von Hardt und Negri (2004, S. 128) ist nun, „dass immaterielle Arbeit qualitativ hegemonial geworden ist und damit anderen Formen der Arbeit und der Gesellschaft selbst eine Tendenz vorgibt.“

Das zeigt sich gerade durch die netzförmige Computerisierung der gesellschaftlichen Produktion (Rifkin 2014). Durch sie wurde die lebendige Arbeit insgesamt weitgehend immateriell und vollzieht sich als Kommunikation. Dies ist mit einem Wandel der Machtform verbunden. Kontrolle muss nicht mehr offen hierarchisch in interpersonalen Beziehungen ausgeübt werden, sondern vollzieht sich technologisch sowie über die wechselseitige Kontrolle der Arbeitenden und verinnerlicht über die Selbstkontrolle der Einzelnen. Macht wird invisibilisiert. Die entsprechenden gesellschaftlichen Machtformen des Neoliberalismus werden als Biomacht (Foucault 1986), Psychopolitik (Han 2014) oder Kontrollmacht (Deleuze 2010) bezeichnet. Die Immaterialisierung von Arbeit und die Invisibilisierung der damit verbundenen Machtausübung haben Folgen für die Gesellschaft als Ganze, d. h. für das Netzwerk aller Kommunikationen. Denn während lebensweltlicher Kommunikation das Telos der Verständigung auch und vor allem über Unterschiede hinweg innewohnt, ist Kommunikationsarbeit rein strategisch motiviert. Damit untergräbt sie Verständigung und trägt somit dazu bei, dass sich gesellschaftliche Beziehungen zunehmend rein strategisch ausformen. Diese These werde ich im vierten Kapitel ausformulieren und begründen.

Der Gedanke der Biomacht geht auf Foucault (1986) zurück; er bezeichnete damit eine Form der Herrschaft, die nicht auf Unterdrückung beruht, sondern die durch Verführung sowie durch pädagogische und medizinische Praktiken zur selbstbestimmten Hervorbringung der erwünschten Verhaltensweisen anreizt, denn es ist nicht effizient, jemanden gegen seinen Willen zur Arbeit zu zwingen und auszubeuten; besser ist es, dass sich die Arbeitenden freiwillig selbst ausbeuten. Während sich die Biomacht noch weitgehend auf die Körper der Individuen sowie auf die Gesellschaft als Ganze bezog, so hat der Neoliberalismus seinen Zugriff auf die Seelen ausgedehnt. Han (2014) hat daher gezeigt, dass sich Foucaults Biomacht zur Psychomacht des neoliberalen Regimes erweitert. Diese steht in enger Verbindung zur Mutation von Arbeit zur Kommunikation, weil sie unablässig zum allumfassenden Wettbewerb und zur beständigen Optimierung zwingt. „Diese Wendung zur Psyche, somit zur Psychopolitik hängt … mit der Produktionsform des heutigen Kapitalismus zusammen, denn er wird von immateriellen und unkörperlichen Produktionsformen bestimmt.“ (Han 2014, S. 39) Vor allem die panoptische Struktur der digital vernetzten Kommunikation trägt wesentlich dazu bei, dass sich die Kommunizierenden beim Arbeiten (aber auch in ihrer so genannten Freizeit, die zunehmend von Arbeitszeit durchsetzt wird bzw. deren vormals strikte Trennung sich weitgehend auflöst) ständig gegenseitig evaluieren und kontrollieren, d. h. auf „smarte“ Art zu sozial erwünschten Verhaltensweisen disziplinieren. Unterschiede, die echte Unterschiede machen, und Abweichungen vom Mainstream werden dabei nivelliert. Psychopolitik operiert nicht gegen den Willen der Beteiligten, sondern mit deren Einverständnis, sogar durch sie selbst. „Die smarte, freundliche Macht operiert nicht frontal gegen den Willen der unterworfenen Subjekte, sondern steuert deren Willen zu ihren Gunsten. Sie ist eher jasagend als neinsagend, eher seduktiv als repressiv. Sie ist bemüht, positive Emotionen hervorzurufen und sie auszubeuten. Sie verführt, statt zu verbieten. Statt sich dem Subjekt entgegenzusetzen, kommt sie ihm entgegen.“ (Han 2014, S. 27) In diesem Prozess der manipulativen Anreizung spielt wiederum Kommunikationsarbeit eine zentrale Rolle, wobei die Kommunikation hier rein strategisch wird: Ein Nein darf im Interesse der Kapitalverwertung nicht akzeptiert werden. Kommunikation wird persuasiv. Ziel ist nicht Verständigung über Unterschiedlichkeiten hinweg, sondern Zustimmung und Einverständnis (s. u.).

Kommunikationsarbeit ist aber mehr als Manipulation durch Marketing, Werbung, kulturindustrielle Unterhaltung etc. Das Dominantwerden von Kommunikationsarbeit hängt – wie gesagt – mit dem aktuellen Zustand des Kapitalismus zusammen, der zunehmend von immaterieller Produktion und spekulativen Finanztransaktionen bestimmt wird, denen oft keine materielle Produktion mehr entspricht. In der so genannten Wissensgesellschaft sind Daten und Informationen der Stoff, aus dem der Profit gemacht wird, und diese müssen zirkulieren. Wer mehr Wissen akkumuliert und sich besser kommunikativ vernetzen kann, hat die Nase vorn im Rattenrennen um Rendite. Geistige Arbeit, Forschung und Entwicklung sind die bestimmenden Aktivitäten in den westlichen Ländern, die materielle Produktion kann im Zweifel in Billiglohnländer ausgelagert werden. Außerdem werden inzwischen nicht mehr nur Produkte und praktische Dienstleistungen verkauft und konsumiert, sondern auch Events, d. h. emotionale Erlebnisse. Unterhaltung als Teilaspekt gesellschaftlichen Lebens hat eine lange Geschichte – bereits im römischen circus maximus wurde Kommunikationsarbeit geleistet. Neu aber ist, dass die Arbeit der emotionalen Eventproduktion sich nicht mehr auf spezielle Branchen beschränkt, sondern dass Arbeit insgesamt als Event inszeniert wird. So wird z. B. das Tauschverhältnis, also der Prozess des Verkaufens und Kaufens, bereits zum „reizenden“ Erlebnis, und der Arbeitsprozess verspricht (ohne sein Versprechen in der Regel zu halten) einen Vergnügungswert bzw. ein Spaßerlebnis. Das Emotional Design der modernen Arbeitsgesellschaft erfolgt durch Kommunikationsarbeit, werden doch den Arbeitenden wie den Verbrauchenden Wunscherfüllungen vorgegaukelt, die nicht befriedigen, sondern nur den Wunsch nach mehr zurücklassen. Die nicht endende Anstrengung der neoliberalen Wirtschaft, auch noch die letzten gesellschaftlichen Bereiche, die traditionell ihrem Zugriff entzogen waren, zu privatisieren, zu deregulieren und zu ökonomisieren, führt dazu, dass nahezu alle gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Beziehungen warenförmig umcodiert werden. Immer mehr wird kaufbar gemacht, verkauft und gekauft. Selbst Großmütter kann man mieten, damit sie die netten Kleinen betreuen. Kommunikationsarbeit – soweit das Auge reicht.

Die diesen Prozess begleitenden neoliberalen Herrschaftstechniken der Psychopolitik zielen nicht nur auf die Steuerung während der Arbeitszeit, sondern auf den ganzen Menschen, dessen ganzes Leben für die Kapitalverwertung nutzbar gemacht und ausgebeutet werden soll. Der homo oeconomicus ist heute nicht mehr das rational kalkulierende Individuum des Warentausches, sondern das wettbewerbsorientierte Individuum der allumfassenden Konkurrenzgesellschaft (Makropoulos 2010). Strategische Kommunikationsfähigkeit wird zu der Schlüsselkompetenz im Wettbewerb um Arbeit und in der Arbeit.

3 Begriffliche Bestimmung von Kommunikation, Arbeit und Kommunikationsarbeit

Bisher habe ich den Gedankengang entfaltet, ohne die drei tragenden Begriffe Kommunikation, Arbeit und Kommunikationsarbeit definitorisch zu bestimmen. Das soll in diesem Kapital nachgeholt werden, um im vierten Kapitel die Folgen für die Gesellschaft herauszuarbeiten, die durch die Verwandlung und Überformung von materieller Arbeit in bzw. durch immaterielle Kommunikationsarbeit zu verzeichnen sind.

Bei der Definition von Kommunikation folge ich Luhmann (1991), der diese als Einheit der drei Selektionen Information – Mitteilung – Verstehen gefasst hat. Sie entsteht unter der Voraussetzung wechselseitiger Intransparenz der beteiligten psychischen Systeme, die auch für sich selbst teilweise intransparent sind. Im Verhältnis doppelter Kontingenz stehend können Alter und Ego jeweils zustimmend oder ablehnend auf die Mitteilungen des jeweils anderen – so wie sie sie verstehen – reagieren, also abstrakt gesprochen jeweils mit einem Ja oder einem Nein antworten. Für die Kommunikation ist das egal, solange die kommunikative Reaktion von Ego anschlussfähig an die kommunikative Äußerung von Alter bleibt. Verständigung – so wie ich den Begriff gebrauche – meint daher nicht Einverstandensein bzw. Konsens im Sinne von Habermas, sondern zunächst lediglich, dass man sich einig darüber ist, was gesagt wurde, auch wenn man unterschiedlicher Meinung bleibt. Im Gegenteil mag Widerspruch für die weitere Kommunikation anregender sein als Zustimmung. Diese grundsätzliche Offenheit von Kommunikation macht erst ihre Leistungsfähigkeit aus.

Hinsichtlich der begrifflichen Bestimmung von Arbeit greife ich auf einen gemeinsamen Ansatz mit Hans-Jürgen Arlt zurück, der Arbeit analog zu Kommunikation ebenfalls als Synthese von drei aufeinander bezogenen Selektionen Bedarf – Leistung – Gebrauch versteht (Arlt und Zech 2015, S. 8–14). Am Anfang der Arbeit existiert ein Bedarf. Dieser ist sowohl natürlich als auch gesellschaftlich vermittelt. Unter politischen Gesichtspunkten ist entscheidend, wer über den Bedarf bestimmt. Idealiter folgt dem Bedarf eine ihm entsprechende Leistung. Unter kapitalistischen Bedingungen dreht sich allerdings dieses Verhältnis, und die Wirtschaft folgt nicht mehr dem Bedarf, sondern der Bedarf der Wirtschaft – wie Luhmann kritisch feststellt (1974, S. 208). Am Ende des Leistungsprozesses steht ein Erzeugnis. Es kann sich um Produkte oder auch um Dienste handeln. In jedem Fall muss das Erzeugnis brauchbar sein, einen Verbraucher finden, wenn Arbeit – so wie wir sie definieren – stattgefunden haben soll. Wenn sich die Komponenten der Arbeit ausdifferenzieren, also zeitlich, sozial und sachlich getrennt werden, ändert sich das Verhältnis der drei Selektionen. Solange ein einfacher Grundbedarf mit einfachen Leistungen via direktem Gebrauch gedeckt wird, etwa in einem autarken Familienhaushalt, erscheinen die Antworten quasi naturgegeben, obwohl auch hier der Einfluss von Herrschaft auf die drei Selektionen nachweisbar ist. Sind die drei Komponenten ausdifferenziert, stellen sich Fragen zum Beispiel nach der Berechtigung des Zugriffs auf das Erzeugnis: Entscheidet der Bedarf oder die Macht oder das Geld über die Möglichkeit des Gebrauchs? Auf jeden Fall wirkt der Gebrauch auf die Bestimmung des Bedarfs zurück und beeinflusst dessen Evolution. Wenn unter kapitalistischen Verwertungsbedingungen die Bedarfsbefriedigung im Gebrauch nicht mehr das entscheidende Kriterium dafür ist, ob Arbeit stattgefunden hat, sondern wenn es nur noch darum geht, Produkte und Dienstleistungen, deren Befriedigungsbedarf durchaus fraglich sein kann, zu verkaufen, um die Investition mit Rendite zu realisieren, dann ist der Zusammenhang der drei Komponenten zerstört. Das hat Marx als die Grundlage von Entfremdung erkannt.

Als Kommunikationsarbeit wird nun diejenige immaterielle Arbeit bezeichnet, deren Wertbildung sich der Produktion von Bedeutungen via Zeichen und Medien verdankt. Das wurde im zweiten Kapitel bereits phänomenal erläutert; jetzt soll es um deren begriffliche Fassung gehen. Dieser kommen wir auch hier näher, wenn wir auch sie als Einheit von drei Selektionen bestimmen. Bei Kommunikationsarbeit geht es um die Komponenten Bedarf – Leistung – Zustimmung. Der homo oeconomicus der Kommunikationsarbeit ist der kommunikative Mensch, der sich flexibel in der komplexen gesellschaftlichen Welt orientieren und vernetzen kann und der ein Wissen hervorbringt, das wirtschaftlich verwertet werden kann. Wie bei der materiellen Arbeit bleibt der Ausgangspunkt, die erste Selektion, ein Bedarf – sei es nach Orientierung, Abstimmung, Information, Wissen, Bildung, Unterhaltung, Unterstützung, Seelenheil etc. Die zweite Selektion besteht ebenfalls in einer Leistung; allerdings besteht diese in einem Akt performativen Sprachhandelns, also im Sinne der Sprechakttheorie (Austin 1986) in einem illokutionären Akt, der in der Kommunikation sein angestrebtes „Produkt“ hervorbringt. Bei der dritten Selektion der Kommunikationsarbeit geht es nun nicht nur um das Verstehen einer Mitteilung wie in der Kommunikation, sondern um die Zustimmung zur Kommunikationsofferte (die natürlich irgendein Verstehen voraussetzt). Das heißt, wenn Kommunikation zu Arbeit wird, wird die gewollte Anschlussfähigkeit um die Möglichkeit der Ablehnungsvariante verkürzt. Eine Ablehnung der Kommunikation, ein Nein, wäre also gleichzusetzen mit der Tatsache, dass der Arbeitsaspekt der Kommunikationsarbeit nicht realisiert werden konnte, also kein wirtschaftlicher Erfolg zu verzeichnen ist. Das hat nun Folgen für die gesellschaftliche Kommunikation als Ganze, die ich abschließend diskutieren will.

4 Die Zerstörung der gesellschaftlichen Verständigungsorientierung durch Kommunikationsarbeit

Wenn man also Verständigung nicht mit Habermas (1987) als inhaltlichen Konsens aufgrund eines herrschaftsfreien Austauschs begründeter Argumente versteht, sondern nüchterner mit Luhmann (1991) als Anschlussfähigkeit auf der Basis der dreifachen Selektion aus Information – Mitteilung – Verstehen begreift, denn auch in einem Dissens realisiert sich Kommunikation, dann haben wir ein Kommunikationsverständnis, bei dem eine kommunikative Offerte von Ego von Alter mit Zustimmung oder Ablehnung, mit einem Ja bzw. einem Nein, beantwortet werden kann, und dies gilt vice versa. Hier wurzelt die große Freiheit der Kommunikation. Verständigung soll also lediglich einen kommunikativen Zustand bezeichnen, bei dem die Beteiligten sich einig über die Inhalte der jeweiligen Mitteilungen sind, auch wenn sie sich nicht auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen können oder wollen. Für die Kommunikation und das durch sie konstituierte Sozialverhältnis ist es gleich, ob sie über Konsens oder Dissens läuft, solange sie nur anschlussfähig weitergeht. Gesellschaft ist nach Luhmann die Gesamtheit aller Kommunikationen. Die daran Beteiligten sind frei zuzustimmen oder abzulehnen; solange sie nur irgendetwas verstehen oder missverstehen und daran anschließen.

Bei der Arbeit ist das Sozialverhältnis der Beteiligten nicht in gleicher Weise frei. Das Ergebnis von Arbeit ist ein Leistungsangebot, das nicht abgelehnt werden darf, wenn der mit der Arbeit intendierte Zweck und der wirtschaftliche Gewinn realisiert werden sollen. Arbeit hatte ich als das aufeinander bezogene Verhältnis aus den drei Selektionen Bedarf – Leistung – Gebrauch bestimmt, welches sich unter kapitalistischen Bedingungen verkehrt, weil die Wirtschaft nicht dem Bedarf, sondern der Bedarf der Wirtschaft folgt. Das soll heißen, es wird produziert, um zu verkaufen; im Zweifel – für die hochentwickelten westlichen Gesellschaften muss man sagen: in der Regel – kann ein (scheinbarer) Bedarf auch nachträglich durch Werbung und Marketing – also durch Kommunikationsarbeit – angereizt werden. Wie bereits erwähnt, ist es für die Realisierung des Profits auch nicht entscheidend, dass der Produktion eine Konsumtion folgt, d. h. der Leistung ein tatsächlicher Gebrauch. Es reicht, wenn sich der Mehrwert durch den Verkauf realisieren lässt, selbst wenn das Produkt danach originalverpackt auf dem Müll landet. Der wichtige Punkt ist: Für die Arbeit ist es katastrophal, wenn ihre Leistung nicht auf Zustimmung, sondern auf Ablehnung trifft, also das Erzeugnis oder die Dienstleistung nicht gekauft werden. Wohl war eine Verausgabung von Arbeitskraft zu verzeichnen; diese kommt aber nicht zum Abschluss in einer Bedarfsbefriedigung durch einen Gebrauch. Sie war nutzlos, und unter finanziellen Gesichtspunkten muss ein Verlust verbucht werden. Die in den Arbeitsprozess investierten Mittel sind verloren.

Das gilt auch für die Arbeit, die als Kommunikation stattfindet. Auch sie war nutzlos, wenn sie auf ein Nein trifft. Gemeindemitglieder, die dem gepredigten Wort Gottes nicht folgen, machen die Predigt obsolet. Schüler/innen, die den angebotenen Stoff verweigern, verhindern den Erfolg von Unterricht. Hörer/innen, die eine Radiosendung ausschalten, werden von der Sendung nicht erreicht, sie landet ungehört im Orbit. Kommunikationsofferten von Führungskräften, die von den Mitarbeiter/innen ignoriert werden oder denen mit Ablehnung begegnet wird, be- oder verhindern die reibungslose Erstellung der geplanten Leistung. Ein Bewerbungsgespräch, das in ein Nein des Arbeitsgebers mündet, führt im Zweifel zu Arbeitslosigkeit und Einkommensverlust. Weil alles dies auf jeden Fall verhindert werden muss, muss die anschließende Kommunikationsalternative möglichst um die Ablehnungsvariante verkürzt werden. Kommunikationsarbeit kann kein Nein akzeptieren, wenn sie sich als Arbeit realisieren will. Es zählt nicht das bessere Argument, sondern nur das Erreichen der Zustimmung – mit welchen Mitteln auch immer. Die Kommunikation ist nicht mehr frei, sie wird rein strategisch.

Das alles wäre gesellschaftlich betrachtet noch keine Katastrophe, wenn nicht die spätmoderne Gesellschaft die Tendenz hätte, die Trennung von Arbeitszeit und Freizeit aufzuheben. Gerade aktuell haben die Arbeitgeber eine politische Initiative gestartet, die die Beschränkungen der täglichen Arbeitszeit zugunsten einer Wochenarbeitszeit überwinden soll. Angestellte könnten dann ganz flexibel eingesetzt werden, wenn die Auftragsbücher voll sind. Außerdem könnten sie bei globalen Geschäften bereits frühmorgens oder noch spätabends zusammengerufen werden, wenn z. B. internationale Telefon- oder Videokonferenzen anstehen, die wegen der Zeitverschiebung nicht in ihren Normalarbeitstag fallen. Der arbeitsfreie Sonntag steht ohnehin schon weitgehend zur Disposition, er wäre schon längst komplett gefallen, wenn z. B. die Kirchen hier nicht Widerstand leisten würden. Projektarbeit und selbstständige Arbeit von Arbeitskraftunternehmern unterliegt sowieso schon keinen zeitlichen Beschränkungen mehr. Und Finanzgeschäfte werden ohnehin ohne Unterbrechung 24 Stunden am Tag getätigt. Die Wirtschaft hat die Tendenz zur ununterbrochenen Betriebsamkeit, zum permanent laufenden Betrieb, und sie versucht, alles, was sie daran hindert, beiseite zu räumen. Das Rad muss sich drehen; Frei-Zeiten sind Störungen im kapitalistischen Wirtschaftsprozess. Die Fraunhofer Gesellschaft prognostiziert für die Zukunft daher ein „Corporate Life“ (Spath 2012, S. 19), d. h. ein Leben von Arbeitnehmer/innen und ihren Familien, das sich insgesamt rund um die Firma und deren Arbeit schmiegt – nur ist dies von Fraunhofer nicht kritisch vermerkt, sondern affirmativ gemeint. All dies birgt die Gefahr in sich, dass der Unterschied von Kommunikationsarbeit und lebensweltlicher Kommunikation verwischt und tendenziell aufgehoben wird.

In der neoliberalen Gesellschaft gilt der Markt als generalisiertes soziales Organisationsprinzip und Konkurrenz als umfassender Vergesellschaftungsmodus (Makropoulos 2010). Das heißt, Markt und Konkurrenz gelten nicht mehr nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Lebenswelt, beim Sport sowieso, aber auch in der Bildung oder bei der Beziehungsanbahnung. Nicht zufällig wird vom Heiratsmarkt gesprochen, und Beziehungen werden von Online-Agenturen nach sozialen Wertigkeiten gematcht (ElitePartner.de). Damit löst sich die Unterscheidung von verständigungsorientierter Kommunikation in der Lebenswelt und strategischer Kommunikation in der Arbeitswelt auf. Mit der Kolonialisierung der lebensweltlichen Kommunikation durch die strategische Kommunikationsarbeit wird Kommunikation generell instrumentell.

Diese Überlegung ist natürlich idealtypisch gemeint, denn jegliche Kommunikation, die überzeugen will, hat bereits strategische Momente. Aber dieser Teilaspekt wird in der Kommunikationsarbeit zum ausschließlichen; Ablehnung ist gleichbedeutend mit dem Scheitern der Arbeit. Mit dem gesellschaftlichen Dominantwerden von Kommunikationsarbeit und der Auflösung der Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit, besteht die Gefahr, dass die zwischenmenschliche Kommunikation insgesamt eine starke Tendenz zum Strategischen bekommt. Und da der allgemeine Kommunikationszusammenhang die Gesellschaft ausmacht, wird diese insgesamt konkurrierend, im alltagsprachlichen Sinne unsozialer. Wir können dies bereits an den anomischen Tendenzen in unserem gesellschaftlichen Alltag beobachten. Einerseits werden Unterschiede eingeebnet (Alle fahren in den gleichen Individualurlaub, tragen die gleiche Mode etc.); andererseits machen nicht nivellierbare Unterschiede Angst und schüren aggressives Verhalten (Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus). Wenn der Wettbewerb das Sozialverhalten dominiert (Kampf um Arbeitsplätze und Schulnoten, Eliteförderung, Rankings etc.), dann bleibt Solidarität auf der Strecke. Der Wettbewerb birgt in sich auch die Gefahr, um des Sieges willen zu unlauteren Mitteln zu greifen. Ohne Doping sind Höchstleistungen im Sport kaum noch zu erreichen, und Korruption wird zum allgemeinen Merkmal der Spätmoderne, deren neoliberale Wirtschaft nicht mehr sozial eingebettet und staatlich reguliert ist (embedded liberalism, Soziale Marktwirtschaft). Korruption kann geradezu als der Versuch betrachtet werden, das Nein in der Kommunikation und die diesbezüglichen Folgen durch den Einsatz von Machtmitteln (Bestechung oder Bedrohung) auszuschließen. Es werden gewissermaßen durch interessierte Instanzen Angebote gemacht, die man nicht ablehnen kann.

Die Kommunikationsarbeit, die kein Nein mehr akzeptieren kann, macht uns zu einer Gesellschaft von Ja-Sagern; wir sind immer und überall „on“. Eine Grenze findet das animal laborans nur noch im Nicht-mehr-Können, im Ausgebranntsein. Han (2013) diagnostiziert für die aktuelle Leistungsgesellschaft den Verlust der – im Hegelschen Sinne verstandenen – Negativität. Die Möglichkeit der dialektischen Negation, die letztlich Entwicklung bedeutet, ist suspendiert. Ein Übermaß an Positivität des immer Gleichen führt auf Dauer zum Durchbrennen durch Überhitzung. Die Gesellschaft kennt nur noch Positivität, Produktivität und ungehindertes Wachstum. Der Imperativ der Leistung ist das Gebot der spätmodernen Arbeitsgesellschaft mit einem Menschentyp, der ohne Fremdzwänge und im vermeintlichen Bewusstsein der Freiheit nur noch arbeitet, auf ein kommunikatives Ja programmiert und zum Nein, zum Anhalten, zur kontemplativen Versenkung nicht mehr fähig ist.

Wenn eine Gesellschaft ihr Nein verliert, läuft sie durch fehlende Stoppregeln in eine positive Überhitzung und Erschöpfung. Die Depression ist ihr Pendant auf der individuellen Seite (Ehrenberg 2010). Die alte Disziplinargesellschaft war eine Gesellschaft der Negativität des Verbots, des Nicht-Dürfens. Die spätmoderne Kontrollgesellschaft ist eine Gesellschaft der Positivität, der permanenten Aufforderung der Zustimmung, des allgemein verlangten Könnens und allgemein gestatteten Dürfens – nur das Nicht-Wollen muss verhindert werden. An die Stelle des Verbots, der Repression des Unerwünschten treten die Anreizung, die Motivation, die Produktion erwünschter Verhaltensweisen.

Es ist vor allem die immaterielle Kommunikationsarbeit mit ihrem strategisch ausgeschalteten Nein, die die Tendenz zum unkritischen Einverstandensein in der Gesellschaft befördert und kritische Kommunikation auch über Differenzen hinweg zerstört. Eine zur Routine gewordene strategische Instrumentalisierung der anderen führt unweigerlich auch zum Verlust, sich selbst als ein offenes Gegenüber von anderen in wechselseitiger Anerkennung zu erfahren.