1 Einleitung

Eine Vielzahl von Befunden der jüngeren Ungleichheitsforschung legt nahe, dass sich in der Bundesrepublik und in anderen westlichen Gesellschaften die Einkommensunterschiede seit Mitte der 1990er Jahre verschärft haben. Dabei belegen unterschiedliche Studien, dass sowohl die Lohnungleichheit zwischen als auch innerhalb von Berufsklassen gestiegen ist (Giesecke u. Verwiebe 2008; Goldthorpe 2002; Grusky u. Weeden 2001; Mouw u. Kalleberg 2007; Weeden u. Grusky 2005; Weeden et al. 2007). Der vorliegende Beitrag thematisiert vor allem die wachsende Ungleichheit zwischen den Berufsklassen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Er knüpft damit direkt an zwei frühere Publikationen an (Giesecke u. Verwiebe 2008, 2009), erweitert diese jedoch deutlich. Dies geschieht durch die Einbeziehung eines neuen Datensatzes, der wesentlich detailliertere empirische Analysen für eine Erklärung des Anstiegs von Lohndifferenzen zwischen Berufsklassen ermöglicht.

In theoretischer Hinsicht beziehen wir uns auf zwei Erklärungsansätze. Mit der ökonomischen These des skill-biased technological change (SBTC) kann man postulieren, dass auf der Ebene individueller Fähigkeiten die relative Marktgängigkeit von Qualifikationen und spezifischen Fähigkeiten (skills) wichtiger wird, was sich auch in einer Akzentuierung von Lohnungleichheit niederschlägt. Beispiele für diese Sicht liefern in erster Linie Studien des amerikanischen Arbeitsmarktes, die in den letzten 10 Jahren vorgelegt wurden. Auf der Grundlage eines soziologischen, strukturtheoretischen Ansatzes würde man hingegen davon ausgehen, dass die wachsende Ungleichheit zwischen Berufsgruppen auf ungleich verteilte Macht- und Schließungspotenziale zurückzuführen ist. Dieser Ansatz stützt sich weitgehend auf die strukturtheoretischen Überlegungen von Aage B. Sørensen zur Relevanz von Rentengenerierungsprozessen.

Der vorliegende Beitrag ist in fünf Teile untergliedert. Zunächst werden im zweiten Abschnitt die zwei zentralen theoretischen Ansätze diskutiert. Danach werden im dritten Abschnitt die verwendeten Daten und Methoden beschrieben. Im vierten Abschnitt werden die Ergebnisse der empirischen Analysen für den Zeitraum von 1998 bis 2006 dargestellt. Dieser Analysezeitraum ergibt sich einerseits durch die Verwendung der BIBB-Strukturerhebung und ermöglicht andererseits ein Anknüpfen an bereits bestehende Studien für den Zeitraum von Anfang der 1990er Jahre bis etwa 1997 (u. a. Prasad 2004; Steiner u. Hölzle 2000). Aufbauend auf der Diskussion deskriptiver Trendergebnisse wird mithilfe von Regressions- und Dekompositionsmethoden die Veränderung der Einkommensposition unterschiedlicher Arbeitsmarktgruppen untersucht. Im letzten Teil des Beitrags werden unsere theoretischen Überlegungen zur zunehmenden Lohnungleichheit mit den Ergebnissen der empirischen Analysen kontrastiert.

2 Theoretische Erklärungsansätze

In der ökonomischen Literatur nimmt in den letzten Jahren die Zahl der Beiträge zu, die sich mit der wachsenden Lohnungleichheit in Ländern wie den USA, Großbritannien und Deutschland beschäftigen (Antonczyk et al. 2009; Autor et al. 2006; Autor et al. 2003; Card u. DiNardo 2002; Dustmann et al. 2007; Goos u. Manning 2007; Green 2007; Machin 2008). Die meisten dieser Beiträge stützen sich auf die von Katz u. Murphy (1992) bereits Anfang der 1990er Jahre vorgestellte These des skill-biased technological change (SBTC). Danach hat die Verbreitung moderner Informationstechnologien die Nachfrage nach hoch qualifizierten Arbeitskräften erhöht, während die nach weniger qualifizierten Personen gesunken ist (einen Überblick zu den Konturen der SBTC-Debatte liefern u. a. Acemoglu 2002; Katz u. Autor 1999). Nach einem solchen Marktmodell entstehen Lohndifferenziale zwischen Berufsgruppen in erster Linie aufgrund der unterschiedlichen Humankapitalausstattung der Arbeitskräfteanbieter, vor allem gemessen an Bildungsabschlüssen: Hoch qualifizierte Beschäftigte profitieren von relativen Einkommenszuwächsen, während sich die Löhne gering Qualifizierter nur unterdurchschnittlich entwickeln. Dieser Prozess schlägt sich in einer Zunahme der qualifikationsbasierten Lohnungleichheit nieder.

In der ersten Phase der Forschung zur SBTC-These in den 1990er Jahren wurde in den Erklärungsmodellen neben wachsenden Bildungsrenditen auch die Zunahme in der Lohndispersion der Residualkategorie thematisiert, die in der ökonomischen Logik „nur“ aus nicht beobachteten Kenntnissen und Fertigkeiten bestehen konnte, die eben verstärkt nachgefragt und dadurch auch höher entlohnt wurden (für eine kritische Betrachtung dieser Argumentation siehe z. B. Green 2007, S. 738 ff.). In den jüngsten Beiträgen zur Debatte um die SBTC-These wird inzwischen weitaus präziser argumentiert. Der technologische Wandel in entwickelten westlichen Gesellschaften hat danach nicht nur die Nachfrage nach allgemeinem Humankapital, sondern vor allem die Nachfrage nach spezifischen beruflichen Fähigkeiten erhöht, was in der Folge die Strukturen der Lohnverteilung auf dem Arbeitsmarkt verändert hat (z. B. Autor et al. 2006; Goos u. Manning 2007). Danach sind vor allem besondere technische Fähigkeiten, die im Bereich der Informationstechnologie und -verarbeitung angesiedelt sind, und spezifische Fähigkeiten in den Bereichen Management, Beratung und Verkauf/Marketing zunehmend auf dem Arbeitsmarkt gefragt. In der Logik der SBTC-Argumentation sorgt die wachsende Nachfrage nach diesen spezifischen nicht-manuellen skills und die gleichzeitig sinkende Nachfrage nach manuellen skills (z. B. Herstellen von Waren, Bedienen von Maschinen, Reparaturtätigkeiten, handwerkliche Fähigkeiten) für einen Anstieg der Lohnungleichheit zwischen Berufsklassen.Footnote 1

In der aktuellen Literatur zur veränderten Lohnungleichheit dominiert dieser auf der These des technologischen Wandels gründende ökonomische Erklärungsansatz. Originär soziologische Erklärungsmodelle sind kaum vertreten, wie schon Morris und Western in ihrem viel beachteten Übersichtsartikel vor einigen Jahren konstatiert haben: „Sociologists have been strangely and remarkably silent on this issue“ (Morris u. Western 1999, S. 624). Diese Beobachtung, verbunden mit der Aufforderung, sich mit der veränderten Lohnverteilung in westlichen Gesellschaften zu beschäftigen, findet sich auch bei einigen anderen international vergleichenden Sozialstrukturforschern (DiPrete 2007; Esping-Andersen 2007; Weeden et al. 2007). Wir verstehen diese Kritik für uns als einen Startpunkt, um die etablierte ökonomische Erklärung (SBTC-These) mit stärker soziologischen Modellannahmen zu konfrontieren. Dabei stützen wir uns auf die Arbeiten von Berger (2004), Grusky u. Weeden (2001), Sørensen (1983, 2000) und Weeden (2002), die wir als Grundlage einer strukturellen Erklärung der Ursachen von Lohnungleichheit verwenden.

Das Fundament einer solchen strukturellen Erklärung wachsender Lohnungleichheit zwischen Berufsklassen ist durch Aage B. Sørensen (1983, 2000) geschaffen worden. Dieser argumentiert auf der Grundlage seiner Theorie offener und geschlossener Positionssysteme, dass Lohndifferenziale nicht nur aufgrund von Angebots-Nachfrage-Relationen, sondern auch aufgrund von strukturellen Faktoren zustande kommen, die sich durch die vertikale und horizontale Gliederung des Arbeitsmarktes ergeben. Berufsklassen unterscheiden sich demnach durch die ihnen gegebenen divergierenden Schließungspotenziale, das heißt durch die Fähigkeit, aufgrund von Solidarisierung nach innen und/oder Abgrenzung nach außen andere Gruppen vom Zugang zu attraktiven Positionen auszuschließen. Anknüpfend an Sørensen sehen Berger (2004), Grusky u. Weeden (2001) oder Weeden (2002) die Ursachen von Lohnungleichheit darin begründet, dass bestimmte Berufsklassen durch den Ausschluss oder zumindest durch die Verringerung des Wettbewerbs um Positionen in der Lage sind, Renten zu erzielen, das heißt über ihr Produktivitätsäquivalent hinaus entlohnt zu werden. Die Fähigkeit von Berufsklassen, Renten zu generieren, leitet sich etwa durch credentialistische Schließung (Zugang wird über Zertifikate geregelt), durch Mitgliedschaft in berufsständischen Organisationen oder durch Zugangsmöglichkeiten zu beruflichen Netzwerken ab (Weeden 2002, S. 60). Geschlossene Positionssysteme sind nach Sørensen (1983, S. 206 ff.) unter anderem auch durch einen hohen Grad an Beschäftigungssicherheit und eine insgesamt hohe Beschäftigungsdauer gekennzeichnet. In aktuellen Arbeiten zum Status von Berufsklassen im Entlohnungssystem wird daran anknüpfend argumentiert, dass – über die möglichen Effekte eines technologischen Wandels hinausgehend – die Ungleichheit zwischen Berufsklassen in den letzten Jahren zugenommen hat (Goldthorpe 2002; Grusky u. Weeden 2002; Weeden et al. 2007). Mit dem strukturellen Ansatz würde sich die steigende Ungleichheit von Löhnen auf dem deutschen Arbeitsmarkt als Ergebnis der asymmetrischen Entwicklung der Schließungspotenziale bestimmter Berufsklassen interpretieren lassen. Personen in höheren beruflichen Positionen, zum Beispiel im mittleren und höheren Management, könnten aufgrund ihres hohen Schließungspotenzials relative Lohnvorteile bewahren oder gar ausbauen (DiPrete et al. 2002; Esping-Andersen 1993; Weeden 2002).Footnote 2 Arbeitnehmer in niedrigen Berufsklassen würden demgegenüber eine (relative) Schlechterstellung verzeichnen, da ihre Schließungspotenziale geringer werden. Morgan u. Cha (2007) bezeichnen diesen Prozess als rent destruction. Zurückzuführen wäre diese rent destruction beispielsweise auf den Abbau interner Arbeitsmärkte, auf die Zunahme der Beschäftigung in Kleinbetrieben, auf die Schwächung der Verhandlungsposition von Gewerkschaften inklusive der abnehmenden Tarifbindung oder auf die Tendenz zur Verbetrieblichung von Aushandlungsprozessen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern.

Vor dem skizzierten theoretischen Hintergrund wird im empirischen Teil dieses Beitrags die Frage diskutiert, ob die wachsende Lohnungleichheit in Deutschland, insbesondere die wachsende Ungleichheit zwischen Berufsklassen, eher mit einem SBTC-basierten Ansatz, der auf veränderte Angebots- und Nachfragerelationen auf dem Arbeitsmarkt rekurriert, oder mit einem strukturellen Ansatz erklärt werden kann, der auf ungleich verteilte Macht- und Schließungspotenziale der Beschäftigen abstellt. Wir konzentrieren uns dabei in unseren empirischen Analysen auf die Untersuchung des Effekts von Schließungsindikatoren und fähigkeitsbezogenen Variablen für die wachsende Lohnungleichheit in Deutschland. Zusätzlich verwenden wir eine Reihe von Kontrollvariablen (wie etwa Alter, Familienstand, Betriebsgröße, Branche, Bildung), um diese Befunde abzusichern.

3 Daten, Variablen und Methoden

3.1 Daten und Kriterien der Fallauswahl

Für die Analysen dieses Beitrags wurden Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) sowie Daten der BIBB/IAB-Strukturerhebung 1998 bzw. der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2006 verwendet (im Folgenden BIBB-Daten).Footnote 3 Die Daten des SOEP liefern für unsere Analysen die abhängige Variable (Bruttostundenlohn) und eine Reihe zentraler unabhängiger Variablen (Bildung, Berufsposition, Alter, Geschlecht, Branche, Vertragsform usw.). Durch die BIBB-Daten sind wir zusätzlich in der Lage, berufliche Fähigkeiten sowie den Grad der beruflichen Schließung als Durchschnittswerte auf der Ebene detaillierter Berufsgruppen in unsere Analysen mit aufzunehmen.Footnote 4 Die Auswahl des Analysezeitraums von 1998 bis 2006 ist primär durch die Verwendung der BIBB-Daten vorgegeben. Wir streben mit dem Startpunkt 1998 aber auch eine Anschlussfähigkeit an die Ergebnisse bereits bestehender Analysen für den Zeitraum 1990/91 bis 1997 an wie z. B. die von Prasad (2004) oder Steiner u. Hölzle (2000).

Die empirischen Analysen beziehen sich ausschließlich auf abhängig Beschäftigte im erwerbsfähigen Alter (20 bis 65 Jahre), die zum Befragungszeitpunkt weder in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme noch in einem Ausbildungsverhältnis waren. In den Modellen wurden Beobachtungen von Personen mit Bruttostundenlöhnen von weniger als 2,50 Euro und mehr als 200 Euro (in konstanten Preisen von 1998) ausgeschlossen, um Effekte von Ausreißern möglichst niedrig zu halten.

3.2 Variablen

Die abhängige Variable „Bruttostundenlohn“ ergibt sich aus dem Verhältnis des erzielten monatlichen Bruttoarbeitseinkommens (in Euro) und der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit (inkl. Überstunden). Wie es in Analysen zur Lohnungleichheit üblich ist (vgl. Petersen 1989), wurde der Bruttostundenlohn logarithmiert (siehe auch Fußnote 6).

Um die Bedeutung von Berufsklassen für die Lohnungleichheit bzw. deren Entwicklung zu untersuchen, wird in den empirischen Analysen eine Klassenvariable genutzt (basierend auf ISCO-Hauptgruppen). Unterschieden werden insgesamt zehn Berufsklassen: Angehörige gesetzgebender Körperschaften, leitende Verwaltungsbedienstete und Führungskräfte in der Privatwirtschaft (im Folgenden kurz: Manager); Akademiker; Techniker und gleichrangige nichttechnische Berufe (im Folgenden: Techniker); Bürokräfte, kaufmännische Angestellte (im Folgenden: Bürokräfte); Dienstleistungsberufe, Verkäufer in Geschäften und auf Märkten (im Folgenden: Dienstleistungsberufe); Fachkräfte in der Landwirtschaft und Fischerei; Handwerks- und verwandte Berufe (im Folgenden: Handwerksberufe); Anlagen- und Maschinenbediener sowie Montierer (im Folgenden: Maschinenbediener); Hilfsarbeitskräfte; Soldaten. Für diese Berufsklassen besteht – aufbauend auf der ISCO-Klassifikationslogik – eine qualifikationsbasierte Hierarchie, wobei die Gruppe der Akademiker die höchste von insgesamt vier Qualifikationsstufen darstellt. Bei der Verwendung des ISCO-Schemas gehen wir jedoch davon aus, dass es neben diesen Qualifikationsunterschieden auch divergierende berufliche Schließungspotenziale abbildet. So zeigt z. B. Weeden (2002) für die USA, dass Manager und Akademiker ein höheres Schließungspotenzial haben als andere Berufsklassen.

Auf der Ebene beruflicher Fähigkeiten haben wir aus den BIBB-Daten den Anteil der Befragten verwendet, die in Beruf X arbeiten und angeben, folgende nicht-manuelle skills häufig zu nutzen: Ausbilden, Lehren, Unterrichten; Organisieren und Planen; Einkaufen, Beschaffen, Verkaufen; Beraten und Informieren; Werben, Öffentlichkeitsarbeit, PR, Marketing; Sammeln und Auswerten von Informationen, Recherchieren; computerbezogene Fachkenntnisse. Für den Bereich der manuellen Fähigkeiten werden die Angaben zu folgenden Arbeitsinhalten verwendet: Messen, Prüfen, Qualität Kontrollieren; Überwachen und Steuern von Maschinen; Produzieren von Waren und Gütern; Reparieren und Instandsetzen. Diese Informationen werden als Durchschnittswerte auf der Ebene von KldB-Berufsordnungen den Daten des SOEP zugespielt (siehe Fußnote 5).

Als Schließungsindikatoren nutzen wir ebenfalls Informationen aus den beiden Erhebungen des BIBB. Insgesamt werden vier Indikatoren für den Grad der beruflichen Schließung verwendet. Die Auswahl dieser Schließungsindikatoren basiert insbesondere auf den Argumenten von Sørensen (1983, S. 206 ff.). Der Anteil von Personen mit Hochschulabschlüssen in einem Beruf X misst den Grad der credentialistischen Schließung (Zugang wird über Zertifikate geregelt). Höhere Werte signalisieren dementsprechend einen höheren Schließungsgrad.Footnote 5 Der Indikator „durchschnittliche Beschäftigungsdauer“ bezieht sich auf die Offenheit bzw. Geschlossenheit beruflicher Positionen. Da die durchschnittliche Beschäftigungsdauer in einem Beruf auch eine Funktion des mittleren Alters der Beschäftigten in diesem Beruf ist, haben wir diesen Indikator um den Effekt des individuellen Alters bereinigt. Ein weiterer Indikator der Offenheit bzw. Geschlossenheit beruflicher Positionen ist die durchschnittliche subjektive Beschäftigungssicherheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Beruf X. Nach Sørensen ist die Beschäftigungssicherheit in eher geschlossenen Arbeitsmarktbereichen stark erhöht. Dieser Zusammenhang sollte sich auch in der subjektiven Beschäftigungssicherheit widerspiegeln. Hier wurde der Anteil derjenigen Befragten ermittelt, die angaben, dass für sie „in nächster Zeit überhaupt keine Gefahr“ einer Entlassung bestünde. Schließlich wird mit dem Anteil von Arbeitnehmerinnen in einem Beruf X das Ausmaß beruflicher Segregation gemessen. Dieser Indikator sollte mit der Offenheit bzw. Geschlossenheit beruflicher Positionen korrelieren, da angenommen wird, dass geschlossene Positionen eher von Männern besetzt werden.

Neben diesen zentralen Variablen verwenden wir in der empirischen Analyse eine Reihe von individuellen und arbeitsplatzbezogenen Kontrollvariablen, die im Ergebnisteil allerdings nicht en détail diskutiert werden. Als ein wichtiges individuelles Merkmal fungiert das Bildungsniveau der Beschäftigten. Weiterhin werden das Alter einer Befragungsperson und ihre Nationalität berücksichtigt. Das Geschlecht wird in den Modellen kontrolliert, indem die empirischen Analysen für Männer und Frauen getrennt durchgeführt werden. Mit der Angabe zu Arbeitslosigkeitserfahrungen wird berücksichtigt, ob eine befragte Person in den letzten 12 Monaten mindestens einen Monat arbeitslos war. Diese Variable dient als Proxy für eine mögliche Entwertung des Humankapitals aufgrund einer Phase von Arbeitslosigkeit. Weitere Kontrollvariablen auf der individuellen Ebene, die nach der Literatur ebenfalls einen Einfluss auf die Lohnverteilung haben, sind das Merkmal „Region“ (alte versus neue Bundesländer), die Anzahl der Kinder im Haushalt und der Familienstatus. Mit der Dauer der Betriebszugehörigkeit wird der Effekt spezifischen Humankapitals in den Modellen kontrolliert. Das Merkmal „Vertragsart“ kontrolliert auf der Ebene arbeitsplatzbezogener Variablen den Einfluss von unbefristeten, befristeten sowie Beschäftigungsverhältnissen ohne Arbeitsvertrag. Die Variable „Arbeitszeit“ unterscheidet zwischen geringfügiger Beschäftigung, regulärer Teilzeit und Vollzeitstellen. Schließlich werden die Größe des Betriebes sowie die Branche, in der eine Person beschäftigt ist, berücksichtigt.

3.3 Methode

Neben der Darstellung der Entwicklung der Arbeitslöhne bzw. deren Verteilung auf Aggregatslevel sollen im empirischen Teil Veränderungen im Prozess der Lohndetermination thematisiert werden. Die hierfür verwendeten Modelle weisen folgende Spezifikation auf:

$$\ln (y_{it}) = {\bf{x}}_{it}{\rm{\beta}}_t+u_{it}$$
(1)

wobei die abhängige Variable in \(({y_{it}})\) den logarithmierten BruttostundenlohnFootnote 6 der Person \(i\) zum Zeitpunkt \(t\) darstellt, der Vektor \({\bf{x}}_{it}\) die entsprechenden erklärenden Variablen symbolisiert, der Vektor \({\rm{\beta }}_t\) zeitpunktspezifische Koeffizienten beinhaltet und \(u_{it}\) den individuellen Fehlerterm repräsentiert.

Die Parameter des oben genannten Modells werden mittels OLS-Methode geschätzt, die eine robuste Varianzschätzung verwendet, die nicht-konstante Fehlervarianzen in arbiträrer Form zulässt. Allerdings stellt dieses Vorgehen keine effiziente Schätzmethode dar, das heißt, tatsächlich vorhandene Effekte werden häufiger als bei einer effizienten Schätzmethode als nicht signifikant eingestuft. Sollen nun, wie im vorliegenden Fall, die für verschiedene Zeitpunkte separat geschätzten Parameter verglichen werden, ist es notwendig, die gefundenen Unterschiede nicht nur „per Augenschein“ zu bewerten, sondern auch die statistische Signifikanz dieser Unterschiede zu berücksichtigen. Hierzu ist es erforderlich, die (partielle) Abhängigkeit der jeweiligen Stichproben zu berücksichtigen, die sich unter anderem aufgrund des Panelcharakters des SOEP ergeben.Footnote 7 Die im Ergebnisteil berichteten Signifikanztests wurden daher unter Einbezug möglicher Abhängigkeiten zwischen den zu vergleichenden Stichproben berechnet.Footnote 8

Zusätzlich zu diesen Analysen kann auf der Grundlage der Regressionsmodelle mithilfe der von Fields (2003) vorgeschlagenen Dekompositionsmethode der Beitrag der erklärenden Variablen für die Veränderung in der Lohnungleichheit ermittelt werden. Dieser Beitrag ergibt sich aus dem sogenannten relativen Ungleichheitsgewicht s einer Variable, ist jedoch auch abhängig von dem gewählten Ungleichheitsmaß. Ein positiver Wert signalisiert einen ungleichheitserhöhenden Einfluss der entsprechenden Variablen, ein negativer Wert einen ungleichheitsreduzierenden Einfluss. Formal lässt sich – ausgehend vom Regressionsmodell (1) – der Beitrag P einer Variablen X j für ein bestimmtes Ungleichheitsmaß \(I\!{\left(\cdot\right)}\) berechnen als:

$$P_j \!\left( {I\!\left(\cdot\right)}\right) = \frac{{s_{j,t_2} I_{t_2}\!\!\left(\cdot\right) - s_{j,t_1} I_{t_1}\!\!\left(\cdot\right)}}{{I_{t_2}\!\!\left(\cdot\right) - I_{t_1}\!\!\left(\cdot\right)}}\quad{\rm{wobei}}\quad\;s_j = \frac{{\hat \beta _j \hat \sigma \!\left({X_j}\right)corr \!\left({X_j ,\ln\!\left(y\right)} \right)}}{{\hat \sigma \!\left( {\ln\!\left(y\right)} \right)}}$$
(2)

Die Befunde dieser Dekompositionsanalysen sind am Ende der Tabellen zu den Regressionsergebnissen zu finden.

4 Empirische Ergebnisse

Die empirischen Analysen gliedern sich in zwei Teile. In einem kurzen deskriptiven Teil wird zunächst die Entwicklung der Lohnungleichheit in der Bundesrepublik zwischen 1998 und 2006 anhand verschiedener Ungleichheitsmaße dargestellt. Damit verbunden wird auch die Entwicklung der Ungleichheit zwischen Berufsklassen diskutiert. Anschließend folgt ein regressionsanalytischer Teil, in dem geprüft wird, ob und inwieweit die vorgestellten theoretischen Ansätze einen Beitrag zur Erklärung wachsender Lohndifferenziale zwischen Arbeitsmarktgruppen leisten können.

4.1 Deskriptive Analysen

Die allgemeine Entwicklung der Ungleichheit der Bruttolöhne zwischen 1998 und 2006 lässt sich einleitend gut mit dem in Tab. 1 dargestellten Gini-Koeffizienten sowie dem Atkinson-Index diskutieren. Diese Ungleichheitsmaße sind für Männer und Frauen getrennt ausgewiesen.

Tab. 1 Veränderung der Lohnungleichheit zwischen 1998 und 2006

Zunächst lässt sich sowohl für Männer als auch für Frauen ein deutlicher Anstieg der Lohnungleichheit innerhalb des Beobachtungszeitraums erkennen. So stieg bei den Männern der Gini-Index von 0,224 auf 0,240 und der Atkinson-Index von 0,150 auf 0,182. Dies entspricht einer prozentualen Steigerung der Gesamtungleichheit um 7 bzw. 21% zwischen 1998 und 2006. Für Frauen steigt die Lohnungleichheit um ca. 7% (Gini-Index) bzw. um ca. 11% (Atkinson-Index). Diese Befunde sind insofern interessant, als die verwendeten Ungleichheitsmaße Veränderungen in den unterschiedlichen Bereichen der Lohnverteilung unterschiedlich widerspiegeln: Während der Gini-Index „mittelschichtszentriert“ ist und zum Beispiel weniger stark auf Veränderungen am unteren oder oberen Rand der Verteilung reagiert, ist das hier gewählte Atkinson-Maß insbesondere gegenüber Veränderungen am unteren Rand sensitiv.Footnote 9 Insofern geht der Anstieg der Gesamtungleichheit relativ stark auf zunehmende Lohndifferenzen zwischen niedrigen Lohngruppen zurück.

Welchen Anteil an der Gesamtungleichheit und deren Entwicklung haben nun Lohndifferenzen zwischen den einzelnen Berufsklassen? Um diese Frage zu beantworten, ist in der vierten und siebten Spalte von Tab. 1 für den Atkinson-Index derjenige Anteil der Gesamtungleichheit wiedergegeben, der auf die Ungleichheit zwischen den Berufsklassen (d. h. den zehn ISCO-Hauptgruppen) entfällt.Footnote 10 Es zeigt sich, dass dieser Anteil im Beobachtungszeitraum sowohl für Männer als auch für Frauen gestiegen ist. Bei den männlichen Beschäftigten ließen sich 1998 durch die Ungleichheit zwischen den Berufsklassen etwa 22% der Gesamtungleichheit erklären, 2006 waren es schon circa 26%. Bei den Frauen erweist sich die Ungleichheit zwischen Berufsklassen sogar als noch bedeutsamer für das Ausmaß der Gesamtungleichheit: Hier entfielen bereits 1998 etwa 28% der Gesamtungleichheit auf Lohndifferenzen zwischen Berufsklassen. Dieser Anteil stieg bis zum Jahr 2006 auf etwa 34%. Gleichzeitig lässt sich aus diesen Zahlen erkennen, dass bei Frauen die Ungleichheit zwischen Berufsklassen stärker akzentuiert ist als bei Männern.

Insgesamt bestätigen die vorliegenden Befunde die Ergebnisse einer Reihe anderer Studien, nach denen in Deutschland ab Mitte der 1990er Jahre die Ungleichheit der Löhne auf dem Arbeitsmarkt stark gestiegen ist (Antonczyk et al. 2009; Dustmann et al. 2007; Gernandt u. Pfeiffer 2006; Kohn 2006; Möller 2005). Die Lohnungleichheit steigt dabei nicht nur in der Gesamtverteilung, sondern vor allem auch zwischen den Berufsklassen. Während diese Entwicklungen über die Zeit bei Männern und Frauen in etwa gleich verlaufen, erweist sich das Ausmaß der Lohnungleichheit zwischen Berufsklassen bei Frauen als stärker ausgeprägt. Inwieweit die hier auf der Grundlage von deskriptiven Maßen skizzierte Entwicklung durch die verstärkte Nachfrage nach nicht-manuellen, technischen skills und die sinkende Nachfrage nach manuellen skills erklärt werden kann und inwiefern ergänzend oder alternativ Schließungsindikatoren für den Anstieg der Ungleichheit zwischen den Berufsklassen verantwortlich sind, wird anhand der folgenden Regressionsanalysen diskutiert.

4.2 Ergebnisse der Modelle zur Lohnungleichheit

Der deskriptive Befund einer wachsenden Lohnungleichheit, die sich in nicht unwesentlichen Teilen aus der zunehmenden Lohnspreizung zwischen Berufsklassen speist, wird von den Ergebnissen der Regressionsmodelle in Tab. 2 (Männer) und Tab. 3 (Frauen) bestätigt. In diesen Modellen werden die durchschnittlichen Lohndifferenziale zwischen den Berufsgruppen geschätzt, jeweils getrennt für die Jahre 1998 und 2006. Insgesamt wurden drei Modelle berechnet: Das Ausgangsmodell (M I), das außer den Berufsgruppen keine weiteren Variablen enthält, wird zunächst um eine Reihe relevanter individueller und arbeitsplatzbezogener Merkmale (wie etwa Alter, Bildung oder Betriebsgröße) erweitert (M II), um so die spezifische Zusammensetzung der Berufsklassen adäquat zu berücksichtigen. Daran anschließend werden im dritten Modell (M III) fähigkeits- und schließungsbezogene Faktoren auf der Ebene von detaillierten Berufsgruppen aufgenommen. Eine Dekompositionsanalyse zur Bestimmung des relativen Gewichts der wichtigsten Variablengruppen (Berufsklassen, Fähigkeits- sowie Schließungsindikatoren) für die Erklärung der Veränderung der Gesamtungleichheit bildet den Abschluss der multivariaten Analysen.

Tab. 2 Regressions- und Dekompositionsanalyse zur Veränderung der Lohnungleichheit zwischen 1998 und 2006, Männer
Tab. 3 Regressions- und Dekompositionsanalyse der Veränderung der Lohnungleichheit zwischen 1998 und 2006, Frauen

Mit Blick auf die Ergebnisse für die männlichen Beschäftigten in Tab. 2 wird zunächst deutlich, dass sich die durchschnittlichen Löhne zwischen den hier betrachteten Berufsklassen teilweise erheblich unterscheiden (M I). So erhielten 1998 beispielsweise Manager und Akademiker Bruttolöhne, die im Durchschnitt um mehr als 70% höher ausfielen als die Löhne von Hilfsarbeitskräften (die die Referenzgruppe in den Modellen darstellen).Footnote 11 Im Zeitvergleich lässt sich darüber hinaus erkennen, dass die Lohndifferenziale zwischen den Berufsgruppen weiter zugenommen haben. Insbesondere die Löhne der Gruppe der Hilfsarbeitskräfte verschlechterten sich zwischen 1998 und 2006 relativ zu allen anderen Berufsklassen. So konnten die Berufsklassen der Manager und Akademiker ihren relativen Lohnvorteil gegenüber den Hilfsarbeitskräften auf über 100% steigern. Aber auch andere Berufsgruppen, wie z. B. Bürokräfte oder Handwerker, verzeichneten in diesem Zeitraum relative Lohnzuwächse, wenn auch von einem niedrigeren Ausgangsniveau startend. Die Betrachtung der unbereinigten Lohnunterschiede zwischen Berufsklassen gibt damit einen ersten Hinweis darauf, dass die Veränderungen im Lohngefüge zwischen Berufsklassen eine relevante Komponente für die insgesamt wachsende Lohnungleichheit im deutschen Arbeitsmarkt darstellen.

Da die zuvor berichteten Lohndifferenziale zwischen Berufsgruppen die spezifische Zusammensetzung der einzelnen Berufsklassen nicht berücksichtigen, spiegeln die Ergebnisse des Modells I auch die Effekte von individuellen sowie arbeitsplatzbezogenen Merkmalen wider. Vertreter der SBTC-These würden hier vor allem den Effekt des Humankapitals, insbesondere des allgemeinen Bildungsniveaus sowie der Berufserfahrung, als relevanten Erklärungsfaktor betonen (z. B. Machin 2008). In dieser Lesart korrespondiert die zunehmende Lohnspreizung zwischen Berufsklassen mehr oder weniger vollständig mit sich verändernden Erträgen des individuellen Humankapitals. Vor diesem Hintergrund wurde in das Modell II eine ganze Reihe von Kontrollvariablen aufgenommen. Die Berücksichtigung dieser Merkmale führt zu einer Verringerung der Lohnunterschiede zwischen den Berufsklassen – dies trifft insbesondere für die Berufsklasse der Manager, der Akademiker, der Techniker sowie der Bürokräfte zu. Dennoch erweisen sich die Lohndifferenziale zwischen den Berufsklassen auch nach der Kontrolle lohnrelevanter Merkmale wie etwa Bildung, Alter oder Branche als substanziell. Ein solches Ergebnis hat auch Weeden (2002) für den amerikanischen Arbeitsmarkt berichtet. So betrug zum Beispiel der um Bildungs- und andere Unterschiede bereinigte relative Lohnvorteil von Managern und Akademikern gegenüber den Hilfsarbeitskräften im Jahre 1998 noch über 40%. Der zeitliche Vergleich der Lohndifferenziale zeigt, dass die Lohnspreizung zwischen Berufsgruppen im Beobachtungszeitraum auch dann zugenommen hat, wenn deren spezifische Zusammensetzung berücksichtigt wird (im vorliegenden Fall steigt der Lohnvorteil von Managern beziehungsweise Akademikern auf circa 70 bzw. 50%).Footnote 12 Dieser Befund unterstreicht die analytische Bedeutung von Berufsklassen bei der Beschreibung und Erklärung der Veränderungen im Gesamtgefüge der Lohnungleichheit. Die Ergebnisse des Modells II legen daher insgesamt den Schluss nahe, dass die wachsende Lohnungleichheit im deutschen Arbeitsmarkt keinesfalls als ausschließliches Resultat von Verschiebungen der qualifikationsspezifischen Angebots-Nachfrage-Relationen zu verstehen ist. Vielmehr scheinen berufsspezifische Faktoren eine erhebliche Rolle zu spielen, die unabhängig vom Bildungsniveau oder der Berufserfahrung einer Person wirksam sind.

Um die Effekte solcher berufsspezifischer Faktoren näher zu untersuchen, wurden in Modell III zwei Typen von Berufsinformationen neu aufgenommen. Der Argumentation aktuellerer SBTC-Studien (Antonczyk et al. 2009; Autor et al. 2006; Goos u. Manning 2007) Rechnung tragend, werden zunächst verschiedene manuelle und nicht-manuelle skills berücksichtigt, die für die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit notwendig sind.Footnote 13 Für die hier verwendeten elf berufsspezifischen Fähigkeiten ist zu prüfen, ob und inwieweit sie zusätzlich zu den bereits berücksichtigten individuellen sowie arbeitsplatzbezogenen Merkmalen einen eigenständigen Effekt auf die Lohnhöhe ausüben und wie diese Effekte sich gegebenenfalls im Beobachtungszeitraum verändert haben. Der zweite Typ von Berufsinformationen umfasst insgesamt vier Indikatoren des Schließungsgrads von Berufsklassen. Die Auswahl dieser Schließungsindikatoren beruht auf Sørensen (1983).

Welchen Einfluss haben nun die von uns berücksichtigten berufsspezifischen Fähigkeiten und Schließungsindikatoren? Für den Bereich der beruflichen Fähigkeiten wird deutlich, dass fünf der elf Indikatoren keinen signifikanten Effekt auf die Lohnhöhe besitzen. Hierbei widerspricht vor allem das Fehlen der Effekte einiger nicht-manueller Fähigkeiten (wie etwa „Organisieren, Planen“ oder „Werben“) der SBTC-These. Die Effekte der übrigen sechs Fähigkeiten sind ebenfalls nur teilweise mit der SBTC-These vereinbar. Vor allem die Lohnsteigerungen solcher Berufe, die mit dem Herstellen von Waren und Gütern befasst sind, sowie die sinkenden Einkommensrenditen in Berufen mit Computerfachkenntnissen sind innerhalb der SBTC-Logik erklärungsbedürftig. Insgesamt liefern unsere Ergebnisse nur wenig empirische Evidenz dafür, dass sich die zunehmende Lohnungleichheit sowohl zwischen als auch innerhalb von Berufsklassen wesentlich durch technologieinduzierte Änderungen in den Angebots-Nachfrage-Relationen erklären lassen.

Im Bereich der Faktoren, die den Grad der beruflichen Schließung abbilden, erweisen sich der Indikator „Credentialismus“ (Anteil der Hochqualifizierten) sowie – zumindest im Jahre 2006 – die durchschnittliche Beschäftigungsdauer als relevante Lohndeterminanten (ein ähnliches Ergebnis findet sich bei Weeden 2002). So können Arbeitnehmer in Berufen mit einem besonders hohen Anteil von Hochqualifizierten deutlich höhere Löhne erzielen als vergleichbare Arbeitnehmer in Berufen mit einem eher geringen Anteil an Hochqualifizierten. Wichtig hierbei ist zu betonen, dass dieser Effekt unabhängig von individuellen Charakteristika (wie dem Qualifikationsniveau) und weiteren arbeitsplatzbezogenen Merkmalen wirkt, da diese Einflüsse im Modell kontrolliert werden. Ähnliches trifft für den lohnerhöhenden Effekt von Berufen mit hoher durchschnittlicher Beschäftigungsdauer zu: Auch hier ist der Einfluss arbeitsplatzbezogener und individueller Charakteristika (wie etwa der individuellen Beschäftigungsdauer) bereits berücksichtigt. Im Zeitvergleich deutet sich an, dass der Effekt dieser beiden Schließungsindikatoren stärker geworden ist. Insofern legen die empirischen Befunde den Schluss nahe, dass Schließungsprozesse auf der beruflichen Ebene einen relevanten Einfluss auf das Ausmaß der Lohnungleichheit ausüben.

Die Ergebnisse des Modells III machen darüber hinaus deutlich, dass auch nach der Kontrolle von berufsspezifischen Fähigkeiten und Indikatoren des beruflichen Schließungsgrads noch Lohndifferenziale zwischen den Berufsklassen vorhanden sind. Insbesondere für Manager und für Handwerksberufe bestehen weiterhin Lohnvorteile, die sich nicht durch die hier verwendeten berufsspezifischen Fähigkeiten oder den Schließungsgrad erklären lassen. Diese Berufsklassen konnten ihren Lohnvorteil zwischen 1998 und 2006 sogar noch weiter steigern. Darüber hinaus verzeichneten im Jahr 2006 auch noch Techniker und Bürokräfte solche verbleibenden Lohnvorteile. Es bleibt an dieser Stelle offen, inwieweit diese Lohnunterschiede und ihre zeitlichen Veränderungen eher auf unbeobachteten Fähigkeiten oder eher auf nicht gemessenen Schließungsmöglichkeiten beruhen.

Auch die Ergebnisse der Dekompositionsanalyse, die sich im unteren Teil der Tab. 2 finden, bestätigen die bislang diskutierten Tendenzen. Mit Blick auf die Ungleichheitskomponenten des Modells III wird deutlich, dass Veränderungen auf der Ebene beruflicher Fähigkeiten insgesamt kaum einen Einfluss auf das Ausmaß der Lohnungleichheit ausübten. Dagegen können die Indikatoren beruflicher Schließung, gemessen am Gini-Index, immerhin etwa ein Viertel der Zunahme der Ungleichheit erklären. Somit unterstreichen die Ergebnisse der Dekomposition den Befund, dass Veränderungen auf der Ebene beruflicher Schließungsprozesse stärker als solche auf der Ebene beruflicher Fähigkeiten zu einer Erhöhung der Lohnungleichheit beigetragen haben. Aber auch die Veränderungen in den Berufsklassen können einen Teil des Zuwachses der Lohnungleichheit erklären, und das unter Berücksichtigung einer Vielzahl von individuellen und arbeitsplatzbezogenen Merkmalen. Innerhalb der Ungleichheitskomponente „Rest“, die alle Effekte der Kontrollvariablen enthält, erweisen sich die gestiegenen Lohnabschläge für Personen mit kürzlich erfolgter Arbeitslosigkeitserfahrung sowie die gestiegenen Lohnunterschiede zwischen Betrieben unterschiedlicher Größen als wichtige Erklärungsfaktoren.Footnote 14

Die Ergebnisse für Arbeitnehmerinnen ähneln in Teilen denen der männlichen Beschäftigten (Tab. 3). Wie bei den Männern erzielen die Beschäftigten in den oberen Berufsklassen (Managerinnen, Akademikerinnen) durchschnittlich deutlich höhere Löhne als die Beschäftigten in der Referenzkategorie der Hilfsarbeitskräfte (M I). Zu Anfang des Beobachtungszeitraums sind diese Lohndifferenziale zwischen den Berufsklassen etwas stärker ausgeprägt als bei den Männern. Die Lohndifferenziale zwischen den Berufsklassen sind im Zeitverlauf weitgehend stabil, mit der Ausnahme eines leichten Anstiegs der Lohnvorteile der Akademikerinnen. Insgesamt fallen die Veränderungen der Lohndifferenziale zwischen den Berufsklassen damit weniger stark aus als bei den Männern. Dies gilt auch dann, wenn individuelle und arbeitsplatzbezogene Merkmale kontrolliert werden (Modell II).

Die Regressionskoeffizienten im dritten Modell legen zunächst den Schluss nahe, dass sich berufliche Fähigkeiten geschlechtsspezifisch auswirken. So ist zum Beispiel zu Beginn des Beobachtungszeitraums für Frauen in Berufen, in denen sehr häufig ausgebildet, gelehrt und unterrichtet wird, noch ein deutlicher Lohnvorteil zu verzeichnen. Dieser ist aber im Jahre 2006 nicht mehr nachweisbar. Berufe, für die Fähigkeiten im Bereich Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und Marketing benötigt werden, weisen für Frauen hingegen sogar negative Lohneffekte auf. Auch ein positiver Lohneffekt für solche Berufe, die Fähigkeiten beim Steuern von technischen Anlagen und beim Herstellen von Waren und Gütern verlangen, wie er weiter oben für die männlichen Arbeitskräfte diskutiert wurde, lässt sich für weibliche Arbeitskräfte nicht finden. Einen vergleichbaren Stellenwert haben zwei skills im Bereich der Daten- und Informationsverarbeitung: Computerfachkenntnisse und das Sammeln und Analysieren von Daten haben für weibliche und männliche Arbeitskräfte einen positiven Effekt auf den Lohn. Allerdings schwächt sich der letztere Effekt für Frauen über die Zeit ab, eine Entwicklung, die nicht ohne Weiteres mit der SBTC-These zu vereinbaren ist. Bei den Schließungsindikatoren sind die Unterschiede zwischen Frauen und Männern deutlich geringer ausgeprägt als bei den skills. Auch für Frauen wirken sich Berufe mit relativ hohem Schließungsgrad (gemessen am Credentialismus und an der durchschnittlichen Beschäftigungsdauer) positiv auf die Lohnhöhe aus. Der Zeitvergleich zeigt darüber hinaus, dass sich die Effekte dieser beiden Schließungsindikatoren tendenziell verstärkt haben. Zusätzlich zu diesen Befunden machen die Ergebnisse des Modells III deutlich, dass selbst nach Berücksichtigung von beruflichen Fähigkeiten und Schließungstendenzen Lohndifferenzen zwischen den Berufsklassen zu finden sind. Solche „unerklärten“ Lohnvorteile besitzen vor allem die oberen Berufsklassen (Managerinnen, Akademikerinnen und Technikerinnen).

Ähnlich wie bei den Männern legen schließlich die Ergebnisse der Dekompositionsanalyse (unterer Teil Tab. 3) nahe, dass Veränderungen auf der Ebene beruflicher Fähigkeiten insgesamt keinen Beitrag zur Erklärung der gestiegenen Lohnungleichheit leisten können. Dagegen weisen sowohl die Schließungsindikatoren als auch die Berufsklassen einen relativ hohen Erklärungsanteil auf (sowohl gemessen über den Gini- als auch den Atkinson-Index). Die „Restkomponente“ (Kontrollvariablen) hat ebenfalls einen hohen Erklärungsanteil für die Zunahme der Ungleichheit zwischen 1998 und 2006. Innerhalb dieser Kategorie, die alle Effekte der Kontrollvariablen enthält, erweisen sich die gestiegenen Lohnunterschiede zwischen Bildungsklassen sowie zwischen Beschäftigten in Betrieben unterschiedlicher Größe, aber auch die zunehmenden Lohnabschläge für Frauen mit geringfügiger Beschäftigung als wichtige Erklärungsfaktoren (aus Platzgründen nicht dargestellt). Insgesamt unterstützen auch die Ergebnisse der Dekompositionsanalyse für die weiblichen Arbeitskräfte den schon weiter oben diskutierten Befund, dass die Veränderungen auf der Ebene beruflicher Schließungsprozesse stärker als solche auf der Ebene beruflicher Fähigkeiten zu einer Erhöhung der Lohnungleichheit im deutschen Arbeitsmarkt beigetragen haben.

5 Diskussion

Auf dem deutschen Arbeitsmarkt hat sich die Ungleichheit der Löhne nach einer längeren Phase relativer Stabilität in den letzten Jahren deutlich verstärkt. Ausgangspunkt dieses Beitrags war die Annahme, dass die Entwicklung insbesondere auf die Zunahme der Lohnspreizung zwischen Berufsklassen zurückzuführen ist. Mit der vorliegenden Analyse sollten mögliche Ursachen einer solchen Entwicklung empirisch untersucht werden. Diese Fragestellung wurde vor dem Hintergrund einer Diskussion um die Angemessenheit eines eher ökonomischen oder eines eher soziologischen Erklärungsmodells verfolgt. Dazu wurden im ersten Teil des Beitrags die sogenannte SBTC-These und eine strukturelle Lesart der steigenden Lohnungleichheit vergleichend diskutiert.

Unsere Ergebnisse für den Zeitraum von 1998 bis 2006 bestätigen zunächst die Befunde einer Reihe bereits vorliegender Studien (Dustmann et al. 2007; Gernandt u. Pfeiffer 2006; Kohn 2006; Möller 2005): Die Zeiten stabiler Ungleichheitsrelationen gehören in Deutschland der Vergangenheit an. Zusätzlich zur Umverteilung, wie sie sich in der wachsenden Kluft zwischen Einkommen aus abhängiger Beschäftigung und Unternehmensgewinnen zeigt (Schäfer 2007), hat auch für die Gruppe der abhängig Beschäftigten die Ungleichheit der Löhne im Zeitverlauf zugenommen. Die Lohndynamik zwischen 1998 und 2006 ist dabei durch ein Ansteigen der Ungleichheit zwischen Berufsklassen gekennzeichnet, die sich zumindest für Männer durch das relative Absinken der Löhne unterer Berufsklassen erklären lässt. Insgesamt bestätigen unsere Analysen damit die noch immer große Relevanz von Berufsklassen für die Beschreibung und Erklärung zunehmender Lohnungleichheit.

Hinsichtlich der Frage der empirischen Relevanz der beiden im Theorieteil vorgestellten Erklärungsmodelle zeigen unsere Ergebnisse, dass sich die Zunahme der Lohnungleichheit eher auf Veränderungen in schließungsbezogenen Lohnkomponenten als auf Veränderungen im Bereich beruflicher Fähigkeiten zurückführen lässt. So gibt es zwar bestimmte skills (etwa im Bereich der Daten- und Informationsverarbeitung), die sich in Übereinstimmung mit der SBTC-These positiv auf die Löhne von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen auswirken. Gleichzeitig finden sich aber sowohl mit Blick auf die Erklärungskraft beruflicher Fähigkeiten für das Ausmaß der Lohnungleichheit als auch hinsichtlich des Vergleichs der Ergebnisse für Männer und Frauen eine ganze Reihe empirischer Befunde, die den Vorhersagen der SBTC-These widersprechen.

Für die Ungleichheitsstrukturen auf dem deutschen Arbeitsmarkt bedeutsamer sind Schließungsprozesse: So zeigt sich, dass Berufe, in denen der Grad der credentialistischen Schließung ausgeprägt ist, und solche, in denen die Beschäftigten über eine hohe Beschäftigungsdauer verfügen, höhere Löhne aufweisen – wohlgemerkt zusätzlich zu charakteristischen Lohnunterschieden auf der Grundlage von Bildung, Betriebsgröße, Branche. Die Analysen zeigen darüber hinaus, dass die Wirkungsweise dieser strukturellen Merkmale für die Erklärung des Wandels der Lohnungleichheit in Deutschland relevant ist. Hieran wird deutlich, dass Löhne auf dem Arbeitsmarkt weiterhin nicht allein durch Angebots- und Nachfragerelationen bestimmt werden, sondern auch durch die Schließungs- und Machtpotenziale von Berufsgruppen. Dieses Ergebnis steht in deutlichem Gegensatz zu den derzeit in der Forschung dominierenden Ansätzen, die auf einen qualifikationsverzerrten technologischen Wandel und dessen Implikationen für wachsende Lohnungleichheit abstellen. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass diese Erklärungsansätze zu eindimensional sind und mit der Fokussierung auf das allgemeine Humankapital (Bildungsabschlüsse) und spezifische skills als den entscheidenden Kriterien für eine veränderte Lohnverteilung der Komplexität des Phänomens nicht gerecht werden.

Zusammenfassend ziehen wir aus diesen Befunden den Schluss, dass die Arbeitsmarktforschung ihren Analysefokus nicht ausschließlich auf individuelle Charakteristika von Positionsinhabern, sondern auch auf Merkmale der Positionen und das Strukturgefüge zwischen Positionen legen sollte. Die Soziologie ist aus unserer Sicht gut beraten, sich an der Untersuchung dieser Phänomene stärker als bislang zu beteiligen. Denn hier wird ein Kernbereich des Faches – die Generierung von Strukturen sozialer Ungleichheit – berührt. Wir hoffen, mit den Befunden unserer Studie dazu einen Beitrag geleistet zu haben.

Für zukünftige Forschungsarbeiten im Bereich der Einkommens- und Lohnungleichheit legen unsere Ergebnisse drei mögliche Stoßrichtungen nahe. Erstens scheint es lohnenswert, die berichteten geschlechtsspezifischen Entwicklungen näher zu untersuchen. Hier wäre beispielsweise zu prüfen, welchen Einfluss die steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen auf das Ausmaß der Lohnungleichheit ausübt. Zweitens könnte versucht werden, durch die Berücksichtigung weiterer beruflicher Fähigkeiten und Schließungsindikatoren die in unseren Modellen noch unerklärten Lohndifferenziale zu erklären. Die Frage wäre aus unserer Sicht, ob dabei eher Macht- und Schließungsprozesse oder Marktmechanismen in den Blick genommen werden müssten. Drittens schließlich machen die Ergebnisse von Hinz und Gartner sowie von Groß in diesem Heft deutlich, dass neben Berufsklassen auch die Ebene von Betrieben und Branchen eine zentrale Rolle für die Generierung von Ungleichheit spielt. Hier könnte vor allem der Einfluss der deutlich abnehmenden Tarifbindung auf das Lohngefüge im deutschen Arbeitsmarkt thematisiert werden. Im Sinne eines strukturellen Ansatzes sind Prozesse von rent destruction dabei vor allem für untere Lohngruppen zu erwarten, da es insbesondere diese Gruppen sind, die von Tarifverträgen profitieren. Insofern lässt sich auch auf dieser Ebene vermuten, dass Verschiebungen in den Macht- und Schließungspotenzialen eine erhebliche Relevanz für die Entwicklung der Ungleichheit auf dem deutschen Arbeitsmarkt aufweisen.