Abb. 1
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Hans Tichy

Geboren wurde Hans Tichy (Abb. 1) im schlesischen Riesengebirge, in Schreiberhau, dem Ort, an dem die Glasindustrie zu Hause ist und wo fast 40 Jahre später die deutsche Sektion des „Internationalen Komitees zur Erforschung und Bekämpfung des Rheumas“, die heutige Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) gegründet wurde [5]. Diesem doppelten Genius loci blieb er zeitlebens verbunden: der heimatlichen Industrie mit seiner Sammelleidenschaft für schlesische Gläser, der Rheumatologie durch eine beispiellose Tätigkeit in den Nachkriegsjahren – sind doch seine weitreichenden Aktivitäten, Planungen und Ideen in der Rheumatologie des Ostens unseres Landes noch heute in Umrissen erkennbar und durch einige seiner Schüler lebendig.

Vorbereitungen

Die Liebe zum Kunsthandwerk bekam er schon in die Wiege gelegt, denn sein Vater war als Glasmalermeister für die berühmte, bereits 1366 urkundlich erwähnte Josephinenhütte tätig. Von den beiden Brüdern der Mutter Emilie war der ältere (Joseph Maria Partsch) Geograf, Karl, der jüngere, Mediziner. Beide weckten in ihrem Neffen die Begeisterung für die Naturwissenschaften. Dieser konnte sich – wie sein Ideal C. G. Carus [2] – zunächst in der Berufswahl nicht entscheiden. Er schreibt dazu als Achtzigjähriger: „Auf die Naturwissenschaften lenkte mich der Schulunterricht, das Lesen populärwissenschaftlicher, insbesondere botanischer Bücher und das Botanisieren in den Bergen meiner Riesengebirgsheimat hin. Deshalb wollte ich auf der Universität entsprechende Vorlesungen hören und wählte das Studium der Medizin. In meinem Wunsch bestärkte mich das Beispiel eines Bruders meiner Mutter, der an der Universität Breslau als Chirurg, speziell Mundchirurg, wirkte und für die Entwicklung der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde in Deutschland eintrat“ [3].

Tichys berufliche Aktivitäten bis zum Ende des 2. Weltkrieges lassen sich aus Sicht der heutigen Biografen fast als Vorbereitung für sein eigentliches Lebenswerk ansehen und sind daher schnell aufgezählt: Studium in Breslau, dann Marburg; dort Staatsexamen und Promotion (1913/14), Assistent im Pathologisch-Anatomischen Institut Leipzig bei Felix Marchand, Militärdienst bis 1919. Danach Ausbildung zum Facharzt für Chirurgie und Orthopädie an der Universität Marburg unter Fritz König bis 1921, anschließend Niederlassung in seinem Heimatort Schreiberhau. Dort Gründung der heilklimatischen Forschungsstätte (1923), Einrichtung einer sportärztlichen Beratungsstelle (1924) und Eröffnung einer chirurgischen Privatklinik (1925), die – ab 1930 „Sonnen- und Freilluftklinik“ genannt – sich vorwiegend der Behandlung der Knochen- und Gelenktuberkulose widmete. Tichy war 1919, nach der Entlassung aus dem Militärdienst, eine erste Ehe eingegangen, aus der drei Söhne hervorgingen. Sie wurde 1936 geschieden. Darauf wechselte er in das benachbarte Bad Warmbrunn und leitete dort das Kurheim der LVA Schlesien sowie die Rheumaforschungsstelle der Reichsanstalt für das deutsche Bäderwesen an der Universität Breslau unter dem damaligen zweiten Präsidenten der DGRh (1933–1938), Heinrich Vogt.

Tichys vielfältige fachliche und heimatkundliche Interessen lassen sich aus seinen Veröffentlichungen, beginnend im Jahre 1917 („Typische Fliegerverletzungen“) und „Zur Geschichte der Glasindustrie im Riesen- und Isergebirge“ [12, 13] ablesen. Dazu kommen 20 medizin-metereologische Publikationen über das Klima seiner schlesischen Heimat und acht sportmedizinische Veröffentlichungen in den Jahren bis 1939 [3]. Von den Kollegen in der Region wird er anerkannt. Man wählt ihn 1927 zum Stellvertreter, 1930 zum Vorsitzenden der Vereinigung schlesischer Badeärzte. Mit Beginn des 2. Weltkrieges muss er wieder die Uniform anziehen. Allerdings hat er als Leiter eines Reservelazarettes in seiner unmittelbaren Umgebung keine allzu großen Unbequemlichkeiten auszustehen – und meldet sich prompt in der Fachliteratur zurück mit Publikationen wie „Aufgaben eines Reservelazarettes im Heilplan für rheumakranke Soldaten“ [14]. 1943 verheiratet er sich mit der 1909 geborenen Emma Frost. Die gemeinsame Tochter Ilse wurde 1945 schon in Bad Elster geboren. Am Ende des Krieges gerät er kurz in amerikanische Gefangenschaft. Man stellt bei ihm eine Lungentuberkulose fest, er wird ab Juni 1945 im Reservelazarett Bad Elster behandelt.

Lange hält es ihn nicht auf dem Krankenlager, er findet Arbeit am nach wie vor funktionierenden Staatlichen Bäderinstitut in Bad Elster und publiziert bald wieder [16]. Im April 1946 wird die kleine Familie Tichy mit mehreren hundert Umsiedlern aus Bad Elster ausgewiesen, Tichy selbst muss in einem Ambulatorium für Geschlechtskranke in Colditz aushelfen. Aber bald holt man ihn an die Forschungsstelle in Bad Elster zurück, nur um ihm, diesmal auf Weisung einer Entnazifizierungskommission, im August 1947 erneut zu kündigen; eine kurze Mitgliedschaft in der NSDAP, die er nach seiner Umsiedlung nach Bad Warmbrunn ruhen ließ, war ihm zum Verhängnis geworden. Nun folgen einige Monate, in denen er sich mit medizinischen Gelegenheitsarbeiten über Wasser hält: Röntgenarzt bei der Roten Armee, Orthopäde in einem Kreisgesundheitsamt, Bädersachverständiger und Gutachter für das Sächsische Ministerium für Arbeit und soziale Fürsorge.

Das Institut (Abb. 2)

Am 4. Juni 1948 beginnt nach einem Anlauf von sechs Jahrzehnten Tichys eigentliches Lebenswerk, das ihn für die Rheumatologie im östlichen deutschen Staatsgebilde zur zentralen Figur werden ließ. Auf Einladung des Aufsichtsrates und der Gesellschafter der gemeinnützigen GmbH „Gesundheitshaus Klotzsche“ hielt er im Rathaus der damals noch selbständigen, heute eingemeindeten Stadt Klotzsche einen Vortrag über „Rheumaforschung und Rheumabekämpfung in Verbindung mit dem Befehl 272 der SMAD“. Die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands wurde damals noch von den 1946 ins Leben gerufenen sog. Zentralverwaltungen, der medizinische Bereich von der Deutschen Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen (DZVG) regiert. Diese arbeitete mit der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) Maßnahmen aus, die dann als Befehle verkündet wurden [11]. Der berühmte, später noch oft zitierte Befehl 272 vom 11. Dezember 1947 sah unter anderem die Einrichtung von Polikliniken als einen der Kernpunkte des sozialistischen Gesundheitswesens vor. Tichy wies in seinem Referat im Wesentlichen auf das heute immer noch aktuelle Konzept der wohnortnahen Betreuung der Rheumakranken hin und muss wohl auf die Anwesenden einen guten Eindruck gemacht haben. Im Protokoll der Veranstaltung heißt es dazu [3]: „In Abwesenheit von Herrn Tichy schlägt Herr Fischer (Aufsichtsratsvorsitzender, W. K.) vor, Herrn Dr. Tichy die Stelle des Chefarztes zu übergeben. Herr Dr. Haring teilt mit, dass er aus der Literatur des Dr. Tichy einen ausgezeichneten Eindruck gewonnen hat und wir keinen besseren Arzt finden können, der wissenschaftlich und praktisch auf dem Gebiet der Rheumaforschung ausgebildet ist. Herr Fischer verliest den Lebenslauf von Dr. Tichy und teilt mit, dass auch von Seiten der Zentralverwaltung (Dr. Coutelle) und der Landesregierung Sachsen Dr. Tichy als Chefarzt begrüßt wird. Dr. Tichy fordert ein Monatsgehalt von RM 1000,–. Der Landrat Wehner weist darauf hin, dass Dr. Tichy von 1933 bis 1937 in der Partei war und dann selbst ausgeschieden ist. Praktisch erhebt er gegen die Einstellung keine Bedenken. Wegen der Bezahlung meint er, dass wir solche Menschen nicht von finanziellen Sorgen abhängig machen können, da sonst die wissenschaftlichen Arbeiten leiden.“

Abb. 2
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Institut für Rheumatologie Dresden in der Königsbrücker Landstraße

An dieser Stelle muss noch kurz auf die Vorgeschichte des recht bescheidenen „Gesundheitshauses“ hingewiesen werden. Es war erst wenige Monate zuvor gegründet worden und eng mit dem Namen des 1947 bei einem Unfall ums Leben gekommenen Prof. Dr. Martin Vogel (geb. 1887) verbunden. Dieser, ab 1919 am weltbekannten Deutschen Hygienemuseum Dresden als Assistent, 1926 bis 1933 als wissenschaftlicher Direktor tätig, war von den Nationalsozialisten seines Amtes enthoben worden und hatte sich mit einer Naturheilpraxis über Wasser gehalten. In Dresden-Klotzsche richtete er in der Königsbrücker Landstraße 6a eine Sauna ein und wollte diese zu einer rheumatologisch geprägten Einrichtung ausbauen. Die Gründung der GmbH „Gesundheitshaus“ war dann schon im November 1947 ohne ihn erfolgt.

Hans Tichy trat seinen Dienst am 1. Juli 1948 an. Vier Wochen später wurde die Anstalt bereits als „Rheumapoliklinik“ deklariert. Sächsische Zeitungen konnten stolz über die erste derartige Einrichtung in Deutschland berichten (wobei man allerdings die Vorläufer in Berlin der Jahre ab 1921 vergaß) [3, 5]. Tichy war vom ersten Tage an bis zu seinem Ausscheiden 1966 bemüht, die stets schmerzhaft empfundene Raumnot zu beseitigen. Das geschah zunächst auf Kosten von sieben Wohnungen eines angrenzenden Rentnerheimes und machte im weitgehend zerstörten Dresden mit seinen dramatischen und bitteren Wohnungsproblemen natürlich die größten Schwierigkeiten. Im Frühjahr 1949 kann ein benachbartes Haus und Grundstück dazugekauft und dort eine kleine Station mit 20 Krankenbetten eingerichtet werden. Schon in seinem Bewerbungsvortrag hatte der Kandidat keinen Zweifel daran gelassen, dass er weniger eine simple Rheumapoliklinik, sondern eigentlich ein interdisziplinär ausgerichtetes Behandlungs- und Forschungsinstitut im Sinn hatte. Dieser wissenschaftliche Bereich mit Labor und Röntgen, aber auch der Tätigkeit eines Chirurgen/Orthopäden, eines Internisten, HNO- und Zahnarztes, zeitweise auch eines Neurologen – alle in wöchentlich stundenweiser Nebentätigkeit beschäftigt – war von Anfang an (neben dem physiotherapeutischen Schwerpunkt) im Kern realisiert worden. Dass nicht die gesamte Mannschaft ständig verfügbar war und die Arbeit meist unter primitiven Bedingungen erfolgen musste, versteht sich in Anbetracht dieser unruhigen, von allgegenwärtigen Mängeln geprägten Zeiten von selbst.

Trotzdem wurden rasch Erfolge sichtbar. Im Frühjahr 1950 konnte über einen finanziellen Überschuss von 44 000,– DM berichtet werden, im ersten Jahr des Bestehens war die Zahl der ärztlichen Beratungen und Untersuchungen von monatlich anfangs etwa 500 auf knapp 2000 gestiegen und der Einzugbereich der stationär behandelten Patienten umfasste das ganze Land Sachsen und Teile Brandenburgs. Die Wartezeit auf ein Bett beträgt mittlerweile sechs Monate, was der extrem langen Verweildauer von 75 Tagen geschuldet ist. Die Dresdener Erfolge machte Tichy umgehend der wissenschaftlichen Welt publik. 1950 erschien in der Zeitschrift für Rheumaforschung sein weit in die Zukunft weisender Artikel „Rheumabekämpfung auf poliklinischem Wege“. Er skizziert seine Vorstellungen von den „Rheumazentren der Großstadt“, die bis in die Wortwahl hinein unseren heutigen Anschauungen über die funktionalen, räumlichen und personellen Gegebenheiten derartiger Einrichtungen entsprechen [17].

Kein Wunder, dass der Landrat ein begehrliches Auge auf die prosperierende Anstalt warf. Der Aufsichtsratsvorsitzende der GmbH, Ing. Ewald Fischer, der als Stadtverordnetenvorsteher der LDPD angehörte und sicher deshalb höheren Stellen nicht genehm war, konnte aber stolz verkünden, „dass die Poliklinik über den Rahmen des Kreises, ja des Landes herausgewachsen ist und als Angelegenheit der Republik anzusehen ist“. Das schätzt man in Berlin, im Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen der inzwischen gegründeten DDR genauso ein. In einem Schreiben vom 21. Oktober 1950 teilt diese Instanz der Rheumapoliklinik mit, das Ministerium wolle die Einrichtung übernehmen, um sie „als Forschungsinstitut weiter zu entwickeln“. In Dresden hat man diese Entscheidung längst vorweggenommen. Der dortige Eingangsstempel enthält schon zwei Tage später die Bezeichnung „Institut für Rheumaforschung und Rheumabekämpfung“, die im späteren Amtsverkehr noch um die beiden letzten Worte gekürzt wurden.

Forschungsprojekte

Tichy schläft auf den Lorbeeren nicht ein. Die physiotherapeutischen Angebote werden schrittweise erhöht, die damals in Deutschland noch im Aufbau befindliche Ergotherapie (in der DDR als Arbeitstherapie bezeichnet) eingeführt. Frühere medizinmeteorologische wissenschaftliche Aktivitäten nimmt er mit dem aus Bad Warmbrunn bekannten und befreundeten Physiker Walter Warmbt (1916–1989) wieder auf, die zu einer Reihe gemeinsamen Publikationen führen. Er hatte ihn als Leiter der Bioklimatologischen Forschungsstelle Dresden-Wahnsdorf wiedergetroffen. 1952 war beim Forschungsrat der DDR ein Zentraler Arbeitskreis „Erforschung und Bekämpfung des Rheumatismus“ eingerichtet worden, dem neben Tichy eine Reihe prominenter Lehrstuhlinhaber der DDR, wie etwa Max Bürger (Leipzig) angehörten. Später wurden noch weitere Vertreter der Hochschulmedizin berufen, unter ihnen Kurt Seidel (Leipzig/Jena), Werner Otto (Medizinische Poliklinik, Leipzig), Gerhard Heidelmann (Meiningen), Franz Bolck (Pathologie, Jena) und Werner Köhler (Mikrobiologie, Jena). Selbst in diesem Kreis bedurfte es offenbar keiner langen Diskussion, um Tichy den Vorsitz anzubieten, den dieser allerdings 1959 an Kurt Seidel abgab.

Als 1951 F. Scheiffarth und F. Legler, fußend auf den Arbeiten von E. W. Todd (1932, 1938) und K. Kalbak (1942) in der Bundesrepublik die Antistreptolysin-Reaktion einführten [6], ließ es Tichy keine Ruhe, bis er den Serologen Dr. Heinz Seifert, als Abteilungsleiter bei den Sächsischen Serumwerken tätig, gewonnen hatte, um mit ihm dieses zukunftsträchtige Gebiet der Rheumatologie zu bearbeiten. Zusammen mit den Nachweisreaktionen der Rheumafaktoren, der Waaler-Rose-Reaktion (in der Modifikation nach Svartz-Schloßmann), der L-Agglutination und dem Latextest wurde der aus diesen Untersuchungen bestehende, sog. Rheumastatus bei allen Kranken des Rheuma-Institutes untersucht und in Langzeitbeobachtungen verfolgt. 1954 konnten die Ergebnisse von 228 Probanden veröffentlicht werden, die bis 1958 auf über 4000, bis 1969 gar auf 11 000 (mit dem Vielfachen an Einzeltests) angestiegen waren [20, 21, 25, 27]. Sie dienten als Grundlage für ein Ordnungsprinzip, welches Licht in den damaligen diagnostischen Dschungel der rheumatischen Erkrankungen bringen sollte. Tichy unterschied nach dem Ausfall der Reaktionen den sog. Antistreptolysintyp – hierzu zählte er das Rheumatische Fieber und andere „streptokokkenbedingte Mon- und Oligoarthritiden“ – von dem Agglutinationstyp (rheumatoide Arthritis) und einen sog. Mischtyp, bei dem gleichzeitig Antistreptolysin- und Agglutinationstiter erhöht waren. Diese Aktivitäten fanden international starke Beachtung und imponieren auch heute noch allein aufgrund des reinen Zahlenmaterials. In der damaligen Situation trugen sie zwar einerseits zu Klärungen von Begriffen und zur Trennung unterschiedlicher Entitäten bei, andererseits schuf das Schlagwort des „Rheumastatus“ vornehmlich bei Nichtrheumatologen beträchtliche Verwirrung. Noch in den späten 80er Jahren stöhnten die Rheumadispensaires über die Flut von sonst weitgehend unauffälligen Probanden, die bei routinemäßig angewandten Labortests mit einem zufällig erhöhten Antistreptolysintiter in die Sprechstunden geschwemmt wurden. Schlimmer noch: Bei Kranken mit dem typischen Bild der rheumatoiden Arthritis wurde wegen negativer Serologie die Diagnose oft verschleppt.

Voraussetzung für diesen wissenschaftlichen Schwerpunkt war eine intensive Bearbeitung der internationalen Fachliteratur. Schon in Schlesien hatte Tichy eine umfassende rheumatologische Bibliothek aufgebaut, die ihm – wie sein gesamter privater Besitz – durch den Krieg verloren ging. Im Institut schuf er bald eine Informationsstelle, die mit einigen Fachkräften nicht weniger als 70 Zeitschriften in zwölf Sprachen (von denen Tichy selbst sieben beherrschte) regelmäßig auswertete, ordnete und sie den Interessenten zur Verfügung stellte. Dieser Dokumentationsdienst, 1956 gegründet, ging später an die Leitstelle für medizinische Information und Dokumentation bei der Deutschen Akademie für ärztliche Fortbildung in Berlin. Von den jährlich 1000 Referaten stammte noch im Jahr vor seinem Tode rund die Hälfte von Tichy selbst [4].

Obwohl Tichy Ehrungen kaum erstrebte, konnten sie nicht ausbleiben. 1954 war in Dresden, gleichzeitig mit Erfurt und Magdeburg, eine Medizinische Akademie gegründet worden, die den Namen seines verehrten Carl Gustav Carus erhielt. Tichy übernahm dort die Vorlesungen über physikalische Therapie, 1956 ernannte man ihn zum Professor. Schon 1952 war ihm der Titel „Verdienter Arzt des Volkes“ verliehen worden, weitere staatliche Auszeichnungen, Ehrungen und Ehrenmitgliedschaften in verschiedenen europäischen Fachgesellschaften folgten. Am meisten hätte es ihn vielleicht gefreut, wenn er es erlebt hätte, dass die Gesellschaft für Rheumatologie der DDR 1979 einen Hans-Tichy-Preis für hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Rheumatologie stiftete [28]. 1993 benannte man in Dresden eine Straße nach ihm.

Schriftliches

Neben dem Aufbau des Institutes ist die Schaffung eines Publikationsorgans (Beiträge zur Rheumatologie) als größte fachliche Leistung Tichys anzusehen. Welche Mühen und Anstrengungen damit verbunden waren, kann nur der ermessen, der die frustrierend langsam mahlenden Mühlen der sozialistischen Planwirtschaft kennen gelernt hat. Da es den Wissenschaftlern der DDR zunehmend erschwert und dann sogar verboten worden war, in westlichen Zeitschriften zu publizieren, war es für sie die einzige Möglichkeit, ihre Arbeiten einem breiteren internationalen Fachpublikum zur Kenntnis zu bringen. Das gleiche galt für viele Rheumatologen des sozialistischen Auslandes, die gern die Chance ergriffen, in einer für sie vertrauten Sprache, die zudem noch in vielen Teilen der Welt verstanden wurde, zu veröffentlichen. Damit förderten sie zugleich auch die Zusammenarbeit mit den Kollegen aus der DDR. Den größten Nutzen zogen aber die dortigen praktisch tätigen Rheumatologen, denen die Publikationsorgane und sonstigen Fortbildungsmöglichkeiten, wie Kongressbesuche im westlichen Ausland, verwehrt waren. Mit den Beiträgen – das gleiche traf auf den Literaturdienst zu – wurden sie aber über die wichtigsten internationalen Entwicklungen auf ihrem Fachgebiet informiert. Dem Band I aus dem Jahre 1958 (mit Arbeiten über das Rheumatische Fieber von dem Internisten A. Schmeiser/Dresden, H. Tichy und H. Seifert zur Serologie des Krankheitsbildes sowie H. Raška/Prag über experimentelle Untersuchungen zur Streptokokkengenese) folgten bis 1966 in unregelmäßigen Zeitabständen neun weitere unter der alleinigen Herausgeberschaft von Tichy. In Band XI bis XIV teilte er sich diese Aufgabe mit K. Seidel, in Band XV von 1970 findet sich ein Nachruf auf den Initiator dieser Reihe.

Wertet man nur die ersten zehn Bände, so fällt eine recht inhomogene Qualität der Arbeiten auf. Die Mehrzahl stammt aus der engeren Dresdener Schule, also von Tichy selbst, seinen Mitarbeitern und Doktoranden. Viele davon besitzen monografischen und Übersichtscharakter bzw. sind, wie die umfassende Darstellung der Labordiagnostik rheumatischer Erkrankungen (mit fast 2000 Literaturzitaten in Band IV 1961 von H. Seifert) oder auch die über orthopädische und chirurgische Therapie in der Rheumatologie von dem Mitarbeiter des Institutes W. Kühne in der Art eines Lehrbuchkapitels abgefasst. Andererseits finden sich interessante experimentelle und methodische Mitteilungen, wie etwa die einer Forschungsgruppe aus Nowosibirsk (Heft II, 1960) unter Leitung von A. Salewski. Hier wird die Entdeckung eines Virus als spezifischer Erreger des Rheumatischen Fiebers postuliert, was sich später nicht bewahrheitete. Es war eben die Zeit der „großen sowjetischen Entdeckungen“, z.B. auf dem Gebiet der Genetik durch T. D. Lyssenko, die später wie Seifenblasen platzten.

Eine besondere Hervorhebung verdient der letzte Band (und Beitrag) aus der Feder von H. Tichy, der gewissermaßen als sein Vermächtnis aufgefasst werden kann [23]. In dieser Monographie finden sich wie nirgends sonst im rheumatologischem Schrifttum die internationalen Vorarbeiten und der damalige Stand der Rheumabekämpfung in 22 Ländern Europas, von der Sowjetunion im Osten bis Portugal im Westen, von den skandinavischen Ländern bis Italien dargestellt. Näher schildert er Baupläne von fünf vorbildlichen klinischen rheumatologischen Einrichtungen in Moskau, Warschau, Heinola (Finnland), Leukerbad (Schweiz) und Bad Nauheim. Im Text finden wir immer wieder sein Credo, das er im Jahre 1950 („Rheumazentren der Großstadt“) mit lebenslanger Begleitung der Kranken und ihrer umfassenden multidisziplinären Betreuung unter Einschluss sozialmedizinischer und psychologischer Maßnahmen formuliert hatte. Die letzten fünfzehn Seiten widmet er seinem großen Traum, den Neubauplänen seines Dresdener Institutes, die damals greifbare zukünftige Realität zu werden schienen, letztlich aber dem Schicksal der meisten Illusionen anheim fielen. Heute ist es anrührend zu lesen, wie viel Sorgfalt man auf die Planung verwendet und mit wie viel Liebe zum Detail – von den Werkstätten bis zu den Liegewiesen, von den Spielflächen bis zu den acht Laborkomplexen und dem fünfgeschossigen Bettenhaus – man versucht hatte, allen Bedürfnissen der zukünftigen Patienten gerecht zu werden (Abb. 3).

Abb. 3
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Neubauplan des Institutes von 1968

Für das zweite große Werk, welches an seinem Schreibtisch entstand, hatte er sich als tüchtige Mitstreiter den damaligen Dozenten Kurt Seidel, Oberarzt bei Max Bürger in Leipzig und Gerhard Heidelmann, einen ehemaligen Ratschow-Mitarbeiter in Halle und Chefarzt in Meiningen ausgesucht. Beide sollten in der Rheumatologie der DDR noch wichtige Rollen spielen, der erstere als Leiter der Arbeits- und Forschungsgemeinschaft Rheumatologie Jena, der zweite als Tichys unmittelbarer Nachfolger am Institut in Dresden und beide als Vorsitzende der bald zu gründenden Gesellschaft für Rheumatologie der DDR. Mit ihrem gemeinsamen Werk, dem Lehrbuch der Rheumatologie von 1959 [26] gelang ihnen ein großer Wurf, durch den die Rheumatologie in der damaligen DDR eine feste Grundlage erhielt. Es wurde aber darüber hinaus auch in den Ländern des Ostblocks und im übrigen deutschsprachigen Raum wirksam. So erinnert sich Hans-Jürgen Albrecht (Oberammergau), wie der „Tichy-Seidel-Heidelmann“ während seiner Ausbildungszeit in München seine erste rheumatologische Gebrauchslektüre wurde. Hier fand sich viel Neues, nicht zuletzt die beigefügten Mess-, Funktions- und Befundkarten. Wurde damit doch demonstriert: Die Rheumatologie ist – bei allem Primat des klinischen Status – eine exakte Wissenschaft; Maß und Zahl spielen bei ihr die gleiche Rolle wie in anderen Fachgebieten der Medizin. Leider fasst erst jetzt wieder dieser Gedanke, nun vom Ausland her, in Deutschland Fuß.

Die dritte bemerkenswerte Publikation Tichys erschien erst 1967 in der von Rudolf Schoen herausgegebenen Reihe als Band 40: „Infektion und Herdinfektion in der Rheumatologie“ [24]. Hier hatte es Tichy in meisterlicher Form verstanden, die Diskussion um dieses damals heiße Thema, das er selbst über mehr als 30 Jahre mitgestaltet hatte, zusammenzufassen. Heute nur noch von historischem Interesse, war es zu jener Zeit von großer praktischer Bedeutung, setzte es doch eindeutig einen Schlusspunkt unter Anschauungen, denen Generationen geplagter Patienten ihre Zähne, Tonsillen und manchmal auch Gallenblasen opfern mussten. Tichy kurz und knapp: „Das Rheumatische Fieber ist zwar eine Folgekrankheit nach einem Streptokokkeninfekt, aber keine Herdkrankheit“. – Die vielfältigen und bedeutsamen Vorträge und Publikationen Tichys über Begutachtungsfragen [15, 19] und über populär-wissenschaftliche Themen [18, 22] verdienten eine spezielle Würdigung, können aber im Rahmen dieses kurzen biografischen Abrisses nur erwähnt werden.

Persönliches

Der Autor (W. K.) lernte Hans Tichy im Jahre 1962 kennen. Als unbekannter Assistent in Magdeburg, aber schon an der Rheumatologie interessiert, hatte ich eine private Einladung nach Warschau erhalten und erfuhr zufällig, dass zur gleichen Zeit eine winzige offizielle Delegation der DDR, bestehend aus Tichy und zwei „Ministerialen“ aus Berlin das damals noch nicht eröffnete Institut besichtigen wollte. Ich bat darum, mich anschließen zu dürfen und erhielt von Tichy sofort die freundliche Zustimmung. Es hat bei mir einen dauernden Eindruck hinterlassen, wie ich von ihm ganz selbstverständlich als vollwertiges Mitglied unserer kleinen Gruppe aufgenommen wurde. Dankbar registriere ich noch heute, wie ich dadurch nicht nur die liebenswürdige ‚Grande dame‘ der polnischen Rheumatologie, Frau Prof. Dr. Eleonora Reicher als Gastgeberin, sondern auch den gleichfalls anwesenden, jovialen Albert Böni/Zürich kennen lernen durfte und damit erste Kontakte zur internationalen Rheumatologie knüpfen konnte. Tichy selbst, in dieser Runde hoch geachtet, erlebte ich als gütigen, warmherzigen und freundlichen älteren Kollegen.

So wird er auch zu seinen runden Geburtstagen [1, 8], in den Nachrufen [7] und späteren Würdigungen [9, 10] von seinen Kollegen in West und Ost geschildert. E. W. Baader, der 5. Präsident der DGRh (1951–1954) schreibt in dem von Kurt Seidel zum 70. Geburtstag Tichys gestalteten Sonderheft von Das Deutsche Gesundheitswesen 1958 über den „Pionier der Rheumatologie“: „Am Fuße der Schneekoppe in Warmbrunn lernte ich den Jubilar kennen, als er mir seine hervorragende Rheuma-Fachbücherei und die mustergültig von ihm erbaute Sauna zeigte, die damals eine der ersten in Deutschland war. So war es nur selbstverständlich, dass sich die nach dem Krieg wieder gegründete Gesellschaft für Rheumatologie Tichy als besonders geschätzten Experten in ihren wissenschaftlichen Beirat berief und er auf dem III. Europäischen Kongress für Rheumatologie in Scheveningen als einziger Vertreter Deutschlands vom Präsidenten des Kongresses zu Beratungen hinzugezogen wurde.“ Albert Böni schreibt ihm 1965, als er von seinem bevorstehenden Ausscheiden aus dem Institut hört: „...aber ich werde in Zukunft meinen lieben Papa Tichy vermissen – besonders auch deshalb, weil Sie doch in einer Hand die Rheumatologie zusammengefasst haben und ihrem Land so viel Gutes taten“.

Ein ausführlicher Nachruf erscheint zu seinem Tode aus der Feder von Rudolf Schoen in der Zeitschrift für Rheumaforschung [7], „die der Tod Tichys empfindlich getroffen hat“. Weiter heißt es über das Ehrenmitglied beider deutscher Gesellschaften: „Tichy verfügte als hoch gebildeter Humanist über ein ungewöhnliches Allgemeinwissen und hatte weit gespannte schöngeistige Interessen ...Er war eine liebenswerte, warmherzige, harmonische Persönlichkeit, seinen Patienten ein gütiger Arzt, seinen Schülern ein geliebter Lehrer.“ Von G. Heidelmann, der die letzten Lebensjahre Tichys in seiner Nähe verbrachte, lesen wir [4]: „Obgleich seit langem körperlich behindert, blieb er stets ideenreich, schöpferisch, hilfsbereit und im persönlichen Leben außergewöhnlich bescheiden.“ Zum Schluss zitierte er einen Ausspruch Tichys bei einem Interview 1968: „Die Eroberung des Weltraumes kann nicht das Ziel der Menschheit sein. Das liegt auf geistlichem und sittlichem Gebiet mitten zwischen unseren Mitmenschen.“ Hans Tichy verstarb am 15. Januar 1970. Die Urne mit seiner Asche wurde dem Familiengrab in seinem Heimatort Schreiberhau zugeführt. Auf seinem Schreibtisch fand man das begonnene Manuskript einer Übersetzung der lateinisch geschriebenen Doktorarbeit von Carl Gustav Carus „De Uteri Rheumatismo“ (Abb. 4) – ob es wohl einen Vollender findet?

Abb. 4
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Unvollendetes Manuskript H. Tichys

Die Publikation beruht zu wesentlichen Teilen auf der von Prof. Dr. H.-E. Schröder/Dresden betreuten Dissertation von Frau Ulrike Fischer [3]. Für Hinweise, Auskünfte und Überlassung von Material danken wir herzlich Frau I. Boddin sowie Frau B. und Herrn G. Freisleben.