Das Knochengewebe besitzt eine einzigartige Fähigkeit zur Regeneration und ist in der Lage, mechanische und metabolische Stimuli in biologische Antwort umzuwandeln. Die fortwährenden Regenerationsprozesse ermöglichen einerseits eine ständige Erneuerung und Anpassung des Knochengewebes an die aktuelle Belastungssituation und andererseits eine unter optimalen Voraussetzungen mögliche narbenfreie Heilung und Remodelling nach einer Verletzung. Die posttraumatischen Regenerationsprozesse weisen in vielerlei Hinsicht Parallelen zu zellulären und molekularen Regulationsprogrammen der embryonalen Knochenbildung auf [3]. Dabei wird einer Vielzahl von Stimuli die Fähigkeit zugeschrieben, undifferenzierte mesenchymale Stammzellen (MSC) des Knochengewebes zu aktivieren [57]. Dieses Phänomen, auch bekannt als „Osteoinduktion“, ist definiert als der Prozess, der die Proliferation der MSC und deren Differenzierung zu Osteoprogenitorzellen mit nachfolgender De-novo-Knochenbildung (auch an heterotopen Stellen) zu induzieren vermag [3, 53].

Der Begriff der Osteoinduktion wurde von Marshall R. Urist [53] in den 1970er Jahren nach der Entdeckung der osteoinduktiven Eigenschaften der demineralisierten Knochenmatrix und des „bone morphogenetic proteins“ (BMP) definiert [54, 55].

Das Knochenremodelling unterliegt jedoch nicht nur einer lokalen auto- und parakrinen Regulation, sondern auch der endokrinen und der neuroendokrinen Steuerung.

Die Sexualhormone, das Parathormon, die Schilddrüsenhormone und das Cortisol gehören zu den am besten erforschten Regulatoren des Knochenstoffwechsels.

Das von den Fettzellen gebildete Hormon Leptin steuert die Knochenbildung und Knochenmasse indirekt über die hypothalamische Achse [10]. Die Entdeckung dieses Zusammenhangs in der jüngsten Vergangenheit hat neue Aspekte in der Osteoporoseforschung eröffnet. Die Kenntnisse der Aktivierung, der Differenzierung und der Funktion der knochenbildenden Zellen ist von enormer Bedeutung für das Verständnis der gesunden Entwicklung des Skeletts, der Knochenbruchheilung und der Möglichkeiten der Behandlung von Knochenerkrankungen wie der Osteoporose. In den letzten Jahrzehnten hat die Erforschung dieser Vorgänge in den Osteoblasten und ihren Vorläuferzellen zu einer enormen Entwicklung auf den Gebieten der Biomaterialforschung und der regenerativen Medizin geführt.

Dieser Artikel beschreibt die wichtigsten Erkenntnisse über die Regulation der Differenzierungsvorgänge in den Osteoblasten unter besonderer Berücksichtigung des kanonischen WNT-Signalweges in der Frakturheilung.

Osteoblasten – Herkunft und Differenzierung

Osteoblasten differenzieren sich aus mesenchymalen Stammzellen. In der Zellkultur lassen sich die Osteoblasten mithilfe üblicher lichtmikroskopischer Verfahren nicht von den Fibroblasten unterscheiden, da sie auch eine spindel- oder sternförmige Morphologie annehmen und Kolonien vom Fibroblastentyp bilden (morphologische Charakteristika Abb. 1, [36]). Ein charakteristisches Zeichen der Osteoblasten ist ihre Fähigkeit, die Mineralisation der sezernierten Extrazellularmatrix zu induzieren [12]. Dieser Vorgang kann in vitro mithilfe geeigneter Färbemethoden (z. B. Alizarin-Rot- und von Kossa-Färbungen) visualisiert werden und stellt ein wesentliches Unterscheidungskriterium zu Fibroblasten dar (Abb. 1 f).

Abgesehen von wenigen Ausnahmen finden sich auf der Genexpressionsebene bis heute nur zwei Faktoren, die selektiv in den Zellen exprimiert werden, die zur Mineralisation der Extrazellularmatrix befähigt sind (Osteoblasten und Odontoblasten) – der Transkriptionsfaktor RUNX2 (ehemals als „core binding factor α1“, CBFA1 bezeichnet [13]) und das Osteokalzin (BGLAP, Bone-GLA-Protein, Abb. 1 dgj). Osteokalzin ist ein extrazelluläres Protein, das die Funktion der Osteoblasten inhibiert [11]. Alle anderen Marker der Osteoblasten wie z. B. die alkalische Phosphatase (ALP), Osteopontin und Osteonektin (Abb. 1) sind nicht spezifisch, da sie auch in anderen Geweben und Zellen exprimiert werden.

Abb. 1
figure 1

Morphologische Charakteristika der kultivierten Osteoblasten. Alle Teilabbildungen von Abb. 1 außer I zeigen Primärkulturen der humanen Osteoblasten a Monolayerkultur, die Zellen weisen alle Charakteristika des Fibroblastentyps auf. Zellkernfärbung mit Hämalaun b Nach längerer Kultivierung wachsen die Osteoblastenkulturen im Gegensatz zu vielen anderen Zelltypen mehrschichtig übereinander. Zellkernfärbung mit Hämalaun. c Nach mehreren Passagen finden sich in der Kultur vermehrt terminal differenzierte (seneszente) Zellen mit flachem, ausgebreitetem Zellkörper und sternförmigen Zellausläufern (Pfeile). d Immunhistochemischer Nachweis von Osteokalzin (Braunfärbung). Subkonfluente Kulturen niedriger Passagen sind häufig nur schwach positiv für diesen späten Marker. e Histochemischer Nachweis der alkalischen Phosphatase (blau, früher Marker der osteoblastären Differenzierung). Die Aktivität dieses Enzyms ist sehr stark ausgeprägt im Bereich der „bone nodules“. f Histochemischer Nachweis der Mineralisation in der Extrazellularmatrix mittels Alizarin-Rot. Nach langer Kultivierung (3–5 Wochen) zeigt sich eine besonders intensive Färbung im Bereich der „bone nodules“. g Immunhistochemischer Nachweis der RUNX2-Expression. h Immunhistochemischer Nachweis des Proliferationsmarkers Ki-67 (Zellkerne). Die Primärkulturen weisen eine hohe Proliferationsaktivität auf. i MG-63-Osteoblasten (humane Osteosarkomzelllinie). Immunhistochemischer Nachweis der Cyclooxygenase-2-Expression. COX2 ist ein wichtiges Enzym für die Homeostase der Osteoblasten und spielt für die Frakturheilung eine bedeutende Rolle. j Immunhistochemischer Nachweis der Osteokalzinexpression. k Immunhistochemischer Nachweis der Osteonektinexpression. l: Immunhistochemischer Nachweis der Osteopontinexpression. m „Tissue engineering“ des Knochengewebes. Kultivierung der Osteoblasten auf humaner demineralisierter Knochenmatrix. Nachweis der ALP-positiven Zellen (makroskopische Aufnahme, blau). Die Zellen haben den Träger vollständig besiedelt. n Mikroskopische Aufnahme eines ALP-positiven Osteoblasten (Pfeil) in einer Pore der demineralisierten Knochenmatrix. o Scannerelektronenmikroskopische (SEM) Aufnahme der Osteoblasten innerhalb der demineralisierten Knochenmatrix

Unter dem Begriff der „Osteoblastenfunktion“ wird in vivo die Bildung neuen Knochengewebes verstanden. Der Begriff der Knochenneubildung umfasst die Differenzierung und Proliferation der Osteoblasten sowie die Bildung neuen Osteoids während der embryonalen Entwicklung und auch im Rahmen der Frakturheilung. Beides sind Vorgänge, die letztlich das Knochenwachstum, die Mineralisation und das Remodelling ermöglichen und unter In-vitro-Bedingungen in Ihrer Gänze nicht vollständig zu erfassen sind [12].

Die Osteoblastenfunktion ist unzertrennbar mit ihrem Gegenspieler, dem Osteoklasten, verknüpft.

Während der Skelettentwicklung und auch während des gesamten Lebens steuern die Osteoblasten das Gleichgewicht zwischen Knochenan- und -abbau durch Sekretion bestimmter Proteine, welche die Differenzierung und die Funktion der Osteoklasten regulieren (z. B. RANKL, „receptor activator of NF-κB ligand“ und OPG, Osteoprotegerin).

Mesenchymale Stammzellen können aus unterschiedlichsten Geweben wie z. B. Knochenmark, Periost, umgebende Weichteilgewebe, Fettgewebe, Blutgefäße, Blut etc. isoliert und kultiviert werden und sind in der Lage, sich osteoblastär zu differenzieren. Detaillierte Informationen über den Verlauf der osteoblastären Proliferation und Differenzierung wurden in einem In-vitro-Modell gewonnen [42]. In diesem Modell wurde eine Mischzellpopulation aus den Schädelkalotten von Ratten 21 Tage lang kultiviert. Ab dem 9. Tag waren Areale zu sehen, die sich bis zum 21. Tag zu mineralisierten knochenähnlichen Inseln („bone nodules“, BN) entwickelten (Abb. 1 ef). Im Querschnitt zeigten diese BN viele Charakteristika des Knochengewebes: fibroblastenähnliche Zellen in der Außenschicht, darunter kuboide osteoblastenähnliche und weiter innen osteozytenähnliche Zellen, die komplett in kollagenöse extrazelluläre Matrix eingebettet waren und in ihrer Umgebung Hydroxylapatitablagerungen aufwiesen. Dieser Vorgang der BN-Bildung wird durch ein dreidimensionales (3D-)Zellwachstum begünstigt [4]. Die terminale Differenzierung der Osteoblasten findet dabei erst bei abnehmender Proliferationsrate statt. Nach heterotoper In-vivo-Implantation der kultivierten Osteoblasten sind diese Zellen in der Lage, an der Implantationsstelle vaskularisiertes Knochengewebe zu bilden [52]. Dieser Vorgang der direkten Knochenbildung weist viele Parallelen zur desmalen Ossifikation auf. Die Fähigkeit der Osteoblasten zur direkten Knochenbildung hat ihre Verwendung zur Herstellung artifizieller Knochenkonstrukte im Rahmen des „tissue engineerings“ überhaupt erst ermöglicht (Abb. 1 mno).

RUNX2 – Mastergen der Knochenbildung

Die Erforschung der desmalen Ossifikation hat zur Entdeckung des bereits erwähnten Transkriptionsfaktors RUNX2, des „Masterregulators“ der osteoblastären Differenzierung, geführt [13]. RUNX2 bindet an OSE-2, eines der beiden osteoblastenspezifischen cis-Elemente innerhalb des Promotors des Osteokalzingens und steuert damit seine Transkription. Die Expression von RUNX2 findet sich während der Embryonalentwicklung selektiv in den mesenchymalen Stammzellen wieder, die sich zu Osteoblasten, Odontoblasten [7] und Chondrozyten [28] differenzieren (Abb. 2). Dabei nimmt die Expressionsintensität in den Chondrozyten während der terminalen Differenzierung und Hypertrophie ab (Abb. 2, [28]).

RUNX2: spezifischer Marker der osteoblastischen Differenzierung

Auch während der Transdifferenzierung der Myoblasten und Fibroblasten zu Osteoblasten wird RUNX2 selektiv exprimiert [13] und stellt somit einen spezifischen Marker der osteoblastischen Differenzierung dar. Eine Überexpression des Gens in unterschiedlichsten Zellen kann die Expression osteoblastentypischer Gene, wie ALP und Osteokalzin, induzieren.

Abb. 2
figure 2

Schematische Darstellung der transkriptionellen Kontrolle der Osteoblasten- und Chondrozytendifferenzierung (spitze Pfeile Induktion, stumpfe Pfeile Inhibition, blau Kontrolle auf der Transkriptionsebene, rot posttranslationale Kontrolle)

Die homozygote Deletion des RUNX2-Gens im Mausmodell führt zum kompletten Fehlen der Osteoblasten bei normal angelegtem knorpeligen Skelett [31, 41]. Diese Mäuse besitzen auch keine Osteoklasten, da deren Bildung durch die Osteoblasten gesteuert wird. Die heterozygote Deletion des RUNX2-Gens beeinträchtigt vor allem die desmale Ossifikation und somit die Entwicklung der Schlüsselbeine und einiger Knochen des Schädelskeletts, was dem klinischen Bild der kleidokranialen Dysplasie (CCD) entspricht [38].

Einige weitere Transkriptionsfaktoren, die dem RUNX2 vor- oder nachgeschaltet sind oder unabhängig davon reguliert werden, wurden ebenfalls beschrieben. Dazu gehören einige Homeoboxproteine (Transkriptionsfaktoren, die mit einer ca. 180 bp langen Homeodomäne an die DNA binden können) wie DLX5, MSX2, NKX3–2 (ehemals BAPX1), und HOXA2 (Abb. 2, [12]). Zu den bedeutendsten Inhibitoren des RUNX2 gehören der nukleäre Faktor TWIST1 und STAT1 (Abb. 2). Die Haploinsuffizienz des Gens TWIST1 führt zu einer Enthemmung der RUNX2-Expression und verursacht eine gesteigerte Knochenbildung mit dem klinischen Bild der Kraniosynostose, des Saethre-Chotzen-Syndroms [14]. Die Expression von RUNX2 wird darüber hinaus durch einige Wachstumsfaktoren wie TGF-β, BMP und „Indian hedgehog“ (HH) gesteuert.

SP7 – ein RUNX2-abhängiger Transkriptionsfaktor mit essentieller Funktion für die Knochenbildung

Ein weiterer für die Differenzierung der Osteoblasten essenzieller Transkriptionsfaktor ist SP7 [ehemals Osterix (OSX) genannt, Abb. 2, [39]]. RUNX2 reguliert die Genexpression von SP7 durch die Bindung an seinen Promoter [40]. Genetische Mausmodelle konnten nachweisen, dass eine Deletion von RUNX2 zum kompletten Fehlen der SP7-Genexpression führt. Im Gegensatz hierzu weisen SP7-defiziente Mäuse eine normale Expression von RUNX2 auf [39]. Das Fehlen von SP7 blockiert vollständig die Entwicklung des mineralisierten Knochengewebes als Funktion der Osteoblasten, wobei die Kalzifizierung des hypertrophierten Knorpels davon unberührt bleibt [39]. SP7 interagiert mit dem nukleären Faktor der aktivierten T-Zellen 1 (NFATC1) und bildet einen Komplex, der den Promotor des α1(I)-Kollagengens kontrolliert und somit für die Funktion der Osteoblasten essentiell ist [30].

Die kanonische WNT-Transduktionskaskade

WNT-Proteine sind sezernierte Glykoproteine, die für die normale Entwicklung und Homöostase von unterschiedlichen Geweben, u. a. auch des Knochengewebes, von besonderer Bedeutung sind. „WNT“ (sprich „wint“) setzt sich zusammen aus dem „WG“ für „wingless“ und „INT1“. Die Bezeichnung „wingless“ stammt aus den Studien an der Fruchtfliege Drosophila melanogaster, in der Mutationen im Wingless-Gen zu einer flügellosen Variante der Fliegen führen. Die Aktivierung des INT1-Gens (heute WNT1) fördert bei Mäusen die Entwicklung von Brustkrebs.

Die WNT-Transduktionskaskade hat 3 wichtige Funktionen in der Knochenbildung, nämlich die Festlegung der Osteo- und Chondroprogenitordifferenzierung, die Stimulierung der Osteoblastenproliferation und die Blockierung der Apoptose in den Osteoblasten und Osteoklasten (Abb. 3). Die Entwicklung der Osteoklasten wird dabei indirekt beeinflusst, indem WNT die Expression der Faktoren RANKL und OPG in den Osteoblasten reguliert (Abb. 3, [50]). Der WNT-Signalweg ist in allen zellulären Entwicklungsstufen der Osteoblasten, der „Bone-lining-Zellen“ und der Osteozyten [19] aktiv und wird zusätzlich verstärkt aktiviert während der mechanischen Belastung des Knochens und während der Frakturheilung [5, 44].

Abb. 3
figure 3

Einfluss des kanonischen WNT-Signalweges auf die Differenzierung der Osteoblasten. Die WNT-Signalgebung ist essentiell für die Proliferation und die Differenzierung der osteoblastären Vorstufen und wirkt antiapoptotisch. DKK1, SFRP und WIF1 sind natürliche Antagonisten der WNT-Proteine

WNT-Proteine aktivieren unterschiedliche Signaltransduktionswege durch die Bindung an die Rezeptoren LRP5 (LDL-receptor-related protein 5) oder LRP6 und eines der 10 bekannten Proteine namens Frizzled (FZD) [56].

Der kanonische Signaltransduktionsweg ist einer der 3 Wege der WNT-vermittelten Aktivierung und ist bis dato am besten untersucht (Abb. 4).

Dieser Weg beinhaltet die LRP5/6-FZD-vermittelte Stabilisierung des zytoplasmatischen Proteins β-Catenin, das infolge in den Nukleus transponiert wird und unterschiedliche Transkriptionsfaktoren, darunter TCF7 (T-cell factor 7) und LEF1 (lymphoid enhancer factor 1) sowie TCF7/LEF2, aktiviert.

Experimentelle Studien konnten klar belegen, dass die Inaktivierung des WNT-Rezeptors LRP5 zu einer signifikanten Reduktion der Knochenmasse führt, während eine Verstärkung der LRP5-Rezeptorfunktion das Gegenteil bewirkt, nämlich eine verstärkte Differenzierung der MSC zu Osteoblasten, eine Reduktion der osteoblastären und osteozytären Apoptoserate und eine signifikante Steigerung der Knochenmasse [1, 27, 35]. In ähnlicher Form wurden auch andere Bestandteile der WNT-Transduktionskaskade [z. B. WNT10b, β-Catenin, TCF1, APC, Axin-2, „secreted frizzled-related protein 1“ (SFRP1), SFRP4 und Dickkopf-homolog 1 (DKK1)] untersucht und haben ein einheitliches Bild der Funktion dieses Signaltransduktionsweges in der Knochenbildung heraus kristallisiert. Zudem haben sich einige neue Hinweise über die synergistische Interaktion des WNT-Weges und der bereits beschriebenen Transkriptionsfaktoren RUNX2 und SP7 ergeben [9, 21, 24, 45]. Der kanonische WNT-Signalweg kann durch Interferenz mit dem Rezeptorkomplex LRP5/FZD inhibiert werden. Die Faktoren DKK1 und Sklerostin kontrollieren auf diese Weise die Differenzierung der Osteoblasten und die Knochenmasse (Abb. 3, [34, 37]). Auf ähnliche Art und Weise verhindert der lösliche Ligand SFRP1 durch extrazelluläres Abfangen des WNT sein Andocken an den Rezeptorkomplex (Abb. 3, Abb. 4) LRP5/FZD.

Abb. 4
figure 4

Schematische Darstellung der kanonischen WNT-Signaltransduktionskaskade: Im Zytoplasma findet der Abbau der phosphorylierten Form des β-Catenin durch den GSK3/Axin/APC-Komplex statt. Die Aktivierung des LRP-Rezeptors durch Andocken von WNT (und Bindung von FZD und DSH) führt zur Inaktivierung dieses Komplexes. Die aktive phosphorylierte Form des β-Catenin kumuliert im Zytoplasma und gelangt in den Zellkern. Hier findet die Aktivierung der Transkriptionsfaktoren TCF und LEF durch spezifische Bindung von β-Catenin statt, die ihrerseits die Transkription der Osteoblastenmarkergene steuern

Der WNT-Signalweg in der Frakturheilung

Viele Forscher widmeten sich bereits der Erkundung der Pathogenese der Pseudarthrosen und konnten einige allgemein anerkannte Ursachen der defizienten Knochenbruchheilung identifizieren [18]. Morphologisch werden Pseudarthrosen in 3 unterschiedliche Typen unterteilt [46]. Hypertrophe Pseudarthrosen sind durch eine vitale periostale und endostale Knochenbildung charakterisiert, ohne dass der Frakturspalt knöchern überbrückt werden kann. Die Tatsache, dass diese Pseudarthrosen nach suffizienter Frakturspaltkompression und Stabilisierung in der Regel ausheilen, spricht für die unzureichende Stabilität als wesentlichen pathogenetischen Faktor dieser Pseudarthrosenform [22]. Oligotrophe oder atrophe Pseudarthrosen sind durch unzureichende Kallusbildung gekennzeichnet und kommen meistens im Zusammenhang mit einer lokalen Gewebszerstörung durch ein Hochrasanztrauma oder einer anderen Ursache (z. B. Rauchen) vor. Frühere Annahmen, atrophe Pseudarthrosen könnten durch eine unzureichende lokale Durchblutungssituation zustande kommen, wurden durch neuere Untersuchungen z. T. widerlegt, denn atrophe und hypertrophe Pseudarthrosen weisen die gleiche Kapillardichte auf [43]. Die Gruppe der Defektpseudarthrosen nimmt eine Sonderstellung ein, da sie durch ungenügenden Kontakt der Frakturenden mit der Unfähigkeit des Kallusgewebes den Defekt zu überbrücken (Defekt kritischer Größe) charakterisiert ist. Die infektinduzierten Pseudarthrosen lassen sich nicht ohne weiteres in dieses morphologische Schema einordnen, da sie morphologisch unterschiedliche Erscheinungsformen aufweisen können.

Außer den bereits bekannten und gut untersuchten Erkrankungen mit einer Prädisposition zur Ausbildung von Pseudarthrosen (Osteogenesis imperfecta, Neurofibromatose, fibröse Dysplasie, lokalisierte kongenitale Pseudarthrosen) gibt es andere Faktoren, die durch die Veränderung des physiologischen Genexpressionsprofils der lokalen Zellen die Entstehung von Pseudarthrosen begünstigen können. Dazu gehören solche Substanzen wie COX2-Inhibitoren [51], Nikotin [49] und Kortikosteroide [47]. Interessanterweise gibt es hartnäckige Pseudarthrosen, die erst nach mehreren operativen Behandlungen und sehr langer Therapiedauer (operative Verbesserung der Stabilität, autologe Transplantation und Applikation von Wachstumsfaktoren) ausheilen [8]. In diesem Zusammenhang entsteht nun die Frage, ob systemische Störungen der Funktion bestimmter Zelltypen für die Beeinträchtigung der Osteogenese bei sonst phänotypisch gesunden Patienten verantwortlich sein könnten.

Hernigou u. Beaujean [20] belegten in diesem Zusammenhang anhand einer Untersuchung an 35 Patienten mit Pseudarthrosen eindrucksvoll, dass in den stromalen und hämatopoetischen Kompartimenten des Knochenmarks die Anzahl der Progenitorzellen, die als Ursprung der knochenbildenden Zellen gelten, im Vergleich zum Normalkollektiv sowohl im Bereich der Pseudarthrose, als auch im Bereich der nicht frakturierten Beckenschaufeln signifikant erniedrigt ist. Seebach et al. [48] wiesen später ebenfalls nach, dass die Anzahl und die Proliferationskapazität der mesenchymalen Stammzellen bei den Patienten mit atrophen Pseudarthrosen signifikant erniedrigt sind. Darüber hinaus wurde in der histologischen Studie von Lawton et al. [32, 33] ein abnormer Phänotyp der Osteoblasten im Bereich von Pseudarthrosen nachgewiesen, der durch eine veränderte Expression des Matrix-GLA-Proteins und des Typ-III-Kollagens charakterisiert war.

Die Rolle der korrekten osteoblastären Differenzierung in der Frakturheilung wurde von Chen et al. [5] in einem Mausmodell detailiert untersucht. Die Autoren konnten den Beweis erbringen, dass die Expression von β-Catenin, des Hauptbestandteils der WNT-Transduktionskaskade, während der ungestörten Frakturheilung signifikant erhöht ist. Die β-Catenin-induzierte Aktivierung des intranukleären TCF-Transkriptionsfaktors sowie die Expression zahlreicher WNT-Liganden waren in den Osteoblasten und Chondrozyten des Frakturkallus nachweisbar. Drei weitere Arbeitsgruppen konnten ebenfalls belegen, dass die Expression zahlreicher Faktoren des WNT-Signalweges während der Frakturheilung signifikant hoch reguliert wird [17, 29, 58] und dass der „WNT-inhibitory factor“ (WIF) als negativer Feedbackmechanismus die Aktivierung der WNT-Kaskade steuert (Abb. 3, [29]).

Kakar et al. [26] zeigten, dass die verstärkte Kallusbildung infolge einer systemischen Behandlung mit PTH1–34 mit einer signifikanten Steigerung der Expression der WNT-Signalwegfaktoren (z. B. β-Catenin, WNT4, WNT5A, WNT5B, WNT10B) vergesellschaftet ist und legten die Vermutung nahe, dass die PTH-induzierte Knochenneubildung aufgrund der Steigerung der WNT- und β-Catenin-Signalgebung zustande kommt. Chen et al. [5] konnten zusätzlich belegen, dass die Behandlung der Mäuse mit stabilisierten Tibiafrakturen mit dem WNT-Inhibitor DKK1 zu einer Inhibierung der WNT-Transduktionskaskade und des gesamten knöchernen Heilungsprozesses führt.

Konkordante Ergebnisse wurden auch bei Mäusen mit Null- oder inaktivierten β-Catenin-Allelen beobachtet. Mäuse, die dagegen eine aktivierte Form des β-Catenin-Allels exprimierten, wiesen eine deutlich verstärkte Kallusbildung auf. Die WNT-Signalgebung induziert während der Frakturheilung auch die Expression von WISP1 (WNT-induced protein 1 [16]). Obwohl WISP1 per se keinen Einfluss auf die Differenzierung der Osteoblasten besitzt, stellt es eine wichtige Verbindung zum BMP2-Signalweg dar. WISP1-überexprimierende Zellen zeigen nach der Behandlung mit BMP2 eine 13- bis 14fach höhere Aktivität der ALP im Vergleich zur Negativkontrolle [16].

Somit scheinen synergistische Effekte der WNT- und BMP2-Signalgebung in der Frakturheilung eine entscheidende Rolle zu spielen.

Basierend auf diesen Ergebnissen lässt sich schlussfolgern, dass die WNT/β-Catenin-Signalgebung für die Differenzierung der Osteoblasten während unterschiedlicher Stadien der Frakturheilung essentiell ist.

Unsere Forschungsgruppe untersuchte die osteoblastäre Differenzierungskapazität der Zellen in Patienten mit therapierefraktären Pseudarthrosen und in einer vergleichbaren Population gesunder Probanden [23]. Die Hypothese, dass osteoblastäre Zellfunktionen sich in beiden Gruppen signifikant unterscheiden, wurde anhand der Untersuchung der Zellproliferation und -vitalität, der Formation der ALP-positiven und der mineralisierten „colony forming units“ (CFU) sowie der globalen Genexpression, des so genannten Transkriptoms, untersucht. In dieser Studie konnten wir nachweisen, dass die Aktivität der ALP (früher Marker der osteoblastären Differenzierung) in beiden Gruppen keine signifikanten Unterschiede ergab. Dagegen waren unter identischen Kulturbedingungen die Zellproliferation und die Bildung der mineralisierten CFU in den Osteoblastenkulturen von Pseudarthrosepatienten signifikant reduziert. Diese Befunde waren mit signifikanten Unterschieden der Expression zahlreicher Gene vergesellschaftet, die in die Signaltransduktionskaskaden der kanonischen WNT-, IGF-, TGF-β- und FGF-Wege involviert sind (Tab. 1). Einige für die osteoblastäre Differenzierung essentielle Faktoren waren in den Osteoblastenkulturen der Pseudarthrosengruppe signifikant herunter reguliert (Tab. 1).

Tab. 1 Auswahl einiger differenziell exprimierter Gene in Osteoblastenkulturen von Pseudarthrosepatienten [23]. Die Zahlen geben das xfache der Expression im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe an

Unsere Ergebnisse wurden kürzlich von Bajada et al. [2] auf der Ebene der osteoblastären Vorläuferzellen ebenfalls im humanen Modell verifiziert. Die Autoren fanden heraus, dass die osteogene Differenzierungsfähigkeit der stromalen Zellen aus dem Bereich der atrophen Pseudarthrosen (nonunion stromal cells, NUSC) im Vergleich zu den stromalen Knochenmarkzellen (BMSC) gesunder Probanden signifikant reduziert ist. Zusätzlich wurden deutlich erhöhte Raten an seneszenten Zellen in der Pseudarthrosengruppe festgestellt. Die Sekretion des WNT-Inhibitors DKK1 war in der Pseudarthrosengruppe ebenfalls signifikant erhöht. Die Behandlung der gesunden BMSC-Kulturen mit konditioniertem Medium aus den NUSC-Kulturen führte zur Inhibierung der osteoblastären Differenzierungsvorgänge, im ähnlichen Ausmaß wie die reine Behandlung mit rekombinantem DKK1. Die Blockierung des WNT-Weges durch erhöhte Sekretion von DKK1 könnte eine wichtige Erklärung der gestörten osteoblastären Differenzierung darstellen. Beide Studien legen somit nahe, dass die weitere Erforschung der Rolle des kanonischen WNT-Signalwegs in der Frakturheilung von immenser klinischer Bedeutung ist und dies neue Perspektiven für die Therapie der gestörten Frakturheilung und für das „tissue engineering“ des Knochengewebes eröffnen könnte.

TGF-β und BMP – ein Link zum WNT-Signalweg?

Der „transforming growth factor-β“ (TGF-β) ist ein potenter Regulator des Zellwachstums. TGF-β wird von den Osteoblasten sezerniert und in das Osteoid eingebettet. Während der Resorptionsphase der Frakturheilung wird die aktivierte Form des TGF-β freigesetzt und reguliert die Proliferation und die Differenzierung der Osteoblasten und ihrer Vorläuferzellen.

„Bone morphogenetic proteins“ (BMP) sind eine Gruppe von Wachstumsfaktoren mit osteo- und chondroinduktiven Eigenschaften, wovon einige zur TGF-β-Superfamilie (z. B. BMP2 bis 7) gehören. Die Regulation der TGF-β und BMP-Signale erfolgt nach der Aktivierung spezifischer TGF-β- und BMP-Rezeptoren (TGFBR, BMPR) intrazellulär über Smad-Proteine, von denen bis heute acht Varianten beschrieben wurden (Smad 1–8). Entsprechend ihrer Struktur und Funktion werden die Smad-Proteine in 3 Subgruppen eingeteilt. Extrazellulär wird die BMP-Signalkaskade über eine ganze Familie sezernierter BMP-Antagonisten (z. B. noggin, chordin, gremlin) reguliert.

Die Behandlung der Osteoblasten mit BMP2 führt nicht nur zu einer Hochregulation der Genexpression unterschiedlicher WNT-Liganden (z. B. WNT7A und WNT10B) und deren Rezeptoren (z. B. FZD und LRP10), sondern auch zu einer Steigerung der β-Catenin-vermittelten Aktivierung des Transkriptionsfaktors TCF [6]. Während der BMP2-induzierten ektopen Osteogenese in der Muskulatur führt die Suppression der kanonischen WNT-Kaskade mittels DKK1 zu einer massiven Reduktion der Knochenbildung, im ähnlichen Ausmaß wie bei einer Inaktivierung des β-Catenin-Allels [6]. Eine Überexpression von β-Catenin und WNT3A in C3H10T1/2–Zellen führt während einer Behandlung mit BMP2 dagegen zu einer signifikanten Steigerung der Chondrogenese, des frühen Stadiums der Knochenneubildung [15]. Eine mögliche Verbindung zwischen der BMP- und der WNT-Transduktionskaskaden stellt (abgesehen zu WISP1, s. oben) zum einen das Molekül Smad4 dar, dessen intranukleäre Spiegel und die Interaktion mit β-Catenin und TCF/LEF1 nach der Behandlung mit BMP2 signifikant gesteigert werden [15]. Zum anderen beschrieben Hussein et al. [25] eine wichtige Rolle der gemeinsamen Aktivierung des MSX2-Promotors durch Smad4 (BMP-Signalweg) und LEF1 (WNT-Signalweg).

Fazit für die Praxis

Die korrekte Regulation der Osteoblastendifferenzierung während der Frakturheilung ist komplex und in ihrer Gesamtheit noch nicht vollständig verstanden. Die Transkriptionsfaktoren RUNX2 und SP7 sind dabei von besonderer Bedeutung und können als Mastergene der Osteoblastendifferenzierung betrachtet werden. Der kanonische WNT/β-Catenin-Signalweg spielt während des Knochenwachstums und während der Frakturheilung für die Aktivierung der osteoblastären Differenzierungsvorgänge eine herausragende Rolle. Die Erforschung des WNT-Signalweges könnte neue Perspektiven in der Behandlung der Knochenbruchheilungsstörungen und für das „tissue engineering“ des Knochengewebes eröffnen.