Ätiologie und Epidemiologie

Die Inzidenz von Beckenringverletzungen beträgt 3%, bezogen auf alle Frakturen. Bei 25% der mehrfachverletzten oder polytraumatisierten Patienten ist eine begleitende Beckenringverletzung zu erwarten. Epidemiologisch finden sich 2 Häufigkeitsgipfel, einer bei jungen, typischerweise männlichen Patienten (25–35 Jahre alt) und der andere im Alter (80. Lebensjahr), hier vornehmlich bei Frauen. Treten bei jüngeren Patienten Beckenverletzungen sehr häufig in Kombination mit einem Hochrasanztrauma auf, ist bei älteren Patienten bereits durch eine deutlich geringere Energieeinwirkung eine Beckenringfraktur zu erwarten (Niedrigenergietrauma durch häuslichen Sturz). Frakturen sind hier als Ausdruck einer geschwächten Knochenstruktur zu sehen. Beckenverletzungen im Rahmen eines Massivtraumas werden in dieser Altersgruppe primär selten überlebt. Patienten, die die Klinik aufgrund des modernen Rettungsnetzes lebend erreichen, haben nach einer Studie der Arbeitsgruppe (AG) Becken III der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU, Tab. 1) schon aufgrund ihres Alters einen prädiktiv hohen Risikofaktor, diese Verletzung langfristig dennoch nicht zu überleben (Komorbidität, Sepsis, Multiorganversagen).

Tab. 1 Kliniken und Mitglieder der AG Becken III (2004–2009)

Funktionelle Anatomie und Biomechanik des Beckenrings

Das Becken ist entsprechend seiner Hauptfunktion, die Körperlast von der Wirbelsäule auf beide Beine zu verteilen, als Ringsystem angelegt. Die beiden Hüftbeine und das dorsalseitig „eingekeilt“ liegende Kreuzbein bilden den knöchernen Rahmen und werden durch die dorsalen Sakroiliakalgelenke und die ventral liegende Symphyse miteinander verbunden. Biomechanisch wird das Becken in einen ventralen und einen dorsalen Ringabschnitt untergliedert, wobei die biomechanisch relevanten Strukturen im hinteren Beckenringbereich liegen. Die Symphyse und die angrenzenden Scham- und Sitzbeinanteile haben in Bezug auf die Stabilität des Beckenrings nur eine untergeordnete biomechanische Bedeutung. Frakturen im dorsalen Beckenbereich führen daher zu einer biomechanischen Schwächung des Ringsystems mit einem „instabilen“ Beckenring, während es bei Frakturen im vorderen Beckenbereich zu keiner nennenswerten mechanischen Schwächung des Rings kommt und somit ein „stabiler“ Beckenring verbleibt. Diese Tatsache drückt sich sowohl in der Klassifikation als auch in der Therapieoption der jeweiligen Verletzung aus.

Bei älteren Patienten ist das Sakroiliakalgelenk häufig bereits knöchern überbrückt, weshalb transiliakale Frakturen oder direkte Sakrumfrakturen insbesondere in dieser Patientengruppe gehäuft auftreten (21%, 171/811 Patienten mit C-Verletzung sind >65 JahreFootnote 1). Wegen der geringen Energieeinwirkung beim Unfall neigt die Fraktur jedoch häufig nicht zu einer wesentlichen Dislokation und kann damit der konventionellen Diagnostik leicht entgehen. Abbrüche der Querfortsätze LWK5, deutliche Beschwerdepersistenzen im hinteren Beckenringbereich und der „tiefe Rückenschmerz“ über eine Woche sollten daher immer Warnhinweise auf das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen hinteren Beckenringverletzung sein und zur weiteren Diagnostik (inkl. CT) führen.

Klassifikation

Für die standardisierte Klassifikation von Beckenringverletzungen wird die der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen/Orthopedic Trauma Association (AO/OTA-Klassifikation) für Beckenringfrakturen verwendet. Für die Praxis hat sich bewährt, nur die Übersichtsgruppierung in A-, B- und C-Frakturtypen zu verwenden, da sie den Grad der „Beckenringinstabilität“ zur Indikationsstellung ausreichend beschreibt. Auf die komplette numerische Bezeichnung der Fraktur- und Untergruppen wird nur in der wissenschaftlichen Bewertung zurückgegriffen. Die Einzelläsionen im Beckenring werden entsprechend ihrer anatomischen Lokalisation systematisch zusätzlich mit angegeben:

  • transsymphysär,

  • transpubisch,

  • transazetabulär,

  • transiliakal,

  • transiliosakral und

  • transsakral.

Damit ist auch für den „Nichtspezialisten“ eine präzise und v. a. einprägsame Beschreibung der Verletzung möglich, die eine direkte Aussage zur weiteren Therapieentscheidung zulässt. Zu beachten ist, dass es im Rahmen von Beckenringverletzung zu fließenden Übergängen zwischen diesen 3 Frakturtypen kommen kann. Dies kann leicht zu einer fehlerhaften Klassifikation und damit verbundenen Fehlinterpretation mit nichtadäquater Therapie führen.

Zwischen A- und B- sowie B- und C-Frakturtypen gibt es fließende Übergänge

Typ-A-Frakturen

Hierbei handelt es sich um stabile vordere Beckenringläsionen ohne Verletzung der osteoligamentären Strukturen des biomechanisch wichtigen hinteren Beckenrings. Nach Untersuchungen der AG Becken III der DGU ist dieses Krankheitsbild nach wie vor die am häufigsten auftretende Gruppe von Beckenringfrakturen mit 42% der Frakturen insgesamt, bei den >65 jährigen Patienten tritt dieser Frakturtyp in 63% der Fälle auf (zum Vergleich in 37% der Fälle bei den <65-jährigen Patienten).

Typ-B-Frakturen

Bei dieser Fraktur kommt es zu einer Beckenringunterbrechung in der vertikalen Achse des Beckens. Diese kann durch eine Außen- oder Innenrotationsbewegung entstehen. Die ventralen Bandanteile des betroffenen Sakroiliakal- (SI-)Gelenks sind zerrissen (Außenrotationsverletzung) oder die ventrale Kante der Ala sacralis ist imprimiert (Innenrotationsverletzung). Damit ist die dorsale Beckenringstruktur partiell unterbrochen (rotationsinstabil). Insgesamt kommt dieser Frakturtyp zu 34% bei den Beckenringverletzungen vor (AG Becken III). Bei Patienten >65 Jahren tritt diese Fraktur in 39% der Fälle auf. Durch Sturz auf die Seite stellt die Innenrotationsverletzung bei den >65-jährigen Patienten die häufigste Ursache für eine Typ-B-Verletzung dar (74%), bei den <65-jährigen Patienten zum Vergleich nur in 57% der B-Verletzungen.

Typ-C-Frakturen

Durch entsprechende Gewalteinwirkung kommt es zur übermäßigen Rotation und zu einer begleitenden (meist kraniokaudalen) Translation des Beckens. Somit liegt eine komplette Translations- und Rotationsinstabilität des Beckens vor, die dorsalen Beckenstrukturen sind komplett in ihrer Kontinuität unterbrochen. Bei älteren Patienten reichen für diesen Frakturtyp niedrige Sturzenergieeinwirkungen aus. Häufig liegen dorsal transforaminale Sakrumfrakturen vor (keine hintere Sakroiliakalbandüberbrückung der Fraktur im Gegensatz zu den Ala-sacralis-Frakturen!) Im Register der AG Becken III finden sich diese insgesamt nur bei 5% der Patienten >65 Jahren mit C-Verletzungen (171/811 C-Frakturen, 21%). Zum Vergleich besteht bei <65-jährigen Patienten ein Anteil von 79% (707/811 Fällen). Seltener, aber dennoch ebenso instabil, liegen transiliakale Frakturen oder SI-Luxationen vor. Verlaufen diese Frakturen halbmondförmig aus der SI-Fuge heraus nach lateral ins Ilium, handelt es sich um so genannte „Crescent- oder Halbmondfrakturen“. Dieser Frakturtyp kann schnell bei der Primärdiagnostik übersehen werden, stellt aber ein besonderes Risiko für eine sekundäre Dislokation mit schmerzhaften Pseudarthrosen dar (sog. B-C-Problematik).

Komplexe Beckenverletzungen

Eine „komplexe Beckenverletzung“ ist definiert als Beckenringfaktur mit begleitendem peripelvinem Weichteilschaden, d. h. einer zusätzlichen Verletzung von Nerven, Gefäßen, Muskulatur oder den Beckeneingeweiden [1]. Blutungen, eine erhöhte Sepsisrate (Kontamination ausgedehnter, retroperitonealer Hämatome und von Hämatomen und Nekrosen bei großflächigen Décollements) und das Multiorganversagen infolge der meist länger bestehenden Kreislaufdepression machen die komplexe Beckenverletzung zu einem besonderen Problem. Die große Mehrzahl der komplexen Beckenverletzungen tritt im Rahmen eines Polytraumas auf und ist Ausdruck einer außerordentlichen Gewalteinwirkung. Da häufig bereits diese hohe Gewalteinwirkung durch die älteren Patienten nicht überlebt wird, spielt diese Verletzung bei älteren Patienten insgesamt nur eine untergeordnete Rolle.

In der AG Becken III fanden sich bei insgesamt 3410 Beckenringverletzungen in 345 Fällen Komplextraumen (10%). Älter als 65 Jahre waren 44 Patienten mit komplexem Beckentrauma (13%), davon verstarben insgesamt 18 Patienten (41%). In 12 Fällen bei >65-jährigen Patienten mit Komplextrauma fand sich als Teil des Komplextraumas eine schwere Weichteilverletzung (27%), von diesen verstarben 8 Patienten (67%). Zum Vergleich erlitten von 301 Patienten mit Komplextrauma <65 Jahren (87%) 74 Patienten einen schweren Weichteilschaden und nur 9 verstarben (12%). Dies bedeutet, dass das Weichteiltrauma insbesondere im höheren Lebensalter zu einer erhöhten Sterbewahrscheinlichkeit beiträgt.

Nicht vergessen werden darf dabei, dass ein erheblicher Anteil der über 65-jährigen Patienten aufgrund bestehender Grunderkrankungen häufig gerinnungshemmende Medikamente (Phenprocoumon, Clopidogrel) einnimmt. Hierdurch kann es zu forcierten Einblutungen in die Muskelfaszienräume des Beckens (Gluteal- oder Psoasmuskulatur) kommen und sich auch bei fehlenden knöchernen Verletzungen ein Kompartmentsyndrom und Weichteilschaden entwickeln. Eine rechtzeitige operative Entlastung ist wichtig und sollte in Verbindung mit anderen operativen Stabilisierungsmaßnahmen am Becken bereits primär erfolgen [26, 34].

Eine Sonderform einer Haut-Weichteil-Verletzung am Becken stellt die Morel-Lavallé-Läsion dar. Hierbei handelt es sich um ein durch Scherkräfte induziertes subkutanes Décollement im Beckenbereich mit massivem Flüssigkeitsaustritt in den Subkutanraum. Aufgrund der niedrigen Energieeinwirkung und des zumeist seitlichen Sturzmechanismus kommt diese Sonderform bei älteren Patienten ebenfalls häufig vor. Eine operative Entlastung mit Drainage sollte bereits am Ende der Primärbehandlungsphase erfolgen, eine Sanierung des Befundes mit Hämatomausräumung, Weichteildébridement und Drainage durch Vakuumsysteme erfolgt dann innerhalb der Sekundärbehandlungsphase im Zuge anderer operativer Maßnahmen [26, 34].

Offene Beckenfrakturen

Bei offenen Beckenringfrakturen kommt es zur knöchernen Durchspießung der äußeren Haut oder von Hohlorganen des Beckens mit einer Inzidenz von 0,9–4,8% aller Beckenfrakturen. Offene Beckenfrakturen gehen genau wie die komplexen Beckenverletzungen mit einer hohen Letalität von bis zu 50% aufgrund septischer Komplikationen einher [9]. Insgesamt spielt diese Verletzungsform bei älteren Patienten eine geringe Rolle.

Hemipelvektomie

Von den vorher beschriebenen, rekonstruierbaren Weichteilverletzungen ist die Hemipelvektomie zu unterscheiden. Durch massive Gewalteinwirkung kommt es zu einer neurovaskulären Abtrennung einer Beckenhälfte mit anhängendem Bein vom Körperstamm. Die chirurgische Blutstillung durch Amputation muss hierbei aufgrund des Gefäßabrisses mit hohem Blutverlust und konsekutivem Schockzustand in der Reanimationsphase als „Damage-control-Therapie“ erfolgen. Diese Extremvariante einer Beckenverletzung wird von Patienten im hohen Lebensalter in der Regel nicht überlebt und stellt daher im Alter eine Rarität dar (kein überlebter Fall in der AG Becken III).

Diagnostik

Aufgrund der gelegentlich bestehenden mangelnden Kooperationsfähigkeit älterer Patienten ist die Diagnostik einer Beckenringverletzung bei diesen Patienten im Vergleich zu anderen Körperregionen deutlich erschwert. Häufig ist man auf eine Fremdanamnese zum Unfallhergang und zur Einschätzung der potenziellen Verletzungsschwere angewiesen.

Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchung umfasst zunächst die Inspektion des entkleideten Patienten. Hier ist insbesondere auf Wunden, Hämatome, Blutaustritt aus der Urethra und perianal zu achten (Komplextrauma!). Im Anschluss erfolgt die manuelle Stabilitätsprüfung mit Kompression des Beckenkamms in a.p.-Richtung sowie in der Frontalebene. Die rektal digitale Untersuchung gibt Hinweise auf anale und rektale Wunden; beim Mann kann damit die Lage der Prostata kontrolliert werden. Beim wachen, ansprechbaren und kooperativen Patienten wird der Sphinktertonus geprüft und eine orientierend-neurologische Untersuchung angeschlossen.

Bildgebung

Bei einer Beckenringverletzung mit Verdacht auf holoviszerale Organverletzungen wird eine Sonographie des Abdomens durchgeführt. Hier ist insbesondere auf freie Flüssigkeit als Hinweis auf Organverletzungen im Abdomen zu achten (Unterbauch/Douglas und alle 4 Quadranten, es wird nach dem Focused-assessment-sonography-in-trauma- (FAST-)Schema vorgegangen).

Die radiologische Diagnostik umfasst zumindest eine Beckenübersichtsaufnahme. Sie ist ausreichend für alle Notfallentscheidungen und bei isolierten Verletzungen des vorderen Beckenrings. Zeigen sich Frakturlinien und hat der Patient bei der klinischen Untersuchung auch über Schmerz im hinteren Beckenringbereich geklagt, werden Schrägaufnahmen (Inlet- und Outletprojektionen) zusätzlich angefertigt.

Mit zunehmendem Einsatz der CT haben die Schrägaufnahmen (Inlet/Outlet) deutlich an Bedeutung für die Erkennung einer Beckenringfraktur verloren. Notwendig als Standardeinstellungen sind sie jedoch weiterhin für den Operateur während des Eingriffs, insbesondere bei perkutanen Techniken (z. B. transiliosakrale Zugschraube). Aus diesem Grund sollten theoretische Kenntnisse und praktisches Verständnis der Röntgeneinstellung weiterhin vorhanden sein.

Insbesondere bei Beckenfrakturen des älteren Patienten ist die Indikation für eine zusätzliche computertomographische Untersuchung weit zu stellen, da aufgrund der geringen Frakturdislokation im hinteren Beckenringbereich (typische Unterbrechung der ventralen Sakrumkortikalis nahe der SI-Fuge – „Kortikalisknick“ bei Innenrotationsverletzung) eine hohe Anzahl von Verletzungen übersehen oder verkannt wird (50% der Sakrumfrakturen werden primär übersehen!).

Bei älteren Patienten mit starken Schmerzen im Beckenbereich sollte trotz oft unauffälliger Beckenübersicht eine CT-Diagnostik großzügig durchgeführt werden.

Eine Modifikation der Primärdiagnostik beim Schwerverletzten ergibt sich zunehmend durch die Verwendung schneller CTs, mit denen schon primär sehr schnell eine umfassende Schnittbilddiagnostik zur Verfügung steht. Die Diagnostikabläufe müssen daher entsprechend angepasst werden [2, 7, 28]. Die MRT hat zur Primärdiagnostik derzeit keine Bedeutung, sollte aber bei der Behandlung längerfristiger unklarer Beckenschmerzen nach Beckentrauma oder zur Frage nach einer „okkulten“ Fraktur auch bei älteren Patienten Anwendung finden.

Untersuchungsevidenz

Betrachtet man die Literatur unter dem Aspekt der Evidenz der klinischen Untersuchung bei Beckenverletzungen, findet sich jeweils eine Studie aus den USA und aus Deutschland mit dem Evidenzlevel 2, die sich mit dieser Thematik befassen. Gonzales et al. [8] kommen bei der Auswertung ihrer prospektiven klinischen Studie an einem Level-I-Traumazentrum in den USA mit überwiegend stumpfen Traumata an etwas mehr als 2000 Patienten mit einem Glasgow Coma Scale (GCS) von 14–15 auf eine Sensitivität der klinischen Untersuchung von 93%. Bei einer geringeren Sensitivität von 87% der Beckenübersichtsaufnahme sehen die Autoren entsprechend keinen Benefit in einer Screeningbeckenübersicht. Dies wurde in einer Metaanalyse von Sauerland et al. [27] im Jahre 2004 mit einem ähnlichen Patientenklientel bestätigt [11].

Vergleicht man hierzu die prospektive klinische Studie von Pehle et al. [20] am Universitätsklinikum in Essen mit 979 Patienten, findet sich in dieser Studie ein Anteil von 76% beatmeten Patienten mit einem durchschnittlichen GCS von 10. Die klinische Untersuchung dieser Patienten auf Stabilität bzw. Instabilität des Beckens ergab eine Sensitivität von lediglich 44,1%, und die Autoren postulieren konsekutiv die Beibehaltung der Beckenübersichtsaufnahme im Rahmen des Schockraummanagements zum Nachweis einer Beckenverletzung.

Therapie

Die häufig begleitende Komorbidität der Patienten führt dazu, dass eine ausreichende internistische (kardiopulmonale) Vorbereitung des Patienten vor dem Eingriff zumeist unumgänglich ist und deshalb häufig eine frühsekundäre operative Versorgung durchgeführt wird. Grundsätzlich sollte die Therapie mit dem Patienten bzw. seinen Angehörigen oder gesetzlichen Vertretern ausführlich besprochen werden. Die eingeleitete Therapie sollte sich dabei grundsätzlich am Ziel der Wiederherstellung der Beckenringstabilität richten und eine frühe Belastbarkeit und Mobilisation des Patienten erlauben. Wenn immer möglich, sollte eine konservative Therapie eingeleitet werden. Dies gilt grundsätzlich für alle Typ-A-Frakturen und für die Typ-B-Verletzungen mit Innenrotationsmechanismus, die ebenfalls als stabil aufgefasst werden können. Bei den Typ-C-Verletzungen ist in der Regel immer eine kombinierte ventrodorsale operative Therapie notwendig.

Eine suffiziente operative Therapie von Beckenringfrakturen im Alter erfordert neben dem kompletten Beckeninstrumentarium auch häufig den Einsatz winkelstabiler Implantate, um sowohl eine gelenknahe Kompressionsschraubenverankerung als auch eine gelenkferne, winkelstabile Verankerung zu ermöglichen.

Ebenso sollte eine suffiziente postoperative Überwachung auf einer dafür ausgestatteten Intensivstation gewährleistet sein, um die vorbelasteten Patienten postoperativ ausreichend sicher überwachen und betreuen zu können. Dieses führt dazu, dass aufwendigere Rekonstruktionen des Beckenrings zumeist speziellen Zentren mit Erfahrung in der Beckenchirurgie vorbehalten bleiben sollten.

Beckenverletzungen des Typs A

Da es sich um stabile Frakturformen handelt, ist eine konservative Therapie in den meisten Fällen ausreichend. Es wird eine frühfunktionelle Nachbehandlung angestrebt. Der Patient wird analgetisch-antiphlogistisch behandelt und beginnt mit der Mobilisation ab dem 1. posttraumatischen Tag mit voller Belastung im Gehwagen. Eine Teilbelastung ist zumeist durch die geriatrischen Patienten nicht umsetzbar. Je nach Ausmaß der Schmerzen kann auch die kurzfristige Weiterbenutzung von Gehhilfen (Gehwagen, Rollator, Unterarmgehstützen, Gehstock) angezeigt sein. Fortgesetzte Schmerzen nach typischer transpubischer Instabilität (>7–14 Tage) sollten zu einer weiteren Diagnostik mit der CT veranlassen. Die Indikation zur operativen Therapie ergibt sich nur in Ausnahmefällen, wie z. B. bei offenen Verletzungen oder stark dislozierten Beckenrandfrakturen mit Gefahr der Hautperforation.

Insbesondere bei älteren Patienten mit Beckenringverletzung Typ A ist auf eine begleitende Verletzung des hinteren Beckenrings zu achten. Hier kommt es zu fließenden Übergängen zu Verletzungen vom Typ B. Sollte sich bereits bei der ersten klinischen Untersuchung ein lokaler Druckschmerz über dem Os sacrum zeigen, ist eine penible Analyse der angefertigten Röntgenaufnahmen erforderlich. Bei unklarem Röntgenbefund oder nicht durchführbarer Mobilisation (Schmerzen!) innerhalb der ersten 5 Tage muss eine CT-Untersuchung nachgeholt werden. Sehr häufig findet sich hier eine begleitende transalare Sakrumfraktur im Sinne einer Innenrotationsverletzung vom Typ B2 (ventrale transalare Kortikaliskompression des Sakrums als „ventraler Sakrumknick“).

Als therapeutische Konsequenz wird zur Schmerztherapie ein supraazetabulärer Fixateur externe als „minimalinvasive“ Maßnahme für 3–4 Wochen angelegt. Dieser kann durch eine navigationsgestützte iliosakrale Schraube ergänzt werden. Vor Entfernung des Fixateurs externe erfolgen Röntgenaufnahmen und die klinische Untersuchung des Patienten. Hierzu wird die Querstange am Fixateur gelöst und der Patient aufgefordert, zu gehen und zu sitzen. Wenn keine neuen Beschwerden auftreten, wird der komplette Fixateur in gleicher Sitzung ambulant entfernt. Gibt der Patient bei diesem „Schmerzprovokationsversuch“ fortbestehende Missempfindungen oder eine Schmerzzunahme an, wird die Querstange des Fixateurs erneut angebracht und für 2 weitere Wochen belassen.

Beckenverletzungen des Typs B

Bei diesem Verletzungstyp besteht eine rein dorsale Rotationsinstabilität und es reicht in der Regel eine Stabilisierung des vorderen Beckenrings aus. Zur operativen Stabilisierung haben sich für die einzelnen Verletzungsregionen standardisierte Verfahren bewährt und sollten altersunabhängig angewendet werden. Grundsätzlich sollte eine Rückenlagerung des älteren Patienten zur operativen Stabilisierung ausreichen.

Symphyse

Die Versorgung wird wie bei jüngeren Patienten entweder über eine Pfannenstiel-Querinzision oder unter Ausnützung einer vorbestehenden Längsinzision (z. B. bei Laparotomie) vorgenommen. Anschließend erfolgen die Längsspaltung in der Linea alba und das vorsichtiges Einkerben des Rektusansatzes (dieser ist auf Seite der Verletzung zumeist abgerissen). Nach der Reposition folgt die Stabilisierung mit einer anatomisch angepassten 3,5-mm-6-Loch-AO-Symphysenplatte (Schraubenrichtung kraniokaudal), die auch als winkelstabile Version zur Verfügung steht. Um eine optimale Kompression zu erzielen, sollten die medialen, parasymphysären Schrauben als Kompressionsschrauben besetzt werden. Wegen der Osteoporose ist es wichtig, möglichst lange Schraubenwege im Knochen unter Einschluss der Gegenkortikalis anzulegen.

Transpubische Instabilitäten

In der Regel ist die Anlage eines einfachen Fixateurs externe mit supraazetabulär eingebrachten Schanz-Schrauben ausreichend. Die 6-mm-Schanz-Schrauben sollten dabei in Richtung auf das SI-Gelenk gezielt werden und einen möglichst langen Weg zwischen den beiden Kortikalisblättern des Iliums nehmen, um auch im osteoporotischen Knochen einen sicheren Halt zu gewährleisten. Durch leichtes Auf- oder Zudrücken der beiden Stangen (je nach Außen- oder Innenrotation) wird eine sichere Verklemmung im Sinne einer Vorspannung und Zuggurtung erreicht. Eine intraoperative Bildwandlerkontrolle entlang der Achse der Schanz-Schraube gewährleistet eine ausreichend sichere Beurteilung der korrekten intrakortikalen Schraubenlage auch im hinteren Beckenringbereich.

Kamysz u. Rechitsky [14] stellten in einer Arbeit als Variante eine neue Methode zur Stabilisierung osteoporotischer Insuffizienzfrakturen des vorderen Beckenrings mit perkutaner Knochenzementosteoplastie anhand von 2 Fallbeispielen vor. Der interventionell radiologischen Behandlung war zunächst eine längere konservative Behandlungsphase mit zunehmenden Schmerzen vorausgegangen. Anschließend erfolgte dann die perkutane Knochenzementauffüllung der Schambeinäste. Postoperativ kam es umgehend zur Schmerzfreiheit. Die Autoren empfehlen diese Behandlungsmethode bei älteren Patienten mit Insuffizienzfraktur.

Beckenverletzungen des Typs C

Bei geriatrischen Patienten sollten alle erreichbaren Regionen bevorzugt von ventral in Rückenlage des Patienten stabilisiert werden. Für eine ausreichende und sichere Mobilisation sollte eine kombinierte dorsoventrale Osteosynthese erfolgen (Abb. 1 a–e).

Abb. 1
figure 1

Patient AMK, 84 Jahre, weiblich, Sturz auf die rechte Seite. a Nur im CT erkennbare Fraktur rechtsseitig. b Frühe anteriore Dislokation, navigationsgestützte iliosakrale Schraubenosteosynthese in S1 und anteriorer Fixateur externe. c Nach Abnahme des Fixateurs zeigt sich eine weiter zunehmende ventrale Dislokation mit Auswanderung der S1-Schraube. d Erneuter Sturz, dieses Mal auf die linke Seite; jetzt neue, linksseitige Typ-B-Fraktur. e Gleiche Vorgehensweise linksseitig mit iliosakraler, navigationsgestützter Verschraubung und erneuter Anlage eines ventralen externen Fixateurs; im klinischen Bild sind die etwas kaudaler gelegenen Pineintrittsstellen des ersten Fixateurs noch erkennbar

Transiliakale Instabilitäten

Entsprechend der Präparation des ersten Fensters des ilioinguinalen Zugangs wird über einen Schnitt entlang der Crista iliaca der M. iliacus subperiostal abgelöst und der Frakturverlauf dargestellt. Je nach Frakturverlauf folgen eine Versorgung des Beckenkamms mit Zugschrauben und eine Osteosynthese mit DC- oder Rekonstruktionsplatten entlang der Linea terminalis, möglichst in winkelstabiler Ausführung.

Sakroiliakale Luxation

Da bei älteren Patienten aufgrund der niedrigen Energieeinwirkung häufig nur eine geringe Frakturdislokation auftritt, sollten bei allen undislozierten oder nur gering dislozierten Frakturen und/oder möglicher geschlossener Reposition perkutane Verfahren eingesetzt werden. Dies kann konventionell mit Bildwandler oder ggf. mit Unterstützung eines Navigationsgeräts erfolgen. Häufig werden transiliosakrale Zugschrauben (7,3 mm kanüliert mit Unterlegscheibe) in Rückenlagerung des Patienten eingesetzt.

Bei notwendiger offener Reposition hat sich als Standardverfahren die ventrale Plattenosteosynthese mit Stabilisierung durch zwei 3-Loch-3,5-mm-DC-Platten ebenfalls in Rückenlage durchgesetzt. Nach zunächst anterolateraler Inzision am Beckenkamm und Abschieben des M. iliacus nach medial ist das Sakroiliakalgelenk gut einsehbar. Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit der gleichzeitigen Darstellung von Symphyse und Sakroiliakalgelenk in Rückenlage. Dieses Vorgehen erleichtert eine erforderliche offene Reposition deutlich.

Sakrumfrakturen

Aufgrund unbefriedigender Ergebnisse der konservativen Therapie nach Sakrumfrakturen mit möglichen Anschlussinsuffizienzfrakturen wird in den letzten Jahren zunehmend die Indikation zur operativen Stabilisierung auch beim geriatrischen Patienten großzügiger gestellt. Indikationen zur offenen Reposition bestehen bei älteren Patienten selten (Nervenwurzelkompressionen). Bei häufig nur geringer Dislokation (<5 mm) und Patienten ohne begleitende Neurologie wird die perkutane transiliosakrale Zugschraubenosteosynthese in Rückenlage in abgewandelter Vorgehensweise bevorzugt eingesetzt. Abweichend von der ursprünglichen Technik nach Matta u. Tornetta [15] wird jetzt zur Erhöhung der Sicherheit neben den Inlet- und Outletprojektionen auch eine seitliche Bildwandleraufnahme angefertigt, um den korrekten Eintrittspunkt der Schraube von lateral zu sichern und damit eine optimale Schraubenlänge zu gewährleisten [33].

Sehr empfehlenswert ist hier die C-Arm-basierte 3D-navigationsgestützte Vorgehensweise, die auch im osteoporotischen Knochen meist eine ausreichende Bildqualität bietet (Abb. 1, Abb. 2). Bei erheblicher Osteoporose sollten dabei möglichst lange Schrauben (>100 mm), die bis über die Mittellinie des Sakrums reichen, verwendet werden. Wegen der Gefahr der sekundären Schraubendislokation („Rückdrehung der Schrauben“) besteht als Modifikation die grundsätzliche Möglichkeit einer zusätzlichen Armierung der Schrauben mit Drahtcerclagen (Abb. 3 a–e). Eine zusätzliche Stabilisierung des ventralen Beckenrings mit einem supraazetabulären Fixateur externe im Sinne einer additiven Zuggurtung ist ebenfalls notwendig.

Abb. 2
figure 2

Patient MT, 78 Jahre, weiblich; Sturz auf das Gesäß mit beidseitiger Sakrumfraktur und linksseitiger vorderer Beckenringfraktur. a Stabilisierung mit dorsal eingeschobener Plattenosteosynthese, b zunehmende Schmerzen nach 5 Monaten mit ausbleibender Heilung des Sakrums linksseitig und Implantatlockerung. c Metallentfernung der dorsalen Platte und 3D-navigationsgestützte, iliosakrale Schraubenosteosynthese links, Patient postoperativ nahezu schmerzfrei mobilisierbar. d Beachte das primäre Einsinken der Schraube trotz Unterlegscheibe

Abb. 3
figure 3

Patient HS, 86 Jahre, weiblich, transsakrale Insuffizienzfrakturen beidseits, keine Mobilisation wegen starker Schmerzen. a Stabilisierung mit 7,3-mm-transiliosakralen Zugschrauben beidseits und Durchzugsseil zur Sicherung der Schrauben. Postoperativ Mobilisation unter Analgesie möglich. b CT-Kontrolle der korrekten Schrauben- und Drahtseilpositionierung. Korrekt dorsal einliegender supraazetabulärer Fixateur externe

Als Stabilisierung bei beidseitigen Sakrumfrakturen kommen neben der beidseitigen Schraubenosteosynthese weitere Modifikationen von Osteosynthesetechniken zum Einsatz. Eine Alternative oder als Additiv zur Schraubenosteosynthese stellt eine in Bauchlage des Patienten perkutan eingeschobene Plattenosteosynthese dar. Über 2 Inzisionen wird eine vorgebogene 5,0 mm 12- bis 14-Loch-“locking compression plate“ (LCP) dorsal des Sakrums über die Iliumkämme eingeschoben und mit 2 langen Kortikalisschrauben zunächst parallel zum SI-Gelenk an den Knochen herangezogen. Über winkelstabile Schrauben erfolgt dann die definitive Fixation am IliumFootnote 2.

Durch Modifikation einer dorsalen Wirbelsäulenosteosynthese wurde eine spinopelvine Abstützung des dorsalen Sakrums gegen L4/L5 beschrieben (ein- und beidseitig), um eine rasche Mobilisation des Patienten zu gewährleisten [4]. Des Weiteren werden erste Ergebnisse nach perkutanen Zementinjektionen berichtet. Längerfristige Ergebnisse liegen allerdings noch nicht vor. Frey et al. [3] legten 2008 eine Pilotstudie zur Behandlung osteoporotischer Sakrumfrakturen durch perkutane Injektion von Knochenzement (PMMA) in die Frakturen der Ala sacralis über eine 13-G-Nadel vor. Insgesamt wurden 52 Patienten, darunter 40 Frauen, mit einem Durchschnittsalter von 75,9 Jahren in der oben dargestellten Art und Weise behandelt. Auf der visuellen Analogskala (VAS) ergab sich eine signifikante Abnahme der Schmerzen, in einem Fall fand sich eine S1-Pseudoradikulitis (nach Steroidinjektion komplett rückläufig). Die Autoren schlussfolgern, dass die Zementauffüllung bei osteoporotischer Fraktur des Sakrums eine effiziente und sichere Methode darstellt, eine rasche Schmerzreduktion und Mobilisierbarkeit der Patienten zu erzielen.

Notfallbehandlung bei Beckenfraktur des alten Patienten

Bei allen Patienten mit Beckenringfrakturen und beckenbedingter Massenblutung wird nach kurzer ziel- und frageorientierter Diagnostik eine Erstversorgung nach dem Beckentraumaalgorithmus durchgeführt [10, 23, 24].

Die Erstversorgung erfolgt nach dem Beckentraumaalgorithmus.

Eine möglichst frühzeitige mechanische Stabilisierung des Beckenrings führt zu einer Reduktion des Blutverlusts und kann in vielen Fällen die physiologische Hämostase soweit unterstützen, dass keine weiteren Maßnahmen primär erforderlich sind [12, 21, 22]. In der präklinischen Phase werden dazu einerseits die Beine möglichst in Innenrotation gebracht und andererseits eine primäre Reposition durch Lagerung auf einer Vakuummatratze oder durch primäre Anlage eines einfachen Beckengürtels oder einer Tuchumschlingung erreicht. Nachweislich kann so das intrapelvine Volumen reduziert und der Raum, in den es zu weiteren Blutverlusten kommt, wieder verkleinert werden [6, 30].

Beckenzwinge und Fixateur externe

In der Klinik werden die Beckenzwinge oder der Fixateur externe möglichst schon im Schockraum zur primären Stabilisierung eingesetzt [5, 13, 32]. Aufgrund des häufigen transiliakalen Frakturverlaufs (Kontraindikation) und der geschwächten Knochenstruktur des älteren Patienten kann allerdings die Zwinge durch Einbruch der spitzen Dorne in den Beckenknochen des Iliums zu einer zusätzlichen Verletzung von Beckenorganen führen und daher nicht ihre ursprüngliche Wirkung entfalten. Insofern erscheint der Fixateur externe der Beckenzwinge bei diesen Patienten überlegen. Der Fixateur externe kann als supraazetabulärer 1-Pin-Fixateur durch einen entsprechend langen Verlauf der Schanz-Schrauben zwischen den Iliumkortikalisblättern den Nachteil der geringen biomechanischen Stabilisierungsfähigkeit im hinteren Beckenring ausgleichen.

Stabilisiert sich nach ausreichender Substitution von Blut und Gerinnungsprodukten unter diesen Maßnahmen der Kreislauf („responder“), ist Zeit für die weitergehende Diagnostik und Therapieplanung gewonnen. Kann nach 20 min kein ausreichend stabilisierender Effekt („non-responder“) erzielt werden, müssen weitergehende chirurgische Maßnahmen ergriffen werden. Da in 80–90% der Fälle massive venöse Blutungen aus den zerrissenen paravesikalen oder präsakralen Venenplexus bzw. den ausgezeichnet durchbluteten spongiösen Frakturflächen vorliegen, hat sich die Anlage einer extraperitonealen pelvinen Tamponade zur effektiven Blutstillung bewährt.

Bei bestehender mechanischen Stabilität des Beckenrings durch eine angelegte Beckenzwinge oder Fixateur externe wird über einen infraumbilikalen Längsschnitt das kleine Becken erreicht und die traumabedingt eröffneten retroperitonealen Räume mit Rollen oder Bauchtüchern präsakral und paravesikal tamponiert, ohne das Abdomen als weiteren Raum zu eröffnen. Diese Methode ist chirurgisch einfach, überall anwendbar und führt bei korrekter Technik zu einer effektiven Blutstillung. In Ausnahmefällen kann danach bei entsprechend vorhandener Infrastruktur eine Embolisation bei fortbestehender Blutung angeschlossen werden [2, 19, 35, 36].

Entscheidend ist die sofortige Umsetzung der Maßnahmen, um zusätzliche Blutverluste und den Verbrauch von Gerinnungsfaktoren zu minimieren und das weitere Auskühlen des Patienten mit konsekutiver Verschlechterung der Gerinnungssituation zu verhindern.

ATLS-Richtlinien

Betrachtet man die Literatur unter Berücksichtigung des Zeitpunkts der Frakturversorgung beim Beckentrauma, fordert das American College of Surgeons im Rahmen der Advanced-trauma-life-support- (ATLS-)Richtlinien die Kontrolle lebensbedrohlicher Blutungen innerhalb 1 h nach dem Unfall (sog. Reanimationsphase 1.–3. Stunde nach Trauma [31]). Meighan et al. [17] führten hierzu 1998 eine Studie in Notfallambulanzen in Schottland durch. Sie konnten zeigen, dass lediglich 8 von 31 Kliniken eine operative Notfallstabilisierung des Beckenrings innerhalb der ersten „golden hour of shock“ durchführen konnten. Entsprechend forderte er die vermehrte Berücksichtigung der externen Notfallstabilisierung des Beckens bei der Ausbildung der chirurgischen Kollegen in seinem Land.

Beckenangiographie allein vs. Beckentamponade und -angiographie

Osborn et al. [19] veröffentlichten 2009 einen retrospektiven Vergleich zwischen ausschließlicher Beckenangiographie (ggf. mit Embolisation) und der Beckentamponade und anschließenden Angiographie (ggf. mit Embolisation) als Erstmaßnahme bei Patienten mit instabiler Beckenfraktur und Kreislaufinstabilität. Jede Behandlungsgruppe umfasste 20 Patienten. Blutungsschwere, Transfusionsbedarf, Interventionszeit und Mortalitätsrate wurden untersucht. Die Beckentamponade war 45 min nach der Aufnahme ausgeführt, während die Angiographie im Durchschnitt nach 130 min absolviert war. Die Tamponadegruppe zeigte eine signifikante Abnahme des Transfusionsbedarfs, die Angiographiegruppe nicht. In der Angiographiegruppe benötigten 10 Patienten eine zusätzliche Embolisation, 6 verstarben (2 wegen einer fortbestehenden akuten Blutung). In der Tamponadegruppe benötigten 3 Patienten eine Embolisation, 4 verstarben, kein Patient aufgrund einer unkontrollierten Blutung.

Datenanalyse von 11 Traumazentren

Verbeek et al. [35] publizierten die Ergebnisse einer Datenanalyse von weltweit 11 Traumazentren zum Management der Beckenringfraktur mit begleitender Kreislaufinstabilität. Es wurden 217 Patienten untersucht (Injury Severity Score [ISS] 42±16, RR 96±37 mmHg, GCS 11±5). Die Patienten wurden im Durchschnitt mit 4±2 l Infusion und 4±4 Erykonzentraten volumensubstituiert; 32% der Patienten verstarben, in 29% der Fälle bestand eine direkte Relation zur Beckenverletzung. Zu den Erstbehandlungsmaßnahmen zählten in 28% der Fälle ein „Beckengürtel“. Bei der nachfolgenden Laparotomie konnte in 49% der Fälle keine Blutung gefunden werden, in 83% der Fälle wurde ein positiver Befund in der Angiographie festgestellt. Insgesamt fand sich die höchste Sterbewahrscheinlichkeit bei den Patienten, bei denen eine Laparotomie als Erstbehandlungsmaßnahme vorgenommen worden war, gefolgt von der Gruppe, die als erstes durch eine Angiographie behandelt wurde. Anschließend folgte die Gruppe der Patienten, die mit einer Kombination aus Laparotomie und Stabilisierung der Beckenfraktur behandelt wurde, und die niedrigste Sterbewahrscheinlichkeit wiesen die Patienten auf, bei denen primär eine Stabilisierung des Beckenrings durchgeführt worden war. Die Autoren schlussfolgern, dass eine diagnostische Laparotomie möglichst zugunsten der Erststabilisierung der Beckenfraktur aufgegeben und nur bei therapeutischer Notwendigkeit ausgeführt werden sollte.

Rekombinanter Faktor VIIa

Eine sichtbare Sofortwirkung des rekombinanten Faktors VIIa (rFVII NovoSeven, Fa. NovoNordisk) beschrieben Noda et al. [18] durch angiographischen Nachweis in einer 2008 veröffentlichten Arbeit bei Patienten mit Beckenfraktur. Dargestellt wurde der Fall eines 36-jährigen Patienten mit einer Typ-C-Beckenverletzung bei bestehender Kreislaufstabilität (Hb 14,6 g/dl, Hkt 42,2%, 214.000 Thrombozyten, Fibrinogenkonzentration 116 mg/dl, Prothrombinzeit 11,0 s und PTT auf 58,3 s verlängert). Entsprechend dem ATLS-Behandlungsregime wurde eine Trauma-CT-Spirale gefahren und ein entsprechend der Fraktur lokalisiertes, linksseitiges Hämatom im Becken diagnostiziert. Bei Extravasat in Verbindung mit der Fraktur wurde entsprechend den hausinternen Leitlinien eine Angiographie durchgeführt und venös ein 90μg/kgKG rFVIIa appliziert. Zehn Minuten nach der Applikation folgte eine erneute Angiographie ohne den Nachweis eines noch vorhandenen Extravasats.

Behandlungsdauer

Nach Beherrschung der lebensbedrohlichen Massenblutung und Sicherung des Kreislaufs und der Beatmung endet die Reanimations- und beginnt die Primärphase in der 2. bis 24. Stunde post Trauma. Bereits Mitte der 80er Jahre konnten Mears u. Rubash [16] den Rückgang der Mortalität von 22 auf 8% bei instabilen Beckenfrakturen verzeichnen, nachdem sie den ventralen Fixateur externe in den Polytraumaalgorithmus ihrer Klinik integriert hatten. Neuere Arbeiten zeigen jedoch, dass in der Primärphase operierte Patienten durch länger andauernde Operationen (>6 h) ein höheres Risiko tragen. Die Patienten erleiden sekundäre Organschädigungen, die zu einer höheren Letalität bzw. Inzidenz eines Multiorganversagens beizutragen scheinen. Zusammenfassend kann geschlussfolgert werden, dass insbesondere für den schwerverletzten älteren Patienten nur ein kurzes – notwendiges – Behandlungsfenster verbleibt.

Komplikationen

Ältere Patienten mit Verletzungen im Bereich des Beckenrings gehören in die Hochrisikogruppe insbesondere für postoperative, thromboembolische Komplikationen. Eine ausreichende Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin unter Kontrolle des Gerinnungsstatus (Anti-Xa) und des Blutbildes (Thrombozyten) ist anzustreben [29]. Eine frühe definitive Versorgung und eine Frühmobilisation minimieren das Risiko einer tiefen Becken-Bein-Venenthrombose zusätzlich.

Komplextraumen haben eine erhöhte Rate an lokalen Weichteilkomplikationen und Infekten, weshalb beim Management von vornherein Mehrfacheingriffe eingeplant werden müssen.

Neurologische Störungen und urologische Schäden sind meist schicksalhaft mit der Verletzung verbunden. Eine frühzeitige Erkennung erlaubt die sofortige Einleitung einer spezifischen Betreuung in Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen (z. B. urologische Funktionsdiagnostik, Dauerkatheterversorgungen etc.).

Osteosynthesekomplikationen sind bei älteren Patienten im gesamten Beckenring aufgrund der verminderten Knochenfestigkeit, Unmöglichkeit des Einhaltens einer Teilbelastung oder Infektionen bei multiplen Vorerkrankungen zu finden. Während im hinteren Beckenringbereich vermehrt Schraubenauswanderungen oder -ausrisse vorkommen, treten bei vermehrtem Einsatz externer Fixateure im ventralen Beckenringbereich Pininfektionen oder Lockerungen nach Mobilisation auf. Diese Komplikationen sollten rechtzeitig einer Revision zugeführt werden, da ansonsten Pseudarthrosen entstehen können, die zu langwierigen und schmerzhaften Verläufen führen können. Bei Schmerzzunahme im Verlauf oder Angabe von Instabilitätsgefühl sollte umgehend eine diagnostische Abklärung der Symptome mit einer CT des Beckenrings erfolgen und bei auftretendem Osteosyntheseversagen eine Revision angestrebt werden.

Nachsorge

Während der Mobilisationsphase, zumindest aber bei Schmerzangaben und vor der geplanten Entlassung des Patienten sollten radiologische Verlaufskontrollen durchgeführt werden. Aufgrund des Alters und des Gesamtzustandes vieler Patienten schließt sich in der Regel an den Akutaufenthalt ein 4- bis 6-wöchiger geriatrischer Rehabilitationsaufenthalt in einer spezialisierten Klinik an. Die ggf. notwendige Entfernung eines Fixateurs könnte dann dort oder nach ambulanter Wiedervorstellung des Patienten planmäßig vorgenommen werden. Routinemäßig sollten weitere radiologische Kontrollen nach 6 und 12 Wochen erfolgen. Bei unauffälligem Verlauf werden eine CT-Verlaufskontrolle nach 6 Monaten und eine klinische und radiologische Abschlusskontrolle nach einem Jahr durchgeführt. Nach den Kriterien der AG Becken III ist eine Beckenringverletzung ein Jahr nach dem Trauma mit einer klinisch-radiologischen Nachkontrolle auch als Studienpatient abgeschlossen.

Radiologische Verlaufskontrollen unbedingt erforderlich

Während der ersten 4–6 Wochen sollten je nach Mobilitätsgrad des Patienten eine gewichtsadaptierte Thromboembolieprophylaxe mit niedermolekularem Heparin und eine regelmäßige Kontrolle der Blutwerte und Gerinnungsparameter erfolgen.

Prognose und Ausblick

Die am häufigsten zu findende Behinderung nach einer instabilen Beckenfraktur ist der Schmerz. Die höchste Rate langfristiger Schmerzen wird nach Komplextraumen des Beckens beobachtet. Häufigkeit und Intensität der Schmerzen schwanken dabei häufig, es werden Raten zwischen 12,3 und 40% (Durchschnitt 22,3%) an mittelgradigen bis starken Schmerzen angegeben. Dabei treten mit zunehmender Beckeninstabilität gehäuft Schmerzen auf. Patienten mit starken Schmerzen haben in der Regel eine schwerere Beckenverletzung erlitten und weisen einen höheren Anteil pelviner Begleitverletzungen mit einer deutlich höheren Rate neurologischer und urogenitaler Spätschäden auf [25].

Zur Häufigkeit von Nervenschäden bei Beckenfrakturen finden sich Zahlenangaben von 0–39%. Die Schwere des persistierenden Nervenschadens hängt dabei von der Beckenringinstabilität und der Art der dorsalen Beckenringverletzung ab. Die Ergebnisse der AG Becken I zeigten bei 10,8% der Fälle subjektiv beeinträchtigende neurologische Störungen. Auch hier bestand eine Korrelation zur Beckenringinstabilität bzw. einem gleichzeitig vorliegenden komplexen Beckentrauma [34].

Die Häufigkeit urogenitaler Spätschäden wird mit 0–37% angegeben. Nach isolierten Beckenringläsionen treten sie jedoch sehr selten auf. Ein gleichzeitig bestehendes komplexes Beckentrauma erhöht die Rate mittlerer bis schwerer Langzeitschäden drastisch. Die Häufigkeit der erektilen Dysfunktion bei Männern beträgt dabei 0–30%, wobei nach B-Verletzungen nur selten erektile Dysfunktionen beobachtet werden. Die Häufigkeit analer Sphinkterstörungen liegt bei etwa 6,6%. Pseudarthrosen nach Beckenringfrakturen sind mit 0–3% insgesamt eher selten [34].

Fazit für die Praxis

Die Versorgung von Beckenringfrakturen bei älteren Patienten stellen ganz neue Herausforderungen an das Behandlungsmanagement dar. Zusätzlich erschweren bestehende Vorerkrankungen und die häufig schlechte Knochenqualität der geriatrischen Patienten die notwendige operative Behandlung. Dennoch stellt die Qualität der erreichten Frakturreposition und eine suffiziente Stabilisierung des Beckens auch beim älteren Patienten die wichtigsten Kriterien für ein gutes Langzeitergebnis dar.

Für die operative Versorgung steht eine Reihe modifizierter Standardverfahren zur Verfügung, die auch bei älteren Patienten helfen, das sekundäre Operationstrauma zu minimieren. Durch die zusätzliche Möglichkeit der Verwendung winkelstabiler Implantate bei osteoporotischen Knochen erhofft man sich eine verbesserte Verankerung und Fixierung der Implantate, ein entsprechender Nachweis hierfür steht aber noch aus. In der Primärbehandlungssituation ist die rasche und korrekte Einschätzung der Verletzungsschwere und Blutungsintensität insbesondere beim älteren Patienten für den weiteren Verlauf entscheidend und prognosebestimmend.

Die Notwendigkeit der operativen Versorgung instabiler Frakturen des Beckens im höheren Lebensalter ist unbestritten, ein Bedarf besteht jedoch nach wie vor für die Entwicklung schlüssiger und altersentsprechend adaptierter Versorgungsstrategien der verschiedenen Verletzungsregionen und -typen am Becken.