Hintergrund

Antibiotika und Antibiotikaresistenzen im Gesundheitswesen

Antibiotika sind zur Behandlung von bakteriellen Infektionen unverzichtbar. Aber bereits wenige Jahre nach ihrer Einführung traten vermehrt Resistenzen gegen die Wirkstoffe auf. Seitdem ist zu beobachten, dass der Zeitraum zwischen der Einführung eines Antibiotikums bis zur ersten Resistenzidentifizierung gegen dieses stetig abgenommen hat [1, 2]. Erschwerend kommt hinzu, dass die Einführung neuer Antibiotika aus wissenschaftlichen, finanziellen und regulatorischen Gründen nicht mit der bakteriellen Resistenzentwicklung Schritt hält [3]. Durch ihre verbreitete Anwendung in der Human- und Veterinärmedizin haben in den letzten 20 bis 30 Jahren eine massive Resistenzentwicklung sowie Zunahme der Zahl an multiresistenten Bakterien und eine diesbezügliche Selektion stattgefunden. Gegen einige dieser multiresistenten Bakterien ist eine wirksame Therapie nur schwer realisierbar [4]. Bei der Auswahl eines Antibiotikums sind pharmakologische Eigenschaften des Wirkstoffs, Art und Ort der Infektion, Erregerempfindlichkeit und die klinische Situation entscheidungsrelevant [5]. Obwohl Antibiotika gegen Viren unwirksam sind, werden diese dennoch bei grippalen Infekten häufig verschrieben, z.  T. bei Infektionen durch Rhino- oder Adenoviren. Dies begünstigt die Resistenzentwicklung gegen die angewandten Antibiotika und ihr unnötiger Einsatz verursacht unerwünschte Nebenwirkungen wie z. B. Durchfälle sowie zusätzliche Kosten [68].

In Deutschland wird der jährliche humane Antibiotikaverbrauch auf 700  –  800 t geschätzt; 85 % davon entfallen auf Verordnungen im ambulanten Bereich [9]. Dabei sind deutliche regionale Unterschiede zu erkennen, die sich in den vergangenen Jahren als robust herausgestellt haben [1012]. Im Vergleich zu den fünf neuen Bundesländern ist die Antibiotikaverordnungshäufigkeit je 1000 Einwohnern (EW) in den alten Bundesländern höher. Während in Sachsen im Jahr 2011 10,6 DDD („defined daily dose“, Tagesdosen) je 1000 EW verordnet wurden, erhielten Patienten in Nordrhein-Westfalen 17,3 und in Rheinland-Pfalz 16,1 DDD/1000 EW [9]. Bei Einordnung der Antibiotikaverordnungen für 2012 im europäischen Vergleich ist Deutschland mit einem Verbrauch von 14,9 DDD (ATC J01) je 1000 EW pro Tag im unteren Drittel anzusiedeln. Die Niederlande und Estland haben mit 11,3 bzw. 11,6 DDD je 1000 EW den niedrigsten Antibiotikaeinsatz in Europa. Der Antibiotikaverbrauch in Frankreich, Belgien und Griechenland ist mit 29,7, 29,8 und 31,9 DDD/1000 EW bedeutend höher [13].

Durch ungeeignete Wirkstoffauswahl, Dosierung und Anwendungsdauer sowie die demographisch bedingte Zunahme der Zahl an invasiven Maßnahmen hat die Verordnungshäufigkeit von Antibiotika und damit das Risiko einer prekären Resistenzsituation zugenommen [14]. Bemühungen auf verschiedenen Ebenen haben hier in den letzten Jahren zu einem steigenden Problembewusstsein geführt. Zu nennen sind insbesondere die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie (DART), die Entwicklung einer S3-Leitlinie „Strategien zur Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus“, GesetzesnovellierungenFootnote 1 und die Fortbildungsinitiative Antibiotic Stewardship (ABS)

Antibiotika und Antibiotikaresistenzen in der Umweltchemie

Seit mehreren Jahrzehnten sind Pharmazeutika und speziell Antibiotika zentrales Thema in der Umweltchemie und Gegenstand vieler Untersuchungen. Hirsch et al. [15] gelang bereits 1999 der Nachweis von Antibiotika verschiedener Gruppen (z. B. Makrolide und Sulfonamide) in Oberflächengewässern. Seitdem konnten zahlreiche weitere Untersuchungen den Pfad der Antibiotika über das Abwassersystem und die Kläranlagen in die aquatische Umwelt belegen [1619]. Dabei wurde festgestellt, dass Kläranlagen nicht dafür konzipiert sind, Arzneimittelrückstände vollständig aus dem Abwasser zu eliminieren. Antibiotika werden wie alle anderen Arzneimittel nach der Einnahme durch den Menschen je nach Substanz unterschiedlich stark metabolisiert. Ein Teil des eingenommenen Wirkstoffs wird unverändert wieder ausgeschieden und gelangt über Urin und Fäzes in das Abwassersystem. Die bei der Verstoffwechslung entstandenen Metabolite gelangen ebenso in das Abwasser. In diesem Zusammenhang sind besonders diejenigen Metabolite kritisch zu betrachten, die wie ihre Muttersubstanz noch pharmakologisch aktiv sind.

Die Erkenntnis, dass auch antibiotikaresistente Bakterien über das Abwasser in die Umwelt gelangen ist hingegen recht neu und die diesbezüglichen Auswirkungen auf die aquatische Umwelt sind bisher kaum untersucht. Bedingungen im Abwassersystem und in der Kläranlage können neuesten Untersuchungen zufolge die Übertragung von Resistenzen zwischen den Bakterien fördern [20]. Die Entstehung von Resistenzen in diesem Milieu ist unter anderem durch die ständige Präsenz von Antibiotika und anderen Arzneimitteln und den dadurch erzeugten Stress für die Mikroorganismen sehr wahrscheinlich [2123]. Diese Zusammenhänge sind derzeit Gegenstand der Forschung und müssen zukünftig noch intensiver untersucht werden.

Bei einer Gesamtzahl von 62 zugelassenen AntibiotikaFootnote 2 ist eine Untersuchung aller Wirkstoffe im Abwasser nur schwer möglich. Verordnungsdaten stellen einen guten Ansatzpunkt dar, um häufig verordnete Antibiotika zu identifizieren und deren Eintrag in die Umwelt abzuschätzen. Die Nutzung von Sekundärdaten, sogenannte Routinedaten von Krankenkassen, ist neben den geschilderten Potenzialen auch mit Herausforderungen verbunden [2426]. Systematische Verbesserungen in der Datenqualität durch Digitalisierung, Begleitforschung, Aufbau übergreifender Datenbanken (z. B. Antibiotika Resistenz Surveillance) und gesetzliche Verankerungen (u. a. § 303a–e SGB V) haben dazu geführt, dass sich die Qualität von Sekundärdaten in den letzten Jahren deutlich verbessert hat [27, 28].

Zielstellung der Arbeit

Der vorliegende Beitrag beschreibt die sekundärdatenbasierte Entwicklung eines Modells, das im Rahmen des ANTI-Resist-ProjektsFootnote 3 der BMBF-Fördermaßnahme RiSKWaFootnote 4 dazu genutzt wurde, den Antibiotikaeintrag im urbanen Raum der Stadt Dresden abzuschätzen. Durch die Verknüpfung von Verschreibungsdaten und Abwasseranalytik wird ein Einblick in die Prognostizierbarkeit von Antibiotika im urbanen Abwassersystem gegeben. Eine zusammenhängende Darstellung von Antibiotikaverschreibung, Resistenzproblematik und Umweltrisiko unterstreicht die Notwendigkeit für ein fortwährendes Monitoring. Die konsistente Analyse von Verschreibungsdaten, Eintrag in das Abwassersystem, Transport- und Retentionsverhalten in der Kanalisation, Abbauverhalten in der Abwasser- und Schlammbehandlung bis hin zur potenziellen Entwicklung und Verbreitung von Antibiotikaresistenzen in den zuvor genannten Kompartimenten wurde in dieser Ganzheitlichkeit bisher nicht durchgeführt. Resultate in diesem Arbeitsgebiet sind erforderlich, um ein Monitoring von Antibiotikaeinträgen in das urbane Abwasser zu etablieren. Ziel ist es, Steuerungsoptionen im Kanalnetz und Verfahrenstechniken im Abwasserreinigungsprozess zu konzipieren und zu optimieren, sodass potentielle Risiken für Mensch, Tier und Umwelt minimiert werden können. Neben potentiellen Ansatzpunkten zu baulichen und steuerungstechnischen Entwicklungen in der Zukunft, regen die Untersuchungen zu einer Bewusstseinsschärfung für verantwortungsvolles Verschreibungsverhalten in der Humanmedizin sowie zur gesteigerten Therapietreue und bewusster Arzneimittelentsorgung auf Patientenseite an.

Datengrundlage und Methode

Zur datengetriebenen Abschätzung des Antibiotikaeintrags in das Dresdner Abwasser wurden ambulante Verordnungsdaten und stationäre Verbrauchsdaten analysiert. Grundlage für die Abschätzung der eingetragenen Antibiotikamengen war die Analyse der Verschreibungsdaten im Zeitraum 2005 bis 2013, die durch die AOK PLUS (Sachsen und Thüringen) zur Verfügung gestellt wurden. Bei diesen Daten handelt es sich um Sekundärdaten, da sich ihr primärer Erhebungsanlass von der durchgeführten Datennutzung innerhalb des Projekts ANTI-Resist unterscheidet. Im Stadtgebiet Dresden sind etwa 41 % der Einwohner bei der AOK PLUS versichert. Ein Vergleich mit allen Antibiotikaverordnungen an gesetzlich versicherte Patienten durch in Dresden niedergelassene Ärzte auf Datenbasis der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen konnte diesen Anteil bestätigen [29]. Neben Informationen über den angewendeten Wirkstoff, die verschriebene Wirkstoffmenge und den Verschreibungszeitpunkt enthalten die zur Verfügung stehenden Daten demographische Angaben wie z. B. Wohnort, Alter und Geschlecht. Eine Auswertung des Verbrauchs ist auf Kalenderwochenebene möglich. Die Daten liegen pseudonymisiert vor und können anhand der Postleitzahl den einzelnen Stadtgebieten zugeordnet werden.

Als Untersuchungsgebiet wurde die Stadt Dresden mit der zentralen Kläranlage in Dresden Kaditz ausgewählt. Abb. 1 zeigt schematisch das Einzugsgebiet der Dresdner Kläranlage und die möglichen Eintragsquellen für Antibiotika und Antibiotikametabolite in das Abwasser. Bei der Abschätzung von Einträgen in das urbane Abwasser wird zwischen diffusen Quellen (Haushalten) und Punktquellen (Industrien, Einrichtungen des Gesundheitswesens) unterschieden. Über das Kanalnetz gelangt das Abwasser in die Kläranlage. Das hier gereinigte Abwasser wird über den Kläranlagenablauf in angrenzende Oberflächengewässer eingetragen.

Abb. 1
figure 1

Eintragswege von Antibiotika aus Punktquellen und diffusen Quellen über die Kläranlage in die Umwelt (vereinfachte Darstellung nach [48])

Die Antibiotikaeinträge aus dem Veterinärbereich in den Wasserkreislauf sind im vorliegenden primär urbanen Untersuchungsgebiet zu vernachlässigen. Außerdem wurde keine industrielle Produktion der untersuchten Antibiotika festgestellt. Daher wurden ausschließlich ambulante Verordnungs- und stationäre Verbrauchsdaten aus der Humanmedizin betrachtet und in die Analyse des Antibiotikaeintrags einbezogen. Das Stadtgebiet Dresden entspricht nicht dem Gesamteinzugsgebiet der Kläranlage Dresden Kaditz [30]. Die Verschreibungsinformationen der zusätzlich einleitenden Gemeinden wurden für die Betrachtung der Kläranlage ergänzend ausgewertet, in der Datenanalyse des Stadtgebiets Dresdens aber nicht berücksichtigt. Für den stationären Bereich konnten die Verbrauchsdaten dreier Krankenhäuser in Dresden ausgewertet werden (Uniklinikum Dresden, Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt, Krankenhaus Dresden-Neustadt). Für das betrachtete Gesamteinzugsgebiet der Kläranlage Dresden Kaditz stellen diese drei Einrichtungen 65 % der Gesamtbettenkapazität. Die Daten zu den Krankenhäusern konnten auf Monats- bzw. Quartalsebene ausgewertet werden. Die Verbrauchsmenge der ambulant und stationär eingesetzten Antibiotika wurde auf Grundlage der Verschreibungshäufigkeit und der jeweiligen definierten Tagesdosis errechnet.

Ergebnisse und Diskussion

Auswertung ambulanter und stationärer Verbrauchsdaten

Basierend auf den ambulanten Verschreibungsdaten und der Höhe des Verbrauchs wurden die in Abb. 2 aufgelisteten Fokussubstanzen der unterschiedlichen Antibiotikaklassen für die Untersuchungen im Projekt ANTI-Resist ausgewählt. Die 13eingeschlossenen Antibiotika haben in der Summe einen Anteil von 80 % an den ambulanten Antibiotikaverordnungen in Dresden. Außerdem wurden die krankenhaustypischen Antibiotika Piperacillin (Betalaktam – Penicillin), Cefotaxim (Betalaktam – Cephalosporin) und Vancomycin (Glycopeptid) in die Auswertung integriert.

Abb. 2
figure 2

Liste der ausgewählten Fokussubstanzen (ambulant) für die Untersuchung der Eintragsmengen in das urbane Abwassersystem der Stadt Dresden

Zur Bewertung des Eintrages der Antibiotika in das Abwassersystem ist es notwendig, die Verbrauchsmengen anhand der Verschreibungshäufigkeit zu bestimmen. In Abb. 3 sind sowohl die Verschreibungshäufigkeit als auch Verbrauchsmenge für die Auswertung der AOK PLUS – Daten für das Stadtgebiet Dresden dargestellt. Wie auch im bundesweiten Vergleich führen Amoxicillin, Cefuroxim und Doxycyclin die Verordnungsstatistik an. Bei Vergleich der Verschreibungshäufigkeit und -menge ist auffällig, dass eine häufige Verschreibung nicht zwangsläufig auch eine hohe Verbrauchsmenge bedeutet. Zum Beispiel ist das Doxycyclin ein Antibiotikum mit hoher Anwendungshäufigkeit. Aufgrund der geringen definierten Tagesdosis ergibt sich aber eine vergleichsweise geringe Verbrauchsmenge. Die Antibiotika mit den höchsten Verbrauchsmengen sind Amoxicillin, Penicillin V, Cefuroxim und Clindamycin. Die Verbrauchsmengen von Levo- und Ofloxacin wurden in der Analyse zusammengefasst, da es sich um Enantiomere handelt, die sich mit der in der Abwasseranalytik verwendeten Methodik nicht unterscheiden lassen.

Abb. 3
figure 3

Ambulante Verschreibungshäufigkeit (oben) und – menge (unten) im Zeitraum von 2005 bis 2013 für die ausgewählten Fokussubstanzen (Versicherte der AOK PLUS, nur im Stadtgebiet Dresden)

Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass sich die Gesamtmenge der ambulant verordneten Antibiotika auf konstantem Niveau bewegt. Für Amoxicillin (+ 17 %) und Cefuroxim (+ 49 %) ist eine Zunahme in den Verordnungsmengen von 2009 bis 2013 festzustellen. Im gleichen Zeitraum sind starke Rückgänge für Sulfamethoxazol/Trimethoprim und Doxycyclin erkennbar. Die ambulant verordneten Mengen nahmen um knapp ein Drittel (− 28 %) bzw. ein Fünftel (− 21 %) ab (Abb. 3).

Kritisch zu betrachten ist die zunehmende Verordnung der Cephalosporine, v. a. ab Wirkstoffen zweiter Generation (u. a. Cefuroxim). Aufgrund des breiten Wirkspektrums sollte diese Klasse den schweren Infektionen vorbehalten sein. Auch die konstant hohe Verschreibungshäufigkeit der Fluorchinolone Cipro-, Levo- und Ofloxacin muss hinterfragt werden [9]. Neben Clindamycin und den Cephalosporinen der dritten Generation werden diese als Hauptursache für die Resistenzentwicklung bei gramnegativen Bakterien und von Infektionen durch Clostridium difficile gesehen [9]. Ob die Antibiotika bereits primär oder erst nach erfolgter Therapie mit vorangegangenem Wirkstoff (wegen Wirkungslosigkeit oder schlechter Adhärenz) zum Einsatz kommen, kann anhand der vorliegenden Daten nicht geklärt werden. Untersuchungen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) belegen einen bis 2010 ansteigenden Trend zur Anwendung von Reserveantibiotika. Demnach hat sich deren Anteil von 1991 bis 2010 von 12 auf 48 % vervierfacht [31].

Um zukünftige Belastungen des Abwassers voraussagen zu können, sind altersbezogene Untersuchungen der Eintragsabschätzung notwendig. Zur Identifizierung altersgruppenspezifischer Unterschiede wurde die Verschreibungsmenge je 1000 Einwohner für fünf Altersgruppen verglichen (Abb. 4). In der vorliegenden Analyse ist zu erkennen, dass Betalaktame im Kindesalter sehr häufig eingesetzt werden und mit zunehmendem Alter an Bedeutung verlieren. Tetrazykline, Clindamycin und Fluorchinolone kommen bei Kindern kaum zum Einsatz, da sie kontraindiziert sind. Mit zunehmendem Alter werden häufiger Fluorchinolone eingesetzt. Demnach entfällt jede fünfte Verordnung in der Altersgruppe der über 65-Jährigen auf Ciprofloxacin. Zusätzlich ist im höheren Lebensalter ein vermehrter Anteil stationärer Antibiotikaverordnungen zu erwarten [9]. Bei zunehmender Überalterung der Gesellschaft und gleichbleibenden Verordnungsmustern ist eine weitere Zunahme des Einsatzes von Levo-/Ofloxacin und Ciprofloxacin wahrscheinlich. Auch andere Untersuchungen wie die von Hering et al. [12] konnten jüngst altersabhängige Unterschiede zeigen. Im Verhältnis zu den Altersgruppen 20 bis 29 Jahre sowie 30 bis 69 Jahre ist der Antibiotikaverbrauch in den Altersgruppen von 0 bis 14 Jahre und ab 70 Jahren erhöht. Innerhalb des betrachteten Zeitraums (2008 bis 2012) waren die jährlichen Antibiotikaverordnung in diesen Altersgruppen jedoch rückgängig. In der größten Altersgruppe der 15- bis 69-Jährigen konnte kein signifikanter Rückgang festgestellt werden [12].

Abb. 4
figure 4

Verordnete Menge der Fokussubstanzen (ambulanter Einsatz) aufgeteilt nach Altersgruppen für das Jahr 2013

Die Ergebnissen der Auswertung des ambulanten und stationären Antibiotikaverbrauchs für das Einzugsgebiet der Kläranlage Dresden Kaditz spiegeln den in anderen Studien festgestellten Anteil von 85 % an der gesamten Antibiotikaverordnung im ambulanten Bereich wider (Abb. 5; [9]). Für die meisten Substanzen ist der ambulante Verbrauch wesentlich höher als der stationäre. Lediglich bei Cefuroxim ist das Verhältnis ausgeglichen. Cefotaxim und Piperacillin werden ausschließlich stationär eingesetzt. Hierbei ist zu beachten, dass der stationäre Verbrauch an Piperacillin am Uniklinikum Dresden innerhalb von 3 Jahren (2010 bis 2013) um 28 % zugenommen hat. Der mengenmäßig größere Eintrag der meisten Antibiotika in das kommunale Abwasser erfolgt demnach diffus durch Abwasser aus den Haushalten und nicht über die Abwässer der Krankenhäuser.

Abb. 5
figure 5

Verordnete Mengen der Fokussubstanzen in der ambulanten und stationären Versorgung im Einzugsgebiet der Kläranlage Dresden Kaditz im Jahr 2013

Basierend auf der datengetriebenen Abschätzung des Antibiotikaeintrags wurde zusätzlich untersucht, inwieweit ein erhöhter Eintrag bzw. eintretende Belastungsspitzen prognostiziert werden können. Eine Möglichkeit der Vorhersage eines potenziell erhöhten Antibiotikaeintrags bilden saisonale, periodisch wiederkehrende Muster. Untersuchungen des saisonalen Verlaufs bei einigen Antibiotika zeigen, dass dieser sehr gut mit dem Verlauf des Google Flu Trends, also mit grippebezogenen Suchanfragen via Google, korreliert [32]. Der Google Flu Trend liefert wöchentlich die Anzahl von Krankheitsfällen mit Atemwegsinfektion. Die besten Übereinstimmungen zeigen sich dabei für die Vertreter der Makrolidgruppe (Azithromycin, Roxithromycin und Clarithromycin). Abb. 6 zeigt den saisonalen Verlauf der Verschreibungsmengen am Beispiel des Roxithromycins. Erkennbar sind ein Peak in den kalten Wintermonaten und ein deutlicher Rückgang im Sommer. Diese ausgeprägte Saisonalität ist nicht für alle Antibiotika feststellbar. Abhängig vom Einsatzspektrum gibt es auch Substanzen, die im Jahresverlauf konstant verbraucht werden. Hier ist z. B. das Clindamycin zu nennen, das durch seine verbreitete Anwendung in der Zahnmedizin und Orthopädie keine Saisonalität aufweist. Die Vorhersage von Eintragsmengen kann dazu genutzt werden, um bei außergewöhnlichen Belastungen gezielte Steuerungsoptionen im Kanalnetz und während der Abwasserreinigung in der Kläranlage zu entwickeln.

Abb. 6
figure 6

Saisonale Schwankungen der Verschreibungsmenge am Beispiel des Roxithromycins für die Jahre 2010 bis 2013 (Versicherte der AOK PLUS, nur im Stadtgebiet Dresden)

Antibiotika im Abwasser

Da Kläranlagen nicht dafür konzipiert wurden, Arzneimittelrückstände aus dem Abwasser zu entfernen, geht ein erhöhter Eintrag von Arzneimitteln in das Abwasser unweigerlich mit einem potenziellen Eintrag in die aquatische Umwelt einher. Damit besteht außerdem das Risiko, dass Rückstände über das aus Oberflächen – und Grundwasser gewonnene Trinkwasser vom Menschen aufgenommen werden könnten [33, 44].

Um den Eintrag in die Umwelt abschätzen zu können, ist es erforderlich, neben den Verbrauchsmengen auch die Pharmakokinetik der Antibiotika und ihre Exkretionsraten zu kennen. Über die Verbrauchsmenge und die substanzspezifische Exkretionsrate ist eine ungefähre Abschätzung der im Abwasser erwarteten Frachten möglich. Die Datenlage bzgl. der Exkretion der Arzneimittel ist jedoch meist unzureichend und die diesbezüglichen Angaben schwanken sehr stark, sodass eine Vorhersage der Mengen im Abwasser sehr fehlerbehaftet sein kann [34, 35]. In diesem Zusammenhang ist es außerdem wichtig, relevante Metabolite der Wirkstoffe zu identifizieren. Auch diese können – wie z. B. das Clindamycin-Sulfoxid – noch pharmakologisch aktiv sein. Die Verfügbarkeit der Metabolite selbst sowie der Daten über die, durch Metabolisierung im menschlichen Körper entstehenden Mengen ist jedoch limitiert. Bisher wurden bei Untersuchungen zur Wirkung von Antibiotika relevante Metabolite und deren potentielle biologische Aktivität zumeist ausgespart. Dies ist folglich ein Forschungsfeld, auf dem dringend weitere Studien durchgeführt werden müssen. Dies gilt sowohl für den Metabolismus und die Metaboliten-Ausscheidung durch den Menschen als auch für das weitere Verhalten dieser Substanzen im Abwasser.

Die Analyse der Antibiotika im Abwasser erfolgte mittels einer Kombination von Festphasenextraktion, Hochleistungschromatographie und Tandem-Massenspektrometrie (SPE-HPLC-MS/MS). Basierend auf der Auswahl der Fokussubstanzen wurden Methoden zur Extraktion und Detektion der Antibiotika entwickelt [16]. Ziel war die tägliche Analyse von Abwasserproben der Kläranlage Dresden Kaditz im Untersuchungszeitraum von Oktober 2012 bis Dezember 2013. Dabei sollten sowohl Zu- als auch Ablaufproben untersucht werden. In Abb. 7 und 8 sind Ergebnisse der Untersuchungen dargestellt. Die höchsten Konzentrationen wurden im Zulauf für Cefuroxim, Doxycyclin, Levofloxacin, Piperacillin und Sulfamethoxazol gemessen. Aber auch im Ablauf der Kläranlagen konnten für einige Antibiotika, wie z. B. Cefuroxim, Azithromycin und Piperacillin, vergleichsweise hohe Konzentrationen bestimmt werden. Diese gelangen mit dem Abwasser in die aquatische Umwelt. Angesichts des steigenden Verbrauchs von Cefuroxim und Piperacillin sind die hohen Konzentrationen im Kläranlagenablauf besonders kritisch zu betrachten. Die genauen Folgen für die aquatische Umwelt sind derzeit noch Gegenstand der Forschung. Die Notwendigkeit, auch Metabolite zu berücksichtigen zeigt das Beispiel des Clindamycin-Sulfoxid. Dieses wurde im Vergleich zum Clindamycin selbst stets mit höheren Konzentrationen im Abwasser gemessen [36]. Allerdings liegen derzeit keine Informationen zu seiner Wirkung (Ökotoxikologie) in der aquatischen Umwelt vor.

Abb. 7
figure 7

Darstellung der ermittelten Konzentrationen in Abwasserproben der Kläranlage Dresden Kaditz, Daten entnommen aus Rossmann et al. [16]

Abb. 8
figure 8

Ermittelte durchschnittliche Zulauffrachten anhand gemessener täglicher Konzentrationen für das Jahr 2013 am Beispiel Roxithromycin

Unter Berücksichtigung der Abwassermenge und der gemessenen Antibiotikakonzentrationen im Zulauf der Kläranlage ist es möglich, die tägliche Zulauffracht der Antibiotika zur Kläranlage zu bestimmen. Anhand der Frachten können unterschiedliche Messzeitpunkte verglichen werden. Abb. 8 zeigt die ermittelten durchschnittlichen monatlichen Frachten im Kläranlagenzulauf für das Makrolid Roxithromycin. Analog zu den vorgestellten saisonalen Schwankungen der Verschreibungsmenge am Beispiel des Roxithromycins für die Jahre 2010 bis 2013 (Abb. 6) ist auch bei den im Abwasser ermittelten Zulauffrachten ein Jahresgang erkennbar. Dieser zeigt einen Frachtanstieg in den Wintermonaten an.

Neben der möglichen Resistenzentwicklung wurde in den letzten Jahren auch das toxische Potenzial des Arzneimittelcocktails diskutiert. Die Ermittlung des Schadpotentials von Antibiotika in der Umwelt erfolgt anhand von Toxizitätsuntersuchungen an verschiedenen Organismen (z. B. Alge oder Fisch). Die Ergebnisse dieser Untersuchungen zeigen, dass bereits Konzentrationen einzelner Substanzen von wenigen Nanogramm pro Liter zu einer Beeinträchtigung der aquatischen Organismen führen und so die Nahrungskette des Gewässers beeinflussen. Der „Arzneimittelcocktail“ im Kläranlagenablauf führt durch das gleichzeitige Auftreten einer Vielzahl von Antibiotika darüber hinaus zu einer zusätzlichen Toxizitätserhöhung (Synergien) [37]. Da sowohl die Einzel- als auch Mischtoxizität von der jeweilig vorliegenden Umweltkonzentration abhängt, sind sie durch das Verbraucherverhalten des Menschen direkt beeinflussbar.

Herausforderungen des identifizierten Problems

Die Komplexität der Thematik erfordert eine Kombination verschiedener Strategien, um einerseits die Verschreibungshäufigkeit durch behandelnde Ärzte auf ein notwendiges Maß zu begrenzen, und andererseits auch Patienten und Laien durch Aufklärung gleichermaßen einzubeziehen. Untersuchungen haben das z. T begrenzte Wissen der Patienten um die Wirkungsweise von Antibiotika belegen können. Im Rahmen des Europabarometers der Europäischen Kommission gaben 48 % der 1505 Befragten in Deutschland an, dass Antibiotika gegen Viren helfen, 49 % waren der Meinung, sie könnten sowohl eine Grippe als auch eine Erkältung bekämpfen [38].

Andere Untersuchungen zur Verschreibungspraxis deuten auf fehlerhafte Annahmen bezüglich der jeweiligen Erwartungshaltung in der Arzt-Patient-Kommunikation hin. Demnach nehmen viele Patienten an, dass der behandelnde Arzt ein Medikament verschreiben wird, was aus Sicht des Behandlers z. T. als Wunsch interpretiert wird [3941]. Analog gaben bei einer Befragung von 1076 Personen mehr als ein Drittel (34,4 %) an, dass sie bereits vor dem Gespräch mit dem behandelnden Arzt wüssten, dass sie ein Antibiotikum benötigen. Ein vorzeitiger Abbruch der Behandlung (14,7 %) sowie die eigenständige Modifizierung der ärztlich vorgeschriebenen Einnahmemenge (5,4 %) unterstreichen den Umstand eines verbreiteten, unsachgemäßen Gebrauchs von Antibiotika auf Patientenebene [42]. Hohe Antibiotikaverschreibungsmengen stehen in dringendem Verdacht, die Resistenzproblematik zu verstärken. Zusätzlich ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass Antibiotikaresistenzen nicht ausschließlich die Auswirkung, sondern auch die Ursache für den Antibiotikaverbrauch sind. Hintergrund sind resistente Organismen, die hoch dosierte oder alternative Antibiotikagaben erfordern [43].

Die Verschränkung von Medikamenteneinnahme und Umweltschutz wird anhand der Arzneimittelentsorgung deutlich. Untersuchungen belegen auch hier den z. T. gravierenden Bedarf an Aufklärung und Information. Eine Befragung von 2026 Personen in Deutschland ergab einen Anteil von 47 %, der flüssige Medikamentenreste über die Spüle oder die Toilette entsorgt [32]. Um die regionalen Unterschiede bei der Arzneimittelentsorgung für Deutschland zu erfassen, ist innerhalb der BMBF-Fördermaßnahme RiSKWa eine interaktive Zusammenfassung entwickelt wordenFootnote 5.

Weitere Handlungsoptionen zur Verringerung des Eintrags von Arzneimittelwirkstoffen in den Wasserkreislauf bestehen z. B. in der Entwicklung biologisch abbaubarer Arzneimittel und in der technischen Weiterentwicklung der Abwasserbehandlung [33]. Ein mögliches Vorbild kann in diesem Zusammenhang das Modell der Schweiz sein. Hier wird seit Novellierung des Schweizer Gewässerschutzgesetzes die flächendeckende Implementierung einer zusätzlichen vierten Reinigungsstufe, z. B. durch Ozonierung oder Aktivkohlebehandlung, umgesetzt [45, 46]. Diesem ausgesprochen ehrgeizigen Modell zur Reduktion von Mikroschadstoffen ging ein Volksentscheid und eine „Willingness to Pay“ Analyse voraus, die eine breite Unterstützung der Bevölkerung ergab [47]. In Deutschland ist eine gezielte Spurenstoffelimination derzeit nicht gesetzlich fixiert. Im Vordergrund stehen aktuell die Diskussion von Handlungsoptionen zur Reduktion der Umweltbelastung mit Arzneistoffen sowie entsprechende Finanzierungsmöglichkeiten für die Erweiterung von Kläranlagen [48, 49].

Fazit für die Praxis

Die vorgestellten Ergebnisse halten dazu an, das Bewusstsein zum verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika in der Humanmedizin zu schärfen. Die analysierten Verbrauchsmengen bilden die Grundlage für die Etablierung eines Monitorings der Antibiotikaeinträge in das Abwassersystem. Diese können dazu genutzt werden, zukünftige Einträge vorauszusagen und durch passfähige Maßnahmen, wie Steuerungsoptionen im Kanalnetz oder verfahrenstechnische Optionen in der Kläranlage, regulatorisch einzugreifen.

Anhand der Ergebnisse lassen sich folgende Kernbotschaften und Forschungsaufträge ableiten.

  • Verschreibungsdaten sind grundsätzlich dazu geeignet, den Antibiotikaeintrag in das Abwassersystem abzuschätzen. Unter Beachtung der identifizierten saisonalen Verordnungsmuster können diese Informationen genutzt werden, um den Antibiotikaeintrag für kommende Jahre zu prognostizieren. Die vorgestellten Verordnungsdaten wurden innerhalb des Projekts genutzt, um ein GeoportalFootnote 6 zu entwickeln. Hierbei wurden die ermittelten ambulanten und stationären Antibiotikaverordnungen geo-statistisch analysiert und mit sozioökonomischen Variablen erweitert, um jahreszeitliche Verläufe und Verschreibungsmuster zu erkennen.

  • Die ersten Untersuchungsergebnisse des durchgeführten Kläranlagenmonitorings unterstreichen, dass Kläranlagen nicht dafür konzipiert sind, Rückstände von Arzneimitteln aus dem Abwasser zu eliminieren. Bei Betrachtung der Eintragsmengen sind auch Metabolite, wie z. B. das Clindamycin-Sulfoxid, zu berücksichtigen. Eine exakte Vorhersage der Eintragsmengen in das Abwassersystem ist aufgrund der (teilweise) schlechten Datenlage bzgl. Metabolismus und Exkretion sowie der nur zeitlich versetzten Verfügbarkeit der Sekundärdaten lediglich eingeschränkt möglich.

  • Zu großen Teilen spiegelt der Antibiotikaeinsatz in Dresden bundesweite Verordnungscharakteristika wider. Während die Verordnungsmenge als Summe der betrachteten Fokussubstanzen überwiegend konstant bleibt, steigt der Anteil von Cephalosporinen und Fluorchinolonen, die durch ihr breites Wirkspektrum die Resistenzproblematik verstärken können. Auch konnten saisonale Trends, z. B. häufige Verschreibung der Makrolide in kälteren Jahreszeiten, und altersabhängige Verordnungsmuster, wie vermehrte Fluorchinolonverschreibungen im Alter, dargestellt werden.

  • In einem aktuellen Expertenartikel verweisen Berendonk et al. [23] auf zentrale Maßnahmen, um das von antibiotikaresistenten Genen in der Umwelt ausgehende Risiko zu minimieren. Zu diesen Maßnahmen gehören die Identifikation von kritischen Kontrollpunkten (wie z. B. Krankenhaus- oder spezielle Industrieabwässer), die Entwicklung verlässlicher Überwachungs- und Risikobewertungsverfahren und die Implementierung von technischen Verfahren zur Prävention von Umweltkontamination durch resistente Bakterien und Gene.

  • Die Forderung nach sachgemäßer Antibiotikaverschreibung ist ebenso einfach wie komplex. Untersuchungen haben gezeigt, dass ein verantwortungsvoller Umgang mit Antibiotika keine Alleinverantwortung von medizinischem Fachpersonal, sondern vielmehr die Folge einer sukzessiven Weiterentwicklung von Strukturen, Dokumentation, Weiterbildung und Aufklärung sein kann.

Nur eine intensive Zusammenarbeit von Grundlagen- und Praxisforschung mit aktiver Beteiligung von Behörden und Entscheidungsträgern kann dazu beitragen, die langfristige Perspektive für die geschilderten Handlungsoptionen zu gewährleisten.