Zusammenfassung
Hintergrund und Fragestellung
Antibiotika gelangen über das Abwassersystem in die Abwasserreinigungsanlage und verlassen diese auch teilweise unverändert nach den dort stattfindenden Reinigungsprozessen. Die biologisch aktiven Substanzen gelangen in das sich anschließende Fließgewässer und können die darin lebenden Organismen negativ beeinflussen. Es ist daher erforderlich, den Eintrag, Transport und Verbleib sowie die Effekte der Antibiotika zu charakterisieren, um Maßnahmen zur Schadensminimierung zu identifizieren und effizient einzusetzen.
Material und Methoden
Für die Auswertung standen die wöchentlich erfassten Verschreibungsdaten der AOK PLUS (2005–2011) zur Verfügung, welche auf das Einzugsgebiet der betreffenden Kläranlage Dresden-Kaditz extrapoliert wurden. Die Abgabemenge der Krankenhausapotheken der drei größten Dresdner Krankenhäuser ergänzten die Abschätzung des Antibiotika-Eintrags. Die Verifizierung der extrapolierten Eintragsdaten erfolgte auf Basis der Analyse der Antibiotikakonzentrationen im Zulauf der Kläranlage. Das Messprogramm umfasste tägliche 24h-Mischproben von Oktober 2012 bis Oktober 2013.
Ergebnisse und Diskussion
Die Auswertung der Messdaten ergab erwartungsgemäß eine geringe Wiederfindungsrate für die Beta-Laktam-Antibiotika. Dem gegenüber war es möglich, einen guten Abgleich zwischen den verschriebenen Mengen anderer Antibiotikagruppen und den korrespondierenden Frachten im Kläranlagenzulauf herzustellen. Hierzu zählen unter anderem die Makrolide Roxithromycin, Clarithromycin und Azithromycin, welche zusätzlich eine ausgeprägte saisonale Komponente aufweisen. Inwieweit die Abschätzung von stark adsorbierenden Substanzen wie den Fluorchinolonen und Tetracyclinen verbessert werden kann, ist zu prüfen. Nach bisherigem Kenntnisstand führt deren starke Affinität zu Feststoffen zu einer Verzögerung des Transportes in der Kanalisation, die aufgrund der Komplexität des Ableitungssystems nur schwer verifizierbar ist.
Abstract
Background and objective
The consumption of antibiotics by humans leads to their excretion with no or partial elimination of the biologically active compounds. Furthermore, a multitude of antimicrobial substances are not being eliminated by conventional waste water treatment and ultimately discharged into the receiving waters. Antibiotics, even at low concentrations, are potent stressors to aquatic organisms and trigger a negative impact on the ecosystem. Hence, a better understanding of input, transport and transformation processes is needed for applying an adequate risk assessment and management of these substances.
Material and methods
Prescription data provided by the statutory health insurance company AOK PLUS were extrapolated to estimate antibiotic inputs in the catchment area of the sewage treatment plant Dresden-Kaditz. Additional data from three major hospitals support and refine the input prognosis. In order to confirm the employed assumptions used for the input estimation a measuring program was established which covered the period from October 2012 to October 2013. 24h-mixed composite samples were taken daily and analyzed for a variety of antimicrobial substances.
Results and discussion
As expected, antibiotics of the beta-lactamases group show poor recovery rates at the inflow of the wastewater treatment plant. In turn, determined input loads of some persistent antibiotics correspond well with the estimated amount of the prognosis method. The seasonal variation of the macrolides Roxithromycin, Clarithromycin and Azithromycin was also well recovered and underlines the estimation robustness. It needs to be established whether the prognosis can be extended to substances with high adsorption affinity to particulate matter. Antibiotics like fluorquinolones and tetracyclines show delayed transport behavior in sewer systems due to their accumulation on to the sewer sediment. These processes are highly complex and hard to verify.
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Hintergrund und Fragestellung
Seit einigen Jahren beschränkt sich die Aufgabe der kommunalen Abwasserbehandlung nicht mehr nur auf die Elimination von organischen Kohlenstoffverbindungen und Nährstoffen, vielmehr rückt die Verringerung von Mikroverunreinigungen, wie beispielsweise Pharmaka, zusätzlich in den Fokus von Betreibern und Behörden. Antibiotika nehmen hierbei aufgrund ihrer bakteriziden und bakteriostatischen Eigenschaften einen besonderen Stellenwert ein, da Bakterien sowohl im biologischen Reinigungsprozess als auch in der aquatischen Umwelt einen maßgebenden Einfluss ausüben. Es ist erforderlich, den Eintrag, den Verbleib und die Effekte der Antibiotika genau zu charakterisieren, um Maßnahmen zur Schadensminimierung zu identifizieren und effizient einzusetzen.
Massenbilanzen stellen ein probates Mittel dar, die Verbreitungspfade persistenterFootnote 1 Substanzen in abgeschlossenen Systemen zu beschreiben. Sie sind ein unverzichtbares Hilfsmittel für die Stoffflussanalyse, da der Analytik von Umweltschadstoffen qualitative (Nachweisgrenze, Messgenauigkeit) und quantitative (Analyseumfang, Kosten) Grenzen gesetzt sind. Aufgabe ist, in diesem Zusammenhang zu prüfen, inwieweit die von der AOK PLUS erhobenen Verschreibungsdaten für eine Vorhersage der in ein öffentliches Kanalsystem eingetragenen Antibiotikafrachten genutzt werden können. Der Fokus liegt dabei auf der Vorhersagegenauigkeit von Antibiotika mit ausgeprägter Saisonalität im Verschreibungsaufkommen, wie z. B. die Stoffgruppe der Makrolide.
Studiendesign und Untersuchungsmethoden
Ambulante und stationäre Verschreibungsdaten
Die von der AOK PLUS verfügbaren Daten beinhalten die wöchentlich verschriebenen Antibiotika-Mengen der AOK-Versicherten für die Jahre 2005–2011 für das Stadtgebiet Dresden. In die Untersuchung eingeflossen sind die in ◉ Tab. 1 dargestellten, mengenmäßig meistverschriebenen Antibiotika. Die Menge der stationär verabreichten Antibiotika wurden auf Basis der Verschreibungsdaten der 3 größten Dresdner Krankenhäuser kalkuliert. Die Krankenhäuser „Universitätsklinik Carl Gustav Carus“, „Neustadt“ und „Friedrichstadt“ umfassen ca. 65 % aller verfügbaren Krankenhausbetten im Einzugsgebiet (EZG) der Kläranlage Dresden-Kaditz. Die lediglich monats- bzw. quartalsweise vorliegenden Daten wurden über das Jahr gemittelt und zu den ambulant verschriebenen Mengen addiert.
Ausscheidung von Antibiotika
Die Ausscheidungsform dargebotener Antibiotika, wie auch anderer Pharmawirkstoffe, ist substanzspezifisch und inhomogen. Neben des unveränderten Antibiotikums (Muttersubstanz) werden eine Vielzahl von Umbauprodukten (Metabolite) ausgeschieden, welche z. T. nicht oder nur im begrenzten Maße bekannt und nachweisbar sind. Die Pharmakokinetik jeder Einzelsubstanz wird herangezogen, um den ausgeschiedenen Anteil der Muttersubstanz bzw. stabiler Metabolite und damit letztendlich die ausgeschiedene Antibiotikafracht zu ermitteln. Die Ausscheidung der Muttersubstanz kann auf zwei Wegen erfolgen:
-
1.
Das Antibiotikum wird im Darm oder Magen nicht resorbiert und direkt über den Fäzes ausgetragen (es gilt die Annahme, dass während der Passage durch den Darm keine nennenswerten Um- und Abbauprozesse stattfinden)
-
2.
Das Antibiotikum wird im Darm oder Magen resorbiert und gelangt in den Blutkreislauf. Die „Entgiftung“ des menschlichen Kreislaufs findet in der Leber oder Galle statt, wo die Muttersubstanz ganz oder zu einem bestimmten Teil abgebaut wird
Für parental bzw. intravenös verabreichte Antibiotika trifft immer der 2. Fall zu, da diese Darreichungsform einer 100 %igen Resorption entspricht und keine Verluste über die Darmpassage entstehen. In dieser Untersuchung betrifft das die stationär eingesetzten Antibiotika Piperacillin und Cefotaxim. Die ausgeschiedenen Anteile an Antibiotika sind ◉ Tab. 1 zu entnehmen.
Hochrechnung für das Kanalnetz der Kläranlage Dresden-Kaditz
Das Dresdner Kanalnetz ist ca. 1700 km lang und leitet das Abwasser der Städte Dresden, Freital, Heidenau, Pirna und Radebeul-Ost sowie weiterer Kleinstädte und Kommunen zur Kläranlage (KA) Dresden-Kaditz. Derzeit sind neben einigen Industrie- und Gewerbebetrieben im Mittel ca. 650.000 Einwohner an die Kläranlage angeschlossen. Gemessen am gesamten Einzugsgebiet nimmt die Dresdner Bevölkerung einen Anteil von ca. 80 % ein. Da lediglich die Verschreibungsdaten von Dresden vorliegen, wird die durchschnittliche Verschreibungsmenge pro Einwohner auf die ebenfalls einleitenden Städte und Kommunen (restlichen 20 %) übertragen. Diese Annahme wurde für 6 Antibiotika durch eine Datenabfrage für die Randgebiete bestätigt und auf die anderen Substanzen angewendet. Eine Übersicht der spezifischen Frachten ist in ◉ Tab. 1 enthalten. Die Approximation der verschriebenen AOK-Mengen für die gesamte Bevölkerung im Einzugsgebiet erfolgt über den Anteil AOK-Versicherter in Dresden und der einleitenden Gebiete und bezieht sich auf die Dresdner Gesamtbevölkerung. Der Anteil der Privatversicherten beträgt ca. 10 % [6], bezogen auf die Mitgliederzahl der privaten und gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland. Es wird die gleiche Verschreibungspraxis für Patienten beider Versicherungstypen angenommen. Weiterhin werden die 40.000 (netto, ca. 6 % des EZG der KA Dresden-Kaditz) [3] von außerhalb nach Dresden pendelnden Beschäftigten vernachlässigt. Diese Annahme ist begründet, da die Einnahme von Antibiotika im Regelfall mit einer Krankschreibung einhergeht.
Die Verschreibungsdaten liegen mit einer Verzögerung von ein bis zwei Jahren vor, so dass Annahmen für deren Entwicklung getroffen werden müssen. Die Prognose der mittleren Jahresmengen für 2012 und 2013 werden daher aus dem durchschnittlichen Trend von 2009–2011 bzw. 2010–2012 abgeschätzt (siehe Beispiel Roxithromycin in ◉ Abb. 1). In Verbindung mit dem aus den Jahren 2005–2011 ermittelten saisonalen Verlauf wird der Erwartungswert der Verschreibungen für den Zeitraum des Messprogramms definiert.
Der Vergleich von Verschreibungs- und Felddaten wird nach zwei Kriterien zu bewertet: (1.) nach der mittleren Wiederfindungsrate und (2.) dem saisonalen Verlauf über den Messzeitraum von 12 Monaten. Die Wiederfindungsrate wird neben der Zuverlässigkeit und Prognose der Verschreibungsdaten und Informationen über den ausgeschiedenen Anteil auch von substanzspezifischen Eigenschaften beeinflusst. Hierbei sind vor allem der Ab- bzw. Umbau während des Abwassertransports im Kanalnetz sowie die Adsorption an Feststoffe von Bedeutung. Die Berechnung der mittleren Wiederfindungsrate erfolgt mithilfe des arithmetischen Mittels der unteren und oberen Grenze publizierter Angaben zur Ausscheidungsrate.
Messprogramm und Analytik
Ein 12-monatiges Messprogramm am Zulauf der KA Desden-Kaditz diente für den Vergleich zwischen gemessenen und den aus Verschreibungsdaten bestimmten Zulauffrachten. Die Probenahme erfolgte als durchflussproportionale 24h-Mischprobe. Für den Großteil der Substanzen stehen für die Auswertung daher mehr als 300 Analysewerte (i. M. 25 pro Monat) zur Verfügung. Die Lagerung der Proben erfolgte bei 4 °C und für eine maximale Dauer von 7 Tagen und orientiert sich damit an den Vorgaben des Dechema-Workshops „Probenahme und Probenvorbereitung für die chemische und mikrobiologische Analytik“ vom 19.03.2012.
Die Details zur Methodik der Analyse sind dem Artikel „Möglichkeiten und Grenzen des Antibiotikamonitorings in verschiedenen Abwässern“ zu entnehmen.
Ergebnisse und Diskussion
Mittlere Wiederfindungsrate
Einige Antibiotika sind biologisch gut verfügbar und unterliegen im Abwasser einer signifikanten Verringerung bevor sie die Kläranlage erreichen. Insbesondere die Gruppe der Beta-Laktame besitzt eine geringe Stabilität in mikroorganismenreichen Systemen. Je länger diese Substanzen im Abwasser verbleiben, desto geringer ist der Anteil, der die Kläranlage unverändert erreicht. Zu den untersuchten Beta-Laktamen gehören (Wiederfindungsrate in Klammern, siehe auch ◉ Abb. 2): Amoxicillin (0 %), Penicillin V (0 %), Piperacillin (8 %), Cefotaxim (24 %) und Cefuroxim (53 %). Die beiden Letzteren gehören zur Untergruppe der Cephalosporine (3. bzw. 2. Generation) und besitzen eine erhöhte Beta-Laktam-Stabilität, was die vergleichsweise hohe Wiederfindung erklärt. Aufgrund des nicht quantifizierbaren Vorabbaus in der Kanalisation sind die Zulauffrachten dieser Antibiotikagruppe nicht prognosefähig. Die Verwendung des mittleren Abwasserzuflusses zur Kläranlage als Maß für die mittlere Aufenthaltszeit im Kanalnetz ergab keine signifikanten Zusammenhang, so dass der Einfluss weiterer Faktoren, wie beispielsweise die Abwassertemperatur, nahe liegend ist. Eine detailliertere Bewertung des Vorabbaus wird erst mit den Verschreibungsdaten von 2013 möglich sein.
Clindamycin gehört zur Gruppe der Lincosamide und weist am Kläranlagenzulauf eine Wiederfindungsrate von lediglich 10 % der erwarteten Menge auf. Über das Verhalten von Clindamycin im Abwasser ist wenig bekannt, so dass ein Verifizierungsparameter für Clindamycin in die Untersuchung aufgenommen wurde. Der Humanmetabolit Clindamycin-Sulfoxid wird parallel zur Muttersubstanz ausgeschieden und unterliegt nahezu keinem Abbau während der biologischen Abwasserbehandlung. Es liegt nahe, dass die schlechte biologische Abbaubarkeit ebenfalls für das Verhalten im Rohabwasser zutrifft und während der Passage durch die Kanalisation von geringen Verlusten auszugehen ist. Trotz dieser Eigenschaft werden nur 40 % der erwarteten Masse des Metaboliten im Zulauf ermittelt. Eine Erklärung für den erneuten Unterbefund konnte bisher nicht formuliert werden. Die große Spanne an veröffentlichten Ausscheidungsraten für Clindamycin (10–35 %, [1, 5]) spricht für eine hohe Variabilität des Humanmetabolismus bzw. Unsicherheiten bei der Bestimmungsmethodik/-analyse. Im Gegensatz dazu existiert zur Ausscheidung des Sulfoxid-Metaboliten nur ein Literaturwert von 35 % [2], der nicht durch andere Untersuchungen gestützt wird. Es ist daher zu klären, ob der Grund für den Überbefund ein fehlerhafter theoretischer Ansatz für die Zulauffrachtermittlung bzw. Ungenauigkeiten bei der Probenahme und Analytik ist.
Fluorchinolone werden während der biologischen Abwasserreinigung größtenteils durch Adsorption an den Belebtschlamm eliminiert [7]. Diese Affinität zu Feststoffen plausibilisiert die geringe Wiederfindung der Antibiotika Ciprofloxacin (42 %) und Levofloxacin (inkl. dessen RacematFootnote 2 Ofloxacin) (50 %). Die Substanzen werden während des Abwassertransports an Feststoffe gebunden und dadurch von der Fließzeit im Kanalnetz (Sediment, Sielhaut, etc.) entkoppelt. Das Doxycyclin aus der Gruppe der Tetracycline besitzt eine ähnlich hohe Affinität zu Feststoffen. Der Überbefund von 62 % widerspricht dem zunächst, resultiert jedoch aus der Mittelung des großen Wertebereichs der Literaturwerte der Ausscheidungsrate. Die Begründung für die Abweichung dieser Mittelung wird im folgenden Abschnitt anhand der saisonalen Beeinflussung der Zulauffracht erläutert.
Die betrachteten Makrolide Azithromycin, Clarithromycin und Roxithromycin sowie die Wirkstoffkombination aus Sulfamethoxazol und Trimethoprim weisen gute Wiederfindungsraten zwischen 70 und 120 % auf. In diesen Bereichen kann die Differenz zu 100 % aus Ungenauigkeiten im Prognosemodell stammen, welches mithilfe der Verordnungsdaten der Gesetzlichen Krankenversicherung [4] sinnvoll modifiziert werden kann. Auf diese Methodik und die sich daraus ergebenen Veränderungen wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen.
Saisonaler Verlauf der Wiederfindungsrate
Doxycyclin weist im Juni 2013 einen ausgeprägten Anstieg der Zulauffracht auf und übersteigt die erwartete Wiederfindung um das 4- bis 5-fache (◉ Abb. 1, orange Linie). Grund hierfür könnten die starken Niederschläge in diesem Monat, verbunden mit einem erhöhten KA-Zufluss (◉ Abb. 1, blaue Linie) gewesen sein, die zu einer Mobilisierung des Kanalsediments und der daran adsorbierten Doxycyclin-Fracht geführt haben. Die Verwendung der in der Literatur zu findenden maximalen Ausscheidung von 70 % ergibt eine mittlere Wiederfindung von 104 % und lässt auf einen verzögerten Transport des Antibiotikums zur Kläranlage schließen. Dabei wird vorausgesetzt, dass bei Normalabfluss und kleineren Regenereignissen ca. 40 % der ausgeschiedenen Fracht in der Kanalisation akkumulieren und dort keinen Ab- oder Umbauprozessen unterliegen. Erst bei einem erhöhten Abfluss wird eine Re-Mobilisierung des Doxycyclins erreicht, wodurch es zur Kläranlage transportiert wird. Dieses Verhalten schränkt eine Vorsage des Stofftransports stark ein, sofern die Speicherkapazität der Kanalisation und die kritischen, zum Stofffluss führenden Zustände nicht bekannt sind. Eine Fracht-Erhöhung wurde ebenfalls für andere Antibiotika mit Adsorptionsaffinität, ähnlich der untersuchten Fluorchinolone, beobachtet. Der Anstieg fiel nicht so ausgeprägt wie im Beispiel von Doxycyclin aus.
Sulfamethoxazol wird über das Jahr konstant verschrieben. Im Gegensatz dazu zeigt die zeitlich aufgelöste Betrachtung der Zulauffracht, dass während der Monate Oktober und November 2012 der Erwartungswert deutlich überschritten wird und dadurch zum rechnerischen Überbefund im Jahresmittel von 21 % beiträgt. Inwieweit die Abweichung auf die Abschätzung der Zulauffracht bzw. die Probenahme/Analytik zurückgeführt werden kann, ist durch die Betrachtung des Zulaufverhältnisses von Sulfamethoxazol und Trimethoprim (S/T) ersichtlich (siehe ◉ Abb. 4). Sulfamethoxazol und Trimethoprim werden nahezu ausschließlich als Kombinationspräparat eingesetzt, wobei Trimethoprim in sehr geringen Mengen auch als Monopräparat zur Anwendung kommt. Unter Beachtung der jeweiligen Ausscheidungsrate führt die Einnahme eines festen Wirkstoffverhältnisses von S/TEinnahme = 6 zu einem im Abwasser erwarteten S/TAbwasser von 1,12–3,12. In ◉ Abb. 3 ist erkenntlich, dass es in den Monaten Oktober und November 2012 zu einer Überschreitung des erwarteten S/TAbwasser-Werts kommt. Eine Abweichung in dieser Größenordnung ist aus medizinischer Sicht nicht plausibel. Für weiterführende Betrachtungen zu Sulfamethoxazol sind die Monate November und Dezember 2012 demzufolge nicht geeignet und es ergibt sich eine korrigierte mittlere Wiederfindungsrate von 89 %.
Einfluss der Temperatur auf die Prognose des saisonalen Verlaufs
Der Verlauf der gemessenen Zulauffracht für die Makrolide Roxithromycin, Clarithromycin und Azithromycin unterschreitet während der ersten 3–4 Monate den errechneten Eintrag (siehe ◉ Abb. 4, am Beispiel Roxithromycin). Die kalkulierten monatlichen Zulauffrachten an Antibiotika ergeben sich aus den mittleren Jahresgängen der Jahre 2005–2011 und beinhalten keine Einflussgrößen, die vom Mittelwert abweichende Spitzeneinträge beschreiben. Es ist daher anzustreben, signifikante Abweichungen vom Mittelwert auf Grundlage bekannter Abhängigkeiten auszudrücken und in die Prognose zu integrieren. Aufgrund der vermuteten Beeinflussung saisonbedingter Krankheitsbilder (z. B. grippaler Infekt) durch das Klima, erfolgte daraufhin die Untersuchung der Abhängigkeiten zwischen Antibiotikaverschreibungen und klimatischen Parametern mithilfe explorativer Datenanalyse.
Die verwendeten Klimadaten stammen von der Klimastation Dresden-Klotzsche und beziehen sich direkt auf das betrachtete Einzugsgebiet. Im Zuge der Datenauswertung wurden neben der Lufttemperatur und der Sonnenscheindauer auch die Klimaparameter Bedeckungsgrad, Windgeschwindigkeit und Niederschlagshöhe auf deren Korrelation mit den Verschreibungsdaten untersucht. Neben der Temperatur wiesen auch die Sonnenscheindauer, der Dampfdruck und die relative Feuchte Zusammenhänge zum Verschreibungsverhalten auf. Da zwischen dem Dampfdruck und der Temperatur bereits ein Zusammenhang besteht und die Vorhersagequalität bei der relativen Feuchte und der Sonnenscheindauer deutlich geringer war, wird im Folgenden nur die Temperatur als Modifizierungsparameter ausgewertet.
Oberhalb von 5 °C nimmt die Verschreibungshäufigkeit der Makrolide mit abnehmender Lufttemperatur zu (nicht dargestellt). Unterhalb von 5 °C ist die Verschreibungsmenge relativ konstant, auffällig sind jedoch einzelne Wochen mit signifikant höheren Mengen. Trotz der zunächst unbefriedigenden Wiedergabe der Verschreibungsspitzen, ist die Temperatur als möglicher Optimierungsparameter für die Prognose zu prüfen. Hierfür erfolgte der Vergleich der Außentemperaturen im Messzeitraum und der Jahre 2005–2011 (siehe ◉ Abb. 5). Eine auffällig hohe Jahresvariabilität der Durchschnittstemperaturen zeichnet sich für die Monate Januar, Februar, März und Dezember ab. Diese Werte liegen im Bereich unter 5 °C und bieten somit kein Potential zur Beeinflussung des erwarteten Jahresverlaufs. Die Durchschnittstemperatur im April 2013 beträgt hingegen 4 °C und liegt 5,5 °C unter dem Durchschnitt der Vorjahre. Die temperaturabhängige Korrelation ergibt eine Verringerung der Verschreibungsmenge von 3,68 g/(d*K) (R2 = 0,54, p < 0,001) bzw. eines Eintrags in die Kanalisation von 1,6 bis 2,3 g/(d*K). In ◉ Abb. 4 ist die daraufhin angepasste Eintragskurve für den Erwartungswert dargestellt. Die Modifizierung hat bewirkt, dass die gemessene und erwartete Eintragsspitze übereinander liegen, die analytisch ermittelte Zulauffracht im weiteren Verlauf jedoch viel schneller abflacht, als es zu erwarten wäre. Die Temperaturbereinigung führt schlussfolgernd nicht allein zu einer wesentlichen Verbesserung der Prognose. Insbesondere die Überschätzung in den Monaten Oktober bis Dezember 2012 ist auf diese Weise nicht zu beheben und spiegelt die gemessenen Frachten nicht ordnungsgemäß wider.
Zusammenfassung und Schlussfolgerung
Eine Datengrundlage, bestehend aus den ambulanten Verschreibungsdaten der AOK PLUS und den stationären Verschreibungsdaten der drei größten Krankenhäuser in Dresden erlaubt es für eine Vielzahl von Antibiotika die mittleren Zulauffrachten zur Kläranlage Dresden-Kaditz zuverlässig abzuschätzen. Schlechte Prognoseergebnisse ergeben sich erwartungsgemäß bei den Beta-Laktamen und Fluorchinolonen. Das den Tetracy‑clinen zugeordnete Doxycyclin weist eine gute mittlere Wiederfindungsrate auf, verhält sich aufgrund der adsorptiven Eigenschaften jedoch variabel im Kanalsystem. Eine Vorhersage des jahreszeitlichen Verlaufs der Zulauffracht zur Kläranlage ist trotz der relativ konstanten Verschreibungsmenge ohne die Kenntnis der substanzspezifischen Transportzustände nicht möglich.
Die Analysedaten der Antibiotika Sulfamethoxazol und Trimethoprim konnten mithilfe pharmakologischer Verschreibungsinformationen verifiziert und im Zulauf der Kläranlage nahezu vollständig wiedergefunden werden. Die Makrolide Roxithromycin, Azithromycin und Clarithromycin eignen sich aufgrund ihrer Stabilität im Abwasser ebenfalls für eine gute Prognose der mittleren jährlichen Zulauffracht. Der Verlauf der monatlichen Zulauffrachten kann im Gegensatz dazu nicht anhand des auf Mittelwerten der Jahre 2005–2011 beruhenden Jahresgangs erfasst werden. Die integrierte Betrachtung der Beziehung von Verschreibungen und Lufttemperatur führte zu keiner wesentlichen Verbesserung der Prognose. Infolge der Reproduktion der Spitzenzulauffracht ergeben sich unabhängig davon wertvolle Informationen für die Risikobewertung von Antibiotika.
Fazit für die Praxis
Die integrierte Betrachtung von verschriebenen und erwarteten Antibiotikafrachten macht deutlich, dass in Bezug auf die die verschiedenen Stoffströme beeinflussenden Prozesse eine hohe Unsicherheit besteht. Insbesondere die den menschlichen Metabolismus betreffende Ausscheidungsrate ist bisher in wenigen Fällen verlässlich untersucht, so dass bereits die Informationen hinsichtlich des Eintrages in die Kanalisation stark fehlerbehaftet sind. Bezüglich der umweltrelevanten Informationen über pharmakokinetische (Ausscheidungs-)Eigenschaften von Antibiotika (und anderer Pharmaka) existieren nach wie vor Wissenslücken, welche es zu schließen gilt. Eine zuverlässige und detailliertere Prognose des Antibiotikaeintrags führt zu einer verbesserten Abbildung der im Kanalnetz ablaufenden Umbau- und Adsorptionsprozesse und erhöht die Beschreibungsgüte des Stoffstrommodells.
Notes
Stoffe, die keiner chemischen, physikalischen oder biologischen Umwandlung unterliegen und unverändert in der Umwelt verbleiben
Das Racemat einer Substanz besitzt den gleichen, jedoch spiegelverkehrten molekularen Aufbau. Die Wirkungsweisen von Racematen müssen nicht gleich sein
Literatur
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Pendlerverhalten der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Freistaat Sachsen, Statistischer Bericht. 30. Juni 2011
Schwage & Paffrath, Arzneiverordnungs-Report 2006–2013 – Aktuelle Daten, Kosten, Trends und Kommentare. Springer, Heidelberg
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Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
C. Marx und V. Kühn gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.
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Marx, C., Kühn, V. Emissionsdynamik urbaner Antibiotikaeinträge unter Verwendung von Verschreibungs- und Felddaten. Präv Gesundheitsf 9, 198–205 (2014). https://doi.org/10.1007/s11553-014-0453-2
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