Durch die Einführung der Substanzgruppe der direkten, nicht-Vitamin-K-abhängigen, oralen Antikoagulanzien (DOAK) wurden die Möglichkeiten der Antikoagulation in den vergangenen Jahren wegweisend erweitert. Der orale Thrombininhibitor Dabigatran wurde 2008 als erstes DOAK in Europa für die Indikation der Primärprävention von venösen thrombembolischen Ereignissen bei erwachsenen Patienten nach elektivem Hüft- oder Kniegelenksersatz zugelassen. Es folgten die Zulassung für weitere Indikationen sowie die Zulassung der Xa-Inhibitoren Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban (Tab. 1). Die Wirksamkeit und das niedrige Blutungsrisiko der DOAK wurden in den verschiedenen Zulassungsstudien gut belegt [13]. In einer Metaanalyse konnte zudem gezeigt werden, dass die Standarddosierungen der DOAK in der Schlaganfallprävention bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern, bezogen auf den primären Endpunkt, Verhinderung von Schlaganfall und systemischer Embolie, Warfarin signifikant überlegen sind [4]. Unter der Therapie mit den DOAK war zudem die Häufigkeit schwerer, insbesondere intrakranieller Blutungen, signifikant reduziert. Allerdings traten gastrointestinale Blutungen häufiger auf [4]. Im Vergleich zu den Vitamin-K-Antagonisten (VKA) reduziert der Einsatz von DOAK sowohl bei Vorhofflimmern als auch bei venöser Thrombose das Risiko einer tödlichen Blutung um 47 %. Dabei werden die Letalität (d. h. die Anzahl der schweren Blutungen mit tödlichem Ausgang) um 32 % und die Gesamtsterblichkeit nach einer Blutung um 43 % reduziert [5]. Aufgrund der Wirksamkeit und Nichtunterlegenheit gegenüber Warfarin wird in den Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) die Therapie mit einem DOAK als bevorzugte Therapie für die Mehrheit der Patienten zur Schlaganfallprävention bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern vorgeschlagen [6].

Tab. 1 Indikation und Dosierung der direkten oralen Antikoagulanzien

Trotz der niedrigen Rate an Blutungskomplikationen während der Therapie mit einem DOAK erhöht die Einnahme jedes Antikoagulans zur prophylaktischen oder zur therapeutischen Anwendung das Blutungsrisiko. Um eine zielgerichtete Therapie zur Behandlung einer klinisch signifikanten Blutung unter der Therapie mit einem DOAK einzuleiten, sind das Verständnis der Pharmakokinetik der DOAK und das Wissen über die pharmakologischen Behandlungsoptionen notwendig.

Pharmakokinetik der direkten oralen Antikoagulanzien

Die pharmakologischen Charakteristika der DOAK sind im Vergleich zu den VKA grundsätzlich verschieden (Tab. 2). Als wesentlicher Vorteil ist die deutlich kürzere Halbwertszeit der DOAK mit ~12 h im Vergleich zu den VKA (Phenprocoumon [Marcumar®] 7 bis 10 (bis 14) Tage und Warfarin [Coumarin®] 2 bis 5 Tage) zu nennen. Allerdings können die Tal- und Spitzen-Plasma-Spiegel der DOAK interindividuell deutlichen Schwankungen unterliegen [7]. Im Gegensatz zu der Therapie mit VKA ist bei der Anwendung der DOAK eine relevante Interaktion mithilfe der INR laborchemisch nicht zu erfassen. Nach der enteralen Aufnahme besteht bei allen DOAK eine bedeutende Wechselwirkung durch die erhebliche Wiederausscheidung über einen P‑Glykoprotein(p-Gp)-Transport. Auch an der renalen Clearance ist der p‑Gp-Transporter beteiligt. P‑Glykoprotein-Inhibitoren (z. B. Amiodaron, Diltiazem, Erythromycin, Verapamil) können somit zu erhöhten Plasmaspiegeln führen. Der hepatische Metabolismus von Rivaroxaban und Apixaban ist u. a. Zytochrom-P450(CYP)3A4-abhängig. Die Induktion von p‑GP oder CYP3A4 durch z. B. Rifampicin, Carbamazepin, Phenobarbital oder Phenytoin kann die DOAK-Plasma-Konzentration deutlich reduzieren. Rivaroxaban sollte mit der Nahrung eingenommen werden, da so die Bioverfügbarkeit von 66 % auf 100 % steigt. Die Absorption von Dabigatran wird bei gleichzeitiger Einnahme von Antacida und Protonenpumpenblockern um bis zu 30 % reduziert [8].

Tab. 2 Pharmakologie der direkten oralen Antikoagulanzien

Neben den oben geschilderten Wechselwirkungen kann die Kombination von DOAK mit anderen Gerinnungshemmern (Thrombozytenfunktionshemmern, nichtsteroidalen Antirheumatika [NSAR]) zu einem um mindestens 60 % erhöhten Blutungsrisiko führen [9].

Da alle DOAK einer renalen Clearance unterliegen, kann durch eine Niereninsuffizienz die Plasmakonzentration deutlich ansteigen. Die eingeschränkte Elimination ist insbesondere bei Dabigatran wegen der damit verlängerten Halbwertszeit zu beachten. In allen Zulassungsstudien wurde die Cockcroft-Gault-Methode zur Bestimmung der Kreatinin-Clearance (CrCl) benutzt. Eine CrCl < 50 ml/min erfordert eine Dosisreduktion in Abhängigkeit von den Komorbiditäten. Eine Kontraindikation besteht bei Dabigatran ab einer CrCl < 30 ml/min und bei Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban ab < 15 ml/min.

Laborchemisches Monitoring der direkten oralen Antikoagulanzien

Entsprechend dem Konsensus mehrerer internationaler Leitlinien besteht grundsätzlich keine Notwendigkeit der regelmäßigen laborchemischen Kontrolle der Plasmaspiegel von DOAK [8, 9]. Allerdings kann bei einem potenziell erhöhten Blutungsrisiko, wie z. B. bei eingeschränkter Nierenfunktion, Hepatopathie, Thrombozytopenie oder -pathie, dringenden Eingriffen oder Operationen, bei gleichzeitig verabreichten Medikamenten wie ASS, NSAR oder bei multimorbiden Patienten, die Messung der Plasmakonzentration der DOAK sinnvoll sein, d. h. zu einem günstigeren Nutzen-Risiko-Verhältnis führen [10]. Dabei sollte grundsätzlich berücksichtigt werden, dass ca. 2–4 h nach der oralen Einnahme der Spitzenspiegel und nach etwa 12 h der Talspiegel der DOAK erreicht wird (Tab. 2). Da die plasmatischen Spiegel primär durch die Dosierungsintervalle definiert werden, ist die Interpretation der Plasmaspiegel nur bei Kenntnis des Zeitpunkts der letzten Einnahme möglich.

Bezüglich der Tests der plasmatischen Gerinnung (Quick-Wert, aPTT) unter DOAK-Einnahme variiert das Ausmaß der Testempfindlichkeit in Abhängigkeit vom Medikamentenplasmaspiegel (Pharmakokinetik) und z. T. in Abhängigkeit von Testreagens, Messinstrument und Ausgangshämostase [11]. In der klinischen Praxis ist daher eine Absprache mit dem hausinternen Labor unabdingbar. Zur Abschätzung der plasmatischen Aktivität der DOAK kann folgender pragmatischer Ansatz hilfreich sein (Tab. 3): Sofern unter der antikoagulatorischen Therapie mit Dabigatran eine normwertige aPTT und eine normwertige Thrombinzeit (normale TT) gemessen werden, ist ein erhöhtes Blutungsrisiko unwahrscheinlich [12]. Unter der Einnahme von Rivaroxaban kann eine isoliert verlängerte Prothrombinzeit (Quick-Wert) bei Verwendung rivaroxabansensibler Reagenzien (z. B. Neoplastin Plus®) auf eine erhöhte Plasmakonzentration hinweisen (Cave: isolierte PTT-Verlängerungen sind aber z. B. auch bei erworbenen Hemmkörpern nachweisbar). Für Apixaban und Edoxaban können nur spezifische Xa-Tests mit geeignetem Kalibrator zur Bestimmung der plasmatischen Konzentration dienen. Die viskoelastischen Messverfahren (Thrombelastometrie oder Thrombelastographie) sind zur Bestimmung von DOAK in der Routine noch nicht etabliert. Allerdings kann die Einnahme von Dabigatran zu einer Verlängerung der Initiierung der Gerinnung und somit zu einer Prolongierung der sog. Clotting Time im ExTEM führen [13].

Tab. 3 Laborchemisches Monitoring der direkten oralen Antikoagulanzien [10, 11]

Zum Ausschluss einer blutungsbedingten Koagulopathie sollten außerdem die aPTT, die Prothrombinzeit (Quick-Wert) und die Fibrinogenkonzentration sowie, bei entsprechender Verfügbarkeit, bettseitige viskoelastische Methoden benutzt werden [11].

Perioperativer Umgang mit einer dauerhaften Antikoagulation und direkten oralen Antikoagulanzien

Für die Planung von elektiven Operationen sind neben einer antikoagulatorischen Vormedikation (z. B. Thrombozytenaggregationshemmer) und das Blutungsrisiko beeinflussenden Faktoren (Operationsart und -lokalisation (Abb. 1), Begleiterkrankungen, Komedikation) auch spezifische mit den DOAK verbundene Faktoren (verordnete/eingenommene Dosis, Zeitpunkt der Einnahme, Nierenfunktion) zu beachten (Abb. 2). Interdisziplinär sollte primär diskutiert werden, ob eine Intervention bzw. ein operativer Eingriff ggf. um einige Stunden verschoben werden kann, da entsprechend der kurzen Halbwertszeit der DOAK (12–14 h bei normaler Nierenfunktion: CrCl > 80 ml/min) die plasmatischen Spiegel relativ schnell absinken und damit das Blutungsrisiko vermindert ist (Abb. 3; [9]). Aufgrund der Pharmakokinetik der DOAK und des zusätzlich erhöhten Blutungsrisikos, das durch eine Bridging-Therapie potenziell besteht, ist von einem grundsätzlichen Bridging abzuraten [14]. Eine antikoagulatorische Therapie mit einem alternativen Antikoagulans ist nur in besonderen Situationen in Erwägung zu ziehen und zu rechtfertigen.

Abb. 1
figure 1

Stratifizierung des Blutungsrisikos verschiedener operativer Eingriffe (immer individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung notwendig). (Mod. nach [9]), TXA Tranexamsäure

Abb. 2
figure 2

Dargestellt sind verschiedene Faktoren, die das Blutungsrisiko erhöhen können

Abb. 3
figure 3

Direkte orale Antikoagulanzien und elektive Operationen. CrCl Kreatinin-Clearance [9]. a Viele dieser Patienten nehmen vermutlich die niedrigere Dosis Dabigatran (2x 110 mg) oder Apixaban (2x 2,5 mg) bzw. müssen die niedrigere Dosis Rivaroxaban (1x 15 mg) oder Edoxaban (1x 30 mg) nehmen

Über die Anwendung rückenmarksnaher Regionalanästhesien bei bereits präoperativ erfolgter therapeutischer Gabe existieren für die DOAK nur wenige Erfahrungen, sodass die Indikation zurückhaltend und nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Analyse erfolgen sollte: Die European Heart Rhythm Association (EHRA) empfiehlt die Vermeidung rückenmarksnaher Verfahren bei Patienten unter DOAK [9]. Die aktuelle deutsche S1-Leitlinie empfiehlt nach rein pharmakologischen Erwägungen ein Vorgehen gemäß Tab. 4 [15].

Tab. 4 Empfehlungen zur Therapie mit den direkten oralen Antikoagulanzien bei rückenmarksnahen Verfahren [15]

Unspezifische Therapie mit Hämostatika und Dialyse

Die Gerinnungstherapie blutender Notfälle richtet sich nach den allgemeinen Therapierichtlinien für Massivblutungen, also einem multimodalen Ansatz. Auch hier ist die Aufrechterhaltung einer Normothermie, eines ausgeglichenen Säure-Basen-Haushalts sowie einer Konzentration des ionisierten Kalziums >0,9 mmol/l wichtig [16]. Bei entsprechendem Nachweis einer plasmatisch bedingten Gerinnungsstörung (z. B. Hypofibrinogenämie) oder dem Vorliegen bzw. Verdacht einer Hyperfibrinolyse sollte eine Therapie mit Tranexamsäure (10–20 mg/kgKG), gefolgt von Fibrinogenkonzentrat (Zielspiegel 1,5–2 g/l), initiiert werden [17].

Bei lebensbedrohlichen Eingriffen ohne Kenntnis des eingenommen DOAK kann ein Therapieversuch mit PPSB (initial 25–50 IE/kgKG, ggf. + 25 IE/kgKG, wenn klinisch indiziert) oder alternativ mit aktiviertem PPSB (aPPSB, FEIBA®, initial 25–50 IE/kgKG, max. 200 IE/kgKG und Tag) erfolgen [9]. Dabei beruhen die Angaben der Konzentration von PPSB bzw. aPPSB auf tierexperimentellen Untersuchungen [18, 19]. Grundsätzlich scheint aber die Höhe der plasmatischen Konzentration des DOAK für den Erfolg der Therapie mit PPSB wesentlich zu sein, d. h. hohe plasmatische Konzentrationen des DOAK erfordern eine höhere Konzentration von PPSB [20, 21]. Außerdem sollte beachtet werden, dass alle PPSB-Präparate nur für den Gerinnungsfaktor IX standardisiert sind und alle weiteren pro- und antikoagulatorischen Proteine deutlichen Konzentrationsunterschieden unterliegen [22]. Obwohl auch der rekombinante Faktor VIIa als Ultima-Ratio-Therapie im Rahmen von Massivblutungen unter DOAK diskutiert wird, ist die Bedeutung von rFVIIa (NovoSeven®, 90 µg/kgKG) zur Therapie von Blutungen unter einer DOAK-Therapie von untergeordneter Bedeutung. Die Anwendung von rFVIIa beeinflusst primär die Kinetik der Thrombingenerierung, und die Substitution von rFVIIa führt nicht zu der notwendigen Erhöhung der Gerinnungsfaktoren II oder X. Auch die Verwendung von Frischplasma erscheint in der Antagonisierung der DOAK-Therapie nicht sinnvoll, da große Mengen benötigt werden, um den relativen medikamenteninduzierten Faktorenmangel auszugleichen.

Im Rahmen einer Überdosierung von Dabigatran bei hämodynamisch stabilen Patienten kann zur Senkung der plasmatischen Konzentration außerdem die Anwendung einer Dialyse (High-Flux-Filter) in Erwägung gezogen werden. Allerdings muss durch das große Verteilungsvolumen von Dabigatran (60–70 l [Fachinfo Pradaxa]), ein möglicher „Rebound“-Effekt nach Beendigung der Dialyse bedacht werden [23]. Aufgrund der hohen Proteinbindung von Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban ist die Dialyse bei den direkten Xa-Inhibitoren nicht geeignet.

Entwicklung und Anwendung von Antidota

Pharmakologie und Pharmakokinetik von Idarucizumab

Idarucizumab ist ein humanisiertes, monoklonales Antikörperfragment, das entwickelt wurde, um die antikoagulatorische Wirkung von Dabigatran im Rahmen von Notfallsituationen spezifisch antagonisieren zu können. Idarucizumab bindet irreversibel und hochspezifisch an Dabigatran. Die Bindungsaffinität an Thrombin ist etwa 350-fach so hoch wie die von Dabigatran (Tab. 5). Das betrifft sowohl gebundene als auch freie Dabigatranmoleküle. Die Bindung erfolgt mit sofortiger Wirkung [24]. Da die Bindung an Dabigatran hochspezifisch ist, wurden in den primären Studien keine Bindungsaffinitäten für endogene Thrombinsubstrate wie Fibrinogen, Faktoren V, VIII und XIII oder den Von-Willebrand-Faktor gemessen. Das Antikörperfragment verfügt nicht über eine Fc-Region, somit ist aufgrund der erfolgten Humanisierung ein immunogenes Potenzial eher als gering einzustufen. Das Molekulargewicht (MG) des Antikörperfragments beträgt 47.800 (zum Vergleich: Dabigatran ~500) und wird, wie die meisten Proteine dieser Größe, primär renal eliminiert [24]. Dabei wird Idarucizumab entweder über die proximalen Tubuli rückresorbiert und abgebaut oder in hohen Konzentrationen unverändert mit dem Urin ausgeschieden. Der Anteil ist vermutlich abhängig von der Sättigung der tubulären Rezeptoren und damit proportional zur Dosis. Vier Stunden nach der Applikation von Idarucizumab ist der überwiegende Teil der Substanz eliminiert. Bei Patienten mit geringer bis mittlerer Beeinträchtigung der Nierenfunktion ist dieser Eliminationsprozess um 43,5 % bzw. 83,5 % verzögert.

Tab. 5 Übersicht der Antidota

Präklinische Studien

Die in-vivo-Kapazität von Idarucizumab wurde präklinisch in mehreren Tiermodellen untersucht [30]. Im porcinen Polytraumamodell mit hämorrhagischem Schock unter Dabigatranantikoagulation wurde gezeigt, dass durch Idarucizumab der Blutverlust dosisabhängig signifikant um 47–62 % reduziert werden konnte. Idarucizumab führte auch zu einer dosisabhängigen Reduktion der aPTT und der thrombelastometrischen intrinsischen Aktivierung (InTEM). Auch konnte gezeigt werden, dass Idarucizumab im Gegensatz zu PPSB zu einer Normalisierung der Gerinnungswerte führt, ohne dabei eine Induktion von prokoagulatorischen Effekten zu bewirken (keine Steigerung der Thrombingenerierung [13]).

Klinische Studien: Phase-I

Zur Untersuchung von der Sicherheit, Verträglichkeit und Pharmakokinetik von Idarucizumab wurde eine randomisierte und doppelblinde Phase-I-Studie an 110 gesunden männlichen Probanden im Alter von 18 bis 45 Jahren durchgeführt [31]. In dieser Studie konnte Idarucizumab die Dabigatraninduzierte Gerinnungshemmung mit sofortiger Wirkung vollständig und anhaltend neutralisieren. Auch bei älteren Probanden und Personen mit Niereninsuffizienz konnte durch die Applikation von Idarucizumab die dabigatraninduzierte Verlängerung der Gerinnungszeiten (TT, dTT, aPTT) normalisiert werden. Dabei wurden in allen Phase-I-Studien keine sicherheitsrelevanten Ereignisse beobachtet, und auch die wiederholte Applikation von Idarucizumab war klinisch gut verträglich. Nach der Antagonisierung konnte eine antikoagulatorische Therapie mit Dabigatran 24 h nach Verabreichen von Idarucizumab wieder aufgenommen werden und dabei eine effektive Antikoagulation bei den Probanden erzielt werden [32].

Klinische Studien: Phase-III-Studie RE-VERSE AD™

Die prospektive, einarmige Phase-III-Studie RE-VERSE AD™ untersuchte Wirkung und Sicherheit von Idarucizumab bei Patienten unter Dabigatran. Eingeschlossen wurden Patienten, die aufgrund einer Blutung behandelt werden mussten (Gruppe A) oder bei denen eine dringende Operation oder Intervention erforderlich war (Gruppe B, [25]).

Insgesamt wurden in die multizentrische Studie, die an über 400 Zentren in 38 Ländern weltweit durchgeführt wurde, 500 Patienten aufgenommen. Die Daten der ersten 90 Patienten wurden als Interimsanalyse veröffentlicht [26]. Darunter bildeten v. a. intrakranielle, gastrointestinale sowie traumatisch bedingte Blutungen Indikationen für den Einschluss in Gruppe A (Blutung; n = 51). Die häufigsten Indikationen in Gruppe B (Intervention; n = 39) waren chirurgische Versorgungen von Frakturen und akuter Cholezystitis.

Der primäre Endpunkt der Studie wurde definiert als die Aufhebung des antikoagulatorischen Effekts von Dabigatran, gemessen anhand der laborchemischen Gerinnungsparameter dilutierte Thrombinzeit (dTT) und „ecarin clotting time“ (ECT). Die Interimsanalyse der Studie zeigt, dass der dabigatraninduzierte antikoagulatorische Effekt innerhalb weniger Minuten nach dem Verabreichen der ersten Idarucizumabdosis, mit Ausnahme eines Patienten, bei allen anderen Patienten vollständig aufgehoben werden konnte. Nach 4 und 12 h zeigten Laboranalysen bei fast 90 % aller Patienten normale Gerinnungswerte (dTT, ECT). Bei 92 % der Patienten, die eine Notfalloperation oder Intervention benötigten (Gruppe B; 33 von 39 ausgewerteten Patienten), wurde eine normale Hämostase dokumentiert.

Kritisch anzumerken ist, dass erstens die Gabe des Antagonisten in Gruppe A im Median 12,2 h (bei 24 % nach 24–48 h) und in Gruppe B 16,6 h (bei 26 % nach 24–48 h) nach der letzten Dabigatrangabe erfolgte. Zweitens dauerte bei 38 von 51 Patienten der Gruppe A, von denen diese Daten vorlagen, die mediane Zeit bis zur Blutstillung 11,4 h. Dazu muss einschränkend bemerkt werden, dass es keinen definierten Zeitpunkt für die Evaluation des Sistierens der Blutung gab. Patienten mit intrakraniellen Blutungen wurde somit nach dem Indexereignis z. T. erst 24 oder 48 h nach dem initialen Ereignis und der Therapie mit Idarucizumab einem Verlaufskontroll-CT unterzogen. Da die Daten bis zum Blutungsstopp anschließend gepoolt auswertet wurden, muss die klinische Einschätzung bis zum Sistieren der Blutung unter Berücksichtigung dieser Limitation interpretiert werden. Drittens, 55,6 % aller untersuchten Patienten (Gruppe A: 64,7 %, Gruppe B: 43,6 %) benötigten zusätzlich eine Transfusion von Blutbestandteilen. Dabei haben die Patienten mit Transfusionsbedarf nach der Antagonisierung ca. doppelt so viele Blutpräparate bekommen wie davor (siehe „Supplementary Appendix Table S10: „Blood product use“ [33]). Somit scheint die alleinige Gabe von Idarucizumab zur Antagonisierung von Dabigatran zwar ausreichend, allerdings muss die Therapie mit Idarucizumab Teil eines patientenbezogenen, gerinnungstherapeutischen Gesamtkonzeptes sein. Demzufolge müssen hämostatische Maßnahmen zur Korrektur einer Koagulopathie, die auch bei schweren Blutungen und assoziierten Gerinnungsstörungen standardisiert sind (u. a. Therapie mit Antifibrinolytika, suffiziente Fibrinogenkonzentrationen etc.), auch und zusätzlich bei der Behandlung dieser Patienten angewendet werden.

Im Rahmen der Sicherheitsanalyse wurden bei insgesamt 21 Patienten (13 in Gruppe A, 8 in Gruppe B) der RE-VERSE-AD™-Studie schwere Nebenwirkungen dokumentiert. Dabei traten bei 5 Patienten thrombembolische Ereignisse (einmal innerhalb von und 4‑mal nach 72 h) auf. Die betroffenen Patienten waren zum Zeitpunkt des Auftretens der Thromboembolien nicht wieder wirksam antikoaguliert worden. Entsprechend sind die beobachteten unerwünschten Reaktionen vermutlich nicht auf eine intrinsische Gerinnungsaktivierung zurückzuführen, sondern auf das thrombotische Risiko der vorbestehenden Grunderkrankung oder des klinischen Zustands der Patienten. Daher muss zur Senkung dieses Risikos, so bald wie medizinisch möglich, die Wiederaufnahme der Antikoagulationstherapie erfolgen. Gemäß der Fachinformation kann eine antithrombotische Behandlung (z. B. mit unfraktioniertem oder niedermolekularem Heparin) jederzeit nach der Verabreichung von Idarucizumab aufgenommen werden. Außerdem verstarben insgesamt 18 Patienten. Die Gesamtmortalität ist vermutlich auf die sehr heterogene Studienpopulation zurückzuführen. Zehn der beobachteten Todesfälle, die innerhalb der ersten 4 Tage nach Studieneinschluss auftraten, standen im Zusammenhang mit dem Index-Event. In den übrigen 8 Fällen war das Versterben bedingt durch die Progression der zugrunde liegenden chronischen Erkrankungen, und der Tod trat erst mindestens 11 Tage nach Verabreichen von Idarucizumab ein.

In der Entwicklung: Andexanet alfa für Faktor-Xa-Inhibitoren

Klinische Studien: Phase-I

Der molekulare Wirkmechanismus des Xa-Antidots Andexanet alfa ist im Vergleich zu Idarucizumab grundsätzlich verschieden: Die katalytische Aktivität des Faktor-Xa-Moleküls wurde gentechnologisch durch eine gezielte Mutation aufgehoben [27]. Eine weitere strukturelle Veränderung im Molekül verhindert die Interaktion mit anderen Koagulationsfaktoren. Durch den Erhalt der nativen Struktur des Moleküls kann das rekombinante Faktor-Xa-Protein direkte und indirekte Faktor-Xa-Inhibitoren (Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban bzw. niedermolekulare Heparine und Fondaparinux) binden und deren antikoagulatorische Wirkung blockieren.

Im Rahmen der 2 randomisierten doppelblinden, placebokontrollierten Phase-I-Studien wurde bei gesunden Probanden untersucht, inwieweit Andexanet alfa die antikoagulatorische Wirkung von Apixaban (ANNEXA-A) bzw. Rivaroxaban (ANNEXA-R) aufheben kann [28]. Dabei wurden 74 gesunde Probanden mit einem Durchschnittsalter von 57,9 Jahren mit 5 mg Apixaban 2‑mal täglich bzw. mit 20 mg Rivaroxaban einmal täglich behandelt. An Tag 4 wurde ein i.v.-Bolus von 400 mg, gefolgt von einer 120-minütigen Infusion von 4 mg/min Andexanet alfa (ANNEXA-A), bzw. ein i.v.-Bolus von 800 mg, gefolgt von einer 120-minütigen Infusion von 8 mg/min (ANNEXA-R), verabreicht. In beiden Studien konnte durch Andexanet alfa die antikoagulatorische Wirkung von Apixaban bzw. Rivaroxaban bei allen Patienten deutlich reduziert werden. Nach Beendigung der Infusion kam es zu einer Wiederherstellung des gerinnungshemmenden Effekts sowohl von Apixaban als auch von Rivaroxaban. Nebenwirkungen oder Thrombosen wurden nicht beobachtet. Allerdings wurden transient erhöhte Werte von D‑Dimeren und Prothrombinfragmenten 1 und 2 bis zu 72 h nach Verabreichen von Andexanet alfa gemessen. Inwiefern dies als Hinweis auf ein erhöhtes prothrombotisches Potenzial gewertet werden muss, kann gegenwärtig nicht abgeschätzt werden.

Klinische Studien: Phase-III-Studie ANNEXA-4 Studie

Im Rahmen einer prospektiven, einarmigen Phase-III-Studie (ANNEXA 4) wird zurzeit die Wirkung von Andexanet alfa bei Patienten, die unter der Therapie mit einem Faktor-Xa-Inhibitor eine schwere, potenziell lebensbedrohliche Blutung haben, untersucht. Der primäre Endpunkt der Studie war definiert als die Aufhebung des antikoagulatorischen Effekts, die anhand der Messung der Anti-Faktor-Xa-Aktivität erfolgte. Ausgeschlossen wurden Patienten mit besonders schwerem klinischem Bild, wie z. B. einem septischen Schock, und Patienten, deren Lebenserwartung voraussichtlich nur noch weniger als einen Monat betrug. Die vorangegangene Therapie mit prokoagulatorischen Blutprodukten (z. B. PPSB, rFVIIa) führte ebenfalls zum Ausschluss der Patienten.

In den publizierten Ergebnissen der Interimsanalyse von 67 Patienten waren 32 Patienten mit Rivaroxaban, 31 mit Apixaban und 4 mit Enoxaparin antikoaguliert [29]. Als primäre Blutungsursachen wurden gastrointestinale (49 %) und intrakranielle Blutungen (42 %) gefunden. Nach Verabreichen des Andexanet-alfa-Bolus konnte bei den mit Rivaroxabanbehandelten Patienten ein relativer Aktivitätsrückgang der Faktor-Xa-Aktivität um 89 % dokumentiert werden. Dieser antagonisierende Effekt von Andexanet alfa blieb auch während der anschließenden 2‑stündigen Infusion erhalten. Vier Stunden nach der Beendigung der Andexanet-alfa-Infusion war eine Aktivitätsminderung von 39 %, bezogen auf den Ausgangswert, zu verzeichnen. Da die Antagonisierung von Andexanet alfa im Gegensatz zur Therapie mit Idarucizumab nur temporär ist, muss dieses im Rahmen des Blutungsmanagements bedacht werden (Applikation über Infusionspumpe nötig). Für die Antagonisierung von Apixaban mit Andexanet alfa wurden ähnliche Kinetiken gemessen.

Die Sicherheitsanalyse der Studie zeigte, dass bei 18 % der Patienten thrombotische Ereignisse innerhalb von 30 Tagen nach dem Einsatz von Andexanet alfa auftraten. Da nur bei einem Patienten nach der Antagonisierung eine Antikoagulation wieder aufgenommen wurde, ist unklar, ob dieses Ereignisse primär auf die fehlende Antikoagulation oder auf mögliche andere Effekte von Andexanet alfa zurückzuführen sind.

Ein Antrag auf die Zulassung von Andexanet alfa wurde bei der US-amerikanischen FDA eingereicht. Es ist jedoch noch nicht absehbar, wann und in welchen Ländern eine Zulassung tatsächlich erfolgen wird.

Ciraparantag/Aripazine

Ciraparantag (Aripazine/PER977) bindet über Ladungsbeziehungen sowie Wasserstoffbrücken alle DOAK sowie niedermolekulare Heparine, Fondaparinux und Argatroban [34]. In einer placebokontrollierten Studie wurde Ciraparantag gesunden Probanden, die mit 60 mg Edoxaban vorbehandelt worden waren, als i.v.-Bolus verabreicht. Die Blutgerinnung in Vollblutproben konnte durch die Gabe von Ciraparantag innerhalb von wenigen Minuten normalisiert werden. Ciraparantag wird derzeit in Phase-II-Studien weiter untersucht.

Grundsätzliche Indikation für die Anwendung von Antidota

Die Indikation für die Anwendung eines spezifischen Antidots kann im Rahmen einer klinisch relevanten Blutung oder einer nicht elektiven Operation gestellt werden. Dabei sollte die Anwendung eines Antidots immer Teil eines patientenbezogenen, gerinnungstherapeutischen Gesamtkonzeptes sein. Eine akute Antagonisierung von Dabigatran mittels Idarucizumab vor einer elektiven Operation erscheint unter Berücksichtigung der Nutzen-Risiko-Relation nicht gerechtfertigt. Da die akute und spezifische Antagonisierung einer dauerhaften antikoagulatorischen Medikation zwangsläufig das thrombembolische Risiko erhöht, muss dieses individuelle Risiko z. B. durch Erhebung des CHA2DS2-VASc-Score berücksichtigt werden [35]. Der CHA2DS2-VASc-Score dient bei Patienten mit Vorhofflimmern als Risikoanalyse für das Auftreten eines ischämischen Insults, aus der die Notwendigkeit einer antikoagulatorischen Therapie abgeleitet werden kann.

Ähnliche Empfehlungen gelten für die Anwendung von PPSB bzw. aPPSB zur Antagonisierung einer antikoagulatorischen Medikation mit einem DOAK. Für die Therapie einer Koagulopathie bei traumatisierten Patienten mit PPSB konnte in einer prospektiven Studie gezeigt werden, dass aufgrund der langen Halbwertszeit von Prothrombin das Thrombingenerierungspotenzial über mehrere Tage deutlich erhöht war [36]. Da dies das Risiko für thrombembolische Komplikationen deutlich steigert, müssen Patienten nach der Therapie mit PPSB sorgfältig und engmaschig im Hinblick auf mögliche Thrombosen untersucht werden [37]. Idarucizumab als gerinnungsinerte Substanz scheint hier ein pharmakologisch günstigeres Profil zu haben, da die Thrombingenerierung durch die Applikation von Idarucizumab nicht erhöht wird [38].

In Abhängigkeit von der Schwere der Blutung ergibt sich ein eskalierender Blutungsalgorithmus mit therapeutischen Interventionen (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Blutungsalgorithmus zur Behandlung von Patienten mit Blutungskomplikationen unter einer dauerhaften DOAK-Therapie. (Mod. nach [9])

Ökonomische Aspekte

Die Tagestherapiekosten mit einem DOAK liegen derzeit in der Bundesrepublik etwa 5‑ bis 10-fach höher als die mit VKA. Dies kann durch den Wegfall von Kosten für ein Routine-Monitoring und die niedrigeren Blutungskomplikationen bzw. sekundären Komplikationen ggf. kompensiert werden.

Bei einer Blutung unter DOAK kann die Gabe von Gerinnungsfaktoren unter dem Code D68.35 „Hämorrhagische Diathese/Blutung durch Antikoagulanzien“ in Verbindung mit dem Zusatzentgelt ZE2017-98.xx gemäß Anlage 7 Fallpauschalenvereinbarung (FPV) abgerechnet werden. Die Blutung muss zusätzlich codiert werden [39].

Fazit für die Praxis

Die DOAK haben einen bedeutsamen Fortschritt in der Antikoagulation herbeigeführt. Die Verfügbarkeit von spezifischen Antidoten zur Aufhebung der gerinnungshemmenden Wirkung der DOAK in Notfallsituationen stellt eine relevante Weiterentwicklung im Management akuter Blutungen und dringlicher Operationen dar. Eine Therapie mit Idarucizumab ist indiziert, wenn eine rasche Aufhebung der antikoagulatorischen Wirkung von Dabigatran im Rahmen von nicht elektiven Eingriffen erforderlich ist, sowie im Rahmen der Therapie von lebensbedrohlichen oder nichtbeherrschbaren Blutungen. Die empfohlene Dosis von Idarucizumab beträgt insgesamt 5 g. Bei Patienten mit beeinträchtigter Leber- oder Nierenfunktion oder bei älteren Patienten ist keine Dosisanpassung erforderlich. Für klinisch relevante Blutungen unter den Xa-Inhibitoren muss die Therapie unspezifisch mit PPSB oder aPPSB erfolgen, da gegenwärtig kein Antidot verfügbar ist. Aufgrund der aktuellen Datenlagen scheinen Dosierungen mit PPSB von 25–50 IE/kgKG in Abhängigkeit von der plasmatischen Konzentration der Inhibitoren ausreichend. Zur Vermeidung von postoperativen thrombembolischen Komplikationen sollte bei stabilisierter Hämostase zeitnah eine Antikoagulation wieder aufgenommen werden.