Einleitung

Die massive Blutung mit hämorrhagischem Schock und Koagulopathie (definiert als Störung des „Organsystems Gerinnung“) stellt ein lebensbedrohliches Krankheitsbild dar und erfordert ein standardisiertes Vorgehen und organisiertes Management. In mehreren Studien konnte eine verbesserte Überlebensrate für schwer traumatisierte Patienten nach Einführung eines standardisierten Massivtransfusionsprotokolls beobachtet werden [1, 2, 3]. Dieser Effekt war insbesondere auf die frühzeitige Korrektur der Koagulopathie und auch die geordnete strukturelle sowie organisatorische Vorbereitung auf die Massivtransfusionssituation zurückzuführen. Die Notwendigkeit einer strukturierten Vorgehensweise wurde 2010 auch in der Helsinki-Deklaration zur Patientensicherheit der Europäischen Gesellschaft für Anästhesiologie (ESA, European Society of Anaesthesiology) hervorgehoben, indem die Einführung eines klinikspezifischen Protokolls zur Behandlung einer Massivblutung gefordert wird [4]. Mit der vorliegenden Handlungsempfehlung wurde im Konsens mit der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) ein Algorithmus zur Behandlung von Patienten mit lebensbedrohlichen Blutungen erstellt, der im Detail an lokale Gegebenheiten und Ressourcen angepasst werden muss. Dabei kann in dem erarbeiteten Algorithmus nicht auf jedes ursachenspezifische Behandlungskonzept eingegangen werden, da massive Blutungen aus vielen unterschiedlichen Entitäten entstehen können. In der aktuellen Literatur werden bei (poly-)traumatischer und bei perioperativer Massivblutung sowohl die pathophysiologischen Hintergründe wie auch die daraus abgeleiteten Therapieoptionen als vergleichbar angesehen. Mit zunehmendem Volumen des massiven Blutverlusts scheint der Anteil der komplexen Koagulopathie in Relation zu den sonstigen assoziierten pathophysiologischen Elementen wie Volumenmangelschock, anämische/ischämische Myokardkontraktilitätsstörung, akutes prärenales Nierenversagen, endokrines Stresssyndrom und intestinale, hepatische sowie zerebrale Minderperfusion eine führende Rolle einzunehmen. Daher wird in der vorliegenden Handlungsempfehlung davon ausgegangen, dass jede Massivblutung (Definitionen: Infobox 1) eine gemeinsame pathophysiologische und deshalb ähnlich zu therapierende Endstrecke besitzt, die in einem einheitlichen Algorithmus abgebildet werden kann [5, 6]. Der Algorithmus beruht deshalb auf der europäischen Empfehlung zur Behandlung von polytraumatisierten Patienten, der Querschnittsleitlinie der Bundesärztekammer (BÄK) zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten und der S3-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zur Behandlung von polytraumatisierten Patienten [7, 8, 9]. Die spezifischen, aktuellen Empfehlungsgrade und die Evidenzlevel (den Originalpublikationen zu entnehmen) sind mit entsprechender Vorsicht auf andere Blutungsentitäten anzuwenden.

Organisatorische Aspekte

Während der Akutphase einer massiven Blutung gilt es, mehrere Aufgaben gleichzeitig bzw. unmittelbar nacheinander abzuarbeiten. Das Vorliegen einer auch diesbezüglichen Verfahrensanweisung, „standard operating procedure“ (SOP) oder eines Massivtransfusionsprotokolls für Labor und Blutbank wird empfohlen [10, 11]. Zu diesem Zweck müssen Teams mit unterschiedlich definierten Aufgabenstellungen unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit personeller Ressourcen und lokaler Gegebenheiten (Distanz zum Blutdepot, Übermittlung und Anforderung von Labordiagnostik) gebildet werden. Der komplexe Aufgabenbereich der Überwachung, Narkoseführung, Diagnostik und Therapie umfasst im Wesentlichen folgende Aufgaben, die von einem „team leader“ oder einer interdisziplinären Führungsgruppe zu organisieren sind:

1. Kreislaufüberwachung, Volumen- und Katecholamintherapie, Analgosedierung, ggf. Intubation und Beatmung,

2. Anlage und Fixierung arterieller und großlumiger venöser Zugänge,

3. Abnahme und Transport von gekennzeichneten Blutproben für die Labordiagnostik und Bestimmung der blutgruppenserologischen Merkmale,

4. Abnahme und Durchführung von „Point-of-care“(POC)-Diagnostik [Blutgasanalyse (BGA), ggf. Thrombelastographie/Thromboelastometrie, Thrombozytenfunktion, Impedanzaggregometrie],

5. Anforderung sowie Transfusion von Blut- und Gerinnungsprodukten sowie auch deren Dokumentation und Erfolgskontrolle,

6. Transport von Blut- und Gerinnungsprodukten sowie die Bedienung von Druckinfusions- und Ultraschallgeräten.

Perioperative Massenblutung

Diagnose und Monitoring

Zur diagnostischen Bestandsaufnahme von Patienten mit Massenblutungen ohne lokalisierte Blutungsursache (z. B. polytraumatisierte Patienten) gehört die systematische, sonographische Untersuchung nach dem Konzept „Focused Assessment with Sonography for Trauma“ (FAST). Sollte trotz des Blutverlusts eine Diagnose möglich erscheinen und die Blutungsquelle nicht bekannt sein, sollte die Blutungsquelle ohne großen Zeitverzug mithilfe des Ultraschalls oder der Mehrschicht-Spiral-Computertomographie (Mehrschicht-Spiral-CT) lokalisiert werden. Aufgrund der hohen Sensitivität und Spezifität in der Diagnostik intraabdomineller Verletzungen sollte die Mehrschicht-Spiral-CT insbesondere nach Abdominaltrauma durchgeführt werden. Neben der initialen bildgebenden Bestandsaufnahme wird zur Einschätzung der Schwere des Schocks die laborchemische Erhebung der Laktatkonzentration und des Basendefizits empfohlen [12]. In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass erhöhte Laktatwerte mit einer erhöhten Letalität korrelieren und die Höhe des Basendefizits mit einem vermehrten Transfusionsbedarf korreliert [13, 14]. Im Weiteren werden regelmäßige Bestimmungen des Hämatokritwerts empfohlen. Zur Einschätzung der Schwere des Schocks und des Ausmaßes des Blutverlusts sollte der Hämatokrit oder die Hämoglobinkonzentration nicht isoliert betrachtet werden, da ein wechselnder Volumenstatus durch den Blutverlust und die Infusion von Volumenersatzmitteln schwerlich gemessen und mitbeurteilt werden kann. Die nichtinvasive Analyse der Schlagvolumenvarianz aus der arteriellen Pulskurve beispielsweise hat sich jedoch als hinreichend genaues Beurteilungskriterium beim beatmeten und nichtarrhythmischen Patienten erwiesen. Als Prädiktor einer Massivtransfusion sollte außerdem der „Trauma Associated Severe Hemorrhage (TASH) Score“ des Deutschen Trauma-Registers (DGU) verwendet werden (Tab. 1; [15, 16]).

Tab. 1 Berechnung des „Trauma Associated Severe Hemorrhage (TASH) Score“. (Nach [15, 16])

Eine Messung der Prothrombinzeit [(PT), International Normalized Ratio (INR), Quick-Wert], der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (aPTT) sowie die Bestimmung der Thrombozytenzahl und der Fibrinogenkonzentration können Anhalt für eine komplexe Gerinnungsstörung geben, obwohl die Ergebnisse nur bedingt mit der Schwere der Blutung und der Konzentration der Gerinnungsfaktoren korrelieren [17]. Unterhalb einer PT von 50 %, einer aPTT länger 45 s und einer Fibrinogenkonzentration, gemessen nach Clauss, < 100 mg/dl (< 1 g/l) sind mikrovaskuläre Blutungen zu erwarten. Allerdings ist die Beschränkung auf diese Routinelaborparameter nicht ausreichend, da die PT und aPTT nur die initiale Phase der plasmatischen Gerinnung widerspiegeln. Informationen zur primären Hämostase, zu korpuskulären Aspekten der Gerinnung (Interaktion der Thrombo- und Erythrozyten mit dem Gefäßepithel) und auch zu Gerinnungsinhibitorenaktivität sowie Gerinnselfestigkeit bzw. Hyperfibrinolyse sind nicht zu erhalten.

Im Gegensatz zu den plasmatischen Gerinnungstests ermöglicht die Thrombelastographie (TEG™)/-Thromboelastometrie (ROTEM™) als Viskoelastizitätstest die Verwendung von Vollblut. Somit erlauben diese Verfahren eine zeitnahe (POC-)Einschätzung des Gerinnungsstatus des Patienten und liefern Informationen zur Fibrinpolymerisation sowie Gerinnselfestigkeit [18]. Daher werden diese Messverfahren zur Ergänzung und Differenzialdiagnose einer Koagulopathie sowie zur Steuerung einer individuellen Gerinnungstherapie empfohlen [7]. Erste kontrollierte und retrospektive Studien aus der Herz- und Unfallchirurgie zeigen einen reduzierten Transfusionsbedarf durch die Anwendung eines thromboelastometriegesteuerten Gerinnungsmanagements [19, 20]. Allerdings sind weitere aussagekräftige prospektive Studien zu diesem Thema ausständig und der Einsatz der Thrombelastographie/Thromboelastometrie ist mit einem relativ hohen Personalaufwand verbunden [21]. Einzelfaktorenbestimmungen bei anamnestisch bekanntem Mangel an den Faktor (F)V, FVIII, Willebrand-Faktor, FIX und/oder FXI geben Hilfestellungen bei der Wahl von Art und Dosierung der Substitution.

Während eine laborchemisch begründete Diagnose „Koagulopathie“ schwierig bleibt, ist die visuelle Identifikation von nichtchirurgischen, diffusen Blutungen aus Schleimhaut, Serosa und Wundflächen, Blutungen aus den Einstichstellen intravasaler Katheter sowie Blutungen aus liegenden Blasenkathetern oder Magensonden möglicherweise die verlässlichste, weil klinisch relevante und sichtbare Diagnose der mikrovaskulären Koagulopathie [22].

Therapie

Gewebeoxygenierung und Volumentherapie

Permissive Hypotension

Nach dem Konzept der permissiven Hypotension wird ein niedriger arterieller Mitteldruck („mean arterial pressure“, MAP) > 65 mmHg (systolischer Blutdruck 80–100 mmHg) in der initialen Behandlung polytraumatisierter Patienten ohne Schädel-Hirn-Trauma bzw. ohne Rückenmarkverletzung mit persistierendem Blutverlust aus inneren, also nichtkomprimierbaren Blutungsquellen angestrebt [7]. Ziele dieser Strategie sind die Unterstützung der Thrombusbildung, die Verringerung der Gefahr frühzeitiger Gerinnselablösung und, durch restriktive Volumentherapie, die Vermeidung der iatrogenen Dilution. Obwohl systematische Studien an Patienten mit lebensbedrohlichen Blutungen anderer Ursachen nicht vorliegen, kann diese Empfehlung auch für andere lebensbedrohliche Blutungssituationen ohne Schäden bzw. Eingriffe am zentralen Nervensystem übernommen werden. Zur Aufrechterhaltung eines ausreichenden Perfusionsdrucks bei ischämischen Schäden oder nach Eingriffen am zentralen Nervensystem ist zum Erhalt der zerebrovaskulären Autoregulation ein höherer MAP anzustreben. Ein Zielbereich für den MAP ist bei diesen Patienten allerdings nicht näher definiert [7].

Volumentherapie

Die Volumenersatztherapie bei schweren Blutungen sollte primär mit balancierten Kristalloidlösungen durchgeführt werden [7, 23]. Inwieweit kolloidale Lösungen, hier insbesondere die modernen balancierten Hydroxyäthylstärke(HAES)- und Gelatinelösungen, Vor- oder Nachteile bieten, ist Thema kontroverser Diskussionen. Hypertone Lösungen scheinen keine Reduktion der Morbidität bzw. Letalität zu ermöglichen. Insbesondere bei traumatisch bedingten Blutungen konnte ein verbessertes Outcome weder für hypertone noch für die kolloidalen Lösungen im Vergleich zur kristalloiden Volumenersatztherapie belegt werden [24, 25, 26, 27, 28]. Lediglich bei penetrierendem Trauma konnte in einer kleinen Studienpopulation eine schnellere Normalisierung des Laktatspiegels nach der Infusion von HAES-Lösungen im Vergleich zu der Gabe von 0,9 %iger NaCl-Lösung gezeigt werden [29]. Andererseits zeigte eine Metaanalyse, dass auch bei Traumapatienten die Gabe von HAES-Lösungen mit einer erhöhten Inzidenz von Nierenversagen und einer erhöhten Letalität einhergeht [30].

Rahmenbedingungen zur Aufrechterhaltung der Hämostase

Hypothermiebedingte plasmatische Gerinnungsstörungen sind bei Temperaturen < 34 °C bzw. eine Verminderung der thrombozytären Funktion bei Temperaturen < 33 °C zu erwarten [31]. Beim massiv transfundierten Patienten kann eine gestörte Thermoregulation durch Narkose, Exposition einer kühlen Umgebungstemperatur und Infusion nichtvorgewärmter Infusionslösungen sowie Blutprodukte begünstigt werden. Aufgrund der hohen Letalität hypothermer Patienten sollen die iatrogene Auskühlung vermieden und Maßnahmen zur Erzielung der Normothermie (z. B. die Infusion vorgewärmter Lösungen, Anwendung von Infusionswärmern) frühzeitig ergriffen werden.

Die durch Hypovolämie und Schock beeinträchtigte Minderperfusion führt zu einer Gewebehypoxie mit Bildung von Laktat und einer Acidose. Weiterhin kann im Rahmen einer Massivtransfusion die Transfusion von gelagerten Erythrozytenkonzentraten (EK) und zitrathaltigen Blutprodukten die Acidose verstärken [32]. Unterhalb eines pH ≤ 7,15 ist eine Beeinträchtigung der Hämostase und Thrombozytenfunktion sowie auch eine Minderaktivität aller Gerinnungsfaktoren zu beobachten [33, 34]. Ursächlich ist die Beobachtung auf die Wechselwirkung der Protonen mit den kalziumabhängigen Gerinnungsfaktoren und den negativ geladenen Phospholipiden der Thrombozytenmembran zurückzuführen. Daher sollte vor der Gabe von gerinnungsaktiven Medikamenten ein pH ≥ 7,2 angestrebt und insbesondere eine weitere Gewebehypoxie vermieden werden [35, 36]. Erniedrigte Plasmaspiegel des ionisierten Kalziums führen zu einer Beeinträchtigung der Hämostase [37]. Im Rahmen von Massivtransfusionen kann die zügige Gabe von EK bzw. gefrorenem Frischplasma („fresh frozen plasma“, FFP) durch die Zufuhr von Zitrat und die Bindung mit Kalzium zu einer Hypokalzämie führen. Auch geht eine steigende Laktatkonzentration mit einer linearen Abnahme des ionisierten Kalziums einher [38]. Kalzium wirkt u. a. als Ligand zwischen Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren, Phospholipiden und dem Endothel. Entsprechend soll der Kalziumspiegel engmaschig kontrolliert und bei nachgewiesener Reduktion des ionisierten Kalziums (≤ 3,6 mg/dl bzw. ≤ 0,9 mmol/l) entsprechend substituiert werden.

Da die Routinetests der Gerinnung im Labor (wie PT und PTT) bei 37 °C, gepuffert und im Kalziumüberschuss im Plasma untersucht werden, finden dabei die erheblichen Einflüsse von Hypothermie, Acidose, Hypokalzämie und Anämie keine Berücksichtigung [37]. Somit kann die Gerinnung in vivo erheblich beeinträchtigt sein, während die globalen Gerinnungstests normwertig oder nur geringe pathologische Werte zeigen.

Gerinnungstherapie der Massivblutung mit perioperativer Koagulopathie

In Tab. 2 ist beispielhaft ein Algorithmus zu Diagnose und Behandlung von Patienten mit Massenblutungen und perioperativen Gerinnungsstörungen zusammengestellt.

Tab. 2 Diagnose und Behandlung von Patienten mit Massenblutungen und perioperativen Gerinnungsstörungen

Korpuskuläre Elemente

Erythrozytenkonzentrate. In Ermangelung an prospektiv-kontrollierten Studien zum optimalen Trigger für die Transfusion von EK bei massiv-blutenden Patienten sollten Hämoglobinwerte von ≥ 7–9 g/dl (≥ 4,34–5,59 mmol/l) nach Terminierung der Blutung angestrebt werden [7, 9]. In Übereinstimmung mit den Ergebnissen der multizentrischen Studien von Hébert et al. zeigt eine Cochrane-Analyse, dass ein restriktives Transfusionsregime für nichtkardiovaskulär vorerkrankte Patienten keinen Nachteil bringt [39, 40]. Als Argumente gegen ein liberales Transfusionsregime werden die unerwünschten Effekte wie die Übertragung infektiöser Erreger, Transfusionsreaktionen und Immunsuppression sowie Verwechslungsgefahr der Transfusion angeführt. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass die Bluttransfusion ein unabhängiger Prädiktor für die Sterblichkeit und ein unabhängiger Risikofaktor für die Entstehung eines posttraumatischen Multiorganversagens (MOV; [41, 42]) ist. Dabei war auch die Lagerdauer der EK bei traumatisierten Patienten mit einer signifikanten Verschlechterung des Überlebens assoziiert [43].

Obwohl im Notfall EK auch AB0-ungleich („major-kompatible“ Präparate) transfundiert werden können, sollten EK nach Möglichkeit AB0-kompatibel verabreicht werden. Die Beachtung des Rhesusfaktors wird lediglich für Frauen im gebärfähigen Alter empfohlen, kann aber bei dringenden Indikationen aus logistischen Gründen ohne negative Akuteffekte für die Empfängerin missachtet werden. Ein Bedside-Test und die Überprüfung der Konserve sind in jedem Fall zwingend erforderlich.

Thrombozytenkonzentrate. Thrombozytenkonzentrate (TK) sind leukozytendepletiert und stammen entweder als Pool-Thrombozyten von mehreren oder als Apherese-TK von einem Spender. Es stehen 2 Präparate zur Verfügung: Das Pool-TK enthält in Abhängigkeit von der Zahl gepoolter Einheiten (von 4 bis 6 Spendern) 240–360•109 Thrombozyten, das Apherese/TK enthält durchschnittlich 200–400•109 Thrombozyten. Der zu erwartende Anstieg nach der Transfusion eines Apheresekonzentrats ohne bestehenden Blutverlust beträgt ca. 20–30•103/μl. Im Rahmen von lebensbedrohlichen Massivblutungen oder einer Blutung und dem gleichzeitigen Vorliegen eines Schädel-Hirn-Traumas wird die Transfusion von Thrombozyten beim Unterschreiten eines Werts von 100•103/μl empfohlen. In klinischen Situationen mit mäßigem Blutverlust scheinen Thrombozytenwerte > 50•103/μl ausreichend zu sein. Bei initialer Blutung fallen Thrombozyten in der Regel erst spät auf kritische Werte [8]. Eine Thrombozytenfunktionsstörung ist bei anhaltenden Blutungen trotz ausreichender Zahl der Thrombozyten, des Einsatzes der extrakorporalen Zirkulation oder der intraaortalen Gegenpulsation und einer Medikamentenanamnese mit Thrombozytenaggregationshemmern wahrscheinlich. In experimentellen Ansätzen konnte eine aspirininduzierte sowie eine hypothermiebedingte verminderte Thrombozytenfunktion durch die Applikation von Desmopressin (1-Deamino-8-D-Arginin-Vasopressin, DDAVP, Minirin®) in einer Dosierung von 0,3 µg/kgKG über 30 min verbessert werden [44]. Zur Beurteilung der Thrombozytenfunktion sollte ein Thrombozytenfunktionstest (z. B. Impedanzaggregometrie, PFA-100) durchgeführt werden. Insbesondere bei bekannter, medikamentös erworbener Thrombozytenfunktionshemmung wird die Erweiterung der Diagnostik empfohlen. Aus pathophysiologischer Überlegung kann bei diffus blutenden Patienten mit Verdacht auf Thrombozytopathie ein Therapieversuch in Erwägung gezogen werden [8, 9].

Gerinnungspräparate

Gefrorenes Frischplasma. Frischplasmen enthalten alle pro- und antikogulatorischen Proteine im physiologischen Gleichgewicht. Nach Aufbereitung der FFP beträgt die Konzentration der Gerinnungsfaktoren zwischen 70–100 %. Konzentrationsunterschiede sind insbesondere bei den Akute-Phase-Proteinen Fibrinogen und FVIII zu beobachten. Obwohl die Transfusion von FFP im Rahmen von Massivblutungen intuitiv folgerichtig scheint, konnte in einer Metaanalyse kein Vorteil für die Transfusion von FFP gezeigt werden [45]. Insbesondere bezüglich der Massivtransfusion werden die zu transfundierenden FFP-Volumina sowie auch das Transfusionsverhältnis von EK zu FFP kontrovers diskutiert. Trotz mangelnder Evidenz werden von den verschiedenen Fachgesellschaften initiale FFP-Volumina von 15–20 ml/kgKG angegeben [8]. Allerdings wird in den Empfehlungen auch darauf hingewiesen, dass die klinische Situation (z. B. Zeichen einer bestehenden Koagulopathie) die Transfusion höherer FFP-Volumina erfordert. Neben den klinischen Zeichen einer erfolgreichen FFP-Transfusion (z. B. Sistieren der Blutung aus Einstichstellen) sollen engmaschige Gerinnungskontrollen der globalen Gerinnungstests, des Fibrinogenspiegels und der Thromboelastometrie erfolgen. In einer retrospektiven Datenanalyse an 466 Patienten konnten Holcomb et al. [46] eine signifikant verbesserte 30-Tage-Überlebensrate für Patienten mit einem erhöhten FFP-EK-Transfusionsverhältnis nachweisen. Im Einklang mit diesen Studienergebnissen konnte eine signifikant reduzierte hämorrhagiebedingte Letalitätsrate an 246  Soldaten mit einem hohen FFP-EK-Verhältnis gezeigt werden [47]. Im Kontrast zu diesen Untersuchungen deuten andere Analysen darauf hin, dass die nachgewiesenen positiven Effekte einer hohen FFP-EK-Ratio durch ein signifikantes Überlebensbias zu erklären waren [48]. Ob ein hohes FFP-EK-Verhältnis oder eher die frühzeitige Therapie der Koagulopathie für das Überleben vorteilhaft ist, kann derzeit nicht abschließend beantwortet werden [49, 50]. Gegen die alleinige Verwendung von FFP zur Gerinnungstherapie sprechen die niedrige gerinnungsaktive Potenz im blutungsbedingten Faktorendefizit und v. a. der Mangel an Thrombussubstrat (bedeutet hauptsächlich Fibrinogen), der weitere Verdünnungseffekt durch Volumensubstitutionslösungen sowie die ungünstige Logistik (Auftauprozess). Für die Mitverwendung von FFP auf der anderen Seite plädieren die Transfusion von allen Gerinnungsfaktoren im physiologischen Gleichgewicht und die Nichtverfügbarkeit von industriell hergestellten Konzentraten der Gerinnungsfaktoren V und XI.

Ebenso ist im Gegensatz zu der Anwendung von Gerinnungsfaktoren die Transfusion von FFP u. a. mit einem erhöhten Risiko für ein akutes transfusionsassoziiertes Lungenversagen und dem Auftreten postoperativer Infektionen assoziiert [51, 52]. Entsprechend restriktiv muss die Transfusion von FFP unter Abwägung von Risiko und Benefit mit Hinblick auf die klinische Erforderlichkeit bzw. mögliche therapeutische Alternativen erfolgen. Insbesondere bei Massivtransfusionen ist darauf zu achten, dass die FFP-Gabe nicht AB0-kompatibel, sondern möglichst AB0-identisch erfolgt [53, 54].

Medikamentöse Therapie

Antifibrinolytische Therapie

Bei akut massiv-blutenden Patienten mit Zeichen einer diffusen Gerinnungsstörung wird zum unmittelbaren Ausschluss einer Hyperfibrinolyse die Thromboelastometrie empfohlen [55]. Insbesondere bei auffallend niedrigen Fibrinogenkonzentrationen sollte eine Hyperfibrinolyse in Erwägung gezogen werden. Deren Häufigkeit wird bei polytraumatisierten Patienten mit ca. 15 % angegeben [56, 57]. Dabei korreliert das Ausmaß der Hyperfibrinolyse mit der Größe des Operationstraumas bzw. der Verletzung. Patienten mit Thoraxtrauma, stumpfem Bauchtrauma sowie Becken- und Schädel-Hirn-Trauma zeigen überproportional häufig Zeichen der Hyperfibrinolyse. Eine Hyperfibrinolyse infolge einer überschießenden Freisetzung von Gewebeplasminogenaktivator („tissue-type plasminogen activator“, t-PA) ist auch bei einer Verletzung von bzw. bei Operationen an Lungen, Pankreas, Plazenta, Prostata, Gehirn und Leber möglich. Nachdem Aprotinin zur antifibrinolytischen Therapie nicht mehr zugelassen ist, steht in Deutschland nur noch Tranexamsäure als antifibrinolytisches Therapeutikum zur Verfügung. Durch die irreversible Blockierung des Plasminogens an der Lysinbindungsstelle hemmt Tranexamsäure die Hyperfibrinolyse. In Folge wird Plasminogen nicht mehr durch t-PA aktiviert. In der Therapie der Hyperfibrinolyse wird Tranexamsäure mit einer initialen Dosis von 15–20 mg/kgKG (Bolus 1–2 g) verabreicht und bei klinischer Notwendigkeit durch eine kontinuierliche Infusion von 1–5 mg/kgKG/h unterstützt [58]. In der Studie Clinical Randomisation of an Antifibrinolytic in Significant Haemorrhage- (CRASH)-2 konnte an über 20.000 randomisierten Patienten gezeigt werden, dass der Einsatz von Tranexamsäure mit einer signifikanten Reduktion der Gesamt- und der blutungsbedingten Sterblichkeit assoziiert war [59]. Im Rahmen dieser multizentrischen Studie wurde keine erhöhte Rate von thrombembolischen Ereignissen notiert. Aufgrund der positiven Ergebnisse der Studie wird der frühzeitige Einsatz von Tranexamsäure (möglichst innerhalb 1 h nach Trauma) bei massiv-blutenden Patienten mit nachgewiesener oder vermuteter Hyperfibrinolyse empfohlen [60]. In einer Metaanalyse von Henri et al. [61] war die Anwendung von Antifibrinolytika mit einer Reduktion des Blutverlusts assoziiert (insbesondere in der Herzchirurgie) und führte auch zu einer Reduktion der Transfusionshäufigkeit. Allerdings ist nicht klar, ob die Gabe von Tranexamsäure grundsätzlich bei Massenblutungen unterschiedlicher Ätiologie einen Nutzen hat.

Therapie mit Gerinnungsfaktoren und Faktorkonzentraten (Prokoagulatoren)

Fibrinogen

Fibrinogen ist ein in der Leber synthetisiertes Glykoprotein, das für die Bildung des Fibrinnetzwerks essenziell ist und als Ligand für den Glykoprotein(GP)IIb/IIIa-Rezeptor an der Thrombozytenoberfläche zur Thrombozytenaggregation beiträgt. Die biologische Halbwertszeit beträgt ca. 96–120 h. Die normale plasmatische Fibrinogenkonzentration liegt je nach Referenzkollektiv zwischen 150–450 mg/dl (1,5–4,5 g/l); der Normwert am Ende der Schwangerschaft beträgt 450–600 mg/dl (4,5–6 g/l, [62]). Da Fibrinogen ein Akute-Phase-Protein ist, können bei Infektionen oder postoperativ Plasmaspiegel > 1000 mg/dl ( > 10 g/l) Plasma erreicht werden. Erworbene Fibrinogenmangelzustände treten bei Massivblutungen durch den blutungsassoziierten Verlust, Verbrauch und Dilution über zugeführte Infusionen bzw. die Transfusion von allogenen Blutprodukten auf. Obwohl die mit der Massivblutung assoziierte Koagulopathie durch eine Reduktion aller Prokoagulatoren bedingt wird, sind kritisch niedrige Fibrinogenkonzentrationen laborchemisch als Erstes zu messen [63]. Tierexperimentelle Studien haben u. a. gezeigt, dass die frühzeitige exogene Substitution von Fibrinogen zu einer signifikanten Reduktion eines traumabedingten Blutverlusts führt und auch das Vorliegen einer Thrombozytopenie kompensiert [64, 65, 66]. Klinisch konnte diese Beobachtung durch verschiedene Studien aus unterschiedlichen Versorgungsgebieten bestätigt werden [67]. Obwohl hämostatisch wirksame Mindestspiegel Gegenstand aktueller Forschung und kontroverser Diskussion sind, wird im Rahmen von akuten massiven Blutungen ein Fibrinogenspiegel von 150–200 mg/dl (1,5–2,0 g/l, [7, 8]) empfohlen. Bei Vorliegen oder Verdacht auf eine Hyperfibrinolyse muss vor der Supplementierung mit Fibrinogen eine antifibrinolytische Therapie eingeleitet werden. Die Substitution von exogenem Fibrinogen kann mit Fibrinogenkonzentraten erfolgen (in der Regel 3–4 g, 30–60 mg/kgKG, [7]). In Abhängigkeit von der laborchemischen Messmethode, z. B. nach Clauss, können die Fibrinogenkonzentrationen nach der Infusion von kolloidalen Lösungen falsch-hoch gemessen werden [68]. Für das Erreichen suffizienter Fibrinogenspiegel ist die Therapie mit FFP aufgrund der niedrigen Fibrinogenkonzentrationen und der mit dieser Therapie assoziierten weiteren Dilution häufig nicht ausreichend [8].

Prothrombinkomplexkonzentrat

Prothrombinkomplexkonzentrate (PPSB) enthalten die Proenzyme (Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X) des Prothrombinkomplexes. Des Weiteren sind die antikoagulatorischen Proteine Protein S, C, Antithrombin und Heparin enthalten. (Kein Heparin enthält in der Bundesrepublik nur das PPSB-Präparat vom Hersteller Biotest.) Die Standardisierung der Faktorkonzentrationen erfolgt ausschließlich auf den Faktor IX, d. h., alle anderen Pro- und Antikoagulatoren können in von physiologischen Verhältnissen abweichender Zusammensetzung der Faktorenaktivitäten vorliegen [69]. Rezente Leitlinien empfehlen die Applikation von PPSB zur akuten Aufhebung cumarininduzierter Koagulopathien oder bei schwerem Vitamin-K-Mangel [7]. Obwohl nicht alle essenziellen Gerinnungsfaktoren in PPSB-Präparaten enthalten sind, konnte in retrospektiven Studien ein Nutzen von PPSB zur Behandlung komplexer Koagulopathien gezeigt werden [19, 70, 71]. Die Ergebnisse konnten in tierexperimentellen Traumastudien bestätigt werden [72, 73, 74]. Allerdings weisen die Resultate kürzlich veröffentlichter experimenteller Studien auf ein erhöhtes Risiko für thrombembolische Ereignisse bzw. das Auftreten einer disseminierten intravasalen Koagulopathie („disseminated intravascular coagulation“, DIC) nach der Anwendung höherer Konzentrationen von PPSB hin [75, 76]. Eine Imbalance des pro- und des antikoagulatorischen Potenzials zugunsten einer mangelnden Gerinnungsinaktivierung durch Prothrombin (FII) konnte als Ursache für die adversen Reaktionen identifiziert werden. Da zurzeit keine geeigneten praktikablen Messungen der Thrombingenerierung erhältlich sind, wird von einigen Autoren die Thromboelastometrie zur Steuerung einer PPSB-Therapie vorgeschlagen [77]. Allerdings wird dieses Vorgehen kontrovers diskutiert [76]. Aufgrund der beobachteten Nebenwirkungen von PPSB außerhalb der Indikation cumarininduzierter Koagulopathien muss die Anwendung von PPSB im Rahmen komplexer Koagulopathien unter strenger Abwägung des potenziellen Benefits und des Risikos möglicher adverser Reaktionen erfolgen. Sofern PPSB zur Antagonisierung einer cumarininduzierten Koagulopathie verwendet wird, sollte aufgrund der langen Halbwertszeit der Cumarine zusätzlich Vitamin K appliziert werden [7].

Rekombinanter aktivierter Faktor VII

Durch die Gabe von rekombinantem aktiviertem Faktor VII (rFVIIa) wird die Konzentration des Gerinnungsfaktors VII um ein Vielfaches angehoben. Infolge der supraphysiologischen Konzentrationen nach Gabe von rFVIIa bindet dieser mit geringer Affinität an aktivierte Thrombozyten und aktiviert FX. Die Gerinnungsaktivierung erfolgt unabhängig von dem Gewebefaktor und führt letztlich zu einem „Thrombin-Burst“ [78]. In Deutschland ist rFVIIa zur Behandlung von schweren Blutungsereignissen oder zur Vorbeugung von Blutungen nur bei Patienten mit kongenitaler Hämophilie mit Hemmkörpern, bei Patienten mit erworbener Hemmkörperhämophilie, kongenitalem FVII-Mangel und Glanzmann-Thrombasthenie zugelassen. Abhängig von der hämostaseologischen Beeinträchtigung werden Dosierungen von 40–120 μg/kgKG angegeben. Zahlreiche Kasuistiken haben außerhalb der zugelassenen Indikationen die Effektivität von rFVIIa bei der Behandlung lebensbedrohlicher Massivblutungen beschrieben [79]. Insbesondere konnte bei schweren peri- und postpartalen Blutungen durch den Einsatz von rFVIIa eine Hysterektomie als Ultima-Ratio-Therapie verhindert werden [80]. In der Behandlung von traumatisierten Patienten führte die Anwendung von rFVIIa in einer multizentrischen Studie zu einer signifikanten Reduktion des Transfusionsbedarfs und der Anzahl von Massivtransfusionen bei Patienten mit stumpfem Trauma [81]. Die Phase-III-Folgestudie „Control“ an traumatisierten Patienten wurde nach einer Interimsanalyse frühzeitig abgebrochen, da eine signifikante Reduktion in Bezug auf den primären Endpunkt (Sterblichkeit) nach Einbeziehung aller Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erreicht worden wäre [82]. Basierend auf den Studien und Erfahrungen zum rFVIIa wird dessen Einsatz nur im Rahmen lebensbedrohlicher Blutungen, die nicht durch chirurgische und andere Interventionen (z. B. radiologische Embolisation) sowie nach der Ausschöpfung aller anderen hämostaseologischer Maßnahmen terminiert werden können, als Ultima-Ratio-Therapie empfohlen. Da insbesondere im Rahmen der „Off-label“-Verwendung von rFVIIa vermehrt über thrombembolische Ereignisse im arteriellen und im venösen Gefäßsystem berichtet worden ist, besteht eine Dokumentations- und Aufklärungspflicht (ggf. nachträglich) über die potenziellen Gefahren thrombembolischer Ereignisse [83, 84, 85].

Mittlere Dosisanwendungen für nichtzugelassene Indikationen wurden mit 90 μg/kgKG ermittelt. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit kann eine Repetitionsdosis nach 2 h erwogen werden. Voraussetzungen für eine effiziente rFVIIa-Wirksamkeit sind ein Fibrinogenwert von ≥ 100 mg/dl (≥ 1 g/l), eine Thrombozytenzahl ≥ 50.000•109/l und ein pH-Wert ≥ 7,2 sowie der Ausschluss eines Heparineffekts [86].

Medikamentös erworbene Gerinnungsstörungen

Thrombozytenaggregationshemmer

Die Behandlung lebensbedrohlicher Blutungen kann durch die präoperative Einnahme einer antikoagulatorischen Therapie erschwert werden. Bei bekannter Einnahme eines Thrombozytenaggregationshemmers [Acetylsalicylsäure (ASS); Adenosindiphosphat(ADP)-Rezeptor-Antagonisten; GP-IIb/IIIa-Antagonisten] und resistenter intraoperativer Blutung sollte zur Beurteilung der Thrombozytenfunktion eine entsprechende Diagnostik durchgeführt werden. Da kein Antidot zur Aufhebung eines Thrombozytenaggregationshemmers verfügbar ist, erfolgt die Therapie mithilfe der Transfusion von Thrombozyten. Bei bekannter Einnahme von ASS und/oder eines ADP-Rezeptor-Antagonisten kann eine medikamentöse Therapie mit Desmopressin die Thrombozytenfunktion verbessern. Die vermehrte Expression des thrombozytären GP-Ib-Rezeptors und Freisetzung des Willebrand-Faktors führen zu einer unspezifischen Thrombozytenaktivierung. Allerdings konnte in einer Cochrane-Analyse keine Wirksamkeit zur prophylaktischen Gabe von Desmopressin nachgewiesen werden [87]. Systematische Studien zur Behandlung mit Desmopressin bei Traumapatienten oder Patienten mit Massivblutungen liegen nicht vor.

Direkte Thrombininhibitoren und Xa-Inhibitoren

Durch die Einführungen von Rivaroxaban, Apixaban (direkter Inhibitor von FXa) und Dabigatranetexilat (direkter Thrombininhibitor) stehen neue orale Antithrombotika zur Verfügung. Pharmakologische Besonderheiten ergeben sich u. a. aus der raschen Aufsättigung und den Halbwertszeiten, die nur unwesentlich länger sind als die der niedermolekularen Heparine [88]. Obwohl die PT und aPTT eine Alterierung in Korrelation mit den Plasmaspiegeln der direkten Thrombininhibitoren zeigen, können die Absolutwerte der PT bzw. aPTT nicht im Sinne einer klinischen Wirkungskorrelation interpretiert werden. Die Interpretation der Gerinnungstests wird durch das gleichzeitige Vorliegen einer komplexen Koagulopathie bei einer Massivblutung zusätzlich erschwert. Somit ist die Differenzierung einer medikamentös induzierten Gerinnungsveränderung nicht möglich, und es sollte entsprechend der klinischen Gerinnungssituation bzw. der Verlaufsbeobachtung gehandelt werden. Zurzeit ist kein spezifisches Antidot für die Aufhebung der Wirkung der Thrombininhibitoren und Xa-Inhibitoren erhältlich. Für die Antagonisierung der Wirkung der Xa-Inhibitoren kann die Gabe von PPSB, aktiviertem PPSB (FEIBA) oder rFVIIa versucht werden. Zur Antagonisierung der antikoagulatorischen Wirkung von Dabigatranetexilat (Thrombininhibitor) wird nach Angabe des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in akuten Blutungssituationen nur die medikamentöse Gabe von FEIBA bzw. rFVIIa empfohlen [89]. In einer klinischen Studie an gesunden Probanden von Eerenberg et al. [90] führte die Anwendung von PPSB zu einer Normalisierung der aPTT und Thrombingenerierung nach Rivaroxabaneinnahme [90]. Dieser Effekt konnte nach Dabigatranetexilateinnahme nicht beobachtet werden. In einer weiteren klinischen Studie konnte die Wirkung von Fondaparinux (indirekter Thrombininhibitor) mit FEIBA antagonisiert werden [91]. Im Gegensatz zu rFVIIa werden durch die Verabreichung von PPSB bzw. FEIBA die Konzentrationen der reversibel inhibierten Faktoren erhöht. Dies ist zwar eine mögliche Erklärung für die Wirksamkeit von PPSB bzw. FEIBA, allerdings existieren keine systematischen Studien zur klinischen Antagonisierung der neuen Antikoagulanzien.

Fazit für die Praxis

Die unterschiedlichen Ursachen lebensbedrohlicher Blutungen und die Komplexität der zugrunde liegenden Koagulopathien erfordern ein zielgerichtetes und standardisiertes Vorgehen. Ziel der Therapie ist, die Exsanguination zu verhindern und sekundäre Folgeschäden zu vermeiden. Dies erfordert eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Erstellung klinikinterner Algorithmen, die unter Berücksichtigung hausinterner Gegebenheiten zu erstellen sind.