Zusammenfassung
Ausgehend von der historischen Entwicklung der Männlichkeitsforschung werden die zentralen Begriffe „hegemoniale Männlichkeit“ und „männliche Herrschaft“ vorgestellt. Danach wird der Wandel männlicher Lebenslagen vor allem mit Blick auf Erwerbsarbeit und Familie beschrieben, wobei hier deutlich wird, dass junge Männer mit vielfältigen geschlechtlich konnotierten Ambivalenzen und Unsicherheiten konfrontiert sind. Dies wird am Beispiel intimer heterosexueller Beziehungen verdeutlicht. Abschließend wird die Frage diskutiert, ob vor dem Hintergrund des skizzierten Wandels hegemoniale Männlichkeit weiterhin als analytische Leitkategorie der Männlichkeitsforschung Bestand hat.
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Notes
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In der Männergesundheitsforschung ist diese Perspektive fortgeführt und ausdifferenziert worden (Meuser 2007a).
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In diesem Zusammenhang spielt auch die (mitunter vehemente) Abgrenzung von Homosexualität eine große Rolle (Kehily 2009). Allerdings gibt es Hinweise, dass die Abgrenzung von Homosexualität an Bedeutung als Mitgliedschaftskriterium in der männlichen Peergroup verliert (Anderson 2009; McCormack 2014; Rumens 2018 – kritisch hierzu u. a. Diefendorf und Bridges 2020).
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Michael Kimmel (1996, S. 7) sieht die Bedeutung homosozialer Gemeinschaften darin, dass in ihnen die männliche Geschlechtsidentität geformt wird: “Masculinity is largely a homosocial enactment.” Pierre Bourdieu (1997, S. 203) zufolge wird der männliche Habitus in den „ernsten Spielen des Wettbewerbs“ geformt, welche die Männer untereinander austragen (Meuser 2007b).
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Man kann dies als einen Aspekt eines von Böhnisch konstatierten, breiter angelegten strukturellen Spannungsverhältnisses im Alltag von Männern sehen, das er als eine „Gleichzeitigkeit von Zurückweisung und Aufforderung von Männlichkeit“ (Böhnisch 2018, S. 201) beschreibt.
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In eine ähnliche Richtung argumentiert Böhnisch (2018) mit seinem Konzept des „modularisierten Mann[es]“, wenn er den „Widerspruch zwischen zurückgewiesener und neu aufgeforderter Männlichkeit“ als die treibende Kraft für das „Phänomen der Modularisierung“ (ebd., S. 203) begreift.
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Meuser, M. (2022). Männlichkeitsforschung. Entwicklung, Befunde, Perspektiven. In: Nowacki, K., Sabisch, K., Remiorz, S. (eds) Junge Männer in Deutschland. Edition Centaurus – Jugend, Migration und Diversity. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-39235-2_1
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