Zusammenfassung
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wenden sich Hochschulforschung sowie -praxis verstärkt einem Verständnis von Hochschulen und Universitäten als Organisation zu (vgl. Huber 2012). Dieser „Organisationsswerdung“ (ebd., S. 245) gingen verschiedene Reformschübe voran, die jeweils eine spezifische Sicht auf die Organisationsumwelt bedingen. Hierzu zählte zuletzt das New Public Management, mit dem auch das Wirtschaftssystem zu einem strategischen Bezugspunkt hochschulischer respektive universitärer Planung wird (vgl. ebd.). Wenn auch gewiss nicht in einem solchen Umfang, so führt doch auch die Anforderung organisationale Prozesse inklusiv zu gestalten zu Reformen im Kleinen. Um universitäre Beratungs- und Supportstrukturen und ihre interaktiven Konstellationen mit dem Fokus auf die Gestaltung inklusiver Studienbedingungen bei Blindheit und Sehbehinderung exemplarisch analysieren zu können, muss zunächst bestimmt werden, was in den folgenden Ausführungen unter Universität als Organisation verstanden wird (Abschn. 3.1). Zur weiteren Annäherung und Verdeutlichung werden universitäre Ansätze zur inklusionssensiblen Weiterentwicklung, wie sie bislang an verschiedenen Stellen dokumentiert wurden, in einer organisationalen Perspektive betrachtet (Abschn. 3.2). Auf dieser Grundlage erfolgt anschließend die Vorstellung und Diskussion von Ergebnissen der explorativen Fallanalyse eines Teils der im Projektkontext erhobenen Daten (Abschn. 3.3). Eine Synopse der vorgestellten Befunde rundet dieses Kapitel ab (Abschn. 3.4).
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Notes
- 1.
Abkürzungen nach Zitaten wie O7 oder S6 sind Abkürzungen für Interviewpartnerinnen und Interviewpartner. O steht dabei für Interviews die mit Angehörigen der Organisation Hochschule geführt wurden. S für Interviews, die mit Studierenden geführt wurden. Die Zahlen beziehen sich auf die Nummer des Interviews, die Absatznummern auf die Absätze des Interviewtranskripts. Der Bezug auf ein Dokument wird durch ein D abgekürzt, bspw. D2.
- 2.
Die Braillezeile wird als elektronisches Ausgabegerät an einen Computer angeschlossen. Die auf einem Bildschirm visuell durch den Computer dargestellten Informationen werden in Punktschrift überführt und sind so für Blinde erfassbar.
- 3.
Es handelt sich um eine freie Software mit offenem Quellcode zur Nutzung von Webdiensten.
- 4.
Hierbei handelt es sich um eine blindentechnische und kommerziell vermarktete Screenreader-Software. Das Akronym JAWS steht für JobAccessWithEyes.
- 5.
Vom Interviewpartner werden hier Screenreader und Braillezeile als Beispiele angeführt. Mit Hilfe einer sogenannten Screenreader-Software können von sehbeeinträchtigten Personen Informationen an einem PC gelesen werden, beispielsweise Texte oder Webseiten. Diese Software verfügt in der Regel über die Möglichkeit zur Ausgabe der Informationen über Sprache und/oder die Ausgabe in Punktschrift auf einer elektronischen Braillezeile.
- 6.
Anlassbezogen kooperiert die Service-Abteilung an dieser Stelle hochschulintern auch mit dem International Office der Universität. So werden gleichfalls Studienmaterialien für internationale Studierende mit Sehbeeinträchtigung bearbeitet, die aus einem anderen Land zum Studieren an die Hochschule kommen.
- 7.
Für die Interaktionen der beteiligten Akteure ließe sich ein eigenes Prozessmodell konstruieren. Dies ist jedoch nicht Gegenstand der hier verfolgten studienverlaufsbezogenen Analyse und wird daher an anderer Stelle zu leisten sein.
- 8.
Zur Durchführung wird mit einer lokalen sonderpädagogischen Einrichtung kooperiert (vgl. O1).
- 9.
Die differenten Konstruktionsprozesse von sehenden und blinden Menschen hat Saerberg (2006) in seiner Dissertation am Beispiel von räumlicher Orientierung herausgearbeitet.
- 10.
Zu den Umweltfaktoren gehören eine auf Sehbeeinträchtigung spezialisierte Bildungseinrichtung, der Sitz einer Selbsthilfeorganisation blinder und sehbehinderter Menschen für Studium und Beruf sowie die auf die Bedarfe sehbeeinträchtigter Menschen ausgelegte Infrastruktur in der Stadt.
- 11.
Methodisch bleibt anzumerken, dass die hier vorgenommene Untersuchung einer doppelten Selektivität unterliegt. Eine besteht in den Entscheidungen des Projektteams zu den Interviewpartnerinnen und -partnern, denn diese repräsentieren eine Auswahl der in der Hochschule insgesamt vorfindbaren Perspektiven. Überdies dürfte es sich bei den herausgearbeiteten Themen und Mechanismen um Stellen dichter Kopplung handeln respektive werden diese organisational kontrolliert und von den Interviewpartnerinnen und -partnern entsprechend beobachtet (vgl. Weick 1976/2009, S. 96). Daher ist prinzipiell davon auszugehen, dass es über die untersuchten Beziehungen hinaus in der Hochschule eine Reihe von losen Kopplungen gibt, die sich ebenfalls auf Studieren mit Blindheit und Sehbehinderung beziehen.
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Ruhlandt, M. (2021). Universitäre Beratungs- und Supportstrukturen bei Blindheit und Sehbehinderung – eine organisationale Perspektive. In: Inklusives Studieren bei Blindheit und Sehbeeinträchtigung. Blinden- und Sehbehindertenpädagogik im Kontext Lebenslangen Lernens. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32816-0_3
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