Zusammenfassung
Der 1980 erschienene Roman ist, wie Zwettl (1973), ein unmittelbar aus der Familiengeschichte des Autors abgeleitetes Buch über eine bis zum frühen Tod des Vaters reichende Kindheit. Das erzählte Ich, die Kinderperspektive, rekapituliert die wenigen bewusst erlebten Jahre mit dem Vater von 1938 bis 1945; es ist anklagend, nachtragend, zeigt den Vater als Strafenden oder das Kind verletzend mit der oft wiederholten Bemerkung: „Er benimmt sich wie ein Waschlappen.“ Das erzählende Ich dagegen arbeitet die Kindheitserlebnisse auf, indem es sie aufgrund späterer Erfahrungen und psychosozialer Erklärungsansätze deutet. Als dritte Perspektive schließlich sind Mitteilungen in die Form der postumen Anrede an den Vater gekleidet. Der ist Rechtsanwalt – ein kunstsinniger, in sich gekehrter Mann, der jedoch Mühe hat, die Familie zu versorgen, deshalb auf die Protektion des übermächtigen Großvaters angewiesen. Er wird vorwiegend mit kleineren Fällen betraut; oft sind es Tschechen und Juden, die seinen Beistand gegen die deutschen Besetzer suchen – so gering seine Möglichkeiten auch sind. Sein stummer und inaktiver Widerstand gegen den Nationalsozialismus fordert den Trotz des Sohnes heraus, der sich demonstrativ zum vaterfeindlichen Hitler-Jungen und Familien-Ekel entwickelt. Der Vater steht in wechselndem Licht, wirkt elegant und vereinsamt, schroff und weich zugleich. Erst der erwachsene Erzähler findet die Sprache auszudrücken, was das Kind erlebt und gefühlt haben mag gegenüber den Dressurversuchen und Geheimnissen der Erwachsenenwelt, angesichts brauner Uniformen und tschechischer Lieder und bei der langsamen Entdeckung der Ohnmacht des Vaters. Der Autor beschreibt die Gefühlswelt des Kindes und ergänzt sie um das Verständnis des Erwachsenen.
Ursprünglich veröffentlicht unter © J.B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH
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Bibliographie
Literatur
K. Kenkel: Der lange Weg nach innen. Väter-Romane der 70er und 80er Jahre. Christoph Meckel ‚Suchbild. Über meinen Vater‘ (1980), Elisabeth Plessen ‚Mitteilungen an den Adel‘ (1976) und P. H. ‚Nachgetragene Liebe‘ (1980), in: Der deutsche Roman nach 1945, Hg. M. Brauneck, 1993, 167–187.
H. Fritsch: H. und Kafka. Das vertraute Unvertraute in P. H.s ‚Nachgetragene Liebe‘, in: Seminar 29, 1993, 1, 55–64.
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Bolz, R. (2020). Härtling, Peter: Nachgetragene Liebe. In: Arnold, H.L. (eds) Kindlers Literatur Lexikon (KLL). J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05728-0_6652-1
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