Zusammenfassung
Gemäß dem praktisch geltenden Ethos in der Medizin sind alle lebendigen Menschen als Personen anzuerkennen und mit Respekt zu behandeln. Gleichzeitig ist dies in der philosophischen Debatte durchaus umstritten. So heben kriteriengebundene und transzendentale Personalitätskonzeptionen auf personelle Eigenschaften und Fähigkeiten ab oder setzen eine dem Menschsein inhärente Personalität voraus. Davon zu unterscheiden sind Ansätze, welche die Verwiesenheit von Personen zu- und aufeinander herausstellen und somit auch asymmetrische Beziehungen nicht notwendigerweise als abweichend markieren. Diese Ansätze verfügen über das Potenzial, die wechselseitigen Anerkennungsverhältnisse, in denen sich Personen befinden, ebenso zu erfassen wie die damit einhergehenden Zwänge. In einer soziologischen Perspektive werden Normen als ein empirisches Phänomen behandelt. Entsprechend wird die Forderung, dass alle lebendigen Menschen gleich an Freiheit und Würde individuell anzuerkennen sind, als ein Strukturmerkmal der politisch-moralischen Ordnung der modernen Gesellschaft analysiert.
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Lindemann, G., Büsing, S.M. (2021). Personsein unter den Vorzeichen von Verwiesenheit. In: Riedel, A., Lehmeyer, S. (eds) Ethik im Gesundheitswesen. Springer Reference Pflege – Therapie – Gesundheit . Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-58685-3_32-1
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