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David Hume und die Unterscheidung von natürlichen und künstlichen Tugenden

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Handbuch Tugend und Tugendethik
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Zusammenfassung

Hume ist ein Vertreter der Moral-Sense-Schule der Ethik. Unter Tugend versteht er die Disposition zu tugendhaftem, d.h. selbstlosem Handeln. Der positive Wert tugendhaften Handelns besteht in seinem Nutzen, sei es für das Wohlergehen der betroffenen Individuen, sei es für die Gesellschaft als ganze durch die Stabilisierung ihrer institutionellen Ordnung. Dieser Doppelfunktion entsprechend, unterscheidet Hume zwischen den natürlichen Tugenden des Wohlwollens und den künstlichen Tugenden der Gerechtigkeit. Hume glaubte, den Hobbes zugeschriebenen Egoismus widerlegen zu müssen: Aus der überwältigenden empirischen Evidenz, dass es tugendhafte Handlungen gibt, folgerte er, dass eine Art fundamentaler Sympathie für unsere Mitmenschen Teil der menschlichen Natur ist und dass der Egoismus daher falsch ist. Tatsächlich aber wird der von Hobbes vertretene Egoismus durch Humes Nützlichkeitserklärung der sozialen Tugenden nicht widerlegt, sondern bestätigt.

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Notes

  1. 1.

    Auf das erste Werk wird hier abkürzend mit Treatise, auf das zweite mit Enquiry Bezug genommen. Zitate werden nach den nach wie vor gängigen Ausgaben von L.A. Selby-Bigge, Hume 1978 und Hume 1975 nachgewiesen. Verwiesen sei auf die kritischen Ausgaben des Treatise von D.F. Norton u. M. Norton, Hume 2000, und der Enquiry von T.L. Beauchamp, Hume 1998. Sowohl vom Treatise als auch von der Enquiry gibt es mehrere deutsche Übersetzungen, vgl. Hume 2002, 2003, 2004, 2007, 2012 und 2013. Aus der sehr umfangreichen Sekundärliteratur sei auf folgende Titel verwiesen: Kemp-Smith 1941; Raphael 1947; Stroud 1977; Mackie 1980; Haakonssen 1981; Penelhum 1988; Norton 1993; Penelhum 1993; Darwall 1995; Korsgaard 1996; Turco 1999; Kulenkampff 2003; Perinetti 2013; Guyer 2017. Zu Humes intellektueller Biographie vgl. Mossner 1980; Streminger 2011.

  2. 2.

    Diese Einordnung kann allerdings leicht zu Missverständnissen führen. So hat C.D. Broad (in C.D. Broad 1930) zu zeigen versucht, dass aus Humes Moraltheorie folge, dass normativ-ethische Fragen durch empirische, statistische Erhebungen zu entscheiden seien, und er hat, offensichtlich geleitet von der eigenen metaethischen Überzeugung, dass sich normativ-ethische Fragen argumentativ entscheiden lassen, Humes Theorie aus diesem Grund für falsch erklärt. Da Hume aber lediglich erklären will, was geschieht, wenn die Menschen moralisch urteilen, und erklären will, was ihrem Verhalten faktisch zugrunde liegt, spielt die von Broad aufgeworfene Frage gar keine Rolle.

  3. 3.

    So schon Richard Price in seiner Review of the Principal Questions and Difficulties in Morals von 1758; vgl. ferner Foot 1978, S. 76, die behauptet, Humes Theorie des Moralsinns verpflichte ihn auf eine „subjectivist theory of ethics“, oder Mackie 1980, S. 74, der Humes „sentimentalism“ unter „subjectivism“ subsumiert.

  4. 4.

    Vgl. hierzu auch den aufschlussreichen Brief Humes an Hutcheson vom 16. März 1740. In Hume 1932, S. 38–40.

  5. 5.

    Anders dagegen Hutcheson, der einen mathematischen Kalkül für die Bestimmung der Moralität von Handlungen entwickelt und als Erster das später durch Bentham berühmt gewordene Prinzip des Utilitarismus aufgestellt hat, dem zufolge wir unser Handeln am Ziel der Beförderung des größten Glücks der größten Zahl auszurichten hätten (vgl. Hutcheson 1971a, S. 164).

  6. 6.

    Für eine eingehende Analyse von Humes Ensemble der natürlichen Tugenden vgl. Baier 1991.

  7. 7.

    Besonders eindringlich in seinem Leviathan or The Matter, Forme, & Power of a Common-Wealth Ecclesiastical and Civill (1651) zeigt Hobbes, ausgehend von der Unhaltbarkeit eines gesetzlosen Naturzustandes, im Umkehrschluss, dass nicht nur Frieden und Sicherheit, sondern auch alle auf Kooperation beruhenden Kulturleistungen nur unter der Bedingung möglich sind, dass das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen durch Gesetze geregelt und durch das Recht beherrscht wird. vgl. Hobbes 1996.

  8. 8.

    Zwar scheint Hume dies klar erkannt zu haben, wenn er ausführt: „But though the question concerning the universal or partial selfishness of man be not so material as is ususally imagines to morality and practice, it is certainly of consequence in the speculative science of human nature“ (Hume 1975, S. 297). Aber er versteht die Debatte insofern als eine psychologische, als es ihm darum geht, mittels der überwältigenden empirischen Evidenz der moralischen Gefühle zu belegen, dass es Selbstlosigkeit tatsächlich gibt. Genau das haben die Egoisten – nach Humes eigener Einschätzung – jedoch gar nicht bestritten. – Hier zeigt sich übrigens auch, dass die eingebürgerte Rede von psychologischem Egoismus nicht glücklich ist, weil sie nicht deutlich macht, dass es sich bei dem hier verhandelten Egoismus weder individualpsychologisch um die Charaktereigenschaft des Egoismus noch allgemeinpsychologisch um das richtige Verständnis moralischer Gefühle, sondern um eine anthropologische These handelt.

  9. 9.

    An der Fehlleitung der Debatte, die sich an Hobbes anschließt, ist dieser selbst allerdings nicht ganz unschuldig, etwa wenn er über Mitleid schreibt (was für die meisten seiner Nachfolger ein Stein erheblichen Anstoßes war): „Grief, for the calamity of another, is Pity; and ariseth from the imagination that the like calamity may befall himself“ (Hobbes 1996, S. 43). Das lädt natürlich zu einer Auffassung des Egoismus ein, wie Hume, aber auch Shaftesbury, Hutcheson und Butler ihn verstanden und dann gegen ihn argumentiert haben.

  10. 10.

    Manchmal scheint Hume dieser Einsicht nahe zu kommen, etwa wenn er gegen das Prinzip der Selbstliebe schreibt: „We must adopt a more public affection and allow, that the interests of society are not, even on their own account, entirely indifferent to us.“ (Hume 1975, S. 219) Die zögerlichen Formulierungen zeigen an, dass die Begrifflichkeit von „sympathy“ und „benevolence“ hier nicht passt. Eine „more public affection“ ist fast schon ein hölzernes Eisen, und was uns nicht „entirely indifferent“ ist, ist darum längst noch kein Gegenstand unserer Sympathie.

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Kulenkampff, J. (2020). David Hume und die Unterscheidung von natürlichen und künstlichen Tugenden. In: Halbig, C., Timmermann, F.U. (eds) Handbuch Tugend und Tugendethik. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24467-5_13-1

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