Einleitung

Die Prävalenzraten an Übergewicht und Adipositas haben in den letzten Jahrzehnten so stark zugenommen, dass bereits von der „Epidemie des 21. Jahrhunderts“ gesprochen wird [40]. Gleichzeitig gilt noch in einem hohen Ausmaß die Aussage von Stunkard und Pudel [35], die vom „traurigen Saldo der traditionellen Adipositasbehandlung“ gesprochen haben, gekennzeichnet dadurch, dass nur wenige Adipöse überhaupt in Therapie kommen, nur wenige eine langfristige Gewichtsabnahme schaffen, die meisten die Therapie abbrechen und viele einen hohen Preis für ihre diätetischen Maßnahmen (z. B. YoYo-Effekt) zahlen.

Besonders bei stark adipösen Personen müssen die meisten konservativen Therapien als gescheitert angesehen werden, sodass in diesen Fällen die operative Behandlung eine notwendige Alternative darstellt. Eine Indikation für eine chirurgische Intervention ist dann gegeben, wenn konservative Therapien bei Patienten mit Adipositas III (BMI > 40 kg/m2) oder Patienten mit Adipositas Grad II (BMI > 35 kg/m2) mit schweren Komorbiditäten (z. B. Diabetes mellitus) gescheitert sind. Die bariatrische Chirurgie ist bei der morbiden Adipositas die effektivste Therapie, eine langfristig erfolgreiche Gewichtsreduktion zu erreichen. Da chirurgische Eingriffe, besonders die Magen-Bypass-Operation, doch einen schwer wiegenden Eingriff darstellen und alle operativen Eingriffe auch mit einem relativ hohen Komplikationsrisiko und einem gewissen Mortalitätsrisiko behaftet sind [20], ist eine genaue präoperative Abklärung auf mehreren Ebenen (chirurgisch, internistisch, psychologisch) notwendig, um eine gewisse Patientenselektion zu gewährleisten und Risikopersonen entsprechend herauszufiltern und eventuell andere Therapieoptionen einzuleiten.

Die Adipositas kann am ehesten als „psychosomatische Störung“ gesehen werden, bei der viele biologische, konstitutionelle, psychische und psychosoziale Faktoren in komplexer, interindividuell unterschiedlicher Weise zusammenwirken [5, 20, 28, 40]. Verschiedene Essstörungen werden besonders bei schwer adipösen Patienten gehäuft gefunden, auch wenn es keine für die Adipositas typische Essstörung gibt. Am bekanntesten ist die Binge Eating-Störung (BED) [3]. Ihr Hauptmerkmal sind rezidivierende Essanfälle mit Kontrollverlust ohne anschließende kompensatorische Maßnahmen. In einigen Studien wurde ein Zusammenhang zwischen einem höheren Anteil von BED-Patienten mit steigendem Body Mass Index (BMI) gefunden [2, 16, 34]. Eine kürzlich veröffentlichte Studie konnte zeigen, dass das Vorliegen einer BED bei adipösen Patienten, die wegen einer bariatrischen Operation vorstellig werden, häufiger eine Achse I-Psychopathologie aufweisen als Adipöse ohne BED [14]. Weitere gestörte Essverhaltensmuster, die gehäuft bei adipösen Patienten gefunden werden, sind das „Night Eating-Syndrome“ [36] gekennzeichnet durch nächtliche Essattacken, das chronische Überessen [4], gekennzeichnet durch das Konsumieren großer Essensmengen ohne Kontrollverlust, das Naschen („Nibbling“ oder „Snacking“) und das „Craving“, d. h. den Heißhunger auf bestimmte Nahrungsmittel besonders in Form des Süßhungers.

Auch wenn einigermaßen Einigkeit darüber herrscht, dass es sich bei der Adipositas um keine psychische Störung handelt [23], ist unumstritten, dass besonders bei stark adipösen Personen psychologische Faktoren als Auslöser und bei der Aufrechterhaltung des starken Übergewichtes eine wichtige Rolle spielen und Depressionen und Angststörungen als psychische Komorbiditäten häufig zu finden sind [7, 13, 17, 33, 34], vorwiegend bei (schwer) adipösen Patienten, die eine professionelle Hilfe aufsuchen. Andererseits zeigen mehr als die Hälfte der Adipösen keine entsprechende psychische Störung [10, 24].

Ziel dieser Untersuchung war die Erfassung der psychischen Störungen, Essstörungen und psychosozialer Belastungsfaktoren bei einer Gruppe morbid adipöser Patienten, die wegen einer bariatrischen Operation die Innsbrucker Klinik aufsuchten.

Methodik

In die Untersuchung eingeschlossen wurden alle weiblichen und männlichen Patienten, die im Zeitraum zwischen März 2005 und März 2010 von der Chirurgischen Klinik Innsbruck zur präoperativen Abklärung an die Ambulanz der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin in Innsbruck zugewiesen wurden. Hingewiesen werden soll in diesem Zusammenhang, dass alle Patienten, die aufgrund einer morbiden Adipositas an der Universitätsklinik für Chirurgie in Innsbruck vorstellig werden, zur Abklärung evtl. psychischer Störungen und psychologischer Tauglichkeit für die bariatrische Operation zugewiesen werden [22].

Ziel der präoperativen psychischen Evaluation ist neben einer ausführlichen psychischen und biographischen Anamnese die Abklärung der Motivation der Patienten, ihre Auseinandersetzung mit dem geplanten Eingriff sowie die Erwartungen an den Eingriff [9]. Bei der Untersuchung an der Psychosomatischen Abteilung in Innsbruck werden folgende Punkte abgeklärt:

  • Soziodemokratische Daten (Alter, Beruf, Familienstand)

  • Familiäre Belastung im Bezug auf Adipositas

  • Essverhalten und Essstörungen

  • Subjektives Erklärungsmodell für die Adipositas

  • bisherige konservative Therapieversuche, Gewicht abzunehmen

  • Ausmaß an körperlicher bzw. sportlicher Aktivitäten

  • Akute und chronische psychosoziale Belastungen

  • Negative Kindheitserfahrungen

  • Vorliegen einer psychischen Störung (zum Zeitpunkt der Untersuchung bzw. Lebenszeit)

  • Vorliegen von verschiedenen Suchtformen

  • Medikamentöse und/oder psychotherapeutische Behandlungen

  • Motivation zum operativen Eingriff

  • Erwartungen an die bariatrische Operation

  • Zielgewicht bzw. Wunschgewicht nach der bariatrischen Operation

  • Psychosoziale Unterstützung.

Insgesamt wurden 547 Patienten im erwähnten Zeitraum vom gleichen Psychiater (JFK) untersucht. Das Patientenkollektiv setzt sich aus 389 (71,1 %) Frauen und 158 (28,9 %) Männer zusammen.

Die Erhebung der Daten erfolgte mit Hilfe eines semistrukturierten Interviews. Bei der Einschätzung der Art der Essstörung konnte nur bedingt auf die Kriterien des DSM-IV bzw. ICD-10 zurückgegriffen werden, da in diesen Diagnosemanualen mit Ausnahme der „Binge-Eating Störung“ keine anderen Essstörungen beschrieben werden, die bei Adipösen gehäuft gefunden werden.

Die Zeitdauer der Interviews beträgt jeweils etwa 1 h, wobei bei einigen Patienten auch mehrere Therapiestunden verwendet wurden.

Ergebnisse

Sozioökonomische Daten

Das durchschnittliche Alter der adipösen Patienten zum Zeitpunkt der Untersuchung betrug 40 Jahre ( ± 12,8 Jahre), das der Frauen 39,4 Jahre ( ± 12,8 Jahre) und das der Männer 41,4 Jahre ( ± 12,4 Jahre).

Während 31,9 % der adipösen Frauen alleine (ledig, verwitwet oder geschieden) bzw. 68,1 % in einer (festen) Partnerschaft lebten, waren dies bei den Männern 48,2 % bzw. 51,9 %.

Die Berufstätigkeit ist in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Berufstätigkeit

Von den PensionistInnen war ein Großteil nicht aufgrund ihres Alters sondern aufgrund der adipositasassoziierten körperlichen Folgen oder wegen der psychischen Störung frühpensioniert.

Gewicht

Das Körpergewicht der Patienten zum Zeitpunkt der Untersuchung ist in Tab. 2 dargestellt.

Tab. 2 Präoperatives Gewicht

Der Gewichtsbereich bei den Frauen lag zwischen 70 und 200 kg (BMI 31,8 bis 66,8 kg/m2) und bei den Männern zwischen 100 bis 210 kg (BMI 33,7–64,1 kg/m2).

Es zeigen sich keine statistisch signifikanten Unterschiede des BMI hinsichtlich der verschiedenen Altersgruppen, weder im Gesamtkollektiv (p = 0,425) noch bei den Frauen (p = 0,583) oder Männern (p = 0,406).

Das postoperative Wunschgewicht, welches die Adipösen in einigen Jahren nach dem operativen Eingriff erreichen wollten, lag bei den Frauen bei einem BMI von 26,3 ± 3,0 kg/m2, (range 20,8–37,1), während sich die Männer mit einem mittleren BMI von 28,7 ± 3,1 kg/m2 (range 23,1–39,2) zufrieden geben würden (p < 0,001).

Das Ausmaß der gewünschten Gewichtsabnahme lag – ausgedrückt im BMI-Punkten (kg/m2) – im Mittel bei 15,2 ± 4,7kg/m2, wobei ein statistisch signifikanter Geschlechtsunterschied besteht (Frauen: Männer = 15,5 ± 4,6 vs. 14,6 ± 4,9; p = 0,046).

Die Prävalenz von übergewichtigen Familienmitgliedern und des Partners/der Partnerin ist in Tab. 3 dargestellt.

Tab. 3 Übergewicht bei Familienmitgliedern

Dabei zeigt sich, dass das Vorliegen von Übergewicht bei den Eltern häufig auch mit einem Übergewicht bei den Großeltern und den Geschwistern verknüpft ist. Es zeigte sich aber kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen dem BMI der Probanden und den Vorliegen von Übergewicht bei den Eltern (p = 0,101).

Der Beginn des Übergewichtes ist in Tab. 4 dargestellt.

Tab. 4 Beginn des Übergewichts

Die Ergebnisse zeigen keine statistisch signifikanten Geschlechtsunterschiede.

Als Auslöser für den Beginn des Übergewichtes bzw. einer deutlichen Verschärfung der Gewichtsproblematik wurden neben der Schwangerschaft (etwa die Hälfte) v. a. berufliche oder private Veränderungen (etwa ein Viertel), Krankheiten (21 %), belastende Lebensereignisse (20 %), Aufhören mit dem Rauchen (20 %), Medikamente (8 %) und Diäten (8 %) genannt. Die Ergebnisse zeigen z. T. deutliche Geschlechtsunterschiede (z. B. berufliche oder private Veränderungen, Unfall).

Subjektives Erklärungsmodell

Als Erklärung für die Entstehung der Adipositas aber auch für das Nichtgelingen einer erfolgreichen langfristigen Gewichtsabnahme werden v. a. gestörte Essverhaltensmuster und seltener weniger beeinflussbare Faktoren wie Krankheiten, Hormonstörungen und Medikamente angegeben (Tab. 5).

Tab. 5 Subjektives Erklärungsmodell für Adipositas (Mehrfachangaben möglich)

Essstörungen

Aus der genauen Erhebung des Essverhaltens konnten verschiedene Störungsmuster eruiert werden (Tab. 6).

Tab. 6 Essstörungen bzw. gestörtes Essverhalten

Die Ergebnisse zeigen, dass nur bei einer Minderheit (n = 93; 17 %) der adipösen Patienten das Essverhalten als „normal“ einzustufen ist, während ein Großteil der Adipösen ein gestörtes Essverhaltensmuster aufweist. Deutlich mehr Frauen als Männer haben eine totale oder partielle „Binge-Eating“-Störung, während Männer deutlich häufiger als Frauen als „chronische Überesser“ [4] aufgefasst werden können, d. h. diese Personen geben an, „gerne zu essen“ („hedonistische Esser“), besonders dann, wenn es ihnen schmeckt; sie haben aber – im Gegensatz zu den Adipösen mit einer BED – eine ausreichende Kontrolle über ihr Essverhalten, wollen aber nicht aufhören. 25 (4,6 %) der „Overeaters“ wiesen zusätzlich eine BED auf, 76 (13,9 %) noch ein anderes gestörtes Essverhalten.

Frauen mit dem Vollbild einer „Binge-Eating“-Störung weisen den höchsten durchschnittlichen BMI (44,3 ± 4,9) auf, Frauen mit einem „normalen Essverhalten“ den niedrigsten Wert (BMI 41,4 ± 4,6).

Psychische Störungen

Die Lebenszeitprävalenz von psychischen Störungen bei den adipösen Patienten liegt bei 58,9 % (n = 322). Dabei weisen Frauen im Laufe ihres Lebens mit 64,5 % (n = 251) zumindest eine psychische Störung auf, bei den Männern liegt die Lebenszeitprävalenz bei 44,9 % (n = 71). Bei 225 (41,1 %) u adipösen Patienten ergeben sich keine Hinweise auf eine psychische Störung zum Untersuchungszeitpunkt oder früher.

Die verschiedenen psychischen Störungen (außer Essstörungen) sind in Tab. 7 dargestellt.

Tab. 7 Psychische Störungen (DSM-IV Achse I) (Mehrfachangaben möglich)

Die Ergebnisse zeigen, dass etwa ein Fünftel früher oder zum Zeitpunkt der Untersuchung eine Major Depression haben und mehr als ein Viertel eine Anpassungsstörung, meist mit depressiver Stimmung.

Ein Fünftel (n = 110) der Probanden weisen eine klinisch relevante Persönlichkeitsstörung (DSM IV-TR) auf; davon sind etwa die Hälfte (n = 53) dem Cluster C (Frauen vs. Männer = 11,8 % vs. 4,4 %) zuzuordnen, knapp ein Viertel (n = 21) dem Cluster B (Frauen vs. Männer = 3,1 % vs. 5,7 %) und etwas mehr als ein Viertel (n = 28) der Kategorie „Persönlichkeitsstörung NNB“ (Frauen vs. Männer = 3,6 vs. 8,9 %). Nur drei adipöse Patienten (eine Frau, zwei Männer) haben eine Persönlichkeitsstörung vom Cluster A (paranoide Persönlichkeitsstörung), fünf (davon nur eine Frau) eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (Cluster B und C).

Von der Gesamtgruppe stehen 92 (16,8 %) zum Zeitpunkt der Untersuchung in psychiatrischer und/oder psychotherapeutischer Behandlung, davon 77 (19,8 %) Frauen und 15 (9,5 %) Männer. Frauen mit einer BED befinden sich mit einem Anteil von 32,9 % (n = 26) etwa doppelt so häufig in psychiatrischer Behandlung als die übrigen Patienten.

Mehr als drei Viertel (76,2 %) der adipösen Patienten (Frauen > Männer) geben an, dass sich das starke Übergewicht negativ auf ihre Psyche ausgewirkt habe. Vor allem kommt es zu einer deutlichen Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls (72,6 %), der seelischen Befindlichkeit (45,3 %) und zu sozialen Rückzugstendenzen (60,3 %), oft verbunden mit Problemen beim Kleiderkauf und der körperlichen Hygiene.

Diskussion

Die Ergebnisse dieser Studie an einer großen Patientenpopulation bestätigen frühere Erhebungen, dass es sich bei den Adipösen um eine heterogene Gruppe auf mehreren Ebenen handelt, wobei die verschiedenen genetischen und nicht genetischen Faktoren in komplexer Weise zusammen wirken [6, 18]. Wie eine amerikanische Studie der Arbeitsgruppe bei adipösen Adoleszenten zeigen konnte, ist es aber bei zukünftigen Studien sinnvoll und notwendig, homogene Subgruppen Adipöser mit unterschiedlichen psychopathologischen Niveaus zu identifizieren, auch um effektivere und individualisierte Therapiestrategien entwickeln zu können [38].

Auch in dieser Studie sind Adipöse aus niedrigen sozioökonomischen Schichten stark überrepräsentiert. Dies zeigt sich neben der Berufszugehörigkeit v. a. in der Tatsache, dass ein Großteil der Adipösen aus Stadtteilen in Innsbruck kommt, in denen besonders viele Menschen aus der sozialen Unterschicht wohnen, während deutlich weniger Adipöse aus Innsbrucker Stadteilen kommen, die als teuer gelten und bevorzugt von Menschen der oberen Mittelschicht und der Oberschicht bewohnt werden.

Diese Studie bestätigt auch die Ergebnisse anderer Studien bei Adipösen, die eine professionelle Hilfe aufsuchen, nämlich die hohen Prävalenzraten von psychischen Störungen. Dabei zeigte sich neben der zu erwartenden hohen Anzahl von atypischen Essstörungen die hohe Prävalenz von depressiven Störungen, während Angststörungen deutlich seltener zu finden waren. Besonders häufig zeigten sich Anpassungsstörungen, meist als Ausdruck psychosozialer Belastungssituationen. Diese Belastungssituationen waren häufig auch wieder Auslöser für ein gestörtes Essverhalten z. B. im Sinne eines „Frustessens“.

Bei etwa 5 % der untersuchten Patienten wurde von psychiatrischer Seite vorerst eine Kontraindikation für eine bariatrische Operation ausgesprochen, weil auf einer oder mehreren Ebenen (z. B. unzureichend behandelte affektive Störung; massive Essstörung im Sinne einer Bulimie; schwere emotional instabile Persönlichkeitsstörung; massive psychosoziale Belastungssituationen) keine ausreichende psychische und psychosoziale Stabilität gegeben war, um den durch die Operationen notwendigen Anpassungsleistungen (z. B. neues Essverhalten) gerecht werden zu können.

Jeder sechste adipöse Patient war zum Zeitpunkt der Untersuchung gerade in psychiatrischer und/oder psychotherapeutischer Behandlung, und zwar doppelt so viele Frauen wie Männer (19,8 vs. 9,5 %). Unsere Ergebnisse stimmen mit denen anderer Forscher [12, 28, 30] überein, dass Patienten mit einer BED sich besonders häufig sich in psychiatrischer und/oder psychotherapeutischer Behandlung befinden, auch weil sie gehäuft andere psychische Störungen aufweisen, und in vielen Fällen zusätzlich akute und/oder chronische Belastungssituationen vorliegen. Wie in einer früheren Verlaufsstudie bei morbid adipösen Patienten gezeigt werden konnte, ist das Vorliegen vorwiegend mehrerer psychischer Störungen – meist einer Kombination einer psychischen Störung mit einer Persönlichkeitsstörung – ein gewisser Risikofaktor für eine etwas schlechtere Prognose nach einer bariatrischen Operation, es aber keinen Grund gibt, diese Patienten von vornherein von einer bariatrischen Operation auszuschließen [17].

Wir stimmen mit Bölter et al. [1] überein, dass durch eine präoperative psychosomatische Diagnostik die potenziell vorliegende Psychopathologie der morbiden Adipositas, deren aufrechterhaltenden Bedingungen und die Rolle des Essverhaltens abgeklärt werden sollte, um entscheiden zu können, ob die bariatrische Therapieform für den entsprechenden Patienten geeignet ist. Wir müssen uns aber zum jetzigen Zeitpunkt eingestehen, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt nur bedingt wissen, welche Therapieform für welchen Patienten zu welchem Zeitpunkt die beste ist.

Unsere Ergebnisse sind im Einklang mit denen anderer Forscher [8, 24, 30], dass sich eine depressive Symptomatik bei Adipösen, v. a. bei adipösen Frauen, häufig finden lässt, wobei sowohl die Depression über eine Veränderung des Ess- und Bewegungsverhaltens die Entwicklung einer Adipositas begünstigt als auch die Adipositas eine Selbstwertproblematik und depressive Verstimmung mit sozialem Rückzug zur Folge hat. Besonders adipöse Frauen erleben häufig eine soziale Stigmatisierung, was gelegentlich auch zu Arbeitsplatzproblemen führte („gewichtbezogene Stigmatisierung“) [11].

Fast alle Patienten, die angaben, früher starke Raucher gewesen zu sein, gaben eine deutliche Gewichtszunahme innerhalb der folgenden Monate an. Vor allem Adipöse mit einer BED gaben besonders häufig eine Tabakabhängigkeit an, ein Ergebnis, das auch von anderen Forschern bestätigt wird [28, 41]. Sowohl Rauchen als auch Essattacken scheinen gemeinsame Funktionen als Coping-Strategie im Umgang mit negativen Emotionen und Stress zu haben [31].

Ob die Ergebnisse der verschiedenen Studien es rechtfertigen, die Adipositas als Erkrankung im Psychiatrischen Kapitel der 5. Revision des DSM zu berücksichtigen [39], kann aus unseren Ergebnissen nicht beantwortet werden. Marcus und Mitarbeiter [23], die Wakefield’s Definition einer psychischen Störung [40] wie „harmful mental dysfunction“ verwenden, meinen, dass diese Voraussetzungen bei vielen Adipösen nicht gegeben sind. Andererseits gibt es verschiedene Untergruppen von Adipösen, gekennzeichnet durch erhöhte Impulsivität, emotionale Labilität, Leidensdruck und gestörtes Essverhalten, bei denen die Kriterien für eine psychische Störung erfüllt sind [19]. Auch können verschiedene Forschungsergebnisse bei adipösen Patienten belegen, dass adipositasassoziiertes Essverhalten nicht nur auf phänomenologischer Ebene süchtigem Verhalten ähnlich ist, sondern dass auch gemeinsame neurobiologische Funktionssysteme an der Entstehung und dem Verlauf der Adipositas beteiligt sind [15].