Hinführung: Eine für die Sportwissenschaft konstitutive Frage bekommt Aktualität

Sieht man einmal von aktuellen Berichten über den Sport ab, wie er z. B. Gegenstand der Tageszeitungen am Montag ist, hat seit Langem keine Frage des Sports die Öffentlichkeit und die Politik so bewegt wie die, ob eSport Sport ist und/oder ob der DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund) den eSport als Sportorganisation aufnehmen soll oder nicht. Gekennzeichnet ist die Diskussion schwerpunktmäßig durch apodiktische, manchmal auch polemische Statements zu Charakterisierungen des eSports und des Sports, denen man zustimmen oder die man ablehnen kann. Welcher Seite man in der Auseinandersetzung zustimmt, ist in erster Linie vom persönlichen, auch emotionalen, und vom gesellschaftspolitischen Standpunkt der Autoren abhängig. Brisant an der Fragestellung ist, dass die Politik sich trotz des anerkannten Autonomiestatus des Sports massiv für eine Anerkennung des eSports einsetzt. Die Charakterisierung der meisten Stellungnahmen als apodiktisch gilt gleichermaßen für die (sport)wissenschaftliche, die politische und die öffentliche Diskussion, sie betrifft nur bedingt den DOSB.

Eine Antwort auf die Fragen, ob eSport Sport ist und/oder ob der DOSB den eSport als Sportorganisation aufnehmen soll oder nicht, setzt notwendigerweise eine Klärung der Begriffe Sport und eSport voraus: Wer nicht sagt, was er unter Sport und was er unter eSport versteht, kann nicht argumentieren, warum eSport unter den Oberbegriff Sport fallen sollte oder nichtFootnote 1. Für eine wissenschaftliche Diskussion muss offengelegt werden, auf welchem sprachphilosophischen Ansatz die Fragestellung beantwortet werden soll. Die Beantwortung der inhaltlichen Frage soll analytisch geklärt werden. In einem weiteren Schritt muss dann aufgezeigt werden, wo normative Entscheidungen ein notwendiger Bestandteil der Diskussion und der Argumentation sind. Ausgangspunkt aller Überlegungen ist der derzeitige Diskussionsstand in Sportwissenschaft, beim DOSB und in der Politik.

Ausgangspunkt: Sportwissenschaftliche und öffentliche Diskussion über Sport und eSport

Die Frage nach den Bedeutungen des Sportbegriffs hat lange Zeit ein Mauerblümchen-Dasein geführt. Sie wurde nur vereinzelt von Sportphilosophen oder Sportsoziologen gestellt und bearbeitet; praxisorientierten Wissenschaftlern schien sie nicht relevant zu sein. Eine Ausnahme haben Umbruchzeiten gebildet. So hat es während und in der Folge der „60er Revolution“ eine intensive Kontroverse um den Sport und in der Folge die Verwendung des Sportbegriffs gegeben, in der sich Befürworter und Gegner einer Sport- oder einer Bewegungswissenschaft gegenübergestanden haben (Willimczik 2001, S. 179–188). Entzündet hatte sich die Diskussion primär am Leistungsbegriff (auch des Sports), der damals im Zentrum der Kritik gestanden hat. Aktueller Anlass für die jetzige Auseinandersetzung ist das Auftreten des eSports, das in der Öffentlichkeit, in der Sportwissenschaft, im organisierten Sport und sogar in der Politik eine Diskussion auch über den Sportbegriff ausgelöst hat.

Der Sport-Begriff und der eSport-Begriff in der sportwissenschaftlichen Diskussion

Die sportwissenschaftliche Diskussion des Sportbegriffs ist zum ersten durch das Bemühen gekennzeichnet gewesen, den Sport zu definieren, und zum zweiten durch das Bemühen, der Vieldeutigkeit und Heterogenität des Sports durch die Annahme der „Koexistenz unterschiedlicher Sportmodelle“ (Rittner 1984) gerecht zu werden.

Für die Definitionsbemühungen stehen (exemplarisch) in Deutschland Diem (1960), Steinkamp (1983) und Hägele (1982, 1990) sowie Schimank (1988) und Stichweh (1990), für die Sportmodelle sind es neben Rittner (1984) Digel (1984) und Heinemann (1986). Traditionell bestehen die Sport-Definitionen aus Wesensdefinitionen. Dies lässt sich leicht schon an sprachlichen Formulierungen erkennen. Diem definiert Sport so schon im Titel seines Klassikers „Wesen und Lehre des Sports und der Leibeserziehung“ (Diem 1960). Steinkamp fasst in seinem Buch „Was ist eigentlich Sport?“ (1983) zusammen: „Die Frage ‚Was ist Sport?‘ ist gleichbedeutend mit der Frage nach seinen Wesensmerkmalen“ (1983, S. 104). Drexel (2003) hat das Bemühen, das Wesen des Sports zu bestimmen, mit Bezug auf Platon mit den Fragen gleichgestellt, „was ‚das‘ dem Sport Eigentümliche, ‚das‘ ihm Eigentliche, was ‚die‘ ‚Sportheit‘ sei“ (2002, S. 5), und hat diesen Ansatz, für den er eine ganze Reihe weiterer Beispiele aufgeführt hat, als „essentialistisch bzw. metaphysisch“ charakterisiert und dem ontologischen Paradigma untergeordnet (2002, S. 3). Schimank und Stichweh stehen für einen Sportbegriff auf der Grundlage der Systemtheorie. Auch die Kontrahenten in der Diskussion um den eSport greifen (nur) auf Begründungen zurück, die die Annahme einer ontologischen Definition zumindest nahelegen.

Die bekanntesten Modellvorstellungen zum „Sport“ sind von Digel und Heinemann vorgeschlagen worden. Digel „beobachtet“ fünf Modelle des Sports, „die z. T. auch konkurrieren und zueinander in Beziehung treten“ (1984, S. 61): Aus dem traditionellen Leistungssport heraus, „in dem die Werte Wettkampf, Leistung, Gewinn und Verlust im Mittelpunkt stehen“, haben sich das „kommerzielle Sportmodell“, der „Zirkus- und Mediensport“ und die Modelle des „Freizeitsports“, des „Alternativsports“ und des „instrumentellen Sports“ entwickelt. Der Freizeitsport „leitet sein Sportverständnis und seine Moral aus Werten und Normen wie Spaß und Freude, Mitmachen, Selbst- und Eigenwert ab“ und versteht sich „bewußt als ein Teil einer Gegenwelt zur Alltagswirklichkeit“ (1984, S. 61). Ziel des „echten Alternativsports“ ist eine eigenständige Lebensform, ein politischer Lebensstil, wie er sich „lediglich in Subkulturen, und hier vor allem im universitären Bereich“, zeigt. Der instrumentelle Sport schließlich nimmt den Sport „unter dem Aspekt der sozialen Dienstleistung in Anspruch“. Er „kommt in erster Linie in pädagogischen Erörterungen zum Sport zum Tragen und findet seine stärkste Ausrichtung derzeit im sogenannten Gesundheitssport“ (1984, S. 61).

Heinemann sieht „die künftige Entwicklung in einem Kräftefeld zwischen drei Polen, die mit den Begriffen „Freizeitsport“, „kommerzialisierter Leistungssport“ und „instrumenteller Sport“ bezeichnet werden können.“ (1986, S. 115). Der „expressive“ Freizeitsport wird dadurch charakterisiert, dass das Regelwerk weniger bestimmend ist, möglicherweise hin bis zur Regelungebundenheit, dass ein diszipliniertes und langfristiges Training nicht erforderlich ist, und dass er vor allem ein „gegenwartsbezogenes, volles Erleben und die Ausblendung von Alltag, Zukunft und Zweck“ ermöglicht (1986, S. 118). Demgegenüber wird beim kommerzialisierten Leistungs- bzw. Schausport „Ware für erwartete Zuschauerinteressen und Wünsche Dritter produziert“ (1986, S. 120). (…) Für den dritten Pol, den instrumentell verstandenen Sport, schränkt Heinemann das Instrumentelle sehr stark auf den Präventionsbereich im weiteren Sinne ein: „In ihm werden Sinn und Strukturen des Sports vor allem durch die Funktionen, die er etwa in der Rehabilitation, in der Prävention, als Lebenshilfe – etwa für Behinderte – erfüllen soll, bestimmt“ (1986, S. 124 f.).

Analysiert man den Sportbegriff in der jüngeren Geschichte in globaler Perspektive, so fallen vier Charakteristika ins Auge:

  1. a)

    das Vorherrschen von Wesensdefinitionen, also ontologischen Bestimmungen,

  2. b)

    sein enormer Wandel über die Zeit,

  3. c)

    seine hohe Variabilität über Kulturräume,

  4. d)

    die aufgeführte Ausdifferenzierung von einem einheitlichen Sportbegriff zu Sportmodellen.

Wie stark der historische Wandel des Sportbegriffs ist, kann mit Rückgriff auf Diems Definition belegt werden, die seinerzeit uneingeschränkt anerkannt war und die heute in dieser Form wohl von keiner Seite mehr vertreten wird: „Sport als Leibesübung ist im Lebensbereich zweckfreien Tuns ein von Wertgefühl und Festlichkeit erfülltes, natur- und kampffrohes, verfeinert und typisiert geregeltes Vervollkommnungsstreben“ (Diem 1960, S. 21 f.).

Die kulturelle Unterschiedlichkeit des Sportbegriffs verdeutlicht ein Blick in die USA. Loy (1968) sieht Sport als ein „institutionalisiertes Spiel“ („game“), das eine hohe Anstrengung und körperliche Fertigkeiten und Strategie oder Zufall fordert. Guttmann (1979) spezifiziert die Bedeutungen in Weltlichkeit, Gleichheit, Spezialisierung, Rationalisierung, Bürokratisierung, Quantifizierung und Rekordsuche.

Der derzeitige Erkenntnisstand in der Sportwissenschaft zum eSport muss als äußerst gering charakterisiert werden, eine Positionierung ist noch nicht zu erkennen. Zum Ausdruck kommt dies auch im Titel eines Beitrags 2018 von A. Sevens „eSport und der blinde Fleck“. Als symptomatisch für den Diskussionstand kann eine Kontroverse zum eSport zwischen C. Borggrefe (2018a, 2018b) einerseits und Wendeborn, Schulke, & Schneider, (2018) andererseits angesehen werden.

Die Position des DOSB

Für den DOSB ist seine Beschäftigung mit dem für ihn verbindlichen Sportbegriff keineswegs neu. So hat der Wissenschaftliche Beirat des DSB bereits 1980 ein Positionspapier erarbeitet, das einen offiziellen Status erhalten hatte. Der DSB hatte seine Aufgabe zum einen darin gesehen, „einen Kriterienkatalog für Entscheidungen über die Anträge von Verbänden zur Aufnahme in den DSB zur Verfügung zu stellen, um solche Entscheidungen nach einheitlichen Merkmalen und damit für jeden nachvollziehbar zu gestalten. Zum anderen bestand die Aufgabe darin, innerhalb des DSB einen Sprachkonsens herbeizuführen, eine Bewusstseinsbildung darüber zu fördern, was der DSB organisatorisch und politisch vertritt, und um die Identität des Sports und damit eine Organisation verbal präsent zu machen“ (Wissenschaftlicher Beirat des DSB 1980, S. 437). Im Einzelnen finden sich in dem Papier sieben Dimensionen, „über die sich der Begriff ‚Sport‘ beschreiben läßt“ (1980, S. 438):

  • eine motorische Aktivität, die sowohl hinsichtlich Kondition als auch Koordination für den betreffenden Sport konstitutiv ist, erlernt bzw. trainiert werden muss und primär auf die menschliche Motorik ausgerichtet sein muss,

  • einen Bedeutungsinhalt, der ihn von der Alltags- bzw. Arbeitsmotorik unterscheidet (in diesem Sinne ist Sport unproduktiv und frei von existenziellen Zwängen),

  • Leistung und Wettbewerb als konstitutive Momente, die sich im Leistungs‑, Breiten- und Freizeitsport zeigen,

  • Sportorganisationen „von der Orts- bis zur internationalen Ebene“, die ein überregional vereinbartes Wettkampfsystem und eine überregional vereinbarte Regelordnung gewährleisten,

  • „mehr oder weniger verbindliche ‚Sportregeln‘“,

  • „Grundwerte und Leitideen wie Fair Play, Partnerschaft, Unversehrtheit des Partners, Chancengleichheit und Teamgeist“,

  • eine typische Erlebnis- und Erfahrungswelt, die den ganzen Menschen berührt (Wissenschaftlicher Beirat des DSB 1980, S. 439).

Vom DSB und damit vom offiziellen Sport ausdrücklich ausgeschlossen worden sind „Denkspiele, Hunderennen und Modellbau, Fischfang und Autofahren, sofern sie nicht im Rahmen eines Wettkampfes durchgeführt werden, kultische Tänze, Singspiele, Akrobatiken und Wanderungen sowie alle ‚Konkurrenzhandlungen‘, die ausschließlich auf Profitgewinn und Eigennutz (Schaustellerei) abzielen“ (Wissenschaftlicher Beirat des DSB 1980, S. 438).

In der Folgezeit ist die Diskussion und sind die Entscheidungen über den Sportbegriff im DOSB weiter gegangen. 2006 hat der DOSB eine neue Aufnahmeordnung beschlossen, die 2011 und 2014 geändert worden ist. In § 3 sind die Aufnahmebedingungen des DOSB zusammengestellt:

„Spitzenverbände und Sportverbände ohne internationale Anbindung müssen Sport im Sinne der nachfolgenden Definition betreuen.

  • Die Ausübung der Sportart muss eine eigene, sportartbestimmende motorische Aktivität eines jeden zum Ziel haben, der sie betreibt. (…)

  • Die Ausübung der eigenmotorischen Aktivität muss Selbstzweck der Betätigung sein. (…)

  • Die Sportart muss die Einhaltung ethischer Werte wie z. B. Fair Play, Chancengleichheit, Unverletzlichkeit der Person und Partnerschaft durch Regeln und/oder ein System von Wettkampf- und Klasseneinteilungen gewährleistet werden“ (Aufnahmeordnung des DOSB 2014, S. 2 f).

Im Unterschied zur zum Teil gegensätzlichen Diskussion in der Sportwissenschaft hat das Präsidium des DOSB nach einer ausführlichen Aufarbeitung des eSports in einer AG, an der 25 Persönlichkeiten aus dem DOSB und seinen Mitgliedorganisationen beteiligt waren, sehr klare Vorstellungen zum eSport erarbeitet und am 29. Oktober 2018 ein Positionspapier (DOSB 2018a) veröffentlicht, das eindeutig ist und kaum Interpretationsspielraum lässt.

Zentral im Positionspapier ist, dass der DOSB sich vom Begriff eSport als „irreführend“ losgesagt hat und eine klare Trennung zwischen eGaming und virtuellen Sportarten (elektronische Sportartensimulationen) vorgenommen hat. Dieser Differenzierung folgend hat er sich ganz auf den Aspekt der virtuellen Sportarten konzentriert und beschränkt. „Der Begriff der elektronischen Sportartensimulationen (kurz: virtuelle Sportarten) wird immer dann verwendet, wenn die Überführung von Sportarten in die virtuelle Welt gemeint ist (…) Als eGaming werden all die anderen virtuellen Spiel- und Wettkampfformen bezeichnet.“

Welches die Kriterien sind, nach denen der DOSB diskutieren und entscheiden will, wie er eSport einordnen soll, hat er in der AG „eSport“ ausgeführt. Gegenüber dem Positionspapier des DSB von 1980 fehlen Hinweise auf die Bedeutungsinhalte und die ganzheitliche Erlebnis- und Erfahrungswelt. Neu hinzu gekommen ist die Perspektive des Geschäftsmodells. Zentral ist: „Um zu bewerten, ob ‚eSport‘ zum Sportvereins- und- Verbandssystem passt, ist es erforderlich, die genannten Perspektiven gleichermaßen zu berücksichtigen und sich nicht auf Einzelaspekte zu reduzieren“ (DOSB 2018b S. 1).

Der Diskussionsstand zum eSport in der Politik

Es liegen zwei Veröffentlichungen von Wissenschaftlichen Diensten von Parlamenten vor (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestag 2017 – „DB“ – und Wissenschaftlicher Parlamentsdienst des Abgeordnetenhaus von Berlin – „AB“), die nicht unabhängig voneinander entstanden sind. Sie haben deshalb eine große Bedeutung, weil sie zur Vorbereitung von politischen Entscheidungen mit möglicherweise weitreichenden Folgen dienen. Beiden „Diensten“ ist gemeinsam, dass sie die ganze Breite des Problemfeldes abdecken. Das beginnt mit dem Verhältnis von Staat und Sport, beleuchtet den Aspekt der Gemeinnützigkeit und das Steuerrecht und reicht bis zu Empfehlungen über den Umgang mit eSport. Dabei wird zwar der Begriff eSport verwendet – im Unterschied zum DOSB – wird eSport aber im umfassenden Sinne also als eGames gesehen. Zentral in beiden Gutachten ist einleitend die Betonung des Autonomiestatus des Sports. Dem Staat wird für diese Frage nur dann ein Eingriffsrecht zugestanden, wenn ein stärkeres Grundrecht (z. B. Gewaltmonopol) geschützt werden muss (DB, S. 5; siehe auch AB, S. 5). Weitere Inhalte betreffen die Abhängigkeit der Landessportbünde vom DOSB, also das Innenverhältnis der Sportorganisation, und das Sonderrecht des DOSB, Sport zu definieren. Eingegangen wird auch auf die Forderung des Bundesgerichtshof, dass die Erfüllung einzelner Charakteristika des Sports für eine Anerkennung einer Aktivität nicht ausreichend ist (DB S. 8) und auf die Urteilung des Bundesverwaltungsgerichts, indem es „eSport – die im Wettbewerb betriebene Form von Computerspielen – somit rechtlich nicht als Sport, sondern als Spiel ein(ordnet)“ (BA, S. 11), sowie auf die Feststellung des Finanzgerichts: „Durch die bisweilen stundenlange Strahlenbelastung der Augen bei Fixierung des Computerbildschirms ähnelt er eher den Belastungen der Büroarbeit“ (BA, S. 14).

Abschließend stellt der Wissenschaftliche Dienst des Berliner Abgeordnetenhauses fest: „eSport ist nach derzeitiger Rechtslage nicht als Sport im rechtlichen Sinne anzusehen und deshalb rechtlich nicht als Sportart anerkennungsfähig“ (BA, S. 23).

Konträre Aussagen zum eSport liegen aus der Politik vor: Die Staatssekretärin für Digitalisierung Bär preist: Inder digitalen Welt „liegen die Tartaanbahnen der Zukunft“ (nach Schürmann, 2018b), und im Koalitionsvertrag wird die Institutionalisierung des eSports im DOSB und beim IOC gefordert. Dagegen stellt der Innenminister von Hessen, Peter Beuth, die rhetorische Frage „Wir sind herausgefordert durch ein offenbar neues Sportverständnis. Ist diese Daddelei vor dem Fernseher am Ende auch Sport?“ Und ohne Zweifel an seiner Position aufkommen zu lassen, beantwortet er die von ihm selbst gestellte Frage: „ESport hat mit Sport nichts zu tun. Wir müssen diesen Begriff ausradieren“ (Darmstädter Echo, 27.11.18, S. 30).

Forschungsansätze in der Diskussion

Methodologische Vorbemerkungen

Wissenschaft kann dazu beitragen, Diskussionen zu versachlichen. Allerdings arbeitet auch sie nicht voraussetzungsfrei. Eine Folge aus dieser Einschränkung ist, dass Wissenschaft die Voraussetzungen ihrer Arbeit, ihrer Argumente und ihrer Erkenntnisse offenlegen, z. B. Ideologiekritik betreiben muss, um in ihren Aussagen nicht ideologisch im negativen Sinne zu sein.

Die Doppelfrage, ob eSport Sport „ist“ und ob der DOSB eSport als Mitgliedsorganisation aufnehmen sollte, kann von unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen beantwortet werden. Als Ansatz wird hier der Sprachphilosophie gefolgt, die nach den Bedeutungen von Sprache und damit auch von Begriffen fragt. Der Beitrag folgt damit auch der Anregung von Wendeborn et al. (2018, S. 454), eine differenzierte Diskussion zu führen, „die verschiedene Theorieofferten unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen“ zulässt.

Ein zweiter Aspekt ist der Anwendungsbereich, auf den sich die Fragen zum eSport beziehen. Zu differenzieren ist, ob es erstens um den alltäglichen Sprachgebrauch für die Gesellschaft allgemein geht (z. B. auch um die Bestimmung des Gegenstands „Sport“ der Sportwissenschaft), ob es zweitens um die Kriterien geht, auf die eine Organisation zurückgreift (also z. B. der DOSB bei der Entscheidung über die Mitgliedschaft in seiner Organisation), oder ob es drittens um den Rechtsraum des Staates geht (u. a. mit seinen Rechtsvorstellungen zur Gemeinnützigkeit und zu den Steuervorschriften). Für die drei Anwendungsfelder haben unterschiedliche Entscheidungswege und -kriterien zu gelten. Während der Rechtsraum des Staates und der DOSB auf Definitionen angewiesen sind, erscheint für den Öffentlichen Raum der „normale Sprachgebrauch mit ausfransenden Begriffen“ angemessen zu sein.

Für die Behandlung des Themas ist drittens zwischen deskriptiven Analysen und normativen Urteilen zu unterscheiden. Auf beide muss zur Beantwortung der anstehenden Fragen zurückgegriffen werden. Das gilt besonders für alle Definitionen, bei denen die notwendigen und hinreichenden Merkmale festgelegt werden müssen, und diese Festlegungen bestehen aus normativen Urteilen.

Die Definitionsproblematik von Sport in der Geschichte

Grundlage fast aller Diskussionsbeiträge zum Sport und zum eSport sind ontologische Wesensdefinitionen. Die Schwierigkeiten bzw. die Unmöglichkeit, das Phänomen Sport (ontologisch) zu definieren, sind keineswegs neu. McBride (1975, zitiert nach Lenk 1980, S. 426) kommt in seinem programmatischen Aufsatz „Toward a non-definition of sport“ zu dem Schluss, „es sei vergeudete Zeit, den Begriff ‚Sport‘ definieren zu wollen. Dies sei wegen der Vagheit und der Mehrdeutigkeit ‚logisch unmöglich‘“.

Auch in der deutschen Sportwissenschaft sind die Schwierigkeiten seit Langem bekannt, Sport zu definieren. Willimczik hat dieser Frage und den sich daraus ergebenden Konsequenzen in seiner „Sportwissenschaft interdisziplinär“ (2001) 90 Seiten (!) gewidmet. Und bei Schürmann heißt es in seinem Beitrag zum Sport (2018b, vgl. auch 2018a) „Ob ein Phänomen Sport ist oder nur so heißt, sagt dieses Phänomen nicht selbst. (…) Daher ist es Gezänk, sich um das vermeintlich ausschlaggebende Merkmal zu streiten“.

Die Ableitung von Definitionen aus Theorien: das Beispiel Systemtheorie

Von Systemtheoretikern liegen ebenfalls Vorschläge vor, die als Wesensdefinitionen einzuordnen sind. Borggrefe fragt z. B., ob „es sich bei eSport um Sport im eigentlichen Sinne“ handelt; oder ob „eSport tatsächlich Merkmale aufweist, die eine Einordnung als Sport rechtfertigen“ (2018a, S. 447).

Im Unterschied zu den Forschungsansätzen der idealen und der normalen Sprache, die die Grundlage für Sprachanalysen bilden, erscheint die Ableitung des Sportbegriffs aus sozialwissenschaftlichen Theorien aus prinzipiellen Gründen nicht möglich. Dies zeigt sich konkret auch an dem Versuch von Borggrefe (2018a, 2018b), die Frage, ob eSport Sport ist, auf der Grundlage der Systemtheorie erschöpfend zu beantworten und zu begründen.

Für den Sport sind von zwei sehr namhaften Systemtheoretikern (die nicht aus der Sportwissenschaft kommen) Vorschläge für einen binären Code vorgelegt worden.

Stichweh (1990) plädiert für den Code „Leisten/Nicht-Leisten“; Schimank für „Sieg/Niederlage“. Borggrefe hat als Gewährsmann für ihre Argumente den Code „Leisten/Nicht-Leisten“ von Stichweh herangezogen (2018a, S. 447).

Gegen den Code „Leisten/Nicht-Leisten“ allgemein spricht, dass er seinem eigenen Anspruch nicht gerecht wird, Sport von anderen Gesellschaftssystemen (z. B. Kunst oder Gesundheit) abzugrenzen, also das System „singulär“ zu machen. Gegen die Spezifizierung (messbare Eigenschaften, relevante Wirkungen der Handlung, Vergleichbarkeit, keine irgendeine Verwendbarkeit außerhalb des Sports) ist einzuwenden, dass diese sich nicht aus dem binären Code ergeben.

Borggrefes Argumente gegen eSport, die sie aus dem allgemeinen binären Code von Stichweh zieht, sind (damit) logisch nicht hinreichend, da sie die Einbeziehung weiterer Randbedingungen erfordern. Dazu gehören die Ableitungen zur Gesundheitsförderung und zur Sportpädagogik durch Sport (2018a, S. 448), zumal Stichweh eine extrem negative Meinung zum Gesundheitswert des Sports vertritt (1990, S. 383). Hinzu kommt, dass dem Sport damit eine Funktion zugeschrieben wird, die über den Sport hinausgeht, und dies wird von Stichweh und Borggrefe (2018a, S. 447) gerade als unzulässig abgelehnt.

Wie problematisch der Rückgriff auf die Systemtheorie für eine Entscheidung über die Aufnahme des eSports in den DOSB ist, zeigt sich, wenn man Schimanks Abgrenzungskriterium, nämlich den binären Code „Sieg/Niederlage“ zugrunde legt.

Wählt man „Sieg/Niederlage“ als Maßstab, dann spräche alles dafür, dass der DOSB den eSport-Verband als Mitgliedorganisation aufnehmen muss, denn dieses Merkmal wird vom eSport uneingeschränkt erfüllt.

Gegen den Rückgriff auf die Vorschläge von Schimank und Stichweh für die Definition von Sport und für die Begründungen von der Entscheidung über eSport spricht auch, dass in diesen Beiträgen der Systemtheorie der Sport (unberechtigterweise) auf den traditionellen Wettkampfsport eingeschränkt wird. Bei Schimank heißt es „Der Siegescode bildet das Zentrum des für den modernen Sport charakterisierten Komplexes generalisierter sinnhafter Orientierungen“ (1988, S. 188). Stichweh postuliert, dass für den modernen Sport das „Moment des kontinuierlichen Leistungsvergleichs“ gelte (1990, S. 385).

Sprachphilosophische Grundlage

Für die Entscheidung über die Aufnahme/Nicht-Aufnahme des eSports kann nicht auf der Argumentationsstufe stehen geblieben werden, dass es prinzipiell keine verbindliche Definition von Sport gibt. Für eine Lösung dieses Problems wird in der Sprachphilosophie in eine „Philosophie der idealen Sprache“ für Definitionen (Frege 1971) und in eine „Philosophie der normalen Sprache“ für Bedeutungen (Wittgenstein 1969) differenziert. Beiden Forschungsansätzen kommt für die zentralen Fragen des Beitrags eine zentrale Stellung zu. „Definitionen“ und „Bedeutungen“ fordern die Erfüllung grundsätzlich unterschiedlicher Kriterien. Die Grundannahme der „Philosophie der idealen Sprache“ ist im Konzept der notwendigen und hinreichenden Bedingungen (NHB) formuliert. Es besteht 1. aus der Bedingung der Notwendigkeit (Bestimmte Merkmale müssen immer gegeben sein, damit ein Gegenstand unter einen Begriff fällt) und 2. Aus der Bedingung der Hinreichung (Die Gesamtheit der notwendigen Bedingungen muss einen Begriff zweifelsfrei von anderen Begriffen abgrenzen).

Auf den Sport bezogen wird also gefordert, dass alle Merkmale – also z. B. alle Sportaktivitäten – neben akzidentellen Merkmalen, die für die Definition eines Begriffes nicht von Bedeutung sind, ein gleiches Bündel notwendiger Merkmale aufweisen. Die Merkmale innerhalb eines Merkmalbündels verfügen über einen „äquivalenten Status“, das heißt, sie sind in ihrer Bedeutung gleichwertig.

Die Grundannahme der Philosophie der normalen Sprache von Wittgenstein steht in krassem Gegensatz zu der der idealen SpracheFootnote 2. Für sie braucht die Forderung nach notwendigen und hinreichenden Bedingungen nicht erfüllt zu sein. Bezogen auf den Sport bedeutet dies, dass man durchaus von Sport sprechen darf, auch wenn nicht alle Merkmale eines Begriffs gegeben sind, und sie besitzen auch nicht einen äquivalenten Status. Begriffe weisen eine sogenannte Familienähnlichkeit auf.

Entwickelt worden ist die Philosophie der normalen Sprache („philosophy of ordinary language“) von Wittgenstein am Beispiel „Spiel“Footnote 3 (1984): Das Beispiel kann plausibel auf die Analyse des Sportbegriffs angewendet werdenFootnote 4. Den Spielen Schach, Dame, Fußball … entsprechen im Sport die Disziplinen Leichtathletik, Turnen, Fußball … Den Gruppierungen Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiele … entsprechen die Sportmodelle Traditioneller Wettkampfsport, Gesundheitssport … Den „gemeinsamen Zügen, Elementen, Charakterzügen“ Unterhaltung, Gewinnen/Verlieren, Geschick … entsprechen motorische Aktivitäten, Leistung, Wettbewerb.

Tab. 1 Mögliche Modelle von Sport

Von der „Philosophie der normalen Sprache“ zur Empirie

Wittgensteins (1969) zentrale Aussage zu seinem Forschungsansatz lautet: „Sag nicht: ‚Es muss ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht Spiele‘, sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist“ (§ 66). Somit erscheint es gerechtfertigt, dass sein Ansatz von Vertretern der empirischen Sozialforschung aufgegriffen worden ist. Footnote 5 Das Ergebnis ist das weit verbreitete Prototypenmodell. Es gilt als „integratives Konzept für kognitive Kategorienvorgänge“ (Haverkamp 2005). Für das Prototypenmodell ist zentral:

  • Begriffe werden durch Gegenstände/Referenzen (Extensionen) und Bedeutungen (Intensionen) bestimmt. Ein Begriff ist z. B. „Sport“; ein Gegenstand ist z. B. „Fußball“, eine Bedeutung ist z. B. „Wettkampf“.

  • Das Maß für den Gegenstand, (z. B. Fußball) ist die Typikalität (Wie typisch/untypisch ist z. B. Fußball als sportliche Aktivität für den Sport?). Das Maß für die Intension, also für eine Bedeutung, (z. B. Wettkampf) ist die Cue-Validität oder die Ähnlichkeit. (Wie bestimmend ist z. B. Wettkampf für den Fußball und damit für den Sportbegriff?)

  • Begriffe haben „verschwommene Grenzen“. Die Zugehörigkeit von Gegenständen (Fußball) zu Begriffen (Sport) wird durch graduierte Funktionen beschrieben.

  • Begriffe weisen eine statische und eine dynamische Vagheit auf. Die statische Vagheit kommt in der Kulturabhängigkeit von Begriffen zum Ausdruck. Die dynamische Vagheit trägt dem historischen Wandel Rechnung. Entsprechend ist der Sportbegriff zur Zeit Diems (1960) ein anderer als der Gegenwart; und für die Zukunft ist (selbstverständlich) von einem weiteren Begriffswandel auszugehen.

Neben den oben aufgeführten und hier zugrunde gelegten Philosophien der idealen und der normalen Sprache und dem linguistischen Prototypenmodell hat Schürmann (2018a) ebenfalls ein Prototypen-Modell vorgeschlagen, für das er hervorhebt, dass es sich entscheidend von dem gleichnamigen Vorschlag von Haverkamp und Willimczik (2005) unterscheidet. „Der Kern des Modells liegt in der These oder Einsicht, dass man auf die Frage was Sport sei, nicht mit einer Definition antworten kann. Jeder Definition nämlich liegt schon generisches Wissen zugrunde“ (S. 229). Zur Überwindung dieses Mangels fordert Schürmann in seinem Prototypen-Modell, „das leitende Vorverständnis (von Sport) explizit zu machen, um dadurch die Antwort auf die Frage, was Sport ist, methodisch zu kontrollieren und miteinander diskutierbar zu machen“ (S. 229). Um dieses Vorverständnis erkennbar zu machen, sollen Menschen aufgefordert werden, ihren Prototypen von Sport anzugeben. Die Antwort könnte sein: „Wenn ich an Sport denke, dann denke ich zuerst an Joggen im Park. Das ist für mich wirklich Sport, während das was im Fußballstadion oder bei den Olympischen Spielen passiert, doch schon lange kein Sport mehr, sondern pures Event ist: Brot und Spiele!“ (S. 229).

In etwa nach diesem Muster ist aber auch Haverkamp (2000) vorgegangen, indem sie zunächst „Evokationen von Assoziationen“ initiiert hat. Erst nach dieser Erkundungsphase hat sie in der Hauptuntersuchung ihrer Dissertation Bedeutungen (Charakteristika) von Sport und – weiter differenzierend – von Sportmodellen raten lassen. Damit aber liegen die Ansätze von Schürmann und Haverkamp und Willimczik (2005) für diesen Aspekt nicht weit auseinander. Mit der Analyse der Bedeutungen sind Haverkamp und Willimczik dann in dem Sinne über Schürmann hinausgegangen, als sie die Antworten der Probanden in Clustern kategorisiert hat.

Der Sport der Gegenwart und der eSport als Begriffe der Familienähnlichkeit im Prototypenmodell

In mehreren groß angelegten empirischen Untersuchung (n1 = 40; n2 = 70; n3 = 119; n4 = 283)Footnote 6 sind Haverkamp und Willimczik den Fragen nachgegangen, inwieweit erstens der Sportbegriff eine prototypische Struktur aufweist, sich von Nachbarbegriffen wie Arbeit, Kunst, Spiel sowie Gesundheitspflege abgrenzen lässt (Haverkamp 2005; Haverkamp & Willimczik 2005), und ob zweitens für den Sportbegriff eine Binnendifferenzierung anzunehmen ist (Haverkamp 2005; Willimczik 2007). In einer weiteren Untersuchung haben Schlör und Schmidt (Schlör, Schmidt, & Woll 2018) analysiert, wie die Prototypenstruktur von eSport im Vergleich zum traditionellen Sport aussieht.

Sport als Familienähnlichkeit

Für den Vergleich der Kategorien Sport, Arbeit, Spiel, Kunst und Gesundheitspflege lassen sich die Ergebnisse folgendermaßen zusammenfassen:

Die untersuchten Begriffe verfügen über eine prototypische Struktur, das heißt, die Kategorien Sport, Arbeit, Spiel, Kunst und Gesundheitspflege weisen einerseits jeweils sehr typische und sehr untypische Bedeutungen auf, sie zeigen andererseits „Ausfransungen“ an den Rändern und Überlappungen. Sie lassen sich somit nicht disjunktiv voneinander abgrenzen (Haverkamp 2005; Haverkamp & Willimczik 2005). Für den Sport sind besonders typisch sind: Wettkampf, Motorik, Strategie, Training; aber auch Verletzungsgefahr/Gesundheitsschädigung und Aggression.

Für eine Beantwortung der Frage der Aufnahme/Nicht-Aufnahme von eSport in den DOSB ist die Antwort auf die Frage nach der Binnendifferenzierung von großer Bedeutung, weil sie zeigt, dass die Charakteristika, also die Bedeutungen, die den einzelnen Modellen zugeschrieben werden, zum Teil extrem divergieren.

Zum ersten ergibt sich, dass die den Modellen zugeschriebenen Bedeutungen unterschiedlich, ja zum Teil gegensätzlich sind, obwohl alle Modelle (bis auf die „sportnahen Hobbys“) unbestritten unter den Begriff Sport subsummiert werden! Zum zweiten bringt ein Vergleich der Werte für Sport einerseits und Spiel und Arbeit andererseits zu Tage, dass die entsprechenden Überschneidungen überwiegend nur einzelne Modelle betreffen. So weist der professionelle Hochleistungssport eine große Schnittmenge der Bedeutungen mit denen der Arbeit auf (Aggressivität: 0,34, Gesundheitsschädigung: 0,28, Stress: 0,27), und der Gesundheitssport zeigt (verständlicherweise) eine starke Überlappung mit der Gesundheitspflege (Wellness: 0,30, Entspannung/Regeneration: 0,24, Alltag: 0,23.) Die dominanten Bedeutungen für Sport allgemein, nämlich Wettkampf (0,23), Leistungsdruck (0,21) und Teamgeist/Solidarität (0,20), werden nur für den traditionellen Sport genannt. Zu berücksichtigen ist für alle Sportmodelle die Stichprobenabhängigkeit und damit die Subjektivität der Bedeutungszuschreibungen. So schreiben Aktive in einem Sportmodell (z. B. Hochleistungssport) ihrem Modell (verständlicherweise) in stärkerem Maße positive Bedeutungen zu als Außenstehende (Willimczik 2007).

Das Ergebnis einer Clusteranalyse (Abb. 1) zeigt, dass tatsächlich von einer Binnendifferenzierung ausgegangen werden kann, und entsprechend bestehen auch zum Teil nur sehr geringe, und sogar hohe negative Korrelationen zwischen den Sportmodellen (z. B. zwischen Hochleistungssport und Gesundheitssport; Willimczik 2007).

Abb. 1
figure 1

Strukturmodell zur Binnendifferenzierung des Sports (auf Grundlage einer Clusteranalyse, Willimczik 2007)

eSport im Verhältnis zum traditionellen Sport

Trotz des erst kurzen Bestehens des eSports liegt bereits eine Erkundungsstudie auf der Grundlage des Prototypenmodells vor. Die Ergebnisse bestätigen bisher vorgetragene Annahmen und erscheinen somit plausibel. Schlör (2017; siehe auch Schlör, Schmidt & Woll, 2018) ist in einer Studie mit n = 389 Versuchspersonen den Fragen nachgegangen, welche Prototypenstruktur eSport im Verhältnis zum traditionellen Sportkonzept hat und inwieweit die Struktur vom Alter der Versuchspersonen, vom Geschlecht, von der Berufsgruppe und von der e‑Spielpraxis abhängig ist. Die Ergebnisse können – in Grenzen – mit den bisher dargestellten Ergebnissen verglichen werden, da ihnen dieselben intensionalen Merkmale zugrunde gelegt worden sind. Als extensionale Referenzen hat Schlör – mit leichten Abweichungen – die oben genannten Sportmodelle gewählt. Die wichtigsten Ergebnisse sind:

  • Die pauschale Frage, ob eSport Sport „ist“, haben im Alter unter 30 Jahren zwischen 44 und 51% bejaht, für das spätere Alter liegen die Prozentwerte bei 19%/32% und (ab 70 Jahren) bei 13%.

  • Die Cue-Validitäten für eSport und den traditionellen Sport weisen eine große Ähnlichkeit auf. Besonders ähnlich sind die Bedeutungen für Wettkampf (0,51 zu 0,49), Unterhaltung (0,51 zu 0,49), Mode (0,51 zu 0,49) und Erfolg (0,51 zu 0,49). Besonders unähnliche Werte ergeben sich für die körperliche Leistung (0,30 zu 0,70), für die Gesundheitsförderung (0,19 zu 0,81) und die Ganzheitlichkeit (0,30 zu 0,70).

  • Verständlicherweise ein sehr ähnliches Ergebnis zeigt sich, wenn man nicht, wie bei den Cue-Validitäten 0/1-Daten, sondern die „quasi-intervallskalierten“ Bedeutungen (Maximalwert 3) zugrunde legt. Für den eSport wurden die höchsten Werte für Konzentration (2,48), Strategie (2,43) und Freiwilligkeit (2,32) angegeben. Die niedrigsten Werte waren Gesundheitsförderung (0,43), Ästhetik und Produktivität (0,95). Für den traditionellen Sport waren die höchsten Werte Anstrengung (2,57), körperliche Leistungsfähigkeit (2,56) und Übung (2,56). Die niedrigsten Werte wurden für Langeweile (0,97), Glück (1,21) und Mode (1,38) angegeben.

  • Sowohl für die Cue-Validitäten als auch für die „quasi-intervallskalieren“ Bedeutungen ergeben sich für die Teilstichprobe der Wettkampfspieler – im Vergleich zur Gesamtstichprobe – höhere Werte für die besonders typischen Merkmale.

  • Bei einem interferenzstatistischen Vergleich der Werte für die Bedeutungen zwischen eSport und traditionellem Sport ergaben sich bei 29 Merkmalen unbedeutende Differenzen in den Effektstärken nach Cohen (1992). Extrem gering waren die Differenzen für Erfolg, Mode und Kreativität (jeweils d = 0,05). Extreme Unterschiede zeigten sich dagegen bei Anstrengung (d = 0,88), Ganzheitlichkeit (d = 1,04), körperlicher Leistungsfähigkeit (d = 1,20) und Gesundheitsförderung (d = 1,23).

  • Gut differenzierend und sehr aussagekräftig sind die Ergebnisse hinsichtlich der Zuordnung der zusammengefassten Bedeutungen zu den Sportmodellen als (externe) Typikalitäten. Relativ gering sind Übereinstimmungen (Skala 0–6;) beim Vergleich mit traditionellem Sport (1,33), Gesundheitssport (1,07) und Natursport (0,46), während hohe Übereinstimmungen für den Freizeitsport (3,19), den Medien‑/Zuschauersport (3,17) und den kommerziellen professionellen Sport (2,91) vorliegen.

Sport und eSport – ein Diskussionsbeitrag

In der Sprachphilosophie und in der Wissenschaftstheorie wird die Frage, ob Begriffe definiert werden können, so beantwortet, dass dies vom Anwendungsbereich abhängig ist. Auch in der Sportwissenschaft ist dies – expressis verbis – spätestens seit 2001 bekannt, und ist entsprechend differenzierend die Auffassung vertreten worden, dass der Sportbegriff für den Alltagsgebrauch nicht definierbar ist und dass Definitionen für Organisationen wie den DSB bzw. den DOSB aber eine Notwendigkeit darstellen (Willimczik 2001). In der derzeitigen Diskussion um das Verhältnis von „Sport“ und „eSport“ wird diese Differenzierung weitestgehend außer Acht gelassen. Vielmehr wird für alle Lebensbereiche vorzugsweise unbegründet ein (traditioneller) Sportbegriff zugrunde gelegt.

Sport und eSport als Gesellschaftsphänomene

In der öffentlichen Meinung ist es weder für den übergreifenden Sportbegriff noch für die Sportmodelle erforderlich, noch erscheint es möglich und wünschenswert, sie (normativ) zu definieren. Hier ist eine analytische Betrachtung ausreichend und angemessen. Die Konsequenz ist, dass Sichtweisen unabhängig von einem Begründungszusammenhang berücksichtigt werden können. Ihre Validität wird nur über die Akzeptanz in der Gesellschaft bestimmt. Entgegen der Meinung von Lenk (1980) ist dann vielleicht doch das Sport, worüber auf den Sportseiten geschrieben wird. Für den Rückgriff auf Forschungsansätze gibt es keine Priorität. Als Quellen dienen für den Begriff Sport danach neben den Papieren des DOSB und den empirischen Erhebungen im Rahmen des Prototypenmodells alle öffentlich getätigten Aussagen, unabhängig davon, ob sie wissenschaftlich begründet sind oder nicht, ob sie analytisch oder auf einer normativen Ebene gemacht worden sind. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Menschen und Gruppierungen dem Sport und einzelnen Sportmodellen unterschiedliche Bedeutungen zuschreiben. Das gilt besonders für Menschen, die einen bestimmten Sport betreiben bzw. nicht betreiben.

Wichtig für alle Analysen zum Sportbegriff ist, dass Sport und jeder Bindestrich-Sport, wie z. B. Gesundheits-Sport, der statischen und dynamischen Vagheit unterliegen. So lässt sich der Sportbegriff Deutschlands nicht auf andere Kulturbereiche übertragen. Für den amerikanischen Sportbegriff z. B. ist eine Bezeichnung „Gesundheitssport“ nicht denkbar. Wie bedeutend der dynamische (historische) Aspekt ist, zeigt sich z. B. daran, dass Darts vor noch nicht langer Zeit als Kneipenvergnügen verspottet worden ist, während es heute in der Sportberichterstattung gleichberechtigt neben traditionellen Disziplinen wie der Leichtathletik steht, und der Darts-Verband Mitglied im DOSB ist. Vor diesem Hintergrund verbietet sich jede Prognose hinsichtlich einer zukünftigen Anerkennung von eSport in der Gesellschaft.

Die „dynamischen Vagheit“ erlaubt es nicht nur, sondern verpflichtet dazu, den Sportbegriff den Bedingungen der jeweiligen Zeit anzupassen. Eine wesentliche Konsequenz daraus ist, dass der Sportbegriff heute nicht mehr eindimensional zu sehen ist, sondern dass von Sportmodellen auszugehen ist, deren Bedeutungen sehr unterschiedlich, hin bis zu konträr zueinander und zum allgemeinen Sportbegriff sein können. Dabei ist es von sekundärer Bedeutung, ob von den Sportmodellen des Prototypenmodells (Haverkamp 2005; Willimczik 2007) oder von den phänomenologischen Modellen von Digel (1984) oder Heinemann (1986) ausgegangen wird, zumal die Modelle sich nur unwesentlich unterscheiden.

Sportwissenschaft und dvs

Diametral zur Auffassung von Seven, der mit Nachdruck eine Definition von Sport zur Begründung der Sportwissenschaft fordert, um das geringe Ansehen von Sportwissenschaftlern bei Geisteswissenschaftlern zu mindernFootnote 7 (2018, S. 583), steht die Sicht der Philosophie der normalen Sprache: Auch für die Sportwissenschaft allgemein und für die organisierte Sportwissenschaft gilt die nicht notwendige Festlegung auf eine Definition von Sport und eSport einschließlich einer möglichen Abgrenzung gegenüber eGaming. Dies würde auch gegen die Freiheit von Forschung und Lehre gerichtet sein. Insbesondere in einer Zeit der starken Vernetzung von wissenschaftlichen Disziplinen in Forschungsprojekten kann es keine Grenzziehung durch definitorische Einschränkungen geben. Als aktuelles Beleg-Beispiel für vernetzte Forschung kann das mit einer Million Eure aus öffentlichen Mitteln geförderte Forschungsprojekt „Serious Games“ der TU-Darmstadt angeführt werden, an dem der Sportwissenschaftler Wiemeyer beteiligt ist, und dies ist vollkommen unabhängig davon möglich, ob eSport Sport ist oder nicht. Und die Sportpädagogik und der Gesundheitssport können natürlich zu eGaming forschen, um z. B. positive oder negative Effekte herauszufinden. Anders als bei der Gegenstandsbeschreibungen der Sportwissenschaft stellt sich die Situation für wissenschaftliche Untersuchungen dar. Hier sind selbstverständlich (operationale) Definitionen eine Notwendigkeit, wie auch von Wittgenstein im § 69 ausdrücklich betont wird. Dort muss z. B. genau angegeben werden, was man unter Sport versteht, welcher Sport gemeint ist, wenn eine bestimmte Gesundheitswirkung überprüft wird.

Sport in (normativer) Verantwortung

Die analytische Betrachtung von Sport und eSport kann und muss in bestimmten Situationen (selbstverständlich) ihre Ergänzung durch normative Aussagen, z. B. durch pädagogische Positionierungen finden. Diese stellen Werturteile dar. Sie können ontologisch oder gesellschaftspolitisch begründet sein, brauchen es aber nicht. Für den Sport stehen diese Werturteile meist im Zusammenhang mit Gesundheit oder mit den Vorstellungen einer bestimmten Lebensweise.

Die Wahrnehmung der (persönlichen) Verantwortung ist nicht an eine theoretische Begründung gebunden. Als positives Beispiel kann (vollkommen unabhängig von ihrem Rückgriff auf die Systemtheorie) Borggrefes engagierte Stellungnahme bei der Anhörung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages am 28.11.2018 angeführt werden. Dort wendet sie sich deutlich z. B. gegen die Staatssekretärin für Digitalisierung Bähr mit deren Sicht, dass eSport die „Tartanbahn der Zukunft“ sei, prangert sie die mächtige Lobby aus Politik und Wirtschaft für den eSport an, warnt sie vor einer „Körperverdrängung“ durch die „Digitalisierung des Sporttreibens“ und befürchtet einen allgemeinen Legitimationsverlust des Sports (2018c, S. 7 f). In analoger Weise ist es natürlich gerechtfertigt – wie es Wendeborn et al. getan haben – die normative Position zu vertreten, dass die neue Jugendkultur durch einen weiten Sportbegriff aufgefangen werden sollte (2018). Die Verantwortung für den Sportbegriff betrifft jeden Einzelnen wie auch die Organisation DOSB, vor allem aber die Sportpädagogik, die diese Verantwortung jeweils mit ihrem Bildungsauftrag in Einklang bringen muss. Dieser Aufgabe ist sie seit ihrer Institutionalisierung in fortwährenden Diskussionen (hin bis zu kämpferischen Auseinandersetzungen, z. B in der 68er-Zeit) gerecht geworden.

Definitionen von Sport und eSport: die Sonderstellung des DOSB (und weiterer Institutionen)

Im Unterschied zur Umgangssprache und damit zu den Bedeutungen von Sport in der Gesellschaft, für die die Philosophie der normalen Sprache als adäquater Ansatz gelten kann, hat der DOSB das Recht und die Pflicht, Sport zu definieren, wie es die Philosophie der idealen Sprache vorgibt. Bei dieser normativen Entscheidung kann Wissenschaft nur im Sinne der Bereitstellung von Erkenntnissen behilflich sein. Der notwendige Rückgriff auf eine Definition ergibt sich für den DOSB daraus, dass er eine eindeutige Festlegung braucht, um entscheiden zu können, wer Mitglied in seiner Organisation werden kann und wer nicht. Von diesem Recht hat der DSB auch früher Gebrauch gemacht. Im Jahre 1999 z. B. hat er die Aufnahme von Paintball und Gotcha in den DSB mit der Begründung abgelehnt, dass beide kriegsverherrlichend und damit kein Sport seien. Allerdings braucht es dabei nicht – und der DSB hat danach gehandelt – zu einem Gegensatz zur Philosophie der normalen Sprache zu kommen. So heißt es beim Wissenschaftlichen Beirat des DSB (1980, S. 437), dass es sich bei seinen Merkmalen des Sports um „Beschreibungen“ handelt, die sich aus der sportlichen Wirklichkeit ableiten lassen, „und zwar aus

  • den Meinungen (Einstellungen), was Menschen unter Sport verstehen,

  • den historisch gewachsenen Organisationsformen des Sports,

  • den tradierten und kulturell geprägten Funktionen des Sports,

  • den politischen, sozialen, ökonomischen, rechtlichen und anderen Einbindungen des Sports“ (1980, S. 437).

Der Hinweis auf die historisch gewachsenen Organisationsformen des Sports und auf die tradierten und kulturell geprägten Funktionen des organisierten Sports bezieht sich offensichtlich auf SchachFootnote 8, das seit 1926 Mitglied der Sportorganisation ist. Auch wenn die Vorstellungen von Politik und Recht für den autonomen Sport und damit für den DOSB nicht bindend sind, muss er diese, z. B. wegen Gemeinnützigkeit, durchaus berücksichtigen. Für die normative Entscheidung, also für die Definitionen des Sports als Überbegriff und für den eSport, liegen vom DOSB Festlegungen vor. Als noch offen ist eine systematische Zusammenstellung der Bedeutungen für die Sportmodelle und vor allem eine widerspruchsfreie Abgleichung der Bedeutungen für den Sportbegriff und die Sportmodelle. Für den eSport-Begriff des DOSB gibt es bisher nur eine allgemeine Abgrenzung gegenüber dem eGaming.

Die Bedeutungen des übergreifenden Sportbegriffs

Als derzeit gültige Aufnahmekriterien gelten für den DOSB:

  1. a)

    die „eigene sportartbestimmende motorische Aktivität“,

  2. b)

    der „Selbstzweck der Betätigung“ und

  3. c)

    die „Einhaltung ethischer Werte“.

Von diesen erscheinen die Kriterien 1 und 3 uneingeschränkt anerkannt und können damit als notwendige Bedingungen im Sinne des NHB-Modells angesehen werden. Gewisse Probleme macht das Adjektiv „sportartbestimmende“, da eine Reihe von anerkannt sportlich anerkannten Aktivitäten, wie z. B. motorische Fähigkeiten, nicht einer Sportart zugeordnet werden können. Für das dritte Kriterium stellt sich die Frage, inwieweit die „Partnerschaft durch Regeln und/oder ein System von Wettkampf- und Klasseneinteilungen“ für den übergreifenden Sportbegriff gefordert werden kann (vgl. dagegen z. B. Gesundheitssport, Erlebnissport). Auf keinen Fall haltbar erscheint die Forderung nach einem uneingeschränkten „Selbstzweck als Betätigung“ (2. Kriterium), da mit ihm jegliche Instrumentalisierung des Sports ausgeschlossen wäre, wie sie aber spätestens seit Coubertin für den Sport konstitutiv ist. Auf dieses Kriterium müsste entweder ganz verzichtet werden, oder es müssten starke Relativierungen vorgenommen werden, damit z. B. Sportmodelle wie der Gesundheitssport oder eine Disziplin wie die Sportpädagogik weiterhin berechtigt dem Sport untergeordnet werden können. Zu prüfen ist auch, inwieweit Kriterien aus früheren Veröffentlichungen, z. B. des Wissenschaftlichen Beirats des DSB aus dem Jahre 1980, „reaktiviert“ werden könnten. Eine Anlehnung an diese Kriterien scheint besonders bei den „motorischen Aktivitäten“, dem „Bedeutungsinhalt als Abgrenzung gegenüber Alltags- und Arbeitsmotorik“ und der „typische Erlebnis- und Erfahrungswelt“ gewinnbringend zu sein.

Bedeutungen der einzelnen Sportmodelle

Vorschläge für Bedeutungen der unterschiedlichen Sportmodelle liegen sowohl von Digel und Heinemann wie auch aus den Analysen der Prototypenmodelle vor. Aus pragmatischen Gründen können die unterschiedlichen Differenzierungen der Sportmodelle folgendermaßen zusammengefasst werden:

  • der traditionelle Sport,

  • der kommerzielle Hochleistungssport (einschl. „Zirkus- und Mediensport“),

  • der instrumentelle Sport (Gesundheitssport, Sportpädagogik),

  • der Erlebnis‑/Freizeitsport,

  • „echter“ Alternativsport (Digel),

  • Präsentationssport (Prototypenmodell).

Mit Bezug auf die Zusammenstellung der Bedeutungen im Prototypenmodell nicht als Sport gerechnet werden sollten die „sportnahen Hobbys“.

Im Unterschied zum übergeordneten Sportbegriff liegen für die Modelle Bedeutungsvorschläge nur in begrenzter Anzahl vor, und zum Teil handelt es sich nur um eine Ausgrenzung von Bedeutungen, die für andere Modelle anerkannt sind (Tab. 1).

Für die Zuschreibung von Bedeutungen für die Sportmodelle muss prinzipiell gelten, dass sie zueinander gegensätzlich sein können; sie dürfen aber nicht im Gegensatz zu den Bedeutungen des übergeordneten Sportbegriffs stehen. Als Problem erscheint vor allem, dass der Selbstzweck, der für den allgemeinen Sportbegriff gilt, in so einem Widerspruch zu den Bedeutungen einiger Sportmodelle steht und deshalb nicht als verbindlich für den Sportbegriff allgemein gefordert werden darf, zumindest relativiert werden müsste.

Als ein zentraler Aspekt gegen die Anerkennung von eSport als Sport wird darauf verwiesen, dass dem eSport/eGaming ein Geschäftsmodell zugrunde liegt (z. B. Schürmann 2018b). Das aber trifft innerhalb des anerkannten Sports vor allem auch auf das IOC und die Fifa sowie den DFB/Liga Ausschuss zu. Somit aber eignet sich der Gegensatz von Geschäftsmodell und Sportmodell nicht als Anerkennung oder Nicht-Anerkennung von eSport als Sport. Neben den (soziologischen) Organisationen sollte weiterhin berücksichtigt und als zentral angesehen werden, wie Sportler/-innen jeweils (psychlogisch) ihre Aktivität sehen. Von ihnen hört man immer wieder, dass sie sich auch beim Profisport nur als „im Wettkampf“ fühlen, nicht also als Arbeiter. Dieser scheinbare Widerspruch ließe sich lösen, indem man eine organisations-soziologische Perspektive gleichberechtigt neben einer motivations-psychologischen Perspektive anerkennt.

Eine Sonderstellung für die Landessportbünde?

Die wissenschaftliche und öffentliche Diskussion über die Bedeutungen (Kriterien) für Sport sind bisher fast ausschließlich in ihrer Gültigkeit für den DOSB geführt worden. Nach den Aussagen des Wissenschaftlichen Dienstes des Landes Berlin sind die Landessportbünde an diese Kriterien zwar nicht in vollem Umfang gebunden, haben aber auch nicht das Recht und die Möglichkeit, sich in einen direkten Gegensatz zu stellen. „Eine Definition, die etwa – konträr zur Aufnahmeordnung des DOSB – als sportliche Voraussetzung keine eigene, sportartbestimmende motorische Aktivität mehr verlangen würde, wäre wohl nicht nur als Eingriff in die Autonomie des Sports, sondern auch in dessen geschützten Kernbereich zu werten“ (BA 2016, S. 7).

De facto aber sind die Landessportbünde in ihrer Entscheidung über den eSport relativ frei. In formaler Hinsicht wird dies dadurch gestützt, dass es nach der Aufnahmeordnung des DOSB verlangt wird, dass eine aufzunehmende Sportaktivität Mitglied in mindestens der Hälfte der Landessportbünde sein muss, also bevor überhaupt die Frage der Mitgliedschaft im DOSB sich stellt. In inhaltlicher Sicht ergeben sich die Möglichkeiten dadurch, dass sich die Landessportbünde weniger an den Spitzenverbänden orientieren, sondern verstärkt an der allgemeinen Bildungs-, besonders der Jugendarbeit, für die ein gegenüber dem DOSB weiterer Sportbegriff angenommen werden kann. Damit haben die Landessportbünde eine hohe Verantwortung.

Sport und eSport in der Rechtsprechung

Wie für den DOSB gilt auch für staatliche Institutionen und für die Rechtsprechung ein Definitionsgebot, sofern eine Rechtssicherheit gefordert ist. Dies darf nicht dazu führen, dass auf diesem Wege den „autonomen“ Sportverbänden eine Definition von Sport, von eSport und von deren Verhältnis vorgegeben wird. Allerdings bleibt es den Finanzbehörden vorbehalten, über die Gemeinnützigkeit von eSport oder anderer Sportmodelle, z. B. des Profi-Fußballs, zu entscheiden. Es sollte das aber auf der Grundlage des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes unter Einbeziehung aller relevanten Wissenschaftsdisziplinen einschließlich der Sportwissenschaft (!) geschehen.

Resümee

Ausgelöst durch eine öffentliche und eine politische Diskussion um die Anerkennung des eSports als Sport und um die Aufnahme des eSport Verbandes (ESBD) in den DOSB hat eine intensive und kontroverse Diskussion über das Selbstverständnis des Sports eingesetzt. Diese Diskussion ist bisher weitestgehend ohne eine sprachphilosophische Begründung und Argumentation geführt worden. Diese Aufgabe hat sich der vorliegende Beitrag gestellt.

  • Bei einer Differenzierung in die Philosophie der idealen und der normalen Sprache sollte für den alltäglichen Sprachgebrauch auf die Kriterien der normalen Sprache zurückgegriffen werden. Auch für den Gegenstand der Sportwissenschaft ist der Rückgriff auf die normale Sprache angemessen. Dagegen ist der DOSB wie andere Institutionen auf Definitionen im Sinne der idealen Sprache angewiesen.

  • Charakteristisch für die normale Sprache ist, dass Begriffe wie der Sport oder wie einzelne Sportmodelle durch ein Bündel von möglichen Bedeutungen mit unterschiedlicher Intensität bestimmt werden. Definitionen dagegen müssen Bedingungen genügen, die notwendig und hinreichend sind.

  • Sowohl für einen übergreifenden Sportbegriff wie auch für einzelne Sportmodelle liegen viele Festlegungen bzw. Vorschläge für einzelne Bedeutungen des Sports oder für „sets“ von Bedeutungen auf der Grundlage ganz unterschiedlicher theoretischer Begründungen vor. Seit Steinitzer (1910) & Bernary (1913) ist den Überlegungen gemeinsam, dass für die Klärung des Sportbegriffs primär auf Charakteristika bzw. Bedeutungen zurückgegriffen werden muss; die Relevanz von bestimmten Aktivitäten (z. B. Fußball oder Turnen) für die Bestimmung ist nachgeordnet.

  • Die Festlegungen der Definitionen für Sport und eSport können nicht nach den Alternativen „wahr oder unwahr“ bzw. „richtig oder falsch“ beurteilt werden, sondern liegen alleine in der Verantwortung der jeweiligen Organisation, also z. B. des DOSB. Diese Festlegungen gelten nicht absolut, sondern sind zeitlich begrenzt. Diese sogenannte dynamische Vagheit muss auch für das Verhältnis von Sport und eSport gelten.

  • Als Folge der Auflösung eines allgemeinen Sportbegriffs zugunsten von Sportmodellen sollten vom DOSB auch für die anerkannten Sportmodelle Bedeutungen zusammengestellt werden. Diese müssen aber auf Kompatibilität mit den Bedeutungen des allgemeinen Sportbegriffs geprüft werden. Weiterhin sollte kritisch geprüft werden, wie die Bedeutungen des eSports zu den Bedeutungen der anerkannten Sportmodelle stehen. Wie wichtig die Differenzierung in Sportmodelle ist, zeigt sich auch darin, dass nach dem Prototypenmodell für den übergreifenden Sportbegriff eSport als Sport angesehen werden könnte, für die einzelnen Sportmodelle aber nicht!

  • Nach dem Statement von Wendeborn et al. müsste eSport eher dem Spiel als dem Sport untergeordnet werden: „Insbesondere der Bezug zum Spiel – als zentrales Kulturphänomen – bedarf einer wesentlich stärkeren Konation in dieser Diskussion“ (2018, S. 452). Gegen diese Einordnung spricht, dass im Prototypenmodell die Bedeutungen des eSports denen des Hochleistungssports ähneln, die wiederum eine enge Verwandtschaft zu den Bedeutungen der Arbeit zeigen.

  • Extrem irreführend aber weit verbreitet ist es, wenn nur auf die Berücksichtigung einer Bedeutung (z. B. Wettkampf) zurückgegriffen werden würde, wie das Beispiel des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zeigt, dass nämlich bei Zugrundelegung nur der Handlungsfreiheit eSport eher Sport ist als ein 110-m-Hürdenlauf (DB, S. 11). Für eine komplexe Sicht haben sich auch der DOSB und der Bundesgerichtshof ausgesprochen.

  • Für die Sportpädagogik kann eine Entscheidung für eSport als Sport eine verstärkende Wirkung haben. Spätestens seit der „68er Revolution“ wird der (traditionelle) Sport nicht mehr per se als pädagogisch wertvoll angesehen, sondern wird einem strengen Diskriminierungsverfahren unterzogen. Die Gründung der Zeitschrift Sportpädagogik (1979) hatte sich genau diesem Ziel verschrieben, und auch heute orientieren sich die Lehrpläne für Sport keineswegs (nur) am traditionellen Sport.

  • Für die Sportpädagogik als Schulfach und als wissenschaftliche Disziplin könnte eine Anerkennung von eGaming als Sport und/oder als Olympische Sportart eine fundamentale Konsequenz haben. Nicht auszuschließen ist, dass dann die Bezeichnung Sportpädagogik als unzutreffend aufgegeben würde, so wie es in den 60er Jahren mit dem Schulfach „Turnen“ geschehen ist. Dies aber könnte auch für den DOSB bedeuten, dass er mit dieser Definition einen wichtigen Pfeiler der Jugendarbeit verlieren könnte. Schon heute heißt das Fachgebiet „Sportwissenschaft“ z. B. in Hamburg „Bewegungswissenschaft“.

  • Der derzeitige Bedeutungsinhalt, der dem eSport in der breiten Öffentlichkeit zugeschrieben wird, ist sehr unterschiedlich, ja konträr: Entweder sieht die Öffentlichkeit eSport als Teil von Sport, so wie Gesundheitssport als Sport gilt, oder eSport wird als Gegenbild zu Sport verstanden, so wie Denksport als Nicht-Sport angesehen wird oder wie Kunstleder nicht als Leder gilt.

  • Für den DOSB ist mit der Entscheidung für oder gegen die Aufnahme des eSports eine gesellschaftspolitisch zentrale Weichenstellung dahingehend verbunden, ob er sich für eine große Breite, hin zu einer umfassenden Jugendkultur entscheidet, oder ob er im Sinne der D’education sportive von Coubertin bei einer wertgebundenen Gegenwelt zum Gaming bleibt.

Postskriptum

Dem Kritischen Rationalismus ist besonders von der Kritischen Theorie vorgeworfen worden, dass er sich in die Unverbindlichkeit zurückziehe, indem er Werturteile innerhalb der Wissenschaft ablehne. Ich hoffe, dass mir in meinem Beitrag dieser Rückzug in die Unverbindlichkeit gelungen ist, dass ich nicht (normativ) Partei ergriffen habe. Aber als Mitglied dieser Gesellschaft bekenne ich, dass ich auf der Grundlage meiner Sozialisation und in meiner Verantwortung für einen Sportbegriff, für eine Sportpädagogik und für eine Sportpolitik stehe, nach der Sport erstens an motorische Aktivität und zweitens an eine körperliche Anstrengung mit dem Ziel gebunden ist, die körperliche Leistungsfähigkeit zu steigern bzw. möglichst lange zu erhalten. Für mich ist Sport weiterhin drittens psychisch-sozial-ganzheitlich zu sehen und hat viertens die Einhaltung von Grundwerten wie Fairness und Unversehrtheit der Person sicherzustellen.