Soziale Ungleichheit in der sportsoziologischen Diskussion

Zumindest bis in die 1980er Jahre galt als gesichert, dass aktives Sporttreiben maßgeblich durch soziale Ungleichheiten geprägt ist. Zum Kernbestand sportsoziologischer Erkenntnisse gehörten u. a. eine höhere Sportaktivität in mittleren und höheren Schichten (im Erwachsenenalter), von Männern gegenüber Frauen (verstärkt in unteren Schichten), sinkende Aktivitätsquoten mit steigendem Alter sowie die Existenz schichtspezifischer Sportartpräferenzen (vgl. expl. Heinemann, 2007, S. 243 ff.). Empirische Belege für diese Zusammenhänge finden sich nicht nur in einschlägigen Untersuchungen älteren Datums (Schlagenhauf, 1977; Voigt, 1978). Sie wurden auch durch diverse Studien bestätigt (z. B. Cachay & Hartmann-Tews, 1998; Tofahrn, 1997; Winkler, 1995, 1998; vgl. den Überblick von Nagel, 2003, S. 72 ff.), die bereits vor dem Hintergrund der Diskussion um Entstrukturierung, Individualisierung und neue soziale Ungleichheiten entstanden. Diese hatte zunächst Bachleitner (1988) auf die Frage sozialer Schichtung im Sport übertragen.

Zugleich lassen sich bereits in den genannten sowie in neueren Untersuchungen auch Tendenzen zur Auflösung traditioneller Unterschiede in der Sportaktivität feststellen. So kommen Kritiker heute zu der Einschätzung, „dass soziale Ungleichheiten sportbezogene Aktivitäten nicht sehr stark prägen“ (Schimank & Schöneck, 2006, S. 22). Es scheine „die ungleichheitstheoretische Perspektive also nicht mehr sehr viel herzugeben“ (ebd.), zumindest was die Frage des bloßen Sporttreibens betrifft. Andere Autoren bezweifeln den Sinn des Ungleichheitsparadigmas grundsätzlich: „Die Behauptung, dass soziale Ungleichheit ein fundamentales gesellschaftliches Differenzierungsprinzip ist, lässt sich aus heutiger Sicht nicht mehr halten“ (Cachay & Thiel, 2008, S. 196). Weder die traditionellen Kategorien von Schichtmodellen – Beruf, Bildung, Einkommen – noch die Erweiterung derselben um neue Ungleichheiten wie Alter, Geschlecht oder Ethnizität, würden Vorhersagen oder Kausalanalysen bezüglich der Sportaktivität zulassen. Vielmehr müssten individuelle Präferenzen und individuelle Ausgangsbedingungen differenzierter berücksichtigt werden (ebd.). Verschiedentlich werden daher komplexere Modelle sozialer Lagen oder Lebensstil-Perspektiven eingefordert (vgl. Heinemann, 2007, S. 250).

Eine Verfeinerung analytischer Konzepte ist zwar stets begrüßenswert und Studien mit entsprechenden Zugängen liefern durchaus interessante Ergebnisse (z. B. Lamprecht & Stamm, 1995). Differenzierungsbedarf besteht jedoch nicht nur auf Seiten der unabhängigen Variablen der sozialen Ungleichheit, sondern auch bei der abhängigen, der Sportaktivität. Denn, so eine gängige theoretisch schlüssige, aber empirisch kaum geprüfte These: Es war doch gerade der als „Versportlichung der Gesellschaft“, „Entsportung des Sports“ (Grupe, 1988, S. 50) verstandene Wandel, der einen Zugang für bis dato unterrepräsentierte Gruppen ermöglichte und die Schranken in Bezug auf das Sporttreiben fraglich werden ließ. Berücksichtigt man diese sportspezifischen Prozesse, lässt sich gegen die These vom allgemeinen Bedeutungsverlust sozialer Ungleichheiten formulieren: Die Unterschiede in der Sportaktivität zwischen Schichten, Geschlechtern und Altersgruppen sind nicht irrelevant geworden, sie werden lediglich durch ein gewandeltes Sportverständnis verdeckt, und/oder sie haben sich in neue Sportbereiche verlagert.

Zur Diskussion dieser Zusammenhänge soll im Folgenden in dreierlei Hinsicht beigetragen werden: Erstens wird der derzeitige empirische Forschungsstand zum Einfluss sozialer Ungleichheiten auf die Sportaktivität dargestellt und diskutiert. Zweitens ist mit Daten aus einer eigenen Untersuchung zu zeigen, dass traditionelle Ungleichheiten für wesentliche Aspekte des Sportverhaltens (z. B. Wettkampfbeteiligung, Sportarten, Motive) weiterhin maßgeblich sind. Anhand dessen wird drittens diskutiert, inwiefern die Ergebnisse auf systematische Zusammenhänge zwischen sozialen Ungleichheiten und unterschiedlichen Sportmodellen schließen lassen.

Empirischer Forschungsstand

Mitte der 1970er Jahre hatte Schlagenhauf (1977, S. 59) ermittelt, dass rund 39% der Bevölkerung der BRD zumindest einmal monatlich Sport treiben. Erlinghagen (2003, S. 9) stellte anhand von Daten aus dem Sozioökonomischen Panel 1986–1999 in Westdeutschland einen kontinuierlichen Anstieg der Sportaktivität von etwa 41% auf 53% fest, der vor allem auf sporadisch Aktive (weniger als 1-mal pro Woche) zurückzuführen sei. Auf Grundlage des Bundesgesundheitssurveys von 1998 registrierten Becker und Schneider (2005, S. 185 ff.), dass 39,2% der Bevölkerung überhaupt keinen Sport treiben, was also einen Aktivitätswert von rund 61% ergibt. Nagel (2003, S. 115 f.) ermittelte in einer Erhebung von 2001 eine Sportaktivität – mindestens 1-mal wöchentlich – von etwa 55%, in einer repräsentativen Befragung von Schimank und Schöneck (2006, S. 10) lag 2003 der Anteil der regelmäßig Aktiven bei rund 49%. Hartmann-Tews (2006, S. 113) stellte im Rahmen eines EU-Surveys von 2004 für die BRD eine Sportbeteiligung von ca. 64% fest. Insgesamt ist also eine – bezüglich Ausmaß und Verlauf nicht eindeutige – Tendenz zum Anstieg der Sportbeteiligung zu verzeichnen, die zuletzt etwa bei der Hälfte bis zwei Dritteln der Bevölkerung liegt. Laut Nagel (2003, S. 115) reicht die Bandbreite in verschiedenen Studien gar von 20–75%.

Die empirischen Befunde zu Geschlechts- und Altersunterschieden fallen gegenüber der Frage der allgemeinen Sportbeteiligung eindeutiger aus. Es besteht weitgehend Einigkeit, dass der Abstand zwischen Männern und Frauen in jüngeren Kohorten geringer geworden ist. Insbesondere bei Frauen zeigt sich ein kohortenspezifischer Effekt, wonach jüngere Geburtsjahrgänge sich gegenüber altersgleichen Männern angleichen und ältere Frauen gegenüber gleich alten Männern aufholen (Pitsch & Emrich, 2004). Unterschiedliche Einschätzungen bestehen allerdings darüber, ob bereits von einer nahezu gleichen Beteiligung beider Geschlechter zu sprechen ist (Nagel, 2003, S. 124 ff.), ob sich Geschlechtsunterschiede nur in einzelnen Subgruppen zeigen – etwa als Dominanz der Männer nur noch in den Altersgruppen von 16 bis 35 Jahren (Breuer, 2004, S. 59 ff.) – oder ob die noch bestehende Differenz weiter zu betonen ist (Becker & Schneider, 2005, S. 185 ff). Angesichts mitunter knapper Unterschieden, wie z. B. einer wöchentlichen Sportaktivität bei 30,3% der Männer gegenüber 25,7% der Frauen (Erlinghagen, 2003, S. 13 f.), liegt natürlich ein gewisser Interpretationsspielraum vor. Noch eindeutigere Befunde existieren bezüglich des Zusammenhangs von Sportaktivität und Alter. Zwar sind die konkreten Zahlen nicht immer vergleichbar, da die Einteilungen der Altersgruppen voneinander abweichen. In den meisten Studien zeigt sich jedoch eine ähnliche Tendenz. Nach wie vor sinkt die Zahl der Sporttreibenden mit steigendem Alter. Allerdings haben sich die Unterschiede zwischen den Altersgruppen verringert, da vor allem Ältere inzwischen häufiger sportlich aktiv sind (Erlinghagen, 2003, S. 13 ff.; Nagel, 2003, S. 126 ff.), laut Breuer (2004, S. 53 ff.) insbesondere die Gruppe ab 45 Jahren.Footnote 1

Bei der Beurteilung des Zusammenhangs von Sportaktivität und vertikalen sozialstrukturellen Merkmalen ergeben sich zusätzliche Schwierigkeiten bei der Operationalisierung der letzteren. Die Heterogenität der verwendeten Indikatoren, von diversen Einteilungen des Bildungsgrades über Einkommensgruppen bis zu unterschiedlich konstruierten Schicht- und Statusindizes, macht einen Vergleich konkreter Zahlen sinnlos, so dass nur anhand allgemeiner Tendenzen argumentiert werden kann. Schlagenhauf (1977, S. 151 ff.) hatte einen klaren positiven Zusammenhang zwischen Schicht und Sportaktivität gefunden, wobei dieser erst für Altersgruppen ab dem 20. Lebensjahr gelte. Erlinghagen (2003, S. 13 ff.) registrierte größere Anteile von Aktiven in höheren Bildungsgraden und Einkommensgruppen, zudem hätten sich die Unterschiede zwischen 1986 und 1999 noch verstärkt (ebd., S. 22). Winkler stellte sowohl für einzelne Faktoren, wie Einkommen und soziale Herkunft (1995, S. 273), als auch anhand eines 3-stufigen Schichtmodells (1998, S. 122 ff.) positive Zusammenhänge mit der Sportaktivität fest. Das bestätigten auch Becker und Schneider (2005, S. 185 ff.), die überdies betonen, dass verschiedene Schichtkonstrukte zum gleichen Ergebnis geführt hätten. Dagegen lassen andere Befunde an der fortdauernden Relevanz vertikaler Merkmale zweifeln: Schimank und Schöneck (2006, S. 18 f.) konstatierten einen lediglich schwachen Zusammenhang zwischen Sportaktivität und (Haushalts-)Einkommen und keinen Zusammenhang mit dem Bildungsabschluss. Nagel fand sowohl beim Bildungsgrad (etwa 51–57%) als auch bei den Einkommensgruppen (etwa 49–59%) lediglich geringfügige Differenzen. Weiterhin zeigte er anhand eines Konstrukts des sozioökonomischen Status zwar einen Abstand zwischen der niedrigsten (54,6%) und höchsten Statusgruppe (67,8%), allerdings keinen eindeutigen linearen Zusammenhang (Nagel, 2003, S. 139 ff.). Ähnlich sah Tofahrn (1997, S. 360 f.) in seiner Betriebssport-Untersuchung lediglich die unterste Schicht leicht abgehängt, in den darüber liegenden hingegen ein ähnliches Ausmaß der Sportaktivität mit der höchsten Ausprägung in der mittleren Mittelschicht, wobei schichtspezifische Selbstrekrutierungseinflüsse betrieblicher Milieus nicht ausgeschlossen werden können.

Zusammenfassend lässt sich der empirische Forschungsstand zu Sportbeteiligung und sozialen Ungleichheiten, nicht zuletzt wegen der Problematik höchst unterschiedlicher Operationalisierungen und Stichproben, zwar nicht auf einen einzelnen exakten Befund verengen, jedoch gibt es einige recht deutliche Tendenzen:

  1. 1.

    Der Anteil der Sporttreibenden hat sich in den letzten Jahrzehnten erhöht. Dabei bestätigt sich ein Trend, der sich nach Schlagenhauf (1977, S. 59 ff.) schon in den 1970er Jahren abzeichnete.

  2. 2.

    Die höhere Sportaktivität hängt vor allem mit der gesteigerten Partizipation der zuvor unterrepräsentierten Gruppen der Frauen und Älteren zusammen. Das zeigen auch die Ergebnisse des EU-weiten Vergleichs von Hartmann-Tews (2006), wonach die Sportbeteiligung in jenen Ländern am höchsten ist, die die geringsten Geschlechts- und Altersunterschiede aufweisen. Bezüglich der ersteren weisen die Ergebnisse der diskutierten Untersuchungen darauf hin, dass sich bei den Frauen der Anteil der Aktiven im Vergleich zu den Männern zumindest angenähert, wenn nicht gar vollständig angeglichen hat, wobei es Differenzierungen in Altersgruppen und sozialen Positionen zu beachten gilt.

  3. 3.

    Eine Abnahme der Sportaktivität mit steigendem Alter besteht weiterhin. Allerdings erscheint sie zunehmend weniger deutlich ausgeprägt bzw. verlagert sie sich tendenziell in höhere Altersgruppen.

  4. 4.

    Die Bedeutung vertikaler Ungleichheiten ist nach dem derzeitigen Forschungsstand umstritten. Es gibt ein leichtes Übergewicht empirischer Belege für die Annahme, dass Sportaktivität weiterhin in höheren sozialen Positionen begünstigt wird. Allerdings lässt sich weder eine Je-Desto-Beziehung durchgängig bestätigen (vgl. auch Bachleitner, 1988, S. 240 ff.), noch können – auch aufgrund der heterogenen Indikatoren – die Grenzen zwischen den vertikalen Positionen präzise angegeben werden, mit deren Über- oder Unterschreiten sich die Sportbeteiligung erhöht bzw. senkt (zur Sportaktivität von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Leichtathletik als von ökonomischen Bedingungen abhängiger Konsum vgl. Flatau, Pitsch, Bogendörfer & Emrich, 2009). Dennoch scheint es nach wie vor empirisch fruchtbar, die soziale Schicht als unabhängige Variable einzusetzen. Der Erklärungswert liegt tendenziell höher als der anderer unabhängiger Variablen im Kontext sozialer Ungleichheit (vgl. Endruweit, 2000).

Wandel sozialer Ungleichheiten, Wandel des Sports

Wie lassen sich diese Entwicklung der Sportaktivität und die damit offenbar zusammenhängende (partielle) Verschiebung sozialer Ungleichheiten erklären? Entlang der einleitend skizzierten Diskussion lassen sich heuristisch zwei Zugänge unterscheiden: Einerseits könnte die Entwicklung der Sportbeteiligung primär auf Prozesse der Individualisierung oder Entstrukturierung zurückgeführt werden, also auf einen allgemeinen Bedeutungsverlust sozialer und sozialstruktureller Zugangsbarrieren. Andererseits wäre die Öffnung für weite Teile der Bevölkerung und neue soziale Gruppen vorrangig durch den Wandel des Sports selbst zu erklären.

Der erstgenannte Zugang knüpft an die seit den 1980er Jahren in der Soziologie geführte Diskussion um die Auflösung bzw. den Wandel sozialer Ungleichheiten an. Gegen traditionelle Ungleichheitstheorien wird eingewendet, dass die Bedeutung ökonomisch konstituierter soziostruktureller Großgruppen angesichts gesellschaftlicher Entwicklungen wie dem Ausbau des Wohlfahrtsstaates, der Bildungsexpansion oder der Steigerung des allgemeinen Lebensstandards geschwunden sei (vgl. expl. Beck, 1983; Hradil, 1989). Klassen oder Schichten seien demnach nicht mehr relevant. Stattdessen müssten komplexere Modelle sozialer Lagen oder Milieus zur Erklärung unterschiedlicher Lebensführung herangezogen werden – oder letztere wird gar als von sozialstrukturellen Determinanten entkoppelt betrachtet (vgl. die Zusammenfassung der wichtigsten Ansätze bei Burzan, 2004). In der Folge entstanden ab den 1990er Jahren zahlreiche Untersuchungen (vgl. im Überblick Reichenwallner, 2000, S. 70 ff.) zu Lebensstilen im Sinne von Einstellungen, Verhaltens- und Handlungsroutinen, gemessen z. B. anhand von Freizeitaktivitäten, Geschmack und Wertorientierungen (ebd., S. 9). Datengrundlagen und empirische Befunde dieses Forschungszweigs sind allerdings nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher Operationalisierungen äußerst heterogen (vgl. Burzan 2004, S. 102 ff.). Insgesamt ist jedoch kennzeichnend, dass Lebensstile theoretisch eher als subjektiv entworfen denn als durch soziale Ungleichheiten geprägt betrachtet werden. Für Sportaktivitäten – die in den empirischen Untersuchungen der Lebensstilforschung allenfalls am Rande eine Rolle spielen – würde dies implizieren, dass auch sie von objektiven Lebensbedingungen und Gruppenzugehörigkeiten unabhängig sind und stattdessen vorwiegend gemäß individueller Präferenzen gestaltet werden. Als Ursachen für die sozialen Ungleichheiten in der Sportaktivität werden in der Regel sowohl unterschiedliche Rollenerwartungen und sozialer Habitus als auch Differenzen in der Verfügung über materielle und zeitliche Ressourcen gesehen (vgl. zusammenfassend Nagel, 2003, S. 119 ff., S. 137 ff.; Heinemann, 2007, S. 245 ff.). Demnach wäre die empirisch angezeigte Steigerung der Sportaktivität vormals unterrepräsentierter Gruppen insbesondere durch Veränderungen ihrer Lebenslagen und sozialen Rollen zu erklären: Viele Frauen verfügen durch vermehrte, auch höher qualifizierte Berufstätigkeit über neue materielle und soziale Freiräume, aber auch über mehr Freizeit durch eine neue partnerschaftliche Arbeitsteilung. Der damit einhergehende Wandel der Geschlechterrollen zeigt sich eben auch darin, sich den Sport als traditionell männliche Aktivität zu eigen zu machen (vgl. Nagel, 2003, S. 124 f.). Die Lebenslage vieler älterer Menschen hat sich u. a. durch die Verkürzung der (Lebens-) Arbeitszeit verändert. Dass sie dieses Mehr an Lebens- und Freizeit vermehrt für sportliche Aktivitäten nutzen, deutet auf eine Verschiebung der Grenzen von Jugendlichkeit und Alter hin: Der traditionell mit Jugendlichkeit assoziierte Sport scheint besser in die Lebensstile Älterer integrierbar (vgl. ebd., S. 129 f.). Der – empirisch nicht eindeutig belegte – Rückgang vertikaler Ungleichheiten wäre entsprechend auf eine Angleichung der Lebensverhältnisse und einen Wandel schicht- bzw. klassenspezifischer Habitus zurückzuführen.

Folgt man dem zweiten Argumentationsstrang, wonach sich insbesondere der Sport selbst gewandelt hat, so haben sich nicht in erster Linie die Unterschiede zwischen den sozialen Gruppen eingeebnet, sondern vor allem die Grenze zwischen Sport und Nicht-Sport. Ende der 1980er Jahre registrierten diverse Autoren (Cachay, 1990; Digel, 1986, 1990; Grupe, 1988; Heinemann, 1986) die miteinander verflochtenen Tendenzen zur Versportlichung der Gesellschaft und Entsportung des Sports. Unter anderem in Form neuer, versportlichter Spiele und Freizeitaktivitäten, informell oder bei neuen (kommerziellen) Anbietern praktiziert, habe der Sport seinen angestammten räumlichen und organisatorischen Rahmen des Vereins verlassen und Einzug in weite Teile der Gesellschaft und Alltagskultur gehalten – sinnfällig geworden z. B. durch das Fitnesscenter im Einkaufszentrum oder das Tragen von Sport- als Alltagsbekleidung (vgl. Digel, 1990). Mit der Versportlichung der Gesellschaft gehe aber zugleich die Entsportung des Sports einher, wonach traditionelle Prinzipien, Werte und Organisationsformen in Frage gestellt, sein Bedeutungsgehalt unscharf würden (Digel, 1990; Grupe, 1988). Gründete die Einheit des traditionellen Sports neben Leistungszielen und Regeln auch auf der Einheitlichkeit seiner Funktionen (Heinemann, 1986, S. 112 ff.), so führten die Herauslösung und Instrumentalisierung einzelner Aspekte, wie Rittner (1985) anhand der Ausdifferenzierung des Gesundheitsmotivs ausführte, zu neuen Sportmodellen, losgelöst vom alten, relativ homogenen Kern des Wettkampfsports (Digel, 1986, S. 38 f.). Zuweilen ging man so weit, den vereinsorganisierten Sport als Auslaufmodell zu betrachten (vgl. Digel, 1988), obwohl die Mitgliederentwicklung von einer hohen Nachfrage nach diesem Modell zeugte und aktuell zeugt (vgl. dazu kritisch am Beispiel der vereinsorganisierten Leichtathletik Flatau, Pitsch & Emrich, 2007, am Beispiel der Sportvereine im Sportbund Pfalz Anthes, 2009; allgemein vgl. Emrich, Pitsch & Papathanassiou, 2001).Footnote 2

Während im Detail unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, wie viele Sportmodelle anhand welcher Kriterien voneinander abzugrenzen sind (vgl. Willimczik, 2007, S. 19 ff.), herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass aus einem relativ einheitlichen Verständnis von Sport ein pluralisiertes geworden ist. Die Relevanz dieses pluralisierten Sports für die sozialen Ungleichheiten wurde zwar von Beginn an bemerkt: Entsportlichung und Versportung würden Zugangsschwellen senken (Rittner, 1985, S. 148), den Sport zu jedermanns Sache (Digel, 1990, S. 82) machen. Diese Zusammenhänge wurden jedoch nur selten konkreter untersucht.Footnote 3

Es liegt auf der Hand, dass die quantitativen Veränderungen in der Sportbeteiligung nicht ohne den qualitativen Bedeutungswandel denkbar sind.Footnote 4 Nur weil das Sportverständnis neue Formen einschließt, die eben auch für Frauen und Ältere attraktiv sind, dürften diese verstärkt Zugang gefunden haben. Akzeptiert man diesen Zusammenhang, wird die bloße Sportaktivität jedoch ein allzu vager Indikator, muss man die Differenzierung der unterschiedlichen Formen von Sport auch bei der Untersuchung sozialer Ungleichheiten aufnehmen. Die zentrale Frage der sportsoziologischen Ungleichheitsforschung – seit Längerem als eine nach der Realisierung der Sport-für-alle-Programmatik gestellt (vgl. Hartmann-Tews, 1996) – ist schließlich: Wer hat Zugang zu den vermeintlichen integrativen, gesundheitsfördernden, erzieherischen oder sonstigen Wirkungen des Sports und wer nicht? Diese vermeintlichen Effekte können aber nicht dem Sport per se zugeschrieben werden, weil sie in ausdifferenzierten Modellen in unterschiedlichem Maße zur Geltung kommen. „The concept of sport for all is highly at variance with the achievement concept of sport that is rooted in the traditional structures of sports systems“ (Hartmann-Tews, 2006, S. 111). Aus diesen Überlegungen heraus zielte die im Folgenden dargestellte Untersuchung weniger auf Determinanten der bloßen Sportaktivität als vielmehr vorrangig darauf, entlang durchaus traditioneller sozialstruktureller Kategorien Unterschiede in der konkreten Ausgestaltung des Sportverhaltens herauszuarbeiten.

Untersuchung und Methode

Die nachfolgenden Daten stammen aus einer breit angelegten empirischen Untersuchung über soziale Ungleichheiten in Sportverhalten und kulturellem Geschmack (Haut, 2011). Das dabei verwendete Instrument enthielt einen Fragebogenteil zu verschiedenen Aspekten des Lebensstils, kultureller Interessen etc. sowie einen detaillierten Teil zur Sportaktivität, in dem u. a. Häufigkeit, Organisationsformen, zeitlicher und finanzieller Aufwand, Motive und Einstellungen erfasst wurden. Auf eine Einbeziehung der Daten zu Geschmack und Lebensstilen wird im vorliegenden Beitrag aus theoretischen und pragmatischen Gründen verzichtet. Da sich auch in neueren Untersuchungen Lebensstile weiterhin als maßgeblich durch soziale Ungleichheiten geprägt erweisen (vgl. die Überblicksarbeiten zur empirischen Lebensstilforschung von Garhammer, 2000; Hermann, 2004), ist die Verwendung unterschiedlicher Stile als unabhängige Variable zur Erklärung des Sportverhaltens großteils redundant. Entsprechende Analysen wurden im Rahmen der genannten Untersuchung, deren Fokus auf dem Vergleich von Ungleichheitsmustern in verschiedenen Feldern des Lebensstils lag, dennoch als Ergänzung bzw. zur Ergebniskontrolle durchgeführt. Sie brachten allerdings lediglich marginale Präzisierungen (vgl. Haut, 2011, S. 195 ff.). Die Darstellung dieser Ergebnisse und der dazugehörigen Methoden würde den hier gegebenen Rahmen bei Weitem sprengen.

Die Erhebung wurde in den Jahren 2005 bis 2007 im Raum Saarland/Rheinland-Pfalz mit schriftlichen Befragungen durchgeführt. Dabei wurden die Fragebögen an ausgewählten sozialen Orten ausgegeben, von den Interviewern erläutert und wieder eingesammelt. Im Sinne der Fragestellung wurde eine Stichprobe realisiert (n = 760), die ausreichend große Fallzahlen für Vergleiche innerhalb verschiedener sozialstruktureller Kategorien (Einkommen, Bildungsgrad, Geschlecht, Alter) erlaubte. Es handelt sich also um eine willkürliche Auswahl, die keine Rückschlüsse auf die Parameter einer Grundgesamtheit zulässt (weshalb sich auch die Angabe von Rücklaufquoten erübrigt; vgl. Diekmann, 1995, S. 364). Der Fokus lag auf den Zusammenhängen zwischen Aspekten der Sportaktivität und sozialstrukturellen Merkmalen, die durchaus anhand der vorliegenden Daten untersucht werden können (ebd., S. 329).

Die im Folgenden herangezogenen Indikatoren wurden operationalisiert mit den Fragen: „Haben Sie in diesem Jahr in Ihrer Freizeit aktiv Sport getrieben?“, „Um welche Sportarten handelt es sich?“ (Sommer und Winter, jeweils bis zu drei Nennungen nach Häufigkeit), „Nehmen Sie in einer oder mehreren der genannten Sportarten regelmäßig (mindestens einmal im Jahr) an organisierten Wettkämpfen teil?“, „Aus welchem Grund betreiben Sie Sport?“Footnote 5.

Das verwendete Schichtenkonstrukt beruht insbesondere auf den Angaben zum höchsten Schulabschluss (offene Frage) und zum Haushaltseinkommen (8-stufige Skala: „unter 500 Euro“, „500 bis unter 1000 Euro“, (…), „mehr als 3500 Euro“). Um Statusinkonsistenzen zu berücksichtigen, wurde auf einen starren, additiven Index verzichtet. Die Zuordnung zu den Schichten erfolgte im ersten Schritt anhand des Bildungsgrades und wurde im zweiten Schritt anhand des Einkommens ggf. korrigiert.Footnote 6 Da sich bei Nichterwerbstätigen wie Rentnern und Arbeitslosen die Schichtzugehörigkeit nicht mehr bzw. nur indirekt im aktuellen Einkommen zeigt, wurde hier zusätzlich der zuletzt ausgeübte Beruf (offene Frage) berücksichtigt. Ebenso wurde für Studierende (und andere in Ausbildung befindliche Personen), bei denen sich die soziale Position noch nicht im Einkommen zeigt, die soziale Herkunft (Bildungsgrad und Beruf der Eltern) herangezogen. Es sollte deutlich sein, dass die so konstruierten Schichten nicht mit exakten Einkommensgrenzen bzw. Schulabschlüssen korrespondieren. Zur besseren Einordnung seien daher die Modalwerte der Schichten für Bildungsgrad und monatliches Haushaltseinkommen benannt: untere Schicht (Hauptschule; 73,2%), 1000–1999 € (49,2%); mittlere Schicht (Realschule; 35,8%), 2000–2999 € (36,8%); höhere Schicht: (Hochschule; 61,2%), ≥ 3000 € (52,4%).

Ungleichheiten beim Zugang zum Sport

Die Ergebnisse zur Sportbeteiligung (Tab. 1) sind aufgrund der Stichprobe (s. oben) nicht zu generalisieren, liegen jedoch im Einklang mit dem skizzierten Forschungsstand. Der Anteil der Sportaktiven ist mit 69,3% etwas höher als in anderen aktuellen Untersuchungen, was auf den höheren Anteil männlicher und jüngerer Personen in der Stichprobe zurückzuführen sein dürfte. Legt man als Kriterium für die Regelmäßigkeit mindestens 2 Stunden Sport pro Woche zugrunde, beträgt die Aktivitätsquote immerhin noch 55,1%. Bezüglich Alter und Geschlecht werden die Befunde anderer Untersuchungen bestätigt: Männer und Frauen sind praktisch gleichermaßen aktiv.Footnote 7 Mit steigendem Alter sinkt die Aktivität zunächst nur geringfügig und erst in höheren Altersgruppen deutlicher. Beim Zusammenhang zwischen Sportaktivität und vertikaler Ungleichheit stellt sich zunächst die Frage nach der Operationalisierung der letzteren. Anhand des Bildungsgrades und des Haushaltseinkommens ergeben sich jeweils signifikante Zusammenhänge. Problematischer als die Beurteilung der Zusammenhänge ist indes die Qualität der Indikatoren selbst. Bildungsgrad und Einkommen, häufig aufgrund ihrer vermeintlich größeren Objektivität gegenüber komplexeren Schicht- oder Lagekonstrukten bevorzugt, sind ihrerseits durchaus unsichere Indikatoren. Beide bringen die Problematik von Statusinkonsistenzen und Konfundierungseffekten mit sich.Footnote 8 Diese Inkonsistenzen können Schicht- oder Lagemodelle durch die gleichzeitige Berücksichtigung von Bildungsgrad und Einkommen sowie weiterer Faktoren teilweise beheben – zulasten der Vergleichbarkeit mit Ergebnissen aus anderen Untersuchungen aufgrund der je verschiedenen und immer etwas willkürlichen Konstruktion.

Tab. 1 Sportaktivität nach sozialstrukturellen Kategorien

Das hier verwendete Schichtenkonstrukt zeigt einen Rückstand der unteren gegenüber der mittleren und höheren Schicht (Tab. 2). Dieser Unterschied hängt zunächst wiederum mit dem höheren Alter der unteren Schicht zusammen (im Mittel etwa 47 Jahre gegenüber etwa 38 Jahren bei den mittleren und höheren). Nach Altersgruppen differenziert zeigt sich jedoch auch ein tatsächlicher vertikaler Effekt: Der Zusammenhang zwischen Schicht und Aktivität ist nur in der Gruppe ab 56 Jahren signifikant, bzw. ist der Zusammenhang von Alter und Aktivität nur in der höheren Schicht nicht signifikant, d. h. der altersbedingte Rückgang der Sportaktivität kommt gerade in unteren Schichten am deutlichsten zum Tragen bzw. der positive Zusammenhang zwischen vertikaler Position und Sportaktivität besteht in der selteneren Aufgabe des Sporttreibens im Alter. Eine Erklärung wäre, dass in niedrigeren sozialen Positionen Sport in hohem Maße mit Jugendlichkeit assoziiert ist, während in höheren Positionen eine Tendenz zum „Hinausschieben der Altersgrenze für aktiven Sport“ besteht (Bourdieu, 1999, S. 339). Diesen Trend bestätigt auch Klein in einer Untersuchung zur Sportaktivität im Lebenslauf. Demnach besteht kein Schichteffekt beim Einstieg in den Sport, die Ausstiegsquote bei zunehmendem Alter ist jedoch in höheren Schichten geringer (Klein, 2009, S. 20 f.).

Tab. 2 Schichtspezifische Sportaktivität in verschiedenen Altersgruppen

Ungleichheiten im Sportverhalten

Bezüglich der vertikalen Ungleichheiten zeigte sich in der eigenen Untersuchung eine niedrigere Aktivität in unteren Schichten, die primär auf die geringere Sportbeteiligung in höherem Alter zurückgeht. Hier stellt sich die Frage, warum der Effekt trotz der mit der Pluralisierung des Sports verbundenen zusätzlichen Sportmöglichkeiten weiterhin besteht, zumal andere Gruppen offenbar von diesen Öffnungstendenzen profitiert haben. Die anhand des Forschungsstandes angezeigte Tendenz zur gestiegenen Sportaktivität von Frauen und Älteren wurde mit den eigenen Daten bestätigt. Würde man dies primär auf einen allgemeinen Bedeutungsverlust geschlechts- und altersspezifischer Rollenmuster zurückführen, dürften sich auch in der konkreten Ausgestaltung des Sportverhaltens kaum Unterschiede zeigen. Gemäß den skizzierten theoretischen Überlegungen ist dagegen anzunehmen, dass sich die Annäherung bei der Aktivität vor allem der Erweiterung des Angebots verdankt. Demnach müssten systematische Geschlechts- und Altersunterschiede in den bevorzugten Sportformen bestehen und die Aktivitäten der zuvor unterrepräsentierten Gruppen vorrangig jenseits des traditionellen Wettkampfsportmodells liegen. Dieses zeichnet sich nach Heinemann (2007, S. 56 f.) insbesondere durch die Orientierung an Leistungszielen, durch sportartenspezifische Regelwerke und durch die Unproduktivität der Sportaktivität, d. h. die Vernachlässigung außersportlicher Nützlichkeitserwägungen, aus. Als vorläufige Indikatoren (eine Kritik erfolgt im Anschluss an die Darstellung der Ergebnisse) wurden daher herangezogen: die Teilnahme an Wettkämpfen, mit der eben ein Vergleich sportlicher Leistungen nach Regeln verbunden ist; die bevorzugten Sportarten, mit denen unterschiedliche Grade der Regulierung verknüpft sind und die auch auf spezifische Ziele hinweisen; einige Motive für die Sportaktivität, die zur Unterscheidung der Nützlichkeitserwägungen dienen.

Wettkampfbeteiligung

Etwa ein Viertel der Befragten beteiligt sich in mindestens einer der von ihnen ausgeübten Sportarten an Wettkämpfen (Tab. 3), was knapp 40% der sportlich Aktiven entspricht. Für eine Mehrheit ist das im Zentrum des traditionellen Wettkampfsports stehende Moment offenbar nicht mehr von Bedeutung. Etwa jeder dritte Mann, aber nur jede sechste Frau betreibt Wettkampfsport. Im Gegensatz zur Sportbeteiligung insgesamt (vgl. Tab. 1) zeigen sich signifikante Geschlechtsunterschiede. Ebenso entsprechen die Altersunterschiede dem traditionellen Muster: Während die Aktivität insgesamt erst bei höheren Altersgruppen abnimmt, sinkt sie bezüglich der Wettkampfaktivität bereits in jüngeren und mittleren Altersgruppen deutlich. Diese Tendenzen bestätigt auch Nagel (2003, S. 206), der für Vereine mit wettkampfsportlicher Orientierung eine jüngere und männlichere Mitgliederstruktur als in eher breitensportlich orientierten Vereinen fand. Emrich, Pitsch und Papathanassiou (2002, S. 70 f) stellten fest, dass Männer und Jüngere sich häufiger selbst als Wettkampf- denn als Freizeitsportler bezeichnen.

Tab. 3 Teilnahme an Wettkämpfen

Die vertikalen Differenzen weisen gegenüber den Geschlechts- und Altersunterschieden hingegen eine andere Tendenz auf. Zeigte sich bei der Sportaktivität insgesamt ein deutlicher Rückstand der unteren Schicht, so steigt die Wettkampfteilnahme lediglich leicht mit höherer Position (Tab. 4). Eindeutigere schichtspezifische Muster werden wiederum durch die Differenzierung nach Altersgruppen sichtbar. In den mittleren und höheren Schichten geht die Wettkampfbeteiligung bereits in der Altersgruppe ab 36 Jahren deutlich zurück, während sich die Sportaktivität in diesen Gruppen erst in höherem Alter verringert. In den unteren Schichten nimmt die Wettkampfteilnahme erst später ab, und zwar in ähnlichem Ausmaß wie die Aktivität insgesamt (vgl. Tab. 2). Bei ersteren wird also der Rückgang des Wettkampfsports durch die Aktivität in anderen Sportformen (ohne Wettkampf) kompensiert. Bei letzteren besteht hingegen offenbar eine stärkere Assoziation von Wettkampf und Sport, so dass mit dem Rückgang des Wettkampfsports häufiger auch ein Ende der Sportaktivität überhaupt verbunden ist.

Tab. 4 Teilnahme an Wettkämpfen nach Schichten und Altersgruppen

Die Wettkampfbeteiligung weist im Gegensatz zur Sportaktivität deutliche bzw. deutlichere Geschlechts- und Altersunterschiede auf. Es besteht keine Veranlassung, die Einordnung des Wettkampfsports als Domäne von Männern und Jüngeren (vgl. Schlagenhauf, 1977, S. 76 f.) zu revidieren. Zugleich wird damit bestätigt, dass sich die gestiegene Sportbeteiligung von Frauen und Älteren weitgehend der Aktivität in Formen ohne Wettkampf verdankt. Von dieser Pluralisierung der Sportlandschaft profitieren hingegen die unteren Schichten nicht in gleichem Ausmaß wie etwa Frauen und Ältere. Hier legen die Ergebnisse zur Wettkampfbeteiligung nahe, dass die Sportaktivität insbesondere der Älteren aus unteren Schichten allgemein niedriger ist, weil sie seltener in Sportformen jenseits des Wettkampfsports aktiv sind. Dies deutet darauf hin, dass das traditionelle Verständnis hier noch präsenter ist, wonach Sport mit Wettkampf, Leistung und Jugendlichkeit assoziiert wird (s. unten).

Sportarten

Die Ungleichheiten im Zugang zum traditionellen Wettkampfsport lassen sich anhand der bevorzugten Sportarten noch erhärten (Tab. 5). Unter den von Frauen am häufigsten ausgeübten Sportarten sind fast ausschließlich solche zu finden, die keine zwingende Leistungsorientierung und Regelgebundenheit aufweisen, aber zur Realisierung von Gesundheits- oder Körperformungszielen eines funktionalistischen Sportmodells geeignet sind: Schwimmen, Laufen, Radfahren, Walking, Fitness, Gymnastik, Aerobic. Sportarten, die traditionell als Wettkampf betrieben werden oder die aufgrund der Interaktion mit einem Gegner Regelgebundenheit und Wettkampfcharakter aufweisen (z. B. Kampfsport, Zielschuss- und Rückschlagspiele), rangieren deutlich dahinter. Lediglich Tennis und Volleyball haben bei Frauen weiterhin ähnliche bzw. leicht höhere Anteile als bei Männern. Diese sind nicht nur im Fußball, sondern auch in anderen traditionell vereins- und wettkampfmäßig betriebenen Disziplinen wie Basketball oder Tischtennis überrepräsentiert. Wohlgemerkt: Auch bei den Männern werden nach dem Fußball vor allem Ausdauersportarten (Radfahren, Laufen, Schwimmen) am häufigsten praktiziert, die nur bedingt dem traditionellen Wettkampfsport zuzuordnen sind.

Tab. 5 Am häufigsten ausgeübte Sportart nach Geschlecht, Altersgruppe und Schicht

Die altersspezifischen Sportartpräferenzen zeigen ein ähnliches Bild: Jüngere Altersgruppen praktizieren weitaus häufiger Sportarten mit Wettkampfcharakter, was neben dem Fußball auch für Kampfsport oder Handball gezeigt werden könnte. Wie bei den Männern ist anzumerken, dass die häufigere Aktivität der Jüngeren in solchen Sportarten jedoch nicht als Ausschließlichkeit oder Dominanz des Wettkampfsportmodells zu verstehen ist, sondern die einem funktionalistischen Modell zuzuordnenden Ausdauer-, Kraft- und Fitnessübungen insgesamt in ähnlichem Umfang ausgeübt werden. In höheren Altersgruppen sind hingegen kaum noch Sportarten mit eindeutigem Wettkampfbezug (Tennis) in nennenswertem Umfang vertreten. Der Großteil der Aktivitäten (Schwimmen, Radfahren, Wandern, Walking, Laufen, Gymnastik) ist eher dem funktionalistischen Sport zuzuordnen. Zumindest für einzelne Sportarten kann auch ein tatsächlicher Alterseffekt angenommen werden: So belegt Klein (2009, S. 16) aus einer Lebenslaufperspektive gegenläufige Tendenzen für Fußball und Schwimmen (mit dem Alter sinkend bzw. steigend).

Bezüglich der Schichtunterschiede zeichnen sich gegenläufige Tendenzen für Fußball und Wandern (mit steigender Schicht sinkend) sowie Tennis und Laufen (mit der Schicht steigend) ab. Aufgrund der angesprochenen Alterskonfundierung der Schichteffekte sind diese Zusammenhänge jedoch unsicher. Daher erscheint eine differenzierte Analyse der Schichteffekte in jeder Altersgruppe notwendig, die mit dem gegebenen Stichprobenumfang allerdings nicht sinnvoll zu realisieren war. Unter Einbeziehung der zweit- und dritthäufigsten Sportarten zeichnet sich allerdings eine Tendenz ab, die mit den bisherigen Befunden in Einklang steht: In der höchsten Altersgruppe (≥ 56 J.) sinkt lediglich das Wandern mit steigender Schicht, dagegen sind die Anteile der Lifetime-Sportarten Radfahren, Schwimmen, Laufen in den mittleren und höheren Schichten größer. Dies kann als weiterer Beleg dafür interpretiert werden, dass die Tendenz zur Sportaktivität in höherem Alter in unteren Schichten (noch) nicht so ausgeprägt ist, da Sportarten, die eine lebenslange Aktivität begünstigen, nicht in gleichem Umfang ausgeübt werden.

Motive und Einstellungen

Bei den Motiven für die Sportaktivität ist zunächst eine allgemeine Zustimmungstendenz zu erkennen. Fast alle der möglichen Gründe für die eigene Aktivität werden von den Sporttreibenden im Mittel als wichtig angegeben.Footnote 9 Entsprechend ergeben sich nur wenige signifikante Differenzen zwischen den sozialstrukturellen Gruppen. Passend zur vorrangigen Aktivität der Frauen in funktionalistischen Sportaktivitäten geben sie deutlich häufiger als die Männer gewünschte körperliche Effekte als Gründe für das Sporttreiben an („weil Sport gut für die Figur ist“: 3,65 > 3,26; F = 11,9; df = 1, 500; p < 0,01; η2 = 0,02; „weil Sport schlank macht“: 3,28 > 2,91; F = 10,22; df = 1, 495; p < 0,01; η2 = 0,02). In der häufigeren Begründung der Sportaktivität mit Geselligkeitsmotiven in den unteren Schichten („um mit anderen Leuten zusammen zu sein“: 3,51 > 3,21 > 3,06; F = 3,74; df = 2, 477; p < 0,05; η2 = 0,02; „um nette Menschen kennenzulernen“: 3,28 > 2,87 > 2,85; F = 4,85; df = 2, 478; p < 0,01; η2 = 0,02), die traditionell mit dem Wettkampf- und Vereinssport assoziiert werden (vgl. Schlagenhauf, 1977, S. 86, 94 ff.), besteht ein weiterer Hinweis auf eine traditionellere Sportauffassung dieser Gruppe. Diese lässt sich anhand der höheren Zustimmung zur Aussage „Sport ist Leistung“ (3,85 > 3,64 > 3,38; F = 7,78; df = 2, 708; p < 0,01; η2 = 0,02) noch erhärten. Insgesamt zeigen sich in den Gründen für die Sportaktivität weniger eindeutige Unterschiede als angenommen, was insbesondere der allgemein hohen Zustimmung geschuldet scheint. Die nachweisbaren Unterschiede fügen sich jedoch in die Differenzen bei den Aktivitätsmustern ein.

Problematik der Erfassung von Sportmodellen

Zwar zeigen sich zum Teil eindeutige Muster, die eine Kontinuität der traditionellen Ungleichheiten in Bezug auf die Sportaktivität bzw. ihre Form nahelegen. Die verwendeten Indikatoren lassen sich jedoch nur bedingt strikt geschiedenen Modellen zuordnen. So ist die Wettkampfteilnahme ein Hinweis auf eine Aktivität im Rahmen des traditionellen Wettkampfsportmodells. Es kann damit aber auch ein Muster verbunden sein, das eher anderen Modellen zuzurechnen wäre: z. B. könnte die vereinzelte Teilnahme an Lauf-Wettbewerben zu wohltätigen Zwecken eingeschlossen sein, obwohl die betreffenden Aktiven ansonsten ein eher dem funktionalistischen Sportmodell zuzuordnendes Laufen betreiben, informell und primär mit Gesundheitszielen. Umgekehrt könnten in bunten Ligen aktive Fußballer die Teilnahme an Wettkämpfen verneinen, obgleich ihre Aktivität der Form nach weiterhin Leistungsvergleich und Regulierung einschließt. Daher lassen sich auch klassische Wettkampfsportarten nicht immer eindeutig dem traditionellen Modell zuordnen, denn sie werden längst nicht mehr nur im Rahmen traditioneller Wettkampfstrukturen (Meisterschaften, Ligabetrieb) ausgeübt (z. B. Basketball als Streetball). Andererseits können nicht nur Schwimmen, Radfahren, Laufen, sondern prinzipiell alle funktionalistischen Sportarten als Wettkampf betrieben werden. Der jeweilige Modus der Aktivität und die damit verbundenen Ziele gehen aus der Sportart allein nicht eindeutig hervor. Zudem ist die Charakterisierung des Sportverhaltens anhand der am häufigsten praktizierten Sportart in vielen Fällen unzureichend, denn die Regel ist eine Kombination von Disziplinen.Footnote 10 Schließlich können auch die Motive irreführend sein: dass jemand, der in erster Linie um der Figur willen Sport treibt, gerade Fußball spielt, ist zwar unwahrscheinlich, kann jedoch nicht ausgeschlossen werden.

Es erscheint daher angezeigt, die isolierte Betrachtung einzelner Indikatoren durch multivariate Analysen zu ergänzen. Dies geschah im Rahmen der vorliegenden Untersuchung mithilfe verschiedener Varianten der Korrespondenzanalyse. Dabei zeigten sich durchaus die vermuteten Zusammenhänge zwischen den einzelnen Merkmalen: So sind z. B. mit funktionalistischen Sportarten wie Aerobic und Fitness entsprechende Motive (Schlankheit, Figur), mit Mannschafts- und Rückschlagsportarten häufigere Wettkampfaktivität verbunden – und diese zusammenhängenden Merkmalskomplexe weisen wiederum die diskutierten alters-, geschlechts- und schichtspezifischen Differenzierungen auf. Jedoch lässt sich auch mit diesem multivariaten Zugang nicht eindeutig auf strikt geschiedene Sportmodelle schließen bzw. sind die einzelnen Fälle nur selten genau einem solchen Modell zuzuordnen.Footnote 11 Vielmehr gibt es eine Reihe von für die Sportaktivität zentralen Merkmalen, in denen sich die in anderen Aspekten klar geschiedenen Sportverhaltensmuster überschneiden: Gesundheit und Spaß als Motive für die Sportaktivität, von beiden Geschlechtern und über alle Altersgruppen hinweg ausgeübte Sportarten (z. B. Laufen, Radfahren, Schwimmen) sowie der Sportverein als organisatorischer Kontext sind beispielsweise solche Aspekte, die von einer großen Mehrheit der Aktiven geteilt werden. Diese Gemeinsamkeiten führen in der Analyse dazu, dass die anhand anderer Merkmale zu unterscheidenden Sportverhaltensmuster gewissermaßen entspezifiziert werden. Um das zu vermeiden, könnten einerseits die betreffenden Merkmale aus der Analyse ausgeschlossen werden – was inhaltlich allerdings höchst zweifelhaft erscheint, da es sich oft gerade um die häufigsten Sportarten, die Motive mit der höchsten Zustimmung handelt. Andererseits wäre eine größere Trennschärfe zu erzielen, wenn statt einzelner Merkmale charakteristische Verknüpfungen der Analyse zugrunde gelegt werden, also z. B. die Kombination aus den zwei häufigsten Sportarten und der Wettkampfaktivität. Diese Vorgehensweise erfordert angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Kombinationsmuster allerdings größere Stichproben als die vorliegende.

Diskussion

Die vorliegenden Ergebnisse bestätigten zunächst einige aus dem Forschungsstand hervorgehende Annahmen bzgl. der Sportbeteiligung: Frauen treiben in nahezu gleichem Ausmaß Sport wie Männer. Es zeigte sich ein Alterseffekt mittlerer Stärke, da der Rückgang der Sportaktivität weiterhin besteht, jedoch erst in einem späteren Alter einsetzt. Während sich diese traditionellen Ungleichheiten verschoben haben, zeigten die Ergebnisse zur schichtspezifischen Beteiligung lediglich einen schwachen vertikalen Effekt, jedoch weiterhin eine niedrigere Aktivität in unteren Schichten. Für all diese Tendenzen bieten die Ergebnisse zu den Unterschieden in den Formen der Sportaktivität Erklärungsansätze.

Ältere und Frauen treiben zwar in ähnlichem Umfang Sport wie Jüngere und Männer, aber sie betreiben eben nicht denselben Sport. So besteht kein Geschlechtseffekt bei der Sportaktivität, wohl aber bei der Wettkampfbeteiligung. Zudem betreiben Frauen und Ältere tendenziell häufiger Sportarten, die in der Regel eher an Gesundheits- oder Schönheits- denn Leistungszielen orientiert sind. Die gestiegene Aktivität findet also vorrangig jenseits des traditionellen Wettkampfsportmodells statt, in dem diese Gruppen deutlich unterrepräsentiert bleiben. Wie erwartet haben alters- und geschlechtsspezifische Ungleichheiten nicht generell an Bedeutung verloren, nur prägen sie mittlerweile stärker die Formen des Sportverhaltens als den Zugang zum Sport überhaupt. Zwar lässt die höhere Sportbeteiligung darauf schließen, dass ein Mangel an materiellen und/oder zeitlichen Ressourcen kein Hindernis mehr für das Sporttreiben darstellt. Was sich jedoch offenbar nicht gewandelt hat, ist die Bedeutung sozialer Rollenerwartungen und habitueller Verhaltensmuster. Dass Sport auch von Frauen und bis ins hohe Alter betrieben werden kann, erscheint heute selbstverständlich. Was jedoch als altersgemäßes und der Geschlechterrolle entsprechendes Sportverhalten angesehen werden kann – dem sind offenbar weiterhin Grenzen gesetzt. Solche Grenzen bezüglich der möglichen Sportaktivitäten bestehen grundsätzlich für alle sozialen Gruppen, sie sind allerdings unterschiedlich eng. Für Männer scheint eine weiblich besetzte Sportart wie Aerobic ebenso selten in Frage zu kommen wie für die Jüngeren altmodische (z. B. Kegeln) bzw. von Älteren dominierte Sportarten (z. B. Nordic Walking).Footnote 12 Jedoch bleibt diesen von jeher sportaffineren Gruppen insgesamt kein Modell so unzugänglich wie umgekehrt Frauen und Älteren der traditionelle Wettkampfsport. Vielmehr nutzen sie diese anderen Sportformen zusätzlich.

In ähnlicher Weise, wenn auch mit anderen Erscheinungsformen, erweist sich die Ausdifferenzierung des Sports für die vertikalen sozialen Ungleichheiten als relevant. Die Ergebnisse zeigen an, dass in unteren Schichten Sport vorrangig im Sinne des traditionellen Wettkampfsports verstanden und betrieben wird. Bezüglich der Wettkampfbeteiligung zeigte sich kein Schichteffekt, zudem ist der Alterseffekt auf die Wettkampfbeteiligung in allen Schichten ähnlich stark ausgeprägt. Dagegen zeigte sich hinsichtlich der allgemeinen Sportaktivität sehr wohl ein Schichteffekt und der Alterseffekt ist innerhalb der unteren Schichten deutlich stärker. Offenbar ist also in unteren Schichten mit dem Rückgang des Wettkampfsports in höheren Altersgruppen auch häufiger das Ende der Sportaktivität überhaupt verbunden. Damit wird neuerlich die Annahme Schlagenhaufs gestützt, dass diese Personen „nach Beendigung der Wettkampflaufbahn den Weg zu einer eher freizeitsportlichen Betätigung nicht mehr finden“ (Schlagenhauf, 1977, S. 156). Dagegen wird in den darüber liegenden Schichten häufiger ein Umstieg auf altersgemäße, eher gesundheitsorientierte Praktiken eines funktionalistischen Sportmodells vollzogen, denn diese lassen sich besser aufrechterhalten.Footnote 13 Warum gerade die unteren Schichten bzw. die Älteren daraus nicht in gleichem Maße von der Pluralisierung des Sportangebots profitieren wie etwa Ältere und Frauen insgesamt, kann hier nicht geklärt werden. Mögliche Erklärungen sind sowohl schichtspezifische Lebensverläufe (z. B. längere körperliche Arbeit) als auch die Stabilität eines Habitus, mit dem Sport als Leistung, Wettkampf und somit als eine Sache der Jugend angenommen wird. Deutlich ist indes, dass auch hier die These eines generellen Bedeutungsverlusts sozialer Ungleichheiten nicht haltbar ist.

Eine partielle Öffnung in Richtung Sport für alle zeigt sich durchaus. Allerdings ist sie nicht im Sinne einer Zugänglichkeit zu allem zu verstehen: In vielen Formen, nicht zuletzt seiner traditionellen, ist der Sport einer für manche geblieben. „Sport participation patterns have become more differentiated, but only along the lines of traditional structuring mechanisms“ (Scheerder et al., 2005, S. 159). Die oft aus systemtheoretischer Perspektive betonte Feststellung einer Inklusion in das Sportsystem unabhängig von der sozialen Lage (vgl. Schimank & Schöneck, 2006, S. 22 f.) trifft teilweise zu, greift jedoch zu kurz.

Fazit

Aspekte sozialer Differenzierung und sozialer Ungleichheit durchdringen sich gegenseitig und müssen notwendigerweise in ihrer Verschränkung zur Erklärung sportlicher Aktivitäten herangezogen werden. Wenn sich die Öffnung des Sports seiner Pluralisierung verdankt, darf man sich nicht mit der Feststellung begnügen, dass nun alle irgendwie sportlich sind. Denn unterschiedliche Formen oder Modelle können eben nicht alle vermeintlichen oder tatsächlichen Leistungen des Sports (Gesundheit, Erziehung, soziale Integration etc.) zugleich erbringen. Nur wenn die Analyse sozialer Ungleichheiten von der Frage des bloßen Zugangs zu den Unterschieden innerhalb des Sports fortschreitet, bietet sie einen realistischen Blick auf Zustand und Chancen eines Sports für alle.