1 Einleitung

Im engeren Wortsinn steht der Begriff Digitalisierung für die Umwandlung von Informationen wie Bild oder Text in diskrete Zahlenwerte, die so gespeichert, übertragen, manipuliert und weiterverarbeitet werden können. Längst steht der Begriff jedoch für einen umfassenden gesellschaftlichen Strukturwandel, der von digitalen Technologien getragen wird und mehr oder minder alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erfasst. Angesichts der Tragweite und Geschwindigkeit der betreffenden Entwicklungen hat sich „Digitalisierung“Footnote 1 als Schlagwort im öffentlichen Diskurs festgesetzt und die Aufmerksamkeit der Politik auf sich gezogen. Entwicklungen etwa im Bereich der künstlichen Intelligenz, neue Möglichkeiten der Automatisierung, die Erscheinung des Cybermobbings und Gefahren durch Hackerangriffe sind nur einige Themen, die die politischen Akteure vermehrt auf Trab halten. Als Reaktion auf die Herausforderungen der Digitalisierung haben einige Staaten eigens Digitalminister eingesetzt. Zudem haben Länder der OECD-Welt auf nationaler Ebene und mitunter sogar unterhalb der nationalen Ebene (z. B. in Deutschland) digitale Strategien verabschiedet.

Tiefgreifende Transformationsprozesse in der Folge der Entwicklung und Verbreitung digitaler Technologien bahnten sich zwar bereits in den 1990er Jahren an (Brynjolfsson und McAfee 2011). Bis Veränderungen auf deren Basis gesamtgesellschaftlich relevant wurden und als Gegenstand und Thema auf die politische Agenda drängten, sollten jedoch noch einige Jahre vergehen. Dies geschah dann umso schlagartiger. In der Bundesrepublik Deutschland fanden an die Digitalisierung geknüpfte Themen erst zum Ende des ersten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert Eingang in den Parteienwettbewerb. Daran hatte, wie Oskar Niedermayer (2013) nachgezeichnet hat, die Aufmerksamkeit für die Piratenpartei in dieser Zeit maßgeblichen Anteil – eine Partei, die ihren Fokus auf vormals randständige Themen setzte, welche das Internet und den Informationsaustausch im Netz betreffen. Die Sichtbarkeit und der Achtungserfolg dieser Partei bei der Europawahl im Jahr 2009 und spätere Eintritte in mehrere Landtage führten im Vorfeld der Bundestagswahl im Jahr 2009 und in der Zeit danach zu Reaktionen der etablierten Parteien, sich nun ebenfalls solchen Themen zuzuwenden.

Die Piratenpartei ist acht Jahre später längst passé. Nach ihrem Scheitern an der Fünfprozenthürde zur Bundestagswahl 2013 hat sie sich allmählich wieder aus der Parteienlandschaft verabschiedet. Die Digitalisierung ist jedoch keineswegs mit ihr von der Bildfläche verschwunden, sondern – ganz im Gegenteil – zu einem bestimmenden Thema im frühen 21. Jahrhundert geworden. Der gestiegene Stellenwert kristallisiert sich insbesondere in dem ökonomisch konnotierten Begriff der digitalen Transformation. Dieser steht primär für tiefgreifende Veränderungen in der Art und Weise des Wirtschaftens, für die Umwandlung von Wertschöpfungsketten sowie für die radikale Umgestaltung von Produktions‑, Innovations- und Wettbewerbsprozessen (Hanna 2016; OECD 2017), die nicht selten zu disruptiven Prozessen in etablierten Märkten führen.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen und der gestiegenen gesellschaftlichen Relevanz des Themas Digitalisierung gibt die Bundestagswahl 2017 ein geeignetes Datum für eine Bestandsaufnahme ab. Der vorliegende Beitrag untersucht daher im Folgenden, wie die Parteien auf Bundesebene das Thema Digitalisierung in ihrer Programmatik aufgenommen haben. Dabei geht es um die Fragen, (1) inwieweit sich hierbei unterschiedliche Positionen ausmachen lassen sowie (2) ob Veränderungen über die Zeit zu beobachten sind. Um Antworten auf diese Fragen zu liefern, führt diese Abhandlung eine Positionierungsanalyse für die deutschen Parteien zu den Bundestagswahlen der Jahre 2009, 2013 und 2017 durch. Der Beitrag zur bestehenden Literatur besteht in der Entwicklung eines räumlichen Positionsmodells für den Bereich der Digitalpolitik als solche Politik, die sich auf digitale Technologien und deren gesellschaftliche Folgen richtet. Die Untersuchung kartiert damit den programmatischen Raum eines für die Politik mittlerweile sehr bedeutsam gewordenen Themas, welches jedoch bei der Auswertung von Wahlprogrammen noch kaum behandelt worden ist.

Hierzu wird mittels eines für den Untersuchungsgegenstand entwickelten Analyseschemas eine Datengrundlage gewonnen, die ein umfassendes Bild entsprechender Positionen zu zeichnen erlaubt. Die Grundlage für Parteipositionsmessung bilden die Wahlprogramme der Parteien, die inhaltsanalytisch aufbereitet werden. Eine daran anschließende multidimensionale Skalierung stellt die Positionierung der Parteien zueinander sowie ihre Affinitäten zu bestimmten Aspekten des digitalen Wandels in einem gemeinsamen Raum dar. Eingebettet ist diese Analyse in die Systematisierung politisch bedeutsamer Entwicklungen in der Digitalisierung sowie in Annahmen aus der Literatur zu Veränderungen von Parteiensystemen und Parteienwettbewerb.

Die nachfolgenden beiden Abschnitte gehen zu diesem Zweck zunächst auf den Begriff der digitalen Transformation und die damit verbundenen zentralen Entwicklungen beziehungsweise auf deren Einordnung in bekannte parteipolitische Gegensätze ein. Der daran anschließende vierte Abschnitt behandelt die verwendete Datenbasis und die verwendete Methodik. Nach der Darstellung der empirischen Befunde in Abschnitt fünf schließt der Aufsatz mit einer Diskussion und einem Fazit.

2 Konzeptualisierung digitalpolitischer Positionen

Der Themenkomplex der Digitalisierung ist, von sporadischen Aufmerksamkeitswellen wie durch Datenlecks oder durch die Snowden-Affäre im Jahr 2013 abgesehen, bislang nicht politisiert gewesen. Wenngleich im Bundestagswahlkampf des Jahres 2017 zu beobachten war, dass die FDP offensiv das Thema digitaler Wandel bewarb, blieb es in der öffentlichen Debatte ein Randthema. Weder in den TV-Duellen vor der Wahl noch in der deutschen Online-Wahlempfehlungshilfe Wahl-O-Mat – der hierzu keine Frage enthielt – war es als bedeutsames Thema auszumachen. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass Digitalisierung einen eher technischen und damit dem Expertenhandeln vorbehaltenen Gegenstand der Politik ausmacht. Zudem mag das Thema auf den ersten Blick auch wenig kontrovers anmuten, insofern es stark einem Valenz-Issue (Stokes 1963) zu entsprechen scheint, also einer Sachfrage, bei dem ein Konsens über die Ziele herrscht. Wer würde schließlich für langsamere Breitbandverbindungen werben; und wer würde sich gegen Cybersecurity aussprechen?

Dieser Sichtweise lässt sich entgegenhalten, dass die Digitalisierung durchaus Potenzial für politische Interessengegensätze und unterschiedliche Positionen parteipolitischer Akteure birgt. So treten Zielkonflikte auf, weil und solange unterschiedliche Interessen und Überzeugungen hinsichtlich des digitalen Wandels einander zuwiderlaufen. Derartige mögliche Gegensätzlichkeiten ergeben sich daraus, dass einerseits gewichtige wirtschaftliche Motive bestehen, digitale Technologien für die Erzeugung gesellschaftlichen Wohlstands zu nutzen, andererseits durch den schnellen und tiefgreifenden digitalen Wandel zugleich bestehende Institutionen herausgefordert und Unsicherheiten erzeugt werden. So stellen etwa technologische Möglichkeiten und neue Geschäftsmodelle, die darauf fußen, aus Daten neue, unvorhergesehene Einsichten zu gewinnen, die Angemessenheit von Grundsätzen des Datenschutzes wie der Zweckbindung erhobener Daten sowie der Datensparsamkeit infrage (siehe etwa Ladeur 2016); und ein bevorstehender Automatisierungssprung durch neue Anwendungen künstlicher Intelligenz hat noch kaum absehbare Folgen für Arbeitsmarkt und soziale Sicherung.

Vor diesem Hintergrund entsteht ein Raum für politisch-gestalterisches Handeln, um mit jenen Herausforderungen und entstehenden Unsicherheiten umzugehen – ein Raum, in dem unterschiedliche Positionen dazu vorgebracht werden können, wie veränderte Rahmenbedingungen auszugestalten sind. Zudem zeichnet sich, wie nachfolgend argumentiert wird, ein Spannungsfeld in der Digitalisierung ab, welches sich aus der engeren wirtschaftlichen Bedeutung der Digitalisierung einerseits und deren weiterreichenden gesellschaftlichen Konsequenzen andererseits speist.

Der erhebliche wirtschaftliche Stellenwert der Digitalisierung rührt daher, dass die damit verbundene Entwicklung eine Vielzahl bestehender Gesellschaftsbereiche wie Bildung, Verwaltung (E-Government), Gesundheit (E-Health) und (Cyber‑)Sicherheit durchdringt (Breznitz et al. 2011; OECD 2011; Colecchia et al. 2014). Angesichts dieser Tragweite wird der digitale Wandel mitunter auch mit einer Art neuen industriellen Revolution gleichgesetzt (z. B. Rifkin 2013; OECD 2017). Die Vorstellung eines massiven Umbruchs ergibt sich aus dem Potenzial digitaler Technologien, eine sprunghafte Steigerung der Effektivität und Effizienz von Koordinationsaufgaben in wirtschaftlichen Wertschöpfungsketten zu realisieren (Brynjolfsson und McAfee 2011; Bilbao-Osorio et al. 2014; Colecchia et al. 2014; Helbing 2015). Damit ergeben sich zudem neue Arten des Wirtschaftens bei veränderten Geschäftsmodellen und Dynamiken in Markt und beim Wettbewerb (Carlsson 2004; Knieps und Vogelsang 2007; Oxford Economics 2011; Peitz und Waldfogel 2012; Lambin 2014; Tapscott 2015).

Eine zentrale Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang Prozessen der Wertschöpfung zu, die auf Daten als Rohstoff beruhen. Die Grundlage hierfür bildet das gewaltige Anwachsen von Datenmengen durch die verbreitete Nutzung vernetzter Geräte sowie den Fortschritten bei der Sensortechnologie und beim Mobile Computing (Kitchin 2014; Chandler 2015, S. 836; Loebbecke und Picot 2015; Baruh und Popescu 2017, S. 581). Wirtschaftlich wertvoll werden diese detailreichen Daten insofern, als sie nicht nur die Beschreibung, Modellierung und in beschränktem aber dennoch wertvollem Maß die Prognose von Entscheidungen und Verhalten erlauben (Helbing 2015, S. 75; Srnicek 2017, S. 25–26), sondern auch unaufdringlich und kostengünstig erhoben, gespeichert und verarbeitet werden können.

Der veränderte Wert von Daten hat dazu geführt, dass etwa die OECD Ansätze zu deren Wertmessung und Ökonomisierung gesammelt und bewertet hat (OECD 2013). Auch wird die Rolle von Daten als wichtiger Wirtschaftsfaktor von Regierungen offen anerkannt. Die Europäische Kommission (2017a) spricht gar von einer „Data Economy“, die sie als zentralen Faktor für die Zukunft der europäischen Wirtschaft und des europäischen Wohlstands ansieht. Das Europäische Parlament schätzt die Wertschöpfung allein im Bereich von Data Analytics auf insgesamt zusätzliche 1,9 % des Bruttoinlandsprodukt der EU im Zeitraum zwischen 2014 und 2020 (Davies 2016); und laut dem neueren European Data Market Report (European Commission 2017b) beläuft sich das Volumen der Data Economy (EU28, Stand 2016) auf 300 Mrd. €, wobei von einem Wachstum von über vier Prozent jährlich ausgegangen wird. Insofern verwundert es nicht, dass die EU ein großes Interesse daran zeigt, diese Wertschöpfung zu erschließen (siehe hierzu insbesondere Cavanillas 2015).

Daten bilden demnach einen wertvollen Rohstoff, der von der digitalen Transformation nicht abzulösen ist, sondern vielmehr einen Kernbestandteil bildet. Dies gilt auch deshalb, weil Daten als Rohstoff nicht nur für solche Unternehmen relevant werden, die im Digitalsektor zu verorten sind oder ihr Geschäftsmodell auf Wertschöpfung aus Daten ausgerichtet haben. Vielmehr legt eine wirtschaftswissenschaftliche Literatur zu datenbasierten Geschäftsmodellen nahe, dass Daten auch über diesen Bereich hinaus für wirtschaftliche Tätigkeiten bedeutsam werden (Liebowitz 2013; Hartmann et al. 2014; Lambin 2014; Brownlow et al. 2015; Akter und Wamba 2016; Curry 2016; Srnicek 2017).

Begründet der beschriebene wirtschaftliche Wandel die eine Seite des oben genannten Spannungsverhältnisses, so machen die tiefgreifenden Folgen dieses Wandels die andere Seite aus. Der Strukturwandel in der Wirtschaft führt nicht nur zu Unsicherheit in der Wirtschaft, weil existierende Handlungsstrategien infrage gestellt werden. Mit diesem Wandel sind zudem weiterreichende gesellschaftliche Konsequenzen verbunden, die Spannung erzeugen können. So beinhaltet das Vorantreiben der Digitalen Transformation eine massive Veränderung der gesellschaftlichen Informationsinfrastruktur. Diese involviert eine massenhafte Erhebung von Daten über individuelles Verhalten (Helbing 2015) sowie eine zunehmende Durchdringung verschiedenster Lebensbereiche seitens Algorithmen, die etwa Informationsströme steuern oder automatisierte Entscheidungen (etwa im Versicherungswesen oder bei der Polizeiarbeit) treffen (Napoli 2014; Hildebrandt 2016; Just und Latzer 2017). Eine breite Literatur hat sich infolgedessen damit beschäftigt, wie jene Veränderungen insbesondere Fragen zur Privatsphäre, zu Datenschutz und individueller Autonomie aufwerfen (Lyon 2003; Andrejevic 2007; Solove 73,74,a, b, 2013; Scherf 2008; Cohen 2012, 2015; Vries 2013).

Diese Literatur argumentiert, dass Praktiken der Sammlung, Verarbeitung und Nutzung persönlicher Daten auf eine Form von instrumentellem Wissen abzielen, welches der Vorhersage und Vorwegnahme von Verhalten dient und damit Individuen zu objektivieren oder zu paternalisieren neigt (Rouvroy 2013; Vries 2013).Footnote 2 Außerdem führt einigen Autorinnen und Autoren zufolge die Anhäufung von Daten, Technologie und Know-How bei einigen wirtschaftlichen Akteuren zu einer massiven Asymmetrie von Informationsmacht zuungunsten der Individuen (Cohen 2012; Rubinstein 2013; Tene und Polonetsky 2013; Mittelstadt und Floridi 2016, S. 323–324). Schließlich gilt es als fraglich, inwieweit Transparenz und Kontrollmöglichkeiten über die Sammlung und Verarbeitung persönlicher Daten durch die Nutzerinnen und Nutzer jene Asymmetrien ausgleichen können. Die im internationalen Vergleich als streng erachtete und am Mai 2018 geltende Datenschutzgrundverordnung der EU räumt den Bürgerinnen und Bürgern einerseits eine Reihe von Mitteln ein, um Kontrolle über eigene Daten auszuüben, verlangt damit jedoch andererseits, dass diese selbst aktiv werden und eigenverantwortlich handeln (Rubinstein 2013; Crabtree et al. 2016). Selbst bei hergestelltem Einblick in die Sammlungs- und Verarbeitungsprozesse dürfte für die Allerwenigsten verständlich sein, wie aus den Daten bestimmte Entscheidungen synthetisiert werden (Koops 2013, S. 205; Ananny und Crawford 2016; Crabtree et al. 2016, S. 947) – schon deshalb, weil die dahinterstehenden Verfahren sehr komplex sind und sich die eingesetzten Algorithmen überdies kontinuierlich weiter entwickeln (Rubinstein 2013, S. 5–7; Baruh und Popescu 2017, S. 591). Insgesamt stellt sich damit die Frage, wie bestehende Ansprüche der informationellen Selbstbestimmung mit der Ausschöpfung des wirtschaftlichen Potenzials persönlicher Daten unter einen Hut zu bringen sind.

3 Einordnung digitalpolitischer Anreizlagen in das deutsche Parteiensystem

Zusammengenommen bestehen nach den Ausführungen im vorangehenden Abschnitt zum einen klare Anreize, mit der digitalen Transformation wirtschaftlichen Wohlstand zu steigern und internationale Wettbewerbsfähigkeit zu fördern, zum anderen geraten die damit verbundenen oben beschriebenen Entwicklungen jedoch unweigerlich in eine Spannung zu bestehenden gesellschaftlichen Normen und Werten.Footnote 3 Die beschriebene Spannung wird dadurch befördert, dass es einen wachsenden Druck zur Förderung neuer, datenbasierter Innovationen und Geschäftsmodelle durch internationalen Wettbewerb gibt. Dies verdeutlicht beispielsweise die Warnung des CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Jarzombek mit Blick auf die Entwicklung von künstlicher Intelligenz und dem internationalen Wettbewerb durch die USA und China, „dass in Deutschland aus ethischen Bedenken nicht abermals eine Zukunftstechnologie verhindert werden dürfe“ (FAZ 2017). Damit wird – auch wenn digitale Themen weiterhin nicht oder wenig politisiert sind – die Frage nach der politischen Ausgestaltung der digitalen Transformation zu einer Entscheidung über die Priorisierung von Zielen. Daraus wiederum ergeben sich unterschiedliche denkbare Positionen für parteipolitische Akteure.

Digitale Technologien und ihre sozialen Folgen sind zwar vergleichsweise neu als ein größerer Themenkomplex und Gegenstand politischen Handelns. Zentrale Annahmen aus dem Bereich der Parteienforschung lassen jedoch erwarten, dass sich Parteien im Hinblick auf jene Thematik nicht völlig neu erfinden müssen. Vielmehr haben Parteien spezifische Policy-Motive, die sich aus ihrer programmatischen Grundorientierung speisen und sie haben ein Interesse daran, ideologische und programmatische Konsistenz zu wahren. Dieses Interesse gründet zum einen auf der Orientierungsfunktion von Ideologie – für Parteien wie für Wählerinnen und Wähler – sowie auf der Bedeutung programmatischer Konsistenz für die Glaubwürdigkeit einer Partei (Downs 1957; Budge 1994; Tavits 2007).

Angesichts der vorangehenden Überlegungen ist davon auszugehen, dass Parteien neue Themen wie die Digitalisierung in ihre bisherige ideologische und programmatische Ausrichtung integrieren. Dies dürfte dann davon abhängen, wie sich die oben beschriebene Spannung an bestehende zentrale politische Konfliktdimensionen anschließen lässt und welche Ausrichtung Parteien entlang solcher Konfliktachsen zeigen. Wie also lässt sich die Digitalisierung als Gegenstand politischen Handelns vor dem Hintergrund der vorangehenden Überlegungen in den deutschen Politikraum einordnen?

Grundsätzlich lässt sich der allgemeine parteipolitische Raum der Bundesrepublik (Niedermayer 2009), wie auch in einer Reihe anderer Länder (Laver 2001), anhand (1) einer sozioökonomischen Dimension – durch den Gegensatz einer wirtschaftsliberalen Haltung zu Umverteilung und soziale Sicherung bezeichnet – und (2) einer gesellschaftspolitischen Dimension – üblicherweise als Gegensatz von liberalen versus autoritären gesellschaftlich-kulturellen Orientierung bezeichnet – charakterisieren. Die digitale Transformation kann gleichermaßen auf beide Dimensionen bezogen werden. Auf die gesellschaftspolitische Achse kann der Gegensatz von Sicherheit und Überwachung versus Schutz der Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung projiziert werden. Zugleich zeichnet sich aber auch ein wirtschaftlich aufgeladener Gegensatz im digitalen Wandel ab, konkret zwischen der Befürwortung von Wettbewerb und Produktivität in und durch die Digitalwirtschaft und einer uneingeschränkten Kommodifizierung digitaler Erzeugnisse einerseits und der Befürwortung von möglichst offenen Inhalten und Lizenzen sowie eines möglichst egalitären Zugangs zur digitalen Infrastruktur andererseits.

Unter der Annahme des oben beschriebenen Spannungsverhältnisses lassen sich jene beiden politischen Konfliktachsen in der Digitalpolitik nicht losgelöst voneinander denken. Solange der digitalen Transformation und insbesondere der datenbasierten Wertschöpfung die Verwirklichung informationeller Selbstbestimmung und persönlicher Autonomie zuwiderlaufen, lassen sich wirtschaftliche und soziokulturelle Gesichtspunkte schwerlich entkoppeln. Dies hat potenziell wichtige Konsequenzen für die Art und Weise, wie Parteien sich digitalpolitisch positionieren. Wenn sich darin eine gesellschaftspolitische und eine wirtschaftspolitische Dimension nicht klar voneinander trennen lassen, kann dies bestimmte Parteien vor ein Dilemma stellen. So kann die Betonung der Chancen digitaler Geschäftsmodelle und wirtschaftlicher Freiräume (wirtschaftlicher Aspekt) für diese in ein Spannungsverhältnis zur Betonung von persönlichen Freiräumen, Privatheit und Selbstbestimmung treten (gesellschaftspolitischer Aspekt). Es dürfte daher schwierig für Parteien werden, beides zugleich zu betonen – und insbesondere liberale Parteien wie die FDP vor Herausforderungen stellen, insoweit sie allgemein eine marktliberale mit einer gesellschaftspolitisch vergleichsweise liberalen Haltung verbinden.

Über die allgemeine programmatische Ausrichtung der Parteien hinaus mögen Anreize für die Positionierung in der Digitalpolitik aber auch durch zeitliche Entwicklungen entstehen, die alle Parteien mehr oder minder gleichförmig berühren. So existiert in der Parteiensystemforschung die Auffassung, dass Änderungen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen einen Anpassungsdruck auf Parteien ausüben, der sich teils graduell, teils eher schlagartig in deren Programmatik niederschlägt (Harmel und Janda 1994, S. 260–261; siehe auch Ladrech 2002, S. 396). Ähnlich geht das Advocacy Coalition Framework davon aus, dass bei Policy-Akteuren als Reaktion auf äußerliche Veränderungen ein Lernprozess und Wandel von zentralen Ideen und Überzeugungen auftreten kann (Sabatier 1988, S. 144–151). Demnach ist denkbar, dass mit der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung der Digitalisierung, speziell für Wachstum und internationale Wettbewerbsfähigkeit, auch der funktionale Druck auf Parteien steigt, diesem Aspekt mehr Bedeutung einzuräumen und sich hierzu stärker befürwortend zu positionieren. In diesem Fall dürften digitalpolitische Prioritäten der Parteien einem zeitlichen Wandel unterliegen.

Vor dem Hintergrund eines solchen möglichen Anpassungsdrucks sowie der Bedeutung der allgemeinen ideologisch-programmatischen Ausrichtungen von Parteien stellen sich zwei Fragen für die nachfolgende Untersuchung hinsichtlich der digitalpolitischen Positionen von Parteien, d. h. ihrer geäußerten Prioritäten hinsichtlich digitaler Technologien und deren sozialer Folgen. Erstens: Welche Prioritäten setzen Parteien in der Digitalpolitik und inwieweit zeichnet sich darin das oben beschriebene Spannungsverhältnis ab? Zweitens: Wie haben sich die Positionierungen der Parteien über die Zeit verändert? Der nachfolgende Abschnitt beschreibt, wie diesen Fragen in der empirischen Analyse nachgegangen werden soll.

4 Daten und Methode

Für die differenzierte Betrachtung digitalpolitischer Positionen von Parteien liefern etablierte Quellen für die Positionsmessung wie das Comparative Manifesto Project (Volkens et al. 2017) oder Expertenumfragen wie die Chapel Hill Studie (Polk et al. 2017) keine geeigneten Informationen. Daher wurde ein Analyseschema eigens für die Untersuchung digitalpolitischer Positionen formuliert, das allerdings an das Vorgehen beim Comparative Manifesto Project angelehnt ist.Footnote 4 Die Grundlage für die Analyse bilden die Wahlprogramme für die drei zurückliegenden Bundestagswahlen. Das Heranziehen der Bundestagswahl im Jahr 2009 als Beginn des Untersuchungszeitraums richtet sich danach, dass erst nach dem Jahr 2009, als Reaktion auf Erfolge der Piratenpartei, die Thematik digitaler Wandel in der Parteipolitik an Fahrt aufnahm (Niedermayer 2013). Auch haben die Regierungen von Industrieländern erst zu Beginn der 2010er Jahre digitale Agenden aufgelegt, um den Herausforderungen im Zuge einer digitalen Transformation zu begegnen. Zum Jahr 2017, dem letzten Zeitpunkt in der Untersuchung, hat eine Vielzahl neuer Entwicklungen stattgefunden und es sind Begriffe wie Digitale Transformation und Digitalisierung verstärkt in die breite Öffentlichkeit eingesickert.

In die Analyse gehen nur diejenigen Parteien ein, die zumindest nach einer der betrachteten Wahlen auch im Bundestag vertreten waren, also die (1) CDU/CSU (zusammengenommen als Union), (2) SPD, (3) FDP, (4) B90/Die Grünen, (5) Die Linke und die (6) AfD. Für das Jahr 2013 wurde auf einen Einbezug der AfD verzichtet, weil deren Wahlprogramm zu wenige relevante Aussagen enthielt, um eine gehaltvolle Skalierung der Daten durchzuführen. Weiterhin verwendet die Auswertung nur Teile der Wahlprogramme, denn nicht alle Abschnitte sind relevant für die Bestimmung parteipolitischer Positionen hinsichtlich der Digitalisierungsthematik. Da sich jedoch andererseits das Thema Digitalisierung durch viele traditionelle Politikbereiche hindurchzieht, wurde ein gezieltes Vorgehen gewählt, um relevante Passagen zu identifizieren. Mittels einer Reihe von Suchtermen, die nach einer ersten Lektüre der Programme verfeinert wurden, sind relevante Absätze bestimmt worden.Footnote 5 Zudem wurden jeweils vorangehende und nachfolgende Absätze mit Blick auf womöglich ebenfalls relevante Aussagen sondiert.

Nach Zerlegung der so identifizierten Abschnitte in einzelne Sätze dienen diese als die Kodiereinheit für eine weitere inhaltsanalytische Aufbereitung. Kodiert werden alle Sätze, die sich auf digitale Technologien oder darauf basierende Veränderungen beziehen und dabei ein Handlungsfeld der Partei und entsprechend eine Betonung erkennen lassen. Die Kategorien für die Bearbeitung des Textmaterials wurden aus dem Material selbst gewonnen, also induktiv generiert. Das finale Kategorienschema umfasst insgesamt 16 Kategorien, von denen mehrere jedoch einen residualen Charakter aufweisen. Im Weiteren betrachtet werden nur diejenigen Kategorien, die mindestens vier ProzentFootnote 6 der Kodierungen ausmachen. Ausgeschlossen werden dadurch fünf Kategorien (Mobilität/Transport, Entwicklungshilfe, Partizipation, Kompetenzverteilung in der Digitalisierungspolitik, sowie Medien, Journalismus und Kultur), während die folgenden elf Kategorien verbleiben: (1) Digitale Infrastruktur (Breitband- und Mobilnetze), (2) Konsumentenschutz und -rechte, (3) Urheberrecht, (4) Cybersicherheit, (5) Digitale Medienkompetenz, Ausbildung und Lernen, (6) E-Government, (7) Innovationen und Wachstum in der Wirtschaft, (8) Netzneutralität, offener und inklusiver Zugang, (9) Open Data/Open Source, (10) Privatsphäre und Datenschutz, (11) Arbeitsbedingungen. Die Interkoderreliabiliät wurde für das Kategorienschema anhand einer Zufallsauswahl von zehn Prozent des Materials geprüft. Gemessen an dem zufallskorrigierten Maß Krippendorffs Alpha beträgt die Übereinstimmung zwischen Erst- und Zweitkodierer 0,86 und spricht damit für eine hohe Reliabilität.

Insgesamt wurden im Zuge der Inhaltsanalyse 1738 Sätze mit relevanten Aussagen kodiert. Leitend sind bei der Kodierung des Materials, insbesondere mit Blick auf die spätere Auswertung, die Annahmen der Salienztheorie (Budge und Farlie 1983). Diese geht davon aus, dass Parteien häufig nicht explizit Positionen zu einem Thema beziehen, sondern die Betonung eines Themas bereits die Position einer Partei anzeigt. Demnach lassen sich allein aus der relativen Betonung von Sachfragen Positionierungen herauslesen, insofern Trade-offs in dem Ausmaß der Betonung dieser Sachfragen auftreten. So mag eine Partei bestimmte Kategorien betonen (z. B. Steuern), während sie andere Kategorien nicht oder kaum betont (z. B. Sozialpolitik) – bei einer anderen Partei liegt womöglich das entgegengesetzte Muster vor. Anhand von Informationen über solche Gegensätze und Gemeinsamkeiten in der Betonung von Sachfragen können Strukturen im Hinblick auf die Relationen der Parteien zueinander extrahiert werden. Um diese Informationen für eine geeignete Auswertung heranziehen zu können, bedarf es zuvor jedoch einer Normierung der kodierten Sätze. So sind die absoluten Zahlen an und für sich noch nicht aussagekräftig, weil bereits die Länge eines Wahlprogramms die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass relevante Aussagen darin vorkommen. Insofern können die Parteien nicht einfach anhand der absoluten Kodierungszahlen verglichen werden. Um nutzbare Werte zu erhalten, die Verzerrungen durch die Länge der Programme berücksichtigen, sind diese an dieser Länge, konkret in Form der Anzahl der Wörter (Haupttext), relativiert worden.Footnote 7

Die so gewonnenen Werte bilden die Datengrundlage für eine multidimensionale Skalierung (MDS), die über die oben erwähnten thematischen Kategorien und die Parteien – als die zu positionierenden Objekte – durchgeführt wird. Die MDS zieht Informationen auf der Basis der Unterschiedlichkeit der Objekte, d. h. der Parteien heran, um die Objekte in einem niedrig-dimensionalen Raum zu verorten und so ihre relativen Affinitäten zueinander abzubilden (Borg und Groenen 2005). In den zugrundeliegenden Daten sind jene Informationen in der relativen Betonung der thematischen Kategorien durch die Parteien enthalten. Je mehr zwei Parteien in ihrer Betonung der diversen Themen übereinstimmen, desto ähnlicher gelten sie demnach.

Die gesamte Struktur der Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen allen Objekten übersetzt sich bei der MDS in Distanzen, die die Objekte in der zu generierenden räumlichen Anordnung zueinander aufweisen. Dabei soll eine möglichst gute Übereinstimmung zwischen den Ursprungsunähnlichkeiten einerseits und den Distanzen der Objekte in der räumlichen Darstellung andererseits erreicht werden. Dies geschieht bei der verwendeten nicht-metrischen MDS iterativ, ausgehend von einer StartkonfigurationFootnote 8, bei der die Objekte in einem Raum mit vorgegebener Dimensionszahl verortet werden (Borg et al. 2013). Bei einer gegebenen Anzahl von Dimensionen, auf denen Objekte positioniert werden, lassen sich die Ähnlichkeitsrelationen aller Objekte untereinander (d. h. alle möglichen Paarvergleiche) in der Regel nicht konsistent durch Distanzen abbilden. Hierfür müsste die Rangfolge aller paarweisen Ähnlichkeiten der Objekte genau der Rangfolge der korrespondierenden paarweisen Distanzen entsprechen. Je weniger Dimensionen vorgegeben werden, desto mehr müssen die Informationen verdichtet werden und desto eher treten Inkonsistenzen auf. Wie stark die Gesamtheit der generierten Distanzen für eine Konfiguration von dem Muster der Ursprungsähnlichkeiten abweicht, schlägt sich im sogenannten Stress-Wert nieder. Dieser gibt das Ausmaß des Informationsverlusts an und fungiert als Zielgröße bei der iterativen Veränderung der Konfiguration durch Verschiebung der Objekte zueinander. Dieser Prozess hört erst auf, wenn keine bedeutende Verbesserung der Lösung, d. h. Verringerung des Stress-Werts, mehr erreicht wird.

Für den Umstand, dass über die Positionierung der Parteien zu Digitalisierungsthemen sehr wenig bekannt ist, ist die MDS ideal geeignet. Sie erfordert keine Vorkenntnisse über die Dimensionalität des darzustellenden Parteienraums, sondern erzeugt die Dimensionen aus den Informationen in der Datenbasis selbst. Allerdings bedeutet dies auch, dass diese Dimensionen nicht per se eine inhaltliche Bedeutung haben. Was die Werte (Koordinaten) auf diesen Dimensionen ausdrücken, kann erst auf Grundlage der Ergebnisse interpretiert werden.

Um diesen Schritt der inhaltlichen Bestimmung der extrahierten Dimensionen systematisch vorzunehmen, greift die Analyse auf das sogenannte Property Fitting zurück. Hierbei wird ermittelt, inwieweit die Werte, die die Objekte auf den Ursprungsvariablen (den Kategorien) annehmen, mit ihren Werten auf den Dimensionen zusammenhängen.Footnote 9 Auf diesem Weg kann für jede Kategorie geprüft werden, inwieweit sie durch die extrahierten Dimensionen abgebildet wird.

5 Auswertung

5.1 Beschreibung der aggregierten Zahlen und des programmatischen Raums

Bevor sich die Analyse der Positionierung der Parteien im Hinblick auf Themen der digitalen Transformation zuwendet, richtet sich der Blick zuerst auf das Ausmaß, in dem die Parteien zu den drei betrachteten Wahlzeitpunkten insgesamt Themen des digitalen Wandels aufgegriffen haben. Abb. 1 enthält die entsprechend aggregierten Werte auf Basis der an der Länge der Wahlprogramme normierten Kodierungszahlen. Darin zeigt sich eine starke Zunahme seit dem Jahr 2009. Nur bei den Grünen ist der Anteil eher konstant geblieben, wobei die Partei allerdings bereits 2009 in einem vergleichsweise hohen Maß die Digitalisierungsthematik aufgriff.

Abb. 1
figure 1

Normierte Gesamtkodierungszahlen für die Wahlprogramme (2009, 2013, 2017) (Anmerkungen: Die Einheit ist die Anzahl kodierter Sätze pro tausend Wörter eines Parteiprogramms.)

Bei drei Parteien ist vor allem der Sprung vom Jahr 2013 zum Jahr 2017 beachtlich: Die Union, die SPD und die FDP verleihen 2017 relativ betrachtet der Digitalisierungsthematik mindestens doppelt so viel Geltung wie noch 2013 und mindestens dreimal so viel wie im Jahr 2009. Beachtlich sind diese Zahlen auch deshalb, weil die FDP das Thema Digitalisierung zur Bundestagswahl 2017 offensiv zum eigenen Anliegen erklärt und dies stark beworben hat. Die in Abb. 1 dargestellten Zahlen legen jedoch nahe, dass die Union und die SPD im Jahr 2017 einen ähnlich starken Akzent gesetzt haben.

Welche Aspekte und Fragen des digitalen Wandels von den Parteien aufgegriffen und adressiert worden sind, lässt sich anhand der Positionierungsanalyse betrachten. Hierfür ist allerdings dem Umstand des insgesamt starken Zuwachses von Kodierungen über die Zeit Rechnung zu tragen. Dafür wird für jede Partei die Summe der normierten Werte für das Jahr 2017 als Referenz behandelt und die Werte für die Jahre 2009 und 2013 auf dieses Niveau angeglichen. Ohne diesen Schritt würde die Skalierung der Daten vor allem die Varianz auffangen und abbilden, die durch die bloße Zunahme der Gesamtbetonung über alle Kategorien zustande kommt. Dieser Trend ist für die Positionierungsanalyse jedoch nachrangig, denn im Vordergrund stehen die Analyse und Visualisierung der Profilunterschiede zwischen den Parteien. Demnach lassen sich die in der Auswertung unten dargestellten Konfigurationen aus der multidimensionalen Skalierung so lesen, dass es sich um Wahl-spezifische relative Affinitäten und thematische Profile der Parteien handelt. Zwar können die Positionen der Parteien in der Abbildung nicht absolut interpretiert werden, doch lassen sich die Distanzen zwischen ihnen untereinander in Relation setzen, um so ein Bild ihrer Ähnlichkeiten zu gewinnen.

Vor der Betrachtung der digitalpolitischen Positionen der Parteien und deren Wandel über die Zeit ist zunächst der politische Raum, der durch die Skalierung der Daten erzeugt wird, näher zu beleuchten. Dieser Raum ist in Abb. 2 dargestellt, er enthält Datenpunkte für alle betrachteten Parteien. Diese sind noch nicht mit Beschriftungen versehen, weil zunächst die Interpretation der Dimensionen im Vordergrund steht. Um die generierten Dimensionen inhaltlich zu bestimmen, ist das Schaubild mittels Property Fitting um Vektoren ergänzt worden. Sie zeigen an, wie Positionen in diesem Raum inhaltlich aufgeladen sind.

Abb. 2
figure 2

Ergebnis der MDS mit Property Fitting (alle Datenpunkte zu den Jahren 2009, 2013, 2017) (Anmerkungen: Ergebnisse einer nicht-metrischen multidimensionalen Skalierung mit quadrierter euklidischer Distanz als Ähnlichkeitsmaß und Torgerson-Start. Stress-I = 0,061. Vektoren basieren auf Property Fitting. Gestrichelt sind die Pfeile für diejenigen Kategorien, an denen die Dimensionen weniger als 30 % der Varianz erklären.)

Mit Blick auf diese Vektoren gilt es überdies zu beachten, dass die Positionierung in Richtung eines Vektors nicht bedeutet, dass entgegenliegende Aspekte in den Wahlprogrammen keine Erwähnung oder Betonung finden. Es heißt lediglich, dass die relative Gewichtung zugunsten eines Aspekts gegenüber anderen größer ausfällt. Damit sind besonders Anordnungen von Parteien entlang mehr oder minder in entgegengesetzte Richtungen weisende Pfeile interessant. Die Richtung sagt allerdings noch nichts darüber aus, wie deutlich die Vektoren mit den Dimensionen zusammenhängen. Daher sind diejenigen Vektoren gestrichelt dargestellt, bei denen die Achsen des Schaubilds weniger als 30 % der Varianz erklären können. So können die für die Unterscheidung der Objekte wichtigeren von den weniger wichtigen Kategorien getrennt werden.

In der resultierenden Konfiguration liegt ein zentraler Gegensatz auf der Diagonalen, die von unten rechts nach oben links verläuft. So repräsentiert eine Position weiter unten rechts eine Betonung von Gesichtspunkten, die vor allem für den Standort Deutschland in Sachen Digitalwirtschaft wichtig sind. Neben Fragen der Innovation und des Wachstums sowie des Ausbaus von E‑Government und der Förderung von digitaler Medienkompetenz und digitalen Fähigkeiten weisen auch der Ausbau der digitalen Infrastruktur (Breitband und mobile Datennetze) und Cybersicherheit in diese Richtung. In entgegengesetzter Richtung liegen in erster Linie die Betonung von Netzneutralität, Offenheit des Netzes und Inklusion in die digitale Gesellschaft. Aber auch die Betonung von offenen Inhalten und Lizenzen scheint nicht ohne Weiteres mit den Aspekten vereinbar, die durch die Pfeile im Quadranten links unten beschrieben werden. Der beschriebene Gegensatz erscheint in sich stimmig und passt auch am ehesten zu einer sozioökonomischen Konfliktachse.

Verwunderlich ist hingegen, dass die Betonung von Konsumentenschutz (z. B. bei algorithmischen Entscheidungen und Profiling-Praktiken) in einer gänzlich anderen Richtung zu verorten ist als die Betonung von Datenschutz und Privatsphäre. Offenkundig handelt es sich hierbei, zumindest in der Behandlung durch die Parteien in ihren Wahlprogrammen, um zwei voneinander unterscheidbare Aspekte. Dass weiterhin das Thema veränderte Arbeitsbedingungen annähernd in eine Richtung weist wie die wirtschaftlich konnotierten Aspekte in Abb. 2 rechts unten, dürfte schlicht auf die Konsequenzen zurückzuführen sein, die sich durch den Einsatz digitaler Technologien in der Wertschöpfung ergeben. So haben der Einsatz von Plattformen sowie neue Möglichkeiten der Automatisierung unmittelbar Folgen für das Arbeitsleben – etwa durch die Entstehung der sogenannten Crowd Worker oder einfach den Ersatz von Menschen bei bestimmten Tätigkeiten durch Maschinen.

Die Eigenschaftsvektoren in Abb. 2 zeigen teilweise nicht klar in die Richtung entlang einer der beiden Dimensionen, sondern liegen diagonal zu diesen. Dadurch wird eine trennscharfe Bezeichnung der statistisch gewonnenen Achsen, welche den Raum beschreiben, erschwert. Tendenziell zeichnen sich aber Unterschiede der Betonung von Aspekten der wirtschaftlichen Entwicklung auf der vertikalen Achse ab. Auf der horizontalen Achse manifestiert sich am ehesten ein Gegensatz zwischen informationellen auf der linken gegenüber materiellen Rechten und Ansprüchen auf der rechten Seite. Trotz der genannten gewissen Unschärfe der Dimensionen kann die vorgenommene Deutung der Dimensionen durchaus eine Orientierung bieten und wird daher bei der Benennung der Achsen im Folgenden berücksichtigt.

5.2 Die Parteienprofile und deren Wandel über die Zeit

Für eine übersichtliche Darstellung ist die Konfiguration mit allen betrachteten Parteien zu den drei untersuchten Wahlen in drei Schaubilder aufgeteilt worden, wobei in jeder der Grafiken die Datenpunkt für eine der Wahlen dargestellt und die anderen ausgeblendet sind. Betrachtet man vor dem Hintergrund der Dimensionalität des Raums in Abb. 3 die Verortung der Parteien zueinander, liefert das vorzufindende Muster eine Reihe von Einsichten zu den oben formulierten Fragen nach den Schwerpunktsetzungen der Parteien, deren Wandel über die Zeit und der Entstehung von erkennbaren Konfliktachsen sowie deren Beziehung zu bekannten Dimensionen des Parteienwettbewerbs.

Abb. 3
figure 3

Digitalpolitische Positionen der Parteien zu den Bundestagswahlen der Jahre 2009 (a), 2013 (b) und 2017 (c)

Abb. 3
figure 4

(Fortsetzung)

Abb. 3
figure 5

(Fortsetzung)

Als zentraler Befund kann die Veränderung der Struktur von Parteipositionen über die Zeit gesehen werden. Für das Jahr 2009 zeigt sich eine im Vergleich hohe Polarisierung: Die Parteien ordnen sich markant entlang der beiden Dimensionen an, wobei zumindest auf der vertikalen Dimension die bekannte Anordnung der Parteien wiederzufinden ist, von der Union über die FDP, die SPD und Grünen bis hin zur Linkspartei. Die Akzente der Parteien fallen rückblickend zu diesem Zeitpunkt sehr deutlich aus. Zugleich fand eine Betonung der Themen, die durch den Quadranten rechts unten in Abb. 3 beschrieben werden, insgesamt noch kaum statt, die Bedeutung von Entwicklungen im Bereich digitaler Technologien für insbesondere wirtschaftlichen Wohlstand war noch gering und diente noch nicht der Profilierung. Vielmehr überwogen Urheberechts- und Lizenzfragen, Überwachungs- und Sicherheitsgesichtspunkte und die Themen Privatsphäre und Datenschutz.

Mittlerweile hat sich diese Situation stark verändert und die Gegensätze haben sich verlagert. Die Konstellation ist nun mehr von Aspekten geprägt, die für wirtschaftliche Entwicklung, für Produktivität und Effizienz relevant sind. So haben sich die Parteipositionen zur Bundestagswahl 2017 in den rechten Bereich und nach unten verlagert. Sie zeigen zusammengenommen nun eine klarere Betonung von Themen, die für die wirtschaftlich konnotierte digitale Transformation besonders bedeutsam sind.

Die Verlagerung der politischen Auseinandersetzung mit Digitalisierungsthemen ist vor allem von der Umorientierung zweier Parteien geprägt. So vollzog die SPD von der Bundestagswahl 2009 zur darauffolgenden Wahl einen Sprung in ihrer Betonung von Themen, die von wirtschaftlicher Bedeutung sind. Zu diesem Zeitpunkt, im Jahr 2013, blieb die FDP noch einer Schwerpunktsetzung bei Themen verhaftet, die ihrem Markenkern als liberaler Partei entspricht, insbesondere die Frage nach der Privatsphäre und dem Datenschutz sowie der Aspekt der Netzneutralität und der grundsätzlichen Gleichbehandlung und des Abbaus von Barrieren bei der Verwendung digitaler Technologien. Von diesem Schwerpunkt scheint die FDP jedoch zur Wahl im Jahr 2017 abgerückt. Zwar finden sich im Wahlprogramm der Liberalen klare Aussagen, die den Schutz der Daten von Individuen sowie Transparenz und Kontrolle hinsichtlich der Sammlung und Verarbeitung persönlicher Daten unterstreichen. Allerdings hat eine deutliche Gewichtsverschiebung stattgefunden – hin zu einer stärkeren Betonung von wirtschaftlichen Potenzialen, der gezielten Bildung und Ausbildung für die digitale Ära, von Effizienzsteigerung durch E‑Government sowie von Cybersicherheit.

Vergleich man die beschriebenen Sprünge mit den Distanzen der Parteien untereinander, so fällt die zeitliche Veränderung beachtlich aus. Am Ende des Untersuchungszeitraums stehen damit die Union, die SPD und die FDP der Gruppe aus Grünen, der Linkspartei und auch der AfD gegenüber. Die zuletzt genannte Gruppe ist weiter oben im Schaubild anzutreffen und im Vergleich zurückhaltender in ihrer Haltung zum Einsatz von digitalen Technologien für größere Produktivität und Effizienz; in ihren programmatischen Profilen kommt dafür einer offenen und inklusiven Nutzung der digitalen Infrastruktur größeres Gewicht zu.

Beachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass dies zusammengenommen eine klare Gewichtsverlagerung weg von den Themen Privatsphäre und Datenschutz bedeutet. Die FDP betont Datenschutz und Privatsphäre im Jahr 2017 relativ gesehen noch am deutlichsten – da sie aber zugleich andere Aspekte mehr betont als zuvor, ist jener Schwerpunkt nicht mehr so markant. Auch zeigen – abgesehen von der AfD – die Parteien von links nach rechts für das Jahr 2017 die Anordnung, die ihren grundsätzlichen gesellschaftspolitischen Haltungen entspricht. Doch liegen die Parteien entlang des Vektors in Richtung mehr Datenschutz im Jahr 2017 merklich näher beieinander als bei den Wahlen zuvor.

Bemerkenswert ist dabei, dass ihre Verschiebung seit dem Jahr 2009 mit einer stärkeren Betonung von Verbraucherschutz einhergeht. Unter diese Kategorie fallen Aussagen zu den Rechten von Konsumenten im Netz. Dazu zählen auch Fragen danach, wie mit Einsichten umzugehen ist, die aus der Sammlung und Verwertung von personenbezogenen Daten gewonnen worden sind. Dies betrifft zwar letztlich ebenfalls die informationelle Selbstbestimmung, greift jedoch erst, nachdem Daten erhoben und verarbeitet worden sind. Insofern sind die einander entgegengesetzten Vektoren für Verbraucherschutz und Datenschutz in dem vorgefundenen Parteienraum nicht so widersinnig, wie es zunächst den Anschein haben mag. Im Gegenteil deuten sie zusammen mit den Parteipositionen auf einen sich herausbildenden neuen Konsens mit Blick auf (realisierbaren) Datenschutz heraus. So ist es auch auffällig, dass die massenhafte Sammlung und Verwertung von Daten überwiegend in den Programmen als Faktum hingenommen wird. Entsprechend scheinen zumindest Union, SPD und FDP sich auf eine Position der Verwirklichung informationeller Selbstbestimmung zurückzuziehen, die erst nach jenen Prozessen der Datensammlung und -verarbeitung ansetzt.

6 Diskussion

Mit Blick auf den extrahierten politischen Raum spricht insgesamt wenig dafür, dass sich Digitalpolitik als gänzlich neue und eigenständige Dimension des Parteienwettbewerbs herausbildet. Zum einen lässt sich eine wirtschaftlich konnotierte Achse in Analogie zur sozioökonomischen Konfliktdimension ausmachen, während die andere Achse erheblich – jedoch nicht nur – durch gesellschaftspolitisch konnotierte Aspekte geprägt ist. Zum anderen zeigt die Anordnung der Parteien zumindest für die Jahre 2009 und 2013 ein gewohntes Muster. In der Konstellation für das Jahr 2009 steht die Union mit einer herausragenden Betonung von Sicherheitsaspekten solchen Parteien gegenüber, die diesen Schwerpunkt nicht teilen und zugleich Privatsphäre und Datenschutz und/oder die Offenheit des Internet und von digitalen Inhalten betonen. Dies entspricht einem Kontrast zwischen gesellschaftspolitisch liberalen Parteien sowie der CDU als konservative Partei. Im Jahr 2013 zeigt sich entlang einer Diagonalen von links oben nach rechts unten sogar noch klarer die übliche Anordnung der Parteien entlang einer allgemeinen Links-Rechts-Achse.

Allerdings verwischt sich dieses Bild wieder zum letzten Wahlzeitpunkt im Untersuchungszeitraum, weil die FDP zur Union und zur SPD aufschließt und die AfD nah bei den Grünen und bei der Linken positioniert ist. Insofern lassen sich die digitalpolitischen Positionen nicht klar mit der grundlegenden Ausrichtung der Parteien auf zentralen Konfliktdimensionen im Parteiensystem zusammenbringen. Stabil ist im Grunde nur der durch die Grünen und die Linke gekennzeichnete Pol im extrahierten Politikraum, die anderen Parteien scheinen im Untersuchungszeitraum ihre Position noch gesucht zu haben.

Die ausgemachten Sprünge von Parteien, in erster Linie von SPD und FDP, sind dabei auch instruktiv mit Blick auf das oben geschilderte Spannungsverhältnis zwischen einerseits dem Nutzbarmachen der Digitalisierung für wirtschaftliche Entwicklung und andererseits dem Festhalten an bestehenden Prinzipien der informationellen Selbstbestimmung. Dieses Spannungsverhältnis zeigt sich zwar nicht direkt in der Dimensionalität des Parteienraums, denn die entsprechenden Aspekte der Digitalpolitik stehen sich nicht diametral gegenüber. Die Datenschutzfragen in Abb. 3 stehen vielmehr beinahe senkrecht zu den wirtschaftlich konnotierten Kategorien unten rechts in der Konfiguration. Doch die Verschiebungen der Parteien insgesamt über die Zeit, von links oben nach rechts unten, folgen derjenigen Richtung, die jenem Spannungsverhältnis in dem Parteienraum entspricht – einer relativ stärkeren Betonung wirtschaftlich konnotierter Aspekte bei gleichzeitig abnehmender relativer Betonung von Privatsphäre und Datenschutzfragen.

Die Entwicklung lässt sich damit auch als Reaktion der Parteien auf eine gewachsene wirtschaftliche Bedeutung der Digitalisierung lesen, für die restriktive Regelungen im Datenschutz ein Hemmnis darstellen. So beinhaltet die Betonung von Innovationen und wirtschaftliche Entwicklung im Kontext der digitalen Transformation auch die breite Verwertung von (personenbezogenen) Daten als Rohstoff für die wirtschaftliche Wertschöpfung. Die Entwicklung hin zu einer „Data Economy“ (European Commission 2017a) steht jedoch dem Grundsatz der Datensparsamkeit entgegen und gestaltet ceteris paribus die effektive Kontrolle über den Umlauf und die Verarbeitung personenbezogener Daten schwieriger. Insofern dürfte dies mit einem Festhalten an bestehenden Prinzipien und Regelungen bei Datenschutz und informationeller Selbstbestimmung zumindest nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen sein.

Bei genauerer Betrachtung relevanter Äußerungen der Parteien finden sich auch Stellen, die das erwähnte Spannungsverhältnis ansprechen. Die FDP etwa betont, dass „datenbezogene Geschäftsmodelle und Selbstbestimmtheit im Internet der Dinge sich nicht ausschließen“ und fordert, dass „Innovation möglich bleibt, ohne ungewollt Privatsphäre zu opfern“ (FDP 2017, S. 38). Ansonsten sind die Aussagen zu den wirtschaftlichen Chancen durch die Digitalisierung eher allgemeiner Natur. Spezifischer sind dagegen zahlreiche Aussagen, die informationelle Autonomie durch Datenschutz und Schutz vor Überwachung einfordern, beispielsweise durch die auf den Bereich Gesundheit gemünzte Aussage, der Staat müsse „die Hoheit des Einzelnen über seine Daten stets gewährleisten“ (FDP 2017, S. 84). Zudem spricht sich die Partei besonders deutlich gegen jede anlasslose Speicherung von Daten durch den Staat oder Telekommunikationsunternehmen aus. In dieser Deutlichkeit dürfte der Verweis auf informationelle Selbstbestimmung allerdings schwer mit der Befürwortung datenbasierter Geschäftsmodelle für Innovation und Wachstum vereinbar sein.

Die Union ist demgegenüber insgesamt deutlicher in ihrem Fokus auf die wirtschaftlichen Potenziale der Digitalisierung. Bereits im Jahr 2013 lässt sie verlauten, Deutschland „bis zum Ende des Jahrzehnts zum digitalen Wachstumsland Nummer 1 in Europa machen“ zu wollen (CDU/CSU 2013, S. 34). Auch verweist ihr Wahlprogramm im Jahr 2017 darauf, dass im Zuge des digitalen Wandels „in großem Maßstab Daten [anfallen], deren Verarbeitung zu mehr Wertschöpfung beitragen kann: Daten sind der Rohstoff der Zukunft“ (CDU/CSU 2017, S. 51). Im Programm (also zu einem Zeitpunkt, als das Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz (DSAnpUG-EU) bereits verabschiedet war) ist auch die Rede davon, neue Datenschutzregelungen zu erarbeiten, mit denen wirtschaftliche Wertschöpfung ebenso ermöglicht wie Befugnisse der Sicherheitsbehörden und Datenschutzinteressen der Bürgerinnen und Bürger sichergestellt werden sollen (ebd.).

Wie dieser Ausgleich erzielt werden kann, hat die Union zusammen mit der SPD bereits in ihrer Regierungstätigkeit zwischen 2013 und 2017 zum Ausdruck gebracht. So wird in der Digitalen Agenda der Bundesregierung (BMWI 2016, 2017) Datenschutz abgelöst durch Datensouveränität. Dieses von Sigmar Gabriel (2015) als Wirtschaftsminister sowie von Bundeskanzlerin Angela Merkel (Deutschlandfunk 2016) verfochtene Konzept hält zu strenge Datenschutzregeln als unvereinbar mit der gegenwärtigen massiven Erzeugung von Daten durch digitale Geräte und setzt auf individuelle Kontrolle über die eigenen personenbezogenen Daten. Vielmehr sei die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger, die selbst aktiv Kontrolle über die Sammlung und Verwertung ihrer personenbezogenen Daten ausüben sollen, in den Vordergrund zu rücken.

Im Wahlprogramm der SPD ist von „Datensouveränität“ zwar nichts zu lesen, doch setzt sich die eben beschriebene Haltung auch darin fort. Die Sozialdemokraten benennen ebenfalls einen möglichen Zielkonflikt – so möchten sie ein Recht auf Privatsphäre gewährleisten, zugleich wollen sie jedoch auch „das wirtschaftliche Potenzial von Daten nutzen, denn Datenschutz und Big Data schließen sich nicht aus“ (SPD 2017, S. 29). Hierfür will die SPD klare Regeln zur Verwendung der Daten etablieren und Individuen „zu jeder Zeit einen Überblick über die Verwendung ihrer Daten“ verschaffen (ebd.). Dieser letzte Aspekt wird durch den mehrfachen Verweis auf „digitale Selbstbestimmung“ unterstrichen, welche durch eine Anpassung der Bildung in allen Bevölkerungsgruppen gewährleistet werden soll. Damit suggeriert die SPD Eigenverantwortung als leitendes Prinzip beim Schutz der personenbezogene(n) Daten und der Kontrolle über diese. Dies zeigt sich auch darin, dass die Partei explizit auf die Wichtigkeit der individuellen Zustimmung zur Erhebung, Nutzung und Verwertung personenbezogener Daten verweist. Bemerkenswert ist das insofern, als offenkundig die FDP als liberale Partei mehr staatliche Garantien hinsichtlich einer informationellen Autonomie einfordert als es die SPD – aber auch die Union – tut.

Insgesamt sprechen die Union, SPD und FDP zwar einen potenziellen Konflikt zwischen datenbasierter Wertschöpfung und informationeller Selbstbestimmung an. Im Grunde werden bei ihnen im Wesentlichen jedoch lediglich beide Aspekte unvermittelt nebeneinandergestellt. Alle drei verweisen auf die Nutzbarmachtung von Daten für wirtschaftliche Wertschöpfung und betonen zugleich die Wichtigkeit von Privatsphäre und Datenschutz. Die Spannung zwischen diesen Zielen kommt nicht zum Ausdruck, weil das Ausmaß, in dem Individuen aktiv Kontrolle über ihre Daten ausüben müssten und die erheblichen Informationsasymmetrien zu ihren Ungunsten nicht thematisiert werden. Auch der Rückzug auf das Prinzip der ausdrücklichen Zustimmung – das in der juristischen, ethischen und politisch-theoretischen Literatur als wirkungslos im Hinblick auf die Kontrolle des Umgangs mit personenbezogenen Daten gilt (Scherf 2008; Solove 2013; Ananny und Crawford 2016; Mittelstadt und Floridi 2016) – geht über die Herausforderung, zugleich personenbezogene Daten wirtschaftlich zu nutzen und informationelle Selbstbestimmung zu gewährleisten, hinweg.

Die beschriebene Widersprüchlichkeit tritt bei den Grünen und der Linkspartei nicht derart auf. Der Grund hierfür liegt schlicht in der geringfügigen Betonung wirtschaftlicher Verwertungsaspekte von Daten. Die Grünen verweisen allerdings auch explizit auf die Unzulänglichkeit des Prinzips der informierten Zustimmung für den effektiven Schutz der und Kontrolle über die personenbezogenen Daten; und Die Linke verwahrt sich daneben gegen die massenhafte Erhebung, Speicherung, Weitergabe und Verarbeitung persönlicher Daten durch Organisationen und möchte die „datenintensive und flächendeckende Überwachung durch Geheimdienste und Technologiekonzerne beenden und den Datenschutz aktualisieren“ (Die Linke 2017, S. 131). Es scheint allerdings fraglich, ob die beiden Parteien ihre Haltung in dieser Hinsicht auf Dauer beibehalten können. Womöglich sehen sich sowohl die Grünen als auch die Linkspartei alsbald gezwungen, ihre Positionen an veränderte Tatsachen anzupassen, insbesondere an den Druck, bei der digitalen Transformation der Wirtschaft mitzuhalten. Zum Zeitpunkt der Bundestagswahl 2017 handelt es sich dabei noch um eine recht neue Herausforderung auf der politischen Agenda. Wie die vorangehende Analyse gezeigt hat, können sich Schwerpunktsetzungen bei Themen, die mit der digitalen Transformation verbunden sind, binnen weniger Jahre merklich wandeln. Es bleibt abzusehen, wie die Parteien die an diese Transformation geknüpften Zielkonflikte künftig aufzulösen suchen und wichtige Weichenstellungen vornehmen.

7 Fazit

Die vorangehende Analyse hat erstmals eine systematische Bestandsaufnahme unternommen, um die deutschen Parteien auf Bundesebene umfassend im Hinblick auf ihre Positionen in Digitalisierungsfragen zu verorten und zudem über mehrere Wahlen zu vergleichen. Um ein umfassendes und differenziertes Bild zu diesem Gegenstand zu gewinnen, hat die Untersuchung Wahlprogramme zu den Jahren 2009, 2013 und 2017 textanalytisch aufbereitet und mittels eines hierfür formulierten Analyseschemas eine Datenbasis eigens für den Untersuchungszweck gewonnen. Der empirische Beitrag der Untersuchung spricht zugleich zur Parteienforschung wie zur Literatur, die sich mit digitalem Wandel auseinandersetzt. Er besteht erstens darin, digitalpolitischen Prioritätensetzungen und Positionierungen von Parteien aufzuzeigen und mit klassischen Dimensionen des Parteienwettbewerbs in Beziehung zu setzen. Zweitens hat die Analyse den Wandel solcher Positionen über die Zeit beleuchtet.

So hat die Auswertung aufgezeigt, dass das Ausmaß der Behandlung von Aspekten des digitalen Wandels in dieser Zeit stark zugenommen hat. Bei den etablierten Parteien hat sich das relative Gewicht insgesamt seit dem Jahr 2009 im Schnitt etwa verdreifacht – mit Ausnahme der Grünen, bei denen der Themenkomplex bereits 2009 stark vertreten war und dem Umfang nach nicht noch weiter an Gewicht gewonnen zu haben scheint. Auffällig ist zudem, dass die von den Parteien vor allem behandelten Themen im Zusammenhang mit digitalen Technologien im Jahr 2009 und eingeschränkt auch noch 2013 eher gesellschaftspolitisch konnotiert waren – die Parteien wiesen klar konturierte Profile auf und unterschieden sich vornehmlich im Ausmaß der Betonung von Sicherheit und Überwachung, von Privatsphäre und Datenschutz sowie von Urheberrechtsfragen und der offenen Nutzung von Daten und Inhalten. Diese Aspekte haben seitdem relativ gesehen an Gewicht verloren. Für das Jahr 2017 zeigt sich im Gegenzug eine prononciertere Rolle von Innovation und Wachstum, des Ausbaus von E‑Government, der Förderung digitaler Kompetenzen sowie der digitalen Infrastruktur und Cybersicherheit. Diese Aspekte lassen sich zusammengenommen unter dem Ziel der Sicherung des wirtschaftlichen Standorts Deutschland, des Wohlstands und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit lesen. Damit entsprechen die parteipolitischen Unterschiede in Digitalisierungsfragen bei der Bundestagswahl 2017 vermehrt der bekannten sozioökonomischen Achse des Parteienwettbewerbs und es scheint sich zudem die primär wirtschaftliche Konnotation des Begriffs der digitalen Transformation mittlerweile im deutschen Parteienwettbewerb abzubilden.

Am stärksten kommen entsprechende Aspekte im Jahr 2017 bei Union, SPD und FDP zur Geltung, die zudem in ihrer Betonung von digitalen Themen insgesamt die Grünen, die früher als die anderen etablierten Parteien Themen des digitalen Wandels adressierten (siehe auch Niedermayer 2013), klar überholt haben. Beachtlich ist dabei der Sprung der FDP, die noch 2013 und wie schon 2009 ein sehr klares Profil mit Schwerpunkten auf Privatsphäre, Datenschutz und Urheberechtsfragen aufwies. Einen ähnlichen Umschwung hatte zuvor die SPD vollzogen (zwischen 2009 und 2013). Damit stehen Union, SPD und FDP im Jahr 2017 den Grünen, der Linken und der AfD gegenüber, die relativ gesehen mehr offene Formate sowie Netzneutralität und Inklusion in die digitale Gesellschaft betonen.

In diesem Zusammenhang ist auch die Dimensionalität des in der Analyse extrahierten Parteienraums instruktiv. Zwischen den Jahren 2009 und 2017 haben die Parteien insgesamt in Relation zu anderen Aspekten weitaus weniger Gewicht auf Fragen des Datenschutzes und der Privatsphäre gelegt. In dieser Hinsicht sind die Parteien nicht nur deutlich näher zueinander gerückt, diese Verschiebung bedeutet zugleich eine stärkere Betonung von Verbraucherschutzaspekten, die allerdings noch wenig in den Parteiprogrammen vertreten sind. Es deutet sich demnach ein neuer Konsens an, der die massenhafte Sammlung und Verarbeitung von Daten mehr oder minder als unausweichlich erachtet. Informationelle Selbstbestimmung würde damit überwiegend erst an späterer Stelle ansetzen, nämlich nach der Datenerhebung und -verarbeitung, bei der Verwertung der auf Basis von Daten gewonnener Einsichten – unter der Überschrift Verbraucherschutz.

Im vorgefundenen programmatischen Raum weist überdies die Betonung von Privatsphäre und Datenschutz bestenfalls der Tendenz nach in die entgegengesetzte Richtung zu den zuvor erwähnten wirtschaftlich konnotierten Gesichtspunkten. Damit kommt ein Spannungsverhältnis, das sich in jüngeren Entwicklungen der digitalen Transformation abzeichnet, im Parteienwettbewerb bislang wenig zur Geltung: zwischen der steigenden Bedeutung von (personenbezogenen) Daten als Rohstoff in der wirtschaftlichen Wertschöpfung einerseits und der Sparsamkeit bei der Kontrolle über die Verbreitung und Verarbeitung persönlicher Daten andererseits. Tritt dieses Spannungsverhältnis künftig stärker zutage, so dürfte dies für die parteipolitische Programmatik bedeutsam sein. Dies gilt insbesondere für liberale Parteien, die einerseits aus ökonomischen Motiven das Vorantreiben der Digitalisierung für Wachstum und Wohlstand bewerben, was die Verwertung von Daten als neuen wertvollen Rohstoff voraussetzt, und zugleich andererseits unter gesellschaftspolitischem Vorzeichen die informationelle Selbstbestimmung der Bürger betonen. Hierzu könnten vergleichende Analysen, die den oben vorgestellten Analyserahmen auf andere Länder übertragen, besonders instruktiv sein. So könnten neben parteipolitischen Besonderheiten auch politisch-ökonomische Rahmenbedingungen eine Rolle dafür spielen, wie Parteien solche Zielkonflikte auflösen.

Das erwähnte Spannungsverhältnis ist außerdem eine wahrscheinliche Ursache dafür, dass die deutschen Parteien digitalpolitische Aspekte nicht völlig in ihre umfassendere Ausrichtung entlang zentraler politischer Konfliktachsen – einer sozioökonomischen und gesellschaftspolitischen Dimension – eingegliedert haben. Zum Jahr 2017 zeigen sich in den Befunden zwar auch Ähnlichkeiten zur vertrauten Anordnung der Parteien, doch noch bestehen merkliche Abweichungen. Insofern ist noch keine Integration in den politischen Konfliktraum festzustellen, wie dies im Wesentlichen beim Thema Umwelt in entwickelten Demokratien geschehen ist (Dalton 2009). Allerdings ist der Themenkomplex Digitalisierung bislang so gut wie nicht politisiert. Es bleibt daher abzuwarten, ob Digitalpolitik mehr oder minder völlig in bestehenden Konfliktlinien aufgeht. Einerseits spricht hierfür, dass digitalpolitische Aspekte wie Cybersecurity oder digitale Bildung letztlich eng an klassische Politikfelder geknüpft sind. Andererseits dürfte die Entwicklung auch davon abhängen, wie mit Blick auf die oben geschilderte Spannung Privatsphäre und Datenschutz – am ehesten in Analogie zu Umweltschutz – als politisierte Ansprüche etabliert werden und in Konflikt mit anderen politischen Zielen stehen.

Schließlich bleibt einschränkend hinzuzufügen, dass die Analyse die Positionen von Parteien im Bereich Digitalpolitik untersucht hat, diese jedoch nicht mit tatsächlich umgesetzter Politik in puncto Digitalisierung gleichzusetzen sind. Allerdings liegt es nahe, dass das beschriebene Spannungsverhältnis auch auf der Ebene des Regierens von Bedeutung ist. Damit entstünde ein legitimatorisches Dilemma, denn der Druck, die digitale Transformation mit Blick auf wirtschaftliches Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zu gestalten und dafür auch Daten als wertvollen Rohstoff zu erschließen, dürfte eher noch zunehmen. Der Druck ist schon deshalb groß, weil das Tempo des digitalen Wandels hoch ist. Noch im Jahr 2009 waren beispielsweise Automatisierung und Arbeit kein Thema in den Wahlprogrammen, zum Jahr 2017 haben die Parteien den Aspekt veränderter Arbeitsbedingungen aber explizit, wenngleich noch nicht umfangreich, aufgegriffen. Insofern mögen zum nächsten Wahltermin auf Bundesebene die programmatische Konstellation und der akzeptierte Status quo bereits nochmals deutlich anders aussehen.