Einleitung

Medizinisches und insbesondere ärztliches Handeln dienen der Prävention, Erkennung und Behandlung von Erkrankungen.Footnote 1 Diese Ziele sind alle auf das Wohl des Patienten hin orientiert, welches die zentrale Dimension der Legitimität ärztlichen Handelns darstellt. Die Verpflichtung des Arztes auf das Wohlergehen des Patienten ist eines von vier allgemein akzeptierten bioethischen Grundprinzipien (Beauchamp und Childress 2012), das Patientenwohl findet sich als „oberstes Anliegen“ des Arztes im Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes (Parsa-Parsi 2017), und es wird an mehreren Stellen explizit in der (Muster)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO, Bundesärztekammer 2018) erwähnt.

Die zweite wesentliche und ubiquitäre Dimension der Legitimität medizinischen Handelns ist die Autonomie des Patienten, wobei Autonomie hier im Wesentlichen als das Recht des Patienten auf Selbstbestimmung verstanden werden sollFootnote 2. Medizinische Eingriffe bedürfen grundsätzlich seiner Zustimmung, und es steht ihm frei, selbstbestimmt medizinische Maßnahmen auch dann abzulehnen, wenn dies seinem Wohlergehen zuwiderläuft. Die Pflicht des Arztes, den Willen des Patienten zu respektieren, steht also noch über der Verpflichtung auf das Patientenwohl.

Dieses heute fast selbstverständliche Primat des Patientenwillens hat sich sowohl bioethisch als auch rechtlich erst in den letzten Jahrzehnten entwickelt. Noch bis zum 2. Weltkrieg und darüber hinaus wurde das Selbstbestimmungsrecht in vielen Situationen dem Wohl des Patienten untergeordnet. Dabei wurde das Wohl in paternalistischer Weise aus der Perspektive des Arztes definiert, der als Experte objektiv wusste und entschied, was zu tun sei, und im Übrigen nicht nur dem Wohl des einzelnen Patienten verpflichtet war, sondern „der Gesundheit des ganzen Volkes“ diente, so die Reichsärzteordnung von 1935 (Heyder 1995).

Ein ganz wesentlicher Anstoß, das paternalistische Prinzip als Fundament ärztlichen Handelns grundlegend infrage zu stellen, war die massive Verstrickung von Ärzten in die Gräueltaten des Nationalsozialismus, wie z. B. die Zwangssterilisation, die Durchführung medizinischer Versuche ohne die Einwilligung der Betroffenen oder die Tötung von Hunderttausenden v. a. psychisch kranker oder behinderter Menschen. Darüber hinaus vollzog sich in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg aber auch gesellschaftspolitisch ein grundsätzlicher Wandel, weg vom Menschen als Objekt staatlicher Herrschaft und Gewalt hin zum mündigen Bürger, einem autonom denkenden und selbstbestimmt handelnden Subjekt (z. B. Adorno 1971).

Betrachtet man nur die Dimensionen Wohlergehen und Autonomie, so sind heutzutage die Grundregeln ärztlichen Handelns sowohl ethisch als auch rechtlich weitgehend unstrittig: Ärzte haben ihr Handeln am Wohl des Patienten auszurichten, und ihr Tun kann grundsätzlichFootnote 3 nur durch das informierte Einverständnis des Patienten legitimiert werden.

Die beiden bisher eingeführten Hauptdimensionen der Legitimität ärztlichen Handelns zeigt Abb. 1 und führt eine dritte Nebendimension ein, nämlich die Interessen Dritter. Die Interessen Dritter können Präventionsinteressen sein (z. B. bei einer Impfung), eigene Gesundheitsinteressen (z. B. bei einer Lebendorganspende) oder im weitesten Sinn persönliche oder gesellschaftliche Eigeninteressen (z. B. bei einem Schwangerschaftsabbruch oder bei der Unterbringung gefährlicher Menschen mit psychischen Erkrankungen in psychiatrischen Krankenhäusern). Im Folgenden wird es im Wesentlichen um die Frage gehen, inwiefern und inwieweit Interessen Dritter fremdnütziges ärztliches Handeln in der Medizin insgesamt und besonders in der Psychiatrie legitimieren können, und in welchem Verhältnis diese Legitimation zum Wohl des Patienten und seinem Recht auf Selbstbestimmung steht. Es wird sich dabei zeigen, dass Interessen Dritter mit dem Wohl des Patienten und seinem Selbstbestimmungsrecht erheblich in Konflikt geraten können und deshalb eine Legitimitätsdimension ärztlichen Handelns darstellen, die ausgesprochen problematisch ist.

Abb. 1
figure 1

Drei Dimensionen der Legitimität ärztlichen Handelns (Details s. Text)

Legitimationen fremdnützigen medizinischen Handelns

Fremdnütziges medizinisches Handeln mit informiertem Einverständnis des Betroffenen

Paragraph 2, Abs. 1 MBO lautet:

„Ärztinnen und Ärzte haben ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen bei ihrer Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Sie haben dabei ihr ärztliches Handeln am Wohl der Patientinnen und Patienten auszurichten. Insbesondere dürfen sie nicht das Interesse Dritter über das Wohl der Patientinnen und Patienten stellen.“Footnote 4

Diese Formulierung stellt das Wohl des Patienten einerseits in den Mittelpunkt ärztlicher Tätigkeit, sie schafft andererseits aber auch Raum dafür, dass ärztliches Handeln dem Interesse Dritter dienen kann. Hierauf nimmt auch eine andere Regelung der MBO Bezug, die festlegt, dass ärztliches Handeln neben der Gesundheit des Einzelnen auch der Gesundheit der Bevölkerung verpflichtet ist (§ 1 Abs. 1 MBO). Ein klassisches Beispiel hierfür sind Schutzimpfungen, die nicht nur wegen der individuell präventiven Wirkung empfohlen werden, sondern auch, um die Infektionsrate in der Gesamtbevölkerung zu verringern und u. U. eine Erkrankung sogar ganz zum Verschwinden zu bringen. Eine Schutzimpfung, die mit dem informierten Einverständnis des Patienten durchgeführt wird, dient also zwar Dritten, aber auch dem Patienten selbst und sie erfolgt unter Beachtung seines SelbstbestimmungsrechtsFootnote 5. Diese und andere medizinische (Be)Handlungen, die im Gleichsinnigen Interesse Dritter und des Patienten durchgeführt werden und zudem durch dessen Einverständnis gedeckt sind, sind offensichtlich unproblematisch, sowohl was ihre moralische Legitimität als auch was ihre zivilrechtlichen Grundlagen angeht, die im Wesentlichen in §630 a–h BGB geregelt sind.

Dies trifft aber dann nicht ohne Weiteres zu, wenn fremdnütziges medizinisches Handeln nicht dem Wohl des Patienten dient und/oder nicht von seiner Einwilligung gedeckt ist. Wie Abb. 2 zeigt, ergeben sich 4 mögliche Konstellationen, von denen nur eine, die erste, oben bereits erwähnte, grundsätzlich ethisch und rechtlich unproblematisch ist.

Abb. 2
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Interaktionen zwischen den drei Dimensionen der Legitimität ärztlichen Handelns, ausgehend davon, dass es sich um eine fremdnützige (Be)Handlung handelt. (Details s. Text)

Ausschließlich fremdnütziges medizinisches Handeln mit informiertem Einverständnis des Betroffenen

Wenn fremdnützige Maßnahmen zwar durch das informierte Einverständnis des Betroffenen gedeckt sind, er selbst aber keinen medizinischen Nutzen aus der Maßnahme zieht, fehlt dem medizinischen Handeln eine wesentliche Legitimation. Dennoch sind solche Maßnahmen u. U. moralisch und (berufs-)rechtlich zulässig. Dies trifft z. B. für die Lebendorganspende zu, die zwar ethisch durchaus umstritten (Quante 2012), aber rechtlich mit gewissen EinschränkungenFootnote 6 zulässig ist. Zulässig ist auch rein fremdnützige klinische Forschung mit dem informierten Einverständnis des Probanden, wobei bei dieser Art von Forschung ein besonders hoher Anspruch an ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis zu stellen ist, weil der Proband selbst ja Risiken ausgesetzt wird, denen kein potenzieller persönlicher Nutzen gegenübersteht. Die Legitimität ärztlichen Handelns in diesen und ähnlichen Kontexten lässt sich am besten mit der Annahme begründen, dass die altruistischen Motive des Betroffenen ihn selbst quasi neben dem Dritten, dem die Maßnahme direkt nützt, zu einem indirekten Nutznießer machen.

Fremdnütziges Handeln ohne informiertes Einverständnis des Betroffenen, aber zum Wohle des Patienten

Medizinischen Handlungen, die ohne das informierte Einverständnis des Patienten erfolgen gelten, zumindest grundsätzlich, als strafbare Körperverletzung (§§ 223 ff. StGB). Dies gilt sowohl für Handlungen zum Wohl des Patienten als auch für fremdnützige Maßnahmen.

Für Maßnahmen zum Wohle des Patienten ist rechtlich und auch medizinethisch weitgehend unstreitig, dass bei selbstbestimmungsunfähigen Patienten das informierte EinverständnisFootnote 7 in bestimmten Situationen entbehrlich ist bzw. ersetzt werden kannFootnote 8. Entbehrlich ist das Einverständnis des Patienten in Notfallsituationen (§ 630 d BGB), wenn der Patient nicht einwilligungsfähig ist, die Maßnahme medizinisch indiziert und unaufschiebbar ist und sie nicht seinem mutmaßlichen Willen widerspricht.

Liegt kein Notfall vor, dann kann ein Betreuer oder ein Bevollmächtigter die Einwilligung in medizinisch indizierte Maßnahmen unter Beachtung einer etwaigen Patientenverfügung bzw. des mutmaßlichen Willens des Betroffenen ersetzen, wenn bei Unterlassen der Maßnahme dem Betroffenen ein gesundheitlicher Schaden droht. Bei besonders schwerwiegenden oder gefährlichen Maßnahmen ist hierzu die Zustimmung des Vormundschaftsgerichts erforderlich.

Selbst dann, wenn der selbstbestimmungsunfähige Patient einer medizinischen Maßnahme zu seinem Wohl widerspricht, kann und soll diese unter bestimmten Umständen gegen seinen natürlichen Willen zwangsweise durchgeführt werden. Hierzu gehören zunächst freiheitsbeschränkende Sicherungsmaßnahmen zur Abwehr von Gefahren für den Patienten, wie die Unterbringung in einem Krankenhaus, aber auch freiheitsentziehende Maßnahmen, wie die Fixierung und Isolierung. Letztlich können u. U. auch diagnostische und therapeutische ärztliche Maßnahmen im Sinne einer Zwangsbehandlung gegen den natürlichen Willen des Patienten durchgesetzt werden, wobei hierfür sehr enge Voraussetzungen gelten (§ 1906a BGB).

Dabei gilt der natürliche (nichtselbstbestimmte) Wille durchaus als erheblich und soll, wo immer möglich, auch Beachtung finden. Eine Zwangsbehandlung bleibt deshalb solchen Situationen vorbehalten, in denen bei der Abwägung zwischen dem Recht des Patienten auf Achtung auch seines natürlichen Willens und seinem Recht auf Behandlung die Argumente für eine Behandlung auch unter Berücksichtigung der potenziell schädigenden Effekte einer Zwangsbehandlung überwiegen. Aber auch dann darf eine Zwangsbehandlung nur durchgeführt werden, wenn sie dem mutmaßlichen oder vorausverfügten Willen des Patienten nicht widerspricht.

Zusammenfassend legitimieren sich medizinische Maßnahmen ohne aktuelles informiertes Einverständnis des Betroffenen ethisch und rechtlich einerseits dadurch, dass sie seinem Wohl dienen, und andererseits entweder durch eine vorausverfügte Einwilligung im Sinne einer Patientenverfügung oder durch eine Einwilligung eines rechtlichen Vertreters auf der Grundlage des mutmaßlichen Patientenwillens, wobei sehr eingreifende Maßnahmen zusätzlich einer richterlichen Genehmigung bedürfen. Für die Legitimation medizinischer Maßnahmen an Selbstbestimmungsunfähigen ist es dabei unbedeutend, ob sie zusätzlich auch fremdnützigen Charakter haben.

Ausschließlich fremdnütziges Handeln ohne informiertes Einverständnis des Betroffenen

Haben medizinische Maßnahmen an Einwilligungsunfähigen hingegen ausschließlich fremdnützigen Charakter, ist ihre Legitimierung problematisch, aber dennoch nicht ausnahmslos ausgeschlossen. Auch hier kann eine Vorausverfügung als Legitimation und Ersatz des aktuell freien Willens dienen, z. B. bei der Organspende von Hirntoten, die zu Lebzeiten einen Organspendeausweis unterzeichnenFootnote 9, oder bei fremdnütziger Forschung im Sinne einer Forschungsvorausverfügung z. B. bei DemenzpatientenFootnote 10. In aller Regel werden Menschen aber keine Vorausverfügungen erstellen, die rein fremdnützige Maßnahmen legitimieren, und man wird nicht davon ausgehen können, dass solche Maßnahmen ihrem mutmaßlichen Willen entsprechen.

Dies führt nun zur äußerst wichtigen Frage, ob sich ärztliche Maßnahmen bei Fehlen beider Hauptlegitimationen (Wohl und Einwilligung des Patienten) überhaupt rechtfertigen lassen. Oder anders formuliert, ob der Nutzen Dritter als alleinige Legitimation ärztlicher Maßnahmen fungieren kann.

Angesichts der ethischen Grundprinzipien ärztlichen Handelns und seiner wesentlichen rechtlichen Grundlagen ist man zunächst versucht, diese Frage kategorisch zu verneinen. Und doch gibt es Bereiche der Medizin, in denen Ärzte ausschließlich fremdnützig und ohne Einwilligung der Patienten handeln. Dies ist bei der Schwangerschaftsunterbrechung, bei bestimmten Maßnahmen zur Verbrechensaufklärung und bei bestimmten Aspekten der ärztlichen Betreuung öffentlich-rechtlich oder strafrechtlich in Krankenhäusern untergebrachter Patienten der Fall.

Zunächst zum Schwangerschaftsabbruch. Aus der Perspektive des ungeborenen Kindes stellt der Schwangerschaftsabbruch den Extremfall einer ausschließlich fremdnützigen medizinischen Handlung dar, die ihm nicht nur nicht nützt, sondern ihm durch seine Tötung offensichtlich schadet. Dies könnte nur dann erfolgreich bestritten werden, wenn man entweder das Ungeborene nicht als Menschen betrachten würde, dessen Wohl der Arzt verpflichtet ist, oder aber, wenn man in komplexer Weise einen Nutzen des Schwangerschaftsabbruches für das getötete Kind postulieren wollte. Letzteres wäre bestenfalls bei einem kleinen Teil der Schwangerschaftsunterbrechungen denkbar, wenn nämlich schwer geschädigte Feten getötet werden.Footnote 11 Beim überwiegenden Teil der Schwangerschaftsunterbrechungen kann jedenfalls von einem Nutzen für das zu tötende Ungeborene definitiv nicht die Rede sein.

Zu bestreiten, dass es sich beim Ungeborenen um einen Menschen handelt, dessen Wohl der Arzt verpflichtet ist, ist argumentativ schwierig. Zwar ist der moralische Status des Ungeborenen Gegenstand endloser Debatten, insbesondere, was den Beginn des Menschseins angehtFootnote 12. Jedenfalls nach deutschem Recht gelten aber für das Ungeborene ab der Nidation die Grundrechte, es ist erbfähig, es kann ein gesetzlicher Vertreter bestellt werden, und es ist sogar deliktsrechtlich vor vorgeburtlichen Schädigungen geschützt. Berufsrechtlich ist der Arzt dazu verpflichtet, grundsätzlich das ungeborene Leben zu erhalten, und tatsächlich werden Ungeborene ja sogar zu Patienten z. B. im Rahmen fetalchirurgischer Eingriffe. Es kann also kaum ein Zweifel daran bestehen, dass die berufsrechtliche Verpflichtung des Arztes, das Wohl seiner Patienten zu achten und die Interessen Dritter nicht darüber zu stellen, auch für das Ungeborene gilt.

Und doch verbietet die ärztliche Berufsordnung die Beteiligung an Schwangerschaftsunterbrechungen nicht. Trotz eines strafrechtlichen Verbots in § 218 StGB sind in § 218a Voraussetzungen einer Straflosigkeit formuliert, die bis zur 12. Schwangerschaftswoche faktisch eine Fristenregelung darstellen und danach immer dann greifen, wenn „der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.“ Faktisch führt diese Bestimmung zur straffreien Abtreibung lebensfähiger Feten, z. B. mit Trisomie 21, unabhängig von der zu erwartenden Schwere der geistigen oder körperlichen Behinderung, wenn die Schwangere das wünscht und vorträgt, dass sie sich durch ein solches Kind über Gebühr belastet fühlt.

Sowohl die berufsrechtlichen als auch die strafrechtlichen Bestimmungen zum ärztlichen Umgang mit dem Ungeboren sind offensichtlich in sich nicht stimmig und konsistent. Sie sind rein pragmatisch orientierte Lösungen eines komplexen moralischen Dilemmas, die nicht auf stringenten ethischen und rechtlichen Überlegungen basieren, sondern einen gesellschaftspolitischen Kompromiss darstellen, der in letzter Konsequenz rein fremdnützige ärztliche Eingriffe zum Nachteil Ungeborener ermöglicht.

Ohne Einwilligung des Betroffenen rechtlich zulässig sind auch diagnostische Maßnahmen zur Aufklärung strafrechtlicher Vorwürfe, die nach § 81a StPO richterlich oder von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden und auch mit unmittelbarem Zwang gegen den freien Willen des Betroffenen durchgesetzt werden könnenFootnote 13. Aus Sicht des Verfassers gibt es eine berufsrechtliche Legitimation für die Mitwirkung an solchen Maßnahmen nicht. Eine medizinethische Diskussion dazu scheint aber nicht stattzufinden.

Rechtlich zulässig ist unter bestimmten Bedingungen auch eine Freiheitsentziehung durch richterliche Unterbringung selbstbestimmungsfähiger Patienten in Krankenhäusern gegen ihren Willen zur Abwehr von Gefahren für Dritte. Grundlage kann das Infektionsschutzgesetz (§ 30 IfSG) sein oder aber die strafrechtliche (§§ 63,63 StGB) oder öffentlich-rechtliche Unterbringung von Menschen mit psychischen Erkrankungen (Unterbringungs- bzw. Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetze der Länder).

Bei solchen Maßnahmen handelt es sich um staatliche Akte der Freiheitsentziehung ähnlich der Haft, der Sicherungsverwahrung oder dem Polizeigewahrsam, von denen man zunächst annehmen könnte, sie bedürften keiner medizinethischen oder standesrechtlichen Legitimation. Da die infrage stehenden Akte der Freiheitsentziehung aber in ärztlich geleiteten Krankenhäusern stattfindet, Ärzte zumindest teilweise über die Fortführung der Freiheitsentziehung bestimmen, die Untergebrachten als Kranke gelten und zumindest auch zur Behandlung untergebracht werden, liegen die Dinge wesentlich komplizierter. Die entsprechenden Zusammenhänge werden im Folgendem am Beispiel der öffentlich-rechtlichen und strafrechtlichen Unterbringung von Menschen mit psychischen Erkrankungen untersucht; betreuungsrechtliche UnterbringungenFootnote 14 und solche nach dem IfSG bleiben dabei außer Betracht.

Falls der Zweck dieser Art von Unterbringungen die Abwehr von Gefahren für Rechtsgüter Dritter istFootnote 15, sollen diese, entsprechend dem gesetzlichen Auftrag, nicht nur durch Sicherungsmaßnahmen, sondern auch durch eine medizinische Behandlung der Betroffenen abgewendet werden. Beides, Sicherungsmaßnahmen und Behandlung, sind im Rahmen einer Unterbringung ärztliche Aufgaben und bedürfen deshalb auch beide nicht nur einer juristischen, sondern auch einer medizinethischen und standesrechtlichen Legitimation.

Die Abwehr von Gefahren für Dritte hat immer fremdnützigen Charakter. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die entsprechenden medizinischen Maßnahmen nicht auch dem Wohl des Patienten dienen, was für ihre medizinethische Legitimation von ganz erheblicher Bedeutung ist. Ein manisch erkrankter Patient, der im Rahmen einer krankheitsbedingten Selbstüberschätzung Regeln des Straßenverkehrs in einer Weise verletzt, die ihn und andere gesundheitlich gefährdet, ohne dass er die Gefährlichkeit seines Tuns einsehen oder nach dieser Einsicht handeln kann, hat offensichtlich ein genuines Eigeninteresse an Schutzmaßnahmen und an einer Behandlung. Aber auch dann, wenn ein solcher Patient aktuell nur andere gefährdet, indem er sich bewaffnet, um sich körperlich gegen Angreifer zu verteidigen, die erst durch seine paranoiden Überzeugung zu Angreifern werden, liegt der Schutz Dritter eben auch in seinem eigenen genuinen Interesse, welches ja aus Perspektive des Gesunden und selbstbestimmt-autonom handelnden Subjekts betrachtet werden muss und nicht aus der Perspektive des akut Kranken und Nichtselbstbestimmungsfähigen betrachtet werden darf. Wenn dieser Patient nichts anders vorausverfügt hat, oder es keine Hinweise auf einen konkreten anderslautenden mutmaßlichen Willen gibt, muss davon ausgegangen werden, dass er nicht nur ein persönliches Interesse daran hat, daran gehindert zu werden, andere Menschen anzugreifen, sondern dass dies auch sein mutmaßlicher Wille ist.

Das Vorliegen einer ausschließlichen akuten Gefährdung Dritter ist also nicht gleichbedeutend damit, dass Unterbringung, Schutzmaßnahmen und Behandlung ausschließlich fremdnützigen Charakter hätten. Dennoch existieren theoretisch und in der gelebten Wirklichkeit Situationen, in denen die Unterbringung, Sicherung und Behandlung eines Patienten in einem psychiatrischen Krankenhaus tatsächlich ausschließlich im Interesse Dritter erfolgen.

Eine solche Situation ist zunächst immer dann gegeben, wenn die fremdnützigen Maßnahmen gegen den frei bestimmten Willen des Patienten erfolgen. Hinsichtlich der Unterbringung selbst und zusätzlicher freiheitsentziehender Maßnahmen (z. B. Fixierungen) lassen nahezu alle Unterbringungsgesetze der Länder dies zu (Gerlinger et al. 2018)Footnote 16, wobei es keinerlei Statistik zur Frage gibt, wie häufig dies in der Praxis tatsächlich vorkommt. Auch die strafrechtliche Unterbringung in einer forensischen Klinik nimmt auf den freien Willen des Patienten keine Rücksicht. Ihre Voraussetzungen stellen allein auf die Selbstbestimmungsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat ab, also auf die Schuldfähigkeit.

Anders sieht es – zumindest seit wegweisenden Urteilen des BVerfG im Jahre 2011Footnote 17 – bezüglich der Behandlung aus. Sie darf nach aktueller Rechtsauffassung und Gesetzeslage sowohl in der öffentlich-rechtlichen als auch in der strafrechtlichen Unterbringung nicht gegen den freien Willen des Betroffenen durchgeführt werden, sondern bedarf – wie sonst überall in der Medizin – seines informierten Einverständnisses und ist im (alleinigen) Interesse Dritter ohne oder gegen den natürlichen Willen des nichtselbstbestimmungsfähigen Patienten nicht zulässig. Allerdings sehen einige Maßregelvollzugsgesetze und Unterbringungsgesetze die Möglichkeit vor, Patienten zur Abwehr von akuten Gefahren für Dritte auch dann, wenn sie selbstbestimmungsfähig sind, gegen ihren Willen Medikamente zuzuführen. Solche Maßnahmen dienen der akuten Abwehr von Gefahren für Dritte in der Einrichtung und nicht einer Behandlung im eigentlichen Sinn.Footnote 18

Diese neue Rechtslage, die der zunehmend zentralen Bedeutung der Selbstbestimmung des Patienten im Behandlungsprozess Rechnung trägt, offenbart in aller Schärfe ein prinzipiell schon zuvor bestehendes Legitimationsdilemma jeder Freiheitsentziehung in ärztlicher Verantwortung: Die Unterbringung zur Abwehr von Gefahren für Dritte an sich, sei es der Polizeigewahrsam, die Sicherheitsverwahrung oder die Unterbringung, egal, ob auf öffentlich-rechtlicher oder strafrechtlicher Grundlage, ist ihrer Natur nach völlig unabhängig vom Willen des Patienten, so wie die Strafhaft auch. Eine ärztliche Behandlung hingegen kann dies – zumindest aus berufsrechtlicher und medizinethischer Sicht – aber niemals sein. Erfolgt nun eine zwangsweise Unterbringung, die neben der rein auf Dritte bezogenen Gefahrenabwehr auch der Behandlung dienen soll, so läuft diese bezüglich des Behandlungszweckes ohne Legitimation durch das Wohl des Patienten und seinen Willen ins Leere. Aus ärztlicher und medizinethischer Sicht ist die Unterbringung in einem Krankenhaus aber nur dann zu rechtfertigen und dem Betreffenden zuzumuten, wenn dort auch eine Behandlung stattfinden kann. Ist dies faktisch oder rechtlich nicht möglich, bleibt der aufnehmenden Einrichtung – hier dem Krankenhaus – nur ein Vollzug der Sicherungsmaßnahmen und deren Überwachung.

Schon dann, wenn eine Behandlung untergebrachter Patienten möglich ist, entstehen immer wieder Zielkonflikte zwischen den Erfordernissen der Gefahrenabwehr und denen der Behandlung, die berufsrechtlich problematisch, aber mitunter schlicht unvermeidlich sind. Ist aber eine Behandlung faktisch oder rechtlich unmöglich, dann sind der Aufenthalt eines Patienten in einem Krankenhaus und eine Freiheitsentziehung unter ärztlicher Aufsicht schlicht sinnlos und mit den ethischen Grundlagen medizinischen Handelns nicht vereinbar. Dem Verfasser erscheint eine solche Krankenhausunterbringung auch mit der UN-Behindertenrechtskonvention unvereinbar, welche in Art. 14 eine Freiheitsentziehung aufgrund einer Behinderung (und damit auch aufgrund einer psychischen Erkrankung) untersagt. Denn ohne den zusätzlich qualifizierenden Tatbestand einer Behandlung würde die Unterbringung eines vermeintlich gefährlichen Menschen mit einer psychischen Erkrankung im Krankenhaus (anstatt in einer Einrichtung, in der auch gesunde gefährliche Menschen untergebracht werden) alleine aufgrund der Erkrankung erfolgen.

Die Umsetzung dieser Überlegungen in die rechtliche und faktische Praxis würde dazu führen, dass nur noch solche Patienten in einem Krankenhaus untergebracht würden, die einer dortigen Unterbringung und Behandlung freiwillig zustimmen, oder, falls diese Patienten bezüglich einer Behandlung nicht selbstbestimmungsfähig sind, deren vorausverfügter oder mutmaßlicher Wille einer Behandlung nicht entgegensteht. Andere Patienten könnten hingegen nicht in ärztlich geleiteten Einrichtungen untergebracht werden, obwohl sie psychisch krank und aufgrund dieser Erkrankung für andere gefährlich wären. Ein Teil dieser Patienten könnte sogar trotz faktisch verfügbarer effektiver Behandlungsmöglichkeiten nicht in einem Krankenhaus untergebracht werden, weil eine Behandlung gegen ihren freien oder vorausverfügten Willen nicht durchführbar ist.

Diese Menschen müssten dann grundsätzlich in denselben nichtärztlich geleitenden Einrichtungen untergebracht werden wie andere, die zum Schutz Dritter untergebracht, aber nicht (psychisch) krank sind. Dies soll nicht bedeuten, dass diese Menschen dort nicht medizinisch versorgt oder dass ihnen keine weiteren medizinischen Versorgungsangebote gemacht werden sollten. Diese Angebote wären aber strukturell und inhaltlich von der eigentlichen freiheitsentziehenden Unterbringung getrennt. Alle die Unterbringung und ihre Ausgestaltung betreffenden Entscheidungen lägen dann nicht in ärztlicher Hand.

Außerhalb des Fokus der Überlegungen dieses Artikels liegt der Umstand, dass bei der Unterbringung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in psychiatrischen Krankenhäusern die Eingriffsschwellen tiefer liegen als bei anderen Präventivmaßnahmen, insbesondere tiefer als bei der Sicherungsverwahrung, und dass andere Zeithorizonte und Überprüfungsmechanismen gelten. Es sei deshalb hier nur am Rande darauf hingewiesen, dass sich solche Unterschiede nicht medizinisch rechtfertigen lassen, weshalb sich wiederum die Frage der Konformität solcher Unterschiede mit der United Nations Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und grundgesetzlichen Normen stellt.

Die fremdnützige Unterbringung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in allgemeinpsychiatrischen oder forensischen Kliniken wird häufig mit einer sog. Doppel- oder ordnungspolitischen Funktion der Psychiatrie gerechtfertigt, die aber keineswegs unumstritten ist (Pollmächer 2013, 2016; Steinert 2013). Dabei bezieht sich die Kritik an dieser ordnungspolitischen Funktion nicht darauf, dass die Unterbringung auch Dritte vor Gefahren schützt, sondern darauf, dass sie dies unter bestimmten Umständen eben ausschließlich tut, ohne Rücksicht auf den Willen des Patienten und selbst ohne Behandlungsmöglichkeiten. Der Wunsch, psychiatrische Krankenhäuser ausschließlich für ordnungspolitische Zwecke zu nutzen, wird am deutlichsten im sog. Therapieunterbringungsgesetz (ThUG), welches – glücklicherweise kaum angewendet – die Unterbringung selbstbestimmungsfähiger gefährlicher Straftäter in psychiatrischen Kliniken ermöglicht, wenn eine Sicherungsverwahrung nicht mehr möglich ist, selbst dann, wenn diese Menschen keine abgrenzbare psychische Erkrankung haben, selbstbestimmungsfähig sind und keine Therapiemöglichkeit besteht.Footnote 19

Zusammenfassend erscheint die fremdnützige Unterbringung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in psychiatrischen Krankenhäusern gegen ihren Willen problematisch, wenn nicht sogar illegitim, falls dort eine Behandlung nicht durchgeführt werden kann. Dabei ist es unerheblich, ob der freie, vorausverfügte oder mutmaßliche Wille des Betroffenen die Behandlung unmöglich macht, oder aber, ob es Behandlungsmöglichkeiten gar nicht gibt. Es scheint darüber hinaus fragwürdig, ob die Umsetzung von ausschließlich fremdnützigen Sicherungsmaßnahmen, die keinem Behandlungszweck dienen, durch Ärzte berufsethisch und berufsrechtlich zu rechtfertigen ist.

Resümee und Ausblick

Fremdnütziges medizinisches Handeln kommt in vielerlei Kontexten vor, unabhängig vom medizinischen Fachgebiet und sowohl in der klinischen Versorgung als auch in der klinischen Forschung am Menschen. Es kann grundsätzlich legitimer Teil des ärztlichen Handlungsspektrums sein, insbesondere dann, wenn es auch durch den Willen des Patienten und dessen Wohl legitimiert ist. Fraglich ist aber, ob Interessen Dritter alleine genügen können, um ärztliches Handeln zu legitimieren. Berufsethisch und -rechtlich ist dies höchst fraglich, und doch kommt es praktisch in erheblichem Umfang vor. Ein prominentes Beispiel ist der Schwangerschaftsabbruch, für den juristisch und moralisch praktikable, aber letztlich in sich nicht stimmige und konsistente Legitimationslösungen bestehen, die rein gesellschaftspolitische Kompromisse darstellen. Ein zweiter Bereich von großer klinischer Relevanz ist die öffentlich-rechtliche bzw. strafrechtliche Unterbringung und Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in psychiatrischen und forensischen Kliniken, die häufig – aber keineswegs immer – im ausschließlichen Interesse Dritter erfolgt. Sowohl die Zentrale Ethikkommission der Deutschen Ärzteschaft (2013) als auch der Deutsche Ethikrat (2018) haben ärztlichen Zwangsmaßnahmen sehr enge moralische Grenzen gesetzt und schließen eine Behandlung gegen den freien Willen des Patienten kategorisch aus. Während der Deutsche Ethikrat sich explizit mit dem Problem fremdnützigen Zwangs erst gar nicht beschäftigt, weist die Zentrale Ethikkommission darauf hin, dass die Gefahr fremdschädigenden Verhaltens alleine keine Zwangsbehandlung rechtfertigt. Auch die Zentrale Ethikkommission nimmt aber nicht zu der Frage Stellung, ob eine zwangsweise Unterbringung in ärztlich geleiteten Einrichtungen dann überhaupt sinnvoll und zu rechtfertigen ist, wenn dort bestenfalls durch Sicherungsmaßnahmen gewalttätige Übergriffe verhindert werden können, aber eine Behandlung nicht möglich ist. Es scheint also, dass die Diskussion dieser Problematik erst am Anfang steht und ihr Ergebnis möglicherweise zu erheblichen Veränderungen der klinischen Praxis in der Psychiatrie und des Selbstverständnisses der Psychiatrie als medizinischem Fach führen wird.