1 Einleitung

Hohe Hochschulabsolventenzahlen gelten angesichts einer zunehmenden Bedeutung wissensintensiver Berufe und steigender Bedarfe an hochqualifizierten Fachkräften als der Schlüssel zur Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft (Europäische Kommission 2014). Folgt man dieser Einschätzung, sollte nicht nur gewährleistet sein, dass breite Teile der Bevölkerung Zugang zu hochschulischer Bildung haben. Darüber hinaus müsste sichergestellt werden, dass möglichst viele Studierende ihr begonnenes Studium mit einem Abschluss beenden (Wissenschaftsrat 2015). Entsprechend stellt die Sicherung des Studienerfolgs unter Einhaltung hoher akademischer Standards ein zentrales Ziel des Hochschulsystems dar. Durch die Berücksichtigung des Studienerfolgs bei Maßnahmen des Qualitätspakts Lehre, bei der (Re‑)Akkreditierung von Studiengängen, ebenso wie bei der leistungsorientierten Mittelvergabe an Hochschulen, hat das Thema Studienabbruch in den letzten Jahren zusätzlich an Bedeutung gewonnen (Hochschulrektorenkonferenz 2010; Altfeld et al. 2016).

In der Literatur werden unter dem Begriff Studienabbruch zum Teil unterschiedliche Phänomene verstanden, wie ein Hochschul- oder Fachwechsel, eine Studienunterbrechung oder der finale Abbruch des Erst- oder Aufbaustudiums (vgl. Schröder-Gronostay 1999). Wird die englischsprachige Literatur rezipiert, entsteht zusätzliche Verwirrung, da hier eine Vielzahl an Begrifflichkeiten – oftmals synonym – verwendet wird (Schröder-Gronostay 1999). Die geläufigsten lauten Dropout, Stopout, Retention, Non-completion, Opt-out, Persistence, Student Departure, Withdrawal und Attrition. Nach der in Deutschland gängigsten, vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) verwendeten Definition sind unter Studienabbrecher/innen „ehemalige Studierende zu verstehen, die zwar durch Immatrikulation ein Erststudium an einer deutschen Hochschule aufgenommen haben, dann aber das Hochschulsystem ohne (ersten) Abschluss verlassen“ (Heublein und Schmelzer 2018, S. 1). Gemeint sind damit Abbrüche in Bachelorstudiengängen und in den noch existierenden Staatsexamens- und Diplomstudiengängen. Hinzu kommen Personen, die ein konsekutives Masterstudium ohne Abschluss beenden, auch wenn diese bereits über einen Bachelorabschluss verfügen. Die Studienabbruchquote bezeichnet entsprechend den Anteil der Studienanfänger/innen eines Jahrgangs, der entweder ein Erst- oder ein Masterstudium ohne Abschluss verlässt (Heublein und Schmelzer 2018, S. 23). Nicht in die Kategorie Studienabbruch fallen nach der Definition Personen, die

  • ein anderes Zweitstudium in Form von Aufbau‑, Zusatz- oder Ergänzungsstudien abbrechen, da sie bereits über einen ersten Hochschulabschluss verfügen;

  • ihr Studium nach einer gewissen Zeit der Unterbrechung wiederaufnehmen oder

  • das Studienfach oder die Hochschule wechseln.

Dieser Beitrag liefert einen Überblick über den Forschungsstand zu den vier zentralen Fragen, die in Deutschland seit den 1960er Jahren (im Überblick: Engert 1977) Gegenstand wissenschaftlicher Studienabbruchforschung sind:

  1. 1.

    Wie hoch ist die Studienabbruchquote?

  2. 2.

    Was sind die wesentlichen Ursachen für einen Studienabbruch?

  3. 3.

    Was sind die Folgen eines Studienabbruchs?

  4. 4.

    Wie können Studienabbrüche verhindert werden?

Bisherige Übersichtsartikel zur Studienabbruchthematik legen den Schwerpunkt auf Fragen nach Ausmaß und Ursachen von Studienabbrüchen (vgl. Schröder-Gronostay 1999; Blüthmann et al. 2008; Sarcletti und Müller 2011; Heublein und Wolter 2011). Wir ergänzen diese Beiträge durch eine erweiterte Darstellung zu den Folgen von Studienabbrüchen, ebenso wie zu Präventionsmaßnahmen, die auch in der Forschung insgesamt bislang weniger Aufmerksamkeit erfahren haben. Zudem bringen wir die Darstellung zu Ausmaß und Ursachen „auf den aktuellen Stand“. So einfach die vier aufgeworfenen Fragen auf den ersten Blick erscheinen mögen, so schwierig ist deren Beantwortung. Wir beginnen diesen Beitrag daher mit einem Abschnitt zu den zentralen methodischen Herausforderungen der Studienabbruchforschung, bevor wir versuchen, die bisherige Befundlage zu den vier Fragen zu sortieren. Angesichts der Fülle an Studien legen wir den Fokus auf Deutschland und berichten internationale Befunde nur dort, wo sie für die Einordnung der deutschen Spezifika hilfreich sind, bzw. wo Ergebnisse aus Deutschland schlichtweg fehlen. Die zu Deutschland vorliegenden Befunde konzentrieren sich dabei auf das Studium an staatlichen Universitäten und Fachhochschulen, für andere Hochschularten existieren nur wenige Erkenntnisse. Der Beitrag schließt mit einem Ausblick auf zukünftige Forschungsbedarfe.

2 Herausforderungen der Studienabbruchforschung

Wie Schröder-Gronostay (1999) bereits vor 20 Jahren konstatierte, ist die Befundlage zu allen vier Fragen vielfältig und zum Teil widersprüchlich, angesichts zahlreicher methodischer Herausforderungen. Dieses Fazit gilt mit wenigen Einschränkungen bis heute.

2.1 Herausforderungen bei der Ermittlung der Studienabbruchquote

Für die Ermittlung von Studienabbruchquoten wäre es ideal, wenn bundesweit für alle Studierenden individuelle Studienverläufe auch über Hochschulstandorte hinweg erfasst würden, so dass berechnet werden kann, wie viele davon mit und ohne Abschluss beendet werden. In Deutschland existieren zur Ermittlung der Studienabbruchquote verschiedene Verfahren, von denen keines dieser Anforderung hinreichend gerecht wird. Die Verfahren kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen und führen damit zu Orientierungsunsicherheiten.

Neben hochschulspezifischen Erfolgsquotenberechnungen, bei denen verschiedene Formen der Fluktuation (z. B. Studienabbruch und Hochschulwechsel) empirisch kaum voneinander getrennt werden können (Klöpping et al. 2017), weist das DZHW regelmäßig Studienabbruchquoten aus. Das DZHW verwendet dabei ein elaboriertes Kohortenvergleichsverfahren auf Basis der amtlichen Statistik (Heublein et al. 2012, S. 55 ff.).Footnote 1 Für die letzten Jahre liegen die DZHW-Schätzungen der Studienabbruchquote für deutsche Studienanfänger im Bachelorstudium bei 28 % (Heublein und Schmelzer 2018, S. 5).

Ein ebenfalls hoch entwickelter Ansatz wird vom Statistischen Bundesamt gewählt, das als Ausgangspunkt eine Studienanfängerkohorte heranzieht, deren Studienverlauf anonymisiert verfolgt wird.Footnote 2 Aus diesem Ansatz ergeben sich für die Bachelorkohorten der letzten Jahre Abbruchquoten von 14–21 % (Statistisches Bundesamt 2019, S. 11). Die Gründe für diese anhaltende Differenz sind vielfältig, denn die Verfahren von DZHW und Statistischem Bundesamt unterscheiden sich in ihrer Methodik, hinzu kommt eine unterschiedliche Definition der Analysegrundgesamtheit (z. B. der Ausschluss der Fernuniversität Hagen beim DZHW-Verfahren).

Eine weitere Berechnungsmethode greift auf retrospektive Lebensverlaufsdaten aus der Erwachsenenkohorte des Nationalen Bildungspanels (NEPS) oder dem Programme for the International Assessment of Adult Competencies (PIAAC) zurück. Von den darin enthaltenen Geburtskohorten der 1940er bis 1980er Jahre berichten nur 14–15 % der jemals immatrikulierten Personen, das Hochschulsystem endgültig ohne Abschluss verlassen zu haben (Tieben 2016; Schnepf 2017). Ob diese niedrigeren Quoten alleine darauf zurückzuführen sind, dass es sich um ältere Jahrgänge handelt, ist unklar. Weitere Gründe könnten eine adäquatere Berücksichtigung von Studienunterbrechungen, ebenso wie sozial erwünschtes Antwortverhalten der Befragten sein.

Schließlich können Studienabbruchquoten auf Basis längsschnittlicher Surveydaten geschätzt werden, wie sie im Rahmen der Studierendenkohorte des NEPS für die Studienanfängerkohorte 2010/11 erhoben werden (Isphording und Wozny 2018). Bei diesem Vorgehen kommt zum Problem der Studienunterbrechungen, die aufgrund des (noch) kurzen Beobachtungsfensters nicht hinreichend erfasst werden können, noch ein weiteres hinzu: Studienabbrecher/innen nach dem Verlassen der Hochschule zu erreichen bzw. zur Befragungsteilnahme zu motivieren, gestaltet sich als schwierig. Es ist davon auszugehen, dass die hohe Panelmortalität unter den Studienabbrecher/innen im NEPS zu Quotenschätzungen im einstelligen Prozentbereich führt.

Angesichts der skizzierten Heterogenität erscheint die Interpretation der absoluten Höhe von Studienabbruchquoten nur begrenzt zweckmäßig (vgl. Klein und Stocké 2016). Sinnvoller ist der Vergleich unterschiedlicher Gruppen (z. B. separiert nach Studienfach oder Jahrgang) basierend auf dem gleichen Verfahren, um grundsätzliche Muster und Gruppenunterschiede aufzuzeigen.

Mit der Einführung einer Studienverlaufsstatistik, die im Zuge der Novellierung des Hochschulstatistikgesetzes im Jahr 2016 beschlossen wurde (Deutscher Bundestag 2016), wird sich die Situation zukünftig verbessern. Die Statistik ermöglicht die eindeutige Identifizierung von Studierenden, deren individuelle Studienverläufe auch über Hochschulstandorte hinweg nachvollzogen werden können.Footnote 3 Auch wenn sich dann einige neue statistische Herausforderungen stellen, z. B. hinsichtlich des Umgangs mit Langzeitstudierenden, bedarf es zur Berechnung des Studienabbruchs keiner statistischen Schätzverfahren mehr, wie sie aktuell zum Einsatz kommen.

2.2 Herausforderungen bei der Ermittlung von Abbruchursachen

Bisherige Erkenntnisse zu den Ursachen von Studienabbrüchen basieren auf unterschiedlichen Studiendesigns, die mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert sind. Einige Studien konzentrieren sich auf einzelne Hochschulen oder Fächer, was Fragen nach der Generalisierbarkeit der Befunde aufwirft (z. B. Schiefele et al. 2007). Deutschlandweite Erhebungen wiederum sind häufig als Querschnittsstudien angelegt, in denen Ursachen retrospektiv nach dem erfolgten Studienabbruch erfasst werden (z. B. Heublein et al. 2017). In der Folge kann es zu Erinnerungslücken und nachträglichen Rationalisierungen kommen. Beispielsweise ist vorstellbar, dass Studienabbrüche aufgrund von Leistungsschwierigkeiten im Rückblick seltener berichtet werden. Andere Querschnittsstudien, die auf Selbstberichten von Studierenden basieren, erfassen potentielle Ursachen zu einem Zeitpunkt, zu dem lediglich die Abbruchintention beobachtet werden kann (z. B. Klein 2019). Inwiefern die geäußerte Intention mit dem späteren Verhalten korrespondiert, ist nicht abschließend geklärt. Besser geeignet erscheinen repräsentative Längsschnittstudien mit Studienberechtigten oder Studienanfänger/innen, mit denen die Bildungswege bis zum Abbruch und darüber hinaus beobachtet werden können (z. B. Isphording und Wozny 2018). Solche Studien ermöglichen eine bessere Kontrolle der vielfältigen Einflussfaktoren auf individuelle Studienverläufe und die Analyse der kausalen Wirkrichtungen. Allerdings zeigt sich das bereits oben erwähnte Problem der Panelmortalität, die bei Studienabbrecher/innen stärker ausgeprägt sein dürfte als bei anderen Studierenden.

2.3 Herausforderungen bei der Ermittlung von Abbruchfolgen

In Deutschland basieren die vorliegenden Erkenntnisse zu Abbruchfolgen in erster Linie auf den vom DZHW (ehemals HIS) bundesweit durchgeführten Exmatrikuliertenbefragungen, in denen für einzelne Jahrgänge Analysen zum weiteren Werdegang der Abbrecher/innen angefertigt wurden (z. B. Heublein et al. 2017). Zudem existieren einige ähnlich angelegte Befragungen einzelner Hochschulen (z. B. Koch 2003) und eine vereinzelte Längsschnitterhebung des Abiturentlassjahrgangs 1976 (Stegmann und Kraft 1988). Die DZHW-Befragungen waren in der Vergangenheit als Querschnittserhebung rund sechs Monate nach Exmatrikulation angelegt, entsprechend war das Beobachtungsfenster zu kurz für längerfristige Folgebeschreibungen. Hinzu kommt, dass nur für einzelne Jahrgänge Vergleichsgruppen von Absolvent/innen oder ‚niemals Eingeschriebenen‘ befragt wurden, entsprechend eingeschränkt waren die Möglichkeiten der Folgeabschätzung. Diese Situation hat sich in jüngster Zeit verbessert. Für Exmatrikulierte des Sommersemesters 2014 liegt eine Wiederholungsbefragung nach zweieinhalb Jahren vor, in der auch Absolvent/innen enthalten sind (Heublein et al. 2019). Zur Analyse der über diesen Zeitraum hinausreichenden Berufs- und Lebensverläufe existieren zudem erste Analysen auf Basis der Erwachsenenkohorte des NEPS (Tieben 2016; Scholten und Tieben 2017) sowie der PIAAC-Daten (Schnepf 2017). Zwar wurde in diesen Befragungen das Thema Studienabbruch weniger ausführlich erhoben als in den DZHW-Studien und die Fallzahlen der Studienabbrecher/innen sind geringer, doch lassen sich damit einigermaßen belastbare Aussagen zu den langfristigen Karriereverläufen dieser Personengruppe treffen. Dies gilt allerdings nur, wenn man verschiedene ältere Geburtskohorten zusammenzieht, wodurch mögliche Unterschiede über die Zeit verdeckt werden. Für die Folgen wie auch schon für die Ursachen basieren existierende Analysen zumeist auf korrelativen Zusammenhangsbeschreibungen, was kausale Zuschreibungen im Grunde ausschließt. Beispielsweise können individuelle motivationale Merkmale sowohl den Studienabbruch als auch den späteren Berufserfolg beeinflussen. Ohne statistische Kontrolle dieser und anderer Drittvariablen bleiben unsere Erkenntnisse zu den kausalen Folgen eines Studienabbruchs begrenzt.

2.4 Herausforderungen bei der Ermittlung effektiver Präventionsmaßnahmen

An deutschen Hochschulen sind in den letzten Jahren eine Vielzahl an Aktivitäten zu beobachten, die der Sicherung des Studienerfolgs dienen sollen (vgl. Falk et al. 2018). Dazu zählen zum Beispiel Informationsangebote, Beratungsleistungen, Mentoringprogramme oder Vorbereitungskurse. Allerdings gibt es bislang kaum belastbare Erkenntnisse zu deren Wirksamkeit, da Evaluationen nur selten dem Problem der Selbstselektion durch randomisierte Kontrollstudien oder quasi-experimentelle Untersuchungen begegnen.

Die genannten Problemlagen sind bei der Einordnung der Befunde, die wir im Folgenden darstellen, zu berücksichtigen.

3 Ausmaß des Studienabbruchs

Mit dem in Abschn. 2.1 erwähnten DZHW-Verfahren wurden seit dem Absolventenjahrgang 2000 regelmäßig alle zwei Jahre Studienabbruchquoten ermittelt. Es handelt sich damit um das in Deutschland am weitesten verbreitete Verfahren, weshalb wir uns im Folgenden darauf fokussieren.

Die aktuellsten Werte beziehen sich auf den Absolventenjahrgang 2016 (Heublein und Schmelzer 2018). Aufgrund der unterschiedlichen Studiendauer werden nach Abschlussarten differenzierte Quoten ermittelt. Für deutsche Studierende im Bachelorstudium beträgt die Studienabbruchquote 28 %, bezogen vorrangig auf die Studienanfänger/innen 2012 und 2013, an Universitäten 32 %, an Fachhochschulen 25 %. Die Quote im Masterstudium liegt für die deutschen Studienanfänger/innen 2014 bei 19 %, sowohl an Universitäten als auch an Fachhochschulen. Während sich die Studienabbruchquote im Bachelorstudium seit den Bachelor-Studienanfänger/innen 2006/2007 kaum verändert hat, ist es im Masterstudium seit den Master-Studienanfänger/innen 2010 zu einer Verdopplung des Studienabbruchs gekommen.

3.1 Unterschiede nach Fächergruppen

An den deutschen Hochschulen bestehen beim Studienabbruch deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Fächergruppen. An den Universitäten sind für deutsche Studierende im Bachelorstudium überdurchschnittliche Quoten in naturwissenschaftlichen Disziplinen wie Mathematik (54 %), Chemie (45 %), Physik (45 %) und Informatik (46 %) zu verzeichnen (Heublein und Schmelzer 2018, S. 5 ff.). Auch in Elektrotechnik (44 %) und Bauingenieurwesen (42 %) fällt der Studienabbruch vergleichsweise hoch aus. Demgegenüber liegen diese Werte für die Pädagogik (12 %), Psychologie (7 %) oder Architektur (8 %) deutlich unter dem universitären Durchschnitt. Auch Bachelorstudiengänge für das Lehramt weisen niedrige Quoten auf (15 %), vergleichbar mit dem Staatsexamen Lehramt (14 %). Die beiden anderen Studiengänge des Staatsexamens verzeichnen Quoten von 6 % (Humanmedizin) und 28 % (Jura). Solche disparaten Verhältnisse zeigen sich ebenfalls an den Fachhochschulen. Überdurchschnittliche Studienabbruchquoten sind hier in Mathematik und Naturwissenschaften (34 %), in Ingenieurwissenschaften (34 %) und in Rechtswissenschaften (35 %) zu registrieren. Unterdurchschnittliche Quoten finden sich dagegen in Sozialwissenschaften (7 %) und in Wirtschaftswissenschaften (20 %).

3.2 Zeitpunkt des Abbruchs

Im Durchschnitt erfolgt ein Studienabbruch im Bachelorstudium nach 3,8 Fachsemestern (Heublein et al. 2017). 47 % der Studienabbrecher/innen beenden dabei ihr Studium schon in den ersten beiden Fachsemestern, bei 13 % dauert dies aber sieben Semester und länger. In den Studiengängen des Staatsexamens liegt der durchschnittliche Zeitpunkt des Studienabbruchs bei 7,6 Fachsemestern. Nur 27 % der Studienabbrecher/innen exmatrikulieren sich innerhalb der ersten beiden Semester, 44 % brauchen dafür länger als sechs Semester. Dabei liegen keine Erkenntnisse vor, in welchem Maße die Dauer des Studienverbleibs bis zur vorzeitigen Exmatrikulation durch Park- und Pro-forma-Studium beeinflusst wird.

3.3 Internationaler Vergleich

Es gibt keine aktuellen internationalen Vergleichswerte zum Studienabbruch, da sich die Berechnungsverfahren zwischen den Ländern stark unterscheiden (vgl. Hovdhaugen et al. 2015). Der bislang letzte Versuch einer internationalen Messung mit einem gemeinsamen Kohortenvergleichsverfahren stammt aus dem Jahr 2007. Bei einem Durchschnittswert für alle OECD-Länder von 29 % in grundständigen Studiengängen zeigen sich zwischen den verschiedenen Ländern beträchtliche Differenzen: Sie reichen von unterdurchschnittlichen Studienabbruchquoten von 9 % bzw. 17 % für Japan und Südkorea bis zu 46 % für USA und Neuseeland. Der Wert für Deutschland liegt mit 27 % nahe dem Durchschnitt (OECD 2007, S. 72). Noch bis 2013 wurden solche internationalen Vergleichswerte von der OECD veröffentlicht, allerdings konnten die beteiligten Länder ab 2008 das Messverfahren frei wählen (vgl. OECD 2013, S. 71 ff.). Die bis dahin geltenden Tendenzen – niedrige Abbruchquoten für bestimmte ostasiatische Länder und Großbritannien, relativ hohe Werte für die USA, Neuseeland, aber auch Schweden – blieben dennoch erhalten. Auch der Durchschnittswert für die OECD-Länder erfährt in diesem Zeitraum kaum Änderungen, er liegt über alle Jahre bei rund 30 %.

4 Ursachen des Studienabbruchs

Die Bewertung des Studienabbruchs, vor allem hinsichtlich seiner Vermeidbarkeit, kann nicht auf Basis einer Quote getroffen werden, sondern nur in Kenntnis der Bedingungsfaktoren. Hierzu existiert inzwischen eine kaum noch zu überschauende Vielzahl von Studien, national (im Überblick: Schröder und Daniel 1998; Müller und Sarcletti 2011) und insbesondere international (im Überblick: Kuh et al. 2006; Larsen et al. 2013). Im Folgenden beschränken wir uns angesichts dieser Fülle auf die Benennung der vier wesentlichen theoretischen Zugänge, bevor wir den Forschungsstand zu den in Deutschland häufig diskutierten Ursachen zusammenfassen. Dabei beschränken wir uns auf jüngere Beiträge, die die aktuelle Situation im Hochschulbereich beschreiben und in den genannten Überblicksartikeln noch nicht enthalten sein konnten. Zudem schließen wir Studien aus, die lediglich eine Abbruchintention messen und berichten Befunde nur, wenn sich diese auch in multivariaten Modellen unter Kontrolle zentraler Drittvariablen zeigen (z. B. des Studienfachs und der Hochschulart).

4.1 Theoretische Zugänge

Eine der prominentesten Theorien ist Tintos (1975) „Student Integration Model“, das wiederum auf den Arbeiten von Spady (1970) aufbaut. Demnach erhöht sich das Studienabbruchrisiko, je weniger sich die Studierenden sozial und akademisch an der Hochschule integriert haben. Soziale Integration meint dabei das Einbezogensein in die kommunikativen Strukturen der Studierenden und Lehrenden, während unter akademischer Integration vor allem Studienleistungen und Lernfortschritte, aber auch die gesamte persönliche Entwicklung der Studierenden gefasst wird. Beide Integrationsformen fördern die Verpflichtung der Studierenden gegenüber der eigenen Hochschule und ihr Bemühen, das Studium erfolgreich abzuschließen. Der Integrationsprozess ist u. a. vom familiären Hintergrund sowie von individuelle Eigenschaften und Leistungsdispositionen abhängig.

Andere Studien rekurrieren auf Bourdieus Habitustheorie und postulieren, dass eine Abbruchgefährdung entsteht, wenn keine Passung zwischen dem herkunftsspezifischen Habitus der Studierenden und dem an der Hochschule geforderten akademischen Habitus gegeben ist (z. B. Thomas 2002). Studierende, die sich mit den kulturellen Codes der akademischen Bildung schon in der Studienvorphase vertraut machen konnten, sind deshalb bevorteilt. Sie entstammen in der Regel akademisch gebildeten Schichten und verfügen durch entsprechende familiäre Prägungen über jene Denk- und Handlungsweisen, die den Erwerb eines akademischen Habitus maßgeblich erleichtern.

„Rational Choice“-Ansätze begreifen den Studienabbruch als Resultat eines Abwägungsprozesses, wobei Erfolgserwartungen, Kosten und Erträge verschiedener Entscheidungsalternativen bedacht werden (z. B. Beekhoven et al. 2002). Ein Abbruch erfolgt dann, wenn er subjektiv mehr Nutzen erzeugt als andere Alternativen (z. B. der Verbleib). In den Entscheidungsprozess fließen u. a. konkrete Studienbedingungen, finanzielle Kosten und antizipierte Arbeitsmarktchancen mit ein (vgl. Sarcletti und Müller 2011). Studierende berücksichtigen im Rational Choice Paradigma zudem, ob ihre Entscheidung für einen Abbruch zu einem intergenerationalen sozialen Statusverlust führen würde. Die Sorge, den elterlichen Berufsstatus nicht reproduzieren zu können, stellt für Studierende aus statushöheren Familien einen zusätzlichen Anreiz dar, das Studium fortzusetzen.

Psychologische Beiträge betonen die theoretische Bedeutung verschiedener kognitiver, persönlichkeitsbezogener oder motivationaler Merkmale und Ressourcen, die auf ein gelingendes Studium Einfluss nehmen (Bean und Eaton 2000; Heinze 2018). Dazu zählen unter anderem die allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit, Dimensionen des Big Five Persönlichkeitsmodells oder die akademische Selbstwirksamkeit.

Ein allgemein anerkanntes Erklärungsmodell des Studienabbruchs existiert bislang nicht. Allerdings mehren sich die Versuche, die verschiedenen theoretischen Konzepte in ein Gesamtmodell zu integrieren (Kuh et al. 2006; Blüthmann et al. 2008; Heublein et al. 2017). Dabei wird der Studienabbruch als ein komplexer, multikausaler Prozess verstanden. Er resultiert aus misslingender Passung zwischen individuellen Studienvoraussetzungen und dem darauf aufbauenden individuellen Studienverhalten einerseits sowie den institutionellen Anforderungen und Bedingungen andererseits. Noch mangelt es jedoch an Analysen, die ein Gesamtmodell empirisch und im Längsschnitt modellieren, um die postulierten Zusammenhänge zu prüfen und Aussagen zur relativen Erklärungskraft der einzelnen Faktoren zu treffen (dazu ausführlicher Isleib et al. 2019 (in diesem Heft)).

4.2 Einflussfaktoren aus empirischer Sicht

Trotz unterschiedlicher theoretischer Perspektiven überschneiden sich die dort jeweils diskutierten Einflussfaktoren, was bei einer theoriegeleiteten Darstellung der empirischen Befunde zu Redundanzen führen würde (z. B. hinsichtlich der sozialen Herkunft). Unsere Darstellung unterscheidet deshalb zwischen Merkmalen, die Studienanfänger/innen aus der Studienvorphase mitbringen, sowie internen und externen Faktoren, die während des Studiums „wirksam werden“.

Studierende mit bestimmten Eingangsmerkmalen haben eine höhere Abbruchgefährdung. Dies trifft insbesondere auf Studierende mit Migrationshintergrund zu (Ebert und Heublein 2017; Isphording und Wozny 2018). Verschiedene Studien liefern zudem Hinweise, dass die Abbruchwahrscheinlichkeit höher ist, wenn die Studierenden aus niedrigeren Bildungsschichten stammen und männlich sind, wobei die Differenzen hier relativ klein sind, so dass sie sich nicht immer zufallskritisch absichern lassen (Müller und Schneider 2013; Heublein et al. 2017; Isphording und Wozny 2018). Neben diesen sozio-demographischen Merkmalen korrelieren die vorhochschulischen Bildungswege und -erfolge mit der Abbruchwahrscheinlichkeit. Verglichen mit Abiturienten, die einem geradlinigen Weg vom Gymnasium an die Hochschule gefolgt sind, haben solche Personen ein höheres Abbruchrisiko, die eine Hochschulzugangsberechtigung über alternative Bildungswege erworben oder vor dem Studium eine Ausbildung absolviert haben (Müller und Schneider 2013; Heublein et al. 2017). Gute Prädiktoren für den Studienabbruch sind leistungsbezogene Eingangsmerkmale, insbesondere die Gesamtnote der Hochschulzugangsberechtigung (Heublein et al. 2017; Isphording und Wozny 2018). Offensichtlich ist mit einer guten Abiturnote der Erwerb bestimmter Fähigkeiten und Kenntnisse verbunden, die für einen erfolgreichen Studienverlauf gute Voraussetzungen bieten (Trapmann et al. 2007). Auch für motivationale Eingangsmerkmale lassen sich Zusammenhänge mit dem Studienabbruch feststellen. Je höher das fachliche Interesse bei der Entscheidung für das Studienfach ist, desto niedriger ist die Abbruchwahrscheinlichkeit (Heublein et al. 2017). Wer sein Wunschfach studiert, bricht seltener ab (Heublein et al. 2017; Isphording und Wozny 2018). Umgekehrt geht eine hohe extrinsische Studienwahlmotivation, die sich weniger an den Studieninhalten als vielmehr an der Arbeitsmarktlage und den Verdienstaussichten orientiert, mit einem erhöhten Abbruchrisiko einher. Schließlich finden sich vergleichsweise schwache Zusammenhänge zwischen zeitstabilen Persönlichkeitseigenschaften (Big Five) und dem Abbruchrisiko. Dabei geht eine hohe Gewissenhaftigkeit mit einer niedrigeren und eine hohe Offenheit mit einer höheren Abbruchwahrscheinlichkeit einher (Isphording und Wozny 2018).

In der Studiensituation sind ungenügende Studienleistungen der wichtigste individuelle Grund für einen Studienabbruch (Heublein et al. 2017). Abbrecher/innen berichten zudem häufiger als Absolvent/innen, dass es ihnen schwer fiel, ein gutes Verhältnis zu Lehrenden und Kommilitonen aufzubauen. Schließlich haben Studierende, die die Studienbedingungen (z. B. Qualität der Lehrveranstaltungen) und die Informationen zum Studium (z. B. im Rahmen einer Orientierungswoche) negativer einschätzen, eine höhere Abbruchwahrscheinlichkeit (Aymans und Kauffeld 2015; Heublein et al. 2017). Für viele psychologische Konstrukte, die in der Studiensituation theoretisch wirksam sein könnten (z. B. die akademische Selbstwirksamkeit oder Lernstrategien) wurden empirische Zusammenhänge zwar mit verschiedenen Studienerfolgsindikatoren, insbesondere Studiennoten, nachgewiesen (vgl. Heinze 2018). Für den tatsächlichen Studienabbruch und bei neueren Kohorten stehen sie aber unseres Wissens bislang aus (für ältere Kohorten vgl. z. B. Gold 1988).

Neben diesen internen Faktoren der Studiensituation haben die externen Lebensbedingungen der Studierenden einen Einfluss auf den Studienerfolg. Von studentischer Erwerbstätigkeit geht dabei per se keine erhöhte Studienabbruchgefahr aus, sie stellt erst dann ein Problem dar, wenn sie einen bestimmten zeitlichen Umfang überschreitet und kein Studienbezug gegeben ist (Heublein et al. 2017). Grundsätzlich haben Studierende, die angeben, schlechter mit ihren finanziellen Mitteln auszukommen, eine erhöhte Abbruchwahrscheinlichkeit (Isphording und Wozny 2018). Fragt man Studienabbrecher/innen, geben sie entsprechend häufig finanzielle Schwierigkeiten als Grund für den Studienabbruch an. Für einzelne Studierende sind zudem familiäre und gesundheitliche Gründe ausschlaggebend für den Abbruch (Heublein et al. 2017).

5 Folgen von Studienabbrüchen

Während zahlreiche Studien zu den Bedingungsfaktoren von Studienabbrüchen vorliegen, existieren in Deutschland relativ wenige empirisch abgesicherte Erkenntnisse zu den Folgen von Studienabbrüchen. Für eine angemessene Bewertung des Phänomens Studienabbruch ist dies jedoch von entscheidender Bedeutung. Dessen ungeachtet dominiert in wissenschaftlichen und hochschulpolitischen Diskussionen die Position, dass ein Studienabbruch negative Folgen hat, sowohl auf individueller Ebene (in Form von ökonomischen oder psychologischen Nachteilen) als auch auf gesellschaftlicher Ebene (in Form von Fehlinvestitionen, niedrigeren Steuereinnahmen oder akademischem Fachkräftemangel) (z. B. Sarcletti und Müller 2011; Wissenschaftsrat 2015). Sobald Studienerfolgsquoten als Kriterium bei der leistungsorientierten Mittelvergabe berücksichtigt werden, wie dies in einzelnen Bundesländern der Fall ist (Jaeger und In der Smitten 2009), verursachen Studienabbrüche auf institutioneller Ebene – an Hochschulen also – tatsächlich Kosten, und zwar unabhängig davon, ob die negativen Erwartungen zutreffen. Die Vorstellung, dass ein Studienabbruch zumindest für einen Teil der Betroffenen eine Art natürliche, gar gewinnbringende Phase der Neu- und Umorientierung darstellen kann, wird nur selten betont (vgl. Heublein und Wolter 2011). Ein Studienabbruch ist häufig mit dem Einstieg in einer den individuellen Interessen und Voraussetzungen besser entsprechenden Bildungs- und Berufskarriere verbunden, die dann auch zu hoher persönlicher Zufriedenheit führen kann (Heublein et al. 2019). Der folgende Abschnitt beschränkt sich aber auf die Darstellung des Forschungsstandes zu den individuellen ökonomischen Folgen von Studienabbrüchen. Zu individuellen psychologischen Folgen, ebenso wie zu den gesellschaftlichen und institutionellen Kosten von Studienabbrüchen, liegen unseres Wissens nur vereinzelte Befunde aus den USA, nicht aber zu Deutschland vor (Schneider und Yin 2011; Hoeschler und Backes-Gellner 2017; Faas et al. 2018).

5.1 Verbleib nach Studienabbruch: Berufsausbildung und erneutes Studium

Zweieinhalb Jahre nach Studienabbruch zeigt sich für die jüngste beobachtete Kohorte – Exmatrikulierte des Sommersemesters 2014 –, dass eine Berufsausbildung die dominierende Tätigkeitsalternative nach einem Studienabbruch darstellt (Heublein et al. 2019). 42 % vollziehen einen zügigen Übergang in eine berufliche Ausbildung und haben diese zum Teil bereits abgeschlossen. Bei weiteren 15 % verläuft dieser Übergang verzögert. Diese Zahlen liegen höher als noch in vergangenen Jahren und deuten darauf hin, dass die Aufnahme einer Berufsausbildung unter Studienabbrecher/innen an Relevanz gewonnen hat. Ein weiterer häufig gewählter Weg ist ein erneutes Studium. 17 % haben zweieinhalb Jahre nach Studienabbruch bereits ein Studium aufgenommen. Hinzu kommen Personen, die angeben, in Zukunft erneut studieren zu wollen, darunter auch viele derjenigen, die zunächst einen beruflichen Ausbildungsabschluss anstreben (Heublein et al. 2019). Zusammengenommen ist davon auszugehen, dass bis zu 40 % aller zunächst beobachteten Studienabbrüche de facto Studienunterbrechungen sind. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Lebensverlaufsdaten aus der NEPS-Erwachsenenkohorte. Tieben (2016) schätzt, dass 50 % aller Personen nach einem Studienabbruch im weiteren Lebenslauf ein erneutes Studium aufgenommen haben. Zwar bricht ein Teil dieser Personen abermals ab, aber ca. 80 % schaffen einen Studienabschluss. Anders formuliert: Rund 40 % (50 % * 80 %) erreichen zu einem späteren Zeitpunkt einen Studienabschluss. Ähnlich schätzt Schnepf (2017) auf Basis der PIAAC-Daten, dass 38 % aller Studienabbrecher/innen in Deutschland später einen Studienabschluss nachholen. Kurzum: die überwiegende Mehrzahl absolviert nach einem Studienabbruch entweder eine Berufsausbildung, holt ein Studium nach oder tut zunächst das eine und dann das andere.

Neben der Aufnahme einer Berufsausbildung oder eines erneuten Studiums gibt es weitere Wege. Insgesamt sind nach DZHW-Schätzungen 16 % in den ersten zweieinhalb Jahren nach Exmatrikulation durchgängig erwerbstätig, wobei dies am häufigsten der Fall ist bei Personen, die bereits vor dem Studium eine Berufsausbildung abgeschlossen hatten (Heublein et al. 2019). Diese Personen kehren in aller Regel in ihre erlernten Berufe zurück. Andere finden eine Anstellung, auch ohne Ausbildungsabschluss. Nur bei einer kleinen Gruppe von 9 % zeichnet sich noch kein klares Tätigkeitsmuster ab, sie sind arbeitslos, haben ihre Tätigkeit häufig gewechselt oder sind zweieinhalb Jahre nach Exmatrikulation in sonstigen Übergangstätigkeiten. Die geringe Arbeitslosigkeit, die sich auch in anderen Erhebungen zeigt (Stegmann und Kraft 1988; Tieben 2016), dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass der Studienabbruch oft erst erfolgt, wenn Klarheit über den weiteren Ausbildungs- oder Berufsweg besteht. Es stellt sich die Frage, welche Berufe diejenigen ergreifen, die keine weitere Qualifikationsphase anschließen. Nach Tieben (2016) zeigt sich für die Geburtskohorten der 1940er bis 1980er Jahre, dass bereits unmittelbar nach dem endgültigen Abbruch ein erstaunlich hoher Anteil von 48 % der erwerbstätigen Befragten eine Position in der oberen oder unteren Dienstklasse bekleiden (z. B. als Angestellte in Führungspositionen oder im mittleren Management, für die EGP-Berufsklassifizierung vgl. Brauns et al. 1997), weitere 26 % arbeiten als Fachkräfte, (hoch)qualifizierte Arbeiter/innen oder Selbstständige.Footnote 4 In diesen Fällen kann von einer erfolgreichen Arbeitsmarktintegration ausgegangen werden. In den ersten fünf Jahren erhöhen sich die mittleren Berufspositionen, was zum einen auf berufliche Aufstiege und zum anderen auf den Zustrom derjenigen zurückzuführen ist, die erst nach einer weiteren Qualifikationsphase eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Umgekehrt sinkt der Anteil der Erwerbstätigen in un- und angelernten Berufspositionen in den ersten fünf Jahren nach einem Studienabbruch von 26 auf 17 %.

5.2 Arbeitsmarkterfolg im Vergleich zu Personen mit geradlinigen Bildungsverläufen

Die bisher berichteten Befunde beschreiben die – überwiegend erfolgreichen – Werdegänge nach einem Studienabbruch. Um die individuellen Folgen eines Studienabbruchs einschätzen zu können, sind jedoch Vergleiche mit ansonsten möglichst identischen Nicht-Abbrecher/innen zwingend erforderlich. Was wäre im Sinne einer kontrafaktischen Implikation passiert, hätte eine Person kein Studium abgebrochen, sondern entweder das Studium mit einem Abschluss beendet oder gar nicht erst ein Studium angetreten? Zu diesen Fragen liegen nur wenige Erkenntnisse vor.

In einigen Befragungen wurden den Abbrecher/innen zum Vergleich Hochschulabsolvent/innen gegenübergestellt (Stegmann und Kraft 1988; Heublein et al. 2003, 2017), ohne dabei jedoch analytisch zu berücksichtigen (etwa über Drittvariablenkontrolle), dass sich beide Gruppen hinsichtlich motivationaler, kognitiver und weiterer Merkmale unterscheiden, die sowohl den Studienabbruch als auch den Arbeitsmarkterfolg beeinflussen. Insofern ist die Aussagekraft dieser Studien im Hinblick auf die kausalen Effekte eines Studienabbruchs begrenzt. Dennoch lassen sich interessante deskriptive Vergleiche anstellen. Dabei zeigt sich, dass Studienabbrecher/innen seltener in studienfachnahen Arbeitsfeldern und häufiger in niedrigeren Positionen tätig sind, woraus vergleichsweise niedrigere Einkommen resultieren. Die bereits angesprochene niedrige Arbeitslosigkeit nach einem Studienabbruch ist nach einem erfolgreichen Hochschulabschluss ebenfalls gering. Eine aktuelle Studie (Scholten und Tieben 2017) geht über die rein deskriptiven Befunde hinaus und berücksichtigt einige zentrale Drittvariablen wie die soziale Herkunft und die schulischen Leistungen, während andere kognitive, motivationale oder studienfachbezogene Variablen nicht berücksichtigt werden konnten. Die Autorinnen finden auf Basis der NEPS-Erwachsenenkohorte, dass Studienabbrecher/innen längere Zeit für den Übergang in eine erste dauerhafte Berufstätigkeit benötigen und einen niedrigeren Berufsstatus erreichen. Internationale Studien ergänzen die deutschen Befunde, auch wenn sich die Ergebnisse aufgrund der unterschiedlichen Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation nicht ohne weiteres übertragen lassen. Verglichen mit Hochschulabsolvent/innen haben Studienabbrecher/innen höhere Arbeitslosigkeitsrisiken (UK: Johnes und Taylor 1991; Davies und Elias 2003; US: Grubb 2002), sie erreichen niedrigere Berufspositionen (UK: Davies und Elias 2003; US: Grubb 2002; Serbien/Kroatien: Matković und Kogan 2012) und erzielen entsprechend geringere Einkommen (UK: Johnes und Taylor 1991; US: Kane und Rouse 1995; Grubb 2002; Light und Strayer 2004; Flores-Lagunes und Light 2007). Die Befunde aus den internationalen Studien bleiben auch unter Kontrolle wichtiger Drittvariablen relativ stabil.

Wie Studienabbrecher/innen im Vergleich zu Personen abschneiden, die kein Studium aufgenommen haben, ist bislang kaum untersucht worden. Stegmann und Kraft (1988) beziehen in ihren Vergleich zusätzlich zu Absolvent/innen auch Studienberechtigte des gleichen Jahrgangs (1976) ein, die kein Studium begonnen haben, sondern stattdessen eine Berufsausbildung erfolgreich beendet haben. In den bivariaten Vergleichen nehmen Studienabbrecher/innen mit Blick auf Befristung und Teilzeit eine Mittelstellung bei den drei Gruppen ein. Die berufliche Stellung ebenso wie die Einkommen streuen im Vergleich zu den beruflich Ausgebildeten breiter, bewegen sich aber grosso modo auf ähnlichem Niveau. Schnepf (2017) berücksichtigt zentrale Drittvariablen im Rahmen einer Propensity Score Matching Analyse auf Basis der PIAAC-Daten. Im Vergleich Studienabbrecher/innen vs. ‚niemals Eingeschriebene‘ findet sie für Deutschland insgesamt keine signifikanten Unterschiede in der Erwerbstätigenquote und dem Zugang zu hohen Berufspositionen. Für einige andere Länder zeigen sich hingegen Vorteile der Abbrecher/innen. Weitere internationale Studien finden Hinweise, dass Studienabbrecher/innen im Vergleich zu Personen ohne jegliche Hochschulbildung seltener von Arbeitslosigkeit betroffen sind, teilweise ähnliche (Serbien/Kroatien: Matković und Kogan 2012) oder höhere (US: Grubb 2002) berufliche Positionen einnehmen und teilweise niedrigere (Schweden: Hällsten 2017) oder höhere Verdienste erzielen (US: Kane und Rouse 1995; Grubb 2002; Light und Strayer 2004). Insgesamt ist die Befundlage uneinheitlich und vom Länderkontext abhängig. Eine vorsichtige Hypothese lautet, dass Studienabbrecher/innen in Deutschland mit seinem starken Fokus auf Bildungszertifikate größere Schwierigkeiten haben als in anderen Ländern, ohne weitere Qualifikation Zugang zu ertragreichen Berufspositionen zu erlangen. Umgekehrt bieten sich mit dem in Deutschland gut ausgebauten Berufsbildungssystem gute Möglichkeiten der beruflichen Weiterqualifikation, um Arbeitsmarktnachteilen entgegenzuwirken.

5.3 Theoretische Überlegungen zu den Arbeitsmarktfolgen eines Studienabbruchs

Eine theoretische Auseinandersetzung mit den Folgen eines Studienabbruchs, bei denen auch die angedeutete institutionelle Ausgestaltung des Bildungs- und Berufssystems eine Rolle spielen kann, hat bis auf wenige Ausnahmen (Matcović und Kogan 2012) bislang nicht stattgefunden. Warum erreichen Studienabbrecher/innen zum Teil niedrigere und zum Teil ähnliche Arbeitsmarktergebnisse wie Hochschulabsolvent/innen auf der einen und beruflich Ausgebildete auf der anderen Seite? Welche Faktoren begünstigen im Falle eines Studienabbruchs die Einstellungschancen? Einen theoretischen Zugang bieten Humankapitaltheorie, signaltheoretische Ansätze und Credentialismus (im Überblick: Bills 2003), aus denen sich Vorhersagen über die Arbeitsmarktintegration nach einem Studienabbruch ableiten lassen, die an dieser Stelle nur kurz illustriert werden können (dazu ausführlicher Daniel et al. 2019 (in diesem Heft)). Klar ist, dass Einstellungs- und Arbeitsmarktchancen von Studienabbrecher/innen entscheidend davon abhängen, auf welche Stellen sie sich bewerben, wer die Mitbewerbenden sind und wie Arbeitgeber/innen verschiedene Bewerbermerkmale bewerten. Im Vergleich zu Hochschulabsolvent/innen haben Studienabbrecher/innen womöglich geringere Fähigkeiten (→Humankapitaltheorie), Arbeitgeber/innen dürfen sie mangels Abschlusszertifikat nicht auf Absolventenpositionen einstellen (→Credentialismus), oder sie interpretieren einen Studienabbruch als Zeichen mangelnder Ausdauer oder Intelligenz (→Signaltheorie). Hingegen könnten im Vergleich zu Schulabgänger/innen, mit denen Studienabbrecher/innen um Ausbildungsplätze konkurrieren, aufgrund zusätzlicher Bildungsjahre und akademischer Erfahrungen höhere berufsrelevante Fähigkeiten vorliegen (→Humankapitaltheorie), die Einstellung scheitert nicht an Zeugnishürden (→Credentialismus), und Arbeitgeber/innen vermuten eine vergleichsweise hohe persönliche Reife bzw. Lernmotivation (→Signaltheorie). In ähnlicher – und ausführlicherer – Weise müssten theoretische Überlegungen angestellt werden, die andere Berufseinstiegswege und institutionelle Konfigurationen berücksichtigen und dabei systematisch die Perspektive der Arbeitgeber/innen einbeziehen. Dies steht bislang aus.

6 Prävention von Studienabbrüchen

Wenngleich ein Studienabbruch für das Individuum nicht per se negative Folgen impliziert, liegt es im Interesse der Hochschulen, diesen zu vermeiden. Doch so verschieden wie die Gründe für einen Abbruch, so vielfältig sind auch die Möglichkeiten der Prävention. Einige dieser Maßnahmen gründen auf Überlegungen zur Verringerung von Abbruchrisiken, auf die Hochschulen nur bedingt Einfluss nehmen können, wie die voruniversitären Leistungen der Studierenden oder die familiären bzw. finanziellen Bedingungen. Wir fokussieren im Folgenden daher auf Interventionen im Hochschulkontext, die wir zum einen nach dem Zeitpunkt der Durchführung (Präventionsmaßnahmen vor Studienbeginn oder in der Studieneingangsphase) und zum anderen nach ihren theoretisch begründbaren Zielen (Förderung einer besseren akademischen bzw. sozialen Integration) unterscheiden. Um belastbare Aussagen über deren Wirksamkeit treffen zu können, berücksichtigen wir zudem nur randomisierte Kontrollstudien und quasi-experimentelle Untersuchungen, die möglichen Selektionseffekten durch angemessene Verfahren der Kovariatenkontrolle (z. B. Propensity Score Matching oder Difference-in-Difference-Modelle) Rechnung tragen. Angesichts der begrenzten Datenlage scheint hier vor allem der Blick in die internationale Literatur lohnenswert, um Präventionsmöglichkeiten und deren Wirksamkeit aufzeigen zu können. Einschränkend sei jedoch angemerkt, dass die Befunde nur bedingt auf das deutsche Hochschulsystem übertragbar und begrenzt generalisierbar sind, da sie sich meist nur auf eine Hochschule bzw. ein bestimmtes Studienfach beziehen.

6.1 Präventionsmaßnahmen vor Studienbeginn

Mit dem Ziel, eine bessere Passung zwischen den individuellen Fähigkeiten und den Studienanforderungen herzustellen, wurden auf Ebene einzelner Hochschulen zahlreiche Angebote etabliert, etwa diverse Verfahren der Zulassungsbeschränkung oder seit einigen Jahren Self-Assessments. Auch die Studienberatung verfolgt solche Bestrebungen. National liegen hierzu bislang kaum systematische Effektivitätsanalysen vor und auch international ist die Befundlage eher dürftig, da der Erfolg dieser Maßnahmen zumeist an der Studienentscheidung bzw. den Studienleistungen und seltener an der Studienabbruchquote bemessen wird. Ausgehend von der Vorhersagekraft kognitiver und motivationaler Eingangsvoraussetzungen scheinen vor allem selektive Auswahlverfahren ein probates Mittel, um Abbrüche zu verringern. In der Schweiz nutzten Strupler Leiser und Wolter (2015) die Einführung eines Eignungstests, der studienrelevante Fähigkeiten (z. B. Leseverständnis) erfasst, für ein natürliches Experiment. Ihre Analysen liefern empirische Evidenz dafür, dass eine Eingangsselektion gegenüber einer zufälligen Studierendenauswahl die Abbruchquote verringert. Unter der Annahme, dass Abbrüche eine Folge überschätzter Fähigkeiten und falscher Studienerwartungen sind, untersuchten Booij und van Klaveren (2017) in den Niederlanden, ob die Teilnahme an einem Aufnahmegespräch zur Studienmotivation oder an einem Hochschultag, der den Besuch regulärer Lehrveranstaltungen ermöglichte, die Zahl der Abbrüche verringert. Letzterer hielt zwar Personen mit geringen Schulleistungen von der Studienaufnahme ab, Effekte auf die Abbruchquote wurden jedoch nicht beobachtet. In einem weiteren Experiment wurden Studienplatzbewerber/innen über ihren individuell zu erwartenden Studienerfolg, berechnet als bedingte Wahrscheinlichkeit basierend auf den Leistungen der aktuellen Studierendenkohorte, informiert (van Klaveren et al. 2019). Entgegen der Annahme revidierten die Bewerber/innen mit geringen Erfolgserwartungen ihre Studienentscheidung jedoch nicht, so dass auch ein Effekt auf die spätere Abbruchquote ausblieb.

6.2 Präventionsmaßnahmen in der Studieneingangsphase

Deutlich mehr Studien widmen sich der Abbruchprävention in der Studieneingangsphase. Zu den Maßnahmen der akademischen Integration zählen hier vor allem Vor- und Brückenkurse, die Studierende auf die fachspezifischen Anforderungen des Studiums vorbereiten. Bettinger und Long (2009) untersuchten für den US-Bundesstaat Ohio mithilfe instrumenteller Variablen, die für das Problem der Selektion kontrollieren, die Effektivität von Brückenkursen in Mathematik und Englisch. Im Ergebnis zeigt sich, dass Kursteilnehmende ein geringeres Abbruchrisiko aufwiesen als Studierende mit vergleichbaren Fähigkeiten, die das Angebot nicht in Anspruch nahmen. Eine weitere Möglichkeit der besseren Integration sehen Booij et al. (2017) in der Komposition der Lerngruppen (ability tracking). An einer Hochschule in den Niederlanden wiesen sie Erstsemesterstudierende basierend auf deren Leistungen randomisiert verschiedenen Tutorien zu und zeigten, dass leistungsschwächere Studierende in einer homogenen Lerngruppe bessere Leistungen und eine geringere Abbruchquote aufwiesen als in leistungsheterogenen Lerngruppen. Weiterführenden Analysen zufolge waren diese Effekte weniger auf eine Anpassung der Anforderungen an die Lerngruppe, sondern vielmehr auf die höhere Beteiligung der Studierenden und die positiv erlebten Interaktionen mit den Mitstudierenden zurückzuführen. Als zentrale Akteure der akademischen Integration fungieren nach Tinto (1975) aber vor allem die Lehrenden, die durch Feedback und Anregungen die Leistung der Studierenden fördern. An einer deutschen Hochschule untersuchten Brade et al. (2018) die Effekte eines relativen Feedbacks zu den erworbenen Leistungspunkten im ersten Semester auf den weiteren Studienverlauf. Während Studierende der Kontrollgruppe nur über den Punktestand informiert wurden, erhielt die Interventionsgruppe zusätzlich ein positives bzw. negatives Feedback, wenn die erworbenen Leistungspunkte über bzw. unter dem Durchschnitt der Mitstudierenden lagen. Die motivierende Wirkung eines positiven Feedbacks schlug sich nicht nur im Erwerb von mehr Leistungspunkten im zweiten Semester, sondern auch in einer geringeren Abbruchquote nieder, wenngleich sich der Effekt in einem Folgeexperiment nicht replizieren ließ. Jenseits des Feedbacks sind auch die durch die Lehrenden initiierten Lernprozesse für den Studienerfolg bedeutsam, wie Canning et al. (2018) mit einer kostengünstigen Intervention zeigen konnten. Hierbei erhielten die Studierenden einer US-amerikanischen Hochschule verschiedene Instruktionen, wobei die Interventionsgruppe, welche die subjektive Relevanz des Gelernten begründen sollte, eine höhere Verbleibsquote im folgenden Semester aufwies als die Kontrollgruppe, deren Aufgabe lediglich in der Zusammenfassung des Gelernten bestand. Theoretisch begründet wird dieser Effekt mit dem Erwartungs-Wert-Modell (Eccles und Wigfield 2002), demnach eine Instruktion zum individuellen Nutzen des Lerninhalts die Fachidentifikation und die Leistung erhöht, die ihrerseits zur Verringerung des Abbruchrisikos beitragen.

Zu den Maßnahmen der sozialen Integration zählen insbesondere Mentoringprogramme, die über studienbezogene Aktivitäten und den Kontakt zu Mitstudierenden eine Einbindung in das soziale System fördern. In ihrer Metaanalyse kommen Sneyers und de Witte (2018) zu dem Ergebnis, dass die Teilnahme an Mentoringprogrammen das Risiko eines Abbruchs signifikant verringert, allerdings war der Effekt nur von geringer praktischer Bedeutsamkeit. Mit der Förderung des institutionellen Zugehörigkeitsgefühls berücksichtigten Hausmann et al. (2009) in ihrem Feldexperiment eine weitere Dimension der sozialen Integration. Sie legten den Anschreiben der Hochschule an die Studienanfänger/innen kleine Geschenke mit dem Namen bzw. Logo der Universität (z. B. Magnete) bei, unter der Annahme, dass diese die Identifikation mit der Institution erhöhen. Tatsächlich fanden die Autor/innen signifikant positive, wenn auch kleine Effekte auf den Verbleib im zweiten Studienjahr.

Darüber hinaus existieren zahlreiche Studien, deren Treatment sowohl auf die akademische als auch die soziale Integration abzielt. Beispielhaft sind die in den Vereinigten Staaten verbreiteten First-year-experience-Veranstaltungen, die Studienanfänger/innen helfen sollen, die Herausforderungen des Studienalltags zu bewältigen. Trotz vergleichsweiser hoher Kosten verweisen die Befunde einer Metanalyse nur auf eine geringe Wirksamkeit dieser Veranstaltungen (Permzadian und Credé 2016). Der positive Zusammenhang zwischen der Teilnahme und einer höheren Verbleibsquote fiel gering aus und wurde u. a. über den inhaltlichen Schwerpunkt moderiert. Dabei zeigten sich stärkere Effekte für Orientierungsveranstaltungen, in denen Studierende die Hochschulstrukturen kennenlernen und Fähigkeiten des Selbstmanagements erlernen, als für Veranstaltungen zum Erwerb akademischer Kompetenzen, wie dem wissenschaftlichen Schreiben. Ferner belegen Untersuchungen eine Verringerung der Abbruchquoten nach der Teilnahme an einer Studienberatung (Kot 2014) bzw. einem individuellen Coaching (Bettinger und Baker 2014).

Insgesamt stellt die systematische Untersuchung von Präventionsmaßnahmen ein junges Forschungsfeld dar, zu dem zwar schon eine Reihe von Studien durchgeführt wurde, dessen Bearbeitung aber noch am Anfang steht. Aus Sicht der Hochschulen dürfte dabei das Verhältnis zwischen den Kosten und der Effektivität der jeweiligen Maßnahmen bedeutsam sein. Welche unter Maßgabe eines effizienten Einsatzes öffentlicher Mittel den größten Erfolg versprechen würde, lässt sich allerdings nur schwer abschätzen. Das ist nicht zuletzt der geringen Vergleichbarkeit bisheriger Studien geschuldet. Wenngleich die meisten Interventionen innerhalb der abbruchkritischen Studieneingangsphase stattfanden, variiert der zeitliche Abstand zwischen der Intervention und der Erfassung der Abbruchquoten jedoch stark zwischen den einzelnen Studien. Dabei überrascht es wenig, dass die Effekte umso geringer ausfallen, je später erfasst wurde, ob eine Person noch studiert oder abgebrochen hat. Metaanalysen zur Effektivität spezifischer Interventionen, die solche Merkmale des Studiendesigns wie die Zeitabstände zwischen dem Treatment und der Messung oder auch die Durchführungsbedingungen (z. B. Dauer, Intensität oder institutionelles Setting) als Moderatorvariablen berücksichtigen, wären daher wünschenswert.

7 Zusammenfassung und Ausblick

In diesem Beitrag haben wir überblicksartig die wesentlichen Befunde und Herausforderungen zu den vier zentralen Fragen der Studienabbruchforschung zusammengetragen.

Dabei zeigt sich nach bisherigem Kenntnisstand, dass der Umfang des Studienabbruchs in Deutschland vergleichbar ist mit dem OECD-Durchschnitt. In den vergangenen Jahren haben sich die Abbruchquoten nur unwesentlich geändert, trotz Bologna Prozess, Hochschulexpansion und anderer massiver Wandlungsprozesse, was freilich auch daran liegen mag, dass sich Entwicklungen wie die Hochschulexpansion auf der einen und Maßnahmen zur Qualitätssicherung auf der anderen Seite in ihren Wirkungen gegenseitig aufheben. Die Schätzung der Studienabbruchquote bleibt eine große Herausforderung, allerdings wird durch die Schaffung einer Studienverlaufsstatistik die Voraussetzung dafür geschaffen, zukünftig belastbarere Quoten bestimmen zu können.

Die Bewertung des Studienabbruchs, vor allem hinsichtlich seiner Vermeidbarkeit, kann nicht auf Basis einer Quote getroffen werden, sondern nur in Kenntnis und Beurteilung der Ursachen des Studienabbruchs. Inzwischen besteht Einigkeit, dass es sich bei der Entscheidung zum Studienabbruch um einen multikausalen Prozess handelt, bei dem viele verschiedene Ursachen eine Rolle spielen, auch solche, die außerhalb des unmittelbaren Einflussbereichs der Hochschulen liegen (etwa die leistungsbezogenen Eingangsvoraussetzungen der Studierenden). In empirischen Studien wurden die vielfältigen Ursachen bislang kaum simultan berücksichtigt. Zur Abschätzung ihrer relativen Bedeutsamkeit wäre dies ein wichtiger Schritt. Dennoch ist festzuhalten, dass es innerhalb der Hochschulen durchaus Ansatzpunkte zur Reduktion von Studienabbrüchen gibt (etwa wenn Studienabbrüche auch auf eine mangelhafte Qualität der Lehre zurückgeführt werden können). Ein Teil der Abbrüche wird jedoch unvermeidbar bleiben, sie stellen eine Art natürliche, gar gewinnbringende Phase der Neu- und Umorientierung für die Betroffenen dar.

Ähnlich wie die Ursachen sind auch die Folgen eines Studienabbruchs vielfältig. Bislang ist kaum etwas zu den gesellschaftlichen oder individuellen psychologischen Konsequenzen eines Abbruchs bekannt. Hinsichtlich der individuellen ökonomischen Konsequenzen zeigt sich, dass Studienabbrecher/innen im Vergleich zu Hochschulabsolvent/innen mehrheitlich Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt erfahren. Wie sie im Vergleich zu ‚niemals Eingeschriebenen‘ abschneiden, ist hingegen unklar. Klar ist jedoch, dass viele Studienabbrecher/innen ihre Bildungskarriere fortsetzten, mehrheitlich in Form einer beruflichen Ausbildung oder eines erneuten Studiums. Damit ist die Vorstellung, dass ein Abbruch eine endgültige Entscheidung gegen ein Hochschulstudium darstellt, falsch. Die weiteren Werdegänge können angesichts relativ geringer Arbeitslosigkeitsrisiken und hoher Berufspositionen als überwiegend erfolgreich beschrieben werden.

An deutschen Hochschulen sind in den letzten Jahren viele erfolgsversprechende Maßnahmen entstanden, die zur Reduktion von Studienabbrüchen beitragen sollen. Allerdings werden diese nur selten (quasi-)experimentell evaluiert. Der Blick in die internationale Literatur zeigt, dass dies durchaus möglich ist. Angesichts der zum Teil schwachen oder nicht-signifikanten Effekte vieler so evaluierter Maßnahmen wäre es wünschenswert, wenn zukünftige Untersuchungen noch stärker den Einfluss der Studienbedingungen sowie die differenzielle Wirksamkeit der Interventionen berücksichtigen. Anzunehmen ist, dass Interventionen nicht für alle Studierenden gleichermaßen effektiv sind, sondern umso wirksamer, wenn die individuellen Abbruchgründe mit den Zielen der Intervention korrespondieren. Von Maßnahmen zur akademischen Integration sollten beispielsweise Leistungsschwächere stärker profitieren als Studierende, die einen Abbruch aufgrund sozialer Isoliertheit in Erwägung ziehen. Die Konzeption und Implementation erfolgreicher Maßnahmen wäre folglich untrennbar mit der Diagnose individueller Abbruchursachen verknüpft.