1 Einleitung

Ein Studienabbruch bringt nicht nur für die betroffenen Individuen häufig erhebliche finanzielle und zeitliche Kosten mit sich, sondern stellt auch für den Staat eine Fehlinvestition dar. Die Untersuchung von Studienabbruchursachen ist daher eine wichtige Aufgabe für die Bildungsforschung. Es liegen bereits Untersuchungen vor, die zentrale Ergebnisse der Studienabbruchforschung zusammenfassen (vgl. z. B. Schröder-Gronostay 1999; Pohlenz et al. 2007). Der vorliegende Beitrag möchte dem Anspruch gerecht werden, neben der empirischen Seite, die bei den meisten Zusammenfassungen von Ergebnissen der Studienabbruchforschung im Vordergrund steht, auch die theoretische und die methodische Seite zu beleuchten. Hierzu wird zunächst auf wesentliche theoretische Perspektiven der Studienabbruchforschung sowie zentrale Determinanten des Studienabbruchs eingegangen. Einen eigenen Beitrag für die weitere Forschung zum Thema Studienabbruch möchten wir leisten, indem wir anschließend skizzieren, welche Anforderungen sich aufgrund der empirischen Ergebnisse vergangener Studien und eigener Überlegungen für zukünftige Studienabbruchanalysen ableiten lassen.

2 Stand der Studienabbruchforschung

2.1 Theoretische Perspektiven des Studienabbruchs

Forscher(innen) verschiedener Disziplinen, darunter Psycholog(inn)en, Pädagog(inn)en, Soziolog(inn)en und Ökonom(inn)en, beschäftigen sich mit dem Thema Studienabbruch. Daher gibt es unterschiedliche theoretische Perspektiven, aus denen Studienabbruch betrachtet wird. Im Folgenden werden vier Hauptperspektiven auf den Studienabbruch unterschieden, eine interaktionistische Perspektive, eine Kulturkapitalperspektive, eine psychologische Perspektive und eine Perspektive der rationalen Wahl.

2.1.1 Interaktionistische Perspektive

Ansätze, die die Integration von Studierenden an der Hochschule als entscheidenden Faktor für Studienabbruch sehen (vgl. u. a. Bean 1980; Pascarella et al. 2004; Spady 1970; Tinto 1975), haben großen Einfluss in der Studienabbruchforschung. Sie basieren auf der Argumentation, dass Studierende in der Interaktion mit Kommiliton(inn)en und Lehrenden an der Hochschule Werte und Normen des akademischen Systems übernehmen und Unterstützung in Fragen des Studiums erfahren. Der Gedanke, dass fehlende Integration Studierende dazu veranlasst, die Hochschule zu verlassen, ist eine Übertragung der Theorie Durkheims zum Selbstmord (1951) auf den Studienabbruch (vgl. Spady 1970, S. 77–78; Tinto 1975, S. 91–92). Während akademische Integration die Anpassung an und Verinnerlichung von Normen und Werten des Wissenschaftssystems umfasst, bezieht sich soziale Integration auf die Einbindung in Freundschafts- und Bekanntschaftsnetzwerke, die mit der Verinnerlichung von Werten und Normen der jeweiligen sozialen Gruppe einhergeht. Studierende, die akademisch und sozial stark integriert sind – so die Annahme – haben ein geringeres Abbruchrisiko. Die interaktionistischen Ansätze betonen außerdem, dass Studienabbruch als ein Prozess über die Zeit zu sehen ist. So entwickelt Tinto (1988) basierend auf Van Gennep (1960) ein Modell, in dem er drei Phasen der Integration in das Studium beschreibt. Die erste Phase ist überwiegend von der Loslösung der Studierenden von ihrem früheren Umfeld geprägt. Die zweite Phase ist ein Übergangsprozess, während dessen neue Normen und Verhaltensmuster übernommen werden. Die dritte Phase zeichnet sich durch Einbindungsprozesse aus. Hier wird die Kontaktaufnahme zu anderen Studierenden und zu Lehrenden zu einem entscheidenden Faktor für den Verbleib an der Hochschule.

2.1.2 Perspektive des kulturellen Kapitals

Im Mittelpunkt von Ansätzen, die sich auf das Konzept des kulturellen Kapitals und des institutionellen Habitus stützen (vgl. u. a. Berger 2000; Longden 2004; Reay et al. 2001; Thomas 2002) steht die Idee, dass Studierende aus bildungsferneren Schichten aufgrund der Sozialisation in ihrem Herkunftsnetzwerk größere Anpassungsleistungen erbringen müssen. Nach Bourdieu (1982) werden Positionen im Sozialraum über den Habitus (schichtspezifische Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata) reproduziert. Von dem schichtspezifischen Habitus, der durch Sozialisation im Herkunftsnetzwerk erworben wird, wird der institutionelle Habitus unterschieden, welcher gemeinsame Werte und Normen einer Institution umfasst (Reay et al. 2001). Eine soziale Gruppe oder Schicht kann über den institutionellen Habitus Einfluss auf die Individuen nehmen. So wird über den institutionellen Habitus festgelegt, welche Werte, welche Sprache und welches Wissen innerhalb der Institution als legitim angesehen werden. Die Vertrautheit mit diesen kulturellen Codes fördert den Bildungserfolg. Gleichzeitig erhöht die mangelnde Übereinstimmung erlernter und innerhalb der Hochschule vorherrschender kultureller und sozialer Praktiken das Abbruchrisiko, da Grundannahmen ständig in Frage gestellt und angepasst werden müssen (vgl. Thomas 2002, S. 431). So besteht die Annahme, dass das Abbruchrisiko einerseits umso geringer ist, je höher das kulturelle Kapital und andererseits je ähnlicher sich das Individuum und die Hochschule im Umfang des kulturellen Kapitals sind (vgl. Berger 2000, S. 113–117).

2.1.3 Psychologische Perspektive

Eine dritte theoretische Perspektive zur Erklärung des Studienabbruchs zieht psychologische Faktoren heran. Im Gegensatz zu den vorangehenden Ansätzen geht es hier darum, wie bestimmte Merkmale der Persönlichkeit im Zusammenspiel mit Lehr- und Lernbedingungen an der Hochschule zu einer höheren oder geringeren Wahrscheinlichkeit führen, ein Studium abzubrechen. Eine wichtige Rolle spielen kognitive Fähigkeiten als Bestimmungs- und Kontrollfaktor.

Bean und Eaton (2000, S. 49–55) sehen vier psychologische Theorien als hilfreich zur Erklärung des Studienabbruchs an. Mit Hilfe der Theorie des geplanten Verhaltens (vgl. Fishbein und Ajzen 1975) kann erklärt werden, wie Einstellung und Verhalten zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Danach entstehen aus Überzeugungen verhaltensbezogene Einstellungen, die dann in der Verhaltensabsicht und schließlich in dem Verhalten münden.

Anhand der Bewältigungstheorie kann analysiert werden, wie sich Studierende an ihre Umwelt in der Hochschule anpassen und Stress reduzieren. Es gibt unterschiedliche Formen der Stressbewältigung. Als Beispiel einer Annäherungsstrategie, kann die Suche von Kontakten an der Hochschule und Teilnahme an sozialen Aktivitäten genannt werden. Eine Vermeidungsstrategie wäre, die Zeit an der Hochschule auf das Nötigste zu reduzieren und mehr Zeit in Studentenjobs oder Freunde außerhalb des Studiums zu investieren.

Das Konzept der Selbstwirksamkeit nach Bandura (1986) umfasst die Einschätzung eines Individuums, diejenigen Handlungen ausführen zu können, die notwendig sind, um ein bestimmtes Ziel erreichen zu können. Diese Einschätzung beruht auf vorausgehenden Erfahrungen und Beobachtungen. Studierende mit höherer Selbstwirksamkeitseinschätzung sind stärker motiviert, setzen sich höhere Ziele, verfolgen Ziele mit höherer Ausdauer und investieren mehr Energie in die Aufgaben, daher haben sie ein geringeres Abbruchrisiko.

Außerdem liefert nach Bean und Eaton (2000) auch die Attributionstheorie (vgl. Weiner 1986) eine hilfreiche Erklärung für den Studienabbruch. Hier geht es darum, in welchem Maße das Individuum glaubt, ein Ziel selbst in der Hand zu haben beziehungsweise in welchem Maße es glaubt, dass das Erreichen dieses Ziels außerhalb der eigenen Kontrolle steht. Studierende, die glauben, dass es von ihrer eigenen Fähigkeit, Anstrengung und Lernbereitschaft abhängt, ob sie eine gute Studienleistung erzielen, haben bessere Leistungen als solche, die externe Faktoren wie die Aufgabenstellung oder die Studienbedingungen für ihre Leistungen verantwortlich machen.

Neben den von Bean und Eaton erwähnten psychologischen Theorien seien hier auch die Theorien der Berufswahl (vgl. u. a. Super 1957; Holland 1959) genannt. Der Laufbahnentwicklungstheorie von Super zufolge ist die berufliche Entwicklung als kumulativer psychosozialer Entwicklungsprozess eines beruflichen Selbstkonzepts zu verstehen. Wie stabil eine Ausbildungsentscheidung ist, hängt von der Berufswahlreife ab. Nach dem Person-Umwelt-Modell von Holland ist die Zufriedenheit und der berufliche Erfolg von der Übereinstimmung der individuellen Interessen und der beruflichen Umwelt abhängig. Um eine stabile Wahl zu treffen ist dabei sowohl ein gewisser Grad von Selbstkenntnis als auch Kenntnis der Berufsfelder notwendig. Im Hinblick auf die Ursachen von Studienabbruch ist jedoch festzustellen, dass ein Teil der Studienanfänger(innen) noch keine hinreichende (Lebens)Erfahrung und Orientierung besitzen, um eine stabile Orientierung in Richtung einer berufsbezogenen Umwelt (Holland 1959, 35 f.) herauszubilden und damit eine stabile Studienfachwahl zu treffen, sondern noch keine „Ich-Identität“ herausgebildet haben (Gisbert 2001, S. 23) und somit gefährdet sind, das aufgenommene Studium abzubrechen.

2.1.4 Perspektive der rationalen Wahl

Als vierte Perspektive können Erklärungsansätze angeführt werden, die den Studienabbruch als eine rationale Entscheidung ansehen, bei der wahrgenommene materielle und immaterielle Kosten und Erträge abgewogen werden. Wesentliche Determinanten der Entscheidung sind die Bildungserträge, die Sicherheit des Bildungserfolgs, die erwarteten Kosten, die Bildungsmotivation und das Investitionsrisiko (vgl. Becker und Hecken 2007, S. 104 f). Aus der Humankapitalperspektive sind die wahrgenommenen Erträge eines Studiums umso höher, je höher die Studierenden ein Einkommen mit Studienabschluss im Vergleich zu einem Einkommen ohne Studienabschluss einschätzen. Besonders leistungsstarke Studierende können mehr Humankapital ansammeln und daher noch stärker von einem Studienabschluss profitieren (Stinebrickner und Stinebrickner 2008). Die Einschätzung der Kosten, Erträge und Erfolgswahrscheinlichkeiten, die zu einer Entscheidung für ein Studium geführt haben, kann sich allerdings im Laufe des Studiums verändern. Dies ist umso wahrscheinlicher, je schlechter die Studierenden zum Zeitpunkt der Studienwahl über das Studienfach informiert oder je unsicherer sie bei ihrer Wahl waren (vgl. Hadjar und Becker 2004, S. 51–52). Sind die Kosten höher und/oder die Studienleistungen schlechter als erwartet, wird vermutet, dass der Nutzen des Hochschulabschlusses sinkt, die Alternative des Arbeitsmarkteintritts attraktiver wird und damit die Abbruchwahrscheinlichkeit steigt. St. John et al. (1996) zeigen, dass die Studienabbruchneigung insbesondere dann steigt, wenn sich die Bedingungen, die für die Wahl des Studiums oder der Hochschule ausschlaggebend waren, ändern oder anders wahrgenommen werden.

2.2 Faktoren des Studienabbruchs

Trotz der unterschiedlichen theoretischen Perspektiven auf den Studienabbruch gibt es große Überschneidungen in Bezug auf die Faktoren, denen eine Wirkung auf den Studienabbruch zugeschrieben wird. Im Folgenden werden theorieübergreifende Gruppen von Merkmalen, die sich in der Literatur als relevante Faktoren des Studienabbruchs herausgestellt haben, dargelegt.

2.2.1 Startbedingungen der Studierenden

Eine erste Gruppe umfasst Faktoren, die dem Studium vorgelagert sind, also als Startbedingungen der Studierenden bezeichnet werden können. Dazu zählen demographische und sozioökonomische Merkmale, aber auch Charakteristika der dem Studium vorausgehenden Bildungskarriere. Aus der großen Zahl dieser Faktoren wird hier auf die drei wesentlichen Dimensionen sozialer Bildungsungleichheit – soziale Herkunft, Migrationshintergrund und Geschlecht (vgl. Geißler 2008, S. 95) – sowie und auf die Abschlussnote der Hochschulzugangsberechtigung näher eingegangen. Vermittelt durch finanzielle Ressourcen (vgl. u. a. St. John et al. 1996), Bildungsaspirationen (vgl. u. a. Meulemann 1992) oder Integration (vgl. u. a. Tinto 1975) vermuten viele Studien einen Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und der Neigung, ein Studium abzubrechen. Pascarella et al. (2004) argumentieren, dass Studierende, deren Eltern selbst nicht studiert haben, über weniger Kultur- und Sozialkapital verfügen und daher in geringerem Maße Zugang zu Informationen und Einstellungen haben, die wichtig für karriereförderliche Entscheidungen sind. Für diese Studierenden könnte die Integration in soziale und akademische Netzwerke an der Hochschule eine größere Rolle spielen, da sie damit den Zugang zu Ressourcen erhalten, die Akademikerkinder bereits aus ihrem Herkunftsnetzwerk beziehen können. Tatsächlich können Pascarella et al. (2004) eine solche kompensatorische Wirkung nachweisen: Soziale Interaktionen und akademische Aktivitäten wirken sich stärker auf den Zuwachs der kognitiven Fähigkeiten und Einstellungen von Studierenden aus, deren Eltern keinen Hochschulabschluss haben. Gleichzeitig beteiligen sich diese Studierenden allerdings auch weniger an sozialen und akademischen Aktivitäten als Akademikerkinder.

In Bezug auf die Wirkung des Migrationshintergrundes auf den Studienabbruch können verschiedene Mechanismen mit unterschiedlicher Wirkungsrichtung angeführt werden. Einerseits verfügen Studierende mit Migrationshintergrund über weniger kulturelles und soziales Kapital, da sie häufiger aus bildungsferneren Schichten kommen und zusätzlich ein geringeres Wissen über das Bildungssystem und die vorherrschende Kultur haben sowie weniger mit der Sprache vertraut sind. Zudem wählen Migrant(inn)en häufiger Hochschulen mit geringerem Prestige, geringeren Ressourcen und weniger leistungsstarken Studierenden. Sie sind andererseits eine positiv selektierte Gruppe, da sie auf vorangehenden Stufen des Bildungssystems bei gleichen Leistungen eine geringere Übergangswahrscheinlichkeit haben, so dass nur besonders begabte Migrant(inn)en die Hochschulen erreichen (vgl. Reisel und Brekke 2010, S. 694–696). Viele Studien in den USA beschäftigen sich mit den Studienabbruchraten ethnischer Minderheiten im Vergleich zur Mehrheitsgesellschaft (vgl. Kao und Thompson 2003, S. 430–431). Eine aktuelle ländervergleichende Studie zeigt für Norwegen keine signifikanten Unterschiede der Abbruchraten von Studierenden mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Studierenden ohne Migrationshintergrund, während in den USA Angehörige ethnischer Minderheiten häufiger abbrechen, wobei die höheren Abbruchraten auf Unterschiede in Bezug auf den sozialen Hintergrund zurückzuführen sind (vgl. Reisel und Brekke 2010).

Unterschiedliche Abbruchrisiken von Frauen und Männern lassen sich zum Teil auf Unterschiede in der Studienfachwahl zurückführen. Die unausgewogenen Geschlechterverhältnisse in den einzelnen Studienfächern führen u. a. dazu, dass Angehörige der Minderheit größere Schwierigkeiten haben, sich zu integrieren. In ihrer Untersuchung zu Studienwahl und Studienabbruch in fünf norwegischen Hochschulen finden Mastekaasa und Smeby (2008), dass sich die Geschlechterzusammensetzung in einem Studiengang stark auf die Abbruchrate der weiblichen Studierenden auswirkt, jedoch keinen Effekt auf die Abbruchrate der männlichen Studierenden hat: In ausgewogenen Studiengängen und in Studiengängen mit höherem Männeranteil haben Frauen eine ähnliche Abbruchrate wie Männer, während sie in Studiengängen mit hohem Frauenanteil deutlich seltener als Männer abbrechen. Die Abbruchrate der männlichen Studierenden bleibt unabhängig vom Frauenanteil konstant.

Da Studienanfänger(innen) bereits viele Jahre im Bildungssystem verbracht haben, bevor sie ein Studium aufnehmen, ist Studienabbruch nicht isoliert von der vorausgehenden Bildungskarriere zu betrachten. Schul(abschluss)noten sind ein Indiz für die Fähigkeit, Erwartungen des Bildungssystems zu erfüllen, und können damit als Prädiktor des Abbruchrisikos dienen (Schiefele et al. 2007, S. 133; Brandstätter et al. 2002, S. 128).

2.2.2 Charakteristiken der Studienwahl

Eine zweite Gruppe von Faktoren bezieht sich auf die Studienwahl. Dabei geht es darum, wie Unsicherheiten bei der Studienwahl und die Motive, aus denen heraus die Entscheidung für ein bestimmtes Studium getroffen wird, mit dem Studienabbruch zusammenhängen. In Bezug auf die Problembelastung bei der Studienwahl wird argumentiert, dass Personen, die bei der Entscheidung für ein Studium unsicher, in geringem Maße informiert und besorgt über ihre Berufsaussichten sind, eher abbrechen (vgl. Brandstätter et al. 2006, S. 122; Hadjar und Becker 2004, S. 51–52). Die Befunde bestätigen diese Argumentation jedoch nicht eindeutig. So finden Brandstätter et al. (2006) sogar niedrigere Abbruchrisiken bei Studierenden mit hoher Problembelastung bei der Studienwahl, die sich vor allem auf die Besorgtheit über den Übertritt ins Berufsleben zurückführen lässt. Weiterhin zeigt sich in einer Studie zum Studienabbruch von Soziologiestudierenden der Effekt mangelnder Informiertheit nur an einer von zwei untersuchten Universitäten. Die Unsicherheit bei der Studienwahl wirkt sich an keiner der beiden Universitäten signifikant auf den Studienabbruch aus (vgl. Hadjar und Becker 2004). Auch Heublein et al. (2009) finden keine starken Unterschiede zwischen Studienabbrecher(inne)n und -absolvent(inn)en in der Informiertheit. Im Hinblick auf ihre persönlichen Studienvoraussetzungen und die fachlichen Inhalte des Studiums sind Studienabbrecher(innen) jedoch etwas schlechter informiert als Personen, die ihr Studium mit einem Abschluss beenden (Heublein et al. 2009, S. 59).

Eine Reihe von Studien untersucht auch den Zusammenhang von Motiven der Studienwahl und dem Studienabbruch. St. John et al. (1996) zeigen, dass die Faktoren, die bei der Studienwahl ausschlaggebend waren, die Abbruchneigung beeinflussen. So brechen beispielsweise unter Kontrolle sozio-ökonomischer Hintergrundfaktoren Studierende, für die geringe Studiengebühren bei der Wahl des Studiums ausschlaggebend waren, häufiger ab. Heublein et al. (2009) unterscheiden zwischen extrinsischen und intrinsischen Studienwahlmotiven. Unter den Studienabbrecher(inne)n finden sich im Vergleich zu den Hochschulabsolvent(inn)en häufiger Studierende, die das Studium gewählt haben, um ihre Karriereabsicht zu verwirklichen. Zusätzlich lässt sich zeigen, dass diejenigen Studierenden, die ein Studium aus Fachinteresse und nicht primär zur Verwirklichung ihrer Karriereabsicht wählen, häufiger aufgrund von nicht zufriedenstellenden Studienbedingungen abbrechen (vgl. Blüthmann et al. 2008).

2.2.3 Studienbezogene Faktoren

Eine dritte Gruppe von Studienabbruchfaktoren umfasst Merkmale, die auf das Studium bezogen sind. Damit sind erstens individuelle Eigenschaften wie Lernmotivation, Selbstkonzept, Studienorientierung oder der Einsatz von Lernstrategien gemeint. Zweitens sind hier Faktoren, die die Integration von Studierenden (etwa durch Interaktionen mit anderen Studierenden oder Teilnahme an Aktivitäten der Hochschule) abbilden, zu nennen. Drittens umfasst die Gruppe Faktoren, die die Wahrnehmung der Studienbedingungen und der Lehrqualität betreffen und viertens Faktoren, die sich auf Eigenschaften der Studiengänge und Hochschulinstitutionen zurückführen lassen.

In Bezug auf das Selbstvertrauen wird davon ausgegangen, dass sich Personen mit starkem Vertrauen in die eigenen studienbezogenen Fähigkeiten höhere Ziele setzen, bereit sind, beim Auftreten von Hindernissen größere Anstrengungen auf sich zu nehmen und eine größere Ausdauer aufweisen als solche mit geringerem Zutrauen in die eigene intellektuelle Leistungsfähigkeit (vgl. Brandstätter et al. 2006, S. 122). Eine geringere Einschätzung des eigenen Kenntnisstandes kann sich negativ auf die Motivation auswirken (vgl. Schiefele et al. 2007, S. 138) und daher das Abbruchrisiko erhöhen. Zur Unterscheidung von Abbruch- und Wechselursachen im Studium ist es sinnvoll, zwischen der Wahrnehmung der fachspezifischen Fähigkeit und der Wahrnehmung allgemeiner Studierfähigkeit zu unterscheiden. Während Studienwechsel durch ein geringes fachspezifisches Fähigkeitskonzept bei gleichzeitig hohem Selbstkonzept allgemeiner Studierfähigkeit erklärt werden kann, weisen Studienabbrecher(innen) in beiden Komponenten ein geringes Vertrauen in ihre Fähigkeiten auf (vgl. Fellenberg und Hannover 2006, S. 5).

Mäkinen et al. (2004) argumentieren, dass es für den Studienerfolg und die Abbruchneigung von Bedeutung ist, welche Form von Studienorientierung bei den Studierenden vorliegt. Sie unterscheiden dabei studienorientierte Studierende, denen Studieninhalte, aber auch soziale Kontakte und das Studentenleben wichtig sind, erwerbsorientierte Studierende, für die das Studium vorrangig ein Mittel zum Erreichen einer beruflichen Position ist und die sich daher um ein rasches durchgeplantes Studieren bemühen, ohne sozialen Kontakten eine hohe Bedeutung zuzumessen, und unentschiedene Studierende, die sich über die Bedeutung des Studiums für die eigene Person im Unklaren und um die Zukunft besorgt sind (vgl. Mäkinen et al. 2004, S. 178 f). Die dritte Gruppe weist nach Mäkinen et al. (2004) aufgrund einer unbestimmten Studienorientierung eine geringere Bindung zu Zielen und zu ihrer Hochschule auf. Damit tendieren diese eher zu unsteten, verlängerten Studienverläufen, wodurch wiederum ein höheres Abbruchrisiko entsteht.

In Bezug auf Lernstrategien zeigen Schiefele et al. (2007), dass insbesondere Spätabbrecher(innen) schlechtere Werte bei den Organisationsstrategien aufweisen, sich aber bei Wiederholungs- und Elaborationsstrategien nicht von Weiterstudierenden unterscheiden. Schiefele et al. (2007) finden auch einen Zusammenhang zwischen der Beurteilung der Lehrqualität und dem Studienabbruch, den sie damit begründen, dass Studienabbrecher(innen) fachliche Inhalte häufig als zu abstrakt und theoretisch empfinden und sich damit überfordert fühlen.

Im Zusammenhang mit den institutionellen Gegebenheiten des Hochschulsystems steht die Wahl der Hochschulart, die mit einem unterschiedlichen Studienabbruchniveau in Verbindung steht. So zeigen St. John et al. (1996), dass die Abbruchrate an privaten Institutionen höher ist als an den öffentlichen. In Deutschland unterscheiden sich Fachhochschulen und Universitäten in ihren Abbruchraten. Im Vergleich zu den Universitäten ist an Fachhochschulen das Studium in der Regel kürzer, stärker strukturiert und weist einen stärkeren Berufsbezug auf. Abbruchraten an Fachhochschulen sind zumindest vor der Einführung der Bachelor-/Masterstudiengänge deutlich geringer als an Universitäten (vgl. Heublein et al. 2009, S. 6). Auch zwischen den Fächern und Fächergruppen sind die Unterschiede in den Abbruchraten sehr groß (vgl. Heublein et al. 2009, S. 141–170).

2.2.4 Externe Faktoren

Als vierte Gruppe von Faktoren können Kontextmerkmale gelten, das heißt Faktoren, die nicht in direktem Zusammenhang mit dem Studium stehen, sich aber auf die Abbruchneigung auswirken, indem sie das Ausmaß an Ressourcen für das Studium und außerhochschulischen Verpflichtungen beeinflussen oder attraktive Alternativen zum Studium aufzeigen (vgl. Schröder-Gronostay 1999, S. 227). Auf der individuellen Ebene spielen beispielsweise die Erwerbstätigkeit neben dem Studium oder familiäre Verpflichtungen wie die Betreuung von Kindern oder anderen Angehörigen dafür eine Rolle, wie viel Zeit und Energie in das Studium investiert werden kann. Auf struktureller Ebene hängt die Abbruchwahrscheinlichkeit bei externen Verpflichtungen auch davon ab, inwiefern Möglichkeiten bestehen, das Studium mit anderen Verpflichtungen zu vereinbaren, wie beispielsweise Teilzeitstudiengänge oder flexible Kurswahl. Die Ablenkung vom Studium durch den Arbeitsmarkt hängt sowohl von individuellen Ressourcen, wie Kontakten, als auch von strukturellen, wie der Angebotslage auf dem Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer(innen) ohne Hochschulabschluss, ab.

Vor dem Hintergrund sozialer Ungleichheit ist der Zusammenhang zwischen der Finanzierung des Studiums und dem Studienabbruch eine wichtige Frage. Einerseits kann argumentiert werden, dass Studierende, die ihr Studium durch Erwerbstätigkeit finanzieren, weniger Zeit und Energie in ihr Studium investieren können. Andererseits kann der Einblick in die Beschäftigungsmöglichkeiten ohne Hochschulabschluss auch motivieren, den Arbeitsstatus mit einem Hochschulabschluss zu verbessern (vgl. Meulemann 1992, S. 133). St. John et al. (1996) finden in einer sehr detaillierten Analyse der Kosten und Finanzierungsarten des Studiums signifikante Effekte auf den Studienabbruch. Auch Stinebrickner und Stinebrickner (2008) bestätigen, dass zumindest bei Studierenden mit geringen Ressourcen Finanzierungsengpässe die Abbruchrate stark erhöhen. Die Frage der Auswirkung der Finanzierung auf den Studienabbruch ist stark vom institutionellen Kontext abhängig. Für Deutschland zeigen Heublein et al. (2009, S. 136) auf, dass Studienabbrecher(innen) deutlich seltener als Absolvent(inn)en ihr Studium hauptsächlich durch die Eltern finanzieren, hingegen deutlich häufiger in erster Linie durch BAföG und etwas häufiger vor allem durch eigene Erwerbstätigkeit. Schiefele et al. (2007) finden in ihrer Studienabbruch-Untersuchung jedoch keine Unterschiede in der Studienfinanzierung zwischen Abbrecher(inne)n und Weiterstudierenden.

3 Anforderungen an das Design von Studienabbruchstudien

In Abschn. 2 dieses Aufsatzes wurde ein kurzer Überblick über wesentliche theoretische Ansätze und Ergebnisse der bisherigen Studienabbruch-Forschung gegeben. Anhand der Fülle an Faktoren auf individueller und struktureller Ebene, die hier nur zusammenfassend dargestellt werden konnten, wird deutlich, dass es eine große Herausforderung ist, eine Untersuchung zu konzipieren, die alle relevanten Faktoren berücksichtigt. Im Folgenden wird daher versucht, die wichtigsten Anforderungen für Studienabbruchanalysen begründet darzustellen.

3.1 Prospektives Längsschnittdesign

Bereits Tinto (1988) unterstreicht, dass die Entscheidung für den Abbruch des Studiums als Prozess zu betrachten ist. Da bereits Faktoren zu Beginn des Studiums für den späteren Abbruch entscheidend sein können und sich Studienbedingungen, externe Faktoren und die Wahrnehmung der Bedingungen im Studienverlauf ändern, bietet sich ein prospektives Längsschnittdesign an, bei dem die Studierenden zu mehreren Zeitpunkten interviewt werden. Zum Beispiel steigt die Intensität der Erwerbstätigkeit im Studienverlauf (vgl. Isserstedt et al. 2010) und somit verändert sich die Bedeutung des Faktors „Erwerbsarbeit“ im Studienverlauf als Studienabbruch-Grund. Auch die Studienbedingungen, das Vorhandensein eigener Kinder oder der Gesundheitszustand wirken sich beispielsweise auf die Studienabbruchwahrscheinlichkeit aus und sind im Verlauf eines mehrjährigen Studiums veränderlich. Im Vergleich zu Retrospektivbefragungen haben prospektive Befragungen den Vorteil, dass seltener Erinnerungslücken, Rationalisierungseffekte oder Mechanismen der Reduktion kognitiver Dissonanzen (zum Konzept der kognitiven Dissonanzen vgl. Aronson et al. 2008; Festinger 1957) auftreten.

Die meisten Untersuchungen zum Studienabbruch im deutschsprachigen Raum basieren nicht auf einem prospektiven Längsschnittdesign. Eine Ausnahme bilden einige Studien im Bereich der psychologischen Ansätze (vgl. z. B. Brandstätter et al. 2002, 2006). Dort werden in den letzten Jahren zunehmend Studien durchgeführt, in denen Längsschnittdaten erhoben und mit entsprechenden Verfahren ausgewertet werden. Diesen Studien fehlt jedoch der prospektive Charakter, wie die Autoren selbst einräumen: „In der Studierendenbefragung wurden zwar mit den Merkmalen des Arbeits- und Lernverhaltens Momente der Handlungssteuerung und Selbstregulation als nächstliegende Ursachen des Studienerfolgs erfasst und in den Strukturgleichungsmodellen berücksichtigt; weil diese Variablen aber zur gleichen Zeit wie Drop-out erhoben wurden, sind die […] Pfade zwischen den im Zuge der Studienbefragung erhobenen Variablen nicht eindeutig kausal interpretierbar“ (Brandstätter et al. 2006, S. 129).

3.2 Beginn der Untersuchung bei Studierenden vor dem Anfang des Studiums

Wie unter 2.2 beschrieben stehen Studienwahl und Studienabbruch im Zusammenhang. Im Hinblick auf eine möglichst unverzerrte Erfassung des Informationsstandes und der Studienwahlmotive erscheint es sinnvoll, bereits bei Studienberechtigten oder spätestens bei Studienanfänger(inne)n diese Informationen zu erheben. Die Frage, wie der Übergang in das Studium erlebt wird und ob die akademische Integration (vgl. Tinto 1975, 1988) gelingt beziehungsweise der Einstieg in das Studium (vgl. Heublein et al. 2009) bewältigt wird, ist ebenfalls bedeutsam im Hinblick auf Studienabbruch. Auch diese Aspekte lassen sich am besten erfassen, wenn die Befragungen bereits am Anfang des Studiums ansetzen.

3.3 Untersuchung des tatsächlichen Studienabbruchs statt (nur) der Abbruchneigung

In den Studien, in denen Studienabbruch im Querschnitt untersucht wird, werden entweder Studienabbrecher(innen) retrospektiv zu den Gründen des Studienabbruchs gefragt, was die Gefahr von Rationalisierungen und Reduktionen kognitiver Dissonanzen mit sich bringt, oder es werden Studierende zu Studienabbruchabsichten befragt (vgl. z. B. Georg 2008; Fellenberg und Hannover 2006; Hadjar und Becker 2004; Mäkinen et al. 2004). Zwar stellt sich zum Beispiel in dem Modell von Bean (1982) die Studienabbruchsabsicht als bester Prädiktor für den tatsächlichen Abbruch heraus, dennoch sprechen viele Argumente dagegen, Absicht und tatsächlichen Abbruch gleichzusetzen: Schlechte Studienbedingungen, psychische Krisen, das Nicht-Bestehen von Prüfungen oder schlechte Prüfungsnoten, (vorübergehende) finanzielle Probleme und dergleichen lassen einen Teil der Studierenden zwischenzeitlich an eine Aufgabe ihres Studiums denken, diese Gedanken münden jedoch nicht unbedingt in einen tatsächlichen Abbruch.

3.4 Fachspezifische Betrachtung des Studienabbruchs

Einige Studien (vgl. z. B. Heublein et al. 2003, 2009) berücksichtigen explizit die unterschiedlichen Studienfächer bei der Untersuchung der Ursachen von Studienabbruch. Hierbei zeigt sich, dass es große Unterschiede zwischen den verschiedenen Fächern im Hinblick auf die wichtigsten Ursachen von Studienabbruch gibt. In vielen Untersuchungen zum Studienabbruch wird hingegen nur ein Fach untersucht (vgl. z. B. Hadjar und Becker 2004) oder fachspezifische Unterschiede werden vernachlässigt (vgl. z. B. Bean 1980; Tinto 1975).

Gerade im Hinblick auf das politische Ziel, Studienabbrüche zu reduzieren, erscheint es äußerst wichtig, den Fokus auf die fachspezifischen Ursachen zu legen, um zielgerichtet gegensteuern zu können.

3.5 Mehrebenenanalysen

Im Hinblick auf die Prävention von Studienabbruch ist es auch notwendig zu wissen, auf welcher Ebene man hauptsächlich ansetzen muss. Das heißt, es ist zu bedenken, ob zum Beispiel in erster Linie die Betreuungsrelationen an der Hochschule verbessert werden müssen oder eher die fachlichen Grundlagen, die in der Schule gelegt werden und welche die individuellen Studienvoraussetzungen beeinflussen. Um den Anteil der erklärten Varianz auf der strukturellen Ebene von dem auf der individuellen Ebene trennen zu können, sind Mehrebenenanalysen hilfreich. Eine Studie, die entsprechend vorgeht, ist die Studienabbruch-Untersuchung von Georg (2008).

4 Zusammenfassung

In dem vorliegenden Artikel wurde ein Überblick zum Stand der Studienabbruchforschung gegeben und zentrale methodische Anforderungen bei der Untersuchung des Studienabbruchs herausgearbeitet. Zunächst wurden theoretische Perspektiven dargestellt, die in der Studienabbruchforschung vorherrschen. Die Darstellung folgte einer Unterteilung in eine interaktionistische Perspektive, eine Kulturkapitalperspektive, eine psychologische Perspektive und eine Perspektive der rationalen Wahl. Weiterhin wurde eine Systematisierung von Faktoren des Studienabbruchs vorgenommen, wobei Startbedingungen der Studierenden, Charakteristiken der Studienwahl, studienbezogene Faktoren und externe Faktoren als wichtigste Gruppen gesehen wurden. Auf Basis der bestehenden Arbeiten zu Studienabbruch wurden zentrale Punkte herausgestellt, die einer Untersuchung zum Studienabbruch erlauben könnten, entscheidende Faktoren des Studienabbruchs in angemessener Weise zu berücksichtigen: Ein prospektives Längsschnittdesign, ein früher Startzeitpunkt, das Erfassen des tatsächlichen Abbruchs, die Berücksichtigung der Studienfächer und die Unterscheidung der Merkmalsebenen. Dies unterstreicht die Bedeutung aufwändiger Längsschnittstudien, wie etwa das Nationale Bildungspanel in Deutschland, die detaillierte Informationen zu Bildungs- und Berufsverläufen erheben.