1 Einleitung

Die berufliche Bildung ist nach wie vor eine attraktive Option für Jugendliche und junge Erwachsene, wenngleich der Übergang von allgemeinbildenden Schulen zur Ausbildung und in den Beruf in den letzten Dekaden fragiler geworden ist. Ungeachtet dessen genießt die deutsche Berufsbildung – und hier insbesondere das duale System – international ein hohes Ansehen, und es gibt immer wieder Versuche, dieses Ausbildungsmodell zu exportieren (Euler 2013). Worin wird der Erfolg des deutschen dualen Systems gesehen?

  1. 1.

    Das tripartistisch korporative Regulationsmodell der dualen Ausbildung entfaltet durch die Systemsteuerung auf Konsensbasis (Staat, Unternehmensorganisationen/Kammern, Gewerkschaften) eine hohe politische Integrationswirkung (Kutscha 1999). Damit verbunden sind ein enges Verhältnis zwischen Ausbildungs- und Beschäftigungssystem und ein relativ friktionsfreier Übergang in den Arbeitsmarkt (Baethge et al. 2003, S. 36 f.). Als Indiz für die Leistungsfähigkeit des dualen Systems wird auch immer wieder auf die hierzulande im internationalen Vergleich niedrige Jugendarbeitslosigkeitsquote verwiesen (Dingeldey et al. 2017). Bemerkenswert für Deutschland ist dabei, dass die Gruppe der qualifizierten Jugendlichen eine geringere Arbeitslosigkeitsquote aufweist als jene der Erwachsenen ohne beruflichen Abschluss (Brenke 2017, S. 994). Dies gilt in dieser Form nicht für alle europäischen Staaten, sondern eben insbesondere für jene mit dualer Ausbildung. Vor diesem Hintergrund betrachtet man solch ein Modell als wichtigen Hebel für die Abschwächung des „Insider-Outsider-Phänomens“ auf dem Arbeitsmarkt (Brenke 2017, S. 994) und als Mittel zur Sicherung der beruflichen und sozialen Integration.

  2. 2.

    Gut qualifizierte Fachkräfte leisten einen wichtigen Beitrag zur ökonomischen Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Der dualen Ausbildung wird diesbezüglich eine hohe Relevanz zugeschrieben. Auch wenn einschränkend zu bemerken ist, dass hier Kausalschlüsse zu kurz greifen (vgl. Pfeiffer 2016, S. 34), so ist doch bemerkenswert, dass gerade exportstarke und innovative Wirtschaftszweige wie der Maschinenbau sowie die Elektro‑, Chemie- und Fahrzeugindustrie einen hohen Anteil beruflich qualifizierter Fachkräfte aufweisen (Pfeiffer 2016; auch Anger et al. 2013).

  3. 3.

    Aus einer individuellen Perspektive ist zu betonen, dass eine Orientierung am Prinzip der Beruflichkeit (berufsorientierter Qualifizierungsstil, vgl. Deißinger 1998) eine über die unmittelbaren Anforderungen eines spezifischen Arbeitsplatzes hinausgehende Qualifizierung sichert, sodass dual Ausgebildete nicht nur für den Ausbildungsbetrieb, sondern betriebsübergreifend attraktiv sind. Im Zusammenspiel mit dem System der bundesweit staatlich anerkannten Ausbildungsberufe fördert dies die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt. Eine hohe Bandbreite an Ausbildungen über Wirtschaftssektoren, Branchen und Berufsgruppen hinweg eröffnet vielfältige Optionen zum Erwerb einer beruflichen Qualifikation und zum Aufbau einer stabilen Erwerbslaufbahn.

Ungeachtet der skizzierten Stärken des dualen Systems sind jedoch auch persistierende Probleme und Herausforderungen zu beobachten:

  1. 1.

    Die duale Ausbildung ist durch eine enge Kopplung an Ausbildungsangebote der Unternehmen anfällig für konjunkturelle Schwankungen und wenig flexibel mit Blick auf demografische Veränderungen. Aktuelle Befunde verweisen darauf, dass sich einerseits die Entwicklung von Ausbildung und Beschäftigung zunehmend entkoppelt und die Ausbildungsangebote der Betriebe in den letzten 20 Jahren gesunken sind (Baas und Baethge 2017). Andererseits können viele ausbildungsbereite Unternehmen Ausbildungsplätze nicht besetzen. Regionale Disparitäten (Ost/West, Nord/Süd) sowie Passungsprobleme (unbesetzte Ausbildungsstellen einerseits und unversorgte Bewerberinnen und Bewerber andererseits) kennzeichnen den Ausbildungsmarkt (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018, S. 132 ff.).

  2. 2.

    Seit längerem zu beobachten ist ein Schwinden der Integrationskraft des dualen Systems. Dies gilt insbesondere für Jugendliche ohne oder mit niedrigem Schulabschluss. Baethge (2011) verweist auf „soziale Segmentationsmuster“ mit relativ stabilen Ungleichheitsverteilungen in der Teilhabe an beruflicher Ausbildung, die er insbesondere an einem verengten Berufsspektrum, in das Jugendliche mit maximal Hauptschulabschluss einmünden können, festmacht (vgl. auch Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016). Gleiches gilt für den Ausbildungszugang für Personen mit Migrationshintergrund; auch hier erweisen sich Disparitäten als stabil (vgl. Seeber et al. 2019).

  3. 3.

    Weitere Problemlagen betreffen Indikatoren des Ausbildungserfolgs wie der erfolgreiche Abschluss einer Ausbildung. Diesbezüglich hat die hohe vorzeitige Vertragslösungsquote im dualen System von rund 25 % in den letzten Jahren immer wieder für Schlagzeilen gesorgt (vgl. BIBB 2018; BMBF 2018). Bei der Interpretation der Daten ist indes zu berücksichtigen, dass zum einen die Lösungsquoten stark zwischen verschiedenen Berufen variieren (überdurchschnittliche Lösungsquoten für bestimmte handwerkliche und hauswirtschaftliche Berufe, aber auch für den Bereich Hotel/Gastronomie) und zum anderen nicht jede Vertragslösung einen Ausbildungsabbruch darstellt, denn auch Betriebs- oder Berufswechsel innerhalb des dualen Systems werden hier erfasst.

  4. 4.

    Aus einer übergreifenden Perspektive sind die generell mit dem Strukturwandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft sowie die mit neuen Technologien (Digitalisierung) verbundenen Effekte auf zukünftige Arbeitsprozesse sowie die damit einhergehenden Veränderungen in der Nachfrage nach Berufen/Berufsprofilen bzw. Qualifikationsanforderungen von Bedeutung. Der Wandel von Erwerbsarbeit setzt das tradierte, an der Industriearbeit orientierte berufliche Ausbildungssystem (Hall und Soskice 2001) unter erheblichen Modernisierungsdruck. Dieser bezieht sich nicht nur auf Berufsbilder, Ausbildungsordnungen/Curricula, Kompetenzziele und Prüfungsmodalitäten, sondern erstreckt sich auch auf Organisation und Aufgabenverteilung zwischen den Lernorten Betrieb, Berufsschule sowie überbetriebliche Bildungsstätte (von daher ist der Begriff „duales System“ auch eher irreführend).

Im vorliegenden Beitrag werden überblicksartig Herausforderungen und Perspektiven der beruflichen Bildung vor dem Hintergrund veränderter sozioökonomischer Rahmenbedingungen (Abschn. 2) und struktureller Entwicklungen in den Sektoren der Berufsbildung (Abschn. 3) dargestellt, bevor abschließend Problemlagen und Perspektiven für die Berufsbildung aufgezeigt werden (Abschn. 4). Neben Strukturdaten einschlägiger Berichtssysteme werden – soweit verfügbar – in den einzelnen Abschnitten auch empirische Forschungsbefunde zu Ausbildungsqualität und Ausbildungsergebnissen in die Diskussion einbezogen.

2 Sozioökonomische Rahmenbedingungen

Berufliche Bildung ist eingebettet in gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die mit Blick auf Herausforderungen und Perspektiven für das Ausbildungswesen eine hohe Relevanz aufweisen. Neben langfristigen demografischen Trends sind hauptsächlich die „Globalisierung und Tertiarisierung der postfordistischen Wirtschaft“ (Mückenberger 2015, S. 75) und die Entwicklung hin zu einer „Wissens- und Informationsgesellschaft“ (Baethge et al. 2003, S. 19) in ihren Wirkungen auf Struktur, Steuerung, Curricula und Kompetenzziele beruflicher Bildung zu beleuchten. Der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft trifft die berufliche Bildung in ihrem Kern, denn es ergeben sich daraus Folgen für Strukturveränderungen im Ausbildungssystem hin zu Berufsbereichen, die bisher in der dominierenden dualen Ausbildung kaum oder gar nicht vertreten sind (Baethge et al. 2003, S. 20). Dies betrifft im Besonderen die Gesundheits‑, Pflege‑, Sozial- und Erziehungsberufe, die überwiegend vollzeitschulisch im Schulberufssystem (und an Fachschulen) ausgebildet werden (zu Modellen der ErzieherInnenausbildung vgl. König et al. 2017; zu Ausbildungsmodellen in der Pflege vgl. Steffen und Löffert 2010). Aber auch innerhalb der dualen Ausbildung führen Strukturwandel, Globalisierung sowie die Digitalisierung zu einer Verlagerung von klassischen Industrie- hin zu Dienstleistungsberufen (vgl. Wolter et al. 2015).

In jüngerer Zeit ist vor dem Hintergrund der genannten Entwicklungen eine zunehmende Unsicherheit darüber zu erkennen, ob es der beruflichen Ausbildung perspektivisch gelingt, den Fachkräftebedarf in quantitativer und qualitativer Hinsicht sicherzustellen. Aus einer quantitativen Perspektive sind hier zwei Entwicklungen von Bedeutung: Sowohl die demografische Entwicklung als auch die Verschiebung der Wertigkeiten von Berufsausbildung und Hochschulbildung zugunsten letzterer führen dazu, dass künftig ein geringeres Erwerbspersonenpotenzial zur Verfügung steht (vgl. Fuchs et al. 2017). Seit mehreren Jahren übersteigt die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger jene der Neuzugänge in eine duale Ausbildung (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018). Die kontroverse Debatte über die Wertigkeit der beruflichen bzw. der akademischen Bildung (vgl. z. B. das Streitgespräch von Baethge und Nida-Rümelin 2016) konnte indes nur begrenzt zur Versachlichung der Diskussion beitragen. Setzt man vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung ein gleichbleibendes Übergangsverhalten voraus, so ist davon auszugehen, dass künftig weniger Schulabsolventinnen und -absolventen für die beiden Hauptausbildungswege der beruflichen Bildung (duales System und Schulberufssystem, siehe Abschn. 3) zur Verfügung stehen.

Demografische Einflüsse werden ferner über Wanderungsbewegungen global und regional wirksam. Wie unmittelbar Wanderungsbewegungen Teilbereiche des Bildungssystems und hier im Speziellen die berufliche Bildung vor Herausforderungen stellen können, zeigt die hohe Zahl aufgenommener schutz- und asylsuchender Personen im Zeitraum zwischen 2014 und 2016. Angesichts der hohen Zuwanderungszahlen von Personen im ausbildungsrelevanten Alter, von denen aufgrund der Vorbildung ein größerer Teil als Ausbildungsplatzanwärter/-innen gelten kann, erfolgte ein massiver Ausbau von Berufsvorbereitungsmaßnahmen, der einerseits zu strukturellen Verschiebungen zwischen den Sektoren beruflicher Bildung führte und sich andererseits verstärkt in den Jahren 2018 bis 2020 auf die Ausbildungsnachfrage niederschlägt (vgl. die Modellrechnungen von Winnige et al. 2017).

Aus einer qualitativen Perspektive ist zu diskutieren, inwiefern sich Anforderungen an Arbeitsplätze bzw. die Qualifikationen und Kompetenzen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zukünftig verändern. Unklar ist gegenwärtig, welche Effekte in erster Linie dabei von der zunehmenden Digitalisierung ausgehen (vgl. hierzu die Diskussion zur Zukunft der Arbeit, siehe z. B. Arntz et al. 2016, 2018; Botthof und Hartmann 2015). In diesem Prozess unterliegen nicht nur die Verhältnisse zwischen Ausbildungsberufen, Berufsprofilen und Kompetenzanforderungen Veränderungen, sondern es werden auch Berufe neu entstehen, während andere wegfallen. Allgemein gesprochen wird von einer steigenden „Wissensbasiertheit der Arbeit“ (Baethge et al. 2003, S. 21) bei einer Zunahme der Vernetzung zwischen Produkt, Maschine und Arbeitskraft, der horizontalen und vertikalen Integration zwischen Unternehmen bzw. Unternehmenseinheiten, Kunden, Zulieferern sowie der überbetrieblich digital gesteuerten Wertschöpfungsketten ausgegangen (vgl. Weber et al. 2019). Wissensbasierung und Informatisierung von Arbeit in Kombination mit veränderten Arbeitsorganisationsmodellen erfordern IT-bezogene Kompetenzen und Fähigkeiten zur Beschaffung, Bewertung und Selektion von Informationen. Zugleich steigt die Relevanz von analytischem Wissen, Problemlösefähigkeiten, von Selbstorganisationsfähigkeiten, Reflexionsvermögen sowie Lernbereitschaften und -fähigkeiten (vgl. Arnold et al. 2016; Arntz et al. 2016, 2018). Sie werden zu wichtigen berufsübergreifenden Voraussetzungen. Damit werden Kompetenzen adressiert, deren Entwicklung mit formalen und non-formalen Lernprozessen verbunden sind und die teils früh in der Bildungsbiografie angelegt werden (Baethge et al. 2003, S. 23).

3 Struktur und Entwicklung der Sektoren des beruflichen Ausbildungssystems

Die skizzierten demografischen, sozioökonomischen und wirtschaftsstrukturellen Veränderungen finden ihren Niederschlag in Entwicklungen der drei großen Ausbildungssektoren (duales System, Schulberufssystem und Übergangssektor). Ungeachtet der Klagen über fehlende Fachkräfte steigen die Zahlen in den beiden vollqualifizierenden Sektoren (duales System und Schulberufssystem) kaum nennenswert an, und auch der Übergangssektor wird in den letzten Jahren nicht merklich rückgebaut (Abb. 1). Insgesamt scheint sich eine „schwierige Gemengelage“ (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016, S. 101) abzuzeichnen, deren Interpretation eines differenzierten Blicks in die Mechanismen und Strukturen des jeweiligen Sektors bedarf. Im Folgenden werden die Entwicklungen innerhalb der drei Ausbildungssektoren genauer betrachtet.

Abb. 1
figure 1

Neuzugänge in die drei Sektoren der beruflichen Ausbildung und ins Studium* 2005 bis 2017**. 1) Duales System einschließlich kooperatives Grundbildungsjahr. *Studium einschließlich Berufsakademien; einschließlich internationale Studierende. **2017: Vorläufige Ergebnisse der integrierten Ausbildungsberichterstattung. (Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Integrierte Ausbildungsberichterstattung, Bundesagentur für Arbeit, Bestand von Teilnehmern in ausgewählten Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik mit SGB-Trägerschaft des Teilnehmers)

3.1 Duales System: Passungsprobleme im Ausbildungszugang und Optimierungsbedarfe in der Förderung beruflicher Kompetenzen

Kennzeichnend für das duale System, das mit rund 490.000 Neuzugängen im Jahr 2017 (49,2 % der Neuzugänge in das berufliche Ausbildungssystem) den größten der drei Sektoren der beruflichen Ausbildung darstellt, ist die korporatistisch-staatliche Steuerung der Ausbildung in der Verantwortung von Staat und Wirtschaft. In den beiden Lernorten Betrieb und Berufsschule (sowie in überbetrieblichen Bildungsstätten) wird nach bundesweit einheitlichen Ausbildungsverordnungen in derzeit 325 staatlich anerkannten Berufen (vgl. BIBB 2019a, S. 79) ausgebildet, die unter Beteiligung der Sozialpartner erarbeitet werden. Rechtliche Grundlage der Ausbildung bildet ein zwischen Betrieb und Auszubildenden abgeschlossener privatrechtlicher Ausbildungsvertrag, wobei die Aufnahme in ein Ausbildungsverhältnis nicht an bestimmte Schulabschlüsse gebunden ist. Es besteht eine Verpflichtung zum Besuch der Teilzeitberufsschule, die – zeitlich betrachtet – den geringeren Ausbildungsanteil ausmacht. Die Ausbildungsdauer schwankt zwischen zwei und dreieinhalb Jahren und beträgt für die Mehrheit der Berufe drei Jahre. Die Verantwortung für die betriebliche Ausbildungsqualität und deren Steuerung sowie für das Prüfungswesen obliegt im Sinne einer Selbstverwaltungsaufgabe der Wirtschaft den zuständigen Stellen (den Kammern). Dieses duale Ausbildungsmodell wurzelt in der mittelalterlichen Handwerkslehre und wurde durch das im Zuge der Industrialisierung etablierte Fabriklehrlingswesen beeinflusst. Nach schwierigen wirtschaftlichen und politischen Phasen zwischen Bemühungen zum Aufbau eines modernen Ausbildungsmodells und Vereinnahmung durch politische Partikularinteressen verschiedener Interessensgruppen kann letztlich erst mit der Etablierung des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) von 1969 von einem „dualen System“ gesprochen werden (vgl. Greinert 2006). Allerdings ist der Begriff „System“ etwas irreführend, da streng genommen von einem System im Sinne eines geordneten Ganzen kaum die Rede sein kann (vgl. Zabeck 1996).

Ungeachtet der eingangs dargelegten Vorzüge des dualen Systems ist dieses seit den 1990er Jahren einer anhaltenden Kritik ausgesetzt, die mit verschiedenen Problemlagen assoziiert ist. Unter Steuerungsgesichtspunkten wird immer wieder die marktgesteuerte Angebotsorientierung in Frage gestellt, mittels derer es offenbar nicht gelingt, allen um Ausbildung Nachfragenden Ausbildungsgelegenheiten zu eröffnen. Wie am Beispiel der Angebots-Nachfrage-Relation (zur Berechnung vgl. Ulrich 2012) gezeigt werden kann, zerfällt der Ausbildungsmarkt in Deutschland „in eine Fülle regionaler Ausbildungsmärkte“, die den um Ausbildung nachfragenden Jugendlichen unterschiedliche Chancen eröffnen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018, S. 133). Etwa drei Viertel der Arbeitsagenturbezirke verzeichneten in 2017 eine höhere Nachfrage als Angebote verfügbar waren. Es ist daher davon auszugehen, dass in den meisten Regionen Deutschlands nicht von einer hinreichenden Versorgung mit betrieblichen Ausbildungsmöglichkeiten gesprochen werden kann. Auf berufsstruktureller Ebene zeigt sich, dass in nur wenigen (und von den Jugendlichen als unattraktiv eingeschätzten) Ausbildungsberufen das Angebot die Nachfrage übersteigt, während in den meisten Berufen das Angebot an Ausbildungsplätzen die Nachfrage nicht deckt. Überhänge sind vor allem in Tourismus‑, Hotel- und Gastronomie-Berufen sowie in der Lebensmittelherstellung und in Reinigungsberufen auszumachen. Dies betrifft mithin Berufe, die durch schwierigere Arbeitsmarktübergänge, Diskontinuitäten in den Erwerbslaufbahnen und oftmals ein unterdurchschnittliches Einkommen gekennzeichnet sind (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018, S. 145 ff.). Somit besitzen die in diesen Berufen erworbenen Abschlüsse in den Augen der Nachfragenden auch eine geringere Verwertungsqualität.

Es ist also einerseits von einer Unterversorgung mit Ausbildungsplätzen auszugehen. Andererseits blieben 2018 bundesweit jedoch auch ca. 10 % der angebotenen Ausbildungsplätze (57.700 Ausbildungsstellen) unbesetzt, wobei gegenüber dem Vorjahr ein erneuter Anstieg zu verzeichnen war. Bei den unversorgten Bewerberinnen und Bewerbern sank der Anteil 2018 leicht gegenüber dem Vorjahr auf 12,9 %, lag jedoch mit ca. 78.600 gemeldeten und unversorgten Jugendlichen immer noch deutlich über dem Wert unbesetzter Stellen (vgl. BIBB 2019a, S. 24). Zudem ist in den letzten Jahren verstärkt zu beobachten, dass der Anteil an Regionen, in denen zeitgleich unbesetzt gebliebene Ausbildungsstellen und unversorgte Bewerberinnen und Bewerbern zu beobachten sind, steigt.

Abb. 2 zeigt links den Anteil unbesetzter Ausbildungsstellen nach Arbeitsagenturbezirken. Hier wird deutlich, dass vor allem in Bayern, in weiten Teilen Baden-Württembergs sowie in vielen Regionen Mecklenburg-Vorpommerns und Brandenburgs, aber auch in ausgewählten Arbeitsagenturbezirken Thüringens und Sachsens höhere Werte (teilweise > 20 %) auszumachen sind. Rechts verdeutlicht Abb. 2 die mit Ausbildungsplätzen unversorgten Jugendlichen. Diese finden sich vor allem in den westdeutschen Flächenländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen sowie in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen. Zwischen den Arbeitsagenturbezirken (auch innerhalb einzelner Länder) sind dabei beträchtliche Differenzen vorzufinden. Es zeigt sich, dass zwar in vielen Regionen entweder Versorgungs- oder Besetzungsengpässe bestehen, aber auch ein substanzieller (und wachsender) Anteil an Regionen auszumachen ist, in denen beide Phänomene zeitgleich auftreten (vgl. BIBB 2018, S. 22 ff., 2019a, S. 24).

Abb. 2
figure 2

Anteil unbesetzter Ausbildungsstellen (a) und unversorgter Bewerber/-innen (b) nach Arbeitsagenturbezirken (Angaben in %). (Quelle: Bundesinstitut für Berufsbildung, Erhebung zum 30. September 2018; Bundesagentur für Arbeit, Ausbildungsmarktstatistik zum 30. September 2018)

Dieses Mismatch-Phänomen bzw. Passungsproblem (Matthes et al. 2019) ist sowohl auf regionale Kontextfaktoren (z. B. Wirtschafts- und Branchenstruktur, Betriebsgrößenstruktur) als auch auf die schon angesprochene unterschiedliche Attraktivität von Ausbildungsberufen sowie auf Merkmale der Ausbildungspartner im Sinne von „Merkmalsdisparitäten“ (Granato et al. 2018, S. 3) zurückzuführen. Dabei sind die Effekte schwer voneinander zu isolieren, da auch demografische und sozioökonomische Einflüsse (z. B. Schulabsolventenzahl und -struktur) mit den genannten Faktoren interagieren. Bei den merkmalsbezogenen Passungsproblemen sind vor allem Erwartungen der ausbildenden Unternehmen an Schulabschlüsse, Noten sowie fachspezifische und übergreifende Kompetenzen, aber auch an Arbeits- und Lerneinstellungen zu nennen. Seitens der Jugendlichen sind es dann vielleicht Vorstellungen über den Ausbildungsbetrieb (Größe, Image, Branche), die unter Umständen nicht zum Angebot passen. Die Qualität der Schulabschlüsse allein erklärt das Mismatch indes nicht. Unter den unbesetzt gebliebenen Ausbildungsstellen waren 2018 knapp 60 % mit der Mindestanforderung eines Hauptschulabschlusses ausgeschrieben, lediglich bei 9 % der unbesetzten Plätze wurde eine Hochschulzugangsberechtigung erwartet. Unter den unversorgten Jugendlichen wiederum fanden sich überwiegend Personen mit einem mittleren Schulabschluss (ca. 37 %) und einer Hochschulzugangsberechtigung (ca. 27 %), während etwa 28 % der ausbildungsplatzlosen Nachfrager 2018 einen Hauptschulabschluss und rund 2 % keinen Hauptschulabschluss aufwiesen (ca. 4 % keine Angabe, vgl. BIBB 2019a, S. 25). Auch die Förderung von Mobilität wird das Problem nicht umfänglich lösen, da hiervon in erster Linie attraktive Ausbildungsberufe und Metropolregionen profitieren (vgl. Jost et al. 2019). Eine besondere Herausforderung wird daher zukünftig die Steigerung der Passung zwischen angebotenen Berufen und Berufswünschen der Jugendlichen darstellen (vgl. auch BIBB 2019a, S. 26).

Um Ausbildungsmarktproblemen genauer auf die Spur zu kommen, untersuchten Baas und Baethge (2017) die Beschäftigungs- und Ausbildungsentwicklung in Unternehmen nach Branchen- und Betriebsmerkmalen. Die zentralen Befunde verweisen auf (1) einen Rückzug der Betriebe aus der Ausbildung (in Ostdeutschland stärker als in Westdeutschland), (2) eine Entkopplung von Beschäftigung und Ausbildung auf struktureller Ebene (die Beschäftigung wächst, während die Ausbildung zurückgeht und sich erst in den letzten beiden Jahren wieder stabilisiert), (3) zunehmende Abstimmungsprobleme und Unsicherheiten im ausbildungsbezogenen Planungsverhalten der (kleinen und mittleren) Unternehmen, die Ausbildungsmarktungleichgewichte verstärken können sowie (4) wachsende regionale Disparitäten und Passungsprobleme auf dem Ausbildungsstellenmarkt. Wie Baas und Baethge (2017) zeigen, sinkt zwischen 1999 und 2016 die Ausbildungsbetriebsquote (Anteil der ausbildenden Betriebe an allen Betrieben mit mindestens einer sozialversicherungspflichtig beschäftigten Person, vgl. Hucker und Troltsch 2012) besonders stark in den Kleinst- und Kleinbetrieben (1 bis 5 bzw. 6 bis 49 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte). Diese Entwicklung setzt sich aktuell fort (BIBB 2019b, S. 13), wobei auch Großbetriebe davon betroffen sind. Nochmals augenfälliger werden die Entwicklungen im Ausbildungsplatzangebot bei Betrachtung der Ausbildungsquote, die in allen Betriebsgrößenklassen stark zurückgegangen ist. Als Ursachen für diese Entwicklungen werden die Schulabsolventenstruktur und das Bildungsverhalten, aber auch die Rücknahme subventionierter Ausbildungsverhältnisse (vor allem in Ostdeutschland) gesehen. Bei den Großbetrieben mit über 500 Beschäftigten beobachteten die Autoren zudem eine verstärkte Rekrutierung von Personen mit Hochschulabschluss, die sie mit der zunehmenden Wissensintensität der Arbeitsprozesse in Verbindung bringen. Analysen von Scholz (2018) zum Ausbildungsverhalten von börsennotierten Unternehmen stützen diese Position. Besonders in den Großunternehmen der Logistik‑, Banken- und Versicherungsbranche, der Energiewirtschaft und Telekommunikation sowie in der Fahrzeugindustrie und ihren Zulieferern wurde in jüngster Zeit ein deutlicher Ausbildungsrückgang beobachtet. Unter zusätzlicher Betrachtung des Verhältnisses von Auszubildenden zu dual Studierenden zeichnet sich eine Verschiebung zugunsten dual Studierender ab, die jedoch nicht einer vollständigen Kompensation der abgebauten Ausbildungsplätze in den betrachteten Unternehmen entspricht (Scholz 2018). Hier ist zu vermuten, dass Substitutionseffekte bzw. der auf die Digitalisierung zurückzuführende Wegfall von Routinetätigkeiten (vgl. Dengler und Matthes 2018) auf diese Veränderungen in der Beschäftigtenstruktur (z. B. im Bankenbereich auf mittlerer Qualifikationsebene) und damit auch auf das Ausbildungsplatzangebot wirken.

Die Leistungsfähigkeit beruflicher Bildung ist jedoch nicht alleine an der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen festzumachen, sondern auch daran, ob es gelingt, Ausbildungen erfolgreich abzuschließen und die für eine wirksame Bewältigung beruflicher Situationen notwendigen Kompetenzen zu erwerben. Wird nun also die Ergebnisseite von Ausbildung betrachtet (v. a. die Frage, inwiefern die in den Curricula adressierten Kompetenzziele erreicht werden), zeigen sich Entwicklungsbedarfe insbesondere mit Blick auf die oben diskutierten und durch die Digitalisierung beschleunigten wirtschafts- und arbeitsprozessbezogenen Trends und ihren Implikationen auf Qualifikationsanforderungen. Systematisch untersucht wurde die Kompetenzausprägung von Auszubildenden am Ende der Ausbildung im Rahmen der BMBF-Förderinitiative ASCOT (Technologiebasierte Kompetenzmessung in der beruflichen Bildung). Auf der Grundlage technologiebasierter Instrumente zur Kompetenzdiagnostik (meist Simulationen) liegen erstmalig für verschiedene Berufe Informationen zur Leistungsfähigkeit von Auszubildenden am Ende der Ausbildung vor. Die Befunde verweisen darauf, dass die (curricular geforderten) höherwertigen Kompetenzen wie Problemlösekompetenzen und reflexive Kompetenzen nicht durchgängig erreicht werden (siehe die Beiträge in Beck et al. 2016; vgl. darüber hinaus für gewerbliche Berufe z. B. Nickolaus et al. 2016; Behrendt et al. 2017a; für kaufmännische Berufe z. B. Wuttke et al. 2015; Klotz und Winther 2016; Weber et al. 2016; Seeber 2017; Siegfried et al. 2019; für duale Gesundheitsberufe: Seeber et al. 2016). Insofern ist unter qualifikatorischer Perspektive nicht per se davon auszugehen, dass sich das duale System mehr oder weniger nahtlos „an die Erfordernisse einer globalisierten Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft“ anpassen kann (Mückenberger 2015, S. 75).

3.2 Schulberufssystem: Struktureller Umbau bei ungelösten Professionalisierungs- und Fachkräftesicherungsproblemen

Das Schulberufssystem mit ca. 214.000 Neuzugängen im Jahr 2017 (21,5 % der Neuzugänge in das berufliche Ausbildungssystem) spielte in der öffentlichen Wahrnehmung lange Zeit keine große Rolle (vgl. Euler und Severing 2006, S. 83), erfuhr mit der fortschreitenden Tertiärisierung in jüngerer Zeit aber mehr Aufmerksamkeit. Innerhalb des Schulberufssystems kommt den Bereichen Gesundheit, Erziehung und Soziales (so genannte GES-Berufe, die nicht den Kern der industriell und handwerklich geprägten Lehre des dualen Systems darstellen) die größte Bedeutung zu. Insgesamt handelt es sich überwiegend um nach Bundes- oder Landesrecht gesetzlich anerkannte Ausbildungen, bei deren Einrichtung die jeweiligen Schulträger jedoch weitreichende Gestaltungsfreiräume haben. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Schulberufssystem befinden sich – anders als im dualen System – im Schülerstatus. Weitere deutliche Unterschiede zum dualen System finden sich bezüglich der Bedarfssteuerung, den institutionellen Zugangsregelungen, in der Organisationsstruktur sowie der Finanzierung (Euler und Severing 2006, S. 151 f.). Im Unterschied zum dualen System ist der Zugang zum Schulberufssystem an das Vorliegen eines meist oberhalb des Hauptschulabschlusses liegenden Schulabschlusses gebunden; lediglich so genannte Helferberufe (z. B. Altenpflegehelfer/-in) stehen auch Personen mit Hauptschulabschluss offen.

Wie bereits angemerkt wird das Schulberufssystem in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Im Zuge jüngerer Diskussionen zu Pflegenotstand sowie Fachkräftemangel bei Erzieherinnen und Erziehern rückt das Schulberufssystem zwar etwas stärker in die öffentliche Diskussion, allerdings verstellt die parallel laufende Debatte um die Professionalisierung und Akademisierung von Gesundheits‑, Pflege- und Erziehungsberufen den Blick auf die Rolle und Relevanz dieses durchaus bedeutenden Sektors der beruflichen Ausbildung. Friese (2011, S. 6) argumentiert, dass „die historisch bedingte Statuszuweisung als Residualkategorie in keiner Weise der bildungspolitischen Bedeutung vollzeitschulischer Ausbildung entspricht“. In diesem Kontext werden nicht nur die zentrale Fachkräftesicherungsfunktion für Gesundheit, Erziehung und Soziales hervorgehoben, sondern auch Merkmale, die die Attraktivität der vollschulischen Ausbildung steigern (z. B. die Ähnlichkeit zu anderen europäischen beruflichen Bildungssystemen, Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit an weiterführende Bildungsoptionen, hohe formale Eingangsvoraussetzungen). Auch die Ergebnisse von Analysen zu den Arbeitsmarkterträgen sprechen für gute Möglichkeiten der Verwertbarkeit in Form von Beschäftigung und Einkommensrenditen (vgl. Hall 2012; vgl. auch die Befunde zu Erwerbsstatus, Ausbildungsadäquanz und Einkommen für Gesundheits- und Pflegeberufe in Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018, S. 146 f.).

Ähnlich wie beim Übergangssektor (s. unten), aber im Unterschied zum bundesrechtlich regulierten dualen System, liegt beim Schulberufssystem kein „einheitliches Muster aus Regularien und Zuständigkeiten“ zugrunde (Fritsche und Quante-Brandt 2012, S. 24). Institutionell findet die Ausbildung neben Berufsfachschulen an Schulen des Gesundheitswesens, bei privaten und öffentlichen Trägern sowie an Fachschulen, die eine Erstausbildung anbieten, statt. An den Berufsfachschulen erfolgen Ausbildungen in Berufen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Geltungsbereichs von Berufsbildungsgesetz und Handwerksordnung (BBiG/HwO). Die Ausbildungen in BBiG/HwO-Berufen sind meist temporär beschränkte Alternativen zu dualen Angeboten in Zeiten betrieblicher Ausbildungsplatzknappheit. Bei den Ausbildungen außerhalb BBiG/HwO handelt es sich einerseits um landesrechtlich geregelte Ausbildungen im sach- und personenbezogenen Dienstleistungssektor (z. B. staatlich geprüfte/r Kosmetiker/-in, Designer/-in). Die andererseits nach Bundesrecht geregelten Gesundheitsberufe sind in den entsprechenden Berufsgesetzen verankert (z. B. Hebamme/Entbindungspfleger, Ergotherapeut/-in), da bei Heilberufen besondere gesetzliche Anforderungen an Berufsausbildung und Berufszulassung gelten (Zöller 2015, S. 27). Insgesamt lassen sich in Anlehnung an Krüger (2004, S. 153) die Besonderheiten des Schulberufssystems wie folgt zusammenfassen: (a) geringe Regelungsdichte der Ausbildung, (b) heterogene Trägerlandschaft, (c) teilweise ungeregelte Qualifikation der Lehrkräfte, (d) unterschiedlichste Finanzierungsmodalitäten für Träger und Teilnehmer/-innen, die teils mit der Zahlung von Schulgeld, teils mit „Ausbildungsvergütungen“ verbunden sind.

In der letzten Dekade hat im Schulberufssystem ein erheblicher interner Umbau stattgefunden (siehe Abb. 3). Bemerkenswert ist dabei der Ausbau der Ausbildungen in den Bereichen Gesundheit, Erziehung und Soziales: Zwischen 2005 und 2017 erhöhte sich die Anzahl der Neuzugänge an Fachschulen und Fachakademien (nur Erstausbildung), die vor allem in Erziehungsberufen ausbilden (Zuwachs von mehr als 50 %). Weiterhin stiegen die Neuzugänge an Schulen des Gesundheitswesens deutlich an (Erhöhung um rund ein Viertel) und geringfügig auch die Helfer- und Assistenzausbildungen an den Berufsfachschulen im Bereich GES. Deutlich zurückgegangen dagegen sind die Ausbildungen in den BBiG/HwO-Berufen und in den kaufmännischen, gewerblichen, naturwissenschaftlichen und technischen Assistenzausbildungen (vgl. Abb. 2). Letztgenannte Entwicklung kann als Teil einer aktiven Berufsbildungspolitik zugunsten des Vorrangs dualer Ausbildungsangebote betrachtet werden, die vor allem in den ostdeutschen Ländern zur Einstellungen vollzeitschulischer Ausbildungsgängen außerhalb von personenbezogenen Dienstleistungsberufen geführt hat (vgl. Zöller 2015, S. 19 f.).

Abb. 3
figure 3

Entwicklung der Ausbildungen im Schulberufssystem nach Ausbildungsschwerpunkten und Schulformen 2005 bis 2017* (Anzahl). 1) Neuzugänge in Erstausbildungen in Gesundheit, Soziales und Erziehung, nicht Fortbildungen (z. B. Meister/Techniker). 2) Teilweise 1. Schuljahr. HZB Hochschulzugangsberechtigung, BA Berufsausbildung. *2017: Vorläufige Ergebnisse der integrierten Ausbildungsberichterstattung. (Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Integrierte Ausbildungsberichterstattung)

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass trotz des beträchtlichen strukturellen Umbaus des Schulberufssystems zugunsten der Ausbildungen in den Gesundheits- und Erziehungsberufen deren Anstieg deutlich hinter dem Fachkräftebedarf zurückbleibt. Eine entsprechende aktive Berufsbildungs- und Arbeitsmarktpolitik zur Steuerung der Fachkräfteentwicklung kann darin – zumindest bezogen auf die letzte Dekade – nicht ausgemacht werden. Ob der eher verhaltene Ausbau einschlägiger Angebote einer zu geringen Nachfrage geschuldet oder auch an fehlenden Ausbildungskapazitäten – räumlich und/oder personell – festzumachen ist, lässt sich für das Schulberufssystem, für das keine Erfassung der Ausbildungsangebote und der Nachfrage erfolgt, nicht gesichert feststellen. Ohne Frage wird aber die Attraktivität der Berufe eine Rolle spielen; hier sind beispielsweise deutliche Unterschiede in der Wertschätzung und Anerkennung zwischen Kranken- und Altenpflege zu erkennen. Inwiefern das Pflegereformgesetz und die darin vorgesehene Zusammenführung der Berufe Gesundheits- und Krankenpfleger/-in, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/-in sowie Altenpfleger/-in zu einer Steigerung der Attraktivität von Pflegeausbildung (v. a. Pflege älterer Menschen) beiträgt, bleibt abzuwarten.

Vor Herausforderungen steht das Schulberufssystem auch mit Blick auf die Professionalisierung in den Gesundheits- und Erziehungsberufen, zumal in den meisten europäischen Ländern entsprechende Berufe Teil der tertiären Ausbildung sind. Aufwind erfuhr die Debatte um berufsschulische oder hochschulische Ausbildung in den Gesundheitsberufen mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrats (2012), der sich in seinem Gutachten explizit dafür aussprach, das Fachpersonal in Pflege‑, Therapie- und Geburtshilfeberufen künftig an Hochschulen auszubilden. Ungeachtet einiger Reformbemühungen wie der erwähnten Zusammenführung der Pflegeausbildungen oder dem Aufbau von Parallelstrukturen für Ausbildungen an Hochschulen (neben fortbestehenden Ausbildungen an Berufsschulen) liegt aktuell (noch) kein tragfähiges Zukunftsmodell für diese Ausbildungen vor.

Forschungsseitig ist das Schulberufssystem relativ wenig erschlossen. Es liegen nur wenig belastbare Befunde zu Steuerungsmechanismen und zur Erklärung von Strukturentwicklungen in diesem Sektor vor. Ähnliches gilt für die Forschung zu den Leistungen des Schulberufssystems im Sinne von erfolgreichen Ausbildungsverläufen, Lernergebnissen und Berufseinmündungsprozessen. Am ehesten sind Befunde zu Arbeitsmarkterträgen verfügbar (vgl. z. B. Hall 2012; Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018, S. 146 f.). So gut wie keine Informationen liegen zu etwaigen Diskontinuitäten im Ausbildungsverlauf, einige wenige zu erreichten Kompetenzen vor (vgl. die Befunde zu Kompetenzen im Beruf Altenpfleger/-in bei Wittmann et al. 2015). Aus mehreren Perspektiven ist daher offen, welchen Steuerungsmechanismen Ausbildungen im Schulberufssystem folgen, welche Ausbildungsqualitäten und Ausbildungsergebnisse letztlich erreicht werden sowie welche Rolle das Schulberufssystem und seine Akteure bei der Entwicklung und Umsetzung eines tragfähigen Zukunftskonzepts einer beruflichen Ausbildung für sach- und insbesondere personenbezogene Dienstleistungsberufe zukünftig spielen werden.

3.3 Übergangssektor: Zwischen Reformmaßnahmen und schwierigen Anschlussperspektiven

Kennzeichnend für den Übergangssektor, in den 2017 rund 292.000 Jugendliche (29,3 % der Neuzugänge in das berufliche Ausbildungssystem) einmündeten, sind berufsvorbereitende Angebote, die zu keinem anerkannten Ausbildungsabschluss führen, sondern auf die Verbesserung individueller Kompetenzen und auf die Förderung von Berufsorientierung und Berufswahlkompetenzen gerichtet sind. Teilweise werden die Angebote der Berufsvorbereitung auch zielgruppenspezifisch mit Sprachfördermaßnahmen und Optionen zum nachträglichen Erwerb oder zur Verbesserung eines bestehenden Schulabschlusses verbunden. Der Übergangssektor kann einerseits als Ausdruck von Problemlagen beim Übergang von der allgemeinbildenden Schule in die berufliche Bildung betrachtet werden, andererseits eröffnet er Jugendlichen auch Chancen, die ohne dieses Angebot kaum bestünden.

Der als „Labyrinth“ (Münk et al. 2008) beschriebene Sektor zeichnete sich über fast zwei Dekaden durch unterschiedlichste Programme und Maßnahmen aus, die von einer Vielfalt an Akteuren, Verantwortlichkeiten, Adressatenkreise, Zielperspektiven und Curricula geprägt waren (vgl. Kutscha 2004). Die Intransparenz bezüglich eingesetzter Ressourcen und erbrachter Leistungen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008) wurde vermehrt öffentlich diskutiert, so dass auf Länderebene eine Reihe von Reformmaßnahmen in den letzten Jahren etabliert wurde. Diese zielten auf eine funktionalere Ausrichtung und interne Koordinierung der Maßnahmen, insbesondere auf eine Verbesserung des Anschlusses an eine Ausbildung ab (vgl. Christe 2013; Richter und Baethge 2017; Seeber et al. 2018, S. 41 ff.).

Trotz dieser Bemühungen muss letztlich mit Bezug auf die quantitative Entwicklung des Übergangssektors nach einem demografisch bedingten Rückgang zwischen 2005 und 2011 von einer Stabilisierung auf relativ hohem Niveau gesprochen werden. Strukturelle Entwicklungen lassen sich wie folgt charakterisieren: Der Übergangssektor ist „zunehmend Ländersache“ (Autorengruppe Bildungsbericht 2018, S. 137), denn die betriebsnäheren Angebote der Bundesagentur für Arbeit in Form berufsvorbereitender Maßnahmen (BvB) und Einstiegsqualifizierungen (EQ) nehmen inzwischen einen relativ geringen Anteil ein. Überdies sind im Zuge der Länderreformen in etwa der Hälfte der Bundesländer verschiedene Formen „dualisierter“ Berufsvorbereitung mit einer stärkeren Verschränkung von schulischem und betrieblichem Lernen entstanden, während die Berufsfachschulen stark zurückgebaut bzw. in einzelnen Ländern aufgrund ihrer Ineffektivität auch gänzlich abgeschafft (z. B. Hamburg) wurden.

Forschungsbefunde zu den Ergebnissen und zum Erfolg des Übergangssektors lassen eher disparate Wirkungen erkennen. Zwar gelingt letztlich etwas mehr als der Hälfte an Schülerinnen und Schülern nach einer oder mehreren Maßnahmen im Übergangssektor ein erfolgreicher Übergang in vollqualifizierende Ausbildung (vgl. Holtmann et al. 2017; Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018, S. 143 f.), dennoch verbleiben mehr als zwei Fünftel auch nach mehreren Maßnahmen zunächst chancenlos. Es zeigt sich, dass der Übergang in Ausbildung dabei weniger von der Kompetenzentwicklung in den Übergangsangeboten abhängt (diese fällt eher ernüchternd aus, vgl. z. B. Behrendt et al. 2017b), als vielmehr von mit Praktika verbundenen sog. „Klebeeffekten“ (Baas et al. 2012). Dementsprechend wurden die erwähnten Reformen mit einer curricular verankerten Verschränkung von berufsschulischen und betrieblichen Bildungs- und Qualifizierungsanteilen, einer systematischen Integration der Berufsorientierung und der Förderung von Berufswahlkompetenzen sowie oftmals auch mit individualisiertem Coaching der Übergangsprozesse verbunden.

Neue Herausforderungen dürften sich aktuell zudem mit den Veränderungen in der Komposition der Jugendlichen, die in den letzten Jahren in den Übergangssektor einmündeten, verbinden. Diese betreffen nicht nur den deutlich gestiegenen Anteil ausländischer Jugendlicher, die ohnehin höhere Hürden bei der Ausbildungseinmündung, zumindest das duale System betreffend, zu überwinden haben, sondern auch die Zusammensetzung nach Herkunftsländern (vgl. Beicht und Walden 2018) und die schulische Vorbildung (höhere Anteile an Jugendlichen ohne Schulabschluss oder mit sonstiger Vorbildung, vgl. Autorengruppe Bildungsbericht 2018).

3.4 Zwischenfazit

Da die verschiedenen Sektoren unterschiedlichen Steuerungslogiken unterliegen, zeigt sich für die berufliche Ausbildung ein uneinheitliches Bild. Dennoch lassen sich zunächst übergreifend zwei Dynamiken ausmachen: Augenfällig ist die Entwicklung zwischen dualer Ausbildung und Hochschulstudium („Akademisierung“). Ist die Zunahme der Studienanfängerinnen und -anfänger nachfragegesteuert als Ergebnis gestiegener Bildungsaspirationen zu sehen, folgen die Neuzugänge in die duale Ausbildung einer Angebotsorientierung über die von den Unternehmen bereitgestellten Ausbildungsplätze. Im dualen System sind die Neuzugänge etwa seit 20 Jahren tendenziell rückläufig; seit 1995 ist ein Rückgang um 11 % zu verzeichnen (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018). Die zweite Dynamik bezieht sich auf Strukturverschiebungen innerhalb der Berufsbildungssystems. Nach einem Höhepunkt im Jahr 2003 (hier mündeten mehr Jugendliche in den Übergangssektor ein als in eine duale Ausbildung) sinkt die Zahl der Neuzugänge in den Übergangssektor bis 2012 deutlich ab, stagniert anschließend und steigt im Jahr 2015 wieder merklich an. Auffällig an dieser Entwicklung ist, dass es in der aktuellen Phase bei einer sehr günstigen Wirtschaftssituation und einer sich erholenden Ausbildungsmarktsituation nicht gelingt, den Übergangssektor weiter zurückzufahren, und zwar unabhängig von dem in den letzten drei Jahren beobachtbaren Neuanstieg durch die Integration schutz- und asylsuchender Personen (vgl. Seeber et al. 2018; S. 53 ff., Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018, S. 137 ff.). Dies bedeutet, dass die Erschließung von Ausbildungspotenzialen am unteren Ende des Qualifikationsspektrums und von anderweitig sozial benachteiligten Gruppen bislang nur unzureichend gelingt.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Der Rückgang der Bedeutung der dualen Ausbildung in den letzten zwei Dekaden ist vor allem als Ergebnis eines lang anhaltenden Mismatch zwischen Ausbildungsangeboten und Nachfrage zu sehen; bundesweit betrachtet blieb über diese Zeitspanne das Angebot deutlich hinter der Nachfrage zurück. Zugleich stagniert der Übergangssektor mit mehr als einer viertel Million jährlicher Neuzugänge auf hohem Niveau. Entgegen den in Folge der Tertiärisierung zu erwartenden Zuwachs von Ausbildungen in den personenbezogenen und anderen Dienstleistungsberufen (vgl. dazu Baethge et al. 2003, S. 20) weist das Schulberufssystem diesbezüglich eine relativ geringe Beweglichkeit auf.

4 Problemlagen und Perspektiven der beruflichen Ausbildung

Ein beruflicher Bildungsabschluss ist gerade in einem stark auf formalen Abschlüssen beruhenden Arbeitsmarktzugang eine elementare Voraussetzung für gesellschaftliche Integration. Mit ihm verbinden sich die Zuweisung von gesellschaftlichem Status, aber auch die Chancen gesellschaftlicher Integration und politischer Teilhabe (vgl. Kutscha 2008). Es ist kein neuer und überraschender Befund, dass im Ausbildungszugang persistierende Chancenungleichheiten für bestimmte soziale Gruppen bestehen, die durch die aktuellen Ausbildungsstrukturen nur schwer aufzulösen sind. Vielfach wurde über die Schwierigkeiten des Ausbildungszugangs von Jugendlichen mit niedrigen Abschlüssen berichtet, auch wenn formal der Ausbildungszugang zumindest beim dualen System nicht an das Vorliegen eines Schulabschlusses gebunden ist. Besonders schwer wiegt dabei für Jugendliche ohne oder mit niedrigem Schulabschluss, dass der mittlere Abschluss zum dominanten Abschluss in den beiden vollqualifizierenden Sektoren geworden ist (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018, S. 130), der offensichtlich auch eine starke „Signalwirkung“ gegenüber Unternehmen aufweist. Daher steht den Jugendlichen mit maximal einem Hauptschulabschluss im dualen System und auch im Schulberufssystem ein deutlich eingeschränktes Berufsspektrum zur Verfügung (für das duale System vgl. Baethge 2011, 2017a; für das Schulberufssystem vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014, S. 112). Im Falle des Schulberufssystems handelt es sich bei den Ausbildungen im unteren Segment häufig um Vorstufen beruflicher Qualifizierungen (z. B. sozialpädagogische Assistenzberufe), deren Möglichkeiten des Anschlusses in eine berufliche Ausbildung und der Verwertung auf dem Arbeitsmarkt ungeklärt sind (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014, S. 112).

Analysen zeigen zudem, dass – trotz leichter Verbesserungen im Ausbildungszugang – migrationsbedingte Disparitäten anhalten (Beicht und Gei 2015). Diese Ungleichheiten bestehen im dualen System auch dann fort, wenn beispielsweise das Vorbildungsniveau (Schulabschluss, Noten, Kompetenzen) kontrolliert wird (Seeber et al. 2019). Allerdings zeigen Befunde auch, dass sich migrationsbedingte Disparitäten in Abhängigkeit von der gewählten Berufsgruppe mit unterschiedlicher Schärfe stellen (vgl. Autorengruppe Bildungsbericht 2018, S. 142 f.).

Zudem stellen die Passungsprobleme aufgrund regionaler Angebotsunterschiede einen „wesentlichen Transmissionsriemen für Ungleichheiten, die entlang von Merkmalen wie Geschlecht, sozialer oder ethnischer Herkunft beobachtbar sind“ (Ulrich 2013, S. 31), dar. In Regionen mit prosperierendem Ausbildungsmarkt bieten sich für gering qualifizierte Personen vergleichsweise bessere Möglichkeiten als in jenen mit Konkurrenzdruck. Aber nicht nur im Ausbildungszugang, sondern auch im Ausbildungsverlauf und im Kompetenzerwerb werden Disparitäten für verschiedene soziale Gruppen sichtbar. So zeigen Befunde zur vorzeitigen Vertragslösung in der dualen Ausbildung, dass hier überdurchschnittlich häufig Jugendliche mit niedrigen Abschlüssen und ausländischer Herkunft betroffen sind (Autorengruppe Bildungsbericht 2016, S. 113 ff.). Allerdings machen Rohrbach-Schmidt und Uhly (2015) in ihren Analysen deutlich, dass vorzeitige Vertragslösungen das Ergebnis vielfältiger Einflussfaktoren sind, die auf beruflichen, personenbezogenen, betrieblichen und regionalen Merkmalen beruhen. Auch wenn es in der Forschung bislang nur unzureichend gelungen ist, diese Effekte zu isolieren und ihren Einfluss hinreichend abzusichern, so kann doch als relativ gesichert gelten, dass gerade Jugendliche und junge Erwachsene, die von besonderen Schwierigkeiten am Ausbildungsübergang betroffen sind, zu höheren Anteilen in „unattraktive“ Ausbildungsberufe und eher in kleinere Unternehmen, deren Ausbildungskonzept stärker einem Produktionsmodell als einem Investitionsmodell entspricht, einmünden. Diese Kumulation von negativen Einflussfaktoren verstärkt vorzeitige Vertragslösungen. Insofern kann hier von einer doppelten Benachteiligung gesprochen werden.

Insgesamt deutet sich an, dass der Einfluss individueller Dispositionen sowie betrieblicher und berufsschulischer Lerngelegenheiten unterschiedliche Wirkungen entfaltet, die von Beruf zu Beruf variieren können. So arbeiten Nickolaus et al. (2016) deutliche Differenzen in den Einflussfaktoren und Effektstärken von individuellen Voraussetzungen, schulischen und betrieblichen Merkmalen auf die berufsfachliche Kompetenzentwicklung heraus. Noch relativ wenig erforscht sind dabei die betrieblichen Lerngelegenheiten (z. B. Instruktionsqualität, Aufgabenvielfalt, Passung von Anforderungen und Fähigkeiten, zeitliche Dispositionschancen, Feedback in der Ausbildung), die eine beträchtliche Varianz aufweisen (z. B. Rausch 2011). Hier besteht die Gefahr, dass gerade lernschwächere Jugendliche, die eher in kleinere als in größere Unternehmen einmünden, wiederum den Kürzeren ziehen.

Die Frage, inwieweit die berufliche Bildung in der Lage ist, mit Veränderungen der sozioökonomischen Rahmenbedingungen umzugehen und die zukünftig notwendigen Kompetenzprofile zu erzeugen, wirft ganz grundsätzliche Überlegungen zur Zukunftsfähigkeit der beruflichen Ausbildung auf. Auf der Folie der skizzierten Entwicklungen treten dabei die strukturellen Schwächen des Ausbildungssystems deutlich hervor:

Zunächst ist die Zweckmäßigkeit eines vorrangig marktregulierten Ausbildungszugangs anzuführen. Darüber hinaus ist die starke Ausdifferenzierung in teils sehr spezifische Berufsbilder (z. B. mehr als 50 kaufmännische und kaufmännisch-verwandte Ausbildungsberufe, vgl. Reinisch 2012), die häufig aus Partikularinteressen der Arbeitgeber resultiert, zu hinterfragen. Letztlich erschweren sehr spezifische Qualifikationsprofile (Splitterberufe) die Sicherstellung wohnort- und betriebsnaher Berufsschulangebote sowie Beschäftigungsmöglichkeiten und Flexibilität am Arbeitsmarkt (vgl. auch Brötz et al. 2009). Auch mit Blick auf Qualifikationsanforderungen in der digitalisierten Wirtschaft sind entsprechende Verengungen zu hinterfragen.

Kritisch zu betrachten sind auch die „herkömmliche Aufgabenverteilung zwischen Betrieb und Schule“ (Baethge et al. 2003, S. 38) und die inhaltlich-didaktische Ausrichtung am Primat des in der Berufspraxis zu erwerbenden Erfahrungswissens. Es gilt in diesem Zusammenhang, die Rolle der Berufsschule neu zu bewerten, die traditionell eine recht schwache Position innehat und sich bislang nicht zu einer „gleichberechtigten Systemkomponente“ (Greinert 2003, S. 201) im Ausbildungswesen entwickeln konnte. Greinert und Wolf (2013, S. 24) befürchten, dass sie als Spielball partikularer Interessenspolitik Gefahr läuft, „zu einem ähnlichen Schicksal der Agonie verurteilt zu werden wie schon die Hauptschule“. Ob sie sich, wie Baethge (2017b, S. 2) optimistisch urteilt, im „Aufwind“ befindet und ob es ihr gelingt, obgleich „als Stiefkind der Bildungspolitik“ (Baethge 2017b, S. 2) betrachtet, ihre Chancen auf Aufwertung und Neupositionierung in einer stärker an der Dienstleistungsgesellschaft orientierten beruflichen Bildung zu nutzen, dürfte derzeit offen sein.

Perspektivisch steht die Berufsausbildung hierzulande somit vor folgenden Herausforderungen:

  • Neubewertung der Zielperspektiven der Berufsbildung im Spannungsfeld von Fachkräftesicherung, Förderung von Ausbildungszugang und Teilhabechancen: Hier muss sich der Blick auf die drei Teilbereiche insgesamt bzw. deren Zusammenwirken richten und nicht isoliert auf einzelne Sektoren, wohl wissend, dass eine integrative Betrachtung durch unterschiedliche Steuerungslogiken, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten erschwert wird.

  • Konstruktive Bewältigung von veränderten Rahmenbedingungen:

    1. 1.

      Der Wandel von einer funktions- zu einer prozessorientierten Betriebs- und Arbeitsorganisation (u. a. diversifizierte und individualisierte Produkte und Dienstleistungen, hohe Innovationsdynamik) bringt eine Entwicklung von stabilen vertikal organisierten Unternehmen hin zu multifunktionalen Unternehmenseinheiten mit dezentralisierten Verantwortlichkeiten (veränderte Unternehmensorganisation) mit sich. Damit einher geht eine Veränderung der Arbeitsorganisation und der zu bewältigenden Aufgaben bei zeitgleicher Ausweitung der Arbeitsaufgaben. Es wird von einer Zunahme der Integration fachlichen Wissens in ein breites Spektrum überfachlicher Qualifikationen (z. B. soziale Qualifikationen, betrieblich-kaufmännische Qualifikationen auch in technischen und nicht-kaufmännischen Dienstleistungsberufen), von Fachwissensstrukturen als Grundlage beruflicher Tätigkeiten hin zu stärkeren Anforderungen an systemisches Denken (veränderte Wissensprofile) auszugehen sein. Die skizzierten Entwicklungen von gegenständlich ausgerichteten Qualifikationen zu vordergründig interaktiven Qualifikationen erfordern die Entwicklung komplexerer, teils hybrider Berufsprofile, die sich stellenweise unter dem Einfluss von Digitalisierung zukünftig erst noch herausbilden müssen.

    2. 2.

      Vor dem Hintergrund des sektoralen Wandels verändern sich Tätigkeitsstrukturen. Es ist von Verschiebungen hin zu wissensintensiven Tätigkeiten i. S. „neuer Kompetenzprofile nachindustrieller Erwerbsarbeit“ (Baethge 2015, S. 292) auszugehen, die stärker die Interaktion mit Geschäftspartnern sowie Kunden/Klienten/Patienten („Mitproduzenten“ des Produkts bzw. der Dienstleistung) in den Kern beruflicher Tätigkeit stellen. Eine fachinhaltlich-thematisch zentrierte Kommunikation wird zum immanenten Bestandteil beruflicher Tätigkeit und erfordert situationsbezogenes Interpretations- und Entscheidungsverhalten mit einem hohen Maß an Selbstorganisation, Reflexion und Selbstkontrolle. Kutscha (2015) diskutiert in diesem Zusammenhang den Ansatz einer erweiterten modernen Beruflichkeit als Antwort auf kontextuelle Veränderungen und wachsende Passungsprobleme, gestiegene Bildungsaspirationen und unzureichende Durchlässigkeit. Die im Rahmen der ASCOT-Initiative dokumentierten Kompetenzen am Ende der Ausbildung bleiben bislang deutlich hinter diesem Ideal zurück. Folgt man diesem Leitbild, so hätte das außerdem Konsequenzen beispielsweise für die Verbesserung der Durchlässigkeit von Berufsausbildung und Hochschulbildung (z. B. hybride Ausbildungs‑/Studienmodelle, geregelte Fortbildungsstufen). Dessen ungeachtet bleibt zu diskutieren, ob solche Bemühungen als ausreichende Antwort auf Passungsprobleme, gestiegene Bildungsaspirationen, Konkurrenz von Unternehmen und Hochschulen um leistungsfähige Bewerberinnen und Bewerber gesehen werden können.

  • Die Verfestigung des Übergangssektors erweist sich mit Blick auf die beruflichen Ausbildungschancen für Jugendliche mit niedrigen Qualifikationen und schlechten Lernvoraussetzungen als problematisch. Die berichteten kompositionellen Effekte erfordern nicht nur Adaptionen in den Kompetenzzielen und Curricula in den Maßnahmen des Übergangssektors, sondern sie stellen auch bestehende Regulationsmechanismen im Ausbildungszugang, vor allem die Selektion der Unternehmen im dualen System sowie Ausbildungsstrukturen mit Blick auf Organisation der Aufgabenteilung zwischen Betrieb und Berufsschule auf den Prüfstand (vgl. z. B. Baethge und Seeber 2016 zur Ausbildungsintegration von schutz- und asylsuchenden Personen). Soll die Integration bisher benachteiligter Gruppen gelingen, wären folglich sowohl die Regulation des Ausbildungszugangs über die Unternehmen als auch die bisherige Ausbildungsorganisation, Curricula sowie Verantwortungs- und Finanzierungsstrukturen zu hinterfragen. Hieran dürften angesichts der starken Stellung der Arbeitgeber im korporatistisch-staatlichen Steuerungssystem und deren Interessen (Baethge 2011, 2015) erhebliche Zweifel bestehen.

  • Bezüglich der Steuerung der beruflichen Ausbildung (Governance) stellt sich insgesamt die Frage, inwiefern vorwiegend beschäftigungs- und arbeitsmarktgetriebene Mechanismen der Ausbildung zielführend sind. Dies gilt sicherlich mit Blick auf die Ungleichheiten im Ausbildungszugang, aber auch unter der Perspektive des fortschreitenden strukturellen Wandels, der Veränderungen im Tätigkeitstypus und neuer Tätigkeitsdimensionen (Kommunikationsfähigkeiten, kognitiv-reflexive Anforderungen), die einen höheren Stellenwert im Qualifikationsprofil erhalten und nicht ausschließlich in arbeitsintegrierten Ausbildungsphasen erworben werden können (Baethge 2015, S. 292). Da Prozesse der Steuerung nicht nur die Gestaltung der Ausbildungsangebote, sondern auch deren Leitbild, grundlegende Struktur, institutionelle Verfasstheit und Organisation sowie die Weiterentwicklung von Curricula, die Qualitätssicherung an allen Lernorten und die Anschlussperspektiven an weiterführende Bildung umfassen (Baethge 2015, S. 274 f.), ergeben sich angesichts der aufgezeigten Funktionsschwächen beider vollqualifizierender Segmente von dualem System und Schulberufssystem und der skizzierten Herausforderungen sehr grundsätzliche Fragen der Steuerung beruflicher Ausbildung. Diese werden sich schwerlich über nur zögerliche „Nachjustierungen“ einzelner Steuerungselemente bewältigen lassen.