1 Einleitung

Die Studierendenzahlen in Deutschland steigen kontinuierlich. Gleichzeitig wird die Studierendenschaft immer heterogener. Dazu beigetragen hat nicht zuletzt die Flexibilisierung der Zugangswege zur Hochschule der vergangenen Jahrzehnte (Jacob 2004; Teichler und Wolter 2004; Heine et al. 2008; Jacob und Weiss 2008; Schindler und Reimer 2011; Orr und Hovdhaugen 2014; Schindler 2014; Buß et al. 2018). Zwar ist der direkte Weg über die gymnasiale Oberstufe mit der allgemeinen Hochschulzugangsberechtigung und der unmittelbare Übergang in das Studium nach wie vor der Königsweg in die Hochschule, jedoch verfügen inzwischen 27 %Footnote 1 aller Studierenden über eine abgeschlossene Berufsausbildung (Willich et al. 2011) und ein wachsender Anteil von ihnen hat die Hochschulzugangsberechtigung über berufliche Zugangswege erhalten (Rau 1999; Dahm und Kerst 2013; Wolter 2013; Duong und Püttmann 2014; Brändle und Lengfeld 2015; Buchholz und Pratter 2017). Trotz ihrer zahlenmäßigen Relevanz ist diese Studierendengruppe bisher nur unsystematisch erforscht worden. Vorhandene Arbeiten konzentrieren sich zumeist auf die „nicht-traditionellen Studierenden“, die ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung in die Hochschule eintreten (Brändle und Lengfeld 2015, 2016; Dahm und Kerst 2016). Die Heterogenität innerhalb der Gruppe der Studierenden mit beruflicher Ausbildung wurde bisher kaum berücksichtigt. Aufgrund der Vielfalt der hochschulischen Zugangswege und angesichts der Öffnung der Hochschulen für Studierende ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung sowie der Entkopplung der Schulabschlüsse von den Schulformen der Sekundarstufe erscheint eine Differenzierung der Studierenden mit beruflicher Ausbildung notwendig und sinnvoll (Schuchart 2006; Jürgens und Zinn 2012; Nickel und Duong 2012; Duong und Püttmann 2014). Darüber hinaus wurde den Eingangsvoraussetzungen der Studierenden mit vor-tertiärer beruflicher Ausbildung bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt, dabei entscheidet gerade die Studieneingangsphase über Erfolg oder Misserfolg im weiteren Studienverlauf (Bosse und Trautwein 2014; Brahm et al. 2014, 2016; McGhie 2016; Trautwein und Bosse 2016). Dieser Beitrag widmet sich daher insbesondere Aspekten der Heterogenität und damit verbundenen gruppenspezifischen Unterschieden in der Studienvorbereitung bzw. „Studierfähigkeit“. Die leitende Forschungsfrage lautet dementsprechend: Inwiefern unterscheiden sich Studierende verschiedener vor-tertiärer Bildungswege in ihrer Studienvorbereitung? Einer ausführlichen Begriffsklärung und Definition der untersuchten Studierendengruppen folgt ein Überblick über den Forschungsstand und eine Ableitung von spezifischen Forschungsfragen, die anschließend anhand der Studierendenkohorte des Nationalen Bildungspanels (NEPS Startkohorte 5) beantwortet werden. Der Beitrag schließt mit einem Fazit und einer Diskussion der Befunde ab.

2 Begriffsklärung: Studierende mit vor-tertiärer beruflicher Ausbildung

Abweichend vom häufig verwendeten Begriff der „nicht-traditionellen Studierenden“, der je nach Definition sehr unterschiedliche Gruppen meinen kann, beschränkt sich diese Arbeit nicht auf die Gruppe der Studierenden ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung, sondern schließt auch Studierende ein, die außerhalb der allgemeinbildenden gymnasialen Oberstufe eine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben. Zusätzlich nehmen wir die Gruppe der „Doppelqualifizierer“ in den Blick, die – anders als die „traditionellen Studierenden“ – zwar in der gymnasialen Oberstufe eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung erworben, jedoch anschließend eine nicht-tertiäre berufliche Ausbildung abgeschlossen haben. Diese Einteilung der Studierenden mit beruflicher Ausbildung ist angelehnt an diejenige von Jürgens und Zinn (2012). Zusätzlich zu den von Jürgens und Zinn identifizierten drei Studierendengruppen untersuchen wir jedoch auch Studierende ohne berufliche Ausbildung. Dahm und Kerst (2016) schließen ebenfalls Studierende mit schulischer Hochschulzugangsberechtigung ohne beruflichen Ausbildungsabschluss in ihre Untersuchung ein, fassen jedoch in dieser Gruppe die allgemeine Hochschulreife mit der fachgebundenen Hochschulreife zusammen. Aus Gründen, die wir weiter unten näher erläutern, sind wir auch von dieser Kategorisierung der Studierendengruppen abgewichen. Insgesamt unterscheiden wir fünf Gruppen:

Die traditionellen Studierenden:

Sie haben eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung in der gymnasialen Oberstufe erworben und treten ohne vorgeschaltete berufliche Ausbildung in die Hochschule ein. In dieser Gruppe können durchaus längere Übergangszeiten auftreten, die beispielweise das freiwillige soziale Jahr, Dienstzeiten in der Bundeswehr, Reisen und Auslandsaufenthalte sowie Elternzeiten und Berufstätigkeiten umfassen. Vor Beginn des Studiums wird von dieser Gruppe jedoch kein vollqualifizierender beruflicher Ausbildungsabschluss erworben.

Studierende mit eingeschränkter Hochschulzugangsberechtigung:

Diese Gruppe hat eine Fachhochschulreife oder fachgebundene Hochschulreife in der allgemeinbildenden Oberstufe oder am beruflichen Gymnasium/Fachgymnasium erworben. Bei diesen Studierenden handelt es sich zum Teil um Abgänger aus der allgemeinbildenden oder beruflichen gymnasialen Oberstufe (nach Jahrgangstufe 12 oder nach einer nicht bestandenen Abiturprüfung). Die Fachhochschulreife berechtigt zum Übergang an Fachhochschulen, nicht aber an Universitäten. Mit einer fachgebundenen Hochschulreife können Studiengänge an Fachhochschulen und Universitäten belegt werden, die im Abschlusszeugnis aufgeführt sind. Die fachgebundene Hochschulreife kann auch über eine berufliche Höherqualifikation erworben werden, allerdings werden dieser Gruppe nach unserer Definition ausschließlich Studierende zugewiesen, die nach der Sekundarstufe keine berufliche Ausbildung abgeschlossen haben.

Studierende im ersten Bildungsweg:

Diese Gruppe umfasst Studierende, die an einer gymnasialen Oberstufe eine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben, jedoch im Anschluss daran eine vollqualifizierende berufliche Ausbildung absolvierten. Diese Studierenden wurden in der bisherigen Bildungsforschung häufig „Doppelqualifizierer“ genannt (Büchel und Helberger 1995; Pilz 2009; Hammen 2011). In vielen Fällen handelt es sich um eine gezielte Ausbildungsstrategie: das nachgelagerte Studium ist häufig bereits zu Beginn der Ausbildung geplant (oder wird zumindest nicht ausgeschlossen). Diese Gruppe nutzt die Ausbildung häufig als Überbrückung von Wartezeiten (bei Numerus-Clausus-Fächern) oder als Versicherungsstrategie, beispielsweise, um die Risiken eines Studienabbruches abzufedern (Büchel und Helberger 1995; Scholten und Tieben 2017).

Studierende im zweiten Bildungsweg:

Diese Gruppe hat die Hochschulzugangsberechtigung nicht an einer allgemeinbildenden gymnasialen Oberstufe erworben, sondern nach oder mit dem Abschluss einer vollqualifizierenden beruflichen Ausbildung. Hochschulzugangsberechtigungen können berufsbegleitend oder während einer Erwerbslosigkeit an Abendschulen erworben werden. In dieser Gruppe sind zudem Hochschulzugangsberechtigungen häufig, die begleitend zur beruflichen Ausbildung erworben werden. Dies ist in der Regel durch die Wahl zusätzlicher Fächer aus dem allgemeinbildenden Curriculum (Mathematik, Deutsch, Fremdsprachen) und zusätzlicher Abschlussprüfungen möglich. Durch die Vielzahl bundeslandspezifischer Regelungen ist diese Gruppe hinsichtlich ihrer Studienvorbereitung möglicherweise äußerst heterogen. Oftmals verfügt diese Gruppe lediglich über eingeschränkte Hochschulzugangsberechtigungen wie die fachgebundene Hochschulreife oder Fachhochschulreife (Schindler 2014).

Studierende im dritten Bildungsweg:

Diese Gruppe umfasst alle Studierenden, die gänzlich ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung in die Hochschule eintreten (Dahm et al. 2013; Dahm und Kerst 2013). Auch hier sind die Regelungen in den einzelnen Bundesländern sehr vielfältig, in der Regel erfordert der Hochschulzugang jedoch eine abgeschlossene berufliche Ausbildung und mehrjährige Berufserfahrung. Häufig finden sich in dieser Gruppe Studierende mit Meisterbrief oder Techniker-Ausbildung.

3 Stand der Forschung

3.1 Studierende mit vor-tertiärer beruflicher Ausbildung

Studierende mit vor-tertiärer beruflicher AusbildungFootnote 2 sind Mitte der 1990er Jahre in den Blick von Bildungsforschung und -politik geraten. Im Zentrum der Debatte stand vor allem die Frage, ob die „Doppelqualifikation“ (also der Studienabschluss nach einer vollqualifizierenden Berufsausbildung bei Abiturienten mit allgemeiner Hochschulreife) zusätzliche Erträge im Arbeitsmarkt generiert (Büchel und Helberger 1995; Cordier et al. 1995). Büchel und Helberger kritisieren die gängige Praxis der Doppelqualifikation als ineffizient, da dadurch persönliche und gesellschaftliche Ressourcen investiert werden, welche jedoch nicht in höheren Erträgen (im Sinne von höherem Berufsstatus und Einkommen) im Arbeitsmarkt resultieren (siehe auch Hammen 2011). Daraus ergibt sich die Frage, warum sich Personen nach dem Absolvieren einer Berufsausbildung für ein Studium entscheiden. Nach Breen und Goldthorpe (1997) werden Bildungsentscheidungen rational entlang dreier subjektiv wahrgenommener Kriterien getroffen: Kosten, Nutzen und Erfolgswahrscheinlichkeit. Demzufolge können sich beispielsweise leistungsschwache Schüler nicht sicher sein, ein Studium erfolgreich zu durchlaufen, sodass sie zunächst den „sichereren“ Weg über eine Ausbildung nehmen (Bellmann et al. 2008; Edeling und Pilz 2017). Auch Studieninteressierte aus Nichtakademikerhaushalten entscheiden sich eher für eine Ausbildung vor dem Studium, weil aufgrund fehlender familiärer Erfahrungswerte die Entscheidung für ein Studium mit Unsicherheit und in vielen Fällen auch mit einer höheren Kostenwahrnehmung einhergeht (Hillmert und Jacob 2003; Müller und Pollak 2004). Cordier et al. (1995) konstatieren, dass meist ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen Ausbildungsberuf und Studienfach besteht. Das lässt darauf schließen, dass die Studierenden sich einen Nutzen der Kenntnisse aus der Berufsausbildung für das Studium erhoffen und damit gleichzeitig eventuelle Arbeitsmarktrisiken im Falle eines Studienabbruches abzufedern versuchen (Scholten und Tieben 2017).

Bezüglich des tatsächlichen Studienerfolgs sind die Befunde uneinheitlich – grundsätzlich muss hier zwischen den eigentlichen Studienleistungen (z. B. Noten, Prüfungsleistungen, Studiergeschwindigkeit, Kompetenzen) und dem erfolgreichen Abschluss des Studiums unterschieden werden. Erdel (2010) erhebt Daten von Bachelorstudierenden der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Universität Erlangen-Nürnberg und stellt fest, dass Studierende mit bereits abgeschlossener beruflicher Ausbildung im ersten Studienjahr bessere Noten haben als ihre direkt von der Schule kommenden Kommilitoninnen und Kommilitonen. Die von Burchert und Müller (2012) untersuchten BWL-Studierenden mit Berufsausbildung schrieben darüber hinaus ihre Prüfungen zu einem früheren Zeitpunkt und erhielten bessere Noten als ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen. Eine sehr spezifische Zielgruppe nahmen sich Jürgens und Zinn (2012) vor: Die in Teilzeit Studierenden des dritten Bildungsweges in Maschinenbaustudiengängen einer Fachhochschule wiesen in der Erhebung keine signifikanten Kompetenzunterschiede im Vergleich zu anderen Studierenden auf. Diesen Aussagen widersprechen die Ergebnisse von Brändle und Lengfeld (Brändle und Lengfeld 2015, 2016) die schlechtere Studienergebnisse und eine längere Studienzeit für die untersuchten Studierenden eines Studienganges der Sozialökonomie an der Universität Hamburg berichten.

Obwohl hier nur vereinzelte Studien Hinweise auf Leistungsdefizite liefern, zeigen Arbeiten, die sich mit den Studienabbruchraten beschäftigen, dass Studierende mit beruflicher Qualifikation häufiger die Hochschule ohne Abschluss verlassen. Müller und Schneider (2013) zeigen, dass Studierende, die ihr Abitur an einer allgemeinbildenden gymnasialen Oberstufe erworben haben und danach direkt auf eine Hochschule gehen, signifikant niedrigere Studienabbruchraten haben als Studierende, die nicht den traditionellen Weg genommen haben. Dies gilt allerdings nur für Universitäten, nicht für Fachhochschulen. Bei Heublein et al. (2017) finden sich Hinweise, dass Studienabbrecher häufiger eine Berufsausbildung absolviert haben, als Hochschulabsolventen. Dahm und Kerst (2016) kommen zu dem Schluss, dass die Noten und der Studienfortschritt der Studierenden ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung mit denen der traditionellen Studierenden vergleichbar sind, sie aber dennoch seltener einen Hochschulabschluss erreichen. Im Gegensatz dazu stellen Rager und Rottmann (2015b) keinen Zusammenhang zwischen einer Berufsausbildung und der Wahrscheinlichkeit, das Studium erfolgreich abzuschließen, fest. Tieben (2016) unterscheidet Studienabbruch und Studienwechsel und zeigt, dass Studierende mit vor-tertiärer beruflicher Ausbildung zwar seltener das Erststudium abbrechen, im Falle eines Abbruches jedoch seltener in einen alternativen Studiengang an der Hochschule übergehen, sondern sich häufiger für einen endgültigen Ausstieg aus dem Studium entscheiden.

Diese Befunde deuten darauf hin, dass bei der Untersuchung des „Studienerfolges“ zwischen der eigentlichen Studienleistung und eventuellen Abbruchentscheidungen differenziert werden sollte. Während nur wenige Studien eindeutige Hinweise auf Leistungsdefizite der nicht-traditionellen Studierenden liefern, scheint diese Gruppe dennoch häufiger als traditionelle Studierende das Studium abzubrechen. Keine der hier zusammengefassten Forschungsarbeiten nimmt eine weitere Untergliederung der Studierenden mit vor-tertiärer beruflicher Ausbildung vor. Dabei sind die Zugangswege zur Hochschule und insbesondere die „Umwege“ über die berufliche Ausbildung sehr vielfältig und resultieren in unterschiedlichen Studienvoraussetzungen.

3.2 Vor-hochschulischer Kompetenzerwerb und Studierfähigkeit

In Deutschland fand und findet seit der Reform der gymnasialen Oberstufe Ende der sechziger Jahre eine phasenweise intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Studierfähigkeit statt (Wolter und Reibstein 1991; Konegen-Grenier 2002; Trautwein und Lüdtke 2004; Asdonk et al. 2013; Köller 2013; van den Berk et al. 2016). Im Mittelpunkt des gesellschaftspolitischen und damit auch wissenschaftlichen Interesses steht die Frage, inwiefern das Abitur (noch) auf das Studium vorzubereiten vermag. Insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmend diversifizierten gymnasialen Oberstufe stellt sich die Frage, ob beispielsweise das berufliche Gymnasium in gleichem Maße die Studierfähigkeit der Absolventen sicherstellt, wie die allgemeinbildende gymnasiale Oberstufe. Ein Vergleich der Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik sowie Englisch und Wissenschaftspropädeutik förderte teilweise erhebliche Kompetenzunterschiede zwischen Abiturientinnen und Abiturienten aus beruflichen und allgemeinbildenden Oberstufen zutage (Watermann et al. 2004; Trautwein et al. 2007; Jonkmann et al. 2010; Nagy et al. 2010; Asdonk und Sterzik 2011). Ob die in der Oberstufe vermittelten Kompetenzen einen Einfluss auf den Studienerfolg haben, konnte bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden, wohl auch deshalb, weil die erforderlichen Kompetenzen sich je nach Studiengang stark voneinander unterscheiden können (Oepke und Eberle 2016). Die hohe prädiktive Kraft der Abiturnoten, in denen sie sich niederschlagen, für spätere Studienperformanz, bzw. Studienabbruch ist allerdings bekannt (Gold und Souvignier 2005; Brandstätter et al. 2006; Rager und Rottmann 2015a; Oepke und Eberle 2016). Ebenfalls wichtig für einen erfolgreichen Einstieg in das Studium sind Kenntnisse in wissenschaftlichen Arbeitstechniken (z. B. dem Recherchieren, Auswerten und Einordnen wissenschaftlicher Fachliteratur), das Fachinteresse, Freude am Studium oder auch eine selbständige Arbeitsweise und effektive Lernstrategien, welche in unterschiedlichem Maße bereits vor Studienbeginn erlernt worden sind (Heldmann 1984; Kazemzadeh et al. 1987; Heldmann und Finkenstaedt 1998; Konegen-Grenier 2002; Ruffing 2016). Standardisierte Kompetenztestungen, die Vergleiche zwischen Studierenden aus unterschiedlichen Zugangswegen zur Hochschule erlauben, sind in der deutschsprachigen Literatur eine Ausnahme. Voßkamp und Laging (2014) testen an einer Stichprobe von Studierenden der Wirtschaftswissenschaften die Mathematikkompetenzen und stellten bei einer insgesamt schlechten Performanz insbesondere bei den Studierenden mit nicht-gymnasialer Hochschulzugangsberechtigung größere Defizite fest. Die Autoren zeigen zudem, dass diese Studierenden trotz der durchschnittlich schlechteren Testergebnisse seltener Brückenkurse besuchen, die eigens für Studierende eingerichtet wurden, deren mathematische Vorkenntnisse für einen erfolgreichen Einstieg in das Studium nicht ausreichen. Anders als Dahm und Kerst (2016), die davon ausgehen, dass nicht-traditionelle Studierende ihre eigenen Fähigkeiten eher unterschätzen, vermuten Voßkamp und Laging (2014), dass in dieser Gruppe eine Überschätzung der eigenen Kenntnisse dazu führt, dass Brückenkurse nicht besucht werden (siehe auch Bandura 1997). Eine Erklärung, die sich spezifisch auf die Selbsteinschätzung der unterschiedlichen Studierendengruppen bezieht, liefern die gängigen theoretischen Ansätze nicht. Naheliegend ist jedoch die Vermutung, dass Personen, die sich nach der Berufsausbildung noch für ein Studium entscheiden, innerhalb ihrer „Peer-Group“ zu den ambitionierten und leistungsstarken Berufsschülern bzw. Arbeitnehmern zählen. Nach den Annahmen der Big-Fish-Little-Pond-Theorie (Marsh 1987) erfolgt die Studienentscheidung daher zunächst vor dem Hintergrund des Vergleichs der eigenen Leistungen mit jenen der Peer-Group. Diese Einschätzung verschiebt sich möglicherweise nach dem Eintritt in die Hochschule, wenn die eigenen Fähigkeiten plötzlich mit denen der traditionellen Kommilitonen und den tatsächlichen Studienanforderungen verglichen werden. Eine weitere Erklärung bietet Manski (1989). Er weist darauf hin, dass Studierende zu Beginn des Studiums weder wissen, ob sie das Studium erfolgreich werden beenden können, noch, ob dies nach Studienbeginn ein wichtiges Ziel bleiben wird. Erst konfrontiert mit der realen Studiensituation können sie ihre Chancen realistisch einschätzen. Manski zufolge handelt es sich bei der Studienentscheidung somit um ein Experiment mit unbekanntem Ausgang.

3.3 Fragestellungen

Obwohl die Heterogenität der Studierendenschaft zunehmend in den Blick der Bildungsforschung geraten ist (Banscherus 2015; Barnat et al. 2017), ist das Wissen über den individuellen Kenntnisstand der Studierenden mit vor-tertiärer beruflicher Ausbildung lückenhaft und widersprüchlich. Ein Grund für die uneinheitlichen Ergebnisse liegt in der bereits angerissenen, in bisherigen Arbeiten nicht stringent erfolgten Differenzierung der Studierenden mit vor-tertiärer beruflicher Ausbildung. Hinsichtlich der Studierfähigkeit zeigt sich zwar in der bisherigen Forschung, dass es je nach besuchter Schulform erhebliche Unterschiede in den Kompetenzniveaus gibt, diese Messungen konzentrieren sich jedoch auf Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe – die Kompetenzen der Studierenden nach dem Übergang an die Hochschulen sowie die Verwertbarkeit von schulischen Kompetenzen im Studium blieben meist unberücksichtigt. Ebenfalls bisher kaum diskutiert wurden mögliche Diskrepanzen zwischen der Selbsteinschätzung der Studierenden hinsichtlich der eigenen Kompetenzen und den Ergebnissen standardisierter Leistungstests.

Daraus ergeben sich für die vorliegende Arbeit folgende Forschungsfragen:

  1. 1.

    Welche Unterschiede zeigen sich im Zusammenhang mit verschiedenen Zugangswegen an die Hochschule hinsichtlich des vor-hochschulischen Wissensstandes in den Kernfächern der gymnasialen Oberstufe sowie studienbezogener Schlüsselkompetenzen?

  2. 2.

    Zeigen sich auf der Aggregatebene gruppenspezifische Diskrepanzen zwischen der eigenen Einschätzung bezüglich der Kernfächer und den Ergebnissen standardisierter Leistungstests?

  3. 3.

    Beurteilen Studierende, unterschieden nach der Art ihres Zugangsweges zur Hochschule, ihre Vorbereitung auf das Studium unterschiedlich?

Im ersten Schritt nehmen wir eine Differenzierung der Studierenden in die oben dargestellten fünf Gruppen vor und fassen anhand deskriptiver Analysen zunächst die sozio-demographische Zusammensetzung der einzelnen Gruppen und die Studienwahl hinsichtlich des Hochschultyps und des Studienganges zusammen. Im zweiten Schritt untersuchen wir Gruppenunterschiede in der Selbsteinschätzung bezüglich der Leistungen in Grundkompetenzen aus dem Curriculum der gymnasialen Oberstufe. Zur Überprüfung, ob hier Diskrepanzen in der Selbsteinschätzung und den Ergebnissen standardisierter Kompetenztests vorliegen, ergänzen wir diese Analysen um Testergebnisse aus dem ersten Studienjahr. Da allerdings nicht ausschließlich die Grundkompetenzen zum Studienerfolg bzw. zu späteren Abbruchentscheidungen beitragen, sondern auch studienbezogene Schlüsselkompetenzen, wie wissenschaftliche Arbeitstechniken, untersuchen wir auch hier Gruppenunterschiede. Abschließend vergleichen wir mit Hilfe multivariater Analysen die fünf Gruppen hinsichtlich ihrer Einschätzung, ob die vorhandenen Kenntnisse für das Studium ausreichen.

4 Daten und Methoden

4.1 Daten

Grundlage für die Analysen sind die Daten der Startkohorte 5 (Datarelease 8‑0-0) des Nationalen Bildungspanels (NEPS) (Blossfeld et al. 2011). In dieser Erhebung werden Erstsemesterstudierende des Wintersemesters 2010/11, die in einem Bachelor‑, Master- oder Diplomstudiengang an einer staatlichen oder privaten Hochschule eingeschrieben sind, in regelmäßigen Abständen befragt. Die Befragungen finden zweimal jährlich mit jeweils rotierenden Instrumenten als CATI- oder CAWI-Befragung statt. Für die hier vorliegenden Analysen wurden Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgewählt, die an beiden Befragungen im ersten Studienjahr teilgenommen haben und für die Informationen zu den relevanten Items vollständig ausgefüllt wurden (Welle 1 CATI im Wintersemester 2010/2011 und Welle 2 CAWI im Herbst 2011). Die in dieser Arbeit herangezogenen Variablen beziehen sich entsprechend auf diese Erhebungswellen, sodass die Datenstruktur aufgrund der Itemrotation einer Querschnittstudie entspricht. Studierende in Fernstudiengängen und an Dualen Hochschulen sowie Studierende, die berufsbegleitend studieren, wurden aus der Stichprobe entfernt, da diese in ihrem Studierverhalten und in ihren Studienbedingungen zum Teil erheblich von Vollzeitstudierenden abweichen und damit eine zusätzliche Heterogenität produzieren, die mit den kleinen Fallzahlen nicht ausreichend abgebildet werden kann. Ausgehend von den N = 17.910 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der ersten Welle ergibt sich bei den N = 12.273 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der zweiten Welle ein Anteil von 68 %. Nach der Bereinigung des Datensatzes und der Auswahl der relevanten Fälle gehen 11.204 (91 %) Fälle in die Analysen ein (siehe Tab. 2). Bei den Daten der Startkohorte 5 handelt es sich um eine geschichtete Klumpenstichprobe. Aus diesem Grund wurden alle hier präsentierten Analysen mit entsprechenden Gewichtungs- und Korrekturfaktoren durchgeführt (Zinn et al. 2017).

4.2 Operationalisierung

Auf der Grundlage der in Abschn. 2 beschriebenen Studierendengruppen wurden aus den im Datensatz verfügbaren detaillierten Informationen zu den individuellen Bildungsverläufen entsprechende Gruppen gebildet. Der Datensatz enthält Variablen zum Schultyp der Sekundarstufe, den dort erworbenen Schulabschluss (so dass beispielsweise eine Fachhochschulreife/fachgebundene Hochschulreife beim Abgang vom Gymnasium nach der 12. Jahrgangsstufe identifiziert werden kann) sowie zu beruflichen Bildungsgängen und den dort erworbenen Abschlüssen. Durch die Informationen zum Start- und Endzeitpunkt der jeweiligen Bildungsepisoden kann genau ermittelt werden, ob eine Ausbildung vor oder nach dem Erwerb der Hochschulreife und vor dem Eintritt in die Hochschule stattgefunden hat. Tab. 1 zeigt eine Übersicht über die jeweiligen Kodierregeln, die angewendet wurden.

Tab. 1 Kodierregeln zur Kategorisierung der Studierendengruppen

Im ersten Studienjahr wurden die Studierenden zu ihrer Vorbereitung auf das Studium befragt und machten Angaben über vorhandene Kenntnisse in Mathematik, Deutsch, Englisch und EDV. Die Antworten erfolgten jeweils auf einer vierstufigen Likertskala. Studienspezifische Vorkenntnisse im wissenschaftlichen Arbeiten (richtiges Zitieren, Protokoll einer Diskussion anfertigen, Experimente planen usw.) und Kenntnisse in wissenschaftlichen Arbeitsmethoden des Faches wurden ebenfalls auf einer vierstufigen Likertskala erfasst. Darüber hinaus nutzen wir zwei Items, die die Selbsteinschätzung der Studierenden bezüglich der Vorbereitung auf die Anforderungen des Studiums messen. Die Studierenden wurden gefragt, ob zu Beginn des Studiums wichtige Kenntnisse fehlten und wie gut sie insgesamt ihre Vorbereitung auf das Studium einschätzen. Die Variablen zur Messung der studienrelevanten Vorbereitung wurden zur besseren Vergleichbarkeit z‑standardisiert. In Tab. A1 im Online-Anhang finden sich detaillierte Angaben zu den genauen Fragetexten und Antwortkategorien.

Eine Teilstichprobe (N = 4745) der NEPS Startkohorte 5 hat im ersten Semester an einem Leistungstest in Mathematik und Lesen teilgenommen. Um auch den „objektiven“ Kenntnisstand zu überprüfen, verwenden wir die weighted likelihood estimation-Testscores (WLE) aus diesem Leistungstest (Warm 1989). Diese Scores sind aus 20 (Mathematik) bzw. 28 (Lesen) Einzelitems generiert und werden im scientific use file zur Verfügung gestellt. Informationen zu Mess- und Skalierungsmethoden sowie zur Validität und Reliabilität finden sich in den jeweiligen NEPS-Technical Reports (Pohl et al. 2014; Gerken und Schnittjer 2017). Beide Werte wurden auf Basis der bereinigten Stichprobe z‑standardisiert. Die deskriptiven Statistiken der WLE-Scores finden sich in Tab. A.3 im Online-Anhang.

Für die deskriptiven Analysen und als Kontrollvariablen in den multivariaten Analysen ziehen wir das Geschlecht (männlich = 0, weiblich = 1) heran. Das Alter bei Eintritt in das Erststudium wird kategorial gemessen (18–19, 20–25, 26–30, 31–40, 41–50 und 51+). Für die multivariaten Analysen werden aufgrund geringer Fallzahlen die Altersgruppen über 30 Jahre zusammengefasst. Die Bildung der Eltern wird anhand von CASMIN (Braun und Müller 1997) in drei Kategorien eingeteilt (Sekundarschule ohne berufliche Ausbildung, Sekundarschule mit beruflicher Ausbildung, Hochschulabschluss). Die Sekundarschule schließt jeweils auch die Sekundarstufe II ein. Bei Studierenden, deren Eltern unterschiedliche Bildungsniveaus haben, wurde der höchst gebildete Elternteil zur Codierung der Variablen herangezogen (Korupp et al. 2002). Das Studienfach des Erststudiums wurde in folgende Kategorien gruppiert: Sport‑/Sprach- und Kulturwissenschaften, Rechts‑/Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Mathematik und Naturwissenschaften, Humanmedizin und Gesundheitswissenschaften, Agrar‑/Forst‑/Ernährungswissenschaften und Veterinärmedizin sowie Ingenieurswissenschaften. Außerdem wurde eine Unterscheidung in Fachhochschulen und Universitäten vorgenommen. Die rechte Spalte in Tab. 2 weist für diese Variablen jeweils die Fallzahlen und Spaltenprozente aus.

Tab. 2 Deskriptive Statistiken der sozio-demographischen und studiengangsbezogenen Variablen. Die angegebenen Prozentanteile sind Spaltenprozent, bezogen auf die jeweilige Studierendengruppe

4.3 Methoden

Für die Analysen nutzen wir STATA 14. Im ersten Schritt vergleichen wir die Mittelwerte der fünf Gruppen bezüglich ihrer Angaben zu den selbst eingeschätzten Kenntnissen in Mathematik, Deutsch, Englisch, wissenschaftlichen Arbeitsmethoden und EDV und kontrastieren diese mit den Ergebnissen aus den Leistungstests in Mathematik und Lesen. Die Gruppenunterschiede der Mittelwerte werden grafisch dargestellt, die Mittelwerte sind im Online-Anhang in Tab. A.2 ausgewiesen. Ergebnisse der T‑tests aller Gruppenkontraste finden sich in Tab. A.5 im Online-Anhang. Im zweiten Schritt wird untersucht, ob die Studierendengruppen sich hinsichtlich ihrer Einschätzung einer „insgesamt guten Studienvorbereitung“ unterscheiden. Da diese Einschätzung unter Umständen nicht unabhängig vom Geschlecht, dem Lebensalter und dem gewählten Studiengang ist, werden logistische Regressionen mit entsprechenden Kontrollvariablen gerechnet. Getrennte Analysen für Universitäten und Fachhochschulen geben Aufschluss darüber, ob die Einschätzung sich für die Hochschultypen unterscheidet.

5 Ergebnisse

5.1 Sozio-demographische Zusammensetzung der Studierendengruppen und Studienwahl

Tab. 2 zeigt die Zusammensetzung der Gruppen, das Studienfach (des Erststudiums) und den Hochschultyp. Frauen sind unter den traditionellen Studierenden und den Studierenden des ersten Bildungsweges deutlich überrepräsentiert, unter den Studierenden mit eingeschränkter Hochschulzugangsberechtigung und aus dem zweiten Bildungsweg ist der Männeranteil leicht höher, während das Geschlechterverhältnis bei den Studierenden aus dem dritten Bildungsweg nahezu ausgewogen ist. Hinsichtlich der Altersstruktur ergeben sich deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen, die sich vor allem über die verschiedenen Zugangswege erklären lassen. Auch die soziale Zusammensetzung der Studierendengruppen unterscheidet sich deutlich: Während die traditionellen Studierenden zu über der Hälfte aus Familien mit mindestens einem tertiär gebildeten Elternteil stammen, haben die Eltern in den anderen Gruppen überwiegend keinen Hochschulabschluss. Insbesondere unter den Studierenden aus dem dritten Bildungsweg finden sich viele intergenerationale Bildungsaufsteiger.

Hinsichtlich der Fächerwahl fallen vor allem die Studierenden aus dem zweiten Bildungsweg auf: In dieser Gruppe findet sich ein besonders hoher Anteil in den ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen. Insgesamt sind vor allem die Rechts‑, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften bei allen Studierenden mit vor-tertiärer beruflicher Ausbildung beliebt. Die Studierenden mit eingeschränkter Hochschulzugangsberechtigung und aus dem zweiten Bildungsweg wählen darüber hinaus besonders häufig die Fachhochschule.

Anhand der Zeilenprozente der Studierendengruppen lässt sich erkennen, dass mit 68,3 % die traditionellen Studierenden anteilsmäßig die größte Gruppe darstellen, gefolgt von den Studierenden im zweiten Bildungsweg (14,0 %). Die Gruppen der Studierenden mit eingeschränkter Hochschulzugangsberechtigung und im ersten Bildungsweg sind annähernd gleich groß (6,6 % und 7,8 %). Die anteilsmäßig kleinste Gruppe bilden mit 3,1 % die Studierenden im dritten Bildungsweg.

5.2 Kenntnisstand der Studierendengruppen in Mathematik, Deutsch, Englisch und EDV

Abb. 1 zeigt die (z-standardisierten) Mittelwerte des jeweiligen selbsteingeschätzten Kenntnisstandes in Mathematik, Deutsch, Englisch und EDV. Tabelle A.5 im Online-Anhang weist die Mittelwertunterschiede aller Gruppenkontraste einschließlich der p-Werte zur Ermittlung der Signifikanzen aus. In den Grafiken wurden nicht-signifikante Kontraste mit Linien markiert. Auffallend ist, dass die traditionellen Studierenden in Mathematik, Deutsch und Englisch durchgehend deutlich höhere Werte berichten, nicht jedoch in EDV. In Mathematik schätzen die traditionellen Studierenden und jene mit eingeschränkter Hochschulzugangsberechtigung ihre Kenntnisse signifikant höher ein, als die Studierendengruppen mit vor-tertiärer beruflicher Ausbildung, die Selbsteinschätzung der Studierenden aus dem dritten Bildungsweg ist signifikant niedriger als die aller anderen Gruppen. In beiden Sprachen (Deutsch und Englisch) zeigt sich, dass die traditionellen Studierenden sich signifikant besser, die Studierenden aus dem dritten Bildungsweg sich signifikant schlechter einschätzen, während es zwischen den Studierenden aus dem ersten und zweiten Bildungsweg und den Studierenden mit eingeschränkter Hochschulzugangsberechtigung keine signifikanten Unterschiede gibt. Bezüglich der Einschätzung der EDV-Kenntnisse schätzen sich die traditionellen Studierenden signifikant schlechter ein, als alle anderen Studierendengruppen – zwischen den anderen Gruppen wiederum zeigen sich keine signifikanten Unterschiede in der Selbsteinschätzung.

Abb. 1
figure 1

Mittelwerte der selbst berichteten Kenntnisse in Mathematik, Deutsch, Englisch und EDV (gestrichelte Linie zeigt nicht-signifikante Mittelwertdifferenzen an (p > 0,05))

5.3 Ergebnisse der Leistungstests

Abb. 2 zeigt, dass die Leistungsunterschiede in Mathematik zwischen den Gruppen etwas stärker ausgeprägt sind, als bei den selbstberichteten Werten. Die Studierenden aus dem zweiten und dritten Bildungsweg sowie die Studierenden mit eingeschränkter Hochschulzugangsberechtigung weisen signifikant niedrigere Mittelwerte in den Mathematikleistungen auf, als die traditionellen Studierenden und die Studierenden aus dem ersten Bildungsweg. Während in den Mathematikleistungen der Mittelwert der Studierenden aus dem ersten Bildungsweg signifikant niedriger ist als der der traditionellen Studierenden, zeigen sich hinsichtlich der Leseleistung keine Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen. Deutlich (und signifikant) niedriger schneiden hier hingegen die Studierenden aus dem zweiten und dritten Bildungsweg sowie die Studierenden mit eingeschränkter Hochschulzugangsberechtigung ab. Obwohl die Selbsteinschätzungen aufgrund der unterschiedlichen Messmethoden nur sehr bedingt mit den Ergebnissen der Leistungstests vergleichbar sind, gibt ein Vergleich der Mittelwertabweichungen in Tabelle A.5 im Online-Anhang erste Hinweise auf eine relative Über- oder Unterschätzung der eigenen Leistung. Insbesondere im Bereich Mathematik zeigt sich beispielsweise, dass Studierende mit eingeschränkter Hochschulzugangsberechtigung im Vergleich mit den traditionellen Studierenden ihre Leistungen zu hoch einschätzen. Die Studierenden aus dem dritten Bildungsweg tendieren dagegen dazu, ihre Leistungen zu niedrig einzuschätzen. Ähnlich, wenn auch weniger deutlich, zeigt sich dies auch beim Vergleich der Leseleistung mit der Selbsteinschätzung in Deutsch.

Abb. 2
figure 2

Testscores in Mathematik und Lesen (WLE, z‑standardisiert, N = 4,745). Gestrichelte Linie zeigt nicht-signifikante Mittelwertdifferenzen an (p > 0,05)

5.4 Studienspezifische Vorbereitung: Vertrautheit mit wissenschaftlichen Methoden und gute Studienvorbereitung insgesamt

Neben den Kernfächern der gymnasialen Oberstufe und den EDV-Kenntnissen gehören Kenntnisse wissenschaftlicher Methoden und den wissenschaftlichen Methoden des gewählten Fachbereiches zu den Grundvoraussetzungen eines erfolgreichen Hochschulstudiums. Zwar gehören diese auch explizit zu den Lernzielen eines Hochschulstudiums, doch hier werden in den vor-tertiären Bildungswegen bereits Grundlagen vermittelt. Bei den wissenschaftlichen Arbeitstechniken berichten die traditionellen Studierenden signifikant höhere Mittelwerte als alle anderen Studierendengruppen (Abb. 3), die Studierenden aus dem dritten Bildungsweg signifikant niedrigere, während sich die Studierenden mit eingeschränkter Hochschulzugangsberechtigung und die Studierenden aus dem ersten und zweiten Bildungsweg nicht signifikant unterscheiden. Bei den fachbezogenen Arbeitstechniken berichten die Studierenden mit eingeschränkter Hochschulzugangsberechtigung und aus dem zweiten Bildungsweg einen signifikant höheren Kenntnisstand, als alle anderen Gruppen, während diese sich wiederum nicht signifikant voneinander unterscheiden. Die Studierenden aus dem dritten Bildungsweg berichten signifikant häufiger als alle anderen Gruppen, dass im Studium notwendige Kenntnisse fehlen und auch bezüglich der Einschätzung einer insgesamt guten Vorbereitung auf das Studium zeigen sich für diese Gruppe im Vergleich zu allen anderen Gruppen signifikant niedrigere Werte.

Abb. 3
figure 3

Mittelwerte der Selbsteinschätzung bezüglich der Vertrautheit mit wissenschaftlichen Arbeitsmethoden, Kenntnisstand und der Vorbereitung auf das Studium (gestrichelte Linie zeigt nicht-signifikante Mittelwertdifferenzen an (p > 0,05))

5.5 Multivariate Analysen

Wir überprüfen mittels multivariater Analysen, ob die berichteten Unterschiede in der Studienvorbereitung auch bestehen, wenn die gruppenspezifische Wahl des Hochschultyps und des Studienfaches sowie das Geschlecht, die soziale Herkunft und das Alter der Studierenden berücksichtigt werden. Die abhängige Variable „insgesamt gute Vorbereitung auf das Studium“ wurde zu diesem Zweck dichotomisiert (trifft gar nicht zu/trifft eher nicht zu = 0, trifft eher zu/trifft völlig zu = 1). Die Notwendigkeit zur Dichotomisierung ergibt sich durch die zum Teil kleinen Zellenbesetzungen (N < 50) in den Extremausprägungen der abhängigen Variablen bei einigen Subgruppen. Die Angemessenheit der binär logistischen Regression konnte mit Hilfe von Sensitivitätsanalysen (ordinal- und multinomial logistische Regressionen) bestätigt werdenFootnote 3. Für Fachhochschulen und Universitäten wurden getrennte Modelle gerechnet, da wir davon ausgehen, dass Studierende an Fachhochschulen eventuell vorhandene berufliche Kenntnisse besser verwerten können, als an Universitäten. Im ersten Schritt wird nur die Studierendengruppe als unabhängige Variable in die Modellschätzung eingefügt, im zweiten Schritt werden das Geschlecht, das Fach, die Altersgruppe sowie die Bildung der Eltern kontrolliert. Tab. 3 zeigt die average marginal effects der vier ModelleFootnote 4. Diese wurden verwendet, um die Vergleichbarkeit der Modelle sicherzustellen (Mood 2010). Für die Studierenden an Fachhochschulen reduzieren sich die average marginal effects unter Berücksichtigung der Kontrollvariablen vor allem für die Studierenden des dritten Bildungsweges (von −0,27 auf −0,23). An Universitäten beobachten wir eine deutlich stärkere Konfundierung mit den Kontrollvariablen, die sich mit Ausnahme der Studierenden mit eingeschränkter Hochschulreife in allen Gruppen zeigt. Dieser Befund weist darauf hin, dass das gewählte Studienfach für die Studierenden mit beruflicher Ausbildung insbesondere an Universitäten einige Relevanz für die Selbsteinschätzung der Studienvorbereitung hat.

Tab. 3 Logistische Regressionen (average marginal effects), AV „insgesamt gute Vorbereitung auf das Studium“

Für eine bessere Interpretierbarkeit der Ergebnisse wurden predicted probabilities berechnet und grafisch dargestellt (Abb. 4) (Bauer 2010). Da in der Regressionstabelle Signifikanztests nur für den Vergleich mit der Referenzgruppe (traditionelle Studierende) ausgewiesen werden, haben wir auch hier für alle Kontraste die signifikanten Unterschiede markiert. Ein Vergleich der Grafiken für Fachhochschulen und Universitäten zeigt, dass traditionelle Studierende und Studierende aus dem ersten Bildungsweg an Fachhochschulen etwas höhere Werte berichten, als an Universitäten. Die Grafik links oben zeigt, dass Studierende aus dem ersten Bildungsweg in der Fachhochschule im Vergleich zu den traditionellen Studierenden keine signifikanten Unterschiede in der berichteten Studienvorbereitung aufweisen, während alle anderen Gruppen mit vor-tertiärer beruflicher Ausbildung signifikant niedrigere Werte angeben. Wird zusätzlich für Studienfach, Geschlecht, soziale Herkunft und Altersgruppe kontrolliert (Grafik rechts oben), ändert sich dieser Befund nicht wesentlich. Die unteren Grafiken zeigen die Ergebnisse für die Universitäten. Hier zeigt sich, dass die Studierenden mit vor-tertiärer beruflicher Ausbildung und die Studierenden mit eingeschränkter Hochschulzugangsberechtigung insgesamt niedrigere Werte berichten, als die traditionellen Studierenden – die relativen Vorteile, die die Studierenden aus dem ersten Bildungsweg gegenüber denen mit eingeschränkter Hochschulzugangsberechtigung sowie aus dem zweiten und dritten Bildungsweg an der Fachhochschule aufweisen, zeigen sich an den Universitäten nicht. Auffallend im Vergleich mit den Fachhochschulen ist, dass die traditionellen Studierenden und die Studierenden des ersten Bildungswegs an Universitäten deutlich niedrigere Werte berichten, während der Hochschultyp für alle anderen Gruppen nahezu keine Relevanz für die Selbsteinschätzung der Studienvorbereitung zu haben scheint. Die Vorteile scheinen sich damit vor allem für diejenigen zu zeigen, die mit einer allgemeinen Hochschulreife, erworben an einer gymnasialen Oberstufe, in die Fachhochschulen eintreten.

Abb. 4
figure 4

Predicted probabilities der logistischen Regressionen (AV: „Insgesamt gute Vorbereitung auf das Studium“). Gestrichelte Linie markiert nicht-signifikante Gruppenunterschiede (p > 0,05)

6 Fazit

Angesichts der zahlenmäßigen Relevanz der Studierenden mit vor-tertiärer beruflicher Ausbildung greifen wir mit diesem Beitrag die Debatte um die Studierfähigkeit der deutschen Studienanfänger auf und verknüpfen diese mit Aspekten der Heterogenität der Zugangswege in die Hochschule. Wir erweitern damit das bisher gängige Konzept der nicht-traditionellen Studierenden um Gruppen, die mit einer schulischen Hochschulzugangsberechtigung und einer zusätzlichen vollqualifizierenden Berufsausbildung in die Hochschule eintreten. Wir unterscheiden dabei fünf Studierendengruppen, die mit jeweils unterschiedlichen Eingangsvoraussetzungen ihr Hochschulstudium beginnen und bearbeiten folgende Forschungsfragen:

  1. 1.

    Welche Unterschiede ergeben sich im Zusammenhang mit verschiedenen Zugangswegen an die Hochschule hinsichtlich des vor-hochschulischen Wissensstandes in den Kernfächern der gymnasialen Oberstufe sowie studienbezogener Schlüsselkompetenzen?

  2. 2.

    Zeigen sich auf der Aggregatebene gruppenspezifische Diskrepanzen zwischen der eigenen Einschätzung bezüglich der Kernfächer und den Ergebnissen standardisierter Leistungstests?

  3. 3.

    Beurteilen Studierende, unterschieden nach der Art ihres Zugangsweges zur Hochschule, ihre Vorbereitung auf das Studium unterschiedlich?

Unsere Ergebnisse zeigen, dass Studierende mit eingeschränkter Hochschulzugangsberechtigung und Studierende mit vor-tertiärer beruflicher Ausbildung sowohl bezüglich ihrer Selbsteinschätzung in Mathematik, Sprachen und allgemeinen wissenschaftlichen Arbeitsmethoden als auch in den Leistungstests im Großen und Ganzen signifikant niedrigere Mittelwerte aufweisen als die traditionellen Studierenden. Diese Nachteile zeigen sich jedoch nicht bei den EDV-Kenntnissen und in den Kenntnissen über wissenschaftliche Methoden des gewählten Fachbereichs. Die Ergebnisse der Leistungstests sind nur bedingt mit der Selbsteinschätzung der Studierenden deckungsgleich – ob sich einzelne Studierendengruppen über- oder unterschätzen, lässt sich aus unseren Befunden allerdings nicht eindeutig ableiten. Auffallend ist jedoch, dass die Studierenden aus dem dritten Bildungsweg ihre Vorkenntnisse (mit Ausnahme von EDV-Kenntnissen und wissenschaftlichen Methoden des Fachbereichs) durchweg geringer einschätzen, als die anderen Studierendengruppen, während sich in den „objektiven“ Leistungstest-Ergebnissen keine signifikanten Unterschiede zu den Studierenden aus dem zweiten Bildungsweg und den Studierenden mit eingeschränkter Hochschulzugangsberechtigung erkennen lassen. Womöglich sind in dieser Gruppe Defizite eher „gefühlt“ als tatsächlich vorhanden. In den multivariaten Analysen zeigt sich, dass es stark auf das Umfeld ankommt, ob sich Studierende gut vorbereitet fühlen: An Fachhochschulen fühlen sich die traditionellen Studierenden und die Studierenden aus dem ersten Bildungsweg deutlich besser vorbereitet als die anderen Gruppen, während diese Unterschiede an Universitäten geringer ausfallen. Dieser Befund ist durchaus überraschend, denn Fachhochschulen gelten als Hochschulen, die traditionell eher praxis- und berufsorientierter sind als Universitäten – Fachwissen aus der beruflichen Ausbildung sollte hier also für alle Studierenden mit beruflicher Ausbildung Vorteile mit sich bringen. Unsere Befunde zeigen darüber hinaus, dass bezüglich der Heterogenität der Studierenden noch ein erheblicher Forschungsbedarf besteht – insbesondere hinsichtlich der Definition und sinnvoller Kategorisierungen von Studierendengruppen. Wie in Abschn. 2 dieses Artikels angerissen, weichen wir von den Definitionen aus früheren Arbeiten (Jürgens und Zinn 2012; Dahm und Kerst 2016) ab und kommen zu teilweise unterschiedlichen Ergebnissen. So ergeben sich beispielsweise in unserer Analyse sehr deutliche Unterschiede zwischen den Studierenden mit allgemeiner Hochschulreife und eingeschränkter Hochschulreife (jeweils ohne Berufsausbildung). Angesichts des explorativen Charakters dieser Arbeit stellt sich daher die Frage nach einer angemessenen Abbildung der Heterogenität: Gerade die postsekundären Bildungswege sind äußerst individuell und umfassen zum Teil mehrere Übergänge, Wartezeiten, Berufswechsel, Abbrüche von Berufsausbildungen und Studium, nachgeholte Bildungsabschlüsse und Höherqualifikationen. Diese „nicht-linearen Bildungsverläufe“ detailliert genug abzubilden, ohne dabei in eine Zergliederung abzugleiten, erscheint uns als eine der Herausforderungen der zukünftigen Studierendenforschung.

Diese Arbeit liefert erste aufschlussreiche Einblicke – gleichzeitig wirft sie, auch vor dem Hintergrund der oben zusammengefassten Literatur, Folgefragen auf. Frühere Forschungsarbeiten (Erdel 2010; Burchert und Müller 2012; Jürgens und Zinn 2012) zeigen beispielsweise, dass Studierende mit beruflicher Ausbildung insgesamt nicht weniger erfolgreich studieren (bezogen auf die eigentlichen Studienleistungen, nicht jedoch auf die Abbruchentscheidungen). Unsere Befunde deuten jedoch auf größere (wahrgenommene) Defizite in der Studienvorbereitung und teilweise deutliche Kompetenzunterschiede in Mathematik und Lesen hin. Diese Diskrepanz kann durch gängige Ansätze wie der oben skizzierten Big-Fish-Little-Pond-Theorie nur unzureichend erklärt werden. Eine Erklärung könnte sein, dass unsere Analysen nicht detailliert genug auf die Mechanismen der Studienwahl eingehen. So könnte beispielsweise in Fällen, in denen gezielt ein Studiengang gewählt wurde, der der vorangegangenen beruflichen Ausbildung entspricht, eine insgesamt bessere Studienvorbereitung wahrgenommen werden. Die zukünftige Forschung sollte sich daher mit der Frage nach der Kongruenz von Berufsausbildung und Studium befassen, um hier ein differenzierteres Bild zu erhalten. Darüber hinaus ist es möglich, dass Studierende mit beruflicher Ausbildung ihre Defizite kompensieren, so dass sie sich nicht auf die eigentlichen Studienergebnisse auswirken. Rau (1999) diskutiert diesbezüglich, dass nicht-traditionelle Studierende in der Regel ihre eigenen Defizite in Mathematik und Fremdsprachen wahrnehmen, sich gleichzeitig jedoch in der Lage sehen, mit diesem Defiziten umzugehen. Durch ihre Berufserfahrung brächten diese Studierenden zudem häufig eine höhere Motivation, Zielstrebigkeit, Problemlösekompetenz und Zeitmanagementfähigkeit mit, die ihnen helfen, die Herausforderungen des Studiums zu meistern.

Seitens der Hochschulen wurde auf die Heterogenität verstärkt mit institutionellen Angeboten reagiert. In vielen Studiengängen werden inzwischen Brückenkurse begleitend zum Studieneinstieg angeboten, in denen fachliche Lücken während des ersten Semesters gefüllt werden können (Bosse 2016). Ob und mit welchem Erfolg diese Angebote allerdings von einzelnen Studierendengruppen genutzt werden, ist bisher noch weitgehend unklar.

Unsere Befunde zeigen, dass es bereits in der Studieneingangsphase Unterschiede in der Selbstwahrnehmung und den tatsächlichen Kompetenzen zwischen den Studierendengruppen gibt. Als weiterer Forschungsbedarf wäre zu klären, ob sich diese Unterschiede auch bezüglich der tatsächlichen Studienleistungen zeigen und inwiefern diese im Studienverlauf bestehen bleiben, sich verringern oder gar verstärken.