1 Einleitung

Die aktuelle Entwicklung des deutschen Bildungswesens wird u. a. im Gefolge der PISA-Debatte und der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention von zwei gegenläufigen Zielrichtungen bestimmt, die man mit den Schlagwörtern Inklusion und Exzellenz bezeichnen kann. Während es im ersten Fall gleichsam um eine Integration der Schulformen „von unten nach oben“ und um die Öffnung zu mehr Heterogenität in der Schülerschaft geht, handelt es sich im zweiten um eine Ausdifferenzierung des Gymnasialbereichs „von oben nach unten“ und um die Anbahnung neuer Förderwege für eine weitgehend homogene Leistungselite unter den Gymnasiasten.

Den offiziellen Auftakt für die gesamtdeutsche Exzellenzoffensive im Schulwesen lieferten die im Jahre 2001 von der Kultusministerkonferenz beschlossenen „Maßnahmen der Länder zur Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung“ (vgl. KMK 2003, Teil D), bei denen es historisch zum ersten Mal auch um die spezifische schulische Förderung von „Schülerinnen und Schülern mit besonderen Begabungen“ ging. Eine bildungspolitische Konsequenz ist die Gründung bzw. der weitere Ausbau von Schulen und Schulzweigen für hoch leistende und hoch begabte Schüler und damit die Schaffung einer neuen Ebene von „Elite-Gymnasien“ oberhalb der regulären Gymnasien.

Eine weitere Intensivierung des Exzellenzdiskurses erfolgte im Jahre 2005 durch die Bundesregierung mit der Eröffnung der Exzellenzinitiative für die deutschen Universitäten. Mit der Vergabe zusätzlicher Forschungsmittel setzt sie seitdem bewusst auf den Wettbewerb und unterscheidet auf der Ebene ganzer Universitäten zwischen „exzellent“ auf der einen und „durchschnittlich“ auf der anderen Seite. Diese Exzellenz-Abstufung zwischen Elite und Masse wird durch ein Ranking noch weiter ausdifferenziert. Michael Hartmann prophezeit, dass der Exzellenzwettbewerb durch die Verstärkung der Unterschiede zwischen den Universitäten spürbare Konsequenzen für die Elitebildung haben wird. Denn wer in Zukunft eine Spitzenpositionen erreichen will, wird sein Studium in einem „Elitestudiengang“ an einer der Exzellenzuniversitäten absolvieren, in welchem die Studierendenzahlen durch zusätzliche hochschulinterne Auswahlverfahren (und Studiengebühren) absichtlich niedrig gehalten und dadurch die soziale Exklusivität des Studiengangs und des Studienortes noch weiter gesteigert werden (vgl. Hartmann 2007, 2009). Aus der Verlängerung dieses Gedankengangs könnte die Frage entspringen, ob solche „Elitestudiengänge“ nicht geradezu magnetisch die Abiturienten von „Elitegymnasien“ anziehen müssen.

Eine dritte thematische Linie bildet im Diskurs über Exzellenz, Exklusivität und Elite der aktuelle Boom im deutschen Privatschulwesen, der sich nicht nur quantitativ in dem weiterhin ansteigenden Zuspruch manifestiert, sondern auch qualitativ durch die Erweiterung des Angebots durch neuartige Schulformate und Trägerschaften (vgl. Ullrich und Strunck 2009, 2012). Neben den weltweit agierenden – wegen ihres rechtlichen Status als Ergänzungsschulen für die Eltern kostspieligen – Internationalen Schulen gibt es in den Ballungszentren immer mehr private Ersatzschulen mit ähnlich hohen Gebühren, in denen zweisprachig unterrichtet wird und neben dem deutschen Abitur auch ein internati­onaler Schulabschluss verliehen wird. Mit der Wahl dieses neuen Typus von Privatschule verbinden Eltern die Hoffnung, dass ihre Kinder durch die frühe Separation und die international anerkannten Qualifikationen später einer „global“ agierenden Wirtschaftselite zugehören werden.

Angesichts dieser aktuellen Entwicklungen und unter Einbeziehung der durch die PISA-E-Studien dokumentierten außerordentlich breiten Streuung der Schülerleistungen zwischen den einzelnen Gymnasien in Deutschland spricht Werner Helsper davon, dass sich „das Gymnasiale“ zu fraktionieren und zu hierarchisieren scheine. Es könne mitten in der immer weiter ausdifferenzierten höheren Bildungslandschaft ein neues „Gymnasiales“ in Form eines modernisierten, internationalisierten, zwei- und dreifach ausgelesenen Gymnasiums entstehen. „Nicht mehr ‚das‘ Gymnasium macht den Unterschied, sondern manche ‚exklusive‘ Gymnasien machen zunehmend den Unterschied, weil sich mit ihnen andere Bildungsmöglichkeiten, hochkulturelle Netzwerke und Ressourcen, privilegierte soziale Kapitalien, bessere Voraussetzungen, Vorbereitungs- und Übergangsmöglichkeiten in anschließende nationale und internationale exzellente Bildungsinstitutionen eröffnen“ (Helsper 2012, S. 133). Und die Hallenser Forschergruppe „Mechanismen der Elitebildung im deutschen Bildungssystem“ formuliert dazu die übergreifende These, „dass im deutschen Bildungssystem ein Prozess der sozialen Konstruktion und institutionellen Verfestigung von neuen Bildungsdistinktionen in Gang gekommen ist, der gewissermaßen ‚in statu nascendi‘ sozialwissenschaftlich erforscht werden kann“ (Krüger et al. 2012, S. 329 f.).

Im Folgenden sollen zur Verifizierung der These über die Ausdifferenzierung und Hierarchisierung des Gymnasialen und der These über die gleichzeitige Entstehung neuer Bildungsdistinktionen zunächst die traditionellen und neueren Wege der Exzellenzförderung im Gymnasialbereich und danach in einem knappen Überblick und am Beispiel einer städtischen Bildungslandschaft die aktuellen Innovationen im deutschen Privatschulbereich dargestellt werden.

2 Wege zur Exzellenz: die Ausdifferenzierung der gymnasialen Schullandschaft

Anders als in Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika gibt es in Deutschland traditionell weder auf schulischer noch auf universitärer Ebene Elitebildungseinrichtungen, deren Abschlüsse weitgehend über den Zugang in die sektoralen Eliten von Wirtschaft, Politik, Justiz, Verwaltung und Wissenschaft entscheiden. Die späteren Angehörigen der Eliten werden in Deutschland bis heute zum allergrößten Teil an denselben höheren Schulen und Hochschulen ausgebildet, die auch von den übrigen Mitschülern und Kommilitonen absolviert werden. Das Bildungssystem erfüllt nur die Aufgabe einer ersten Vorsortierung, während die entscheidende Auslese weitgehend erst im Verlauf der beruflichen Karriere erfolgt. Einzig der Doktortitel stellte bislang einen Abschluss mit einer gewissen Exklusivität dar. „Seine soziale Selektivität sorgt also, sieht man einmal von der Politik ab, durchaus für eine gewisse Vorauswahl zugunsten des bürgerlichen Nachwuchses“ (Hartmann 2004, S. 138).Footnote 1

Insgesamt gesehen ist in den deutschsprachigen Ländern das Gymnasium nach wie vor die Leitinstitution des Bildungswesens, von der aus die Differenzierung, Hierarchisierung und Vernetzung der anderen Bildungsgänge bestimmt wird (vgl. Tenorth 2008). Als Gymnasialabschluss berechtigt das Abitur (bzw. die Matura oder Maturität) bislang zum Zugang – und bei sehr guten Leistungen – zur unmittelbaren Aufnahme des Studiums an allen Hochschulen und Universitäten. Als Leitinstitution determiniert das Gymnasium seit je von der Spitze her das Ausmaß der Selektivität und die Formen der Selektion im Bildungswesen und es setzt zugleich die Maßstäbe für Exzellenz. Das Gymnasium hat sich indes in Deutschland, wo heute zwischen 40 % bis 50 % eines Altersjahrgangs die Höhere Schule besuchen, in den vergangenen Jahrzehnten von einer elitär ausgerichteten Bildungsstätte zu einer Schule entwickelt, „die mittlerweile das attraktivste Programm einer intellektuell anspruchsvollen Grundbildung für einen breiten Anteil der Sekundarschüler anbietet“ (Baumert et al. 2003, S. 487). Ein Dilemma des Gymnasiums ist, dass es durch seine ansteigende Popularität die schmale Gruppe der hoch leistenden Schüler vernachlässigt und dadurch „gegenüber seiner eigenen Norm zurückbleibt“ (Tenorth 2008, S. 259). Allerdings haben sich in dem Maße, wie das Gymnasium zur „Schule für jedermann“ geworden ist, seit längerem innerhalb der regionalen Schullandschaften und auch überregional besondere Wege zur Leistungsexzellenz herausgebildet.

2.1 Die traditionellen Wege zu gymnasialer Exzellenz

Die im Laufe des 19. Jahrhunderts entstandenen traditionellen Typen des altsprachlichen, neusprachlichen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasiums wurden zwar schon im Jahre 1900 bezüglich der Abitursprüfung rechtlich gleichgestellt. Trotzdem konnte das Altsprachliche Gymnasium durch die Vergabe des Großen Latinums und die damit verbundene Reputation als „schwere Schule“ seine bevorzugte Stellung für das Bildungsbürgertum noch bis in die Gegenwart erhalten.Footnote 2 Denn für eine spätere Promotion in Rechtswissenschaften, Medizin und Philologie – einen bekanntlich wichtigen Schritt auf dem Weg in die deutschen Eliten – war das Latinum – wie übrigens heute noch im Nachbarland Österreich – weiterhin unentbehrlich. Die Reform der gymnasialen Oberstufe im Jahre 1972 führte in der alten Bundesrepublik Deutschland zur Enttypisierung des Gymnasialen. An die Stelle des Klassenverbandes und des für alle Schüler verpflichtenden Kanons von Haupt- und Nebenfächern trat nun ein von allen Gymnasien anzubietendes differenziertes System von Pflicht- und Wahlkursen sowie von Leistungs- und Grundkursen. Außerdem wurde der Fächerkanon der drei gymnasialen Schulformen auch noch auf der Sekundarstufe I angeglichen. Nach Ansicht von Bernd Zymek „ging damit eine Epoche der deutschen Schulgeschichte und der deutschen Elitebildung zu Ende“ (Zymek 2009a, S. 185; vgl. auch Zymek 2009b). Exzellenz ist seitdem nicht mehr an den Besuch einer besonderen Schulform gebunden, sondern erfolgt immer stärker über den privaten, „parentokratischen“ Weg der Selbstauslese in finanziell besser gestellten Familien. Die dazu präferierte Strategie ist nach Zymek die Internationalisierung des persönlichen Bildungsprogramms: zum Schüleraustausch am Gymnasium treten das Auslandsjahr, das Praktikum im Ausland und das Auslandsstudium in den kostenintensiven anglo-amerikanischen Ländern hinzu. Die privaten Profilierungsinitiativen der ökonomisch und kulturell kapitalstarken Familien haben aber die traditionellen gymnasialen Wege zur Exzellenz nicht abgelöst, vielmehr sind sie zu deren Begleitern bei der Erzeugung von Differenzen geworden.

2.1.1 Früher Lateinunterricht

Die Reformen der gymnasialen Oberstufe haben in Deutschland zwar zur Angleichung, aber nicht zur völligen Auflösung der Schultypen geführt. Bemerkenswert ist das Überleben der 208 Altsprachlichen Gymnasien bzw. Gymnasien mit einem altsprachlichen Zweig, die sich bis heute in der gymnasialen Schullandschaft u. a. durch das zusätzli­che Angebot der lateinischen Sprache im fünften oder sechsten Schuljahr gleichzeitig neben der englischen Sprache herausheben. Erstaunlicherweise ist die Zahl der Lateinschüler nach einer jahrzehntelangen Abwärtsbewegung in Deutschland seit 2001/02 nahezu sprunghaft von 645.516 (28,1 %) auf 807.839 (32,6 %) im Jahre 2011 angestiegen, obwohl die Gesamtzahl der Gymnasialschüler im gleichen Zeitraum mit 2.296.724 bzw. 2.475.174 in etwa gleichgeblieben ist (vgl. Merkler und Meurer 2012). Im Schuljahr 2010/11 haben im fünften Schuljahr 22.171 Schüler – das sind 7,7 % der Klassenstufe – und im sechsten Schuljahr 121.723 Schüler – mithin 38,9 % der Klassenstufe – an altsprachlichen Gymnasien bzw. Schulzweigen gleichzeitig mit dem Englischen den Lateinunterricht besucht (vgl. Statistisches Bundesamt 2012a). Durch diesen Beginn des gymnasialen Kurses mit zwei Fremdsprachen gelten diese Gymnasien weiterhin als „schwere Schulen“ und können damit zwangsläufig eine größere Anzahl leistungsstarker Schüler und hochkulturell-bildungsorientierter Elternhäuser an sich binden. So liegen die Durchschnittsnoten der Abiturienten von altsprachlichen Gymnasien in Ländern mit Zentralabitur, beispielweise in Hessen, um 0,17 bis 0,43 Notenpunkte über dem landesweiten MittelwertFootnote 3. In Bundesländern wie Berlin, in denen das reguläre Gymnasium erst mit dem siebten Schuljahr beginnt, ermöglichen sie durch ihr besonderes Profil den exklusiven Start der gymnasialen Schullaufbahn schon in der fünften Klasse. Sie funktionieren „quasi als Privatschulen innerhalb eines öffentlichen Systems“ (Flitner 2007, S. 53). Die Ergebnisse der Element-Studie (vgl. Lehmann und Lenkeit 2008) belegen einen deutlichen, kontinuierlichen Leistungsvorsprung im Lese- und Mathematikverständnis für die Schülerinnen und Schüler, die ab dem fünften Schuljahr eines der grundständigen Gymnasien besucht haben und nicht wie die Mehrheit von 93 % die Grundschule bis zum Ende der 6. Klasse. In bildungssoziologischer Betrachtung darf die frühe Wahl der lateinischen Sprache mithin als ein traditioneller Weg der (Selbst-) Auslese innerhalb der gymnasialen Schullandschaft gelten; sie bietet „Familien der deutschen akademischen Mittelschicht die Möglichkeit, den Folgen einer relativen sozialen Öffnung der Berliner Gymnasien auszuweichen und sich in ein separates Schulnetz zurückzuziehen“ (Flitner 2007, S. 53; vgl. auch Witte 2011).

2.1.2 Bilingualer Unterricht

Ein weiterer, auf die sprachlich-kognitive Domäne gerichteter Weg der Schülerauslese ist der bilinguale Unterricht, der in den deutschen Bundesländern seit 1969 vor allem an den Gymnasien angeboten wird. Unter bilingualem Unterricht wird eine Unterrichtsform mit Teilen des Fachunterrichts in der Fremdsprache verstanden, der in Gymnasien zumeist in Klassenstufe 5 mit zusätzlichen Wochenstunden beginnt. Die konsequenteste Ausgestaltung weist der innerschulisch fest verankerte bilinguale Zug bzw. Zweig auf, der in kontinuierlicher Zunahme in mehreren Sachfächern (in der Regel in Geographie, Geschichte oder Politik) bis zur Qualifizierungsphase erteilt und durch ein bilinguales Abitur in mindestens einem Sachfach abgeschlossen wird. Im Falle des Französischen kann mit dem „Abi-Bac“ die deutsche und französische Hochschulreife zugleich erlangt werden. Die Schulen bieten aber auch die Möglichkeit als Abschluss im Englischen zusätzlich das Cambridge Certificate zu erwerben; und einzelne Gymnasien führen Schüler ihres bilingualen Englischzweigs bis zum International Baccalaureate (IB) (vgl. Dilk 2008). Der bilinguale Unterricht im Französischen und mittlerweile noch stärker im Englischen – dazu noch etwa zehn weiteren Sprachen – kann in Deutschland seit seinem Start inzwischen auf eine mehr als vierzigjährige Erfolgsgeschichte zurückblicken: die Zahl der Schulen mit bilingualem Angeboten ist allein in der Zeit von 1999 bis 2005 von 366 auf 847 um mehr als das Doppelte angestiegen (vgl. KMK-Bericht 2006). Ein noch stärkeres Wachstum erfahren übrigens der bilinguale Unterricht und die ihn abschließende zweisprachige Maturität aktuell auch in der Schweiz (vgl. Elmiger 2008). Die Einführung des zweisprachigen Unterrichts und eines übernationalen Abiturs ermöglicht den Gymnasien eine markante Positionierung in der regionalen Schullandschaft und erhöht ihre Attraktivität für eine besonders leistungsmotivierte Schüler- bzw. Elternpopulation.

2.1.3 Eliteschulen für Sport, Musik und Kunst

Für die Leistungsspitze in den ästhetisch-expressiven und physisch-expressiven Domänen stellen die regulären Gymnasien den geringsten Anteil an Unterrichtsstunden zur Verfügung. Deshalb erfolgt die besondere Förderung schon seit langem auf eigenen Wegen der Fähigkeitsgruppierung über besondere Sport-, Musik- und Kunstgymnasien. Sportgymnasien wollen junge Leistungssportler/innen fördern und sie sowohl zu sportlichen Hochleistungen als auch zum qualifizierten Schulabschluss führen. Nach einer Eignungsprüfung und einer breiten sportlichen Grundausbildung in den Anfangsjahren erfolgt die Komposition der Klassen nach den favorisierten Sportarten der Schüler/innen. Für Schüler/innen, die weiter entfernt vom Schulort wohnen, ist meistens ein Internat vorhanden. In Deutschland gibt es aktuell 22 Sportgymnasien und 19 Sportzweige an Gymnasien, denen zugleich durch den Deutschen Olympischen Sportbund das Prädikat „Eliteschule des Sports“ verliehen worden ist.

Eine noch längere Tradition hat in Deutschland die Leistungsauslese und -förderung an Musikgymnasien. Diese bieten begabten Schüler/innen ein vollwertiges Gymnasialcurriculum mit dem zusätzlichen Schwerpunkt Musik an. Voraussetzung für den Schulbesuch ist das Bestehen einer Eignungsprüfung für die 5. Klassenstufe. Bei einem Teil der Musikgymnasien gibt es Kooperationen mit einer benachbarten Musikhochschule, so dass die begabtesten Schüler als Frühstudenten schon professoralen Unterricht erhalten. An die meisten der 23 deutschen Musikgymnasien ist ebenfalls ein Internat angeschlossen.

Die Ausbreitung der Kunstgymnasien lässt sich quantitativ nicht exakt darstellen und auch im Hinblick auf ihre Profile erscheinen die zeitliche Ausdehnung und das Gewicht des Hauptfaches Kunst weniger homogen als bei den vorher dargestellten Elitegymnasien. In der Regel arbeiten die Schüler/innen in den letzten Jahren vor dem Abitur schon mit Dozenten der Kunsthochschulen bzw. Akademien der Künste eng zusammen. Diese Kooperation kann so weit gehen, dass die Jugendlichen neben dem Abitur schon den Vorkurs und ein Jahr des Bachelor-Studiums an der Kunsthochschule absolvieren.

2.2 Neue Wege zur Exzellenz durch Hochbegabtenförderung

Die bisher dargestellten Wege beziehen sich jeweils auf eine mehr oder weniger eng beschränkte Leistungsdomäne, in der sie die Schüler/innen zu exzellenten Leistungen führen. Die hiermit eingeleiteten Prozesse der Bildung von Leistungseliten haben wegen ihrer Bereichsspezifität in der Öffentlichkeit keinerlei Anstoß erregt. Mit der Einrichtung von Hochbegabtenklassen seit den 1990er Jahren und von Hochbegabtenschulen zu Beginn des neuen Jahrhunderts sind neue segregierende Formen der Förderung von Leistungsexzellenz entstanden, die sich domänenübergreifend auf das gesamte Potenzial der gezielt ausgelesenen Schüler/innen richten; sie werden bis heute bildungspolitisch kontrovers diskutiert. Diese Entwicklung wird in Deutschland aus zwei unterschiedlichen Quellen gespeist: den Bemühungen um eine schulische Hochbegabtenpädagogik einerseits und dem bildungsökonomischen Diskurs über die Spitzenförderung angesichts der mediokren Ergebnisse in den internationalen Leistungsvergleichsstudien.

Den Auftakt bildet in Westdeutschland die Eröffnung der ersten Klasse für Hochbegabtenförderung im Sonderförderzweig der 11. Klassenstufe der CJD-Christophorus-SchuleFootnote 4 Braunschweig im Jahre 1981. Auf das Angebot von Arbeitsgemeinschaften zur Förderung besonders befähigter Sekundarstufenschüler ab 1984 in Baden-Württemberg (vgl. Rau 2007) folgen ab 1990 in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Berlin Modellversuche mit „Springer“- bzw. „Schnellläuferklassen“ an Gymnasien, in denen die Gruppe der leistungsstärksten Schüler/innen eines Jahrgangs ein Schuljahr überspringen und schon nach acht statt neun Klassenstufen die Reifeprüfung ablegen kann (vgl. Sen 2011, S. 76 ff.). Und im Jahre 2001 schließt das vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft veranstaltete „Forum Bildung“ seine Arbeit mit Empfehlungen zur Hochbegabtenförderung für alle Bundesländer ab (vgl. BLK 2001). Erst das PISA-Jahrzehnt wird in Deutschland zur Blütezeit für die Hochbegabtenförderung an Gymnasien und die sie begleitende Forschung. Inzwischen lassen sich deutlich vier unterschiedliche Wege zur Exzellenz unterscheiden: Springerklassen, Begabtenzüge, Spezialschulen und Internatsschulen für Hochbegabte.

2.2.1 Gymnasien mit Springerklassen

Springerklassen sind separierte Einzelklassen einer Klassenstufe, in denen die leis­tungsstärksten Schüler/innen dasselbe Curriculum ein Jahr schneller durchlaufen und zu Beginn der gymnasialen Oberstufe in die nächst höhere Jahrgangsklasse aufgenommen werden. Vier Modellversuche mit den akzelerierten Klassen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Hamburg und Berlin sind wissenschaftlich begleitet worden. Exemplarisch wird hier die Erprobung der „BEGYS“-Klassen an sechs Gymnasien in Rheinland-Pfalz von 1990–1995 (vgl. Kaiser 1997) genauer betrachtet. Die Zusammensetzung der „Projektklassen“ durch die Auswahl der leistungsstärksten Schüler/innen durch die Lehrerkonferenz am Ende der sechsten Klassenstufe wurde als adäquat betrachtet, obwohl es in späteren kognitiven Fähigkeitstests keine signifikanten Unterschiede in den Intelligenzwerten zwischen Projekt- und Regelklassen gab. Die Unterrichtskultur unterschied sich nur im Hinblick auf das Lerntempo. Die Schulleistungen (Noten) waren in den Springerklassen signifikant besser, ebenso die Lernfreude, das soziale Klassenklima und die Akzeptanz gegenüber den Regelklassen. Umgekehrt gab es allerdings ein Gerechtigkeitsproblem: die in den Regelklassen „zurückgebliebenen“ Schüler fühlten sich benachteiligt, weniger gefördert und ungünstiger beurteilt. Ein wichtiges Ergebnis war der Befund, dass die Reintegration der Springerklassen in der Oberstufe im Wesentlichen problemlos verlief. Aktuell gibt es ab der 7. Klassenstufe BEGYS-Klassen an 13 Gymnasien in Rheinland-Pfalz, dem einzig verbliebenem Bundesland mit G 9-Abitur.

Aus der Hamburger Evaluationsstudie (vgl. Sen 2011) verdient ein Befund zur Schülerauslese besondere Aufmerksamkeit: die „Fehlplatzierung“ von einzelnen Schüler/innen sowohl in den Modell- als auch in den Regelklassen. Ein kognitiver Fähigkeitstest (CFT 20) erbrachte, dass zwei Drittel der besonders begabten Schüler/innen (IQ > 120) der Gesamtstichprobe aufgrund der Aufnahmekriterien nicht in den Fokus als potenzielle Teilnehmer/innen an den Springerklassen geraten und in den Regelklassen verblieben sind (vgl. Sen 2011). Betrachtet man die Evaluationsbefunde insgesamt, so haben sich die mit Einrichtung von Springerklassen verbundenen Hoffnungen auf eine Förderung der leistungsstarken Schüler/innen durch Akzeleration größtenteils erfüllt. Allerdings sind die akzelerierten Klassen inzwischen durch die generelle Einführung des achtjährigen Gymnasiums in den meisten Bundesländern aufgehoben oder zu „Begabtenklassen“ transfor­miert worden. Neben den BEGYS-Klassen in Rheinland-Pfalz gibt es weiterhin nur noch in Berlin die sogenannten „Schnellläuferklassen“, die ein G 7-Abitur ermöglichen.

2.2.2 Gymnasien mit Begabtenzügen

Begabtenklassen bzw. Begabtenzüge an Gymnasien gibt es in Westdeutschland schon seit 1981 an den privat getragenen CJD-Christophorus-Schulen in Braunschweig, Königswinter, Rostock und Droysig. Heute gibt es in den CJD-Gymnasien in Rostock und Königswinter ab der fünften Jahrgangsstufe eine Hochbegabtenklasse, die mit erhöhter Stundenzahl in den Pflichtfächern bis zum Abitur geführt wird. Die Aufnahme der Schüler/innen erfolgt nach einem Intelligenztest und einer Probewoche in der Schule. Über die Praxis der Förderklassen an den CJD-Schulen liegen der Öffentlichkeit bislang keine Evaluationsbefunde vor, lediglich eine Fragebogenstudie über die Beurteilung der Hochbegabtenförderung am CJD-Gymnasium Braunschweig aus der Perspektive der Absolventen (vgl. Platzer 2000). Im Vergleich mit einer Kontrollgruppe des normalen gymnasialen Zweiges zeigt sich eine höhere Zufriedenheit mit den zusätzlichen Bildungsangeboten, dem hohen Unterrichtsniveau und den sozialen Beziehungen zu den ebenso hoch motivierten Mitschüler/innen. Die Verbesserungswünsche zielen überwiegend in den sozio-emotionalen Bereich, z. B. verstärkte Hilfestellung bei Lern- und Lebensproblemen. Fast alle sehen im Besuch der Begabtenklasse eine Bereicherung ihrer persönlichen Entwicklung, viele weisen aber auch auf die Schwierigkeiten hin, die sie durch die Fremd-Etikettierung als „Hochbegabte“ in der Öffentlichkeit hatten. Auch im Hinblick auf das Studierverhalten und den Studienabschluss ergibt sich ein positives Bild: Die Absolvent/innen der Begabtenklassen studierten insgesamt schneller und erfolgreicher, erhielten mehr Auszeichnungen und erreichten häufiger eine Promotion. Sie wünschten sich allerdings auch im Rückblick auf die Zeit ihres Studiums eine intensivere Beratung bei der Wahl ihres Studienfachs und des Berufs (vgl. Platzer 2002).

Mittlerweile gibt es in mehreren deutschen Bundesländern in größerem Umfang Modellversuche mit (Hoch-) Begabtenklassen an staatlichen Gymnasien zumeist schon ab der fünften Klassenstufe (vgl. Holling et al. 2004; Karg-Stiftung 2008; für Rheinland-Pfalz vgl. Becker und Wenzel-Staudt 2008; für Bayern vgl. Stumpf 2010, S. 79 ff.). Bis zur geplanten Veröffentlichung der von Preckel, Schneider u. a. geleiteten PULSS-Studie dürften die Befunde der wissenschaftlichen Begleitung der Modellklassen am Deutschhaus-Gymnasium in Würzburg (vgl. Stumpf und Schneider 2009; Stumpf 2010) die präzisesten Befunde über diesen Förderweg liefern. Die Aufnahme in eine Modellklasse erfolgt auf der Grundlage des Eignungsgutachtens der Grundschule für das Gymnasium (in Bayern: Notendurchschnitt Hauptfächer besser als 2,3), durch einen Hochbegabungsnachweis im Gruppen-Intelligenztest des Schulpsychologen und nach einem „Kennlerntag“ mit Probeunterricht. Die 20 Schüler/innen der Begabtenklasse haben zusätzlich zu den regulären Lehrplananforderungen eine dritte Pflichtfremdsprache zu wählen sowie ein Vertiefungsfach in der 8. Jahrgangsstufe. Durch die Beschleunigung des Lerntempos im regulären Inhaltskanon können und sollen die Schüler/innen in den gewonnenen Wochenstunden zusätzliche Kursangebote wählen, ab der 7. Klasse einen doppelstündigen Kurs mindestens über ein Halbjahr. Bis zu dieser Klassenstufe hat jeder Schüler eine Lehrperson als persönlichen Mentor. Der Vergleich der Versuchs- und Kontrollgruppen von der 5. bis zur 7. Klasse erbrachte u. a. die folgenden Befunde: Die Kinder der Begabtenklassen waren durchschnittlich sechs Monate jünger und wiesen – wahrscheinlich wegen belastender Erfahrungen in der Grundschulzeit – in den nicht-kognitiven, aber leistungsrelevanten Bereichen der Arbeitshaltung und Lernmotivation bis zum Ende der 7. Jahrgangsstufe deutlich niedrigere Werte auf als diejenigen der Regelklassen. Das kontinuierlich höhere Leistungsniveau der Begabtenklassen spiegelte sich allerdings nicht in den durchschnittlichen Schulnoten wider, was vermuten lässt, dass die Lehrkräfte sich auch hier primär an der sozialen Bezugsnorm orientierten. Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Begleitstudie, dass Kinder mit hoher Intelligenz und geringer Motivation in Begabtenklassen bessere Lernchancen haben als in regulären Klassen. Lehrpersonen in Begabtenklassen haben aber zumeist noch nicht gelernt, ihren Bezugsmaßstab an die höheren Leistungen der Schüler anzupassen und damit auch zur positiven Entwicklung ihres akademischen Selbstkonzepts beizutragen.

2.2.3 Spezialschulen (für Mathematik, Naturwissenschaften und Sprachen)

Als Spezialschulen werden hier Schulen mit einem besonderen inhaltlichen Schwerpunkt in den zentralen Domänen („Hauptfächern“) verstanden. Sie nehmen eine Erweiterung und Umstrukturierung der Stundentafel der Schulfächer vor, um ihren, durch ein Aufnahmeverfahren ausgewählten leistungsstarken Schüler/innen ein auf den jeweiligen Schwerpunkt ausgerichtetes umfangreiches Bildungsangebot zu machen (vgl. Strunck 2008). Es gibt aktuell elf staatliche Spezialschulen mit einem mathematisch-natur­wissenschaftlichen und sechs mit einem sprachlichen Schwerpunkt. Sie befinden sich ausnahmslos in den ostdeutschen Bundesländern und setzen im wiedervereinten Deutschland eine schon in der vormaligen DDR schrittweise entwickelte Tradition der Elitenbildung fort (vgl. Schreier 1996; Olbertz 2007). Spezialgymnasien beginnen ihren Lehrgang zumeist mit der 5. Klassenstufe, nachdem die in der Grundschule erfolgreichen Schüler/innen eine schriftliche und mündliche Aufnahmeprüfung bestanden haben, bei der übrigens Intelligenztests in der Regel keine Rolle spielen. Profilelemente der mathematisch-naturwissenschaftlichen Spezialschulen sind neben den zusätzlichen Unterrichtsstunden in den Schwerpunktfächern Projektarbeiten in den Labors, ein zusätzlicher Leistungskurs in der Oberstufe, Wettbewerbsteilnahmen und Arbeitsgemeinschaften sowie Kooperationen mit Hochschulen und Unternehmen. An Spezialschulen für Sprachen wird das reguläre Curriculum um zwei oder drei zusätzliche Fremdsprachen erweitert. So wird z. B. am thüringischen Spezialgymnasium Schnepfenthal zusätzlich zum siebenstündigen Englischunterricht auf der 6. Klassenstufe eine außereuropäische Sprache (Arabisch, Chinesisch, Japanisch) angeboten, bevor in der achten und neunten Klasse eine romanische und eine slawische Sprache gelernt werden. Latein wird zusätzlich fakultativ von der 5. Klassenstufe an angeboten und von fast allen Schüler/innen absolviert. Bilingualer Unterricht im Fach Geschichte erweitert das unterrichtliche Angebot ebenso wie Austauschprogramme und Auslandspraktika das außerunterrichtliche. Eine besondere Stellung in der Spezialschullandschaft nimmt die traditionsreiche Landesschule Pforta bei Naumburg ein, weil sie seit 1992 ab der 9. Klassenstufe neben dem sprachlichen und musikalischen auch noch den mathematisch-naturwissenschaftlichen Schwerpunkt anbietet (vgl. Büchsenschütz 2008; Westermeyer 2010). Schulpforta vereint somit drei Spezialschulprofile unter einem Dach und wird damit zum Vorreiter eines neuen Typus der Hochleistungsinternate.

2.2.4 Internatsgymnasien für Hochbegabte

Die vorerst jüngste Etappe der Schulentwicklung zur Hochbegabtenförderung beginnt in Deutschland im Jahre 2001 mit der Gründung des Sächsischen Landesgymnasiums für Hochbegabte St. Afra in Meißen (vgl. Thürnau 2011). Hier entsteht der neue Typus des Hochleistungsinternats mit generalistischem Profil und angeschlossener begabungsdiagnostischer Beratungsstelle, der für weitere Neugründungen maßgeblich wird. In St. Afra werden ca. 50 Schüler/innen in der 7. Klassenstufe nach einem zweitägigen Auswahlverfahren aufgenommen. Neben hervorragenden Schulleistungen spielt dabei die getestete Intelligenz (IQ > 130) ebenso eine Rolle wie Teamfähigkeit und andere „soft skills“. Alle Schüler/innen lernen mindestens drei Fremdsprachen, ab der 9. Klassenstufe wird eine vierte fakultativ angeboten. In der Oberstufe belegen die Schüler/innen zusätzlich zum regulären Pensum einen weiteren Leistungskurs und fertigen als Besondere Lernleistung (BLL) obligatorisch eine wissenschaftliche Facharbeit an, die sie in einem Kolloquium verteidigen müssen. Bei herausragenden Leistungen können die Oberstufenschüler ein Frühstudium an der Technischen Universität Dresden aufnehmen. Seit einigen Jahren gehört St. Afra zu den IB World Schools; somit können die Absolventen zusätzlich zum Abitur das IB Diploma erwerben. Das im Jahre 2004 gegründete staatliche Landesgymnasium Schwäbisch-Gmünd (Baden-Württemberg) lehnt sich strukturell und konzeptionell eng an St. Afra an (vgl. Manteuffel 2008).

Die 2003 vom Land Hessen gegründete Internatsschule Schloss Hansenberg (ISH) gehört ebenfalls zur neuen Gruppe der Hochleistungsinternate, umfasst als Oberstufengymnasium nur die drei Jahrgangsstufen zehn bis zwölf. Die curricularen Schwerpunkte der ISH liegen im mathematisch-naturwissenschaftlichen und im politisch-wirtschaftlichen Bereich; alle Schüler/innen müssen Leistungskurse aus beiden Domänen wählen. Das Aufnahmeverfahren für die ca. 65 Plätze besteht aus einem Selbstporträt, Lehrergutachten, einem Intelligenztest und einem Auswahlwochenende, an dem mittels Einzelin­terviews, Gruppenaufgaben und Diskussionen die Motivation und die soziale Kompetenz der Kandidaten festgestellt werden sollen. Konzeptionelle Besonderheiten der ISH sind die Studientage der Schüler, die Unterrichtsprojekte, das Forschungstrimester vor dem mündlichen Abitur und das einmonatige Auslandspraktikum, das die Schüler/innen in der 11. Jahrgangsstufe in der ganzen Welt mit personeller und finanzieller Unterstützung der großen Unternehmen absolvieren, die Mitglieder im Förderverein der Schule sind (vgl. Barthel 2008). Sie sind mit der Internatsschule Schloss Hansenberg in einer Private Public Partnership verbunden. Aus einer Absolventenbefragung zweier Abitursjahrgänge ISH (vgl. van Ackeren et al. 2009) geht u. a. hervor, dass die Abiturienten die Schule mit einer Durchschnittsnote verlassen, die in der Regel um mehr als einen ganzen Notenpunkt über dem Landesdurchschnitt liegt. Als Hauptgrund für die Anwahl der ISH nennt die Mehrheit der Befragten die Unterforderung auf der alten Schule und die besonderen Enrichment-Angebote an der ISH. Rund drei Viertel der Ehemaligen studieren Mathematik, Ingenieurwissenschaften, ein natur- oder wirtschaftswissenschaftliches Fach, Medizin oder Politikwissenschaft und Jura – mithin die Profilschwerpunkte der ISH. Die Ehemaligen sehen sich durch die Schule insbesondere in den akademischen Leistungen und in ihren sozialen Kompetenzen stark gefördert, weniger in ihrer Kreativität. Als ihre Persönlichkeit besonders prägend haben sie die Internatsgemeinschaft und das Auslandspraktikum erlebt. Die Absolventinnen und Absolventen waren zu 77 % Akademikerkinder (d. h. mindestens ein Elternteil hatte einen akademischen Abschluss). Dieser Wert liegt ca. 22 % über dem der Vergleichsgruppe der Studierenden in den entsprechenden Studi­enfächern. Er lässt einerseits darauf schließen, dass die meisten Schülerinnen und Schüler auch schon in ihrem Elternhaus in hohem Maße akademisch gefördert worden sind; andererseits bringt er zum Ausdruck, dass durch das Aufnahmeverfahren auch Schüler/innen aus anderen sozialen Milieus eine Chance erhalten.

2.3 Erstes Fazit

Rückblickend ist festzuhalten: Während in den deutschsprachigen Nachbarländern Österreich und Schweiz die Förderung besonders begabter Schülerinnen und Schüler als eine Aufgabe vor allem der Primarschulen und auch der regulären Gymnasien angesehen wird, die von einschlägig fortgebildeten Lehrpersonen durch individuelle Enrichment-Angebote wahrgenommen werden soll, ist diese Entwicklung in Deutschland von einen starken Trend zur Separation und Exklusion der leistungsstarken Schülerinnen und Schüler bestimmt. Durch immer mehr Gymnasien mit Springer- und Begabtenklassen, das Wiedererstarken der Spezialschulen und die Neugründung von Hochleistungsinternaten hat sich die gymnasiale Schullandschaft in Deutschland nicht nur in ihren Profilen noch weiter ausdifferenziert, sondern auch nach Stufen der Exzellenz und Exklusivität deutlich hierarchisiert. Es muss an dieser Stelle offen bleiben, ob mit diesen neuen Wegen zur Exzellenz zugleich schon neue Zugänge in die gesellschaftlichen Eliten eröffnet worden sind. Die für den Mechanismus der Elitenbildung kennzeichnenden Prozesse der Einrichtungswahl, Bewerberauswahl, Distinktion und Herstellung von Kohärenz (vgl. Krüger et al. 2012) lassen sich dann eher konstatieren, wenn nicht nur ein Schulzweig, sondern die ganze Schule einen Exzellenzanspruch stellt und der Zugang durch eine Aufnahmeprüfung reguliert wird. Die dadurch entstehende Exklusivität erreicht ihre stärkste Ausprägung in den neuen Hochleistungsinternaten, wo der spezifische Schulhabitus sozi­alräumlich und zeitlich am intensivsten inkorporiert werden kann. Empirisch müssten sich die hier ausgeprägten Formen der Distinktion und Kohärenzbildung auch in den Praktiken der Alumni-Vereine erfassen lassen, die allerdings – mit Ausnahme von Schulpforta – erst seit kurzem bestehen. Ob es hier allerdings zu ähnlich spektakulären Netzwerkbildungen kommen wird wie im privaten Landerziehungsheim Schloss Salem, wo den Abiturienten zusammen mit dem Reifezeugnis ein Buch mit den Adressen der 3.700 „Alt-Salemer“ überreicht wird, ist eher unwahrscheinlichFootnote 5.

3 Neue Schulformate und ihre sozialen Milieus – aktuelle Entwicklungen im Bereich privater Schulen

3.1 Entwicklungsschübe im deutschen Privatschulwesen

Neuartige Differenzierungsprozesse spielen sich auch im weiter expandierenden deutschen Privatschulsektor ab. Der Anteil der privaten Schulen ist im allgemeinbildenden Schulwesen seit 1992 von 4,5 % auf 9,8 % im Jahre 2011, d. h. auf mehr das Doppelte angewachsen, der Anteil der Schülerschaft im selben Zeitraum von 4,8 % auf 8,4 % (vgl. Statistisches Bundesamt 2012b). Etwa jeder zwölfte deutsche Schüler besucht heute also eine private Schule. Die meisten (38,2 %) dieser 725.898 Privatschüler nehmen gymnasiale Schulangebote in Anspruch. An den privaten Gymnasien lag 2010 die Abiturientenquote bei 44,2 %, an den öffentlichen nur bei 30,4 % (vgl. Klein 2013, S. 242), was sich z. T. auch als Effekt des „Cream Skimming“ bei der Schüleraufnahme erklären lässt (vgl. Bellmann 2008, S. 257). Der Anteil der Grundschüler an Privatschulen lag 2011 bei 11,6 %, in den östlichen Bundesländern allerdings bei 29,8 %. Dort ging zwischen 1998 und 2010 die Zahl der öffentlichen Schulen von 10.569 auf 6.060 um 43 % des damaligen Bestandes zurück, während die Zahl der allgemeinbildenden Privatschulen im gleichen Zeitraum von 285 auf 837 anstieg und damit einen Zuwachs von 194 % verzeichnete. Die privaten Grundschulen erfuhren hier – trotz der verfassungsmäßigen Einschränkungen der Genehmigungsbedingungen in Artikel 7 Absatz 5 – sogar ein Wachstum von 71 auf 325, mithin um 358 % (vgl. Kühne und Kann 2012). Für ganz Deutschland ist festzuhalten, dass sich aktuell der stärkste Anstieg der Zahl der privaten Schulen und der Privatschüler im Grundschulbereich vollzieht; er erfolgt im Westen vor allem in den Ballungsgebieten, im Osten stärker im ländlichen und kleinstädtischen Raum.

Innerhalb des – international gesehen – immer noch eher schmalen deutschen Privatschulsektors hat sich also eine sehr hohe Wachstumsdynamik entwickelt, die zugleich zur Ausdifferenzierung eines vielfältigen Schulangebots geführt hat (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Ausdifferenzierung des Privatschulwesens – Entwicklungsschübe

Die Expansion des Privatschulwesens in Deutschland ist in mehreren Entwicklungsschüben erfolgt, bei denen bezüglich der Trägerschaften und Profile jeweils unterschiedliche Protagonisten im Vordergrund stehen (vgl. Ullrich und Strunck 2009, 2012). In den ersten drei Jahrzehnten der alten Bundesrepublik geschieht im Wesentlichen eine Konsolidierung des kirchlichen Schulwesens; die achtziger Jahre sind durch das Wachstum von Schulen der alten Reformpädagogik, insbesondere der Waldorfschulen gekennzeichnet; im Laufe der neunziger Jahren kommt es in großem Umfang zu Neugründungen von Freien Alternativschulen, von evangelischen Schulen vor allem im Osten und von Internationalen Schulen in den „global cities“ und ihren Ballungsräumen. Nach der Jahrtausendwende verstärken sich diese Entwicklungen und verbinden sich im Rahmen der Expansion der Schulen des VDP (Verband Deutscher Privatschulen) mit neuen bilingualen und ganztägigen Schulformaten. Dazu kommen einige private Gymnasialangebote für hoch begabte Schülerinnen und Schüler.

3.2 Exemplarisch: Frankfurt am Main

Am Beispiel der „global city“ Frankfurt am Main lässt sich die historisch beispiellose Expansion des deutschen Privatschulwesens und die Gründungswelle neuartiger Privatschulformate genauer darstellen. In diesem Kontext lassen sich auch erste Anhaltspunkte finden für die Beantwortung der Frage, ob es dadurch auch zu neuen Formen der sozialen Distinktion und Elitenbildung kommt. Bis zum Jahre 1951, als die Freie Waldorfschule ihren Betrieb eröffnete, besuchten in Frankfurt am Main alle Grundschüler die öffentlichen Volksschulen. Im Jahre 2012 führt dagegen der Schulweg von jedem sechsten Frankfurter Grundschüler (17,1 %) zu einer der ca. 25 Privatschulen in der Stadt und in ihrem unmittelbaren Umland (vgl. Stadt Frankfurt am Main 2012)Footnote 6. In den Anfangsjahren der alten Bundesrepublik gab es in Frankfurt am Main nur ein einziges privates Gymnasium für Mädchen, das bereits 1886 als „Höhere Töchterschule“ gegründet worden war. Im Jahre 2012 befindet sich mehr als ein Drittel aller Frankfurter Gymnasien in privater Trägerschaft, und ca. 21 % der Gymnasialschüler lernen an einer privaten Schule, die sie nicht nur zur nationalen, sondern auch zur internationalen Hochschulreife führen soll. Ein kleiner Teil der Frankfurter Gymnasiastinnen und Gymnasiasten besucht übrigens die sechs Katholischen Traditionsschulen, die sich im unmittelbaren Umfeld der früher überwiegend protestantisch geprägten Mainmetropole befinden. Drei von ihnen sind reine Mädchenschulen; diese katholischen Schulen sind – bis auf das 1967 erbaute Franziskaner-Gymnasium Kreuzburg – fast ausnahmslos vor 1949 gegründet worden.

In der Entwicklung des Privatschulwesens in und um Frankfurt am Main lässt sich über die sechs Jahrzehnte sowohl eine zunehmende Beschleunigung der Neugründungen als auch eine Verschiebung der pädagogischen Profile konstatieren. In den vier Jahrzehnten zwischen 1951 und 1991 kam es zu elf Neugründungen, in den nicht einmal zwei Jahrzehnten zwischen 1995 bis 2013 sind dagegen 17 neue private Schulen eröffnet worden.

In der langen ersten Phase dominieren die reformpädagogischen Prägungen. In Frankfurt und Umgebung werden drei Freie Waldorfschulen (1951; 1982; 1991), eine Freie Alternativschule (1974) und eine Montessori-Grundschule (1952) ins Leben gerufen; dazu kommen zwei Schulen in evangelisch-freikirchlicher Trägerschaft (1981; 1985). Neu eröffnet werden ein französisches und ein deutsch-jüdisches Gymnasium (1962; 1966) sowie ein weiteres VDP-Gymnasium (1963). Im Jahre 1961 nimmt mit der „Frankfurt International School“ (FIS) die erste englischsprachige internationale Schule als private Ergänzungsschule ihren Betrieb auf.

Nach einer kurzen „Verschnaufpause“ beginnt Mitte der neunziger Jahre eine neue Gründungswelle, die sich etwa ab dem Jahre 2004 verstärkt und zu einem Boom führt, der bis heute anhält. Zwar werden auch in diesem Zeitraum neben zwei weiteren privaten Ganztagsgymnasien noch ein Montessori-Zentrum (1996) und eine weitere Freie Alternativschule (2004) eröffnet; den weitaus größten Teil der Neugründungen machen allerdings die 13 bilingualen und internationalen Schulen aus, die in den letzten zehn Jahren überwiegend mit historisch neuen Schulkonzepten auf den Plan getreten sind. Zu dieser Gruppe gehören zunächst die drei ausschließlich anglophon unterrichtenden International Schools (Frankfurt International School, International School Frankfurt und Strothoff International School), die als Ergänzungsschulen zu einem britischen bzw. US-amerikanischen Schulabschluss führen, der inzwischen nicht nur in Hessen auch dem deutschen Abitur gleichgestellt ist. Das monatliche Schulgeld beträgt in diesen Schulen, die inzwischen übrigens zu 30 bis 60 % von deutschen Schülern besucht werden, aktuell ca. 1.600 EUR. Zu dieser neuen Gruppe gehören zweitens die acht bilingualen Ganztagsschulen, in denen der Unterricht von native speakers nach dem Grundsatz der Immersion sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch erteilt wird. Sie bereiten ihre Schüler primär nach dem geltenden Hessischen Lehrplan auf das deutsche Abitur vor und bieten zugleich die Möglichkeit eines Internationalen Abschlusses (z. B. International Baccalaureate) an, der die Voraussetzung für ein Studium an britischen und US-amerikanischen Universitäten darstellt. Diese Schulen erhalten als genehmigte bzw. anerkannte Ersatzschulen eine staatliche Förderung und verlangen daher ein niedrigeres monatliches Schulgeld, das aktuell zwischen 350 EUR (Katharina die Große-Schule) und 1.000 EUR (Accadis International School, European School Rhein-Main, Phorms SchoolFootnote 7) liegen kann. Zu dieser zweiten Gruppe der bilingualen Schulen gehören auch die erst in den beiden letzten Jahren gegründeten russisch-deutschen Schulen, in denen gleichzeitig auf Deutsch und Russisch per Immersion unterrichtet wird, während Englisch herkömmlich nur als reguläre Fremdsprache gelernt wird. In welchem Ausmaß diese Schulen zugleich das Ziel einer ethnischen Identitätsbildung verfolgen, wird sich erst zeigen. Auch wenn die Zahl dieser bilingual-internationalen Schule absolut gesehen niedrig ist, so haben sie doch in den Ballungsräumen erheblichen Einfluss auf die gymnasiale Schullandschaft und die Schulwahl der Eltern vor Ort (vgl. Hallwirth 2013).

3.3 Der neue Privatschul-Typus: bilingual, ganztägig, monolithisch

Die bilingualen Schulkomplexe, die zumeist schon mit einer „pre-school“ für die Drei- bis Vierjährigen beginnen und ihre Schülerschaft anschließend in zwölf Schuljahren zur Hochschulreife führen, dürfen als ein in Deutschland neuer Schultypus gelten. Die Profile dieser im Durchschnitt – verglichen mit den reformpädagogischen Schulen – mehr als doppelt so teuren Privatschulen weisen folgende Merkmale auf: 1.) Zweisprachigkeit. D. h. der Unterricht findet gleichzeitig in deutscher und in der Regel englischer Sprache statt, so dass die erste Fremdsprache in der Grundschule über das Eintauchen in eine quasi-natürliche Sprachumwelt gelernt wird. In einem standardisierten Aufnahmeverfahren wird vor der Einschulung die Eignung eines jeden Schülers für diesen Lernalltag festgestellt. 2.) Team Teaching. Jede der kleinen Klassen von ca. 20 Schülern wird von einer Lehrkraft und einer pädagogischen Fachkraft mit je unterschiedlicher Muttersprache geführt; das methodische Instrumentarium soll konservative, reformpädagogische und multimediale Lernformen umfassen. 3.) National-internationales Curriculum und Abitur. Der Unterricht erfolgt sowohl nach den Rahmenlehrplänen und Bildungsstandards des deutschen Bundeslandes als auch nach dem Cambridge International Curriculum, so dass nach zwölf Schuljahren sowohl das deutsche Abitur als auch das International Baccalaureate abgelegt werden können. Der jederzeitige Schulwechsel an deutsche Staatsschulen soll auf diese Weise gewährleistet sein. 4.) Ein Haus des Lernens für alle Jahrgangsstufen. Konzeptionell umfassen die bilingualen Privatschulen monolithisch als Komplettangebot „unter einem Dach“ die gesamte Bildungszeit der Kinder und Jugendlichen vom Kindergarten („Vorschule“) bis zum Abschluss der gymnasialen Sekundarstufe II. Die enge Zugehörigkeit zur Schule wird mancherorts in einer einheitlichen Schulkleidung zum Ausdruck gebracht. 5.) Ganztägige Unterrichtung und Betreuung. Nach der regulär ganztägigen Unterrichtszeit und in den Schulferien besteht die verlässliche Möglichkeit zur weiteren Betreuung der Schülerinnen und Schüler, um beiden Elternteilen die volle Teilnahme am Erwerbsleben zu ermöglichen.

Durch diese fünf kostenintensiven Profilmerkmale unterscheiden sich die neuen internationalen und bilingualen Privatschulen von den traditionellen reformpädagogischen Schulen in freier Trägerschaft und erst recht von den öffentlichen (und konfessionell getragenen) Grundschulen und Gymnasien. Bildungssoziologisch gesehen vergrößert sich durch die Wahl dieses Schultyps mit jedem seiner Merkmale die soziale Exklusivität und Distanz zur übrigen Schullandschaft, die sich ja – wie wir oben gesehen haben – in sich selbst auch schon weiter ausdifferenziert hat. Da bislang keine empirischen Befunde über die Elternschaft dieser internationalen und bilingualen Schulen in Deutschland vorliegen, lassen sich über deren Bildungsorientierungen und Milieuzugehörigkeiten nur erste vorläufige Vermutungen anstellen. Insgesamt gesehen liegt die Annahme nahe, dass diese neuen urbanen Privatschulformate durch ihre Bilingualität, durch ihre zwölf bis fünfzehn Jahre umfassende Beschulung der Schüler und nicht zuletzt durch die hohen Gebühren für ganztägige Betreuung die sozialen Unterschiede innerhalb der kulturellen Leitmilieus weiter verstärken. Die wegen ihres Charakters als Ergänzungsschulen noch kostenintensiveren Internationalen Schulen lassen sich in diesem Kontext mit Recht als neue „Standesschulen“ der globalen Manager-Elite bezeichnen (vgl. Füssel und Leschinsky 2008, S. 200). Hier, aber auch in den neuen privaten bilingualen Ganztagsschulen wird Internationalität als eine Variante kulturellen Kapitals erworben, welche vor allem in den Bereichen von Wirtschaft und Politik neue Möglichkeiten des Anschlusses und der sozialen Distinktion bietet. Empirischen Studien bleibt es allerdings vorbehalten zu untersuchen, ob und wenn ja in welchem Ausmaß hier tatsächlich ein neuer schulischer Weg zur Reproduktion von Teilen der Wirtschaftselite gebahnt wird, der dann im privaten Hochschulsektor ggf. seine Fortsetzung findet.

3.4 Zweites Fazit

Im Rückblick auf die Entwicklung des Privatschulsektors im deutschen Schulwesen im Laufe der vergangenen Jahrzehnte zeigt sich, dass sich innerhalb dieses noch schmalen, aber regional immer bedeutsamer werdenden Segments ein vielfältiges Schulangebot ausdifferenziert hat. Das Spektrum der Bildungsprogramme hat sich pluralisiert und sowohl in modernisierungskritischer als auch in modernisierungssteigernder Richtung beträchtlich erweitert: Es reicht heute von den auf „Ganzheitlichkeit“ oder auf entwicklungsgemäße Entfaltung der Individualität ausgelegten Schulen der alten und neuen ReformpädagogikFootnote 8 über die auf traditionale Wertbindung und Leistung gerichteten kirchlichen Schulen bis zur „global education“ in den bilingualen und international ausgerichteten Schulangeboten. Sieht man einmal vom besonderen Interesse bi-nationaler oder international mobiler Familien an bilingualen Grund- und Gymnasialschulen ab, dann dürfte die Wahl dieses neuen Privatschultypus für Schüler und Eltern den höchsten Grad an sozialer Exklusivität verbürgen – allein schon durch die hohen Schulkosten, den monolithischen organisatorischen Rahmen von der Vorschule bis zur Hochschulreife und durch die artifizielle Zweisprachigkeit. Es spricht vieles dafür, dass vor allem dieser neue Typ von Privatschule „quasi eine eigene Schulform für die (ökonomische) Elite [ist – d. V.], die eine vertiefende Desintegration gesellschaftlicher Milieus zur Folge haben könnte“ (Koinzer und Leschinsky 2009, S. 680). Über die nationale hinaus manifestiert sich hier eine internationale Wirtschafts- und Verwaltungselite, die aufgrund der beruflich erforderlichen Mobilität neue Schulformate und Schulabschlüsse sucht.

Peter Suter hat durch die Befunde seiner vergleichenden Studie über die Schulwahlmotive von Eltern dieser internationalen Schulen und Eltern öffentlicher Schulen für die Schweiz die These einer fortschreitenden Segregation eindrucksvoll untermauert: „Die Unterschiede zwischen den Elterngruppen lassen den Schluss zu, dass es tatsächlich zu einer sozialen Segregation kommt, was die Gefahr einer Parallelgesellschaft erhöht. Die Sozialisation der Privatschülerinnen und Privatschüler läuft weitgehend außerhalb der breiteren Gesellschaftskreise ab, wodurch der gesamtgesellschaftliche Zusammenhalt auf längere Sicht geschwächt wird“ (Suter 2013, S. 151). Diese neuen Privatschulen nehmen auch eine zusätzliche Filterfunktion im Gymnasialbereich wahr; denn sie signalisieren mit ihrer curricularen Internationalität und sozialen Exklusivität potenziellen Abnehmern eine über Landläufiges hinausragende Qualität ihrer Absolventen.

4 Schluss

Insgesamt ist festzuhalten: Im Bereich der öffentlichen Gymnasien haben sich mit der horizontalen Ausdifferenzierung von Schulzweigen und Spezialschulen und mit der vertikalen Stufung durch Klassen, Schulen und Internatsgymnasien für Hochleister und Hochbegabte neue Wege zur Exzellenz herausgebildet. Im expandierenden Privatschulsektor hat sich die die Pluralität der Schulprofile deutlich erweitert und in den neuen bilingualen und internationalen Schulformaten den höchsten Grad an sozialer Exklusivität erreicht. Aus soziologischer Perspektive kann ein Grund für diese Differenzierungsprozesse im Gymnasialbereich im Zerfasern der gesellschaftlichen Mitte und den damit verbundenen sozialen Desintegrationstendenzen gesehen werden (vgl. Hradil 2009, 2013). In den mittleren und oberen Schichten kommen soziale Gruppierungen immer weniger durch die Berufszugehörigkeiten und ökonomische Gegebenheiten zustande als durch die Wahl des Lebensstils und der damit verbundenen Wertorientierungen. Die sozialen Milieus entfernen sich somit nicht nur räumlich, sondern auch kulturell immer weiter voneinander. Dies zeigt sich gerade auch in je unterschiedlichen Einstellungen und Konzepten von Elternschaft, Erziehung, Bildung, Leistung und Schule (vgl. Merkle und Wippermann 2008). Die milieuspezifisch ausgeformten Bildungsorientierungen und -aspirationen der tendenziell zu Bildungsmanagern ihrer Kinder gewordenen Eltern bestimmen schließlich auch die Wahl der habituell passenden, immer „höher“ werdenden Schule und tragen damit zur weiteren Diversifizierung des deutschen Schulwesens bei.