1 Einleitung

Mehrgliedrige Schulsysteme, wie sie z. B. in Deutschland, Österreich und z. T. in der Schweiz anzutreffen sind, erfordern ein Selektionsinstrument, das die Zuweisung von SchülernFootnote 1 auf die unterschiedlichen Schulformen regelt. Dieses Selektionsinstrument ist die SekundarschulempfehlungFootnote 2, die von Grundschullehrkräften am Ende der Grundschulzeit (entweder im vierten oder im sechsten Schuljahr) erteilt wird. Die Empfehlung kann verbindlichen Charakter haben oder lediglich eine Orientierung für Schüler und Eltern liefern. Selbst wenn die Empfehlung unverbindlich ist, folgt ihr üblicherweise die überwiegende Mehrzahl der Schüler (vgl. Arnold et al. 2007; Scharenberg et al. 2010).

Auch das luxemburgische Schulsystem sieht den Übergang der Schüler nach der Grundschule in verschiedene, nach Anforderungen gestaffelte, weiterführende Schulen vor. Der Übergang erfolgt in Luxemburg nach der sechsten Grundschulklasse. Die Sekundarstufe ist dreigeteilt; sie besteht aus dem Enseignement secondaire classique (ESC), welches einem deutschen Gymnasium entspricht und mit der allgemeinen Hochschulreife endet, dem Enseignement secondaire technique (EST), das einen mittleren Schulzweig darstellt, auf dem jedoch neben dem mittleren Schulabschluss auch die allgemeine Hochschulreife erlangt werden kann, und dem Régime préparatoire (RP), das vorwiegend Kinder mit Lernschwierigkeiten und starken Leistungsdefiziten besuchen und auf dem niedrigere Schulabschlüsse erworben werden können.

Zwei Besonderheiten kennzeichnen das luxemburgische Übergangsverfahren. Zum einen wird die Sekundarschulempfehlung von einem Orientierungsrat getroffen (Conseil d’orientation), der sich aus Schulinspektoren, Grundschullehrern und Lehrern der Sekundarschulen zusammensetzt. Zum anderen hat die Sekundarschulempfehlung bindenden Charakter. Abweichungen von der Empfehlung sind nur nach Einlegen von Widerspruch und unter Hinzuziehung eines zusätzlichen Gutachtens möglich.

In Luxemburg ist bei der Einführung der neuen Übergangsregelung im Schuljahr 1996/1997 vom Ministère de l’Education Nationale, de la Formation professionelle et des Sports (Ministerium für Erziehung, Bildung und Sport) festgelegt worden, welche Kriterien in die Sekundarschulempfehlung Eingang finden dürfen (Thill 2001). Die Empfehlung soll auf den schulischen Leistungen der Schüler in der sechsten Grundschulklasse, den Resultaten in standardisierten Leistungstests, die in Mathematik, Deutsch und Französisch durchgeführt werden, und in der Einschätzung des Arbeits- und Lernverhaltens durch die Grundschullehrkraft beruhen. Weiterhin soll der Wunsch der Eltern Berücksichtigung finden.

Baeriswyl et al. (2006) entwickelten ein theoretisches Modell zum Übergang von der Grund- auf die weiterführende Schule, das sich auf das Deutschfreiburger Übertrittsmodell im Schweizer Kanton Freiburg bezieht. Im Deutschfreiburger Übertrittsmodell bilden die Lehrerempfehlung, der Elternwunsch und die Leistungen der Schüler in einer standardisierten Vergleichsprüfung die Kernelemente des Übergangsverfahrens. Die Urteile der Lehrer und der Eltern stützen sich dabei auf die Leistungen der Schüler in der Grundschule (Schulnoten und Lern- und Arbeitsverhalten). Neben diesen normativ festgelegten Kriterien für den Übergang postulieren Baeriswyl et al. (2006) auch den sozialen Hintergrund der Schüler als potenziellen Wirkfaktor für den Übertritt der Schüler auf eine weiterführende Schule. Im internationalen Vergleich konnte vielfach gezeigt werden, dass in deutschsprachigen Ländern der Zusammenhang zwischen sozialem Hintergrund und Schulleistung besonders eng ist (vgl. OECD 2012). Schüler mit günstigem familialem Hintergrund haben bei vergleichbarer Schulleistung eine höhere Chance, in leistungsstarke Bildungsgänge der Sekundarschule überzuwechseln als Schüler mit problematischem sozialem Hintergrund. Zu den Variablen des sozialen Hintergrundes die als besonders prädiktiv für die Empfehlung gelten, zählen der sozioökonomische Status der Schüler und ihre Nationalität (vgl. Arnold et al. 2007; Bos et al. 2004; Ditton et al. 2005).

Ähnlich wie im Deutschfreiburger Übertrittsmodell werden auch in Luxemburg die Schulnoten, Leistungen aus standardisierten Tests, das Lern- und Arbeitsverhalten der Schüler sowie der Elternwunsch als Kriterien für die Sekundarschulempfehlung genannt. Daher wurde mit der vorliegenden Untersuchung auf das Modell zum Übertrittsverfahren von Baeriswyl et al. (2006) zurückgegriffen und hinsichtlich der Auswahl der Prädiktoren der Sekundarschulempfehlung differenziert zwischen solchen, die explizit als normatives Kriterium durch das zuständige Ministerium festgelegt wurden, und solchen, die aufgrund einschlägiger Forschungsergebnisse als wirksam in Bezug auf die Sekundarschulempfehlung anzusehen sind. Wir unterscheiden im Folgenden zwischen a) leistungsbezogenen Prädiktoren (zu denen die explizit als Kriterium genannten Schulnoten, Ergebnisse aus Schulleistungstests sowie das Lern- und Arbeitsverhalten der Schüler zählen) und b) Variablen des sozialen Hintergrundes (zu denen sowohl das explizit genannte Kriterium des Elternwunsches als auch potenziell wirksame Variabeln wie Geschlecht, sozioökonomischer Hintergrund und Migrationsstatus des Schülers zählen).

Ein zentrales Problem vieler Untersuchungen zum Einfluss leistungsbezogener und soziokultureller Variablen auf den Schulübergang ist allerdings, dass die Mehrebenen-Struktur der Daten und damit die Rolle von Kontextfaktoren auf Klassenebene (im engeren Sinne die Zusammensetzung der Schülerschaft) unberücksichtigt bleibt. Dass Kontextfaktoren jedoch einen deutlichen Einfluss auf die Sekundarschulempfehlung haben können, zeigten z. B. Trautwein und Baeriswyl (2007). Ein wesentliches Ergebnis ihrer Untersuchung war, dass sich ein negativer Zusammenhang zwischen der auf Klassenebene gemittelten Testleistung und der Übertrittsempfehlung fand: Bei gleicher individueller Testleistung fiel die Sekundarschulempfehlung ungünstiger aus, wenn ein Schüler in einer insgesamt leistungsstarken Klasse unterrichtet wurde. Um einen möglichen Referenzgruppeneffekt im Hinblick auf die Zusammensetzung der Schülerschaft aufdecken zu können, haben wir die Leistungsstärke der Klasse als zusätzlichen Prädiktor der Sekundarschulempfehlung untersucht.

Da für Luxemburg bislang keine belastbaren Daten über Einflussfaktoren der Sekundarschulempfehlung vorliegen, waren wir darüber hinaus daran interessiert, festzustellen, inwieweit sich Befunde in Deutschland, Österreich und der Schweiz zum Einfluss von leistungsbezogenen Variablen und Variablen des sozialen Hintergrunds auf die Sekundarschulempfehlung in einer Stichprobe von luxemburgischen Grundschülern replizieren lassen und somit Aussagen über Qualität und Genese der Sekundarschulempfehlung generalisierbar sind. Eine mögliche Generalisierung ist besonders vor dem Hintergrund dreier Besonderheiten des luxemburgischen Übergangsverfahrens von Bedeutung. Erstens spielen in Luxemburg im Unterschied zu anderen Übergangsverfahren im deutschsprachigen Raum Sprachkenntnisse der Schüler eine prominente Rolle. Zweitens wird die Empfehlung für die zukünftige Schulform in einer Gruppe getroffen. Und drittens fließen Resultate standardisierter Vergleichstests direkt in die Empfehlung ein. Letzteres sollte die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Effekten der Klassenstärke und des sozialen Hintergrundes verringern.

1.1 Leistungsbezogene Prädiktoren der Sekundarschulempfehlung

Aktuellen Befunden folgend hängen Sekundarschulempfehlungen vor allem von den Leistungen eines Schülers ab. Schulnoten und Ergebnisse aus Schulleistungstests repräsentieren zwei unterschiedliche Indikatoren für Schülerleistungen, obwohl beide durchaus miteinander zusammenhängen. Schulnoten sind bezugsgruppenabhängig, d. h., ihre Vergabe hängt von der Verteilung der Leistung in der Bezugsgruppe (meistens der Klasse) ab (Ingenkamp 1995; Trautwein und Baeriswyl 2007). Das Notenniveau einer Klasse entspricht damit nicht zwangsläufig dem Leistungsniveau der Klasse, da gleiche Leistungen durchaus unterschiedlich benotet werden können. Im Unterschied zu Schulnoten beruhen Testleistungen auf einer standardisierten Messung und werden in geringerem Maße von Eigenschaften des Lehrers beeinflusst. Sie sind darüber hinaus nicht von der Klassenleistung abhängig, sondern werden in Bezug auf eine weit größere Normstichprobe interpretiert.

Unterschiedliche Studien konnten zeigen, dass Schulnoten den stärksten Prädiktor für die Sekundarschulempfehlung darstellen (z. B. Arnold et al. 2007; Bos et al. 2004; Stubbe und Bos 2008). Darüber hinaus konnten auch Testleistungen einen hohen Anteil an Varianz in der Sekundarschulempfehlung aufklären (Bos et al. 2004; Kristen 2006; Arnold et al. 2007; Stahl 2007; Tiedemann und Billmann-Mahecha 2007; Milek et al. 2009; Wagner et al. 2009). Allerdings verringerte sich dieser Anteil deutlich, wenn gleichzeitig Schulnoten berücksichtigt wurden (Ditton et al. 2005; Tiedemann und Billmann-Mahecha 2007; Stubbe und Bos 2008; Caro et al. 2009; Gröhlich und Guill 2009).

Zu den leistungsbezogenen Variablen zählt auch das Lern- und Arbeitsverhalten eines Schülers. Im Allgemeinen scheint das Verhalten eines Schülers im Unterricht die Sekundarschulempfehlung zu beeinflussen, insbesondere dann, wenn auf Grundlage von Schulnoten und Testleistungen keine eindeutige Empfehlung möglich ist (vgl. Maaz et al. 2008).

1.2 Variablen des sozialen Hintergrunds als Prädiktoren der Sekundarschulempfehlung

Allerdings spiegeln Sekundarschulempfehlungen nicht nur die schulischen Fähigkeiten und Leistungen eines Schülers wider, sondern hängen auch von sozialen Selektionsprozessen ab (vgl. Baumert und Schümer 2002; Stubbe und Bos 2008; Tiedemann und Billmann-Mahecha 2007). Nach Boudon (1974) basieren primäre Bildungsungleichheiten auf unterschiedlichen Schülerkompetenzen, sekundäre Bildungsungleichheiten resultieren dagegen aus schichtbedingt unterschiedlichen Bildungseinflüssen durch die Eltern. Die primären Bildungsungleichheiten beziehen sich auf Leistungsunterschiede, die aufgrund der sozialen Herkunft entstehen und damit auch den Besuch unterschiedlicher Schulformen zur Folge haben können. Kinder aus höheren Sozialschichten erlangen infolge von Erziehung, materieller Ausstattung und gezielter Förderung im Elternhaus eher Fertigkeiten, die in der Schule vorteilhaft sind, als Kinder aus vergleichsweise niedrigeren sozialen Schichten. Aufgrund dieser günstigen Voraussetzungen im Elternhaus weisen Kinder aus höheren Sozialschichten häufig bessere Schulleistungen auf, während Arbeiterkinder aufgrund ihrer sozialen Herkunft eher kognitive Nachteile haben. Sekundäre Bildungsungleichheiten beschreiben die über reine Leistungsunterschiede hinausgehenden Differenzen in den familialen Bildungsentscheidungen. Diese Differenzen folgen aus einer Bewertung der Bildungsabschlüsse relativ zur eigenen sozialen Herkunft. Nach Boudon (1974) treffen Eltern die Entscheidung über den schulischen Werdegang ihres Kindes in Abhängigkeit von ihrer eigenen Position im sozialen Statusgefüge. So kommt es auch bei gleicher Leistungsfähigkeit von Kindern zu unterschiedlichen Bildungsentscheidungen, da die Belastungen durch die Kosten (z. B. Schulgeld, entgangenes Einkommen) für einen bestimmten Bildungsabschluss schichtspezifisch variieren. Auch schätzen Familien aus unteren sozialen Schichten die Erfolgsaussichten in der Schule geringer ein als Familien aus höheren sozialen Schichten (vgl. auch Breen und Goldthorpe 1997).

Empirische Befunde bestätigen die von Boudon postulierten Effekte. Zu den sozialen Variablen, die Bildungsverläufe und insbesondere die Sekundarschulempfehlungen von Lehrern beeinflussen, zählen das Geschlecht des Schülers, der sozioökonomische Status der Eltern, der Bildungsstatus der Eltern, der Bildungswunsch der Eltern und der Migrationshintergrund des Schülers.

In einigen Studien konnte gezeigt werden, dass Jungen im Vergleich zu Mädchen eine geringere Chance haben, für das Gymnasium empfohlen zu werden (Arnold et al. 2007; Caro et al. 2009; Gröhlich und Guill 2009; Schulze et al. 2009; Neumann et al. 2010). Dieser Effekt verringert sich allerdings beträchtlich, wenn zusätzlich die Schulleistung in Form von Noten kontrolliert wird (Kristen 2002; Stahl 2007; Gröhlich und Guill 2009; Milek et al. 2009; Schulze et al. 2009; Stubbe 2009). Kinder aus Familien mit relativ geringem Einkommen erhalten tendenziell seltener eine Gymnasialempfehlung als Kinder aus Familien mit höherem Einkommen (Bos et al. 2004; Arnold et al. 2007). Wagner et al. (2009) berichten von einem positiven Zusammenhang zwischen dem Bildungsstatus der Eltern und den Übergangsempfehlungen der Lehrkräfte: Je höher der Bildungsstatus einer Familie, desto höher war auch die Chance für die Kinder auf eine Gymnasialempfehlung. Verschiedene Untersuchungen zeigen ferner, dass neben den Schülerleistungen die Elternaspirationen den stärksten Prädiktor für die spätere Bildungslaufbahn darstellen. So konnte z. B. Becker (2000) feststellen, dass der elterliche Wunsch nach einer Beschulung ihres Kindes auf dem Gymnasium tatsächlich häufiger mit einer Empfehlung für den Gymnasialzweig einhergeht. Darüber hinaus zeigt sich, dass selbst bei Kontrolle von schulischen Leistungen und der Sekundarschulempfehlungen Schüler aus privilegierten Elternhäusern eine höhere Chance haben, nach der Grundschule auf ein Gymnasium zu wechseln, als Kinder aus sozial schwächeren Familien (Arnold et al. 2007). Schließlich werden Schüler mit Migrationshintergrund häufiger für die Hauptschule und seltener für das Gymnasium empfohlen als Kinder ohne Migrationshintergrund (Ditton et al. 2005; Neumann et al. 2010).

1.3 Referenzgruppeneffekte in Sekundarschulempfehlungen

Über den Einfluss individueller Schülermerkmale hinaus sind Referenzgruppeneffekte im Sinne der Zusammensetzung der Schülerschaft innerhalb einer Klasse in der empirischen Bildungsforschung ein gut dokumentiertes Phänomen. Besonderes Forschungsinteresse fanden Referenzgruppeneffekte auf das schulische Selbstkonzept. Dieser Referenzgruppeneffekt ist auch als Big-Fish-Little-Pond-Effekt in der Literatur beschrieben worden (Marsh 1987; Marsh et al. 2000) und äußert sich darin, dass Schüler mit ähnlichen Leistungen in Abhängigkeit von der durchschnittlichen Leistungsstärke ihrer Klasse unterschiedliche Einschätzungen ihrer eigenen fachlichen Fähigkeiten entwickeln. Je höher das Leistungsniveau der Klasse ist, desto niedriger fällt tendenziell die Einschätzung des fachbezogenen Selbstkonzepts aus. Auch in Bezug auf Schülerleistungen konnte ein Referenzgruppeneffekt nachgewiesen werden. So konnten beispielsweise Marsh (1987) und Trautwein et al. (2006) zeigen, dass ein systematischer Zusammenhang besteht zwischen der mittleren, mit standardisierten Leistungstests ermittelten Leistungsstärke von Schulen und den in diesen Schulen vergebenen Schulnoten. Bei gleicher individueller Leistungsstärke werden tendenziell bessere Noten in Schulen vergeben, in denen das durchschnittliche Leistungsniveau geringer ist, als in Schulen, in denen das durchschnittliche Leistungsniveau eher hoch ist. Auch auf die Sekundarschulempfehlung wirkt sich das Klassenleistungsniveau aus. In unterschiedlichen Studien (z. B. Lehmann et al. 1997; Tiedemann und Billmann-Mahecha 2007; Trautwein und Baeriswyl 2007) konnte gezeigt werden, dass sich Lehrkräfte bei der Sekundarschulempfehlung am Leistungsniveau ihrer Schulklassen orientieren. Mit einem höheren Anteil an Schülern in der Klasse, deren Schulleistungen und kognitive Fähigkeiten hoch waren, sinkt die relative Chance, eine Empfehlung für das Gymnasium zu erhalten, bzw. sind hierfür bessere individuelle Leistungen notwendig.

1.4 Untersuchungsziele und Hypothesen

Für die Zuweisung von Grundschülern auf eine weiterführende Schule in Luxemburg sind Kriterien vom zuständigen Erziehungsministerium festgelegt worden, nach denen der Orientierungsrat eine Empfehlung für jeden einzelnen Schüler treffen soll. Dazu gehört die Berücksichtigung von leistungsbezogenen Variablen wie die Schulnoten in den Hauptfächern Deutsch, Französisch und Mathematik, Ergebnisse aus standardisierten Schulleistungstests für die Bereiche Deutsch, Französisch und Mathematik sowie das Lern- und Arbeitsverhalten der Schüler. Außerdem sollen Stellungnahmen der Eltern bezüglich ihres Schulwunsches eingeholt und für die Zuweisung der Schüler berücksichtigt werden. Mit der vorliegenden Arbeit wollten wir daher zunächst prüfen, ob diese Variablen tatsächlich prädiktiv sind für die im Orientierungsrat gefasste Sekundarschulempfehlung. Darüber hinaus lassen Befunde aus Studien im deutschsprachigen Raum zum Übergang auf weiterführende Schulen vermuten, dass neben leistungsbezogenen Faktoren auch Variablen des sozialen und familialen Hintergrundes einen Einfluss auf die Sekundarschulempfehlung ausüben. Daher war es ein weiteres Ziel dieser Studie, zu prüfen, inwieweit und mit welchen Gewichten Merkmale des sozialen Hintergrundes eines Schülers Eingang in die Sekundarschulempfehlung finden. Schließlich interessierte uns, ob die Sekundarschulempfehlung in Luxemburg abhängig ist von der Zusammensetzung der Schülerschaft auf Klassenebene. Es ging dabei im Besonderen um die Frage, ob die Zusammensetzung der Schulklasse zusätzlich zu den individuellen Lernleistungen einen substanziellen Beitrag für die Zuweisung der Schüler zu den Schulzweigen der Sekundarstufe leistet.

Zu den in dieser Studie betrachteten leistungsbezogenen Einflussfaktoren zählten die Schulnoten, die Ergebnisse aus standardisierten Leistungstests sowie das Lern- und Arbeitsverhalten. Zu den Faktoren, die in dieser Studie den sozialen Hintergrund repräsentierten, gehörten das Geschlecht des Schülers, der sozioökonomische Status der Eltern, der Migrationshintergrund des Schülers und der Klassenkontext des Schülers. Zusätzlich wurde der Wunsch der Eltern berücksichtigt. Der Zusammenhang zwischen dem Bildungsstatus der Eltern und der Sekundarschulempfehlung wurde nicht erfasst, da der Bildungsstatus im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht erhoben wurde.

Des Weiteren wurde der Frage nachgegangen, ob sich die bisher erbrachten Befunde zum Einfluss von leistungsbezogenen Variablen und Variablen des sozialen Hintergrunds auf die Sekundarschulempfehlung in einer Stichprobe von luxemburgischen Grundschülern replizieren lassen. Auf Grundlage bisher vorliegender Befunde nahmen wir an, dass die individuellen Leistungen eines Schülers den stärksten Prädiktor für die Empfehlung darstellen. Gute Noten bzw. gute Testergebnisse sollten häufiger mit Empfehlungen für den höchsten Sekundarschulzweig (ESC) einhergehen, schlechte Noten bzw. schlechte Testergebnisse dagegen häufiger mit Empfehlungen für einen der anderen beiden Schulzweige (EST oder RP). Aufgrund der Vielsprachigkeit in Luxemburg nahmen wir an, dass besonders die Leistungen in Deutsch und Französisch mit hohem Gewicht in die Sekundarschulempfehlung einfließen sollten. Auch das Lern- und Arbeitsverhalten sollte sich auf die Vergabe der Empfehlung auswirken; wir nahmen an, dass Schüler mit einem Lern- und Arbeitsverhalten, das von der Lehrkraft positiv bewertet wurde, eher für das ESC, Schüler mit negativ bewertetem Lern- und Arbeitsverhalten dagegen eher für das EST oder RP empfohlen werden.

Darüber hinaus erwarteten wir, dass sich ein Effekt des Klassenleistungsniveaus auf die Vergabe der Sekundarschulempfehlung nachweisen lassen sollte. Die Chance, für einen höheren Schulzweig statt für einen der beiden niederen Schulzweige empfohlen zu werden, sollte bei Kontrolle seiner individuellen Leistungen (Ergebnisse aus standardisierten Schulleistungstests) höher sein, wenn sich ein Kind in einer weniger leistungsstarken Klasse befindet, als wenn die Klasse insgesamt eher leistungsstark ist. Die Leistungsstärke der Klasse wurde operationalisiert über die je Klasse gemittelten Testwerte, welche die Schüler in den standardisierten Leistungstests erbracht hatten.

Was den Wunsch der Eltern für die zukünftige Beschulung ihres Kindes betrifft, nahmen wir an, dass dieser sich insoweit in den Empfehlungen des Orientierungsrates widerspiegelt, als Schüler häufiger auf das ESC (EST, RP) überwiesen werden sollten, wenn die Eltern ebenfalls eine Beschulung ihres Kindes auf dem ESC (EST, RP) wünschten, als wenn die Eltern die Beschulung auf einem anderen Schulzweig anstrebten.

Die Variablen des sozialen Hintergrunds betreffend wurde angenommen, dass Mädchen gegenüber Jungen, Schüler mit höherem sozioökonomischen Status gegenüber Schülern mit niedrigerem sozioökonomischen Status und Schüler ohne Migrationshintergrund verglichen mit Schülern mit Migrationshintergrund eher eine Empfehlung für den höchsten Schulzweig der Sekundarstufe erhalten.

2 Methode

2.1 Stichprobe

Die Erhebung der Daten der vorliegenden Studie bestand aus zwei Teilen. Zum einen wurden die Daten der standardisierten Schulleistungstests benutzt, welche im Rahmen der Übergangsprozedur von der Grundschule zur Sekundarschule in den 6. Klassen des Schuljahrs 2008/2009 bei allen Schülern zur Anwendung kamen. Zusätzlich wurden Daten zum Lern- und Arbeitsverhalten und zum sozialen Hintergrund der Schüler erhoben. Zum anderen lieferte das luxemburgische Erziehungsministerium Daten über die Sekundarschulempfehlungen, den Schulwunsch der Eltern, das Alter und Geschlecht der Schüler, die Nationalität der Schüler und die Schulnoten in den einzelnen Fächern in der sechsten Klasse der Grundschule. Für die Analysen in der vorliegenden Untersuchung wurden die Daten aus beiden Erhebungsteilen kombiniert.Footnote 3

Insgesamt lagen Sekundarschulempfehlungen für das Schuljahr 2008/2009 von 3165 Schülern aus luxemburgischen Grundschulen vor. In die Datenanalyse wurden neben dem Kriterium „Sekundarschulempfehlung“ insgesamt zwölf Prädiktoren einbezogen (vgl. für eine detaillierte Darstellung Abschn. 2.3). Diese waren die über drei Trimester der sechsten Klasse gemittelten Schulnoten in 1) Deutsch, 2) Französisch und 3) Mathematik, die über unterschiedliche Inhaltsbereiche gemittelten Werte eines standardisierten Schulleistungstest für 4) Deutsch, 5) Französisch und 6) Mathematik, 7) das Lern- und Arbeitsverhalten der Schüler, ferner Variablen des sozialen und ökonomischen Hintergrunds wie 8) das Geschlecht des Schülers, 9) der sozioökonomische Status der Eltern, 10) der Migrationshintergrund des Schülers sowie 11) der Bildungswunsch der Eltern und schließlich 12) das Klassenleistungsniveau.

Die Zuordnung der Schüler zu ihren jeweiligen Schulklassen, die für die Durchführung der Mehrebenenanalysen notwendig war, war für etwa 94 % der Schüler möglich. Die anschließenden Mehrebenenanalysen wurden daher über insgesamt 2925 Schüler durchgeführt. Diese verteilten sich auf 211 Schulklassen aus insgesamt 104 Grundschulen. Die mittlere Schüleranzahl einer Klasse lag bei n = 14.6 (SD = 3.5).

2.2 Untersuchungsdesign

Zur Analyse der Prädiktoren von Sekundarschulempfehlungen wurde das ursprünglich dreifach gestufte Kriterium dichotomisiert, weil nur etwa ein Zwanzigstel aller Empfehlungen für die Schulform Régime Préparatoire ausgestellt wurden (siehe Abschn. 3.1). Durch die Dichotomisierung wurde das Kriterium auf die Stufen „Empfehlung für das Enseignement Secondaire Classique“ versus „Empfehlung für eine der anderen beiden Schulformen“ reduziert. Entsprechend dem dichotomen Kriterium wurden logistische Mehrebenenanalysen durchgeführt. Zur Anwendung kam ein Zweiebenenmodell, in dem auf Ebene 1 das Kriterium Sekundarschulempfehlung in Relation gesetzt wurde zu den Prädiktoren Schulnoten (Deutsch, Französisch, Mathematik), Testleistungen (Deutsch, Französisch, Mathematik), Lern- und Arbeitsverhalten, Migrationshintergrund, sozioökonomischer Status, Geschlecht des Schülers und Bildungswunsch der Eltern. Auf Ebene 2 wurde als Prädiktor das Leistungsniveau der Klasse eingeführt, welches operationalisiert wurde als über die drei inhaltlichen Domänen Deutsch, Französisch und Mathematik gemittelten und auf Klassenebene aggregierten Testwerte der standardisierten Leistungstests, welche die Schüler am Ende der 6. Klasse der Grundschule bearbeitet hatten.

Die Prädiktoren wurden entsprechend den Hypothesen sequenziell in das Regressionsmodell eingelesen. Bei den verwendeten Modellen handelte es sich um random intercept Modelle, die über full maximum likelihood mit dem Programmpaket HLM 6 (Raudenbush et al. 2004) geschätzt wurden. Um die relative Bedeutung der Prädiktoren für die Sekundarschulempfehlung abschätzen zu können, wurden alle Prädiktoren (einschließlich des Klassenleistungsniveaus) z-standardisiert, bevor sie in die Regressionsanalyse eingelesen wurden.

Wir haben unterschiedliche Modelle geprüft, die sich sowohl in der Anzahl als auch im Inhalt der Prädiktoren unterschieden. Für jeden Prädiktor wurde ein Odds Ratio berechnet, das sein relatives Gewicht für die Sekundarschulempfehlung angibt. Für jedes Modell wurde darüber hinaus die Devianz berechnet, welche die Passung einer empirischen Datenstruktur für ein gegebenes Modell angibt. Je kleiner die Devianz ist, desto besser stimmt das Modell mit den Daten überein. Ob die Einbeziehung eines weiteren Prädiktors zu einer signifikanten Verringerung der Devianz führte, wurde mittels Chi-Quadrat-Test geprüft.

2.3 Erhobene Variablen

2.3.1 Kriteriumsvariable

Kriteriumsvariable war die Sekundarschulempfehlung. Für die Mehrebenenanalysen wurde die Empfehlung dichotomisiert (mit den beiden Stufen „Empfehlung für das ESC“ versus „Empfehlung für eine andere Schulform“).

2.3.2 Prädiktorvariablen auf Individualebene

Zeugnisnoten

Aus den Zeugnissen wurden die Noten der Hauptfächer der drei Trimester des sechsten Grundschuljahres entnommen. Die Noten lagen in Form einer Notenpunkteskala vor, die eine Abstufung der Leistung von 0 bis 60 Punkten erlaubt (Punkte unter 30 stehen für eine ungenügende Leistung). Den nachfolgenden Analysen wurde die über die drei Trimester der sechsten Klasse gemittelte Punktzahl in den Hauptfächern Deutsch, Französisch und Mathematik zugrunde gelegt.

Resultate der standardisierten Tests

Als Indikatoren der schulischen Kompetenz lagen Testwerte von standardisierten Leistungstests vor, die in den inhaltlichen Domänen Deutsch, Französisch und Mathematik durchgeführt wurden. In den Sprachen wurden die Teilbereiche Leseverstehen, Hörverstehen und Grammatik, in Mathematik einfache Rechenaufgaben und Textaufgaben unterschieden. Die Tests wurden anhand von IRT-Modellen auf Modellkonformität überprüft und relativ zu der Gesamtpopulation z-standardisiert. Die über die jeweils unterschiedlichen inhaltlichen Teilbereiche eines Hauptfachs gemittelten standardisierten Testwerte wurden den nachfolgenden Analysen als schulische Leistungsfähigkeit zugrunde gelegt.

Einschätzung des Lern- und Arbeitsverhaltens durch die Lehrkraft

Jedes Zeugnis enthielt für die einzelnen Trimester die Einschätzung des Lern- und Arbeitsverhaltens des Schülers durch die Lehrkraft. Auf einer Skala von 1 („selten“) bis 4 („häufig“) schätzten die Lehrkräfte das Lernverhalten ihrer Schüler anhand von 14 Items ein (siehe Anhang). Bevor das Lern- und Arbeitsverhalten als Prädiktor in die Regressionsanalysen einbezogen wurde, wurde über n = 3018 verfügbare Einträge zum Lern- und Arbeitsverhalten (gemittelt über die drei Trimester) eine Faktoranalyse mit Varimax-Rotation gerechnet. Es ergaben sich drei Faktoren mit einem Eigenwert größer als eins. Die Faktoren 1 und 2 konnten inhaltlich als „Leistungsbereitschaft“ und „Zuverlässigkeit und Sorgfalt“ interpretiert werden, Faktor 3 repräsentierte hingegen das Sozialverhalten der Schüler. Auch wenn das Sozialverhalten nicht zu den expliziten Kriterien für den Übergang auf die Sekundarstufe in Luxemburg zählt, wurde dieser Faktor für die folgenden Analysen berücksichtigt. Die Items mit den höchsten Faktorladungen auf dem ersten Faktor gingen in die nachfolgenden Analysen als Variable „Leistungsbereitschaft“, die Items mit den höchsten Faktorladungen auf dem zweiten Faktor als Variable „Zuverlässigkeit und Sorgfalt“, und die Items mit den höchsten Faktorladungen auf dem dritten Faktor als Variable „Sozialverhalten“ ein. Alle drei Variablen hatten eine hohe interne Konsistenz (aLeistung = .91, aZuverlässigkeit = .89, aSozial = .90). Im Anhang finden sich die Items der drei Faktoren.

Nationalität

Die Herkunft der Kinder wurde über die in den Testdaten registrierte Nationalität ermittelt. Für die späteren Analysen wurde zwischen luxemburgischen Schülern, portugiesischen Schülern und Schülern anderer Nationalität unterschieden. Dazu wurden zwei Dummy-Variablen gebildet. Die erste Dummy-Variable kontrastierte die portugiesischen Schüler mit den luxemburgischen Schülern, die zweite Dummy-Variable kontrastierte alle anderen Schüler, die einen Migrationshintergrund hatten, mit den luxemburgischen Schülern. Der Grund für dieses Vorgehen lag darin, dass portugiesische Schüler den größten Schüleranteil mit Migrationshintergrund darstellen.

Sozioökonomischer Status der Eltern

Für die Ermittlung des sozioökonomischen Status der Familien der Schüler wurde der auf den angegebenen Berufen und Ausbildungen der Eltern beruhende International Socioeconomic Index (ISEI; Ganzeboom et al. 1992) verwendet, wobei in die Analysen der höchste sozioökonomische Index (HISEI) von Vater oder Mutter einging. Der HISEI kann Werte zwischen 16 (z. B. landwirtschaftliche Hilfskräfte, Reinigungskräfte) und 90 (z. B. Richter) annehmen. Die hierzu erhobenen Daten entstammten einem Fragebogen, der an die Eltern der Schüler adressiert war.

Geschlecht der Schüler

Das Geschlecht der Schüler floss als dichotome Variable (Mädchen = 0, Jungen = 1) in die Analysen ein.

Bildungswunsch

Der Bildungswunsch der Eltern orientierte sich an den möglichen Schulformempfehlungen und wurde in gleicher Weise wie diese kodiert („Wunsch der Beschulung auf dem Enseignement Secondaire Classique“ versus „Wunsch der Beschulung auf anderen Schulformen“).

2.3.3 Prädiktorvariable auf Klassenebene

Als Kontextvariable diente das schulklassenbezogene Leistungsniveau der Schüler. Zur Operationalisierung des Leistungsniveaus wurde auf die Ergebnisse der standardisierten Schulleistungstests zurückgegriffen (vgl. Trautwein et al. 2006; Maaz et al. 2008). Es lag für jeden Schüler je ein Testwert für den Bereich Mathematik, Deutsch und Französisch vor. Aus diesen insgesamt drei Werten wurde für jeden Schüler ein mittlerer Testwert gebildet. Diese mittleren Testwerte wurden anschließend auf Klassenebene aggregiert, d. h., es wurden für jede Schulklasse Durchschnittstestwerte berechnet. Diese Klassendurchschnittswerte wurden, bevor sie in die Regressionsanalysen einbezogen wurden, z-standardisiert.

2.4 Behandlung von fehlenden Werten

Fehlende Werte lagen bei fast allen Prädiktorvariablen vor. Tabelle 1 zeigt die Verteilung der fehlenden Werte für die einzelnen Variablen.

Tab. 1 Häufigkeit gültiger (absolut) und fehlender Werte (in Prozent) sowie Mittelwerte und Standardabweichungen der verwendeten Variablen

Die fehlenden Werte aus den Prädiktoren Schulnoten, Testwerte, Lern- und Arbeitsverhalten, Sozialverhalten und HISEI wurden über ein Imputationsverfahren mithilfe des Programms NORM, Version 2.03 (Schafer 2000), ersetzt.

Wir haben uns aus drei Gründen für eine Imputation der fehlenden Werte des HISEI entschieden, obwohl für diese Variable nur etwa 31 % gültige Werte vorlagen. Erstens stellte der HISEI eine zentrale Variable unserer Fragestellung dar. Zweitens schienen die gültigen Werte des HISEI eine repräsentative Stichprobe aus der Grundgesamtheit luxemburgischer Schüler zu sein. Darauf deuten zumindest die Kennwerte der Verteilung der HISEI-Werte in dieser Studie hin. Die sich für den HISEI ergebende Verteilung mit einem Mittelwert von 51.4 und einer Standardabweichung von 16.9 (vgl. Abschn. 3.1) weicht nur geringfügig von der in PISA 2009 festgestellten Verteilung für Luxemburg ab (M = 48.1; SD = 17.1; Ehmke und Jude 2010). Drittens scheint die multiple Imputation von fehlenden Werten über NORM auch bei einer großen Anzahl fehlender Werte zu zuverlässigen Ergebnissen zu führen (vgl. Schafer und Olson 1998). Wichtigstes Kriterium für die Anwendbarkeit des Imputationsverfahrens ist, dass ein Datensatz mehr zu untersuchende Personen aufweist als Variablen enthält (Schneider 2001).

Auf eine Imputation und Ersetzung der fehlenden Werte der nominalskalierten Prädiktoren wurde verzichtet, da ihr Anteil an den für die Mehrebenenanalyse verwendeten Daten weniger als 0,2 % betrug.

3 Ergebnisse

3.1 Deskriptive Ergebnisse

Tabelle 2 zeigt die Verteilung der Schülermerkmale „Geschlecht“, „sozioökonomischer Status“ (erfasst über den HISEI-Index) und „Migrationshintergrund“ (erfasst über die Nationalität des Kindes) sowie die Verteilung der vom Orientierungsrat ausgegebenen Schullaufbahnempfehlung und des Bildungswunsches der Eltern.

Tab. 2 Verteilung von Schülermerkmalen, Merkmalen des elterlichen Hintergrundes und der Sekundarschulempfehlung

Die Verteilung des Geschlechts der Schüler war nahezu ausgeglichen. Das Durchschnittsalter der Schüler betrug 12.6 Jahre (SD = 0,54). Der mittlere HISEI-Wert lag bei M = 51.4 (SD = 16.9). Dies entspricht etwa dem ISEI für einfache Angestellte (vgl. Ganzeboom et al. 1992). In der betrachteten Stichprobe hatten knapp zweiDrittel der Schüler die luxemburgische Staatsbürgerschaft. Von den Schülern ohne luxemburgische Staatsbürgerschaft waren mehr als die Hälfte Kinder portugiesischer Herkunft. Die Sekundarschulempfehlungen verteilten sich überwiegend auf die beiden Schulformen ESC (40,1 %) und EST (53.6 %). Nur etwas mehr als 6 % der Schüler wurden für das RP empfohlen. Ähnlich verteilten sich auch die Bildungswünsche der Eltern.

3.2 Ergebnisse der Korrelations- und Mehrebenenanalysen

Um eine Schätzung des Zusammenhangs zwischen einerseits den Prädiktoren untereinander und andererseits den Prädiktoren und dem Kriterium zu erhalten, sind in Tab. 3 die Ergebnisse der wechselseitigen Korrelationsanalysen zusammengestellt.

Tab. 3 Interkorrelationen zwischen den Prädiktoren und mit dem Kriterium der Regressionsanalyse

Die Korrelationen zwischen den verschiedenen Leistungskennwerten (Noten und Testergebnissen) waren positiv, hoch und durchweg signifikant. Dies betrifft auch den aggregierten Leistungskennwert für das Klassenniveau, allerdings sind hier die Korrelationskoeffizienten niedriger. Ähnlich hohe Interkorrelationen zwischen unterschiedlichen Leistungskennwerten berichten auch andere Autoren (z. B. Neuenschwander und Malti 2009). Ebenfalls hoch und erwartungsgemäß korrelierten die Leistungskennwerte mit der Sekundarschulempfehlung: Je höher die Testergebnisse ausfielen oder je besser die Noten waren, desto eher wurde ein Schüler für den höchsten Schulzweig empfohlen. Signifikante Korrelationen finden sich auch zwischen Leistungskennwerten und der Nationalität sowie dem Geschlecht des Schülers. Portugiesische Schüler und Schüler anderer Nationalität tendierten eher zu schlechteren Testwerten und Schulnoten als luxemburgische Schüler. Davon ausgenommen waren allerdings die Schulnoten im Fach Französisch und die Testleistungen für das Fachgebiet Französisch. Darüber hinaus wiesen Mädchen bessere Schulleistungen in den Fächern Deutsch und Französisch auf als Jungen; letztere wiederum waren tendenziell besser in Mathematik. Allerdings ist der Zusammenhang zwischen Schulleistungen (Noten und Testwerten) und Geschlecht eher schwach ausgeprägt. Auffallend ist die substantielle Korrelation zwischen Geschlecht und den beiden das Lern- und Arbeitsverhalten repräsentierenden Variablen, die auf eine tendenziell schlechtere Bewertung des Lern- und Arbeitsverhaltens von Jungen im Vergleich zu dem von Mädchen zurückgeht. Die tendenziell besseren Noten für Mädchen können daher auch auf eine größere Anstrengung der Mädchen im Unterricht zurückgeführt werden. Schüler mit Migrationshintergrund wurden seltener für den höchsten Schulzweig empfohlen als luxemburgische Schüler; hier ist der Zusammenhang deutlich stärker, wenn es sich um portugiesische Schüler handelte. Deutliche Zusammenhänge mit den meisten Variablen konnten auch für den sozioökonomischen Status der Schüler festgestellt werden. Schüler mit einkommensstärkeren Eltern tendierten zu besseren Leistungen, zeigten ein besseres Lern- und Arbeitsverhalten, von ihren Eltern wurde häufiger eine Beschulung auf dem höchsten Schulzweig gewünscht und sie bekamen tatsächlich auch häufiger eine Sekundarschulempfehlung für den höchsten Schulzweig als Kinder von Eltern mit geringerem Einkommen. Eine Verbindung zeigte sich auch zwischen der Nationalität und dem sozioökonomischen Status: Portugiesische Kinder waren in der Regel auch Kinder aus ärmeren Familien. Den stärksten Zusammenhang mit der Sekundarschulempfehlung hatte indes der Bildungswunsch der Eltern. Beide Variablen teilten sich eine gemeinsame Varianz von r 2 = 74 %, in nur 6,8 % aller Fälle wichen Lehrerempfehlung und Elternwunsch voneinander ab (k = .86).

Zur Hypothesenprüfung wurden stufenweise logistische Mehrebenen-Regressionsanalysen über das dichotome Kriterium „Sekundarschulempfehlung“ gerechnet.Footnote 4 Tabelle 4 zeigt die Ergebnisse der logistischen Mehrebenen-Regressionsanalysen zur Vorhersage der Sekundarschulempfehlung mit standardisierten Prädiktoren.

Tab. 4 Ergebnisse der logistischen Mehrebenen-Regressionsanalyse (Odds Ratios) zur Vorhersage der Schullaufbahnempfehlung

Wir haben zunächst geprüft, inwieweit die Vorgaben des luxemburgischen Erziehungsministeriums bezüglich der Kriterien für die Sekundarschulempfehlung zutreffend waren (Modelle 1 bis 5). Da das wichtigste Kriterium die Zeugnisnoten darstellen, wurden zunächst die Schulnoten der drei Hauptfächer Deutsch, Französisch und Mathematik in das Regressionsmodell eingelesen (M 1). Wie erwartet wiesen die Leistungen in den sprachlichen Fächern die höchsten Gewichte auf. So war das Odds Ratio für die Französischnote mit einem Wert von knapp 20 am höchsten. Diese Kennziffer ist wie folgt zu interpretieren: Das Odds Ratio gibt das Verhältnis an zwischen den Odds, bei gegebenem Wert des Prädiktors eine Empfehlung für das ESC zu erhalten, und den Odds, dieselbe Empfehlung zu erhalten, wenn der Wert des Prädiktors um eine Einheit geringer ist. Im konkreten Fall sind die Chancen also fast zwanzigmal so hoch, eine Empfehlung für das ESC zu erhalten, wenn sich die Französischnote um eine Standardabweichung (entspricht etwa acht Notenpunkten; vgl. Tab. 1) erhöht.

In Modell 2 wurden die individuellen Leistungen der Schüler in den standardisierten Schulleistungstests berücksichtigt. Auch hier zeigte sich ein deutlicher und hoch signifikanter Effekt auf die Sekundarschulempfehlung. Um zu prüfen, ob der Einfluss der Testleistung auf die Empfehlung möglicherweise von den Schulnoten mediiert wird, haben wir in einem nächsten Schritt die Effekte von Testleistungen und Schulnoten simultan erfasst (M 3). Zwar verringerten sich in diesem Modell sowohl die Gewichte für die Schulnoten als auch diejenigen für die Testleistungen, dennoch blieben beide Prädiktoren hoch wirksam. Beim Lern- und Arbeitsverhalten der Schüler (M 4) erwies sich nur die Variable „Zuverlässigkeit und Sorgfalt“ als bedeutsamer Prädiktor, während weder die Leistungsbereitschaft der Schüler noch ihr Sozialverhalten einen Einfluss auf die Sekundarschulempfehlung hatten. Schließlich wurde zusätzlich zu den Leistungsvariablen der Bildungswunsch der Eltern berücksichtigt (M 5). Dieser Prädiktor wies das höchste Gewicht in Modell 5 auf.

Anschließend wurde geprüft, ob die Sekundarschulempfehlung auch durch Variablen des sozialen Hintergrunds beeinflusst wird (Modelle 6 bis 11 und Modell 13). Tatsächlich erwies sich der Migrationshintergrund als bedeutsame Variable für die Sekundarschulempfehlung (M 6, M 8, M 11). Grundschüler wurden signifikant seltener für den höchsten Schulzweig der Sekundarstufe empfohlen, wenn sie keine luxemburgische Staatsbürgerschaft besaßen. Dies betraf sowohl portugiesische Schüler als auch Schüler mit anderem Migrationshintergrund. Wurden, wie in Modell 6, nur die Prädiktoren einbezogen, welche die Nationalität der Schüler widerspiegelten, so zeigt sich, dass die Chance auf eine ESC-Empfehlung für portugiesische Schüler geringer war als für Schüler mit anderem Migrationshintergrund. Auch der sozioökonomische Status und das Geschlecht der Schüler hatten einen Einfluss auf die Empfehlung. Schüler mit höherem sozioökonomischem Status wurden eher für den höchsten Schulzweig empfohlen als Schüler mit niedrigerem sozioökonomischem Status. Ebenso erhielten Mädchen tendenziell häufiger eine Empfehlung für den höchsten Schulzweig als Jungen. Darüber hinaus blieb mit Aufnahme des sozioökonomischen Status (HISEI) und des Geschlechts ein Zusammenhang zwischen Nationalität und Empfehlung bestehen (M 8). Mit Modell 9 konnte gezeigt werden, dass der sozioökonomische Status auch dann wirksam war, wenn die Testleistungen der Schüler kontrolliert wurden. Allerdings verringerte sich seine Wirkung drastisch bei Kontrolle der Schulnoten (M 10). Mit Modell 11 wurde untersucht, ob der Einfluss von Variablen des sozialen Hintergrundes bestehen bleibt, wenn gleichzeitig alle Leistungsvariablen in das Modell aufgenommen werden. Es zeigte sich, dass alle Variablen des sozialen Hintergrundes mit Ausnahme der Nationalität der Schüler an Prädiktionskraft einbüßten.

Mit Modell 12 wurde die Hypothese geprüft, dass der Klassenkontext, d. h. die Leistung der Schüler auf Klassenebene, die Empfehlung beeinflusst, wenn individuelle Schülerleistungen konstant gehalten werden. In der Tat konnte gezeigt werden, dass die Wahrscheinlichkeit, bei Kontrolle individueller Testleistungen eine Empfehlung für den höchsten Schulzweig zu bekommen, etwa um ein Drittel reduziert ist, wenn das Klassenleistungsniveau um eine Einheit steigt. Mit zusätzlicher Berücksichtigung von Schulnoten und dem Lern- und Arbeitsverhalten reduzierte sich der Einfluss des Klassenkontextes jedoch.

Schließlich wurden in Modell 13 alle Prädiktoren simultan berücksichtigt. Hier erwies sich der Elternwunsch nach der Französischnote als bedeutsamster Prädiktor.

Die Güte der Regressionsmodelle wird durch die Devianz in Tab. 4 ausgedrückt. Wie sich zeigt, sank die Devianz mit zunehmender Anzahl von Prädiktoren. Ob die Einbeziehung eines weiteren Prädiktors zu einer signifikanten Verringerung der Devianz führte, wurde mittels Chi-Quadrat-Test geprüft. Zwischen den Devianzen fast aller Regressionsmodelle bestanden signifikante Unterschiede. Lediglich die Unterschiede in den Devianzen zwischen den Modellen 3 und 4 sowie zwischen den Modellen 1 und 10 waren nicht signifikant.

4 Diskussion

4.1 Diskussion der Befunde vor dem Hintergrund der vorangestellten Hypothesen

Mit dieser Studie wurden drei Forschungsfragen adressiert. Erstens wurde der Frage nachgegangen, inwieweit die Vorgaben des luxemburgischen Erziehungsministeriums bezüglich der Kriterien für die Sekundarschulempfehlung tatsächlich beim Schulübergang realisiert wurden. Zu diesen Kriterien zählen die Schulnoten, Ergebnisse aus standardisierten Leistungstest, das Lern- und Arbeitsverhalten der Schüler sowie die Berücksichtigung des Elternwunsches im Hinblick auf die zukünftige Beschulung ihrer Kinder. Zweitens wurde geprüft, inwieweit Merkmale des sozialen Hintergrunds der Schüler, ähnlich wie in Studien zum Übergang in anderen deutschsprachigen Ländern berichtet wurde, einen Einfluss auf die Sekundarschulempfehlung ausüben. Schließlich untersuchten wir, ob die Empfehlung für den weiterführenden Schulzweig nicht nur durch individuelle Leistung der Schüler, sondern darüber hinaus durch einen klasseninternen Leistungsbezugsrahmen beeinflusst wird.

Dabei ging es auch darum, zu prüfen, ob sich die bisher erbrachten Befunde zum Einfluss von leistungsbezogenen Variablen, Variablen des sozialen Hintergrunds sowie von Referenzgruppen auf die Sekundarschulempfehlung in einer Stichprobe von luxemburgischen Grundschülern replizieren lassen.

Unsere Annahme, dass im Wesentlichen die individuellen Leistungen eines Schülers, also die Schulnoten und die Ergebnisse aus standardisierten Schulleistungstests, die stärksten Prädiktoren für die Übergangsempfehlung darstellen, konnte bestätigt werden. Tatsächlich zeigte sich, dass Schulnoten die stärksten Prädiktoren der Sekundarschulempfehlung waren und die Leistungen aus standardisierten Tests ebenfalls ein großes Gewicht in der Prädiktion der Empfehlung hatten. Auch wenn der Einfluss der Testleistungen auf die Empfehlung möglicherweise durch die Schulnoten mediiert wurde (was die hohen Interkorrelationen zwischen Noten und Testleistung sowie deren jeweilige Korrelation mit dem Kriterium nahelegen), so konnte gezeigt werden, dass die Testleistungen der Schüler einen eigenständigen Beitrag für die Empfehlung der Lehrer liefern. Die Schulnoten im Fach Französisch stellten den stärksten Prädiktor dar. Französischkenntnisse sind in der luxemburgischen Sekundarstufe von hoher Bedeutung, da die Unterrichtssprache in vielen Fächern der höheren Klassen der Sekundarstufe Französisch ist. Da Französisch als Fremdsprache unterrichtet wird und der Erfolg in diesem Fach somit vor allem von der allgemeinen Leistungsbereitschaft und von allgemeinen kognitiven Fähigkeiten der Schüler abhängt, ist durchaus vorstellbar, dass diese Note die beiden erwähnten Variablen besonders gut abbildet und deshalb einen der besten Prädiktoren darstellt. Da auch das Gewicht für die Deutschnoten sehr hoch war, zählt die sprachliche Kompetenz der Schüler zu dem wichtigsten Kriterium für die Sekundarschulempfehlung in Luxemburg. Insgesamt wurde ersichtlich, dass im Wesentlichen die individuellen Schülerleistungen die Empfehlungen voraussagten. Dieser Befund deckt sich weitgehend mit bisherigen Ergebnissen aus Ländern mit hierarchisch gegliederten Sekundarstufen (z. B. Bos et al. 2004; Kristen 2006; Arnold et al. 2007; Stahl 2007; Tiedemann und Billmann-Mahecha 2007; Baeriswyl et al. 2008; Stubbe und Bos 2008; Milek et al. 2009).

Auch das Lern- und Arbeitsverhalten sollte sich auf die Vergabe der Empfehlung auswirken. Allerdings zeigte sich nur ein signifikanter Effekt für die Variable „Zuverlässigkeit und Sorgfalt“, nicht aber für die Leistungsbereitschaft der Schüler, im Übrigen auch nicht für die Variable „Sozialverhalten“. Offensichtlich legten die Lehrer in weitaus stärkerem Maße Wert auf die Sorgfalt und die Disziplin ihrer Schüler als auf deren Anstrengung und Beteiligung im Unterricht oder deren Sozialverhalten. Allerdings hing die Leistungsbereitschaft der Schüler eng mit ihrer tatsächlichen Leistung (Schulnoten und Testresultate) zusammen, so dass ein großer Teil der gemeinsamen Varianz bereits durch die Leistungsvariablen aufgeklärt war und somit das Gewicht der Leistungsbereitschaft verringert wurde.

Ein wesentliches Ergebnis dieser Studie liegt in der Aufdeckung des starken Zusammenhangs zwischen der Lehrerempfehlung und dem Elternwunsch in Bezug auf die zukünftige Beschulung des Kindes. Bereits in anderen Untersuchungen wurde festgestellt, dass es einen bedeutsamen Zusammenhang zwischen der Empfehlung der Lehrer und dem Wunsch der Eltern gibt (z. B. Neuenschwander und Malti 2009). Allerdings waren die dort gefundenen Effekte deutlich geringer als in dieser Studie. Das Gewicht des Elternwunsches für die Sekundarschulempfehlung lässt sich unterschiedlich interpretieren. Da sowohl die Eltern ihre Kinder als auch die Lehrer ihre Schüler gut kennen, ist es möglich, dass ihre Urteile bezüglich der Leistungsfähigkeit der Schüler recht ähnlich sind. Folglich könnten beide unabhängig voneinander häufig zu gleichen Beurteilungen gekommen sein. Denkbar ist allerdings auch, dass Eltern die Lehrerempfehlung oftmals übernahmen.

Von den Variablen des sozialen Hintergrunds spielte das Geschlecht der Schüler nur eine untergeordnete Rolle für die Vergabe der Sekundarschulempfehlung. Zwar konnte ein schwach negativer Zusammenhang festgestellt werden (Jungen wurden tendenziell seltener dem ESC zugeordnet als Mädchen), jedoch blieb der Effekt des Geschlechts nach Einbezug von Leistungsvariablen deutlich unterhalb des Signifikanzniveaus. Allerdings zeigte sich, dass sowohl der sozioökonomische Status als auch die Nationalität der Schüler mit der Sekundarschulempfehlung in hypothesenkonformer Weise zusammenhingen. Schüler ohne luxemburgische Staatsbürgerschaft oder Schüler mit einem niedrigen sozioökonomischen Status erhielten seltener eine Empfehlung für den höchsten Schulzweig als luxemburgische Schüler oder Schüler mit einem höheren sozioökonomischen Status. Trotz des relativ engen Zusammenhangs zwischen der Nationalität eines Schülers und dessen sozioökonomischem Status konnten diese beiden Variablen auch dann noch signifikant einen Beitrag zur Vorhersage der Empfehlung beisteuern, wenn sich beide wechselseitig kontrollierten, also simultan in die Regressionsanalyse aufgenommen wurden. Der Einfluss des sozioökonomischen Status blieb auch bestehen, wenn die Testleistungen der Schüler kontrolliert wurden, was darauf hindeutet, dass der Effekt des sozioökonomischen Status weitgehend unabhängig von den Leistungen der Schüler war. Allerdings nahm der prädiktive Wert des sozioökonomischen Status substantiell ab, wenn gleichzeitig die Schulnoten berücksichtigt wurden. Dies (und ein Blick auf die Ergebnisse der Korrelationsanalysen in Tab. 3) legt die Vermutung nahe, dass Schüler aus Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status auch tendenziell schlechtere Schulnoten hatten und sich aus diesem Grund seltener Empfehlungen für den höchsten Schulzweig in der Gruppe dieser Schüler wiederfanden. Hingegen gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass Kinder aus einkommensschwächeren Familien deswegen tendenziell schlechtere Empfehlungen erhielten, weil sie schlechtere (Test-)Leistungen erbrachten.

Ähnlich verhält es sich bezüglich der Nationalität der Kinder: Wenn Schüler mit Migrationshintergrund gleiche Leistungen aufbrachten wie luxemburgische Schüler, erhielten sie dennoch seltener eine Empfehlung für den höchsten Schulzweig. Dies betraf vor allem Schüler portugiesischer Herkunft, die anteilmäßig die stärkste Gruppe von Schülern mit Migrationshintergrund in Luxemburg darstellen. Es kann nur spekuliert werden, warum die Nationalität eines Schülers trotz Kontrolle von Leistungsvariablen substantiell zur Prädiktion der Sekundarschulempfehlung beitrug. Ein möglicher Grund könnte darin liegen, dass die Lehrer für Schüler mit Migrationshintergrund eher schlechte Rahmenbedingungen für ihre außerschulische Unterstützung erwarteten und daher geneigt waren, Schüler, deren Leistungen eine Beschulung sowohl auf dem ESC als auch auf dem EST rechtfertigen würden (Grenzfallschüler), eher eine schlechtere Prognose auszustellen, wenn sie einen Migrationshintergrund aufwiesen. Denkbar ist allerdings auch, dass die Eltern dieser Schüler einen niedrigeren Schulzweig wünschten und die Schüler deshalb seltener dem höchsten Schulzweig zugewiesen wurden. Diese Interpretation erhält Unterstützung durch den Befund, dass durch Hinzunahme des Elternwunsches in das Regressionsmodell das Gewicht für den Migrationshintergrund nicht mehr signifikant war.

Was das Gewicht des sozioökonomischen Status betrifft, muss einschränkend angemerkt werden, dass für dessen Operationalisierung eine auf die Gesamtstichprobe bezogen relativ kleine Substichprobe vorlag. Auch wenn statistische Verfahren existieren, die Schätzungen von fehlenden Werten auf Grundlage der bestehenden Werte erlauben und diese Schätzungen in der Regel zu zuverlässigeren Resultaten führen als das bloße Auslassen von Fällen mit fehlenden Werten (Schafer und Graham 2002), so darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Schätzungen der Odds Ratios bezüglich des sozioökonomischen Status mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sind und Schlussfolgerungen mit der nötigen Vorsicht getroffen werden sollten.

Was bereits bei der Interpretation des Gewichts des Elternwunsches für die Sekundarschulempfehlung diskutiert wurde, betrifft auch die Interpretation der anderen Prädiktoren, nämlich der kausale Zusammenhang zwischen Prädiktor und Kriterium. In vielen Studien, in denen Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen prädiktiven Variablen und der Sekundarschulempfehlung betrachtet wurden, wurden diese Zusammenhänge als Ursache-Wirkungs-Beziehungen interpretiert. Das bedeutet, dass angenommen wurde, dass die in das jeweilige Regressionsmodell einbezogenen Prädiktoren die Empfehlung von Lehrern oder einem entsprechenden Gremium mehr oder minder beeinflussten. Tatsächlich scheint diese Wirkungsrichtung für die meisten der hier betrachteten Prädiktoren plausibel. Was die Leistungsprädiktoren betrifft, steht außer Frage, dass diese Informationen (Schulnoten und Testergebnisse) für den jeweiligen Lehrer bzw. für den letztlich entscheidenden Orientierungsrat von tragender Bedeutung für die Sekundarschulempfehlung sind. Dies muss nicht notwendigerweise für andere Prädiktoren gelten. So ist eher fraglich, ob die Lehrer von dem Beruf bzw. Einkommen der Eltern eines jeden Schülers wussten. Sollte diese Information den Lehrern nicht oder überwiegend nicht zur Verfügung gestanden haben, erscheint ein Kausalzusammenhang mit der Sekundarschulempfehlung unplausibel.

Im Hinblick auf den Klassenkontext wurde untersucht, ob das Klassenleistungsniveau mit der Vergabe der Sekundarschulempfehlung zusammenhing. Es wurde vermutet, dass Schüler bei Kontrolle von individuellen Testergebnissen seltener für das ESC empfohlen wurden, je höher das Leistungsniveau ihrer Klasse war. Die Ergebnisse dieser Studie konnten diese Annahme bestätigen. Dieser Befund impliziert, dass es den Lehrkräften offenbar schwer fiel, bei der Sekundarschulempfehlung den klasseninternen Bezugsrahmen zu verlassen und sich stattdessen strikt an dem Kriterienkatalog zu orientieren, der ihnen durch Vorgabe seitens des Erziehungsministeriums vorlag. Dieser Befund mag auch daher verwundern, weil standardisierte und mithin unverzerrte Testresultate den Lehrern als zusätzliche Entscheidungsgrundlage zur Verfügung standen.

4.2 Schlussfolgerungen

Offensichtlich führt die luxemburgische Variante des Übertritts von der Grundschule auf die Sekundarstufe zu ähnlichen Urteilsverzerrungen wie in Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Dennoch konnte im Unterschied zu vielen anderen Studien eine Persistenz des Effekts des Migrationshintergrundes bei gleichzeitiger Kontrolle von Leistungsvariablen festgestellt werden. Eine mögliche Erklärung dafür verweist auf den Prozess der Generierung der Empfehlung. Eine Besonderheit des luxemburgischen Übergangs besteht darin, dass die Sekundarschulempfehlung in einer Gruppe erstellt wird. Bei derartigen Gruppenentscheidungen sind Prozesse der Verantwortungsdiffusion nicht auszuschließen (vgl. Latané und Darley 1968; Mynatt und Sherman 1975; Williams et al. 1981; Zanna und Sande 1987). Auch konnte verschiedentlich nachgewiesen werden, dass soziale Stereotype bei Gruppenentscheidungen eher aktiviert werden als bei Einzelentscheidungen (Lerner und Tetlock 1994). Relevante soziale Stereotype, die im Kontext der pädagogischen Leistungsbeurteilung nachgewiesen werden konnten, umfassen das Geschlecht, den sozioökonomischen Status sowie den Migrationshintergrund (Ingleby und Cooper 1974; Jussim et al. 1996; Bos et al. 2004). Es scheint in jedem Fall ratsam, den Prozess der Gruppenentscheidung so zu optimieren, dass eine möglichst hohe Entscheidungsverantwortung aller Gruppenmitglieder gewährleistet ist (Lerner und Tetlock 1994). Dies könnte z. B. dadurch bewerkstelligt werden, dass jedes Mitglied des Orientierungsrates im Vorfeld der Entscheidung individuell seine eigene Sekundarschulempfehlung trifft und in der Gruppensituation offen legt.

Einflüsse auf die Übertrittsempfehlung, die zu Chancenunterschieden zwischen Schülern mit ähnlicher Leistung führen, gehen jedoch nicht nur vom sozialen Hintergrund und von Referenzgruppeneffekten aus. Auch für Unterschiede zwischen einzelnen Lehrkräften im Sinne von stabilen Härte-/Mildeeffekten gibt es Hinweise (vgl. Baeriswyl et al. 2011). Ob dies auch für Luxemburg zutrifft, sollte Gegenstand weiterer Untersuchungen sein.

Ob tatsächlich der Zusammenhang zwischen sozialen Kontextvariablen und der Schulformzuweisung einen Einfluss auf den Schulerfolg eines Schülers nimmt, kann abschließend nur durch Untersuchungen zur prognostischen Validität der Sekundarschulempfehlung geprüft werden. Für den deutschsprachigen Raum liegen solche Studien bereits vor (vgl. Sauer und Gamsjäger 1996; Roeder 1997; Schuchart und Weishaupt 2004; Baeriswyl et al. 2009; Scharenberg et al. 2010; Tiedemann und Billmann-Mahecha 2010). Allerdings ist in diesen kein Hinweis enthalten, inwieweit Variablen des sozialen Hintergrunds die Validität der Sekundarschulempfehlung beeinflussen und ob zum Beispiel Schüler mit Migrationshintergrund tatsächlich häufiger auf dem Schulzweig scheitern als Schüler ohne Migrationshintergrund. Zukünftige Studien sollten dies prüfen.