1 Einleitung

Es ist seit Längerem bekannt, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund im Allgemeinen einen geringeren Bildungserfolg erzielen als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Differenzierte Analysen, die Teilgruppen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund unterscheiden, weisen bei den meisten dieser Gruppen auf erhebliche Disparitäten in der Bildungsbeteiligung und in lebensrelevanten Kompetenzen hin. Diese Disparitäten sind besonders ausgeprägt bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund, deren Eltern aus der Türkei, Italien oder dem ehemaligen Jugoslawien stammen (vgl. z. B. Segeritz et al. 2010; Walter 2008). Die bisherigen Untersuchungen tragen zum allgemeinen Bild bei, dass es sich bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Deutschland um eine im Schulerfolg fast ausnahmslos benachteiligte Gruppe handelt. Hinweise auf einen im Allgemeinen höheren Bildungserfolg einer Migrantengruppe in Deutschland gibt es zumindest aus den großen Schulleistungsstudien wie PISA bislang nicht.

Befunde aus anderen Staaten lassen jedoch vermuten, dass ein Migrationshintergrund per se kein Risikofaktor für einen geringeren Bildungserfolg sein muss. In PISA 2006 fanden sich beispielsweise keine signifikanten Unterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern mit und solchen ohne Migrationshintergrund in Australien, Neuseeland und dem Vereinigten Königreich. Darüber hinaus waren in den beiden zuerst genannten Staaten sogar signifikant höhere Kompetenzniveaus in den Naturwissenschaften für die Gruppe der Jugendlichen festzustellen, die nur ein im Ausland geborenen Elternteil haben (Walter und Taskinen 2007). Auch aus den USA ist bekannt, dass manche Schülergruppen einen in etwa gleich hohen oder sogar höheren Bildungserfolg aufweisen als einheimische Jugendliche. Dies gilt vorwiegend für asiatische Amerikaner und unter ihnen insbesondere für Ostasiaten, wie z. B. Festlandchinesen, Japaner oder Koreaner, Südasiaten, wie z. B. Inder, sowie für Südostasiaten wie Filipinos (Kao und Thompson 2003; Sakamoto et al. 2009). Diese werden oft als Modellminoritäten bezeichnet, da ihnen der gesellschaftliche Aufstieg in den USA anscheinend selbstständig, d. h. ohne staatliche Förderung, gelingt. Andere südostasiatische Schülergruppen wie z. B. Vietnamesen, Kambodschaner, Hmong oder Lao weisen dagegen im Durchschnitt einen niedrigeren Bildungserfolg auf als weiße US-Amerikaner, der mit Benachteiligungen im sozioökonomischen Status ihrer Familien einhergeht (z. B. Ngo und Lee 2007; Portes und Rumbaut 2006; Sakamoto et al. 2009). Für alle diese Herkunftsgruppen existieren in Deutschland praktisch keine quantitativen empirischen Untersuchungen. Daher soll in diesem Beitrag der Frage nachgegangen werden, welchen Schulerfolg Schülerinnen und Schüler asiatischer Herkunft in Deutschland erreichen. Betrachtet werden Jugendliche philippinischer und vietnamesischer Abstammung, da diese beiden Gruppen für zwei unterschiedliche Befundmuster zum Bildungserfolg asiatischer Schülerinnen und Schüler in den USA stehen.

2 Zum Bildungserfolg vietnamesischer und philippinischer Schülerinnen und Schüler in den USA und in Deutschland: Befunde und Erklärungsansätze

2.1 Bildungserfolg in den USA

In den USA gibt es inzwischen einige Befunde zum Bildungserfolg von philippinischen und vietnamesischen Migranten und ihren Nachkommen (für Überblicke siehe z. B. Bankston 2006; Ngo und Lee 2007; Rumbaut 2006). Diese Befunde weisen auf zwei divergierende Bildungsmuster hin. Für Filipinos lässt sich ein in etwa ähnlich hoher oder sogar höherer Bildungserfolg wie für weiße US-Amerikaner feststellen. Dies zeigt sich unter anderem im formalen Bildungsniveau philippinischer Erwachsener, das mit durchschnittlich 14,3 Bildungsjahren etwas höher ist als von weißen US-Amerikanern (13,7 Jahre). Der Anteil derjenigen Filipinos, die einen Bachelor- oder höheren akademischen Abschluss haben, ist mit 47,3 % sogar deutlich höher als in der Gruppe der weißen US-Amerikaner (29,9 %) (Sakamoto et al. 2009). Befunde von Portes und Rumbaut (2001) zeigen zudem, dass Schülerinnen und Schüler philippinischer Abstammung im Durchschnitt gute Schulnoten (GPAs) erreichen und in standardisierten Tests sowohl in der Mathematik als auch im Lesen ähnlich gut abschneiden wie weiße US-Amerikaner.

Im Gegensatz dazu lässt sich für Vietnamesen in den USA ein differenziertes Befundmuster feststellen (vgl. z. B. Bankston 2006; Ngo und Lee 2007; Sakamoto et al. 2009). Erwachsene Vietnamesen weisen in den USA mit durchschnittlich 12,3 Bildungsjahren ein geringeres formales Bildungsniveau auf als weiße US-Amerikaner. Der Anteil, der einen Bachelor- oder höheren akademischen Abschluss hat, beträgt nur 25,5 % (Sakamoto et al. 2009). Vietnamesische Schülerinnen und Schüler gelten jedoch als besonders erfolgreich. Sie erreichen im Durchschnitt gute Schulnoten (GPAs) und ähnlich hohe Werte in standardisierten Mathematiktests wie weiße US-Amerikaner. Andererseits liegen ihre Testergebnisse im Lesen erheblich unter denen von weißen US-Amerikanern und Filipinos (Portes und Rumbaut 2001).

2.2 Bildungserfolg in Deutschland

Über den Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern philippinischer und vietnamesischer Abstammung in Deutschland ist bisher sehr wenig bekannt. Im Jahr 2003 lebten laut Statistischem Bundesamt 88.200 vietnamesische und 23.171 philippinische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Deutschland. Während 99,3 % der Filipinos in Westdeutschland lebten, betrug der Anteil der in Ostdeutschland lebenden Vietnamesen 40,7 %. Diese unterschiedliche Verteilung dürfte auf unterschiedliche Einwanderungsgründe zurückzuführen sein:

Einwanderung von den Philippinen fand ab 1965 aufgrund gezielter Anwerbungen vor allem weiblicher philippinischer Fachkräfte für das Gesundheitswesen nach Westdeutschland statt, um den damaligen Pflegenotstand in westdeutschen Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen zu beheben. Außerdem wurden philippinische Männer als Seeleute angeworben. Nach dem Anwerbestopp Mitte der 1970er-Jahre konnte die Einwanderung nicht mehr über den Arbeitsmarkt erfolgen. Die wichtigsten Wege nach Westdeutschland bestehen seitdem über Familienzusammenführungen, die illegale Überschreitung der Fristen von Touristenvisa, um auf dem deutschen Arbeitsmarkt als Haushalts- und Reinigungskräfte zu arbeiten, sowie über die Heirat philippinischer Frauen mit einem deutschen Staatsbürger (Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit 2008). Insbesondere die Heiratsmigration philippinischer Frauen trägt dazu bei, dass der Anteil der weiblichen philippinischen Staatsangehörigen an den in Deutschland lebenden Filipinos im Jahr 2003 bei 77,8 % lag (Statistisches Bundesamt 2005).

Migration aus Vietnam fand zu einem großen Teil durch die Aufnahme von Kontingentflüchtlingen („boat people“) in Westdeutschland vom Ende des Vietnamkrieges bis zum Ende der 1980er-Jahre statt. Außerdem wanderten Vietnamesen im Gegensatz zu Filipinos in bedeutender Anzahl in die ehemalige DDR ein, da zur Zeit ihres Bestehens Vertragsarbeitskräfte aus sozialistischen Staaten wie z. B. Vietnam beschäftigt wurden. Ein großer Teil dieser Arbeitsmigranten blieb nach der Vereinigung in Deutschland (Bade und Oltmer 2004).

Im Schuljahr 2002/2003 befanden sich 13.693 Vietnamesen und 957 Filipinos im Schulsystem, davon 5.199 Vietnamesen und 617 Filipinos in allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe I. Auffällig ist der hohe Anteil von 44,9 % der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten an den Vietnamesen. Der Anteil dieser Schülerinnen und Schüler betrug demgegenüber nur 24,8 % an den Filipinos und 32,3 % an den deutschen Schülerinnen und Schüler (Statistisches Bundesamt 2003). Anhand dieser Zahlen lässt sich ein höherer Bildungserfolg der Vietnamesen im Vergleich zu ihren deutschen, aber auch ihren philippinischen Mitschülerinnen und Mitschülern vermuten. Zu Schulleistungen in Form von Noten oder Ergebnissen standardisierter Tests liegen für vietnamesische und philippinische Schülerinnen und Schüler in Deutschland bislang keine Befunde vor. Im Rahmen der SCHOLASTIK-Studie wurden jedoch mathematische Leistungen und das mathematikbezogene Fähigkeitsselbstkonzept von deutschen Grundschülerinnen und –schülern in München und vietnamesischen Grundschülerinnen und –schülern in Hanoi untersucht. Die Befunde belegten im Mittel höhere mathematische Testleistungen der vietnamesischen Schülerinnen und Schüler und ein damit korrespondierendes höheres mathematikbezogenes Fähigkeitsselbstkonzept (Helmke et al. 2003).

2.3 Erklärungsansätze für den unterschiedlichen Bildungserfolg und ihre pädagogischen Implikationen

Kapitaltheoretischer Erklärungsansatz, Integrationsmodi und Bildungserfolg.

Unterschiede im Bildungserfolg verschiedener ethnischer Gruppen werden sowohl in den USA als auch in Deutschland sehr häufig auf Disparitäten in familialen Ressourcen zurückgeführt, die mit der sozialen Schichtzugehörigkeit der Migrantenfamilien zusammenhängen (vgl. z. B. Esser 2006; Kao und Thompson 2003; Sakamoto et al. 2009). Nach Bourdieu (1983) können diese Ressourcen in ökonomische, kulturelle und soziale Kapitalien unterteilt werden. Für den Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund sind im Bereich des ökonomischen Kapitals insbesondere der sozioökonomische Status, im Bereich des kulturellen Kapitals das formale Bildungsniveau ihrer Eltern sowie der familiale Sprachgebrauch und im Bereich des sozialen Kapitals insbesondere die Anzahl und das Verhältnis von intra- und interethnischen Primärbeziehungen bedeutsam. So gilt das Vorhandensein eines Ehepartners aus der Majoritätsgesellschaft als stärkster Indikator für die Sozialintegration in die Majoritätsgesellschaft. Ein im Aufnahmeland geborener Elternteil kann durch seine Partizipation an sozialen Netzwerken Einheimischer zu besseren Kenntnissen der Sprache des Einwanderungslandes, zum höheren Bildungs- und Berufserfolg und zur verstärkten Identifizierung mit der Aufnahmegesellschaft beitragen (vgl. z. B. Esser 2006; Ramakrishnan 2004).

Wenn es zuträfe, dass die in den verschiedenen sozialen Schichten in unterschiedlichem Maße verfügbaren bildungsrelevanten Ressourcen allein oder maßgeblich den Bildungserfolg bedingten, dann wäre die direkte Assimilation im Sinne der Theorie der segmentierten Assimilation (Portes und Zhou 1993; vgl. auch Segeritz et al. 2010) der Migranten und ihrer Nachkommen, d. h. die Angleichung an die einheimische Mittelschicht im Hinblick auf Bildungsabschlüsse, den sozioökonomischen Status und die Verkehrssprache, notwendige Voraussetzung für ihren Bildungserfolg. Eine der wichtigsten Aufgaben zur Förderung des Bildungserfolgs des Schulsystems bestünde in der Förderung der kulturellen und insbesondere der sprachlichen Assimilation dieser Schülerinnen und Schüler. Eine Beibehaltung der eigenen kulturellen und sprachlichen Identität ethnischer Minderheiten und deren Pflege im Bildungssystem durch z. B. Unterrichtsangebote in Minderheitensprachen liefe aus dieser Perspektive der Verminderung von Bildungsdisparitäten zwischen ethnischen Gruppen zuwider und trüge zur Aufrechterhaltung und Verstetigung sozialer Benachteiligungen über mehrere Generationen bei. Dies wäre ein Fall abwärtsgerichteter Assimilation im Sinne der Theorie der segmentierten Assimilation (Portes und Zhou 1993). In diesem Zusammenhang lässt sich die Betonung des Erwerbs der Verkehrssprache des Einwanderungslandes (Baumert und Schümer 2001; Esser 2006) verstehen.

Allerdings ist in der Integrationsforschung seit Längerem ein dritter Integrationsmodus bekannt, die sogenannte selektive Akkulturation (auch accomodation without acculturation; Gibson 2001). Hierbei stellt die Herkunftskultur der Migranten eine Ressource für den Bildungserfolg und den sozialen Aufstieg im Einwanderungsland dar und nicht – wie im Fall der direkten Assimilation – einen Risikofaktor. Der soziale Aufstieg gelingt in solchen Fällen unter Beibehaltung der Herkunftskultur, z. B. im Hinblick auf die Sprache, bei starker gegenseitiger Unterstützung innerhalb der ethnischen Gemeinde (Gibson 2001; Portes und Zhou 1993). Nach dieser Auffassung könnte das Schulsystem den Bildungsaufstieg von Migranten und ihren Nachkommen fördern, indem es bildungsförderliche Aspekte der Herkunftskultur wie z. B. bildungsbezogene Motivation und Aspiration aufgreift, ohne auf kulturelle Assimilation hinzuwirken.

Empirische Befunde.

Die bisherigen Forschungsbefunde für philippinische und vietnamesische Einwanderer und ihre Nachkommen in den USA weisen anscheinend auf zwei unterschiedliche der oben genannten Integrationsmodi hin. Für philippinische Familien sind beispielsweise Stundenlöhne, Pro-Kopf-Haushaltseinkommen und Armutsquote in den USA etwa auf dem gleichen Niveau wie von weißen US-Familien, ihr formales Bildungsniveau ist etwas höher (Sakamoto et al. 2009) und der Anteil der philippinischen Familien, in denen kein Englisch gesprochen wird, beträgt lediglich 12 % (Portes und Rumbaut 2006). Damit stellen Filipinos in den USA anscheinend eine Zuwanderergruppe dar, für die das Modell der direkten Assimilation gilt (vgl. Bankston 2006; Eng et al. 2008).

Dagegen unterliegen Vietnamesen anscheinend einem anderen Integrationsmodus. Vietnamesische Familien in den USA weisen sowohl ein geringeres Bildungsniveau als auch einen niedrigeren sozioökonomischen Status auf als weiße US-Amerikaner. Nur 14 % der Vietnamesen der zweiten Generation haben einen in den USA geborenen Elternteil. 44 % der Vietnamesen geben an, dass bei ihnen zu Hause kein Englisch gesprochen wird. Daher sind sie anscheinend nur schlecht in die weiße Majoritätsgesellschaft der USA integriert. Vietnamesische Schülerinnen und Schüler erreichen aber trotzdem einen höheren Bildungserfolg als weiße US-Amerikaner gleicher sozialer Herkunft (Portes und Rumbaut 2001, 2006; Rumbaut 2006; Zhou und Bankston 1998). Dies wird häufig damit erklärt, dass sich vietnamesische Migranten und ihre Nachkommen an familien- und gemeinschaftsorientierten Werten orientieren, die aus dem Konfuzianismus stammen. Es wird angenommen, dass diese Werte durch das enge soziale Netz der ethnischen Gemeinde verstärkt und deren Einhaltung im Verhalten kontrolliert werden (z. B. Zhou und Bankston 1994, 1998). Eine Gruppe dieser Einstellungen bezieht sich auf Bildung und Leistung sowie auf die Vorstellung, dass Leistung in erster Linie auf Anstrengung zurückzuführen ist (Helmke et al. 2003; Portes und Rumbaut 2001). In Übereinstimmung mit diesen Vermutungen betonen vietnamesische Jugendliche in den USA konservative Werte wie Fleiß und Gehorsam den Eltern gegenüber. Sie sprechen in der Familie häufig die Herkunftssprache, haben vor allem vietnamesische Freunde und wünschen sich eine vietnamesische Partnerin oder einen vietnamesischen Partner. Gleichzeitig sind sie sehr bildungsmotiviert und engagieren sich stark für die Schule, beispielsweise dadurch, dass sie viel Zeit mit den Hausaufgaben verbringen (Portes und Rumbaut 2001; Zhou und Bankston 1994, 1998).

Die Befunde aus den USA sprechen also für unterschiedliche Prozesse des Bildungserwerbs und der Sozialintegration bei Filipinos und Vietnamesen. Inwieweit diese Befunde auf in Deutschland lebende Schülerinnen und Schüler dieser Herkunft übertragbar sind, ist jedoch unbekannt.

3 Fragestellungen

In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, welche Schulleistungen und schulbezogene Motivation Schülerinnen und Schüler mit philippinischen und vietnamesischen Migrationshintergrund im Vergleich zu anderen Schülerinnen und Schülern in Deutschland aufweisen und in welchem Zusammenhang sie mit Disparitäten im familialen Hintergrund und in der Gymnasialbeteiligung stehen. Angenommen wird, dass Jugendliche mit philippinischem Migrationshintergrund in Deutschland direkt assimiliert sind, während Jugendliche vietnamesischer Abstammung einer selektiven Akkulturation unterliegen. Aufgrund dieser Grundannahmen und bisheriger empirischer Befunde werden folgende Einzelhypothesen aufgestellt.

Gymnasialbeteiligung.

Anhand der Daten des Statistischen Bundesamtes ist zwar die Gymnasialbeteiligung vietnamesischer und philippinischer Staatsangehöriger bekannt, die beiden Gruppen der Jugendlichen mit südostasiatischem Migrationshintergrund, die in diesem Beitrag betrachtet werden, umfassen aber z. B. aufgrund von Einbürgerungen auch deutsche Staatsangehörige. Daher wird die Gymnasialbeteiligung dieser Jugendlichen mit eigenen Hypothesen untersucht.

1a) Vietnamesische Schülerinnen und Schüler besuchen das Gymnasium häufiger als Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund.

1b) Philippinische Schülerinnen und Schüler besuchen das Gymnasium seltener als Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund.

Schulleistungen.

2) Die Schulleistungen philippinischer Schülerinnen und Schüler sind im Lesen und in der Mathematik ähnlich hoch wie diejenigen von Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund.

3) Die Leseleistungen vietnamesischer Schülerinnen und Schüler sind niedriger als die Leseleistungen von Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund.

4) Die Mathematikleistungen vietnamesischer Schülerinnen und Schüler sind ähnlich hoch wie die Mathematikleistungen von Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund.

Mathematikbezogene Motivation.

5) Vietnamesische Schülerinnen und Schüler in Deutschland weisen eine höhere mathematikbezogene intrinsische und extrinsische Motivation auf als Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund.

6) Philippinische Schülerinnen und Schüler in Deutschland weisen das gleiche Niveau mathematikbezogener intrinsischer und extrinsischer Motivation auf wie Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund.

Familialer Hintergrund.

7) Der familiale Hintergrund von philippinischen Schülerinnen und Schüler ähnelt dem familiären Hintergrund von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund.

8) Der familiale Hintergrund von vietnamesischen Schülerinnen und Schüler unterscheidet sich von dem familiale Hintergrund von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund und Jugendlichen philippinischer Abstammung. Es wird vermutet, dass

8a) das ökonomische und kulturelle Kapital vietnamesischer Familien weniger vorteilhaft ist als dasjenige von Schülerinnen und Schüler philippinischer und deutscher Abstammung,

8b) in vietnamesischen Familien sehr viel häufiger die Herkunftssprache gesprochen wird als in philippinischen Familien,

8c) das soziale Kapital von vietnamesischen Familien höher ist als von philippinischen Familien.

Schulleistungen, familialr Hintergrund und Gymnasialbeteiligung.

Abschließend wird geprüft, ob Disparitäten in den Schulleistungen auf Unterschiede im familialen Hintergrund zurückzuführen sind. Es wird aufgrund der Befunde aus den USA vermutet, dass

9) der Schulerfolg vietnamesischer Schülerinnen und Schüler unter Kontrolle der Familienbedingungen höher ist als von Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund und

10) keine Unterschiede zwischen Jugendlichen mit philippinischen Migrationshintergrund und Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund bei gleicher sozialer Herkunft bestehen.

11) Zusätzlich wird vermutet, dass der Einfluss des familialen Hintergrundes zumindest teilweise durch die Gymnasialbeteiligung mediiert wird.

4 Methode

4.1 Stichprobe

Die Analysen basieren auf Daten der Erweiterungsstichprobe von PISA 2003. Diese Stichprobe umfasst Daten von 46.185 fünfzehnjährigen Schülerinnen und Schülern. Sie ist durch ein zweistufiges Verfahren zustande gekommen, auf deren erster Stufe zunächst Schulen und auf deren zweiter Stufe dann Schülerinnen und Schüler innerhalb der Schulen gezogen wurden. Aufgrund eines Oversamplings sind Daten von 13.000 Jugendlichen mit Migrationshintergrund enthalten, von deren Eltern das Geburtsland bekannt ist (vgl. Carstensen et al. 2005). Als Jugendliche oder Jugendlicher mit Migrationshintergrund gilt in diesem Beitrag die Schülerin oder der Schüler, die oder der mindestens einen im Ausland geborenen Elternteil hat. Aufgrund fehlender Daten zum Geburtsland der Eltern liegt den statistischen Analysen ein Datensatz mit N = 40.721 Jugendlichen zugrunde. Unter den Jugendlichen mit Migrationshintergrund befinden sich 139 Jugendliche mit mindestens einem Elternteil, der aus Vietnam stammt, 118 Jugendliche, die mindestens einen Elternteil haben, der von den Philippinen stammt, und 12.743 Jugendliche, deren Eltern aus anderen Staaten stammen.

4.2 Erhebungsinstrumente

Die verwendeten Daten wurden mit dem internationalen Mathematiktest, dem internationalen Lesetest und dem internationalen Schülerfragebogen von PISA 2003 erhoben. Die Leistungstests und Fragebogenskalen, ihre Konstruktion und psychometrischen Eigenschaften sowie die Skalierung der Rohwerte und die Schätzung der in den folgenden Analysen verwendeten Plausible Values (PV) und Weighted Likelihood Estimates (WLE) sind im technischen Bericht von PISA 2003 ausführlich dokumentiert (OECD 2005). Tabelle 1 gibt Kennwerte für die Tests und Fragebogenskalen wieder.

Tab. 1 Übersicht über die verwendeten Skalen

Im Folgenden werden daher nur Einzelitems und einzelne Indikatoren genauer beschrieben. Neben den standardisierten Lese- und Mathematiktests liegen Zeugnisnoten vom Ende des ersten Halbjahres 2002/2003 vor, die im Schülerfragebogen erfragt wurden. Die Gymnasialbeteiligung wurde über die Frage erfasst, welche Schulart die Schülerinnen und Schüler besuchen.

Der Migrationshintergrund der 15-Jährigen wird über ihre Angaben zum Geburtsland ihrer Eltern bestimmt. Gemäß der Fragestellung wird zwischen den Herkunftsländern Deutschland, Philippinen, Vietnam und „sonstige Länder“ unterschieden. Die Kategorie „sonstige Länder“ umfasst beispielsweise die Türkei, Italien, Polen, die ehemalige Sowjetunion und das ehemalige Jugoslawien. Obwohl von der Stichprobengröße her möglich, werden Jugendliche aus Familien dieser Herkunft nicht separat ausgewiesen, da Ergebnisse zu ihren Kompetenzen aus früheren Untersuchungen bereits bekannt sind (vgl. z. B. Walter 2008). Eine Schülerin bzw. ein Schüler wird einer der Herkunftsgruppen zugeordnet, wenn mindestens ein Elternteil aus dem jeweiligen Land zugewandert ist. In den Fällen, in denen die Eltern aus verschiedenen Staaten, aber nicht aus Deutschland stammen, erfolgt die Zuordnung aufgrund von sozialisationstheoretischen Gründen anhand des Geburtslandes der Mutter (vgl. Ramakrishnan 2004).

Das Einwanderungsalter wird über Schülerangaben zur Frage „Wie alt warst du, als du nach Deutschland gekommen bist?“ erfasst. In die Analysen geht das von den Schülerinnen und Schülern genannte Einwanderungsalter in Jahren ein.

Als Indikatoren für das ökonomische Kapital der Familien wird neben der Skala zum Besitz an Wohlstandsgütern der sozioökonomische Status verwendet. Der sozioökonomische Status wird über den Beruf der Eltern erfasst und mit dem internationalen sozioökonomischen Index (ISEI) quantifiziert (Ganzeboom et al. 1992). Unterscheidet sich der sozioökonomische Index des Vaters und der Mutter innerhalb einer Familie, so wird der jeweils höhere Wert verwendet.

Das kulturelle Kapital der Familien wird außer über die Skala „Kulturelle Besitztümer“ über das Bildungsniveau der Eltern und die Familiensprache erfasst. Das Bildungsniveau der Eltern wird anhand des höchsten Bildungsabschlusses der Eltern ermittelt, in die internationalen Bildungsklassifikation ISCED überführt und in Bildungsjahre umgerechnet (OECD 2005). Als weiterer Indikator des kulturellen Kapitals wird der Sprachgebrauch in der Familie berücksichtigt. Es wird zwischen „Deutsch“ (häufigere Verwendung der deutschen Sprache) und „andere Sprache“ (häufigere Verwendung einer anderen als der deutschen Sprache) unterschieden.

Als Indikatoren für das soziale Kapital werden Schülerangaben darüber verwendet, ob ein Elternteil in Deutschland geboren wurde und welche Personen mit den Jugendlichen gewöhnlich zusammen leben (Items: „Wer wohnt mit dir normalerweise zusammen?“ – „Mutter“, „eine andere weibliche Erziehungsberechtigte [z. B. Stiefmutter oder Pflegemutter]“, „Vater“, „ein anderer männlicher Erziehungsberechtigter [z. B. Stiefvater oder Pflegevater]“, „dein Bruder/Brüder (oder Stiefbrüder)“, „deine Schwester/Schwestern (oder Stiefschwestern)“, „deine Großmutter oder dein Großvater“, „andere Personen“). Für die vorliegenden Analysen werden die Items „Mutter“ und „eine andere weibliche Erziehungsberechtigte [z. B. Stiefmutter oder Pflegemutter]“ zur Kategorie „Mutter“, „Vater“ und „ein anderer männlicher Erziehungsberechtigter [z. B. Stiefvater oder Pflegevater]“ zur Kategorie „Vater“, „dein Bruder/Brüder (oder Stiefbrüder)“, „deine Schwester/Schwestern (oder Stiefschwestern)“ zur Kategorie „Geschwister“ sowie „deine Großmutter oder dein Großvater“ und „andere Personen“ zur Kategorie „andere Personen“ zusammengelegt.

4.3 Statistische Methoden

Die statistischen Analysen umfassen Mittelwertsvergleiche und multiple lineare Regressionsanalysen. In den Regressionsanalysen werden sequenziell das Einwanderungsalter (Modell II), die Indikatoren des ökonomischen (Modell III), des kulturellen (Modell IV) und des sozialen Kapitals (Modell V) kontrolliert. Schließlich wird die Gymnasialbeteiligung berücksichtigt (Modell VI), um zu prüfen, inwieweit Effekte des familialen Hintergrundes durch Unterschiede in der Schulformbeteiligung vermittelt werden. Nach Baron und Kenny (1986) muss dazu gezeigt werden, dass 1) die Schulleistung mit dem familialen Hintergrund, 2) der familiale Hintergrund mit der Gymnasialbeteiligung und 3) die Gymnasialbeteiligung mit der Schulleistung zusammenhängt sowie dass 4) sich der Effekt des familialen Hintergrundes auf die Schulleistung unter Kontrolle der Gymnasialbeteiligung verringert. Schritt 1 wird in den Regressionsmodellen III bis V umgesetzt. Schritt 2 wird in diesem Beitrag nicht getestet, da der Zusammenhang von familiären Hintergrund und Gymnasialbeteiligung aus zahlreichen Veröffentlichungen, auch anhand von Daten aus PISA-E 2003, hinreichend belegt ist (z. B. Ehmke et al. 2005). Die Schritte 3 und 4 sind in einer Regression der Schulleistung auf den familialen Hintergrund und die Gymnasialbeteiligung umzusetzen (Modell VI in diesem Beitrag).

Aufgrund der vergleichsweise geringen Stichprobengröße der beiden im Vordergrund stehenden südostasiatischen Schülergruppen werden für die Hypothesen, bei denen Unterschiede zwischen den Herkunftsgruppen angenommen werden, zweiseitige Signifikanzniveaus von p < 0,05 und p < 0,10 verwendet. Für die Hypothesen, bei denen keine Unterschiede zwischen den Herkunftsgruppen angenommen werden, wird das Alpha-Niveau generell auf p > 0,20 gesetzt. Fehlende Werte in den Fragebogenskalen werden in den Regressionsanalysen durch den Mittelwert der jeweiligen Skala ersetzt und durch einen Missing-Indikator repräsentiert. Alle Berechnungen werden mit WesVar 4.2 (Westat 2000) durchgeführt, das korrekte Standardfehler für Daten aus komplexen Stichproben liefert.

5 Ergebnisse

Im Folgenden werden die empirischen Befunde aus der Erweiterungsstichprobe von PISA 2003 beschrieben. Zunächst werden die Ergebnisse zur Lese- und zur mathematischen Kompetenz sowie zu den Halbjahresnoten in Mathematik und zur Gymnasialbeteiligung beschrieben. Anschließend wird auf mathematikbezogene Motivationsaspekte eingegangen. Danach wird der familiale Hintergrund der unterschiedenen Schülergruppen dargestellt. Schließlich erfolgt die Beschreibung der Ergebnisse aus den linearen Regressionsanalysen.

5.1 Schulleistungen und Gymnasialbeteiligung

Tabelle 2 gibt die Befunde zu den Lese- und mathematischen Kompetenzen, zur Halbjahresnote in Mathematik und zur Gymnasialbeteiligung an. Hinsichtlich der Gymnasialbeteiligung (Hypothese 1a) zeigt sich erwartungsgemäß, dass vietnamesische Jugendliche das Gymnasium mit 42,8 % etwas häufiger besuchen als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Aufgrund der geringen Stichprobengröße ist dieser Unterschied jedoch nicht signifikant (w = 0,17, t 200 = 1,24, n. s.). Bei philippinischen Jugendlichen finden sich entgegen der Erwartung kaum Unterschiede in der Gymnasialbeteiligung zu Jugendlichen ohne Migrationshintergrund (w = 0,06, t 200 = 0,43, n. s.). Jugendliche mit Migrationshintergrund, deren Eltern aus anderen Staaten stammen, besuchen das Gymnasium mit 20,3 % signifikant seltener als Jugendliche ohne Migrationshintergrund (w = 0,22, t 200 =  −9,16, p < 0,05).

Tab. 2 Indikatoren zum Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern verschiedener Herkunft

Die Befunde für die Schulleistungen zeigen, dass die Kompetenzunterschiede im Lesen und in der Mathematik zwischen den beiden Gruppen südostasiatischer Schülerinnen und Schülern, und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund sehr viel geringer sind als zwischen diesen Jugendlichen und Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, deren Eltern in anderen Staaten geboren sind. In beiden Domänen weisen philippinische Jugendliche mit im Mittel 507 Punkten nur geringfügig geringere Kompetenzen auf als Jugendliche ohne Migrationshintergrund (Hypothese 2: d = 0,05, t 200 =  −0,37, p > 0,20 für das Lesen, d = 0,17, t 200 =  −1,10, p > 0,20 für die Mathematik). Für vietnamesische Jugendliche findet sich im Lesen erwartungsgemäß eine um durchschnittlich 27 Punkte signifikant niedrigere Kompetenz (d = 0,27, t 200 =  −1,66, p < 0,10) zu Jugendlichen ohne Migrationshintergrund (Hypothese 3). Diese Disparität ist allerdings beträchtlich kleiner als zwischen diesen Jugendlichen und Schülerinnen und Schülern anderer Herkunft (d = 0,60, t 200  =  −17,66, p < 0,05). Erwartungsgemäß bestehen in der Mathematik sehr viel geringere Kompetenzunterschiede zu Jugendlichen ohne Migrationshintergrund (Hypothese 4: d = 0,05, t 200 =  − 0,30, p > 0,20) Ein Vergleich der Halbjahresnoten in Mathematik zeigt, dass vietnamesische Jugendliche im Mittel mit 2,6 eine signifikant bessere Note erhalten als Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund (Hypothese 4: d =  −0,38, t 200 =  −2,26, p < 0,05). Dagegen zeigen sich im Mittel keine Notenunterschiede zwischen philippinischen Jugendlichen und Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund (Hypothese 2: d = 0,12, t 200 = 0,70, p > 0,20).

5.2 Mathematikbezogene Motivation

Die Befunde weisen erwartungsgemäß auf eine höhere mathematikbezogene Motivation von vietnamesischen Fünfzehnjährigen im Vergleich zu Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund hin (Hypothese 5). Dabei gibt es im Niveau der beiden betrachteten Motivationsvariablen nur geringfügige Unterschiede (vgl. Tab. 3). Die Unterschiede zur instrumentellen Motivation und zum Interesse von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund betragen d = 0,47 (t 200 = 3,30, p < 0,05) bzw. d = 0,43 (t 200 = 3,05, p < 0,05). Ebenfalls signifikant höhere Mittelwerte als bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund finden sich für Jugendliche mit Migrationshintergrund, deren Eltern weder aus Vietnam noch von den Philippinen stammen. Die Disparitäten sind mit d = 0,15 (t 200 = 7,52, p < 0,05) in der instrumentellen Motivation und d = 0,17 (t 200 = 8,56, p < 0,05) im Interesse jedoch wesentlich geringer ausgeprägt. Demgegenüber geben Jugendliche philippinischer Abstammung im Mittel keine wesentlich höhere instrumentelle Motivation (d = 0,06, t 200 = 0,33, n. s.) gegenüber Jugendlichen ohne Migrationshintergrund an. Das Interesse ist jedoch im Durchschnitt leicht gesteigert (d = 0,21, t 200 = 1,05, n. s.) (Hypothese 6).

Tab. 3 Motivation von Jugendlichen verschiedener Herkunftsgruppen

5.3 Familialer Hintergrund

In Tab. 4 sind die Befunde zum Familialen Hintergrund der Fünfzehnjährigen aus den vier Herkunftsgruppen angegeben. Für philippinische Schülerinnen und Schüler zeigen sich erwartungsgemäß kaum Unterschiede zu Jugendlichen ohne Migrationshintergrund (Hypothese 7). Im Mittel sind philippinische Jugendliche bereits kurz nach der Geburt nach Deutschland eingewandert. Ihre Familien verfügen allerdings über etwas weniger ökonomisches Kapital als Familien ohne Migrationshintergrund, insbesondere im Bereich der Wohlstandsgüter. Beim kulturellen Kapital sind ebenfalls geringfügige Unterschiede festzustellen. So liegt das formale Bildungsniveau ihrer Eltern mit 12,2 Bildungsjahren etwas niedriger als das Bildungsniveau einheimischer Eltern. Außerdem sprechen fast alle philippinischen Jugendlichen mit ihren Eltern zu Hause deutsch. Damit geht einher, dass 88,5 % der philippinischen Jugendlichen einen in Deutschland geborenen Elternteil haben. Dabei handelt es sich – wie aufgrund der Demografie der Einwanderungen philippinischer Staatsangehöriger nach Deutschland zu erwarten war – überwiegend um den Vater der Jugendlichen. Wie bei allen betrachteten Migrantengruppen lässt sich hinsichtlich der Familienzusammensetzung nur ein signifikant höherer Anteil von Familien mit Kindern im Haushalt feststellen.

Tab. 4 Familialer Hintergrund von Jugendlichen verschiedener Herkunftsgruppen

Für vietnamesische Zuwandererfamilien wird erwartungsgemäß eine etwas andere Konstellation beobachtet (Hypothese 8). Wie Jugendliche mit Migrationshintergrund, die aus anderen Staaten stammen, sind auch vietnamesische Jugendliche im Mittel mit etwa 2 Jahren nach Deutschland eingewandert. Sowohl hinsichtlich des ökonomischen als auch des kulturellen Kapitals weisen vietnamesischen Familien ein geringeres Niveau als Familien ohne Migrationshintergrund auf (Hypothese 8a). Der gegenüber diesen Familien um d = 0,93 geringere Wohlstandsindex (t 200 = −5,46, p < 0,05) weist auf eine im Mittel erheblich geringere Verfügbarkeit ökonomischen Kapitals hin. Allerdings bestehen im sozioökonomischen Status keine signifikanten Unterschiede zu Eltern von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund (d = −0,21, t 200 = −1,04, n. s.). Im Hinblick auf das kulturelle Kapital ist ein im Mittel deutlich geringeres formales Bildungsniveau der Eltern zu konstatieren (d = −1,29, t 200 = −4,55, p < 0,05). Anders als philippinische Jugendliche sprechen viele Jugendliche vietnamesischer Abstammung mit ihren Eltern zu Hause nicht deutsch (Hypothese 8b; t 200 = 6,37, p < 0,05). Der Anteil liegt bei 42,4 %. Bei der Familienzusammensetzung lässt sich feststellen, dass vietnamesische Jugendliche signifikant häufiger mit anderen Geschwistern zusammen leben als Jugendliche ohne Migrationshintergrund (w = 0,10, t 200 = 2,48, p < 0,05). Entgegen der Erwartung (Hypothese 8c) leben sie aber seltener mit einem männlichen Erziehungsberechtigten (w = 0,14, t 200 = −1,62; n. s.) oder anderen Personen wie z. B. den Großeltern zusammen (w = 0,27, t 200 = −1,58; n. s.), wenngleich die Unterschiede nicht signifikant sind. Im Gegensatz zu den Filipinos haben auch nur knapp ein Viertel der vietnamesischen Jugendlichen einen in Deutschland geborenen Elternteil.

5.4 Zusammenhänge zwischen Schulleistung und familialen Hintergrund

In multiplen linearen Regressionsanalysen werden die Lese- und die mathematischen Kompetenzen in Zusammenhang mit den Indikatoren des familialen Hintergrunds gebracht, um zu prüfen, inwieweit Kompetenzunterschiede zwischen den verschiedenen Schülergruppen auf familiale Unterschiede zurückzuführen sind (Hypothesen 9 und 10). Anschließend wird die Gymnasialbeteiligung berücksichtigt, um eine mögliche Vermittlung der familialen Effekte durch institutionelle Effekte identifizieren zu können (Hypothese 11). Zu der Logik der in diesem Beitrag verwendeten Prüfung der Mediation wird auf Abschn. 4.3 verwiesen. Zunächst werden die Analysen für die Lese-, anschließend für die mathematische Kompetenz dargestellt.

Tabelle 5 gibt die Ergebnisse für die Lesekompetenz wieder. Die Befunde aus Modell I, in denen nur nach den Herkunftsgruppen unterschieden wird, sind bereits aus Abschn. 5.1 bekannt. Sie zeigen geringe Kompetenzdefizite von Jugendlichen vietnamesischer Herkunft (b = −27, p < 0,10) und ausgeprägte Defizite für Jugendliche mit Migrationshintergrund, deren Eltern aus anderen Staaten als Vietnam oder den Philippinen stammen (b = −60, p < 0,05). Durch Berücksichtigung des unterschiedlichen Einwanderungsalters (Modell II) verringern sich diese Kompetenzunterschiede um 13 bzw. 15 Punkte. Die Kontrolle der Unterschiede im ökonomischen Kapital (Modell III) führt zu einer weiteren Verringerung von 16 bzw. 18 Punkten. Die Koeffizienten für die beiden südostasiatischen Gruppen tendieren nach der Kontrolle des Einwanderungsalters und des ökonomischen Kapitals positiv. Diese Tendenz verstärkt sich nach Kontrolle des kulturellen (Modell IV) und des sozialen Kapitals (Modell V) weiter, wobei der Berücksichtigung des kulturellen Kapitals eine erheblich größere Bedeutung zukommt. Für vietnamesische Jugendliche lässt sich unter vollständiger Kontrolle des familialen Hintergrundes schließlich ein tendenziell signifikanter Kompetenzvorsprung von 30 Punkten feststellen (Hypothese 9: t 200 = 2,15, p < 0,05). Für philippinische Jugendliche sind die Kompetenzunterschiede im Mittel nicht signifikant (Hypothese 10: t 200 = 1,19, p > 0,20). Die Kompetenzdefizite im Lesen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, deren Eltern aus anderen Staaten stammen, haben sich nach Berücksichtigung des familialen Hintergrundes auf -9 Punkte verringert. Schließlich werden in Modell VI die Unterschiede in der Gymnasialbeteiligung kontrolliert, um abzuschätzen, ob die Effekte des familialen Hintergrundes über die Gymnasialbeteiligung zumindest teilweise mediiert werden (Hypothese 11). Durch die Berücksichtigung der Gymnasialbeteiligung nehmen die Effekte der meisten familialen Indikatoren tatsächlich ab. Beispielsweise halbieren sich die Koeffizienten des sozioökonomischen Status, des Bildungsniveaus der Eltern und der kulturellen Besitztümer in etwa. Der negative Effekt der nichtdeutschen Familiensprache bleibt jedoch fast unverändert. Beachtenswert ist der starke Rückgang des signifikanten Kompetenzvorsprungs der vietnamesischen Schülerinnen und Schüler. Dies deutet darauf hin, dass ein Großteil der höheren Kompetenzen auf die erhöhte Gymnasialbeteiligung dieser Schülergruppe zurückzuführen ist.

Tab. 5 Schrittweise Regression der Lesekompetenz auf den familialem Hintergrund und den Gymnasialbesuch

In Tab. 6 sind die Ergebnisse der Regressionsanalysen zur mathematischen Kompetenz angegeben. Modell I zeigt wiederum die Befunde zu den Kompetenzunterschieden, die bereits aus Abschn. 5.1 bekannt sind. Wie bei der Lesekompetenz lässt sich auch bei der mathematischen Kompetenz nach Kontrolle des Einwanderungsalters und des ökonomischen Kapitals (Modelle II und III) in etwa eine Halbierung der Disparitäten zwischen Jugendlichen ohne Migrationshintergrund und Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, deren Eltern weder aus Vietnam noch von den Philippinen stammen, beobachten. Nach zusätzlicher Kontrolle des kulturellen Kapitals (Modell IV) sind diese Kompetenzunterschiede auf ein Drittel der ursprünglichen Größenordnung zurückgegangen. Interessanterweise zeigt sich nun für vietnamesische Jugendliche ein signifikanter Kompetenzvorsprung in der Mathematik gegenüber Jugendlichen ohne Migrationshintergrund von 37 Punkten. Die Berücksichtigung des sozialen Kapitals in Modell V führt zu keinen bedeutsamen Veränderungen. Unter vollständiger Kontrolle des familiären Hintergrund weisen vietnamesische Jugendliche im Mittel einen Kompetenzvorsprung gegenüber Jugendlichen ohne Migrationshintergrund von 39 Punkten auf (Hypothese 9: t 200 = 2,49, p < 0,05). Für philippinische Jugendliche finden sich dagegen keine signifikanten Kompetenzunterschiede (Hypothese 10: t 200 = 3,53, p > 0,20).

Tab. 6 Schrittweise Regression der mathematischen Kompetenz auf den familialem Hintergrund und den Gymnasialbesuch

Kontrolliert man anschließend die unterschiedliche Gymnasialbeteiligung (Modell VI), so verringern sich wiederum viele Effekte des familialen Hintergrundes (Hypothese 11). Auch bei der mathematischen Kompetenz wird das höhere Kompetenzniveau der vietnamesischen Schülerinnen und Schüler wesentlich durch die höhere Gymnasialbeteiligung bedingt. Ihr Kompetenzvorsprung verringert sich von signifikanten 39 Punkten auf nicht signifikante 19 Punkte, während sich für andere Migrantengruppen geringfügigere Veränderungen zeigen.

6 Zusammenfassung und Diskussion

In diesem Beitrag wurde der Schulerfolg von fünfzehnjährigen Schülerinnen und Schülern vietnamesischer und philippinischer Herkunft in Deutschland untersucht. Gefragt wurde, welche Schulleistungen und schulbezogene Motivation philippinische und vietnamesische Schülerinnen und Schüler im Vergleich zu anderen Schülerinnen und Schülern in Deutschland aufweisen und wie eventuell gefundene Disparitäten in Zusammenhang mit dem familialen Hintergrund und der Gymnasialbeteiligung stehen. Angenommen wurde, dass Jugendliche mit philippinischem Migrationshintergrund in Deutschland direkt assimiliert sind, während Jugendliche vietnamesischer Abstammung einer selektiven Akkulturation unterliegen.

Obwohl die geringen Stichprobenumfänge der beiden südostasiatischen Schülergruppen das Auffinden signifikanter Unterschiede erschweren und damit die in diesem Beitrag favorisierte Hypothese ähnlichen Schulerfolgs begünstigen, lassen sich die getroffenen Annahmen mit den Befunden weitgehend belegen. Jugendliche mit philippinischem Migrationshintergrund weisen ähnlich hohe Kompetenzen im Lesen und in der Mathematik und eine ähnlich hohe mathematikbezogene Motivation wie Jugendliche ohne Migrationshintergrund auf. Auch ihr familialen Hintergrund ist demjenigen einheimischer Jugendlicher sehr ähnlich. Insbesondere sprechen die meisten philippinischen Jugendlichen in ihrer Familie deutsch. Lediglich im ökonomischen Kapital, im formalen Bildungsniveau der Eltern und im Bereich der kulturellen Besitztümer weisen Familien von Jugendlichen mit philippinischem Migrationshintergrund in Deutschland etwas geringere Niveaus auf als Familien ohne Migrationshintergrund. Die große Ähnlichkeit dürfte wesentlich darauf zurückzuführen sein, dass ein großer Anteil der Einwanderungen von den Philippinen nach Deutschland philippinische Frauen umfasst, die eheliche Verbindungen mit deutschen Männern eingehen. Diese Vermutung wird dadurch gestützt, dass nur ein sehr geringer Anteil der Mütter der Jugendlichen mit philippinischem Migrationshintergrund in Deutschland geboren wurde, während die meisten ihrer Väter aus Deutschland stammen. Dadurch ist es plausibel, dass das Befundmuster für Jugendliche philippinischer Abstammung stark auf direkte Assimilation hinweist.

Im Gegensatz dazu weisen die empirischen Befunde für vietnamesische Jugendliche erwartungsgemäß auf das Integrationsmuster der selektiven Akkulturation hin: Während diese Schülerinnen und Schüler ähnlich hohe Kompetenzen und sogar bessere Noten in der Mathematik erreichen, liegt ihre Lesekompetenz erwartungsgemäß im Durchschnitt etwas niedriger als von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Die Indikatoren des familialen Hintergrunds weisen wie in den USA auf deutlich weniger ökonomisches Kapital hin. Beim kulturellen Kapital zeigen sich ein erheblich geringeres formales Bildungsniveau der Eltern und eine geringere Verfügbarkeit von Kulturgütern. Außerdem spricht in Deutschland etwa die Hälfte der vietnamesischen Jugendlichen zu Hause vietnamesisch.

Die Annahme, dass der beobachtete hohe Schulerfolg der Vietnamesen trotz des geringeren ökonomischen und kulturellen Kapitals durch kulturspezifische bildungsrelevante Werte und ein höheres ethnisches Sozialkapital zustande kommt, kann mit den Befunden teilweise und indirekt belegt werden: Fünfzehnjährige Jugendliche vietnamesischer Herkunft zeigen sich intrinsisch und extrinsisch hoch motiviert in der Mathematik und erreichen in dieser Domäne auch signifikant bessere Schulnoten als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler. Zudem ist die Gymnasialbeteiligung etwas höher als von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Diese Befunde gehen mit der Annahme konform, dass Leistung und Bildung in bestimmten ost- und südostasiatischen Migrantengruppen wie den Vietnamesen hoch geschätzt werden. Leider können die Analysen diese Annahme nicht direkt belegen, da in PISA 2003 keine direkten Indikatoren für familienbezogene bildungsrelevante Werte und Normen verfügbar sind.

Die Befunde ergeben auch keine Hinweise auf ein höheres ethnisches Sozialkapital, da vietnamesische Jugendliche nicht häufiger mit mehr Familienangehörigen zusammenleben als andere Jugendliche. Im Gegenteil findet sich ein höherer Prozentsatz vietnamesischer Familien in Deutschland, in denen ein männlicher Elternteil fehlt. Kritisch einzuwenden ist jedoch, dass die verwendeten Indikatoren für das Sozialkapital in der vorliegenden Untersuchung nur in geringer Zahl zur Verfügung standen und nur begrenzt aussagekräftig sind. Sie beziehen sich lediglich auf die Anzahl der in der gleichen Wohnung lebenden Personen, sagen aber nichts darüber aus, wie intensiv die Beziehungen zu diesen Personen sind und in welchem Ausmaß sie Unterstützung gewähren können. Außerdem wurde nicht erfasst, ob eventuell Unterstützung von anderen, nicht in der gleichen Wohnung lebenden Personen verfügbar ist.

Die Befunde sprechen trotz aller Einschränkungen weitgehend dafür, dass es auch in Deutschland lebende Jugendliche mit Migrationshintergrund gibt, die einen ähnlich hohen Bildungserfolg wie einheimische Schülerinnen und Schüler erreichen. Der Migrationshintergrund muss also nicht per se ein Risikofaktor für den Bildungserfolg sein. Außerdem belegen die Befunde für vietnamesische Jugendliche, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund auch bei ungünstigem familialen Hintergrund und nichtdeutscher Familiensprache in der Schule erfolgreich sein können. Sie zeigen weiterhin, dass auch in Deutschland zwei Integrationswege möglich sein könnten: die direkte Assimilation mit weitgehender Annäherung der Migranten an die Einheimischen auf allen integrationsrelevanten Dimensionen und die selektive Akkulturation mit Angleichung auf der strukturellen Dimension (z. B. Bildungsbeteiligung) unter Beibehaltung spezifischer Aspekte der Herkunftskultur wie z. B. der Herkunftssprache. Daraus ließe sich ableiten, dass weder eine niedrigere Sozialschicht noch die Beibehaltung von Aspekten der Herkunftskultur wie der Sprache Risikofaktoren für den Schulerfolg von Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind und daher aus diesen Gründen pädagogisch interveniert werden müsste. Vor dem Hintergrund der hohen Motivation und der gleichzeitig hohen Kompetenzen der Vietnamesen könnte es vielmehr pädagogisch angezeigt sein, bei anderen Migrantengruppen die Bedeutung des zu Lernenden für den Lebenserfolg zu steigern und diesen Migrantengruppen den sozialen Aufstieg zu ermöglichen, nachdem der Lernerfolg eingetreten ist. Dies entspricht mehr einer Pädagogik der Förderung von Lernverhalten als einer Pädagogik der Forderung nach sozialer und kultureller Anpassung.