1 Einleitung: Die Zitation als zentrale Aufmerksamkeitsbekundung des Wissenschaftssystems

Die Wissenschaft produziert wenige „giants“ und eine Masse von „pygmies“, schreibt Price 1963 (S. 59). Dies gilt für Individuen ebenso wie für einzelne Werke. Wer ein Riese ist, wird dabei am Kriterium der Aufmerksamkeit festgemacht, wobei die Zitation die zentrale Instanz der Aufmerksamkeitsbekundung darstellt. In der Regel wird wenigen Werken viel, vielen Werken jedoch nur wenig Beachtung zuteil (vgl. Franck 2002, S. 19). Riesen sind vielzitierte Forscher und Werke auch deswegen, weil die nachfolgende Forschung auf ihren Ergebnissen aufbaut und damit metaphorisch auf ihren Schultern steht. Die Häufigkeit der Zitationen ist somit ein Indikator dafür, inwiefern die Forschung eines Wissenschaftlers für die Arbeit anderer Wissenschaftler von Bedeutung ist (vgl. Cole und Cole 1967, S. 384).Wer sind nun aber die Riesen unseres Faches? Diese Studie will die Frage beantworten, welche Kommunikationswissenschaftler im deutschsprachigen Raum am häufigsten zitiert worden sind und welche Werke die häufigste Erwähnung fanden. Dieses Vorgehen soll vorsichtige Antworten auf die Frage erlauben, welche Autoren und Publikationen dem Fach zentrale Denkanstöße gegeben oder theoretische wie empirische Schlüsselergebnisse präsentiert haben. Inwieweit die Zitationshäufigkeit Rückschlüsse auf die Qualität der Werke oder die Reputation von Wissenschaftlern erlaubt, wird abschließend kritisch diskutiert.Footnote 1

Während andere Disziplinen (vor allem die Naturwissenschaften und die Medizin) sich seit Längerem mit den eigenen Veröffentlichungen auseinandersetzen, ist die Anwendung bibliometrischer Methoden in der Kommunikationswissenschaft relativ neu (vgl. Dominick 1997, S. 427). Gegenstand vieler Studien war dabei häufig die Produktivität von Einzelpersonen oder Institutionen – gemessen an der Anzahl ihrer Veröffentlichungen. Zu den bisher durchgeführten Studien in diesem Feld gehören zum Beispiel Auszählungen von Publikationen zu einem bestimmten (aktuellen) Thema der Kommunikationswissenschaft wie Neue Medien (vgl. Tomasello et al. 2010, S. 538–540) oder zu der Frage, wie viel bestimmte Forscher in den deutschen Fachzeitschriften Publizistik und Medien & Kommunikationswissenschaft (M&K) innerhalb bestimmter Zeiträume publiziert haben (vgl. Brosius und Haas 2009, S. 183–186; Donsbach et al. 2005, S. 60–64; Brosius 1998, S. 343–344; Brosius 1994, S. 83–87).Footnote 2 Vergleichbare Studien zur Produktivität von Kommunikationswissenschaftlern (bzw. ihren Forschungsinstitutionen) haben in den USA eine lange Tradition und machen einen Großteil der bibliometrischen kommunikationswissenschaftlichen Forschung aus (vgl. Stephen und Geel 2007, S. 108–113; Bunz 2005, S. 710; Hickson et al. 2004, S. 327–328; Hickson et al. 2003, S. 314; Hickson et al. 1999, S. 186–187; Stacks et al. 1982, S. 14–17). Auf diese Weise erhält man jedoch nicht unbedingt einen Hinweis auf die Relevanz dieser Personen für das Fach.Footnote 3 So können Werke von Personen, die viel publizieren, wenig Beachtung finden. „[…] scientist have a strong urge to write papers but only a relatively mild one to read them.“ (Price 1963, S. 69–70) Über den Einfluss auf das Fach sagt die Zahl der Publikationen also nur bedingt etwas aus (vgl. Stephen und Geel 2007, S. 114).

Wie häufig ein Werk von anderen zitiert wird, erscheint im Vergleich dazu wesentlich informativer: Mit gewissen Einschränkungen lässt sich vermuten, dass zitierte Werke für so interessant oder gar relevant gehalten wurden, dass Wissenschaftler ihnen etwas von ihrer knappen Aufmerksamkeit gewidmet haben (vgl. Franck 2002, S. 8). Darüber hinaus drücken Zitationen aus, dass das zitierte Werk mit gewisser Wahrscheinlichkeit Anschlüsse für die nachfolgende Forschung bot (vgl. Lindsey 1989, S. 195). Dabei wurde in den oben erwähnten Studien von Brosius et al. erfasst, welcher Art (Zeitschriftenaufsatz, Monographie, Sammelband etc.) die in den untersuchten Fachzeitschriftenausgaben zitierten Quellen sind, nicht jedoch, welche konkrete Person mit welchem konkreten Werk zitiert wurde (vgl. Brosius und Haas 2009, S. 186).

Um die Zitationshäufigkeit von Werken und Autoren zu bestimmen, bieten sich der Social Science Citation Index nicht in den Index aufgenommen wurden (SSCI) von Thomson Reuters (mit dem Portal Web of Science) oder auch Google Scholar an.Footnote 4 Die Eingabemasken dieser Datenbanken erlauben allerdings nur, Zitationshäufigkeiten von bestimmten einzelnen, dem Suchenden bereits bekannten Autoren und Werken zu recherchieren. Eine Rangliste der in einer bestimmten Fachzeitschrift am häufigsten zitierten Werke zu erhalten ermöglichen sie standardmäßig nicht.Footnote 5

Für die Fragestellung dieses Forschungsprojekts eignet sich der SSCI schon deshalb nicht, weil die für die deutschsprachige Kommunikationswissenschaft relevanten Fachzeitschriften – Publizistik und M&K (früher: Rundfunk und Fernsehen) – nicht in den Index aufgenommen wurden.Footnote 6 Der SSCI erfasst demnach nur deutsche Wissenschaftler, die in internationalen Fachzeitschriften (auf Englisch) publizieren. Die Zahl dieser Wissenschaftler steigt zwar (vgl. Lauf 2001, S. 376–377), bis heute gilt aber, dass deutsche Kommunikationswissenschaftler vor allem in deutschen Fachzeitschriften publizieren, dort also die Analyse von Zitationen besonders aufschlussreich sein sollte. Grundsätzlich bilden Fachzeitschriften ein breites Spektrum des Faches ab und ermöglichen aufgrund ihrer Periodizität eine systematische Erhebung von Zitationen über einen längeren Zeitverlauf (vgl. Donsbach et al. 2005, S. 50). Publizistik und M&K sind – vor wenigen anderen Zeitschriften – die „Zentralorgane“ des Fachs (vgl. Bohrmann 2006, S. 41–44; Lauf 2001, S. 369; Hohlfeld und Neuberger 1998, S. 322; Brosius 1994, S. 78).

Die wenigen vorhandenen Zitationsanalysen in der Kommunikationswissenschaft dienten dieser Untersuchung als Vorbilder. So ermittelten Tankard et al. (vgl. 1984, S. 93), welche Werke zwischen 1978 und 1980 am häufigsten in der Fachzeitschrift Journalism Quarterly zitiert wurden. Ihre Studie wurde 2005 von Chang und Tai repliziert, im Mittelpunkt standen Zitationsnetzwerke innerhalb der Scientific community, die sogenannten „invisible colleges“ (vgl. Chang und Tai 2005, S. 674). Bei Rice et al. (vgl. 1996, S. 521) findet sich eine kurze Liste der zwischen 1972 und 1994 am häufigsten zitierten Werke im Journal of Broadcasting (& Electronic Media). Greenberg und Schweitzer (vgl. 1989, S. 474) präsentieren eine Liste der zwischen 1980 und 1985 am häufigsten in neun kommunikationswissenschaftlichen Fachzeitschriften zitierten Forscher. Kent und Rush (vgl. 1977, S. 581) analysierten, welche Forscher zwischen 1964 und 1973 am häufigsten in Artikeln zum Thema „Internationale Kommunikation“ in Journalism Quarterly zitiert wurden. Keine dieser Studien kann jedoch – aufgrund der Auswahl und des begrenzten Umfangs des ausgewerteten Materials – hinreichend Antwort auf die eingangs gestellte Forschungsfrage geben. Eine eigene Studie war daher unerlässlich.

2 Methode

Mit der hier beschriebenen Studie sollte herausgefunden werden, welche Wissenschaftler und wissenschaftlichen Werke zwischen 1970 und 2010 in den Fachzeitschriften Publizistik und M&K am häufigsten zitiert wurden. 1970 wurde als Startjahr gewählt, da etwa ab diesem Zeitpunkt ein starker Anstieg der kommunikationswissenschaftlichen Aktivitäten in Deutschland zu verzeichnen war. Die empirisch-sozialwissenschaftliche Wende hatte sich gerade vollzogen (vgl. Löblich 2010, S. 308–309), und im Zuge dieser Fachausrichtung nahm die Zahl empirischer Arbeiten wesentlich zu. Neue Institute und Studiengänge wurden eingerichtet, u. a. wegen der sich in den 1970er Jahren neu etablierenden (Teil-)Disziplin Journalistik (vgl. Wilke 2006, S. 329–332). Das Jahr 2010 markiert den Endpunkt der Datenerhebung. Berücksichtigt wurden nur Zitate in wissenschaftlichen Aufsätzen, da diese eher als etwa Zitate in Buchbesprechungen ein geeigneter Indikator für die wissenschaftliche Relevanz zitierter Werke sind.

Zwischen 1970 und 2010 sind in der Publizistik 906 und in der M&K 658 wissenschaftliche Artikel erschienen – diese bilden die Grundgesamtheit. Als wissenschaftlicher Aufsatz galt ein Text, wenn er einen theoretischen oder empirischen Beitrag zu einem von der Kommunikationswissenschaft behandelten Forschungsgebiet leistet. Die Aufsätze wurden nach einer manuellen Durchsicht der Inhaltsverzeichnisse aller Zeitschriftenbände erfasst. Die Beurteilung der Wissenschaftlichkeit eines Textes erfolgte anhand der dort verfügbaren Informationen, in Zweifelsfällen wurde der Aufsatz selbst genauer betrachtet.

Abbildung 1 zeigt die Anzahl wissenschaftlicher Aufsätze pro Zeitschrift und Vierjahreszeitraum und verweist darauf, dass die Anzahl der Aufsätze in der Publizistik zunächst wesentlich höher lag als in der M&K/RuF. Im letzten Jahrzehnt war das Verhältnis ausgeglichener, wobei die M&K die Publizistik sogar leicht überholt hat.

Abb. 1
figure 1

Anzahl wissenschaftlicher Aufsätze in Publizistik und M&K/RuF zwischen 1970 und 2010, n = 1.564

Da eine Berücksichtigung aller 1.564 Aufsätze außerhalb der forschungsökonomischen Möglichkeiten gelegen hätte, wurde eine Zufallsstichprobe von 1.000 Aufsätzen gezogen. Diese Anzahl entsprach dem von der Forschergruppe maximal zu bewältigenden Volumen und ließ erwarten, dass bedeutende Werke hierin in ausreichendem Maße mehrfach zitiert wurden. Dabei kann angenommen werden, dass die in der Grundgesamtheit am häufigsten zitierten Werke und Autoren auch in einer Zufallsstichprobe am häufigsten zitiert werden. Von den 1.000 ausgewählten Aufsätzen (573 aus Publizistik, 427 aus M&K) enthielten 53 kein LiteraturverzeichnisFootnote 7, so dass in die weitere Analyse nur 947 Aufsätze eingingen (539 aus Publizistik, 408 aus M&K). 230 Aufsätze stammten aus den Jahren 1970–1979, 266 aus den Jahren 1980–1989, 201 aus den Jahren 1990–1999 und 250 aus den Jahren 2000–2010. Die Literaturverzeichnisse der 947 Aufsätze enthielten 39.702 Literaturangaben (mehrfach erschienene Werke wurden in diesem Fall mehrfach gezählt) – ein einzelnes Verzeichnis kommt demnach im arithmetischen Mittel auf 41,92 Quellenangaben (Standardabweichung 36,366, Minimum 1, Maximum 380). Bereinigte man die Daten um Ausreißer hinsichtlich der Anzahl der angeführten Werke (wobei solche Fälle als Ausreißer definiert wurden, die mehr als drei Standardabweichungen vom obigen Mittelwert abwichen), mussten 18 Fälle entfernt werden. Danach ergab sich ein neues arithmetisches Mittel von 38,82 zitierten Werken pro Aufsatz (Standardabweichung 27,81).

Die Herausforderung bei der weiteren Analyse bestand darin,auf möglichst effiziente Weise die zitierten Werke und Autoren zu identifizieren und dabei gleichzeitig die Zitationshäufigkeit zu erfassen. Für die Bestimmung der Zitationshäufigkeit sollten nur Nennungen im Literaturverzeichnis und nicht etwa die Anzahl der Zitate im Aufsatztext berücksichtigt werden, da Letzteres zu aufwändig gewesen wäre (gleiche Vorgehensweise bei Kent und Rush 1977, S. 581). Die Literaturverzeichnisse der ausgewählten Aufsätze wurden gescannt und mithilfe einer Software in digitalen Text umgewandelt (sofern nicht bereits digital verfügbar). Die Quellenangaben wurden alsdann teilautomatisiert in ihre Bestandteile zerlegt. Der Vor- und Nachname sowohl des erst- als auch des zweitgenannten Autors, das Veröffentlichungsjahr und der Titel des Werks wurden in einzelne Spalten einer Excel-Tabelle übertragen; weitere Spalten enthielten Angaben zu dem Zeitschriftenaufsatz, in dem das Werk zitiert wurde. Zu dem Aufsatz wurden der Titel der Zeitschrift, der Jahrgang, die Nummer der Ausgabe sowie der erstgenannte Autor erfasst. Dabei erhielt jedes Werk so oft Eingang in die Tabelle, wie es in den ausgewählten Literaturverzeichnissen erschienen war. Erfasst wurden ohne Einschränkung alle in einem Literaturverzeichnis aufgelisteten Werke.

Als Nächstes erfolgte in der Liste eine Vereinheitlichung der Schreibweise der Autorennamen und der Werktitel, die in den Verzeichnissen häufig uneinheitlich angegeben worden waren. Dies war notwendig, weil im nächsten Schritt die Titel der Werke und die Namen der Autoren automatisiert von Excel ausgezählt werden sollten. Hierfür war es unabdingbar, dass Zeichenketten, die auf das gleiche Werk verweisen, identisch ausfallen. Auch musste, falls ein Werk in verschiedenen Sprachen in originalgetreuer Übersetzung erschienen ist, ein einheitlicher Titel für alle Versionen angegeben werden, damit diese als ein Werk gezählt werden.Footnote 8 In ähnlicher Weise verfuhren wir bei mehrbändigen Werken und Folgeaufsätzen: Auch hier sollten alle Bände bzw. Aufsätze gemeinsam als ein Werk gelten, da es sich hierbei um die Bearbeitung desselben Themas durch dieselbe Person handelt, die nur aus Gründen des Umfangs in mehreren Ausgaben erscheint, inhaltlich jedoch ein zusammenhängendes Werk darstellt. Nach verschiedenen Auflagen eines Werks wurde nicht unterschieden. Bei Langzeitstudien zählten wir jedoch jede einzelne Publikation als eigenes Werk, da die zu unterschiedlichen Zeitpunkten gewonnenen Ergebnisse eine jeweils eigene Informationsgrundlage darstellen. Die in den Literaturverzeichnissen oft abgekürzten Vornamen der Autoren mussten recherchiert und vervollständigt werden. Des Weiteren musste in solchen Fällen, in denen ein Text vom gleichen Autor und mit dem gleichen Titel in unterschiedlichen übergeordneten Publikationen erschien (z. B. einmal in einer Fachzeitschrift, einmal in einem Sammelband), festgestellt werden, ob es sich wirklich um denselben Text handelte.

Anschließend wurde aus dem Nachnamen des erstgenannten Autors und dem Titel eines zitierten Werks ein Textstring erstellt (z. B. Schenk_Medienwirkungsforschung). Dabei wurde angenommen, dass diese beiden Angaben eine Publikation eindeutig identifizieren. Die Textstrings wurden sodann ausgezählt – ihre Erscheinungshäufigkeit in der Tabelle entspricht der Zitationshäufigkeit in den ausgewerteten Aufsätzen. Bei der Auswertung der Daten zu den Autoren wurde in gleicher Weise ein Textstring bestehend aus Vor- und Nachnamen erstellt und anschließend ausgezählt.

Vor der Auszählung wurden allerdings noch Teile der Literaturangaben aus 18 Aufsätzen, die sich mit dem Leben und Werk bekannter Wissenschaftler beschäftigen („Klassikeraufsätze“) aus dem Datensatz entfernt. In diesen Aufsätzen werden sehr viele Werke jeweils eines Pioniers des Fachs aufgeführt, was den betreffenden Wissenschaftlern nur so einen Spitzenplatz in dem Personenranking einbringen könnte. Ein derart entstandenes Ergebnis wäre aber offenkundig nicht mit einem solchen vergleichbar, das sich durch eine häufige Verwendung bestimmter Werke einer Person durch viele andere Autoren ergibt. Bei den Klassikeraufsätzen wurden deshalb die in den Literaturverzeichnissen erscheinenden Nennungen von Werken der dort vorgestellten Personen aus dem Zitationsindex entfernt; alle Nennungen von Werken anderer Personen blieben erhalten.

3 Ergebnisse

Im Folgenden stellen wir die zentralen Ergebnisse der Studie vor: die Rangliste der meistzitierten wissenschaftlichen Werke (nichtwissenschaftliche Literatur, darunter auch viel zitierte Primärquellen – wie zum Beispiel IVW Werbeträgerdaten zu Zeitungsauflagen etc. –, ging nicht in die Liste ein) und die Rangliste der meistzitierten Personen. Tabelle 1 zeigt die ersten 39 Rangplätze der zwischen 1970 und 2010 am häufigsten in Publizistik und M&K zitierten Bücher und Aufsätze – angegeben ist jeweils nur die Erstauflage.

Tab. 1 Rangliste der in den Fachzeitschriften Publizistik und M&K zwischen 1970 und 2010 meistzitierten Werke, basierend auf 947 Literaturverzeichnissen und darin enthaltenen 38.156 Literaturangaben

In Tab. 1 finden sich vor allem ältere Werke, da sie eine höhere Chance hatten, in dem Untersuchungszeitraum zitiert zu werden als neuere. Da die Wahrscheinlichkeit, dass ein Werk zitiert wird, wohl auch mit zunehmender Textmenge steigt, waren mehrbändige Werke im Vorteil, wenn es um das Erzielen eines hohen Rangplatzes ging.

Die Zitationen einzelner Werke wurden auch getrennt nach Jahrzehnten ausgewiesen, um die Karrieren der einzelnen Werke im Zeitverlauf nachvollziehen zu können. Hierbei zeigten sich verschiedene Typen von Zitationsverläufen: Einerseits gibt es Werke, die aufgrund einer hohen Aktualität des behandelten Themas eine gewisse Zeit lang häufig zitiert wurden, dann aber mit abnehmender Themenrelevanz in Vergessenheit gerieten (siehe z. B. das Werk Kommunikationspolitik, Rang 20). Andererseits finden sich auch viele Werke in der Liste, die (obwohl auch sie eine Hochphase der Rezeption hatten) konstant über eine längere Zeit beachtet wurden (siehe z. B. das Werk Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien, Rang 1). Solche Werke mit zeitlosem Inhalt, die über viele Jahre von Kommunikationswissenschaftlern zitiert werden, können als Klassiker gelten.

Bei der Verteilung der Zitationen auf die beiden Fachzeitschriften ist zu beachten, dass die Publizistik aufgrund ihres insgesamt höheren Outputs an wissenschaftlichen Aufsätzen im Untersuchungszeitraum auch in der Stichprobe stärker repräsentiert ist als die M&K. Dadurch wird in Teilen erklärt, warum in absoluten Zahlen oft mehr Zitationen eines einzelnen Werks auf die Publizistik entfallen. In Teilen weicht die Anzahl der Zitationen eines Werks jedoch zwischen den beiden Zeitschriften in überproportionalem Umfang ab. Man muss daher bedenken, dass sich eine andere Rangliste ergeben hätte, wenn nur eine der beiden Fachzeitschriften ausgewertet worden wäre. Die Unterschiede können eventuell mit verschiedenen thematischen Schwerpunktsetzungen der Zeitschriften erklärt werden.

In der Rangliste der am häufigsten zitierten Autoren der letzten 41 Jahre werden die Spitzenplätze vor allem von Personen besetzt, die bereits seit längerer Zeit wissenschaftlich publizieren, da bei ihnen bereits länger die Möglichkeit besteht, auf ihre Werke zu verweisen. Eine Einzelauswertung nach Jahrzehnten ergab, dass sich in den 1970er, 1980er, 1990er und 2000er Jahren zu großen Teilen die gleichen Personen auf den Spitzenplätzen befinden.Footnote 9 Da hier aber ein breiterer Personenkreis vielbeachteter Forscher vorgestellt werden soll, wird die Rangliste der gesamten 41 Jahre in den Mittelpunkt gestellt. Tabelle 2 zeigt die Bestplatzierten, wobei hier mehrere unterschiedliche Auswertungen vorgenommen wurden. Im Rahmen der Datenerhebung wurden nur die erst- und zweitgenannten Autoren erfasst, da eine vollständige Erhebung aller genannten Autoren zu aufwändig gewesen wäre. Die erstgenannten Autoren wurden einmal als eigene Gruppe ausgewertet und einmal gemeinsam mit den zweitgenannten Autoren. Dies hat folgenden Hintergrund: Bei den zweitgenannten Autoren wurde bei der Bereinigung des Datensatzes festgestellt, dass sie bei der Literaturangabe oft ausgelassen wurden (die Angabe erfolgt mit „et al.“ o. ä.). Etwaige zweite Autoren bei jedem der 39.702 Fälle nachzurecherchieren, wäre zu aufwändig gewesen. Daher wurden bei der Auswertung nur solche Angaben berücksichtigt, die sich auch tatsächlich im Literaturverzeichnis fanden. Dies bedeutet allerdings, dass – anders als bei den erstgenannten Autoren – ein zweitgenannter Autor nicht zwangsläufig eine Nennung erhielt, wenn ein von ihm mitverfasstes Werk in einer Literaturliste erschien. Die Auswertung zu den erst- und zweitgenannten Autoren ist mit dieser Einschränkung zu betrachten. Es scheint dennoch notwendig, sie zumindest als vagen Vergleichspunkt zur Rangliste der am häufigsten zitierten erstgenannten Autoren zu präsentieren, denn „[t]he problem with first author citations is that they are biased in favor of the beginning of the alphabet“ (Cnudde 1986, S. 850). Es ist also nicht unbedingt gegeben, dass ein erstgenannter Autor den größten Anteil an der Erstellung einer Publikation hatte (was die alleinige Berücksichtigung der erstgenannten Autoren rechtfertigen könnte).

Tab. 2 Rangliste der am häufigsten erst- und zweitgenannten Autoren, basierend auf 947 Literaturverzeichnissen und darin enthaltenen 38.156 Literaturangaben

Des Weiteren wurden die beiden beschriebenen Auswertungen einmal inklusive und einmal exklusive Eigenzitaten erstellt. Zur Feststellung eines Eigenzitates wurde überprüft, ob der Name des erstgenannten Autors (aus forschungsökonomischen Gründen wurde nur dieser erfasst) von einem der 947 berücksichtigten Aufsätze aus Publizistik und M&K mit dem Namen des erst- oder zweitgenannten Autors eines zitierten Werks übereinstimmt. Insgesamt wurden 1.691 Eigenzitate registriert, was einen Anteil von 4,4 % unter den 38.156 Literaturangaben (39.702 abzüglich der Angaben in den Klassikeraufsätzen und zweifach in einem Literaturverzeichnis erschienener Werke) insgesamt ausmacht. Da sich auf den niedrigeren Rangplätzen häufig mehrere Forscher einen Platz teilen, zeigen die vier Listen jeweils leicht unterschiedlich viele Ränge; insgesamt 57 unterschiedliche Personen sind aufgeführt.

Zu den am häufigsten zitierten Autoren kann eine Person auch dann gehören, wenn zwar kein einzelnes ihrer Werke besonders oft zitiert wurde, sie aber eine Vielzahl von Werken verfasst hat, die dann moderat bis mittelmäßig häufig Erwähnung fanden. Bemerkenswert ist, dass sich unter den meistzitierten Autoren mit Elisabeth Noelle-Neumann und Marie-Luise Kiefer nur zwei Frauen befinden.

Mit dem vorliegenden Datensatz konnten neben der Erstellung der Ranglisten auch einige weitere Auswertungen vorgenommen werden. So prüften wir, ob in jüngerer Zeit mehr zitiert wird als früher. Abbildung 2 zeigt zu diesem Zweck das arithmetische Mittel an Zitationen je wissenschaftlichen Aufsatz nach Vierjahreszeiträumen. Dabei wurden 18 Ausreißer mit einer weit überdurchschnittlichen Anzahl zitierter Werke entfernt (s. o.). Bei beiden Zeitschriften zeigt die Grafik einen klaren Anstieg der Zitationen je Artikel ab etwa Mitte der Neunzigerjahre. Eine plausible Erklärung für den Anstieg wären die in diesem Zeitraum beginnende digitale Verfügbarkeit wissenschaftlicher Literatur und die durch das Internet entstehenden zusätzlichen Möglichkeiten, thematisch relevante Literatur zu finden. Beides gestaltet die Literatursuche potenziell effizienter und schafft die Möglichkeit, einen Forschungsstand intensiver aufzuarbeiten.

Abb. 2
figure 2

Mittlere Anzahl an Zitationen je Aufsatz in Vierjahreszeiträumen nach Zeitschrift, n = 929 Literaturverzeichnisse mit insgesamt 36.105 in Literaturverzeichnissen aufgeführten Werken

Auch untersucht wurde, wie sich die Zitationen prozentual auf die in der Studie erfassten erstgenannten Autoren und Werke verteilen. 25 % aller Zitationen entfallen auf die meistzitierten 1,2 % der erstgenannten Autoren (50 % der Zitationen → 8,8 % der Autoren; 75 % der Zitationen → 38,4 % der Autoren). Bei den Werken entfallen 25 % aller Zitationen auf die meistzitierten 8,4 % der in der Studie erfassten Werke (50 % der Zitationen → 35,5 % der Werke, 75 % der Zitationen → 67,7 % der Werke). Schließlich wurde auch analysiert, wie häufig Mehrfachzitierungen desselben Werks in der Stichprobe vorkommen. Dabei zeigte sich, dass die meisten Werke, genauer 86,3 % (25.471 von 29.520 mindestens einmal erscheinenden Werken) in den 947 untersuchten Literaturverzeichnissen nur ein einziges Mal zitiert wurden. 2.476 Werke (8,4 %) erhielten zwei Zitate, 751 Werke (2,5 %) drei Zitate und 342 Werke (1,2 %) vier Zitate. Nur 480 Werke (1,6 %) bekamen fünf oder mehr Zitate. Im arithmetischen Mittel erhielt jedes Werk, das überhaupt in der Werke-Gesamtliste erschien, nur 1,29 Erwähnungen in den 947 Literaturverzeichnissen. Dies bedeutet: Wenige Werke bekommen viel Aufmerksamkeit; viele Werke finden dagegen nur wenig Beachtung (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Häufigkeiten von Zitationen, n = 947 Literaturverzeichnisse mit darin enthaltenen 38.156 Literaturangaben

Unter den nur einfach zitierten Werken gibt es eine größere Anzahl an Primärquellen, bei denen aus offenkundigen Gründen nicht davon auszugehen ist, dass sie mehrfach zitiert werden. Auch befinden sich hierunter viele erst in jüngerer Zeit erschienene Publikationen, bei denen bis zum Jahr 2010 noch nicht viel Gelegenheit bestand, sie zu zitieren. Selbst wenn man dies berücksichtigt, scheint die Zahl der nur einmal zitierten Werke jedoch immer noch sehr hoch zu sein. Für diesen Umstand gibt es zwei mögliche Erklärungen: Zum einen könnte er darauf zurückzuführen sein, dass das Fach der Medien- und Kommunikationswissenschaft von großer Heterogenität und Spezialisierung geprägt ist. Publikationen finden daher oft nur ein kleines Publikum interessierter Spezialisten, die gewillt sind, Forschungsbemühungen weiterzuführen und auf deren Ergebnisse zu verweisen. Zum anderen könnte die hohe Zahl nur einfach zitierter Werke auch darauf verweisen, dass viele Publikationen aufgrund mangelnder Originalität, unklarer Ergebnisse etc. von eher geringer Bedeutung sind.

4 Diskussion: Die Zitationshäufigkeit als Qualitäts- und Reputationsindikator

Die Auszählung von Zitationshäufigkeiten verfolgt häufig das Ziel, die Qualität eines Werkes oder die Reputation eines Forschers zu messen. Die Annahme, dass Zitationshäufigkeiten hierfür einen geeigneten Indikator darstellten, ist weit verbreitet (vgl. exempl. Lin und Kaid 2000, S. 145; Borgmann 1989, S. 594; Tankard et al. 1984, S. 89), und es spricht auch einiges dafür. „The construct validity of citation counts as a measures [sic!] of ‚quality‘ in science derives from the proposition that if a scientist’s work is of value it will be used by others both to build upon and to extend.“ (Lindsey 1989, S. 190) Dem ist grundsätzlich ebenso wenig zu widersprechen wie der Annahme Frühs (2008, S. 14), dass „in einem zweckrationalen und effizienten Wissenschaftsprozess […] gute Leistungen häufiger wahrgenommen werden [müssten] als weniger gute“. Eine hohe Qualität einer Publikation sollte also zu einer hohen Anzahl an Zitationen führen.

Die Zitationshäufigkeit ist aber nicht selbst Bestandteil des Qualitätskonstrukts. Vielmehr ist eine hohe Anzahl von Zitationen nur eine mögliche Folge von hoher Qualität eines Werkes. Die eigentliche Qualität ergibt sich aus der Relevanz der untersuchten Forschungsfrage, der Originalität des Forschungsansatzes, der Plausibilität und Widerspruchsfreiheit der aufgestellten Theorie, der Genauigkeit der empirischen Methode, der Erklärungskraft eines Modells usw. (vgl. Lawani 1986, S. 14 und die von Merton 1957 aufgestellten Überlegungen zu institutional norms, S. 639–642). Dabei wurde zwischen Zitationshäufigkeiten und anderen – teils aber weniger zuverlässig messbaren, weil subjektiven Einschätzungen unterworfenen – Qualitätsindikatoren oft eine gewisse Korrelation festgestellt (vgl. Lindsey 1989, S. 190; Cole und Cole 1967, S. 379).

Ebenso ist jedoch gezeigt worden, dass auch Veröffentlichungen viel zitiert werden, die nach anderen Qualitätsmaßstäben nur als mittelmäßig eingestuft wurden, während Veröffentlichungen, die nach diesen Maßstäben von hoher Qualität waren, nur wenig Beachtung fanden (vgl. Lawani 1986, S. 20). Die Zitationshäufigkeit wird offenbar auch durch andere Faktoren beeinflusst, was ihre Eignung als Qualitätsindikator einschränkt. Früh (2008, S. 14) meint, „dass man das Zitieren gerne nach Sympathie und Antipathie dosiert, dass sich ‚Schulen‘ und Netzwerke bilden, die sich gegenseitig massiv zitieren und Außenstehende gerne übersehen […]“. Denkbar ist zudem, dass bestimmte Werke – besonders Klassikerliteratur – standardmäßig immer wieder zitiert werden, dabei aber unter Umständen nicht einmal vom Autor gelesen wurden. Des Weiteren kann eine hohe Zahl an Zitationen durch Eigenzitate oder eine effiziente Vermarktungsstrategie (vgl. Früh 2008, S. 14) zustande kommen. Qualität ist also nicht unweigerlich dann gegeben, wenn eine Publikation häufig zitiert wird. Sogar der umgekehrte Fall ist denkbar, dass eine Publikation Mängel, Inkonsistenzen oder kontroverse Annahmen enthält, was andere Autoren zu einer Kritik dieses Werks anregt und sich ebenfalls in einer hohen Anzahl an Zitationen niederschlägt (vgl. Lindsey 1989, S. 195–196; Tankard et al. 1984, S. 95). Ein derartiger Effekt könnte zum Beispiel bei der sehr kontrovers diskutierten (vgl. exempl. Merten 1984) Publikation Noelle-Neumanns zur Schweigespirale vermutet werden. Wenn hingegen ein Werk selten zitiert wird, ist nicht zwangsläufig geringe Qualität der Grund dafür, denn dies kann z. B. auch daran liegen, dass das Thema des Werks weniger stark beachtet ist. Dementsprechend gilt: „[A]n approach that relies on citation counts as a measure of quality may too often be measuring what is measurable rather than what is valid.“ (Lindsey 1989, S. 200)

Ähnliche Bedenken bestehen auch bei der Bestimmung der Reputation eines Forschers über die Zitationshäufigkeit. Zu Recht bezeichnete Pierre Bourdieu in „Homo academicus“ die Erwähnung im SSCI als einen der „objektivsten Indikatoren für symbolisches Kapital [Reputation]“ (Bourdieu 1992, S. 135).Footnote 10 Auch ist Franck (2002, S. 19) grundsätzlich zuzustimmen, wenn er schreibt „[t]he form of capital a scientist builds up through the attention she or he earns is called reputation“ (Franck 2002, S. 19). Die hier erwähnte Aufmerksamkeit lässt sich natürlich über Zitationen erfassen, allerdings ist nicht sie allein ausschlaggebend. Wesentlich für eine hohe Reputation ist auch eine positive Anerkennung. Für die Wissenschaft gilt: „Reputation serves as an indicator of the production of truth […]. [I]t is [.] rooted, at a more rudimentary level of expectations, in shared standards of quality.“ (Baumert et al. 1990, S. 398) Wie oben bereits festgestellt, wird aber nicht nur wissenschaftlich Hochwertiges zitiert. Eine Zitation ist also nicht gleichzusetzen mit einer positiven Würdigung einer Veröffentlichung oder einer Person. Gleichzeitig ist sie auch nicht die einzige Art und Weise, wie in der Wissenschaft positive Anerkennung ausgedrückt werden kann – man denke hier zum Beispiel an Preise und Ehrungen.

Eine hohe Anzahl an Zitationen ist somit weder notwendige noch hinreichende Bedingung für das Vorliegen einer hohen Qualität einer wissenschaftlichen Arbeit oder einer hohen Reputation eines Forschers. Trotzdem werden Zitationshäufigkeiten zunehmend genutzt, um Bewerber auf wissenschaftliche Stellen auszuwählen; dies gilt insbesondere für die Ergebnisse des SSCI. Karriereorientierte Forscher haben dafür Anpassungsstrategien entwickelt – mit teilweise problematischen Konsequenzen für das Fach. Fachzeitschriftenartikel gelten, weil sie im SSCI erscheinen, als wertvoller denn Bücher.Footnote 11 Anstatt Forschungsfragen ausführlich in einem längeren Werk zu durchdenken, werden Überlegungen möglichst zahlreich (und oft zerstückelt) in Fachzeitschriften untergebracht. Modethemen werden strategisch ausgewählt, da sie viele Zitationen erwarten lassen (vgl. Lindsey 1989, S. 189). Von einem Wahrheits- und Erkenntnisstreben rücken karriereorientierte Wissenschaftler jedoch nicht ab – davon jedenfalls war z. B. Niklas Luhmann (1990, S. 584) überzeugt: „Man sucht Resultate, die haltbar sind – einstweilen jedenfalls. Das gilt auch dann, wenn die Publikation als solche und mit ihr der Reputationsgewinn das Ziel sind […].“ Wissenschaftler jedoch, die nicht strategisch publizieren, geraten schnell ins Hintertreffen – ungeachtet der Qualität ihrer Forschung.

Wer nun, wie die Autoren dieser Studie, Zitationshäufigkeiten veröffentlicht, treibt diese Entwicklung voran und steht deshalb in einer gewissen Verantwortung. Allerdings räumt die vorliegende Studie solchen Werken und Autoren, die schon seit Langem zugänglich bzw. tätig sind, einen kaum einholbaren Vorteil ein. Somit lassen sich die Ergebnisse eher dazu nutzen, die Klassiker des Fachs zu identifizieren, als die Relevanz aktuell publizierter Studien zu bestimmen. Sie ergänzen damit die bisherigen Vorschläge zur Bildung eines Kanons der Kommunikationswissenschaft (vgl. Meyen und Löblich 2006; Holtz-Bacha und Kutsch 2002; Katz et al. 2002).