1 Transparenz als neue Herausforderung für den Journalismus

Schon länger gilt Transparenz als ein Kriterium journalistischer Qualität (vgl. Ruß-Mohl 1994, S. 96, 2001). Doch wird sie – wenn überhaupt – an hinteren Stellen der Kriterienkataloge erwähnt (vgl. z. B. Bucher und Altmeppen 2003; Rager 1994, S. 200–201). Für Journalisten galt es noch nie als besonders erstrebenswert, offenzulegen, wie sie arbeiten, was sie wissen und auch was sie nicht wissen. Die Frage „woher?“, die Transparenz in die Quellenlage eines Beitrags bringen soll, gilt als die siebte und letzte W-Frage (vgl. La Roche 2008, S. 97–101). In Redaktionen werden andere Werte wie zum Beispiel das Redaktionsgeheimnis traditionell höher gewichtet als die Öffnung einer Redaktion gegenüber dem Publikum (vgl. Meier 2010, S. 154–155). Journalismus war schon immer undurchsichtig (vgl. Ruß-Mohl 1994, S. 224): „Traditionally, journalism has been among the most opaque of industries.“ (Singer 2005, S. 179)

Dies wollen die Protagonisten, die für mehr Transparenz im Journalismus eintreten, radikal ändern. Smith (23. November 2005, 2009) etwa forderte schon Anfang der 1990er-Jahre das Ende der „Festung Redaktion“ und rief dann als Chefredakteur der US-Tageszeitung Spokesman-Review von 2005 bis 2008 die Initiative „transparent newsroom“ aus: Er zeigte Redaktionskonferenzen live im Web, legte die Gründe für redaktionelle Entscheidungen in einem Blog offen und lud Leser zu allen Redaktionskonferenzen ein. In Schweden begann das Nachrichtenmagazin Aktuellt des öffentlich-rechtlichen Senders SVT im Jahr 2007 die Initiative „Öppen redaktion“ und veröffentlichte im Internet zwei Jahre lang täglich mehrere Videoclips aus Redaktionssitzungen und anderen internen Diskussionen. „We let the users take part at our editorial process“, sagte Redaktionsleiterin Landahl (2008). Bei der Tagesschau-Redaktion der ARD bloggen Dutzende Fernseh- und Online-Journalisten – darunter alle Chefredakteure – unter dem Motto „hinter den Nachrichten“ über ihre Arbeit.

Nicht nur Journalisten und Redaktionen in verschiedenen Teilen der Welt mit unterschiedlichen Journalismustraditionen sprechen zunehmend von Transparenz und experimentieren in der täglichen Arbeit damit (vgl. z. B. Deggans 16. Januar 2006; Elia 22. August 2008; Projektteam Hörfunk der bpb 2010; Smolkin 2006). Auch Journalistik-Wissenschaftler beschäftigen sich immer mehr mit diesem Thema: Es wird inzwischen in Handbüchern zur Medienethik (vgl. Craft und Heim 2009; Meier 2010) und in Journalismus-Lehrbüchern (vgl. Kovach und Rosenstiel 2007, S. 92–99) explizit erwähnt, ist Thema von Konferenzen (vgl. Ziomek 2005), von theoretischen Entwürfen (vgl. Allan 2008; Plaisance 2007) und empirischen Studien (vgl. Groenhart 2010; Karlsson 2010; Schulz 2010). Vor allem in Beiträgen zu den sich wandelnden journalistischen Rollen und Werten durch das Internet (vgl. z. B. Hayes et al. 2007; Lasica 12. August 2004; Meier 2003, S. 261–262; Singer 2007) werden Instrumente thematisiert und reflektiert, welche die Transparenz des Journalismus erhöhen. Neue Transparenz-Modelle haben aufgrund der Interaktivität, der Schnelligkeit, der Archivierung und der fehlenden Platzbeschränkung im Internet höhere Potentiale als klassische Instrumente in Print- oder Rundfunkmedien. Im digitalen Journalismus geht es nicht mehr nur darum, Quellen offenzulegen und Fehler zu korrigieren. In Web-Videos, Blogs, Twitter-Feeds und Sozialen Netzwerken diskutieren Journalisten mit Nutzern über redaktionelle Entscheidungen und legen Rechenschaft ab. Nicht nur hochwertig zu arbeiten, sondern dies dem Publikum auch offensiv mitzuteilen und mit ihm über die Qualität der eigenen Arbeit zu diskutieren, ist die neue Richtschnur in vielen Redaktionen.

In den USA haben Zeitungen wie Los Angeles Times, Washington Post oder Wall Street Journal im Jahr 2009 erste Richtlinien für das Verhalten ihrer Journalisten im Internet, speziell in Netzwerken wie Twitter und Facebook, herausgegeben (vgl. z. B. Strupp 2009). Die Nachrichtenagentur Reuters (2010) hat im März 2010 das „Handbook of Journalism“ überarbeitet. Im neuen Abschnitt „Social media guidelines“ heißt es unter der Überschrift „Be transparent“: „We’re in the transparency business and we encourage you to be open about who you are. On your personal blog or social networking profile make it clear that you are a Reuters journalist and that any opinions you express are your own. When you post comments do so under your real name.“ Zum gleichen Zeitpunkt gilt für die Reporter und Redakteure von der Konkurrenz AP (2006) nach wie vor das ehemals in Stein gemeißelte Agentur-Gebot: Es ist ihnen strikt verboten, ihre Meinung zu veröffentlichen – „whether in Web logs, chat rooms, letters to the editor, petitions, bumper stickers or lapel buttons“. Der Vergleich der Handbücher zeigt: Transparenz rüttelt am traditionellen journalistischen Wert der Objektivität.

Warum also mehr Transparenz im Journalismus wagen? Warum sollten Redaktionen über sich selbst reden und das Risiko eingehen, damit die eigene Objektivität zu „unterminieren“ (Karlsson 2008; vgl. auch Weinberger 2009)? Warum sollten Journalisten in einem Beitrag alles offenlegen, was sie wissen? Als ein Vorteil der Transparenz wird immer wieder genannt, dass das Publikum die Nachrichtenmaschine besser verstehen kann und dass sich Redaktionen ihrer öffentlichen Verantwortung mehr bewusst sind, wenn sie offen arbeiten (vgl. Ziomek 2005, S. vii). Beides ist medienethisch wünschenswert. Transparenz ist demnach ein normatives Konstrukt, das mit Verantwortung und der öffentlichen Rechtfertigung journalistischer Praxis untrennbar verbunden ist.

Allerdings steht bei der Forderung nach einem aus sich heraus transparenten Journalismus immer mehr die „Überlebensfähigkeit des Journalismus“ im Zentrum der Begründungen (vgl. z. B. Bartelt-Kircher et al. 2010; Weischenberg et al. 2006, S. 202). Unter Verweis auf die Abnahme der Glaubwürdigkeit und des Vertrauens in die Medien (vgl. z. B. Donsbach et al. 2009; Gronke und Cook 2007) wird Transparenz als der „key to credibility“ (Kovach und Rosenstiel 2007, S. 92) angesehen,Footnote 1 weil sie Qualitätsbewertungen durch das Publikum ermöglicht (vgl. Neuberger 2005, S. 327). Wie in anderen gesellschaftlichen Systemen auch – zum Beispiel in Politik oder Wirtschaft – soll mehr Transparenz dazu beitragen, Vertrauen in Krisenzeiten (wieder-)herzustellen (vgl. Fung et al. 2007; Klenk und Hanke 2009; Schulz 2010).

Es gibt allerdings auch eine Reihe von Risiken, die (zu viel) Transparenz mit sich bringen könnte (vgl. Craft und Heim 2009, S. 223–225; Smolkin 2006): Die Bedenken reichen von der Verschwendung von Zeit, Aufwand und anderen kostbaren Ressourcen über eine mögliche Gefährdung der Autonomie einer Redaktion bis zur Befürchtung, durch zu viele Informationen über eine komplexe Quellenlage könnte die Aufmerksamkeit abgezogen werden von dem, was wirklich wichtig ist.

Ob es sich lohnt, diese Risiken einzugehen, hängt nicht zuletzt davon ab, ob der Zusammenhang, der immer wieder behauptet, aber bisher noch nicht empirisch bewiesen wurde, wirklich existiert: nämlich dass mehr Transparenz tatsächlich zu mehr Vertrauen führt (vgl. O’Neill 2002, S. 63–79).

Mit der (Neu-)Entdeckung der Transparenz stellen sich demnach viele Fragen, die Unsicherheit sowohl in der journalistischen Praxis als auch in der wissenschaftlichen Theoriefindung auslösen. Ziel des Forschungsprojekts, das diesem Beitrag zugrunde liegt, war es daher, einen Teil dieser Forschungsfragen zumindest teilweise zu beantworten:

F1::

Was genau ist Transparenz im Journalismus?

F2::

Wie lassen sich die vielfältigen Instrumente, mit denen Journalisten und Redaktionen Transparenz umsetzen oder verbessern können, unterscheiden und klassifizieren?

F3::

Welche Problemzonen und Konfliktpotentiale lassen sich erkennen? Welche Qualitätsfragen stellen sich deshalb neu, und verändern sich dadurch journalistische Werte?

F4::

Welche Wirkung hat Transparenz auf das Vertrauen von Print-Lesern und Online-Nutzern in journalistische Beiträge?

Die Frage F1 wurde mit einer Literaturstudie beantwortet, die das normative Konzept der Transparenz analytisch-deskriptiv greifbar werden lässt (Kap. 2.1). Den Fragen F2 und F3 ging ein induktives empirisches Verfahren nach: Mit Hilfe von Fallstudien und Interviews wurden alte und neue Instrumente für Transparenz im Journalismus zusammengetragen und in einer Matrix klassifiziert (Kap. 2.2). Dadurch konnten die Problemzonen und Konfliktpotentiale besser analysiert und Grundlagen für praktische Konzepte und weitere empirische Forschung gelegt werden (Kap. 3). Ein hypothesentestendes Experiment untersuchte schließlich die Frage F4 und zeigte so zum ersten Mal, welche Wirkung einzelne Transparenzelemente auf das Publikum haben (Kap. 4).

2 Konzeptionalisierung von Transparenz im Journalismus

Es gibt zwar zunehmend die oben erwähnten redaktionellen Praktiken, die zu mehr Offenheit führen. Doch werden diese in der deutschsprachigen wissenschaftlichen Fachliteratur normalerweise nicht als „transparent“ bezeichnet. Wenn überhaupt, wird Transparenz in den größeren Zusammenhang der Selbstbezüglichkeit des Mediensystems einsortiert – zusammen mit anderen Praktiken wie zum Beispiel dem Teasen von Beiträgen im Programm, der Crosspromotion, der Darstellungsform des Kollegengesprächs (Journalisten interviewen Journalisten) oder der Medienberichterstattung im Allgemeinen. Es wird häufig generell als riskant und gefährlich für den Journalismus sowie für die Vielfalt und Rationalität des öffentlichen politischen Diskurses eingeschätzt, wenn sich Medien auf sich selbst beziehen. Die Rede ist dann nicht von „Transparenz“, sondern von „Selbstreferentialität“ (Blöbaum 1999), von „Selbstthematisierung“ (Hohlfeld 2001; Malik 2004; Weinacht und Hohlfeld 2007), von „Selbstbezüglichkeit“ (Reinemann und Huismann 2007) oder gar von „Selbstverliebtheit“ (Malik 2008), „Eigenlob“ oder „Eigenwerbung“ (Pöttker 2005).

Wir plädieren dafür, redaktionelle Transparenz analytisch aus diesen in Deutschland dominierenden Kontexten zu lösen und sich auf die US-amerikanische Perspektive einzulassen, die Transparenz an sich als Konzept begreift und analysiert. Denn journalistische Transparenz kann deutlich von anderen Bereichen des Phänomens „Medien beziehen sich auf Medien“ differenziert werden, hat – wie hier dargelegt wird – ureigene Frage- und Problemstellungen und sollte deshalb nicht mit anderen Praktiken über einen Kamm geschoren werden.Footnote 2

2.1 Ausdifferenzierung des Konzepts: Selbst- und Fremdtransparenz

Von diesem Standpunkt aus lässt sich Transparenz differenzierter betrachten: So können wir grundsätzlich unterscheiden zwischen Transparenz, die von außen in ein System oder eine Organisation gebracht wird (Fremd-Transparenz), und Transparenz, die von innen aus sich heraus hergestellt wird (Selbst-Transparenz).

Die Kernaufgabe des Journalismus in der modernen Demokratie ist es, durch Berichterstattung (Fremd-)Transparenz in die gesellschaftlichen Verhältnisse zu bringen und dadurch Öffentlichkeit herzustellen (vgl. Pöttker 2010). Aufgrund der zunehmenden Komplexität und Differenzierung der Gesellschaft, aber auch aufgrund eines (vermuteten) Versagens des traditionellen Journalismus und der neuen Möglichkeiten durch das Internet wird immer mehr gefordert, dass Unternehmen, Regierungen, Parteien, Banken, Universitäten, Schulen und Organisationen Selbst-Transparenz herstellen – verstanden als Zweiweg-Kommunikation, die den öffentlichen Diskurs bereichert und Bürger ermächtigt (vgl. Brin 1998; Fung et al. 2007; Kuhn 9. November 2010). Die Rede ist sogar von einem „Glashaus-Zeitalter“ (Klenk und Hanke 2009).

Im Journalismus kann Fremd-Transparenz zum Beispiel durch journalistische Berichterstattung über (andere) Medien (vgl. z. B. Krüger und Müller-Sachse 1998; Malik 2004), durch Medienselbstkontrolle (vgl. z. B. Baum et al. 2005) oder durch Media Watchdogs (vgl. z. B. Wied und Schmidt 2008) zustande kommen.

In diesem Beitrag hingegen geht es um Selbst-Transparenz, also um Transparenz, die ein Autor oder eine Redaktion über sich selbst herstellen kann. Gerade hier ergeben sich – wie einleitend dargelegt wurde – neue Modelle und Fragestellungen in Praxis und Theorie des Journalismus, die noch weitgehend unerforscht sind. Zudem soll hier nicht die (nicht-öffentliche) Transparenz gegenüber Quellen thematisiert werden – also etwa der Verzicht auf Undercover-Recherche –, sondern (öffentliche) Transparenz gegenüber dem Publikum, die nachfolgend näher klassifiziert wird.

2.2 Klassifikation der Transparenz-Instrumente: eine dreidimensionale Matrix

Zur weiteren Präzisierung der Transparenz-Theorie wurden mit Hilfe von Fallstudien und Experteninterviews in einem explorativen induktiven Verfahren möglichst viele unterschiedliche Transparenz-Instrumente gesammelt und klassifiziert. Um verschiedene Journalismuskulturen einzubeziehen, wurden Länder aus allen drei Modellen von Mediensystemen nach Hallin und Mancini (2004) berücksichtigt. In die Analyse flossen mehr als 50 Beispiele aus 20 Redaktionen ein.Footnote 3 Die Beispiele ließen sich zu 19 Transparenz-Instrumenten zusammenfassen, die in einer Transparenz-Matrix (Abb. 1) nach drei Dimensionen klassifiziert werden konnten.

Abb. 1
figure 1

Die dreidimensionale Transparenz-Matrix: In der ersten Dimension geht es darum, ob Transparenz überwiegend in die journalistischen Prozesse oder in den einzelnen Beitrag gebracht wird. Die zweite Dimension unterscheidet zwischen einseitiger und interaktiver Kommunikation. Die dritte Dimension ist farblich markiert (schwarz = traditionelle Instrumente; weiß = Instrumente im Internet)

In der ersten Dimension journalistischer Selbst-Transparenz wird nach den zwei Ebenen unterschieden, auf denen Transparenz hergestellt werden kann und die in der Praxis zwar eng zusammenhängen, analytisch aber getrennt werden können:

  1. 1.

    Die Produkt- oder Beitragsebene: In ihren Beiträgen benennen Journalisten die Quellen und deren Interessen. Sie legen offen, was sie wissen und was sie nicht wissen. Sie verschweigen keine Fragen, die zwar für das Thema relevant sind, aber durch die Recherchen nicht beantwortet werden konnten. Diese Form journalistischer Transparenz wird mit dem wissenschaftlichen Qualitätskriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit verglichen (vgl. Neuberger 2005) und soll das Publikum zumindest theoretisch in die Lage versetzen „to replicate the reporting“ (Kovach und Rosenstiel 2007, S. 96).

  2. 2.

    Die Prozess-Ebene oder Ebene redaktionellen Entscheidens: Redaktionelle Themenauswahl, -platzierung und -bewertung werden begründet und erklärt – also auch die Motive und Hintergründe für die Nachrichtenauswahl. Transparenz legt so das Eigen-Interesse der Redaktion und die Mechanismen der redaktionellen Routine offen.

Diese Offenlegung auf beiden Ebenen widerspricht zu einem großen Teil der journalistischen Tradition: „Make the stories airtight, even omniscient. Never appear unknowing“ (Kovach und Rosenstiel 2007, S. 95), sagt das US-amerikanische Lehrbuchwissen. In Deutschland heißt es, die Geschichte muss „rund“ sein – ohne Unklarheiten und Widersprüche (Pfeil 2006). Und die Redaktion ist traditionell eine „Black box“: „Über sich und die eigene Arbeit zu schreiben“ (Pöttker 2005, S. 126) ist ein professionelles Tabu. Der Schweizer Pressekodex zum Beispiel spricht von der „Berufspflicht, das Redaktionsgeheimnis zu wahren“ (Schweizer Presserat 2010, S. 5). Informanten müssen nach diesem Kodex den Journalisten gegenüber gar nicht begründen, warum sie anonym bleiben wollen: Es reicht aus, wenn sie dies wollen. Im Sinne der Transparenz indes muss die Gefahr, die von einer Namensnennung für die Quelle ausgeht, das öffentliche Interesse an der Offenlegung des Typs und des Eigeninteresses der Quelle überwiegen.

Im Internet dagegen wurde Transparenz generell zu einer wesentlichen Norm für die Verbreitung gesellschaftlich relevanter Themen. Für Blogger ist Transparenz die „goldene Regel“, mit der sie Glaubwürdigkeit erzeugen wollen (vgl. Lasica 12. August 2004, 17. Februar 2005): Sie sollen nach dieser Norm beschreiben, wie, warum und aus welchem Interesse heraus sie ein Thema gecovert haben; die Verlinkung zu Quellen gehört zur Blogger-Routine.

Durch die Unmittelbarkeit des Internets ist es jetzt auch möglich, die Forderung nach Transparenz nicht erst bei oder nach der Veröffentlichung eines fertigen journalistischen Beitrags einzulösen, sondern schon vorher. In Blogs, Foren und Netzwerken wie Twitter und Facebook werfen Redaktionen zusammen mit interessierten Nutzern oder Augenzeugen Recherche-Fragen auf und beantworten diese gemeinsam; Nutzer können die Recherche und die Entstehung eines Beitrags verfolgen und kommentieren – beispielsweise mit dem neuen journalistischen Konzept der „Live-Reportage“ (vgl. z. B. Geißler und Bruch 2010): Was der Journalist „recherchiert, gibt er mehr oder weniger sofort und transparent an den Leser weiter, ebenso legt er seine Vorgehensweise offen“ (Obermayer 9. August 2010). Ein neuer „Prozessjournalismus“ ergänzt dem New Yorker Journalistik-Professor Jeff Jarvis zufolge (z. B. 2006, 2009) den traditionellen „Produktjournalismus“.Footnote 4 Eine Redaktion, die zumindest teilweise nach diesen Prinzipien arbeitet (vgl. z. B. Lüke 2009), öffnet sich zwangsläufig. Nach dem schwedischen Forscher Karlsson (2008) verschwimmt im sich permanent fortschreibenden Nachrichtenzirkel der Online-Berichterstattung die Unterscheidung zwischen „Backstage“ (Sammeln und Verarbeiten von Nachrichten) und „Frontstage“ (veröffentlichte Nachricht) des Journalismus – und damit auch die ehemalige Trennung zwischen (geheimer) Redaktion und (öffentlichem) Beitrag.

Die Möglichkeiten des Internets verwischen entsprechend auch zunehmend die analytische Trennung zwischen Produkt- und Prozessebene der Transparenz: Sind Fehler passiert, verlangt hier eine weitergehende Transparenz nicht nur eine Korrektur der Fakten auf der Beitragsebene, sondern auch eine Erklärung, wie und warum es im journalistischen Prozess dazu kommen konnte. Nutzer-Kommentare unter Online-Artikeln können sich entweder um das Thema des Beitrags drehen oder um den Entstehungsprozess des Beitrags. Beides hängt eng zusammen: Die Diskussion über das Thema kann in Kritik an der Redaktion umschlagen – zum Beispiel über mangelnde Recherche-Sorgfalt oder eine verzerrte Faktenauswahl. Blogs und Twitter-Feeds zu redaktionellen Entscheidungen – und auch als Plattform für Stellungnahmen zu Kritik an der Redaktion – sind in vielen Redaktionen üblich geworden.

Nutzer können im Internet von Anfang an dazu eingeladen werden, sich am Entstehen einer Geschichte zu beteiligen – dies bringt Transparenz in Thema und redaktionellen Prozess: So entsteht zum Beispiel beim Online-Angebot von El Mundo eine „Radiografia del Paro“ (Röntgenaufnahme der Arbeitslosigkeit) mit einer Landkarte, in die die Nutzer ihre eigene Betroffenheit eintragen können. Beim britischen Guardian können die Nutzer 458.832 Seiten mit Spesenabrechnungen von Abgeordneten durchforsten – mehr als 25.000 Nutzer beteiligten sich und stellten das Ergebnis ihrer Recherche in die öffentliche Guardian-Datenbank (vgl. http://mps-expenses.guardian.co.uk) – dieses offene Recherche-Prinzip ist als „Crowdsourcing“ bekannt geworden (vgl. z. B. Andersen 2009).

In der zweiten Dimension journalistischer Selbst-Transparenz geht es darum, ob einseitig kommuniziert oder Interaktivität zugelassen wird. Leserbesuche in Redaktionskonferenzen sind interaktiv; Live-Übertragungen der Konferenz im Web sind einseitig – sofern sie nicht um Diskussionsforen ergänzt werden. Auch wer den redaktionellen Ethik-Code oder redaktionelle Richtlinien ins Internet stellt, schafft einseitig Transparenz. Auf Interaktivität lässt sich dagegen ein, wer sich regelmäßig ans Lesertelefon setzt oder einen Leserbeirat gründet, wie es ihn zum Beispiel seit Oktober 2007 bei Bild gibt.

Die dritte Dimension berücksichtigt, ob journalistische Selbst-Transparenz das Internet braucht oder ob traditionelle Kommunikationswege ausreichen. Es gibt im Print-Journalismus Instrumente, die ohne das Internet auskommen: In einem „Methods Block“ (Clark 2007) oder in Fußnoten kann ein Feature-Autor seinen Rechercheprozess erklären und die Quellenlage kritisch einordnen. Auch in Zeitung oder Zeitschrift können beispielsweise Fußnoten verwendet werden – wie etwa bei der Serie „Enrique’s Journey“ der Los Angeles Times, die 2002 einen Pulitzer-Preis gewann (vgl. Nazario 2007). Allerdings erweitern im Internet „deep links“ auf externe Quellen oder zusätzliches Recherche-Material und Rohdaten auf dem eigenen Server die Möglichkeiten.

Journalisten selbst werden aus der Anonymität geholt und als Personen mit einem menschlichen Gesicht dargestellt: durch Fotos von Reportern und Kommentatoren in der Zeitung oder weiterführend im Internet mit persönlichen Porträts, Biografien und Kompetenznachweisen – bis zur Sammlung aller Beiträge eines Autors im Archiv (z. B. bei Zeit online).

Der traditionelle Ombudsman – auch „public editor“ (NY Times), „readers’ editor“ (Guardian), „Leseranwalt“ (Main-Post) oder „Defensor del Lector“ (El País) genannt – vermittelt auch ohne Internet zwischen Lesern und Redaktion. Mit einer regelmäßigen Kolumne oder einem Blog im Internet kann er aber zusätzlich redaktionelle Routinen und Entscheidungen erklären und mit den Nutzern in ein öffentliches Gespräch kommen.

3 Problemzonen und Konfliktpotentiale: Selbstberichterstattung als Beziehungsmanagement

Aus der Sammlung und Typisierung der Transparenz-Instrumente können wir folgende Schlussfolgerung ziehen: Das Internet erweitert zwar die Möglichkeiten für Transparenz um zusätzliche Instrumente in allen Dimensionen. Aber die größte Herausforderung verläuft nicht an den Linien der Dimensionen 2 und 3. Sie liegt vielmehr darin, ob durch das Transparenz-Instrument die journalistischen Prozesse offengelegt werden sollen oder ob bloß mehr Offenheit in das journalistische Produkt gelangen soll. Die Transparenz des journalistischen Produkts bringt zwar Mehrarbeit für die Redaktion, ist aber lediglich eine handwerkliche Frage und unter normativen Aspekten weitgehend unproblematisch. Wenn die Quellen offengelegt oder verlinkt, Fehler korrigiert werden oder Nutzer und Autor über das Thema eines Beitrags diskutieren, stärkt das die Faktizität und damit die journalistische Qualität. Objektivität strebt dann – wie weiter oben erläutert – sogar sozialwissenschaftliche Reliabilität im Sinne der „checkability“ (McQuail 1992, S. 206) eines Beitrags an.

Die Problemzone liegt dagegen in der Offenlegung der redaktionellen Prozesse. Wenn sich eine Redaktion darauf einlässt, muss sie zwangläufig über sich selbst reden: entweder im persönlichen Face-to-face- oder Telefon-Gespräch mit den Lesern oder öffentlich auf ihren Medien-Plattformen. Selbstberichterstattung ergänzt dann Fremdberichterstattung.

Doch was sind die Qualitätskriterien der Selbstberichterstattung? Kann eine Redaktion „objektiv“ über sich selbst berichten? Objektivität ist offenbar kein sinnvoller Maßstab für die Qualität der Selbstberichterstattung. Es geht vielmehr darum, Vertrauenswürdigkeit durch offene Selbstreflexion zu demonstrieren und eine Beziehung zum Publikum aufzubauen. Dass dies bislang mit dem Ideal eines „objektiven Journalismus“, das Unabhängigkeit mit Unbeteiligtsein gleichsetzt, nicht gelingen konnte, hat Pöttker (2010) ausgeführt: Journalisten und Redaktionen sind immer beteiligt – am Zustandekommen von Öffentlichkeit und damit an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Diese eigene Rolle nicht zu ignorieren sondern offen zu reflektieren – dafür ist Selbst-Transparenz ein Baustein.

Erfahrung in journalistischer Selbstberichterstattung durch offene Selbstreflexion gibt es traditionell nur mit dem Ombudsman, der allerdings – zur Wahrung einer generellen „Objektivität“ – eine spezielle Rolle in der Redaktion einnimmt (vgl. z. B. Elia 2007; Kaltenbrunner 2006). Wenn nun alle Journalisten an der Transparenz redaktioneller Prozesse beteiligt sind, ist eine Rollentrennung nicht mehr möglich. Jeder Journalist schlüpft fallweise in die Rolle des Ombudsmans und ersetzt dann „Objektivität“ mit transparenter Selbstreflexion, der eine neue dialogische Norm (vgl. z. B. Soffer 2009) zu Grunde liegt: Ein offenes Beziehungsmanagement begegnet dem Publikum auf Augenhöhe und verlangt Selbstkritik – und die Bereitschaft, das eigene als falsch erkannte Verhalten zu ändern.

In den Redaktionen ist ein Diskussionsprozess darüber nötig, was „gute“ und „schlechte“ Selbstberichterstattung ist. Transparenz braucht ein schlüssiges redaktionelles Konzept, das Leitplanken bietet für die Gratwanderung zwischen einerseits ethischer Verantwortung, Rechenschaft, Dialog auf Augenhöhe, Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen, und andererseits beschönigender und inszenierter Selbstdarstellung oder eitler und irrelevanter Nabelschau.Footnote 5 Insofern gehören redaktionelle Transparenz und redaktionelles Qualitätsmanagement (vgl. Hermes 2006; Wyss 2002) untrennbar zusammen: Ohne Qualitätsmanagement läuft redaktionelle Transparenz ins Leere.

4 Mehr Vertrauen durch transparenten Journalismus? Ein Experiment

Transparenz in Form von journalistischer Selbstberichterstattung bleibt indes trotz aller gut gemeinten Leitplanken riskant – weil wir zu wenig über ihre Wirkung wissen. In den ersten beiden Kapiteln wurde eine Auswahl der vielzähligen Behauptungen zusammengetragen, dass sich Transparenz im Journalismus positiv auf die Glaubwürdigkeit des Journalismus und das Vertrauen in den Journalismus auswirken soll. Empirische Belege dazu finden sich bislang nicht. Einzig eine Dissertation in den USA hat sich damit beschäftigt – und deren Ergebnisse aus einem experimentellen Forschungsdesign legen sogar die Vermutung des Gegenteils nahe: Roberts (2007a, b) konnte keine Effekte von journalistischer Transparenz auf die Glaubwürdigkeit finden, hatte allerdings auch einige methodische Probleme, die in unserem ExperimentFootnote 6 vermieden werden sollten (vgl. Kap. 4.3). Zudem beschränkten wir uns nicht nur auf Effekte auf die Glaubwürdigkeit, sondern erweiterten die Untersuchung auf das Konzept des Vertrauens in Journalismus (vgl. Kohring 2004; Kohring und Matthes 2004; Matthes und Kohring 2003).

4.1 Vertrauen in Journalismus

Ausgehend von der Beobachtung, dass bisherige Operationalisierungen von Glaubwürdigkeit des bzw. Vertrauen in Journalismus gravierende Mängel in ihrer theoretisch-methodischen Fundierung aufweisen und nicht empirisch validiert wurden, entwickeln Matthes und Kohring (2003) ein Verständnis, nach dem Vertrauen in Journalismus das Vertrauen in seine spezifische Selektivität darstellt: Die Kontingenz dieser Selektivität mache es „prinzipiell riskant, dem eigenen Handeln journalistische Informationsangebote zu Grunde zu legen […]. Diese als Risiko wahrgenommene Ungewissheit einer komplexen Zukunft wird durch Vertrauen kompensiert.“ (Matthes und Kohring 2003, S. 10). Aus dieser Funktion von Vertrauen leiten sie ihr Modell ab, das folgende vier Dimensionen umfasst (vgl. Kohring und Matthes 2004, S. 378–379; Matthes und Kohring 2003, S. 11):

  1. 1.

    Vertrauen in Themenselektivität: Das Publikum vertraut darauf, dass Journalismus die relevanten Themen auswählt und über sie berichtet.

  2. 2.

    Vertrauen in Faktenselektivität: Weiter vertraut das Publikum darauf, dass Journalismus zu diesen Themen jeweils die relevanten Fakten selektiert und darstellt.

  3. 3.

    Vertrauen in die Richtigkeit von Beschreibungen: Dieser Faktor entspricht der „Glaubwürdigkeit“ von Journalismus und bezeichnet das Vertrauen in die nachprüfbare Richtigkeit des Dargestellten.

  4. 4.

    Vertrauen in explizite Bewertungen: Hier geht es darum, dass das Publikum explizit vorgenommenen Bewertungen wie etwa Kommentaren vertraut.

Auf Basis dieser Überlegungen und qualitativer Vorstudien erarbeiten die beiden Forscher eine Item-Skala, die in ihrer revidierten Form durch eine konfirmatorische Faktorenanalyse empirisch validiert wurde (vgl. Kohring und Matthes 2004). Hiermit stellen sie ein Messinstrument bereit, das – so die Autoren – die anwendungsorientierte Journalismusforschung befördern könne, indem es die theoretisch-methodisch fundierte „Diagnose von Vertrauensproblemen“ (Kohring und Matthes 2004, S. 20) sowie die Wirksamkeitsprüfung von Therapievorschlägen erlaube – eine Anregung, die im nachfolgend beschriebenen Experiment unseres Wissens erstmalig aufgegriffen wurde.

4.2 Hypothesen

Auf Grundlage der theoretischen Vorüberlegungen aus den vorhergehenden Kapiteln wurden zur Forschungsfrage 4 die in Tab. 1 aufgeführten Prüfhypothesen gebildet. H 4.2.2 basiert dabei auf der Überlegung, dass eine grundsätzlich höhere Vertrauenswürdigkeit des Verbreitungsmediums Print gegenüber dem relativ anonymen und manipulierbaren Internet den in H 4.2.1 beschriebenen Effekt überkompensiert.

Tab. 1 Prüfhypothesen

4.3 Das Design des Experiments

Als Stimulus wurde ein journalistischer Artikel erstellt, dessen Layout keine bestimmte journalistische Marke erkennen ließ. So war gewährleistet, dass nicht das Vertrauen in einen spezifischen Medientitel gemessen wurde, sondern nur der Effekt der Transparenz-Elemente. Nach den oben erwähnten Erfahrungen von Roberts (2007a, b) war zudem entscheidend, dass das Beitragsthema für möglichst viele Leser relevant, ihnen aber noch eher unbekannt ist: Sie sollten den Artikel nicht danach bewerten, ob er ihre schon bestehende Meinung bestätigt oder nicht. Das bedeutete auch, dass es sich um ein kontroverses Thema handeln musste, zu dem widerstreitende Meinungen in ausgewogenem Verhältnis dargestellt werden konnten. Daher wurde als Thema des Beitrags der Vorschlag des ehemaligen EU-Gesundheitskommissars Günter Verheugen ausgewählt, das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Medikamente zu lockern. Der fertige Artikel stellte schließlich die Argumente der Befürworter und Gegner von Verheugens Antrag zu gleichen Teilen einander gegenüber.

Durch Ergänzung des Textes um die in Tab. 2 aufgeführten Operationalisierungen von Intransparenz sowie Beitrags- und/oder redaktioneller Transparenz entstanden vier Varianten unterschiedlichen Transparenzgrades, die jeweils in Print- und Onlineform vorlagen (4 ´ 2-Design).

Tab. 2 Operationalisierung von Intransparenz sowie Beitrags- und redaktioneller Transparenz im Experiment: die Transparenz-Elemente der vier Artikelversionen

Den auf Grundlage einer Quotierung nach soziodemographischen MerkmalenFootnote 7 rekrutierten Probanden wurde randomisiert jeweils eine der acht Beitragsversionen zugewiesen, ohne dass sie von den anderen sieben Varianten wussten. Der Gegenstand der Befragung wurde ihnen gegenüber sehr allgemein als „Qualität im Journalismus“ bezeichnet. Die erhaltene Artikelversion rezipierten die Probanden einzeln unter möglichst natürlichen Umständen, um sie anschließend mit denjenigen Items von Kohring und Matthes (2004) zu bewerten, die sich zur Einschätzung eines einzelnen Beitrags eignen: Auf einer Skala von 1 („trifft überhaupt nicht zu“) bis 7 („trifft voll und ganz zu“) sollten sie angegeben, wie stark die in Tab. 3 aufgeführten Aussagen auf die Beitragsversion zutreffen.

Tab. 3 Items zur Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit des Stimulus-Artikels, geordnet nach den Dimensionen von Vertrauen in Journalismus nach Kohring und Matthes (vgl. Kap. 4.1)

Zusätzlich wurden einige soziodemographische Merkmale (Alter, Geschlecht, formaler Bildungsgrad, Tätigkeit) sowie die Häufigkeit der Rezeption von Zeitungs- und Online-Informationsangeboten erhoben.

Insgesamt nahmen 814 Personen am Experiment teil. Nach Bereinigung des Materials blieben 786 Datensätze, die sich wie in Tab. 4 dargestellt über die acht Versuchsgruppen verteilten.Footnote 8

Tab. 4 Fallzahlen der acht Versuchsgruppen

4.4 Ergebnisse

Zur Prüfung der Hypothesen wurden die Bewertungen jeweils zweier Artikelversionen für jedes der acht Items einander gegenübergestellt und Enge sowie Richtung des Zusammenhangs zwischen unabhängiger (Transparenzniveau bzw. Verbreitungsart) und abhängiger Variable (Höhe des Vertrauens hinsichtlich eines Items) über den Spearman’schen Rangkorrelationskoeffizienten rs bzw. den biserialen Rangkorrelationskoeffizienten rbisR bestimmt.

Hypothese 4.1.1: Einem beitragstransparenten Artikel wird mehr Vertrauen entgegengebracht als einem intransparenten.

Bei den Printartikeln dieser Transparenzgrade zeigt sich, dass Produkttransparenz zu geringfügig mehr Vertrauen darin führt, dass die wesentlichen Punkte berücksichtigt werden (Item 1) und die Fakten einer Überprüfung standhalten würden (Item 5). Bei den 30- bis 44-Jährigen ergibt sich im Print zudem ein positiver Einfluss von Beitragstransparenz auf die Einschätzung der Wahrheit der mitgeteilten Informationen (Item 6) sowie der Korrektheit ihrer Wiedergabe (Item 7). Besonders der Effekt bezüglich Item 5 wurde so auch erwartet: Durch die genauen Quellenhinweise in den Fußnoten der produkttransparenten Version sollte sich der Leser eher dazu in der Lage fühlen, die Darstellung ohne großen Aufwand anhand der Originaldokumente auf ihre Richtigkeit testen zu können, und deshalb auch eher vermuten, dass sie diesen Test bestehen würde. (Vgl. Tab. 5)

Tab. 5 Korrelationen zwischen Transparenzniveau und Vertrauenseinschätzung der Artikelversionen (1) und (2) bzw. (5) und (6)

Umso mehr verwundert es, dass eine Wirkung von Beitragstransparenz online nicht ohne Weiteres nachgewiesen werden konnte, obwohl die direkte Verlinkung der Quellen die Überprüfung nochmals erleichtern dürfte. Die Ursache könnte darin liegen, dass Links – obwohl der Leser über sie schneller zu den Quellen gelangt als über die Fußnoten im gedruckten Artikel – wiederum nur zu eher anonymen und manipulierbaren Internet-Dokumenten führen. Betrachtet man allerdings nur die Gruppe der Abiturienten und Akademiker, finden sich die gleichen Effekte wie bei den Printversionen – und sogar in stärkerem Maße. (Vgl. Tab. 5)

Hypothese 4.1.2: Einem redaktionell-transparenten Artikel wird mehr Vertrauen entgegengebracht als einem intransparenten.

Bei den Zeitungsartikeln hatte Prozesstransparenz keinen signifikanten Effekt. Im Netz-Journalismus hingegen steigert sie signifikant das Vertrauen, dass die wichtigsten Fakten und Standpunkte zu einem Thema ausgewählt (Item 1) und korrekt gewichtet wurden (Item 2). Außerdem gehen die Leser offenbar eher davon aus, dass ein Beitrag aus mehreren Blickwinkeln berichtet (Item 4) und Kritik angemessen wiedergibt (Item 8), wenn sie bei Bedarf die redaktionellen Entscheidungen einsehen könnten. Insgesamt ist es plausibel anzunehmen, dass insbesondere ein Autor, der sich mit Namen und Gesicht für das von ihm Veröffentlichte verantwortlich zeigt und laut Vita über journalistische Erfahrung verfügt, der Anonymität des Web entgegenwirkt und somit dort Vertrauen weckt. (Vgl. Tab. 6)

Tab. 6 Korrelationen zwischen Transparenzniveau und Vertrauenseinschätzung der Artikelversionen (5) und (7)

Hypothese 4.1.3: Einem beitrags- und redaktionell-transparenten Artikel wird mehr Vertrauen entgegengebracht als einem intransparenten.

Im Print ergeben sich hier ähnliche Ergebnisse wie beim Vergleich von intransparentem und (nur) produkttransparentem Zeitungsbeitrag: Beitrags- und Prozesstransparenz zusammen scheinen hier nicht stärker positiv zu wirken als erstere allein (vgl. Tab. 7 und Hypothese 4.1.1). Dies bekräftigt nochmals die Ablehnung der Hypothese 4.1.2 für gedruckte Artikel.

Tab. 7 Korrelationen zwischen Transparenzniveau und Vertrauenseinschätzung der Artikelversionen (1) und (4) bzw. (5) und (8)

Interessant ist, dass hingegen die Verbindung von Produkt- und Prozesstransparenz die Vertrauenswürdigkeit eines Online-Artikels im Vergleich zu lediglich redaktioneller Transparenz nochmals steigert: Die Leser vermuten dann eher, dass die Aussagen im Beitrag auch einer Überprüfung standhalten würden (Item 5). (Vgl. Tab. 7)

Hypothese 4.1.4: Einem beitrags- und redaktionell-transparenten Artikel wird mehr Vertrauen entgegengebracht als einem nur beitragstransparenten.

Der Vergleich von beitrags- und volltransparenter Printversion weist ein weiteres Mal darauf hin, dass die Hypothese 4.1.2 für Zeitungen nicht ohne Weiteres haltbar ist: Die Ergänzung von Produkt- durch redaktionelle Transparenz hatte lediglich bei der Gruppe der 15- bis 29-Jährigen einen positiven Effekt auf das dem Artikel entgegengebrachte Vertrauen. Warum hier gerade und nur diese Befragten so reagieren, müsste durch weitere Untersuchungen geklärt werden. Online hingegen führt die zusätzliche Prozesstransparenz – wie bei den vorhergehenden Ergebnissen zu erwarten – bei allen Probandengruppen zu einem signifikanten Vertrauenszuwachs. (Vgl. Tab. 8)

Tab. 8 Korrelationen zwischen Transparenzniveau und Vertrauenseinschätzung der Artikelversionen (2) und (4) bzw. (6) und (8)

Hypothese 4.1.5: Einem beitrags- und redaktionell-transparenten Artikel wird mehr Vertrauen entgegengebracht als einem nur redaktionell-transparenten.

Die bisher besprochenen Zusammenhänge werden auch durch den Vergleich zwischen den redaktionell und den voll transparenten Artikelversionen gestützt: Im Print zeigt sich insbesondere bei den Abiturienten und Akademikern ein positiver Einfluss der hinzugefügten Produkttransparenz, wohingegen der Effekt im Web-Journalismus begrenzt scheint. (Vgl. Tab. 9)

Tab. 9 Korrelationen zwischen Transparenzniveau und Vertrauenseinschätzung der Artikelversionen (3) und (4) bzw. (7) und (8)

Hypothese 4.2.1: Selbst-Transparenz-Elemente haben online eine größere positive Wirkung auf die Vertrauenswürdigkeit eines journalistischen Beitrags als in Print-Form.

Aus dem Vorhergehenden wird deutlich, dass dieser Hypothese nur teilweise zugestimmt werden kann: Beitragstransparenz hat online sogar eine geringere positive Wirkung als im Print. Die Verbindung von Beitrags- und Prozesstransparenz scheint aber online ein höheres Potential an Vertrauensbildung zu entfalten als in der Zeitung (vgl. Tab. 5, 6, 7, 8 und 9).

Hypothese 4.2.2: Bei gleichem Transparenzniveau wird einem Print-Artikel mehr Vertrauen entgegengebracht als einem Online-Beitrag.

Die letzte Einschätzung zu Hypothese 4.2.1 spiegelt sich auch im Vergleich von Print- und Webbeiträgen gleichen Transparenzniveaus wider: Während der intransparente Zeitungsartikel noch einen leichten Vertrauensvorteil vor seinem Online-Pendant genießt, konnte bei den volltransparenten Versionen kein Unterschied mehr festgestellt werden (vgl. Tab. 10).

Tab. 10 Korrelationen zwischen Transparenzniveau und Vertrauenseinschätzung der Artikelversionen (1) und (5), (2) und (6) bzw. (3) und (7)

4.5 Reflexion und Ausblick

Wenn auch nicht alle auf den theoretischen Vorüberlegungen basierenden Hypothesen bekräftigt werden konnten, so zeigen die unterschiedlichen Wirkungen der Transparenzelemente auf Prozess- und Produktebene dennoch, dass die analytische Trennung von Transparenzinstrumenten in dieser Dimension theoretisch sinnvoll ist und heuristischen Wert besitzt.

Bisher empirisch nicht belegte, aber vor allem in der Ratgeberliteratur immer wieder behauptete Annahmen müssen künftig deutlich vorsichtiger und differenzierter betrachtet werden: Links zu Quellen im Online-Journalismus (vgl. Meier 2002, S. 120–129) zum Beispiel sind nicht grundsätzlich vertrauenswürdiger, sondern wirken vor allem in Kombination mit redaktioneller Offenheit. Im Print-Journalismus dagegen bringen Selbstdarstellung und die Nennung von Kontaktmöglichkeiten des Autors (vgl. Initiative Tageszeitung 2007) keinen Vertrauenszuwachs; vielmehr sollte in Beiträgen offen mit Quellen umgegangen werden.

Einschränkend ist allerdings zu sagen, dass die gefundenen Korrelationen in der Regel eher schwach ausgeprägt sind. Und es wurde auch nur der Effekt eines einmaligen Einsatzes von Transparenz-Elementen gemessen. Es ist jedoch plausibel anzunehmen, dass Vertrauen langsam über wiederholte positive Erfahrungen aufgebaut wird. Selbst-Transparenz von Redaktionen könnte so bei mehrfachem Gebrauch durchaus zu einem stärkeren Vertrauenszuwachs in ein journalistisches Produkt und in eine Redaktion führen – vor allem im Kontext eines umfassenden Qualitätsmanagements. Dafür haben wir erste Indizien gefunden; der Zusammenhang müsste indes mit einem anderen, eventuell längerfristigen Forschungsdesign nicht im Labor, sondern im Feld weiter untersucht werden.