»Türme ziehen an. Ich kann nicht erklären, woran das liegt. Man muß einfach hin und wenigstens probieren, ob da eine Treppe ist und die Tür offen. […] Das Turmtor oben läßt sich als Feuilleton verwenden, als Flüsterbogen für vertrauliche Mitteilungen, die jeder hört, wenn er seine Nase an die richtige Stelle legt […].«
Heinz Knobloch: 35 Minuten in Putlitz (in: Knobloch 1979: 127f.).
»Gelesen habe ich sie [die 〉Wochenpost〈] von vorn bis hinten, mit Ausnahme der Seiten 4 und 5. Mir gefielen die Lobhudeleien nicht. […] Die Feuilletons von Herrn Knobloch las ich besonders gern. Vor allem das, was zwischen den Zeilen stand.«
Marianne S., Kleineichstädt, 〉Wochenpost〈 14.11.1990 (zit. nach Polkehn 1997: 324).
Zusammenfassungen
Unter dem Einfluss der Systemtheorie hat die Kommunikationswissenschaft weitgehend darauf verzichtet, individuellen journalistischen Leistungen nachzuspüren. Sie begibt sich damit der Möglichkeit, Textformen zu erkennen und zu deuten, die von Funktionsnormen abweichen und dennoch (oder gerade deshalb) publizistisch wirken. Vor allem in unfreien Gesellschaften erlaubt zum Beispied das Genre Feuilleton eigenwilligen und spöttischen Einspruch gegenMachthaber und Systeme. Beispielhaft stehen dafür Prosaminiaturen, die Heinz Knobloch über Jahrzehnte in der 〉Wochenpost〈 veröffentlichte. Unter DDR-Lesern außerordentlich beliebt, ermöglichten sie Woche für Woche Ausflüge in den Freiraum zwischen den Zeilen. Der Aufsatz zeigt mit einer Inhaltsanalyse von vier Feuilletons exemplarisch auf, wie der Autor den Alltag in der DDR in seiner Doppelbödigkeit eingefangen und ironisch pointiert hat. So wird eine Facette der DDR-Publizistik erkennbar, von der die Forschung bislang nur wenig Notiz genommen hat.
Abstract
Under the influence of systems theory, communication research has largely neglected to investigate individual journalistic performances. It thus abandons the possibility of recognizing and interpreting text forms that deviate from functional norms and still (or therefore) have effects. Primarily in illiberal societies, feature texts allow for original and mocking objections to those who wield power, and to the systems. An example of this are the prose miniatures that Heinz Knobloch published in 〉Wochenpost〈 over several decades. Extraordinarily well-liked among readers in the German Democratic Republic (GDR), they enabled their public to make trips into the space between the lines. In a content analysis of four features, the article demonstrates how the author captured, and ironically pointed at, the everyday reality of the GDR in its ambiguity. In this way, a facet of GDR mass communication so far hardly noticed by research becomes recognizable.
Article PDF
Avoid common mistakes on your manuscript.
Literatur
Auburtin, Victor (2000): Sündenfälle. Feuilletons. Hrsg. von Heinz Knobloch. Berlin.
Austermann, Anton (1995): Unter der Maske des Berufs das Gesicht wahren. Die Wiederentdeckung der journalistischen Persönlichkeit. In: Aviso, 6. Jg., Nr. 14, S. 7–10.
Badstübner, Evemarie (1999): Auf 80 Seiten um die Welt. Das Magazin zwischen 1954 und 1970. In: Barck, Simone/ Langermann, Martina/ Lokatis, Siegfried (Hrsg.): Zwischen »Mosaik« und »Einheit«. Zeitschriften in der DDR. Berlin, S. 189–201.
Barck, Simone/ Langermann, Martina/ Lokatis, Siegfried (1999): Abenteuer im Zeitschriften-Leseland DDR. In: Barck, Simone/ Langermann, Martina/ Lokatis, Siegfried (Hrsg.): Zwischen »Mosaik« und »Einheit«. Zeitschriften in der DDR. Berlin, S. 13–21.
Baum, Achim (1994): Journalistisches Handeln. Eine kommunikationstheoretisch begründete Kritik der Journalismusforschung. Opladen.
Bender, Hans (Hrsg.) (1965): Klassiker des Feuilletons. Stuttgart.
Bürger, Ulrich (1990): Das sagen wir natürlich so nicht! Donnerstags-Argus bei Herrn Geggel. Berlin.
Dietz, Thomas (1997): »Ich schreibe in aller Naivität. Mit Absicht.« Berliner Profile: Heinz Knobloch, Flaneur, Feuilletonist, Stadtpoet. In: »Die Welt«, Nr. 260 vom 07.11.
Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) (1979): Die Massenmedien der DDR. Presse, Rundfunk, Fernsehen und Literaturbetrieb im Dienste der SED. Bonn.
Gaus, Günter (1993): Porträts 4. Günter Gaus im Gespräch mit Ulf Fink, Bernhard Vogel, Gustav Just, Thomas Langhoff, Gisela Oechelhaeuser, Friedrich Wolff, Albert Hetterle, Ellen Brombacher. Berlin.
Geserick, Rolf (1989): 40 Jahre Presse, Rundfunk und Kommunikationspolitik in der DDR. München.
Geserick, Rolf (1999): Registriert und übersehen. DDR-Zeitschriften in der bundesdeutschen Kommunikationsforschung. In: Barck, Simone/ Langermann, Martina/ Lokatis, Siegfried (Hrsg.): Zwischen »Mosaik« und »Einheit«. Zeitschriften in der DDR. Berlin, S. 22–31.
Geserick, Rolf/ Kutsch, Arnulf (1988): Einführung. In: Geserick, Rolf/ Kutsch, Arnulf (Hrsg.): Publizistik und Journalismus in der DDR. Acht Beiträge zum Gedenken an Elisabeth Löckenhoff. München, New York, London, Paris, S. 13–15.
Grobe, Daniela (1995): Journalismus und Journalistik unter Parteidiktat. Die Nachricht in der journalistischen Methodik der DDR. Ein informationspolitisches Beispiel. Egelsbach, Frankfurt/Main, Washington.
Haacke, Wilmont (1951–1953): Handbuch des Feuilletons. 3 Bde. Emsdetten.
Haas, Hannes (1999): Empirischer Journalismus. Verfahren zur Erkundung gesellschaftlicher Wirklichkeit. Wien, Köln, Weimar.
Holzweißig, Gunter (1983): Massenmedien in der DDR. Berlin.
Holzweißig, Gunter (1991): DDR-Presse unter Parteikontrolle. Kommentierte Dokumentation. Bonn.
Hömberg, Walter/ Kutsch, Arnulf/ Pöttker, Horst (1999): Publizistische Persönlichkeiten und politisches Engagement. In: Koszyk, Kurt: Publizistik und politisches Engagement. Lebensbilder publizistischer Persönlichkeiten. Herausgegeben und eingeleitet von Walter Hömberg, Arnulf Kutsch und Hörst Pöttker. Münster, S. 9–14.
Ihme-Tuchel, Beate (2000): Die SED und die Schriftsteller 1946 bis 1956. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B13/2000, Beilage zur Wochenzeitung »Das Parlament« vom 24. März 2000, S. 3–10.
Judt, Matthias (Hrsg.) (1998): DDR-Geschichte in Dokumenten. Beschlüsse, Berichte, interne Materialien und Alltagszeugnisse (= Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 350). Bonn.
Kauffmann, Kai (2000): Zur derzeitigen Situation der Feuilleton-Forschung. In: Kauffmann, Kai/ Schütz, Erhard (Hrsg.): Die lange Geschichte der Kleinen Form. Beiträge zur Feuilletonforschung. Berlin, S. 10–24.
Kauffmann, Kai/ Schütz, Erhard (Hrsg.) (2000): Die lange Geschichte der Kleinen Form. Beiträge zur Feuilletonforschung. Berlin.
Kluge, Ulrich/ Birkefeld, Steffen/ Müller, Sylvia (1997): Willfährige Propagandisten. MfS und SED-Bezirkszeitungen. Stuttgart.
Knobloch, Heinz (1962): Vom Wesen des Feuilletons. Mit Studienmaterial Theorie und Praxis des Feuilletons. Halle.
Knobloch, Heinz (1966): Du liebe Zeit. Feuilletons mit einem eigenmächtigen Nachwort. Halle.
Knobloch, Heinz (1971): Bloß wegen der Liebe. Feuilletons mit einem Nachwort. Halle, Leipzig.
Knobloch, Heinz (Hrsg.) (1973): Allerlei Spielraum. Feuilletons aus 225 Jahren. Berlin.
Knobloch, Heinz (1974a): Stäubchen aufwirbeln. Feuilletons. Halle, Leipzig.
Knobloch, Heinz (Hrsg.) (1974b): Kreise ziehen. Feuilletons aus unseren Jahren. Berlin.
Knobloch, Heinz (1975): Das Lächeln der Zeitung. Halle, Leipzig.
Knobloch, Heinz (1979): Mehr war nicht drin. Feuilletons und Fotos von Assuan bis Werneuchen. Halle, Leipzig.
Knobloch, Heinz (1986): Zur Feier des Alltags. Feuilletons. Ausgewählt und herausgegeben von Jürgen Borchert. Halle, Leipzig.
Knobloch, Heinz (1996): Mißtraut den Grünanlagen! Extrablätter. Berlin.
Knobloch, Heinz (1999a): Mit beiden Augen. Von Dresden nach Tennessee. Frankfurt/Main.
Knobloch, Heinz (1999b): Mit beiden Augen. Mein Leben zwischen den Zeilen. Frankfurt/Main.
Kuhlmey, Astrid (1996): Bunte Hunde. Interview mit Dieter Kranz. In: Steul, Willi (Hrsg.): Genosse Journalist. Eine Sendereihe im DeutschlandRadio Berlin. Mainz, S. 60–68.
Langenbucher, Wolfgang R. (1994): Journalismus als Kulturleistung. Aufklärung, Wahrheitssuche, Realitätserkundung. In: Aviso, 5. Jg., Nr. 11, S. 7–10.
Löffler, Dietrich (1999): Publikumszeitschriften und ihre Leser. Zum Beispiel: Wochenpost, Freie Welt, Für Dich, Sybille. In: Barck, Simone/ Langermann, Martina/ Lokatis, Siegfried (Hrsg.): Zwischen »Mosaik« und »Einheit«. Zeitschriften in der DDR. Berlin, S. 48–60.
Maaz, Hans-Joachim (1990): Der Gefühlsstau. Ein Psychogramm der DDR. Berlin.
Mühlberg, Dietrich (1999): Alltag in der Medienöffentlichkeit. Illustrierte Zeitschriften und Magazine als Quelle kulturhistorischer Forschung. In: Barck, Simone/ Langermann, Martina/ Lokatis, Siegfried (Hrsg.): Zwischen »Mosaik« und »Einheit«. Zeitschriften in der DDR. Berlin, S. 32–47.
Neverla, Irene (1998): Gewissheiten der Journalistikwissenschaft: Sichere Referenzpunkte in Bewegung. In: Publizistik, 43. Jg., S. 292–294.
Otto, Elmar Dieter (1979): Nachrichten in der DDR. Eine empirische Untersuchung über »Neues Deutschland«. Köln.
Pannen, Stefan (1992): Die Weiterleiter. Funktion und Selbstverständnis ostdeutscher Journalisten. Köln.
Polgar, Alfred (1992): Das Wiener Feuilleton (1906). In: Langenbucher, Wolfgang R. (Hrsg.): Sensationen des Alltags. Meisterwerke des modernen Journalismus. München, S. 352–356.
Polkehn, Klaus (1997): Das war die Wochenpost. Geschichte und Geschichten einer Zeitung. Berlin.
Polkehn, Klaus (1999): Ein Nischenblatt? Die Wochenpost als »sozialistische Familienzeitschrift«. In: Barck, Simone/ Langermann, Martina/ Lokatis, Siegfried (Hrsg.): Zwischen »Mosaik« und »Einheit«. Zeitschriften in der DDR. Berlin, S. 61–68.
Raue, Günter (1986): Geschichte des Journalismus in der DDR (1945–1961). Leipzig.
Reck, Roland (1996): Wasserträger des Regimes. Rolle und Selbstverständnis von DDR-Journalisten vor und nach der Wende 89/90. Münster.
Reus, Gunter (1998): Herr Fuchs im Hühnerhaus. Journalistik als Sozialwissenschaft mit kulturellem Gewissen. In: Publizistik, 43. Jg., S. 250–259.
Schütt, Hans-Dieter (1998): Gerhard Gundermann: Rockpoet und Baggerfahrer. Berlin.
Sösemann, Bernd (Hrsg.) (1993): Theodor Wolff. Der Journalist. Berichte und Leitartikel. Düsseldorf, Wien, New York, Moskau.
Sösemann, Bernd (2000): Politik im Feuilleton — Feuilleton in der Politik. überlegungen zur kommunikationshistorischen Bedeutung literarischer Texte und zu ihrer medienwissenschaftlichen Interpretation. In: Kauffmann, Kai/ Schütz, Erhard (Hrsg.): Die lange Geschichte der Kleinen Form. Beiträge zur Feuilletonforschung. Berlin, S. 40–59.
Stegert, Gernot (1998): Feuilleton für alle. Strategien im Kulturjournalismus der Presse. Tübingen.
Stiehler, Hans-Jörg (1990): Medienwelt im Umbruch. Ansätze und Ergebnisse empirischer Medienforschung in der DDR. In: Media Perspektiven, 28. Jg., Nr. 2, S. 91–103.
Walter, Joachim (1999): Sicherheitsbereich Literatur: Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin.
Weber, Hermann (1991): DDR. Grundriss der Geschichte. Vollständig überarbeitete und ergänzte Neuauflage. Hannover.
Weiß, Konrad (1996): Mediendemokratie. In: Steul, Willi (Hrsg.): Genosse Journalist. Eine Sendereihe im DeutschlandRadio Berlin. Mainz, S. 104–106.
Wolle, Stefan (1998): Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971–1989 (= Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 349). Bonn.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Additional information
Dipl. Journ. Jürgen Reifarth ist Studienleiter für politische Jugendbildung der Evangelischen Akademie Thüringen in Neudietendorf.
Dr. Gunter Reus lehrt als außerplanmäßiger Professor am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung der Hochschule für Musik und Theater Hannover.
Beide Autoren sind Herausgeber des Bandes »Heinz Knobloch: Lässt sich das drucken? Feuilletons gegen den Strich«, der in Kürze in der Reihe »Druck-Sache« (UVK Medien, Konstanz) erscheinen wird.
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Reifarth, J., Reus, G. »Mich aber mag das Gesetz recht eigentlich nicht«. Pub 47, 1–20 (2002). https://doi.org/10.1007/s11616-002-0001-5
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s11616-002-0001-5