1 Einleitung

„We all know perfectly well, what it is – until someone asks us“, schrieb der Soziologe Robert Bierstedt Mitte des letzten Jahrhunderts zum Stichwort ‚Macht‘ (1950, S. 733). Dreißig Jahre früher tat sich Max Weber mit dem Begriff noch deutlich leichter und definierte Macht pragmatisch als „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht“ (Weber1922/1976, § 16, 28). Diese Setzung verweist – so viel sie ansonsten auch offen lässt – auf eine Lokalisierung von Macht auf der Handlungsebene, d. h. Weber fokussiert auf Aushandlungsprozesse zwischen Subjekten, kollidierende Interessen und gegenseitige Beeinflussung; Machtmittel, machtvolle Ressourcen, können dabei, klug eingesetzt, zu Chancen werden.

Bei der Wahl und dem Einsatz dieser Mittel allerdings gilt die in der Geschlechterforschung vielfach bestätigte Erkenntnis, dass es ‚noch lange nicht dasselbe ist, wenn zwei das Gleiche tun‘. Das Streben nach Macht ist im weiblichen Geschlechterstereotyp nicht enthalten (Eckes2010, S. 179) und das Einnehmen machtvoller Positionen für Frauen gesellschaftlich kaum vorgesehen (Ortmann2005); so finden sich „(…) über die geschlechtsspezifische Codierung von Machtmitteln und die Sanktionierung von Machteinsätzen bei Frauen bis hin zu Strategien von Frauen, Machtmittel zu verweigern“ (Löw2009, S. 8) diverse Gründe dafür, dass die Chancen, von denen Weber spricht, nach wie vor äußerst ungleich verteilt sind.

Aktuelle empirische Untersuchungen legen zudem nahe, dass Macht für Frauen einen geringeren Stellenwert hat als für Männer; dies war z. B. das Ergebnis einer Langzeitbefragung von 21.000 Hochschulabsolvent/innen zu ihren Lebenszielen (Informationsdienst Wissenschaft2011). Dieser Befund korrespondiert mit einer unterschiedlichen Schwerpunktsetzung bei der Übernahme von Führungsaufgaben: Eine qualitative Storytelling-Studie (Frenzel2001) mit 40 Führungskräften ergab, dass die befragten männlichen Führungskräfte ihre Führungsaufgabe primär als ‚Rolle‘ verstanden, die sie in jedem beliebigen Kontext ausfüllen könnten; die untersuchten Managerinnen dagegen zeigten sich in erster Linie inhaltsorientiert und begriffen Führung als Funktion und Verantwortung für die damit verknüpfte Aufgabe. Machtstrategisch ist dies verheerend: Wo männliche Mitbewerber Aufgaben danach auswählen, ob sie Sprungbrett-Potenzial haben, stellen sich Frauen scheinbar pflichtbewusst in den Dienst der Sache – und verabschieden sich dafür umso konsequenter, wenn ihnen die Unternehmenskultur nicht (mehr) zusagt, was Männer, so Frenzel, dagegen mit Blick auf ihre Karriere häufig bis zur Selbstaufgabe zu ertragen bereit seien. Ergebnisse aus einer aktuellen Studie über Determinanten beruflicher Karrieren von Hochschulabsolvent/innen bestätigen diesen Befund: Die Merkmale „interessante Tätigkeit“ und „angenehmes Arbeitsklima“ stehen demnach bei Frauen ganz oben auf der Prioritätenliste, während bei Männern die Karriereorientierung stärker ausgeprägt ist (Groß und Wegner2011).

Vor dem Hintergrund wirksamer geschlechtsspezifischer Fremd- und Selbststereotypisierung sind derartige Studien zwar mit Vorsicht zu bewerten. Fest steht jedoch, dass dort, wo die Macht in Unternehmen und Betrieben qua Position am größten ist, Frauen kaum vorkommen – ihr Anteil an Führungspositionen sinkt mit jeder Hierarchiestufe und liegt im Top-Management selbst großzügigen Berechnungen zufolge bei nur 5,5 % (Krell2010, S. 433). In dieser ‚Kampfzone Management‘, die nun im Mittelpunkt stehen soll, spielen Aushandlungsprozesse eine wichtige Rolle. Denn in der Konkurrenz um knappe Ressourcen und höhere Positionen geht es den Beteiligten neben Unternehmensinteressen immer auch darum, eigene Ziele zu verwirklichen – dies geschieht durch strategische Einflussnahme, durch den Einsatz und Aufbau von Macht, um „die eigenen Interessen zu fördern und zu schützen“ (Blickle und Solga2006, S. 636).

Diese „alltägliche Machtausübung“ (Alt2005, S. 305), die grundsätzlich von allen Akteurinnen und Akteuren in Organisationen betrieben wird – einfach dadurch, dass sie sich „in Bezug auf ihre organisationale Handlungssituation“ (Küpper und Felsch2000, S. 149) (auch) eigennützig verhalten – das ist Mikropolitik. Im Sinne eines holistischen Ansatzes bildet mikropolitisches Handeln demzufolge ein konstitutives Element von Organisationen, so dass diese als mikropolitische Arenen entworfen werden können (ebd., S. 152). Wer in eine Organisation eintritt, begibt sich damit gleichzeitig auch in ein mikropolitisches „Kräftefeld“ (Edding2009, S. 177) – mit allen Chancen und Risiken, die sich daraus ergeben. Wie weibliche Nachwuchsführungskräfte diese Chancen nutzen, bzw. was sie möglicherweise daran hindert, Macht aufzubauen und einzusetzen, soll in diesem Beitrag thematisiert werden.

Dazu werden zunächst in Kap. 2 die spezifischen Rahmenbedingungen skizziert, unter denen aufstiegsorientierte Frauen in Organisationen agieren, und die Ambivalenz ihrer minderheitsbedingten ‚Sichtbarkeit‘ – insbesondere aber die hiermit verbundenenChancen – herausgearbeitet. Bezug nehmend auf die damit eröffneten Möglichkeiten, sich durch eigenes Zutun neue Spielräume und eine Verbesserung der eigenen Position zu verschaffen, wird daran anschließend Mikropolitik als erlernbare Handlungskompetenz konzeptualisiert und insbesondere im Hinblick auf die motivationale Dimension derBereitschaft, mikropolitisch zu handeln, theoretisch geschärft. Nach einer Darstellung der Methodik der Mikropolitik-Interventionsstudie, aus der die hier verwendeten Daten stammen, folgt in Kap. 3 der empirische Teil des Beitrags, in dem Teilergebnisse der Studie „Mikropolitik und Aufstiegskompetenz von Frauen“Footnote 1 vorgestellt werden: das Material wird unter dem Fokus analysiert, wie Aufstiegserfolg, Bereitschaft zu mikropolitischem Handeln und Geschlechtsidentifikation miteinander zusammenhängen. Die Bereitschaft, die einen entscheidenden Faktor für Aufstiegserfolg darstellt, scheint dabei umso ausgeprägter zu sein, je weniger eng Selbstkonzept und weibliches Geschlechterstereotyp miteinander verknüpft sind. In Kap. 4 wird dieser Befund im Hinblick auf die Ausbildung mikropolitischer Kompetenz für Frauendiskutiert. Kapitel 5 enthält einen Ausblick.

2 Mikropolitische Kompetenz und Selbstkonzept

2.1 Die Rahmenbedingungen für Frauen – Fluch oder Segen?

Wenn Frauen in Unternehmen nach Macht, Einfluss und höheren Positionen streben, agieren sie unter spezifischen Bedingungen. Frauen, die Karriere machen, weichen in zweierlei Hinsicht von gesellschaftlichen Vorstellungen ab. Sie entsprechen ebenso wenig dem Bild der ‚typischen Frau‘ wie dem Bild der ‚typischen Führungskraft‘, der Balanceakt zwischen den Rollen ist somit vorprogrammiert (Rastetter2009, S. 4;2010, S. 56). Durch den Minoritätenstatus, den Frauen auf höheren Ebenen des Managements automatisch innehaben, wirken die in diesem Kontext nachteilhaften GeschlechterstereotypeFootnote 2 und damit verbundenen Zuschreibungen umso stärker, und ihre besondere Sichtbarkeit führt überdies häufig dazu, dass ihre Leistung strenger und genauer beurteilt wird als die Beiträge männlicher Kollegen (Rastetter2005, S. 259; Matthies2007, S. 35 f.).

Allerdings birgt das Gesehen-werden gerade dann, wenn es um den eigenen Aufstieg geht, auch immense Vorteile. Im Wettkampf um Anerkennung und Aufmerksamkeit kommt der Ebene des ‚Zeigens‘ und ‚Darstellens‘ eine zentrale Bedeutung zu, da das ‚Wahrgenommen werden durch Andere‘ die entscheidende Beeinflussungsgröße darstellt. Sinnfällig wird dies im Management-Wort ‚Performance‘, das zugleich auf Leistung und Inszenierung verweist (Neuberger2006, S. 23). Und je mehr Sichtbarkeit ohnehin vorhanden ist, desto weniger Aufwand muss betrieben werden, um sie herzustellen (Rastetter2009, S. 5), so dass die Ausgangssituation für Frauen in höheren Positionen durchaus spezifische Chancen birgt. Jedoch müssen diese auch ergriffen werden! – Das Potenzial ist vorhanden, transformiert sich jedoch nicht von allein in karrieretechnische Vorteile.

Denn Macht entsteht nicht ohne eigenes Zutun: Sie muss strategisch aufgebaut, erhalten und vermehrt werden, indem sie in einem rekursiven Prozess (Ortmann in diesem Band) „im Sinne der Einflussnahme auf andere, um eigene Interessen durchzusetzen und fremde abzuwehren“ (Alt2005, S. 303) immer wieder zum Einsatz kommt. Genau auf diese Prozesse und Handlungen fokussiert die Mikropolitikforschung: Hier geht es auf der Handlungsebene um „(…) das Arsenal jener alltäglichen ‚kleinen‘ (Mikro-)Techniken, mit denen Macht aufgebaut und eingesetzt wird, um den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern und sich fremder Kontrolle zu entziehen“ (Neuberger1995, S. 14).

2.2 Mikropolitik als Handlungskompetenz

Wovon hängt es aber ab, wie und warum jemand besonders erfolgreich oder erfolglos in diesem mikropolitischen Kräftefeld agiert? Wem gelingt es, sich in der Arena nachhaltig zu platzieren, was sind die Voraussetzungen für eine effektive Performance innerhalb dieser Matrix aus Interessen, Koalitionen und Strategien? Unter diesem Fokus soll Mikropolitik hier nicht, wie vielfach geschehen, primär als Inventar von Taktiken (z. B. Blickle2003,2004), sondern als erlernbare Handlungskompetenz entworfen werden. In Anlehnung an gängige Kompetenzmodelle (z. B. Erpenbeck und von Rosenstiel2003), die auf Schlüsselqualifikationen abzielen, bietet sich dafür ein Modell an, das aus den vier Komponenten Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Soziale Kompetenz und Selbstkompetenz besteht. Systematisch auf die Aneignung mikropolitischer Fähigkeiten übertragen bedeutet Fachkompetenz das Wissen um die Existenz und Bedeutung von Mikropolitik, Methodenkompetenz das Verfügen über mikropolitische Taktiken, Soziale Kompetenz den situativ angemessenen Einbezug der organisationalen Regeln und Konventionen und Selbstkompetenz die stimmige Integration mikropolitischer Strategien und Taktiken ins Selbstkonzept (Rastetter2009, S. 7 f.). Damit zielt mikropolitische Kompetenz sowohl auf das Erkennen mikropolitischer Strategien Anderer ab, die potenziell hinderlich für den eigenen Aufstieg wirken, als auch auf die Integration geeigneter mikropolitischer Taktiken in das eigene Handlungsrepertoire, und bezieht dabei herrschende Kultur und Werte in der Organisation systematisch mit ein. Der Kompetenzbegriff mit seinen vier Faktoren integriert – abgeleitet von der Beschaffenheit des mikropolitischen Feldes – die Gesamtheit der mikropolitischen Herausforderungen, die es auf individueller Ebene zu bewältigen gilt.

Die Komponente der Selbstkompetenz nimmt dabei eine Sonderstellung ein, da es sich bei der Integration mikropolitischen Handelns ins Selbstkonzept, das als „mentale Repräsentation der eigenen Person“ (Mummendey1995, S. 59) verstanden werden kann, nicht wie bei den übrigen Faktoren um eine kognitive Fertigkeit handelt, sondern um die motivationale Bereitschaft, mikropolitisch zu agieren. Diese persönliche Disposition soll als Haltung bzw. Verhaltensgewohnheit (habit) und damit potenziell veränderbar verstanden werden. Die Selbstkompetenz nimmt im Rahmen des mikropolitischen Kompetenzmodells quasi die Funktion einer moderierenden Variablen ein, deren Ausprägung die Ausbildung und den Einsatz der anderen drei Komponenten (mit)bestimmt; sie entscheidet biographisch über den Erwerb und situativ über den Einsatz mikropolitischer Fertigkeiten.

Inhaltlich zielt die Komponente der Selbstkompetenz darauf ab, inwieweit das „Nutzen Anderer in organisationalen Unsicherheitszonen“ (Neuberger2006, S. 18) mit den persönlichen Vorstellungen vom eigenen Verhalten in Einklang gebracht werden kann – was bin ich bereit zu tun? Um sich frei von kognitiver Dissonanz (Aronson et al.2008) mikropolitisch geschickt positionieren zu können ist es möglicherweise zentral, eine spezifische ‚innere Haltung‘ zu erlernen und gegebenenfalls das eigene Selbstkonzept zu verändern. In diesem Sinne gilt es, persönliche Wertmaßstäbe zu ermitteln und zu überprüfen, das Selbstbild und die eigenen Grenzen zu klären.

3 Bereitschaft zu mikropolitischem Handeln – empirische Ergebnisse

Wie unterschiedlich die Bereitschaft zu mikropolitischem Handeln bei weiblichen Nachwuchsführungskräften ausgeprägt ist, soll anhand des empirischen Materials aus unserer Forschungsstudie „Mikropolitik und Aufstiegskompetenz von Frauen“ dargestellt werden. Ziel dieses Projekts ist die Klärung der Frage, wie sich mikropolitische Kompetenz steigern lässt und ob damit der Aufstieg von Frauen positiv beeinflusst werden kann. Um mikropolitische Schlüsselsituationen zu explorieren, wurden dafür zunächst qualitative leitfadengestützte ExpertInneninterviews mit 26 weiblichen und männlichen Führungskräften aus großen Unternehmen hinsichtlich ihrer mikropolitischen Erfahrungen während ihres eigenen Aufstiegs geführt. Die inhaltsanalytische Auswertung (Mayring1997,2009) dieser Interviews bildete die Grundlage für eine Intervention, innerhalb derer – wissenschaftlich eng und multimethodisch begleitet – 30 weibliche Nachwuchsführungskräfte über einen Zeitraum von sechs Monaten hinweg ein professionelles Coaching in mikropolitischen Kompetenzen erhielten (für eine ausführliche Darstellung des methodischen Vorgehens vgl. Rastetter et al.im Erscheinen).

Sämtliche Coaching-Teilnehmerinnen brachten eine hohe Aufstiegsmotivation mit, deren Darlegung im Rahmen eines Motivationsschreibens zu den Voraussetzungen für die Teilnahme an der Interventionsstudie zählte; der realisierte Aufstiegserfolg fiel jedoch sehr unterschiedlich aus. Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Sonderstellung der Komponente der Selbstkompetenz erweist sich in diesem Zusammenhang die Frage nach dermotivationalen Bereitschaft zu mikropolitischem Handeln als relevant, da sie den Indikator für die gelungene Integration mikropolitischen Handelns ins Selbstkonzept bildet.

Die empirische Grundlage der folgenden Ausführungen bilden 60 ca. einstündige qualitative Leitfadeninterviews, die jeweils im Vorfeld und im Anschluss an die Coachingphase mit den 30 weiblichen Nachwuchsführungskräften geführt, transkribiert und inhaltsanalytisch ausgewertet wurden sowie die transkribierten und inhaltsanalytisch ausgewerteten Audiomitschnitte von fünf Gruppencoachings zum Thema ‚Macht‘.

Die Analyse ergibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen vorhandener Bereitschaft zu mikropolitischem Handeln und AufstiegserfolgFootnote 3 bei den Nachwuchsführungskräften. So sind die beiden Gruppen mit der höchsten bzw. niedrigsten Bereitschaft zu mikropolitischem Handeln quasi deckungsgleich mit den Gruppen, bei denen sich bis dato der meiste bzw. geringste Aufstiegserfolg realisieren ließ bzw. abzeichnet. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Gruppe mit der niedrigsten Bereitschaft zu mikropolitischem Handeln (Gruppe B) über ein sehr eng mit dem weiblichen Geschlechterstereotyp verknüpftes Selbstkonzept verfügt, während dies bei der ‚Aufstiegsgruppe‘ (Gruppe A) nicht der Fall ist (vgl. Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Selbstkonzept-Bereitschaft-Aufstiegserfolg. (Eigene Darstellung)

Im Folgenden sollen beide Gruppen (Gruppe A wie ‚Aufstieg‘ und Gruppe B, wobei die einzelnen Gruppenmitglieder in der Form A1, …, A6 sowie B1, …, B5 mit Zahlen markiert sind) anhand exemplarischer Aussagen bezüglich ihrer motivationalen Bereitschaft zu mikropolitischem Handeln und im Hinblick auf ihre Geschlechtsidentifikation kontrastierend dargestellt und diese Befunde anschließend diskutiert werden. Da der Erfolg mikropolitischer Handlungen zentral davon abhängt, dass zunächst ein strategisches Verständnis des Kontextes erlangt werden kann, werden mikropolitische Analyse- und Umsetzungsphase im Folgenden getrennt voneinander beschrieben.

3.1 Die mikropolitische Analyse

„Und ich gucke mir das an“ – diese Formulierung stammt aus einer Fallstudie, in der der Soziologe Hermann Korte Angela Merkels Weg zur Macht beschreibt (Korte2009). Er zeichnet darin das Bild einer scharfen Beobachterin, die die verschiedenen (mikropolitischen) Stile und Konstellationen im Feld genau studiert, um auf dieser Grundlage jederzeit „handelndes Subjekt“ sein zu können (ebd., S. 26). Anzeichen ihrer Bereitschaft zu machtorientiertem, strategischem Handeln zeigen sich bereits in ihrem spezifischen Blick auf das Geschehen um sie herum. – Wie sieht das bei den Nachwuchsführungskräften aus?

Bereits während der mikropolitischen Analyse zeigen sich in Bezug auf das handlungsrelevante Selbstkonzept deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen. Dabei scheinen sich die Frauen aus Gruppe A als potenzielle Spielerinnen zu verstehen, und als solche explorieren sie neugierig und mit Anwendungsbezug das Feld; insbesondere das Erfassen informeller Regeln und Zusammenhänge steht dabei im Vordergrund. Durch Zuhören („Ich gehe halt immer mit den Managern essen bei uns im Team halt.() da erfährt man dann schon relativ viel“ (A1)), Beobachten („() welche Themen sind jetzt eigentlich im Unternehmen gerade besonders hoch angesehen()“ (A2)) und das Nachahmen von Umgangsritualen („() die Hand schütteln, vielleicht auch kurz Smalltalk machen,(); also wirklich abgeguckt“ (A2)) versuchen sie, sich eine strategische Grundlage zu erarbeiten, um darauf aufbauend erfolgreich agieren zu können. Dafür ist es wichtig, die ungeschriebenen Konventionen („in welche Fettnäpfe man da rein tapern kann“ (A1)) und ‚Aufstiegsregeln‘ zu kennen und zu wissen, wie die Kollegen ticken; bestenfalls gelingt es, das „sogenannte Fingerspitzengefühl“ (A3) zu erlangen, das im Falle des nicht Vorhandenseins schnellstens anzustreben sei, da man „ab einer gewissen Ebene dann auch nicht negativ auffallen“ (A3) sollte.

Gruppe B dagegen macht kaum Anstalten, ihre organisationale Umgebung auf informelle Gesetzmäßigkeiten abzutasten. Zwar scheint auch hier eine Idee davon zu existieren, dass es möglicherweise Wissenswertes jenseits der offiziellen Vorgaben gibt, allerdings wird dies nicht systematisch exploriert und tendenziell als überfordernd empfunden: „Mach ich es richtig? Wie soll ich es machen? Jetzt war mein Chef am Telefon gestresst, was bedeutet das? Meinte der mich? Hab ich was falsch gemacht oder soll ich weitermachen?“ (B1). Es wird der Wunsch nach (nicht vorhandenen) weiblichen Vorbildern geäußert, von denen man sich „etwas abgucken“ (B2; B1) wolle. Gleichzeitig wird damit eine gewisse Reserviertheit gegenüber den real im organisationalen Feld befindlichen Akteuren deutlich. Die herrschende Unternehmenskultur – „() also dass doch viele Aufstiegswillige sehr mit harten Bandagen kämpfen und sehr starkes Ellenbogenverhalten als Bedingung ansehen()“ (B1) – scheint eher als bedrohlich wahrgenommen zu werden und weniger als ein ‚Spielfeld‘, auf dem es etwas zu gewinnen gibt. Zum Teil wirkt es gar, als wollte man das, was da um einen herum passiert („Schlagabtausch zwischen männlichen Kollegen, während man selbst als Fraueher integrativ orientiert sei(B2)), lieber gar nicht zur Kenntnis nehmen.

3.2 Die mikropolitische Positionierung

In der Umsetzungsphase verstärkt sich der bereits gewonnene Eindruck, dass sich die Nachwuchsführungskräfte aus Gruppe A in ihrer Selbstpositionierung gegenüber dem Feld als gut gelaunte und risikobereite Spielerinnen entwerfen. Ihr Verhältnis zu strategisch-taktischem Handeln erweist sich als überaus freudvoll und sportlich. Strategien („Auch gerade so diese Bambi-Strategie, mal so ein bisschen hilflos gucken, wenn man mal wirklich einen Fehler gemacht hat, gibt es nie Ärger von der anderen Seite“ (A4)) werden als „positives kleines Add-on“ beschrieben, das hin und wieder „gerne“ und „liebevoll“ eingesetzt wird (A4). Dabei wird experimentell und risikofreudig vorgegangen, neue Spielzüge werden entworfen und angepasst, Anregungen von außen umgesetzt und Erfolge gefeiert: „Und dann fiel mir das halt ein,() dass man immer den angucken oder ansprechen soll, der halt der Chef ist und dann, das habe ich dann halt einfach mal ausprobiert spontan() und das war richtig toll“ (A2).

Spielräume und günstige Gelegenheiten nutzt Gruppe A offensiv und frei von Dissonanzen, um sie mit Hilfe mikropolitischer Aktionen in karrieretechnische Vorteile zu transformieren. Eine Befragte, die kürzlich selbst eine Umstrukturierung vorgeschlagen hat, um im Zuge dessen eine strategisch wichtigere Position einnehmen zu können, stellt fest: „() durch die Aufteilung der Bereiche habe ich natürlich jemanden benachteiligt, aber ich habe kein schlechtes Gewissen dabei“ (A5). Schließlich geschehe das alles ausschließlich auf „dieser organisatorischen Ebene“ und sei „gar nicht persönlich gemeint oder so“ (A5); im Wettbewerb um knappe Ressourcen und Führungspositionen scheint es legitim zu sein, „dass man schon guckt nach seinem Vorteil“ (A1) und Handlungskorridore geschickt für sich ausnutzt. Der Selbstentwurf beinhaltet dabei ein hohes Maß an Proaktivität und Kontrolle, nichts wird dem Zufall überlassen – stattdessen heißt es „(), Fäden ziehen und dass man irgendwie das so für sich hin baut, wie man das gerne hätte“ (A1).

Die Maxime des kalkulierten und systematischen Vorgehens gilt auch für berufliche Kontakte. Netzwerke strategisch aufzubauen und zu nutzen, ist für Gruppe A selbstverständlich (A6; A5; A1; A3). Netzwerkpartner/innen werden dabei als wichtige Ressourcen in erster Linie danach kategorisiert, wie hilfreich sie in der Zukunft sein könnten: „() ich hab ein sehr, sehr gutes Netzwerk nach oben. Und das ist eigentlich das, was mich primär interessiert.() Das sind die, die mir überhaupt ermöglichen, dass ich mich weiterentwickeln kann“ (A6). Mit Blick auf die eigenen Aufstiegsambitionen wird die aktive Pflege von Kontakten und Netzwerken als Notwendigkeit beschrieben, so dass die von einer Befragten im Interview gewonnene Erkenntnis, schon seit einer Weile nicht mehr „die Fühler ausgestreckt“ zu haben, bei ihr geradezu „ein schlechtes Gewissen“ (A3) hervorruft. Ebenso gilt es, beim Business-Lunch „proaktiv“ mit potenziellen Förderern ins Gespräch zu kommen – auch wenn man sich auf „etwas von diesen kleinen Spießchen mit Pute dran oder was man da bekommt“ gefreut hatte (A6). Und schließlich beschreibt eine Befragte stolz, wie es ihr gelungen sei, an einen wichtigen Kollegen („den man eigentlich auch strategisch ganz gut einsetzen könnte“) im Rahmen einer Projektarbeitheran zu kommen“ und wie dieser Kontakt nun mit Hilfe von Vorwänden aufrechterhalten und intensiviert wird: „(), um an seinem Büro vorbeizukommen und mal Hallo zu sagen, habe(ich) einfach irgendetwas mitgenommen, was ich woanders abgeben wollte,(). Ich habe gedacht, nicht dass das irgendwie einschläft und man dann nie wieder etwas voneinander hört“ (A5).

Insgesamt ist die Bereitschaft zu mikropolitischem Handeln in Gruppe A als äußerst hoch einzustufen. Ressourcen werden taktisch eingesetzt, Spielräume genutzt und Netzwerke bewusst geknüpft sowie kalkuliert zum Einsatz gebracht. Vorherrschend ist ein spielerischer Blick. Es gibt Regeln, Gewinnerinnen und Verlierer, es ist spannend. Im Vordergrund stehen Neugier, Experimentierfreude und die Lust am Gewinnen von (mehr) Einfluss und Handlungsmöglichkeiten; die Integration strategisch-taktischen Handelns ins Selbstkonzept scheint problemlos zu glücken.

Bei Gruppe B werden im Hinblick auf strategisch-taktisches Handeln zu den eigenen Gunsten eine völlig andere Grundhaltung sowie deutlich mehr Skrupel sichtbar. Die Herangehensweise ist dabei nicht spielerisch, sondern ernst und moralisch aufgeladen. Die Befragten distanzieren sich, von einem neugierigen oder gar freudvollen Umgang mit Strategien weit entfernt, vom Mittel Mikropolitik; strategisch-taktisches Handeln wird mit Verweis auf das Gebot der Fairness abgelehnt: „() ich weiß, wie das teilweise mir zusetzt, wenn solche Taktiken an mir gebraucht werden() und deshalb mag ich es eigentlich auch nicht bei anderen machen“ (B2). Zwischen der Bereitschaft zu mikropolitischem Handeln und moralischer Integrität wird ein Spannungsverhältnis deutlich; wenn Andere „aus Machtgesichtspunkten() unfaire Methoden legitimieren“, möchte man dabei „nicht mitmachen“ (B1). Hier wird eine deutliche Grenzziehung auf Basis des eigenen Selbstkonzeptes offenkundig: Die besagte Handlung ist mit den eigenen Werten nicht vereinbar, der ‚moralische Preis‘ für das Greifen nach Macht und ggf. den eigenen Aufstieg zu hoch. Zudem wird das Ziel von Mikropolitik überwiegend negativ bewertet und mit Ablehnung reagiert: Im Deutungsrahmen von Gruppe B steht nicht das Erringen von Ressourcen, Handlungsspielräumen und Gestaltungsmöglichkeiten im Vordergrund, sondern die repressive, Andere potenziell benachteiligende Komponente: „Ich würde() nicht den ganzen Tag durch die Flure gehen und() am liebsten noch mit einem Schild ‚Ich habe Macht und ich zeige dir‘()“ (B3). Dies wiederum kollidiert mit den persönlichen Wertvorstellungen und dem Selbstkonzept („Da bin ich auch nicht unbedingt der Typ dafür, der sich jetzt hier Macht erkämpft. Das bin ich nicht“ (B3).). Anstelle der persönlichen Handlungs- und Einflussmöglichkeiten wird folgerichtig ein „ordentliches Miteinander“ (B3), das Kollektiv, betont, und „Leistung, um den Betrieb nach vorn zu bringen“ (B3).

Auch bezüglich der taktischen Gestaltung von Beziehungen kommt eine deutliche Zurückhaltung zum Ausdruck. Diese scheint ebenso auf moralischen Normen zu beruhen und betrifft insbesondere berufliche Kontakte, die aufgrund gegenseitiger Sympathie einen informellen Charakter haben: „() du darfst Andere ja nicht ausnutzen, wenn du die privat triffst und das ist benutzen und nicht nett“ (B1). Netzwerke werden weniger als das Ergebnis der Tätigkeit networking betrachtet, sondern vielmehr als – zum Teil sehr erfreuliche – Zufälle. Aussagen wie „(), ich bin so. Ich würde das nicht gezielt machen“ (B4) oder „() was mir eigentlich fehlt, das ist vielleicht auch so eine weibliche Überzeugung,() ist im Prinzip die Einstellung() bewusst einen Manager anzusprechen, weil ich etwas von ihm will,()“ (B2) verweisen darauf, dass es sich beim strategischen Netzwerken um eine Tätigkeit handelt, zu der man selbst nicht ohne weiteres bereit ist. Auch äußert eine Befragte Bedenken gegenüber dem Tauschhandel-Charakter dieser Art von Beziehung: „Weil ich bin eigentlich kaum jemand, der dann gerne so ‚quid pro quo‘“ (B2) – ein ökonomisches Prinzip, ein Nutzenkalkül auf eine Beziehung anzuwenden, scheint hier mit verinnerlichten ethischen Prinzipien in Konflikt zu geraten.

Insgesamt weist Gruppe B kaum Bereitschaft zu mikropolitischem Handeln auf: Hier passt die Spiel-Analogie nicht, ethische Prinzipien erlauben diese Perspektive auch gar nicht. Eigennützig strategisches Handeln zugunsten des Aufbaus von Macht wird zurückgewiesen, der Gedanke an das ‚Nutzen Anderer‘ ist von Hemmungen und Bedenken geprägt. Gewünscht sind anstelle der Gewinn- und Verlustchancen einer ‚mikropolitischen Arena‘ ein ‚faires‘ Miteinander und damit gleichzeitig auch eine Minimierung des eigenen Risikos. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Wortwahl. In Bezug auf organisationale Prozesse spricht Gruppe A von „Spielen, die da gespielt werden“ (A1), „Spaß“ an der Bewertung strategischer Prozesse (A3), Andere „nicht mitspielen“ lassen (A4), „Fäden ziehen“ (A1) und einem „spielerischen“ Umgang mit Macht (A5). Gruppe B benutzt Begriffe wie „kämpfen“ um Macht (B3), „harte Bandagen“ (B1), „Ellenbogenverhalten“ und „Schlagabtausch“ (B2).

3.3 Selbstentwurf „als Frau“

Das empirische Material zeigt, dass sowohl Gruppe A als auch Gruppe B Frauen (und Männer) polar anhand der klassischen Geschlechterstereotype (Eckes2010) beschreiben. Frauen wird demzufolge ein hohes Maß an Gemeinschaftsorientierung und Expressivität zugeordnet, sie werden als „integrativ“ (B2), an „Harmonie“ interessiert (A1), „emotionaler“ (B4; A3) und „einfühlsamer“ (B4) als Männer beschrieben; außerdem in höherem Maße als diese „inhaltlich“ orientiert (A1; B5), „bescheiden“ (A3; A4) und „selbstkritisch“ (A1).

Unterschiede zeigen sich allerdings in der Stärke der Identifikation der Befragten mit diesem so beschriebenen Bild der ‚typischen Frau‘. Die Frauen aus Gruppe A scheinen die beschriebenen Eigenschaften dabei nicht als schicksalhaft zu begreifen, lassen partiell kritische Distanz durchscheinen und ordnen sich selbst in deutlich geringerem Maße als Gruppe B stereotyp weibliche Eigenschaften zu. Insbesondere tun sie dies kaum im Bezug auf ihren Job. Während sie sich eigenen Aussagen zufolge also privat zum Teil so verhalten, wie sie dies ‚typischen Frauen‘ zuschreiben („(), privat ist auch bei mir, wenn ich mich dann ärgere, dann werde ich echt emotional,()“ (A4)), beschreiben sie sich bei der Arbeit als „sehr faktenorientiert, ich gucke auf die Uhr, ich mag das nicht, wenn man lange schwafelt,()“ (A4) und betonen, wie wichtig es ist, „dass man diese Sachlichkeit halt auch im Vordergrund hat() um so professioneller wirkt das dann“ (A3). Es zeigen sich hier Unterschiede zwischen der privaten und der professionellen Rolle und eine unterschiedliche Logik, die diesen beiden Sphären zugeschrieben wird.

Gruppe B dagegen scheint sich in hohem Maße mit stereotyp weiblichen Eigenschaften zu identifizieren. So wird beschrieben, „typisch für Frauen[sei es], schlecht im Netzwerken“ zu sein (B1) und „wie alle“ Frauen ein „nicht so einfaches Verhältnis zu Macht zu haben(B1). Eine andere Befragte beschreibt ihre Probleme mit Selbstdarstellung als „Mauerblümchen-Dasein“, was sie als ein „sehr weibliches Phänomen“ (B2) einstuft. Es wird als schwierig empfunden, „dieses Abwägen und dieses Sicherheitsdenken abzulegen,() das Frauen doch ein bisschen mehr haben“ (B1). Die eigene Hemmung, nutzenorientierte Kontakte zu knüpfen, wird als „weibliche Überzeugung“ (B2) interpretiert und letztlich werden auch Machtverzicht zugunsten von Inhalten und das Einstehen für die Teilhabe Aller auf die eigene Weiblichkeit zurückgeführt: „Da bin ich eine typische Frau, glaube ich. Also mir geht es wirklich auch um sachliche Inhalte, außerdem ist es ja so, wenn ich eine Macht habe, dann bin ich jemandem überlegen. Und ich arbeite lieber mit Leuten zusammen,() die sich auch ein bisschen verwirklichen können“ (B5).

Die Nachwuchsführungskräfte, die über eine hohe Bereitschaft zu mikropolitischem Handeln verfügen (und damit, bezogen auf beruflichen Aufstieg, die erfolgreichsten waren), identifizieren sich nur schwach mit dem weiblichen Geschlechterstereotyp – und umgekehrt. Dieser Befund soll im Folgenden daraufhin diskutiert werden, was er für die Ausbildung mikropolitischer Kompetenz bei Frauen bedeutet.

4 Diskussion: Selbstkonzept, Geschlechterstereotype und mikropolitisches Handeln

Die Studie zeigt, dass die Bereitschaft der weiblichen Nachwuchsführungskräfte zu mikropolitischem Handeln – und nicht die bei allen Probandinnen vorhandene Aufstiegsmotivation – einen entscheidenden Faktor für ihren Aufstiegserfolg darstellt. Im Hinblick auf die Ausprägung der Bereitschaft zeichnet sich ein interessanter Zusammenhang ab: Während die Ablehnung mikropolitischen Agierens mit einem eng an das weibliche Geschlechterstereotyp gebundenen Selbstkonzept einhergeht, fällt eine hohe Bereitschaft zu mikropolitischem Handeln mit einem eher geringen Maß der Identifikation mit stereotyp weiblichen Eigenschaften zusammen.

Das Selbstkonzept einer Person, die Vorstellung, wer man ist und wer man sein möchte, hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Variationsbreite vorstellbaren Verhaltens – und wird dabei wesentlich von bestehenden kulturellen Deutungsfolien beeinflusst (Mummendey1995, S. 59). Geschlechterstereotype, die als verallgemeinernde Wahrnehmungsmuster mutmaßliche männliche und weibliche Merkmale beschreiben und dabei eine ‚natürliche‘ Komplementarität von Männern und Frauen suggerieren (Eckes2010, S. 178; Rastetter2010, S. 60), sind hier offensichtlich besonders einflussreich. Im empirischen Material findet sich eine Fülle von Belegen dafür, dass der binären Zuordnungsvorschrift gefolgt wird: Allen Befragten gemeinsam ist ein breites Wissen um frauen‚typische‘ Merkmale und entsprechende Diskurse, die fortlaufend auf Andere angewendet werden. Im Hinblick auf ihren Selbstentwurf zeigt sich bei Gruppe A jedoch eine deutliche Distanz zu den stereotypen Merkmalen – während sich Gruppe B die als ‚feminin‘ markierten Eigenschaften in hohem Maße zuordnet.

Ein solches Selbstkonzept, das aus einer engen Kopplung an das weibliche Geschlechterstereotyp resultiert, wird als „interdependent“ (Cross und Madson1997, S. 5) bezeichnet, was an die stereotype ‚Gemeinschaftsorientierung‘ anschließt und auf ‚feminine‘ Merkmale wie Kollektivismus, Verbundenheit und Leistung zugunsten einer Gruppe verweist. Die daraus resultierenden Verhaltensoptionen folgen weniger dem konkurrenzorientierten Prinzip des Marktes, sondern vielmehr den Erfordernissen einer auf Fürsorge basierenden familialen Sphäre (Beck1986, S. 177 f.) und prädestinieren damit eher für die Rolle der ‚guten Seele des Betriebs‘ als für dessen Top-Management. Je stärker sich eine Person mit dem Geschlechterstereotyp identifiziert, desto eher werden die dadurch vorgegebenen Eigenschaften und Handlungsoptionen als bindend empfunden und die Geschlechtsidentität damit zum begrenzenden Moment. Diese Identifikation scheint bei Gruppe B in hohem Maße der Fall zu sein. Dass mikropolitisches Handeln auf dieser Folie keine Option darstellt, wird leicht ersichtlich, denn anstatt – das Kollektiv fest im Blick – „das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl von Menschen zu befördern“ (Blickle2002, S. 176), dient Mikropolitik primär den Interessen des bzw. der Handelnden und ist somit zweifelhaft – gemessen an den Prinzipien utilitaristischer Ethik (ebd.). Für mit dem eigenen Geschlechterstereotyp hochidentifizierte Frauen ist mikropolitisches Handeln also keine Option, weisen sie doch nachgewiesenermaßen – im Vergleich zu ebenfalls geschlechtsidentifizierten Männern – eine deutlich höhere ethisch-moralische Motivation auf (Nunner-Winkler2010, S. 84).

Bei Gruppe A dagegen sind weibliches Geschlechterstereotyp und Selbstkonzept offenbar nur lose miteinander verknüpft. Zudem erfolgt hier gleichzeitig eine Identifikation mit Eigenschaften, die von den Frauen selbst als ‚männlich‘ klassifiziert werden – analog zur polaren Struktur der Geschlechterstereotype steht die ‚maskuline‘ Dimension für Individualismus, Autonomie und Konkurrenz zugunsten eigener Ziele. Die große Bereitschaft zu mikropolitischem Handeln und die flexible und spielerische Herangehensweise der ‚Erfolgsgruppe‘ verweisen vor diesem Hintergrund auf ein androgyn geprägtes Selbstkonzept (Kirchmeyer und Bullin1997, S. 80). Die Identifikation sowohl mit ‚maskulinen‘ als auch mit ‚femininen‘ Merkmalen bei gleichzeitig latenter Distanz eröffnet den Akteurinnen viele Freiheitsgrade und eine komfortabel breite Palette an Handlungsmöglichkeiten. Da das androgyne Selbstkonzept sowohl expressive als auch instrumentelle Merkmale einschließt, kann situationsadäquat – anstatt rollenspezifisch – agiert werden: „According to the model, a wide repertoire of behavior allows androgynous individuals to be more flexible and effective in a wider range of situations than sex-typed men and women“ (ebd.).

Ist effektives mikropolitisches Agieren also eine Frage des entsprechenden Selbstkonzepts? Wenn es tatsächlich weniger die kognitiven Fertigkeiten sind, die über den erfolgreichen Einsatz und Aufbau von Macht durch Frauen entscheiden, als im Vorfeld des Einmündens in eine Organisation bereits abgeschlossene Identifizierungsprozesse der Akteurinnen, so ist dies im Hinblick auf die Erlernbarkeit von mikropolitischer Kompetenz bedeutsam. Hier lohnt sich ein Blick auf eine gesellschaftliche Machtwirkung jenseits der Handlungsebene, die „(…) das Individuum in Kategorien einteilt, ihm seine Individualität aufprägt, es an seine Identität fesselt“ (Foucault1982, S. 21); scheinbar sind die Subjekte, die sich in der mikropolitischen Arena begegnen, bereits das Ergebnis eines mächtigen Prozesses kultureller Nahelegungen, der die mögliche Bandbreite ihres Verhaltens erheblich – (aber nicht unveränderbar!) – vorstrukturiert.

5 Ausblick

Welche Schlüsse können im Hinblick auf das Ziel, den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu steigern, aus diesen Ergebnissen gezogen werden? Aufstieg scheint durch eine ausgeprägte mikropolitische Kompetenz begünstigt zu werden, die sich nicht nur aus kognitiven Fertigkeiten zusammensetzt, sondern für die auch der motivationale Aspekt der Bereitschaft zu mikropolitischem Handeln zentral ist. Die Verankerung dieser Bereitschaft im Selbstkonzept, das zeigte die hier vorgelegte Studie, geschieht unter geschlechtsspezifischen Vorzeichen: Da mit Mikropolitik einhergehende Verhaltensweisen in einem Spannungsverhältnis zum weiblichen Geschlechterstereotyp stehen, wirkt sich die enge Anbindung des Selbstkonzepts an dieses Stereotyp hemmend auf die Bereitschaft zu mikropolitischem Agieren aus, während eine lose Kopplung bzw. ein androgyner Selbstentwurf eine deutlich breitere Palette an Handlungsoptionen ermöglicht.

Geschlechterstereotype erweisen sich vor diesem Hintergrund einmal mehr als ein machtvolles Konstrukt; sie wirken auch auf jene Frauen hemmend, die nichttraditionelle Karrieren planen und damit als Pionierinnen gelten können (Gruppe B). Gleichzeitig zeigt sich an Frauen wie Angela Merkel und den Akteurinnen aus Gruppe A, dass eine selbsteinschränkende Identifikation mit dem ‚femininen Set‘ für Frauen nicht verbindlich sein muss; vielmehr demonstrieren sie, dass Erfolg durch machtbewusstes Agieren möglich ist. Unabhängig von ihrer persönlichen Verbundenheit mit stereotypen Mustern erweist sich jedoch ein souveräner Umgang mit Zuschreibungen und widersprüchlichen Erwartungen für Frauen als Königsdisziplin – mit Geschlechterbildern und Stereotypen flexibel, je nach Kontext umzugehen bzw. das eigene Geschlecht strategisch zu dethematisieren, können wichtige Strategien sein.

Diese Strategien und das flankierende ‚Genderwissen‘ lassen sich, wie weitere Auswertungen der Daten aus dem Projekt „Mikropolitik und Aufstiegskompetenz von Frauen“ zeigen, mit Hilfe eines Coachings gut vermitteln (vgl. z. B. Jüngling und Rastetter2011; Mucha et al.2011; Cornils und Rastetter2012); darüber hinaus stellt die Beschäftigung mit Bewertungsmaßstäben und Selbstverortungen in dieser Beratungsform einen expliziten Inhalt dar. Neben kognitiven Fertigkeiten kann so auch die motivationale Komponente und ggf. deren Verknüpfung mit der Geschlechtsidentifikation bearbeitet werden. Letztlich scheint mikropolitisches Handeln eine spezifische ‚innere Haltung‘ zu erfordern; Coaching kann hier durch die Reflexion und Revision geschlechterbezogener Selbstkonzepte zu einer Erweiterung des Handlungsrahmens beitragen.

Durch die methodisch bedingte geringe Fallzahl der vorgestellten Studie und die bewusste Kontrastierung der dargestellten Gruppen auf Kosten ihrer Schnittmengen sind die Aussagen, die auf Basis der empirischen Analyse getroffen werden können, begrenzt. Breiter angelegte und möglicherweise quantitativ ausgerichtete Erhebungen im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen der Bereitschaft zu mikropolitischem Handeln und geschlechtsspezifischen Selbstkonzepten könnten hier folgen. Auch wäre es im Hinblick auf die Dimension der ‚Maskulinität‘ und das damit einhergehende ‚independente‘ Selbstkonzept für zukünftige Forschung sicherlich lohnend, das Selbstkonzept sowie die Bereitschaft zu mikropolitischem Handeln einer männlichen Vergleichsgruppe zu untersuchen.