1 Einleitung

Die Pflegearbeit im Krankenhaus ist ein Beschäftigungs- und Versorgungsbereich von hoher und zukünftig wachsender Relevanz, der seit einigen Jahren einem tiefgreifenden Wandel unterliegt. Dies zeigt sich auch im pflegerischen Handeln. Es lassen sich vor allem zwei Tendenzen anführen, die zu einer Transformation der Handlungsorientierung und -praxis von Pflegekräften führen: die Professionalisierung der Pflegearbeit und eine daraus erwachsene Emanzipation der Beschäftigten einerseits sowie eine weitgehende Ökonomisierung dieses Bereichs andererseits. Historisch betrachtet wurde die Pflege zwar immer wieder von verschiedenen Rationalisierungsimpulsen geprägt; in letzter Zeit unterliegt dieser Bereich jedoch einem regelrechten Rationalisierungsschub (Hülsken-Giesler 2010; Remmers 2010).

Wenn im nachfolgenden Artikel von einer tiefgreifenden Ökonomisierung der Pflegearbeit ausgegangen wird, soll nicht insinuiert werden, dass im Gesundheitswesen Kriterien der Effizienz und Effektivität bis zu einem bestimmten Zeitpunkt keine Rolle gespielt hätten (zur Kritik vgl. Bauer 2007). Gemeint ist vielmehr eine Verschiebung in der Priorisierung von Geldanreizen und der Qualität der Versorgung. Mit Hagen Kühn (2004) könnte man sogar von einer Umkehrung der Zweck-Mittel-Relation sprechen.

Der Professionalisierungsaspekt lässt sich aktuell am prägnantesten an der Akademisierung der Pflegearbeit ablesen. Im wachsenden Umfang etablieren sich seit einiger Zeit eine an den Hochschulen ausgebildete „Pflegeelite“ sowie eine pflegewissenschaftliche Wissensproduktion und Praxisreflexion (Kälble 2005; Bollinger et al. 2006). Dafür bedurfte es jedoch zunächst eines grundlegenden Orientierungswandels: Speiste sich die vorrangig von Frauen ausgeübte Pflegearbeit zunächst aus einer am christlichen „Liebesdienst“ orientierten Berufung (Senghaas-Knobloch und Kumbruck 2006), entwickelte sie sich im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einer beruflich organisierten und stärker formalisierten Erwerbsarbeit. Eine professionelle Orientierung der Pflege kann mit Kari Waerness (2000) auf den Begriff der „Fürsorgerationalität“ gebracht werden. Damit ist eine Arbeitsorientierung gemeint, bei der das Pflegehandeln vor allem von der je spezifischen Beziehung zu den PatientenFootnote 1, die zur Selbstständigkeit befähigt werden sollen, geprägt wird. Die Qualität der Krankenpflege hängt daher in hohem Maße vom persönlichen Verhältnis zu den Patienten ab. Dass Pflegende dafür über entsprechende Fertigkeiten und Fachwissen verfügen müssen, ist Teil der Arbeitsanforderung. Das Ethos der Krankenpflege wird so – wie im Falle des „Liebesdienstes“ – wertrational begründet: Die (leibseelische) Sorge und Fürsorge wird aus der Menschenwürde hilfebedürftiger Individuen, deren Selbstständigkeit zu unterstützen ist, abgeleitet (vgl. Senghaas-Knobloch 2008). Der Diskurs um eine Professionalisierung der Pflege wird zugleich von dem Anspruch nach einer gelingenden Verselbstständigung dieses Berufstandes durchzogen, für den noch kritisch diskutiert wird, unter welchen Bedingungen er zu einer tatsächlichen „Profession“, d. h. einem Beruf mit besonderen Erwerbs-, Qualifikations- und Kontrollchancen und hohem Sozialprestige (Demszky von der Hagen und Voß 2010) werden kann (vgl. Bischoff 1997; Schmidbaur 2002; Bollinger 2005; Kälble 2005). Die vorliegende Untersuchung setzt an beiden Tendenzen an, fokussiert jedoch die zweite: die Überformung der Pflegearbeit durch ökonomische Orientierungen und HandlungsmaximenFootnote 2. Dabei gehen wir von der Überlegung aus, dass sich die zunehmende Ökonomisierung des Pflegesektors nicht nur in der Arbeitsorganisation, sondern auch in der Ausbildungsliteratur der Pflegekräfte niederschlägt. In diesem Zusammenhang – so die Ausgangsannahme – lässt sich empirisch ein spezifischer Orientierungswandel in der Krankenhauspflege zeigen.

Mit Blick auf die konfligierenden Rationalitäten der „Fürsorge“ und der „Ökonomie“ wurde in empirischen Analysen (u. a. Becker 2014; Braun et al. 2010; Senghaas-Knobloch und Kumbruck 2006) bereits festgestellt, dass sich die Transformation im Gesundheitswesen im Allgemeinen und im Krankenhauswesen im Besonderen entlang von drei Prozessen nachvollziehen lässt: Wie eine auf Interviews mit Pflegekräften basierende Untersuchung zeigt, wird eine traditionell ganzheitliche Pflegearbeit tendenziell durch Verschlankung, Kommodifizierung und Externalisierung affiziert (vgl. hierzu Becker 2014; ausführlich zu diesen Dimensionen siehe unten Abschn. 4). Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern sich eine im Wandel begriffene pflegeberufliche Sozialisation in den Ausbildungsinhalten von Pflegelehrbüchern widerspiegelt. Als empirische Grundlage für eine inhaltsanalytische Rekonstruktion des angenommen Wandels dient das Standardwerk Thiemes Pflege. Das Lehrbuch für Pflegende in Ausbildung (in den Auflagen von 1973 bis 2012).

2 Herleitung der Hypothese

Der Einzug ökonomischer Steuerungsinstrumente in immer weitere gesellschaftliche Bereiche erfolgt in der Regel eher schleichend – insbesondere in jenen Bereichen, die sich vormals an außerökonomischen Grundsätzen orientierten. Im Krankenhaussektor lässt er sich an dem Anfang der 1990er-Jahre von der Politik eingeläuteten Paradigmenwechsel festmachen, der von einer bis dahin geltenden bedarfsorientierten Finanzierung abrückte und stattdessen auf eine von Marktprinzipien und Kosten-Nutzen-Kalkülen geleitete Steuerungslogik setzte (Böhm 2009; Gerlinger und Mosebach 2009; Simon 2013). Auch das Gesundheitswesen folgt damit dem in anderen Bereichen beobachtbaren Trend einer Marktzentrierung. Mit der Gesundheitsreform von 2000 wurden die Vergütungen der Krankenhausleistungen fast vollständig auf ein leistungsorientiertes Fallpauschalen-System umgestellt. Die Erbringung von Pflegeleistungen gerät dadurch unter einen erheblichen Kostendruck (Marrs 2007; Simon 2008), dem Krankenhäuser in der Regel mit einer Reduktion von Personal begegnen. Die Beschäftigten werden dadurch mit einer enormen Arbeitsverdichtung konfrontiert, deren Folgen sie vielfach individuell bearbeiten (Becker 2016). Zentral für ihre Bearbeitung ist die Vermittlung zwischen Patientenwohl und Gewinnorientierung, die vermehrt zu subjektiven Konflikten bei den Pflegenden führt (u. a. Braun et al. 2010).

Diese Entwicklungen haben zur Folge, dass sich die berufliche Sozialisation von Pflegekräften im Krankenhaus heute unter deutlich anderen makroökonomischen Rahmenbedingungen als in den 1970er- und 1980er-Jahren vollzieht. Diese Veränderungen haben – wie eigene Erhebungen zeigen – Rückwirkungen auf die soziokulturellen und normativen Orientierungen als Bestandteil des beruflichen Handelns und Selbstverständnisses (siehe dazu Becker 2014). Wie aus anderen Untersuchungen hervorgeht, ist die Entwicklung der beruflichen Rolle ein dynamischer Prozess, der von verschiedenen soziokulturellen Faktoren abhängt (Johnson et al. 2012). Wesentlich beim Erwerb von Wissen, Fertigkeiten und beruflichen Orientierungen der Pflegekräfte ist dabei die dreijährige Ausbildung (Gorwin 1972; Koff 2004; Price 2009; Safadi et al. 2011). Im Anschluss an diese Ausbildung bzw. in Wechselwirkung mit dieser wird die Berufsorientierung und die damit verbundene Vorstellung „guter Pflegearbeit“ durch die Anforderungen der alltäglichen – nunmehr ökonomisierten – Praxis weiterentwickelt, modifiziert, gegebenenfalls auch korrigiert. Für die Vorstellung dessen, was „gute Pflege“ ausmacht und beinhaltet, sind Pflegelehrbücher prägend. Sie stellen Orientierungen und Handlungsmuster für den pflegerischen Alltag bereit, kodifizieren gewissermaßen den Wissensstand einer Berufsgruppe und bringen – implizit wie explizit – zum Ausdruck, welche Orientierungen in der „Zunft“ als wesentlich gelten. Es ist dementsprechend zu vermuten, dass sich der Einzug ökonomischer Logiken auch in der Ausbildung und den Lehrbüchern niederschlägt. So schreibt etwa die aktuelle Krankenpflege-Ausbildungs-Prüfungsverordnung von 2003 (in Anlage 1 zu § 1 Abs. 1; KrPflAPrV 2003) vor, die Schülerinnen und Schüler zu befähigen, „Verantwortung für Entwicklungen im Gesundheitssystem im Sinne von Effektivität und Effizienz mitzutragen und mit materiellen und personalen Ressourcen ökonomisch […] umzugehen“. Professionsökonomische Ansätze fordern zudem die Delegitimierung der autonomen Steuerung der Pflege zugunsten einer Professionsethik, die von Effizienz-Kalkülen geprägt ist (Langer 2005; vgl. auch Baartmans 2003; Kälble 2005). Die Bedeutungszunahme ökonomischer Themen und ihre Artikulation in entsprechenden Lehrbüchern setzte in den USA bereits Ende der 1960er-Jahre ein, wie eine empirische Studie konstatiert: „And as health care increasingly became viewed as an industry like other industries, the description of nurses in relationship to the economic system changed. Initially nurses were seen as part of a ‚service of the highest calling‘, but later they were depicted as contributing to the profitability of health care because they cared for patients who were also consumers“ (Goodrick und Reay 2010, S. 69).

Für den deutschsprachigen Raum untersuchte Gabriele Overlander (1994) zwar die beruflichen Verhaltensanforderungen in Bezug auf den Umgang mit den eigenen Gefühlen. Eine systematische Analyse, welche die Lehrbücher mit Blick auf den aktuellen Umbruchs- und Ökonomisierungsprozess fokussiert, steht allerdings noch aus. Die vorliegende Untersuchung will einen Beitrag zur Schließung dieses Forschungsdesiderats leisten. Sie widmet sich der Frage, ob sich analog zu der in den US-amerikanischen Lehrbüchern diagnostizierten Tendenz auch hierzulande in der Ausbildungsliteratur der Krankenhauspflege ein entsprechender Entwicklungsprozess abzeichnet.Footnote 3

Der Untersuchung liegt also folgende Hypothese zugrunde: Auch in deutschsprachigen Pflegelehrbüchern zeigt sich eine tendenzielle Transformation hin zu einem Pflegeverständnis und -handeln, welches von einer doppelten Rationalisierung geprägt ist. Sie besteht in einer zunehmenden Professionalisierung einerseits und einer Orientierung an betriebswirtschaftlichen Kalkülen andererseits.

3 Methode: Die qualitative und quantitative Inhaltsanalyse eines „Lehrbuchklassikers“

Zur Untersuchung unserer Hypothese haben wir einen Klassiker in der Krankenpflegeausbildung – Thiemes Pflege. Das Lehrbuch für Pflegende in Ausbildung – herangezogen. Dieses Lehrbuch eignet sich dafür aus mehreren Gründen: Zum einen gilt es als Standardwerk der Pflegeausbildung. Wie uns bei Feldaufenthalten in Krankenhäusern bestätigt wurde, ist die ursprüngliche Autorin, die Kranken- und Ordensschwester Liliane Juchli (geb. 1933), bei den Pflegeausbildern eine Identifikationsfigur (Fellenberg 2013; Kessler und Knobel 2009). Zum anderen wurde das Lehrbuch von 1973 bis 2012 durchgehend aufgelegt und überarbeitet, weswegen es sich für eine Längsschnittuntersuchung besonders anbietet. Es liegt bereits in der zwölften Auflage vor, wurde über eine Million Mal verkauft (Fellenberg 2013, S. 137) und ist auch in italienischer und holländischer Sprache erschienen. Es zeichnet sich besonders durch die Ausarbeitung einer ganzheitlich-patientenorientierten Pflege im Rahmen des Modells der „Aktivitäten des täglichen Lebens“ aus (Juchli 1993; Kessler und Knobel 2009).

In einem ersten Schritt wurden die Bücher von der ersten bis zur zwölften Auflage vollständig digitalisiert und mit einer Texterkennungssoftware erfasst. In einem zweiten Schritt wurde der Lehrbücher-Korpus gemäß der standardisierten Verfahrensweise der Inhaltsanalyse (Früh 2011) mithilfe einer QDA-Software nacheinander codiert, wobei das Kategoriensystem stets um im Sinne der Forschungsfrage relevante Aspekte erweitert wurde. Neu hinzugefügte Kategorien und Subkategorien konnten nachfolgend über die Funktion „Erweiterte lexikalische Suche“ identifiziert und im Nachhinein codiert werden. Kapitel, die keinen Beitrag zur Klärung der Forschungsfrage leisteten, flossen nicht in die weitergehende Analyse ein. Dabei wurde darauf geachtet, dass die ausgewählten Kapitel durch die Auflagen hindurch eine Vergleichbarkeit hinsichtlich der behandelten Inhalte gewährleisteten. Der Codiervorgang orientierte sich an vorgetragenen Argumenten und Beschreibungen der Anforderungen im Pflegeprozess, weshalb die codierten Textstellen erheblich in ihrer Länge variieren. Anschließend erfolgte eine Strukturierung und Zusammenfassung der extrahierten Textsegmente (vgl. Mayring 2010) entlang der drei Ökonomisierungsprozesse Verschlankung, Kommodifizierung und Externalisierung. Anschließend wurden diagnostische Schlüsse hinsichtlich des theoretischen Kontextes und der forschungsleitenden Hypothese gezogen. Im Ergebnis entstand die im Folgenden wiedergegebene verdichtete Darstellung der diskursiven Wandlungsprozesse.

Um zudem über die Verbreitung ausgewählter Elemente dieser Prozesse Auskunft geben zu können, wurden deren Häufigkeit im Rahmen einer quantitativen Inhaltsanalyse untersucht. Hierfür wurden bestimmte Kategorien, die diese Elemente zum Ausdruck bringen, identifiziert und deren Verbreitung mittels einer Themenfrequenzanalyse untersucht (vgl. Früh 2011). Wurde beispielsweise in der qualitativen Analyse herausgearbeitet, dass die Patienten affirmativ auch mit der Kategorie „Kunde“ bezeichnet werden, galt es in der Themenfrequenzanalyse herauszuarbeiten, in welcher Auflage des Buches diese Bezeichnung mit welcher Häufigkeit anzutreffen ist. Es wird angenommen, dass die Häufigkeit der Nennung eines Begriffs bzw. einer Begriffsgruppe ihrer Bedeutung bzw. Relevanz für die beruflichen Orientierungen entspricht (vgl. Goodrick und Reay 2010, S. 62). Es wurde dabei stets codiert, ob es sich bei der durch die QDA-Software (Diktionärsfunktion) angegebenen Fundstelle um einen Fehler (z. B. „die Kunde“ statt „der Kunde“), eine positive (positiver Treffer) oder negativ-kritische Nennung (negativer Treffer) der Kategorie handelte. Auf diese Weise wurden 2364 Fundstellen codiert. Zur Überprüfung der Reliabilität der Themenfrequenzanalysen wurden etwas mehr als zwei Drittel der Fundstellen von zwei Ratern unabhängig voneinander codiert. Die Interrater-Reliabilität liegt über alle Codes verteilt bei sehr zufriedenstellenden nahezu 90 Prozent. Die exakten Kategorien (und Reliabilitäten) werden in der Ergebnisdarstellung gesondert aufgeführt, da sie sich aus der Ergebnisdarstellung begründen.

4 Tendenzen eines diskursiven Wandels der Pflege: Inhaltsanalyse eines Lehrbuchs der Pflegeausbildung

Im Folgenden sollen Tendenzen des diskursiven Wandels, wie er sich in den Lehrbüchern seit 1973 bis 2012 abzeichnet, systematisch und entlang der genannten Verschlankungs-, Kommodifizierungs- und Externalisierungsprozesse aufgezeigt werden (ausführlich siehe Becker 2014).

4.1 Verschlankung

Verschlankung beschreibt die Verlagerung von Tätigkeiten und Aufgaben innerhalb des Pflegeprozesses entlang der verschiedenen Qualifikationsstufen der im Krankenhaus Beschäftigten (Ärzte, examinierte Pflegekräfte) sowie deren vertikale Erweiterung (um Hilfs- und Servicekräfte). Zu erkennen ist diese Verschiebung bereits in den 1970er-Jahren, wobei sie in den darauffolgenden Auflagen des Lehrbuches an Bedeutung gewinnt.

Zentral ist dabei die Frage nach einer möglichen Abgrenzung medizinisch-pflegerischer Kompetenzen und einer (auch rechtlichen) Verantwortungsübernahme, die sich mit der Delegation von Aufgaben zum Teil neu stellt. Dabei lässt sich über die Jahrgänge hinweg eine sukzessive Aufweichung der zunächst klar definierten pflegerischen wie medizinischen Aufgabenbereiche feststellen: In der vierten Auflage (1983) wird formuliert, dass die Durchführung therapeutischer Aufgaben von der Pflege übernommen werden soll; die Verantwortung liegt jedoch im ärztlichen Kompetenzbereich. Dies ändert sich in den 2000er-Jahren, wenn die reine Mithilfe und Assistenz unter ärztlicher Weisungsbefugnis zugunsten einer vollen Übernahme- und Durchführungsverantwortung seitens der Pflege ersetzt wird. Die Voraussetzung für die Übernahme der Behandlung durch eine Pflegeperson hängt dann von der „theoretische[n] und praktische[n] Gefährdungsmöglichkeit“ der Patienten ab (2000, S. 212)Footnote 4, aber auch von der Einschätzung der durchführenden Pflegeperson selbst: „Die Pflegeperson muss immer selbstkritisch prüfen, ob sie tatsächlich in der Lage ist, die ihr vom Arzt aufgetragene Aufgabe optimal zu erfüllen.“ (2000, S. 212; 2004, S. 115)

Diese auf eine individuelle Verantwortungsübernahme deutende Entwicklung kann zum einen als Konsequenz einer zunehmenden Professionalisierung der Pflege selbst interpretiert werden – Hinweise dafür liefert die Forderung nach einer Ausweitung von Pflegetätigkeiten –, zugleich aber auch als ein Mittel der Kostenreduktion. Während die Forderung nach „Ausweitung statt Abgrenzung“ (2009, S. 32)Footnote 5 eine Aufwertung der pflegerischen Tätigkeiten suggeriert und zugleich einen Stellenaufbau impliziert, wird eine neue Personalstruktur – beruhend auf einem „der Pflege zuarbeitenden Unterbau“ (ebd.) – als Voraussetzung zur Realisierung der Forderung nach Professionalisierung angesehen. Denn „[e]rst der personelle Qualifikationsmix führt dazu, dass gut ausgebildetes Pflegepersonal den Regelkreis des Pflegeprozesses anwenden und evaluieren kann“ (2009, S. 32; 2012, S. 28). An anderer Stelle wird jener „Unterbau“ aus Kosten- und Qualifikationsgründen explizit gefordert: „Ausgelöst durch den Personalmangel in den Pflegeberufen in den 80er [Jahren] bis Mitte der 90er Jahre versuchte die Pflege sogenannte berufsfremde Tätigkeiten abzugeben, wobei darunter überwiegend ärztliche Tätigkeiten verstanden wurden. Übersehen wurde dabei, dass gleichzeitig – wie auch bei den Ärzten – der Anteil an Verwaltungsarbeiten stetig zunahm. Untersuchungen sprechen hier für beide Berufsgruppen von rund 30 % Schreib- und Dokumentationsaufgaben, aber auch Tätigkeiten wie Patientenaufnahme und in der Pflege zusätzlich je nach Struktur des Krankenhauses auch hauswirtschaftliche Tätigkeiten. Damit wird gut ausgebildetes Pflegepersonal für Arbeiten herangezogen, für die es überqualifiziert und auch zu teuer bezahlt ist.“ (2012, S. 28)

Aufschlussreich ist, dass schon in den ersten drei Auflagen von 1973 bis 1979 der Einsatz von Hilfspersonal in der Pflegegruppe explizit als Gefahr benannt wird. Wenn sich die Pflegekraft „vom Krankenbett und den Aufgaben der Grundpflege entfernt [und die] Grundpflege ganz den Helferinnen überläßt, verliert sie den Kontakt zum Patienten und wird eine ihrer wichtigsten Aufgaben – die Bedürfnisse des Patienten richtig zu erkennen und seinen Gemütszustand zu beeinflussen – nur noch schwer erfüllen können“ (1973, S. 21). Auch in der zweiten Auflage (1979) wird auf für den Patienten durchaus krisenhaft erlebte Situationen verwiesen, welche ausschließlich der Obhut der professionellen Pflegekräfte vorbehalten sind. So soll zum Beispiel „nach einer Operation oder einer schweren Krankheit, […] die Schwester dabei sein, d. h. sie darf diese Aufgabe nicht an Hilfspersonen delegieren“ (1979, S. 89). Die Bedingungen, die mit dem Einsatz von Hilfskräften in der Pflege formuliert werden, lassen sich in den folgenden Auflagen nicht mehr auffinden. Dies lässt den Schluss zu, dass sie aufgegeben wurden. Dass die in den frühen Auflagen vorweggenommenen Probleme in den aktuellen Auflagen keine Erwähnung mehr finden, erweckt zudem den Eindruck, dass sich diese Befürchtungen als unbegründet erwiesen haben. Dass hierbei Zweifel angebracht sind, wird an der früh einsetzenden Kritik an einer Parzellierung des Pflegeprozesses in tayloristischer Manier deutlich, wie sie etwa im Konzept der Funktionspflege umgesetzt wurde: „Bei diesem System besteht die große Gefahr, daß der Patient nicht weiß, wer eigentlich für ihn und seine Bedürfnisse zuständig ist. Er fühlt sich in die Rolle eines Arbeitsobjektes hineingedrängt“ (1973, S. 15).Footnote 6

Eine stetig thematisierte Anforderung der Pflegearbeit besteht darin, sich für die Patienten Zeit zu nehmen und dabei auf ihre individuellen Bedürfnisse einzugehen. So heißt es etwa in der Auflage von 1973 (1973, S. 23): „Zeit haben – Zuhören können – Schweigen können: Das sind Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen, wenn wir ein Vertrauensverhältnis schaffen, unterstützen oder fördern wollen. Wir müssen bereit sein, hier und da einfach bei einem Patienten zu bleiben, ohne viel zu reden oder zu fragen. Wir müssen auf seine Probleme eingehen, über seine Wünsche und Konflikte sprechen, nicht über unsere eigenen. Wir müssen zuhören können, ihn dazu bringen, daß er über sich selber spricht und seinen Gefühlen Ausdruck gibt.“

Dieser Anspruch erfährt innerhalb der betrachteten knapp 30 Jahre eine beachtliche Veränderung. Während in den Auflagen von 1973 (1973, S. 35), 1976 (1976, S. 273) und 1979 (1979, S. 285) das Zeitnehmen für einen Patienten als Möglichkeit zur Beruhigung bei Angst, Sorge und Heimweh angeführt wird, erscheint dies in späteren Auflagen erstens nur in Tabellenform zur Ursachenbekämpfung von Schlafstörungen, zweitens findet das „beruhigende Gespräch“ (u. a. 1973, S. 35) dort gar keine Erwähnung mehr (vgl. 2009, S. 249; 2012, S. 221). Dies zeugt von einer Reduzierung des Pflegeanspruchs auf technisch-funktionale Tätigkeiten an dem Patienten, die als Konsequenz der angeführten personalbezogenen Verschlankungsprozesse interpretiert werden kann. Es kann angenommen werden, dass die vormals eher ganzheitliche Arbeit damit zunehmend fragmentiert wird. Einzelne Abläufe können so – einer Wertschöpfungskette gleich – einer Kosten-Nutzen-Kalkulation unterzogen werden, die es möglich macht, Effizienz- und Optimierungseffekte zu realisieren.

Verschlankungsprozesse dieser Art scheinen auch in dem über die Auflagen an Bedeutung gewinnenden Thema der Patientenedukation auf: Patienten zu informieren, heißt in den neueren Auflagen nicht mehr, ihnen dabei auch emotionale Fürsorge zukommen zu lassen (vgl. die Auflagen der 1970er-, 80er- und 90er-Jahre). Stattdessen soll das beruhigende Gespräch, mit welchem auf die individuellen und akut auftretenden, zum Teil auch situationsgebundenen Probleme der Patienten reagiert werden kann, durch standardisierte Prozesse ersetzt werden: so zum Beispiel durch die „einfache Weitergabe von Informationsmaterial in Form von Broschüren oder Internethinweisen“ (2012, S. 178). Orientierung sollen dabei Prinzipien des Informationsgesprächs geben, die dazu dienen, „die Verständlichkeit der Information zu optimieren und eine möglichst hohe Behaltquote zu erreichen“ (2004, S. 62). Standardisierung kann in diesem Beispiel als Professionalisierungsansinnen gelesen werden; de facto steht sie aber auch in Spannung zur Subjektivität der Pflege. In der 2000 erschienenen Auflage zielt die Patientenedukation in erster Linie auf die rechtliche Absicherung der Behandlung und Pflegenden einerseits und ist Bestandteil der „Hilfe zur Selbsthilfe“ (2004, S. 856) andererseits. Auf den Punkt gebracht, heißt dies: „Nicht das Wohlergehen des Kranken steht an erster Stelle, sondern der Wille des Patienten ist entscheidend.“ (2004, S. 115)

Informieren um der Hilfe zur Selbsthilfe willen findet Ausdruck in einer die pflegerische und ärztliche Aufklärung ergänzenden Handreichung externer Angebote und spezifischer Pflegedienstleistungen (vgl. 2012, S. 178). Wenngleich Beratung demnach als aktuelles und zukunftsträchtiges Thema aufgewertet wird, bleibt eine partielle Rücknahme dieser Anforderung mit Verweis auf die fehlenden Kapazitäten nicht aus: „Beraten zu können, ist in der Pflege eine Grundkompetenz. Manche Menschen sind von ‚Natur aus‘ gute Berater, andere müssen es mühsam lernen. In der Pflege wurden bisher immer ‚große‘ Beratungsentwürfe aus der Psychologie und der Pädagogik diskutiert. Ihnen liegen vielfach lange Beratungsprozesse zugrunde, eine Forderung, die für viele Pflegesituationen unrealistisch ist. Das Beratungssetting Pflege hat viele Besonderheiten, weswegen es andere (spezielle) Werkzeuge und Entwürfe braucht“ (2012, S. 180). An dieser Stelle wird die Spannung zwischen der Professionalisierung, die die pflegerische „Grundkompetenz des Beratens“ einschließt, und der Ökonomisierung offenkundig.

4.2 Kommodifizierung

Die Inwertsetzung pflegerischer Tätigkeiten zeigt sich im Rahmen eines Wandels von Interaktionsstrukturen erstens daran, dass das charakteristische „Nebenbei“ der Kommunikation zwischen Pflegekraft und Patient schleichend wegrationalisiert wird. Wenn sich die Liegezeiten der Patienten aufgrund einer neuen Kostenreduktionsorientierung der Krankenhäuser sukzessive verkürzen, können „[v]iele Gespräche in der Pflege […] nicht in einen länger geplanten Prozess integriert werden“ (2012, S. 180). Zweitens scheint der Bedarf an Kommunikations- und Interaktionsarbeit zunehmend legitimiert werden zu müssen. Grund dafür ist, dass Pflegende insbesondere seit Einführung des DRG-Systems dazu angehalten sind, jegliche Behandlungsschritte nachvollziehbar und abrechenbar zu dokumentieren. Zur Dokumentation zwischenmenschlicher Prozesse fehle es allerdings an Fachbegriffen sowie einer adäquaten Ausbildung, welche es ermöglichen, zwischenmenschliche Beziehungen zu quantifizieren: „Der Stellenwert jeglicher Interaktionsarbeit in der Pflege ist noch gering. Pflegende haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich bei Gesprächen aufhalten und die ‚richtige Arbeit‘ liegen bleibt. Interaktionsarbeit wird kaum dokumentiert, es fehlt an Fachbegriffen.“ (ebd.)

„Richtige Arbeit“ meint im zunehmend marktzentrierten Krankenhaus mit DRG-Steuerung quantifizierbare und monetär verwertbare Tätigkeiten. Kommunikative und emotionale Zuwendungen sowie „Abweichungen“ von einem rein zweckrationalen Handeln sind abrechnungstechnisch indes nur schwer zu bestimmen und konterkarieren damit eine Kosten-Nutzen-optimierte Ausrichtung. Erscheinen diese – in Managementkonzeptionen auch als „weich“ firmierenden – Faktoren in einem an Ganzheitlichkeit orientierten Pflegekonzept noch als Faktoren, die die Qualität sichern und die Effizienz steigern, werden sie in der ökonomischen Logik zu einem reinen Kostenfaktor, der ausgegliedert oder an andere Dienstleister als eigene Abrechnungseinheit delegiert werden sollte: „Manchmal ist die pflegerische Arbeit mit den Gefühlen von Patienten so vorrangig, dass Pflegende Teile des Pflegeprozesses an andere Therapeuten delegieren müssen“ (2004, S. 15). Dies auch deshalb, weil Gefühlsarbeit (die darin besteht, die Gefühle der Patienten positiv zu beeinflussen) unter den Bedingungen der Marktzentrierung zusehends unter Druck gerät (vgl. Strauss et al. 1980; Brucks 1999). Neben einer tendenziell ausgelagerten Patientenkommunikation unterliegt auch die Arbeit an den eigenen Gefühlen im marktzentrierten Krankenhaus VeränderungenFootnote 7. Diese sind wiederum Ausdruck des ambivalenten Verhältnisses zwischen der Professionalisierung der Pflege und einem zunehmenden Ökonomisierungsdruck in den Krankenhäusern. Die Thematisierung von Gefühlsarbeit in den analysierten Ausbildungsbüchern lässt sich anhand von drei Phasen systematisieren – der Phase der christlichen Nächstenliebe, der Aus- und Weiterbildung sowie der Selbstbildung und Professionalisierung –, für die unterschiedliche, sich wandelnde normative Bezugspunkte kennzeichnend sind (vgl. Tab. 1). Während die Arbeit an den Gefühlen der Patienten in der ersten Auflage (1973) keine Erwähnung findet, erscheint sie in den Auflagen der Jahre 1979 bis 2000 als Abgrenzung von den Leiden des Kranken, die auf gratifikatorisch nur schwer bestimmbaren Merkmalen wie Erfahrung, Reife und Menschenkenntnis beruht.

Tab. 1 Normative Anforderungen an Gefühlsarbeit

In den aktuelleren Auflagen der Lehrbücher wird auf kollegiale Netzwerke verwiesen, um die genannten Anforderungen im Umgang mit den eigenen Gefühlen zu bewältigen. Die reflexive Auseinandersetzung mit sowohl positiven als auch negativen Gefühlen sei Ausgangspunkt einer angemessenen Pflege sowie der Patient-Pfleger-Beziehung (u. a. 2000, S. 14). Zugleich wird aber erkennbar, dass diese organisationalen Ressourcen in der praktischen Umsetzung auf tönernen Füßen stehen. So wird zwar die „Sinn- und Selbstfindung“ (2000, S. 49 ff.), für welche die Pflegekräfte auf diese Ressourcen zurückgreifen können müssen, immer wieder thematisiert, allerdings werden kaum Hinweise darauf gegeben, wie dies außerhalb professioneller Beratungen oder innerer Reflexion realisiert werden soll. Vielmehr wird anhand einer dafür erforderlichen Selbstreferenz der Anspruch erhoben, dass es wichtig sei, „im Sinne der eigenen Kompetenzen kollegiale Beratung zu suchen“ (2012, S. 181). Da dies – wie in der Ausgabe von 2012 auch ergänzt wird – jedoch kaum eingelöst werden kann („Pflegende [können] sich kaum selbst Rat und Unterstützung holen, z. B. in Form von Supervision oder kollegialer Beratung“ (2012, S. 181)), steht hinter dieser Anrufung vor allem eine individualisierte Verantwortungszuweisung, die in der Anforderung einer „Self Care“ (2012, S. 180) als Voraussetzung für eine gute Pflege ihren vorläufigen Höhepunkt findet.

4.2.1 Von der Patienten- zur Kundenorientierung

Eine kalkulierte Beziehungsgestaltung im Sinne wirtschaftlicher Zweckrationalität wird auch durch den sprachlichen Wandel der Ansprache des Patienten als Kunden nahegelegt. So heißt es beispielsweise: „Die Sorgfalt der Reinigungskraft hat für den Kunden ebenso eine Bedeutung wie das Auftreten und die Freundlichkeit eines Krankenpflegeschülers oder des Chefarztes. Daher sollte bei der Dienstleistungserbringung stets die Kundenorientierung im Mittelpunkt stehen. Fehlende Kundenorientierung führt zu Verärgerung. […] Kundenrückgang ist zusätzlich zu den Kosten für Fehlerbehebungen die Folge.“ (2009, S. 106)

Die begriffliche Veränderung ist Ausdruck eines veränderten Selbstverständnisses von Pflege und der Rolle der Pflegenden selbst. Zugleich zeigen sich darin auch Aspekte eines konzeptionellen Umbaus des Gesundheitssektors zu einer Gesundheitswirtschaft. Dass es sich nicht nur um eine semantische Neubestimmung handelt, sondern damit auch Merkmale einer Unternehmen-Kunden-Beziehung (wie z. B. Funktionalität) auf die Behandlung der Pflegebedürftigen übergehen, macht ein Auszug aus dem Jahr 2000 deutlich, in dem proklamiert wird, dass es sich bei den Behandlungen im Gesundheitsbereich um Leistungen handelt, die im Wettbewerb zwischen verschiedenen Anbietern angeboten werden, welche daher um Patienten als Kunden dieser Dienstleistungen konkurrieren: „Sympathie und Antipathie sind allerdings in menschennahen Berufen keine ausreichenden Steuerungsmöglichkeiten. Für die Verkäuferin im Konfektionsladen so wenig wie für die Lehrerin der dritten Klasse, für den Masseur so wenig wie für den Handwerksmeister beim Kundenbesuch, für die Pflegende so wenig wie für die Managerin, für den Arzt so wenig wie für den Angestellten an der Pforte einer Fabrik oder eines Altenheims. Sie können es sich nicht leisten, heißt es so lapidar wie zutreffend. Nicht leisten, weil sie dann Kunden verlieren. Nun ist ja auch der Begriff ‚Kunde‘ in der Pflege nicht mehr ungewöhnlich: Wenn man das Krankenhaus, ambulante Pflegestationen, Heime und Kliniken als Unternehmen konkurrierend mit anderen Unternehmen mit vergleichbaren Angeboten und seine Kunden haben muss, dann können sich diese Unternehmen [sic] es sich nicht leisten, zu Betreuende und zu Pflegende zu verlieren.“ (2000, S. 53)

Dass die Bezeichnung von Patienten als Kunden nun „nicht mehr ungewöhnlich“ ist, belegt auch die Frequenzanalyse des Begriffs über die Auflagen des Lehrbuchs hinweg: Erstmalig taucht die Kategorie in der Auflage von 1994 auf, und die Zahl ihrer absoluten Nennungen erhöht sich zwischen 2000 und der letzten Auflage 2012 um das Dreieinhalbfache. Auch ihre relative Häufigkeit nimmt kontinuierlich und deutlich zu (vgl. Abb. 1). In dem angeführten Lehrbuchzitat wird zudem offenbar, dass die Neu-Definition der Patienten als Kunden Gegenstand einer Auseinandersetzung ist, an dessen Ende die weitgehende Akzeptanz des neuen Konzepts durch die Lehrbuch-Autorinnen zu stehen sein scheint. An der Tatsache, dass Einrichtungen des Gesundheitswesens ihre Steuerung nun auch über Konkurrenzmechanismen begreifen, wird zu diesem Zeitpunkt scheinbar keine Kritik mehr geübtFootnote 8.

Abb. 1
figure 1

Absolute und relative Häufigkeit der Kategorie „Kunde“ (Die Digitalisate der verschiedenen Auflagen wurden mittels der QDA-Software auf den Begriff „Kunde“ hin untersucht. Die absoluten Nennungen des Wortstamms „kunde“ (n = 161) wurden von falschen Treffern (u. a. „die Kunde“) geschieden (falscher Treffer) und anschließend codiert, ob Patienten oder Angehörige explizit wie implizit als Kunden bezeichnet werden (positiver Treffer) oder die Terminologie mit Skepsis oder Kritik angeführt wird (negativer Treffer). Dieser Vorgang wurde von zwei Ratern unabhängig voneinander vorgenommen. Die Interrater-Reliabilität (in %) lag bei sehr zufriedenstellenden 0,92. Da sich der Seitenumfang der Auflagen erheblich verändert hat, gibt Abb. 1 nicht nur die absolute Häufigkeit der positiven Treffer, sondern auch die relative Häufigkeit an. Eine Kritik am Kunden-Begriff wird 2009 lediglich an einer, 2012 an zwei Stellen artikuliert). (Quelle: eigene Berechnung)

Die Kunden-Kategorie wird vor allem in den – ab der 2000er-Auflage deutlich erweiterten – Kapiteln zur Qualitätssicherung bzw. zum Qualitätsmanagement verwendet. Die klassische Orientierung der Pflegearbeit am Wohl der Patienten wird in dem Zusammenhang an einen betriebswirtschaftlichen Begründungszusammenhang gekoppelt: „Eine umfassende und funktionierende Qualitätspolitik inkl. der systematischen Mitarbeiterförderung stärkt die Marktposition der Einrichtung im Konkurrenzkampf am Markt“ (2012, S. 101). Die Orientierung am Wohl der Patienten wird durch die Orientierung an der „Kundenzufriedenheit“ ersetzt, welche neben anderen Zielen (wie der Rentabilität) die Zielsetzung der Qualitätssicherung darstellt (vgl. u. a. 2009, S. 108). Qualität in der Pflege ist demnach nicht lediglich Selbstzweck, sondern vielmehr Mittel im Wettbewerb um Kunden und damit eine Leistung, die sich an betriebswirtschaftlichen Kriterien bemisst.Footnote 9 Dass ökonomische Kalküle besonders ab der 2000er-Auflage Einzug halten, zeigt auch die Auswertung von Abschnitten, in denen explizit Pflegeleitbilder angeführt werden.Footnote 10 Demnach ist die Pflegearbeit vor 2000 ausschließlich an den Bedürfnissen hilfebedürftiger Patienten ausgerichtet. Die Tätigkeiten leiten sich von den vier grundlegenden Aufgaben ab, „Gesundheit zu fördern, Krankheit zu verhüten, Gesundheit wiederherzustellen und Leiden zu lindern“ (vgl. u. a. 1973, S. 4; 1983, S. 53).Footnote 11 Diese Grundsätze bleiben zwar im Kern in allen Auflagen erhalten, werden aber mit einer explizit ökonomischen Zielsetzung verknüpft. Ab 2000 wird das Pflegeleitbild zu einem untergeordneten Teil eines Betriebs-, später Unternehmensleitbildes: „Das Pflegeleitbild steht in Einklang mit dem Betriebsleitbild. Das heißt, es werden dem Pflegeleitbild die Orientierungspunkte des Betriebsleitbildes zugrunde gelegt. […] Der Pflegedienst berücksichtigt die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Betriebes und praktiziert den ökonomischen Einsatz der zur Verfügung stehenden Ressourcen“ (2000, S. 122). „Die praktische Umsetzung des Pflegeleitbildes hängt prinzipiell von dessen Übereinstimmung mit dem Unternehmensleitbild ab.“ (2004, S. 165)

4.2.2 Ökonomisches Handeln als Bestandteil der Professionalisierung

Nach zunächst vagen Andeutungen in den älteren Auflagen, wie z. B., dass es in der Bewertung der Pflege nicht darum gehen könne, „dass die Stufe der optimalen Pflege unter allen Umständen richtungsweisend sein muss“ (u. a. 1983, S. 299 f.; 1987, S. 81), wird in der 2000er-Auflage die Spannung zwischen den pflegerischen Ansprüchen und der betriebsökonomischen Realität im Krankenhaus explizit formuliert (vgl. 2000, S. 94, 134). Während in den Auflagen von 1983 bis 1997 noch vom Mut, „pflegefeindliche Strukturen und Abläufe zu verändern“ (1983, S. 299 f.), die Rede war, wird in der Ausgabe aus dem Jahr 2000 die Orientierung an ökonomischen Grundsätzen mit der Logik der Professionalität verknüpft. Pflegerisches Handeln als professionalisiertes Handeln impliziert jetzt, nun individuell eine Korrespondenz zwischen „qualitätsbezogenem und ethisch verantwortlichem Denken“ und „ökonomischen Grundsätzen“ (2000, S. 94) sicherzustellen. So heißt es beispielsweise: „Ein professionelles Pflegeverständnis kann entscheidend dazu beitragen, sowohl ökonomisch verantwortlich zu handeln, als auch die Patienten […] in den Mittelpunkt der Gesundheitsinstitution zu stellen.“ (2004, S. 41) Diesem Trend wird ab 2000 durch die Aufnahme eines eigenständigen Kapitels zu „wirtschaftlichen Aspekten“ (2000, S. 233 ff.; 2004, S. 114 ff.) bzw. „wirtschaftlichem Handeln in der Pflege“ (ebd.) Nachdruck verliehen. Die Berücksichtigung betriebswirtschaftlicher Kalküle wird darin als logische Notwendigkeit gesellschaftlich knapper Ressourcen dem Pflegeselbstverständnis angedient: „Die Gesundheitsreform in Deutschland zwingt Pflegende mehr denn je[,] ökonomische (wirtschaftliche) Aspekte in den Pflegealltag einzubeziehen und ökonomisch zu handeln. […] Jede Pflegeperson ist dadurch gefordert zu überlegen, wie sie ihre eigenen Arbeitsabläufe wirtschaftlich gestalten kann. […] Wirtschaftliches Handeln zeichnet sich dadurch aus, dass trotz individueller Pflegesituationen, z. B. durch langwieriges An- und Auskleiden oder beschwerliche Wege zum Badezimmer, der vorgegebene Zeitrahmen und die Qualität der Pflege eingehalten werden“ (2004, S. 143) oder sparsam mit Material gehaushaltet werde (2009, S. 99). Als eine quasi vorgezeichnete Entwicklung wird in der 2004er-Auflage die angespannte Finanzierungssituation der Krankenhäuser gar auf die Zukunft ausgedehnt: „Die Gelder im Gesundheitswesen werden immer knapper. Dadurch wird die Pflege immer stärker gezwungen[,] wirtschaftliches Handeln zu einem Bestandteil ihrer Arbeit zu machen“ (2004, S. 143; vgl. auch 2012, S. 28).

4.2.3 Folgen für die Handlungsorientierung, Konflikte und Kritik

Die Einhaltung finanziell rationierter Rahmenvorgaben legt eine Verschiebung der Handlungsorientierung nahe, deren praktische Umsetzung auch dadurch sichergestellt werden soll, dass finanzielle Verantwortlichkeiten von der kaufmännischen Pflegeleitung auf die Stationen verlagert werden (vgl. 2009, S. 99; 2012, S. 85). Damit wird in den Lehrbüchern der Pflegausbildung ein Trend nachvollzogen, bei dem die Koordination und Kontrolle von Arbeit nicht mehr durch externe (hierarchische) Instanzen erfolgt. Vielmehr sollen die Beschäftigten sich selbst kontrollieren, indem sie ihr pflegerisches Handeln hinsichtlich ökonomischer Vorgaben überprüfen und stets hinterfragen. Der Individualität eines Patienten und seinem Wohl dabei Rechnung zu tragen, wird unter diesen Rahmenbedingungen vielfach zu einer Anforderung, die schwer zu realisieren ist. Der einzelnen Pflegekraft wird daher auch eine auf Effizienz getrimmte Standardisierung ihrer Tätigkeiten nahegelegt: „Um die entstehenden Kosten in der Patientenversorgung nicht unnötig in die Höhe zu treiben, sollten die Behandlungen im Sinne der betriebswirtschaftlichen Effizienz mit überlegtem und geplantem Ressourcenverbrauch erfolgen. In der Praxis bedeutet dies, dass die Pflegenden ihre Maßnahmen stets im Vorfeld planen und organisieren sollten, d. h. mehrere Aktivitäten möglichst zu bündeln und nach Standards vorzugehen.“ (2009, S. 99)Footnote 12

Zugleich ist erkennbar, dass die normativen Orientierungen, wie sie sich in den Lehrbüchern zeigen, keineswegs einer linearen Argumentation folgen, sondern vielmehr eine Art „umkämpftes Feld“ darstellen, in dem um Deutungshoheit gerungen wird. An dem geschilderten Orientierungswandel artikulieren nämlich einzelne Lehrbuchautorinnen in den Auflagen der Jahre 2009 und 2012 am Rande auch Kritik. So wird beispielsweise die Gefahr einer Verdinglichung der Patienten durch die Ausübung von Gewalt in der Pflege angesprochen (2009, S. 169). Im Ethik-Kapitel (nicht jedoch im Wirtschaftlichkeitskapitel) wird ab der 2009er-Auflage folgende offene Kritik formuliert: „In jüngster Zeit scheint die Ökonomie die Rolle der Fremdbestimmung der Pflege zu übernehmen. Mit dem Argument der ‚Kostenexplosion‘ und dem ‚Ende der Finanzierbarkeit‘ lässt sich noch jede Personalkürzung und Verknappung von Pflegezeiten legitimieren.“ (2009, S. 158) Es scheint, als würde der Orientierung an ökonomischer Rationalität durch einen Ausbau ethischer Grundsätze zu begegnen versucht.Footnote 13

Dass sich nichtsdestotrotz innerhalb der Lehrinhalte – als großer Trend – ein Wandel von einer ganzheitlichen (primär am Wohl der Patienten orientierten) Pflege zu einer an ökonomischen Logiken orientierten Pflege vollzieht, zeigt sich an einer Themenfrequenzanalyse zweier von uns gebildeter Kategoriensets. Das Set „Fürsorgerationalität“ wird durch die folgenden zentralen Begriffe patientenorientierter bzw. fürsorgerationaler Pflege gebildet: „Geborgenheit“, „Einfühlen“, „Fürsorge“, „Wohlbefinden“ und „Zuwendung“. Für das Set „ökonomische Rationalität“ wurden Begriffe ausgezählt, die eine Orientierung an (betriebswirtschaftlichen) Kosten-Nutzen-Kalkülen implizieren: „Kosten“, „Effizienz“, „Kunde“, „Unternehmen“ und „Wirtschaftlichkeit“.Footnote 14

Abb. 2 zeigt, dass sich die Proportionen der absoluten Häufigkeiten dieser Kategoriensets im Zeitverlauf deutlich zugunsten der „ökonomischen Rationalität“ verschieben. Sowohl die absolute als auch die relative Häufigkeit des Sets „Fürsorgerationalität“ nimmt zwischen 1994 und 2012 ab, während das Set „ökonomische Rationalität“ häufiger auftritt. Die fürsorgerationalen Kategorien verlieren zwischen 1994 und 2012 an Bedeutung (260 zu 225 Treffer); ihre relative Häufigkeit im jeweiligen Lehrbuch nimmt besonders deutlich ab (von 55 auf 33 Treffer pro 100.000 Wörter). War das Verhältnis der absoluten Häufigkeit der Sets in der ersten Auflage von Thiemes Pflege überaus deutlich zugunsten der „Fürsorgerationalität“ ausgeprägt (81:3), werden in der aktuellsten Auflage von 2012 beide Sets annähernd gleich häufig genannt (225:182).

Abb. 2
figure 2

Die Kategoriensets „Fürsorgerationalität“ und „ökonomische Rationalität“ der Pflege im Vergleich (Quelle: eigene Berechnungen)

4.3 Externalisierung

Ein wichtiger Grundpfeiler einer Pflege, die sich zunehmend an ökonomischen Rationalitätskriterien orientiert, ist die Schaffung eines Bewusstseins an den dafür erforderlichen Maßgaben. Der handlungsleitende Bezugspunkt ist dann unter Umständen nicht (mehr) ein traditioneller ganzheitlich gestalteter Pflegeanspruch, sondern ein um Elemente der Fürsorge gekappter Pflegeprozess. Tätigkeiten, die keiner ökonomischen (d. h. abrechenbaren) Logik folgen, sollen delegiert bzw. völlig ausgespart werden. Dies kann vor allem durch die unmittelbare Einbindung der Angehörigen für einfache Pflegetätigkeiten auf gewinnbringende Weise geschehen.

Der Gedanke, das familiäre Umfeld der Patienten als Ressource zu nutzen, spielte bereits in den 1980er-Jahren eine Rolle – zu einer Zeit also, in der der Einfluss der Ökonomie auf das Gesundheitswesen noch weit von heutigen Verhältnissen entfernt war. So heißt es in der Ausgabe des Lehrbuchs von 1983: „Die Angehörigen sind die wichtigsten Partner, sowohl in der krankenhausexternen als auch -internen Pflege. Ihr Potential könnte noch viel mehr ausgeschöpft werden. Angehörige sind in der Regel absolut kompetent, die Pflege auch eines Schwerkranken und Sterbenden zu übernehmen, wenn sie von der qualifizierten Fachkraft (der Schwester/dem Pfleger) zuverlässig begleitet werden.“ (1983, S. 60) Zwar wird die Möglichkeit, durch die Indienstnahme der Angehörigen die Ressourcen der Pflegekräfte anderweitig zu binden, hier nicht angesprochen, doch hatte die Einbindung der Angehörigen im Laufe der Zeit vermehrt eben jenen Effekt. Dies wird erstmals 1994 deutlich, wenn es heißt, dass „[d]as Netzwerkkonzept […] aus einem Gesundheitswesen der Zukunft nicht mehr wegzudenken [ist]. Die moderne Lebensform (Kleinfamilien, Singlehaushalte) zwingt zum Umdenken. Menschen sind aufeinander angewiesen, weshalb das natürliche Auffangnetz gepflegt werden muß, soll es bei Bedarf zur Verfügung stehen. Ein zweites sind die steigenden Gesundheitskosten. Nur durch ein gut ausgebautes Sozialnetz können die teuren Krankenhausaufenthalte so gering wie möglich gehalten und/oder eine Heimeinweisung so weit wie möglich hinausgeschoben werden.“ (1994, S. 458) Bereits 1994 wird eine Integration der „familiären Netzwerke“ als ein Vorgehen zur Kostenreduktion dargestellt. Durch den Verweis auf ökonomische Notwendigkeiten und einen gesellschaftlichen Wandel wird dabei ein Sachzwangargument konstruiert, mit dem die Konsensbereitschaft etwa bei den betroffenen Familienmitgliedern aber auch den Patienten über die eingeschlagene Richtung erhöht werden soll.

Parallel dazu tritt eine neuartige Konstellation von Pflege und Angehörigen auf. Demnach soll „jeder Mensch“ (und somit auch das erweiterte Netzwerk der Patienten) zusehends als „Nachfrager professioneller Pflege“ bzw. „Gesundheitssuchender“ (2000, S. 94)Footnote 15 in Form von ihm offerierten Beratungsleistungen in den näheren Krankenhauskontext als wertschöpfendes Unternehmen integriert werden: „So entsteht oftmals eine Doppelbelastung, die dazu führen kann, dass Angehörige selbst der Unterstützung professioneller Pflege bedürfen. Die Unterstützungsleistungen können sich beziehen auf das Informieren (z. B. über andere Unterstützungsmöglichkeiten), Beraten (z. B. hinsichtlich einer möglichen Aufnahme in ein Heim), Empfehlen und Vermitteln notwendiger Pflegehilfsmittel, Schulen und Anleiten hinsichtlich pflegepraktischer Verrichtungen, Begleiten in Krisensituationen“ (2000, S. 94; 2004, S. 41).

Dies korrespondiert mit dem Befund, dass nicht nur Patienten, sondern auch Angehörige (als Nachfrager von Beratungsleistungen) zusehends unter der Bezeichnung „Kunde“ in den untersuchten Texten auftauchen, um die sich die im Wettbewerb stehenden Krankenhäuser bemühen. Neben der Auslagerung spezifischer Leistungen an krankenhausexterne Personen lässt sich zudem eine interne Verschiebung der begleitenden und fürsorglichen Elemente der Pflege feststellen. Dafür wurde mit dem Case Manager eine neue Funktionsstelle geschaffen, die die Vermittlung zwischen Patient und Krankenhaus bzw. angeschlossene Institution übernehmen soll (2004, S. 146 f.).

Vor dem Hintergrund der Kostensenkungsstrategien im Gesundheitssystem stellt die Funktion des Case Managers eine Kommodifizierung pflegerischer Tätigkeitsbereiche insofern dar, als dieser in reduzierter Form Aspekte der Gefühlsarbeit übernehmen soll. Ihm werden damit Aufgaben übertragen, die früher der Pflege selbst zugeschrieben wurden. Ziel der Betreuung eines Patienten durch den Case Manager ist die Sicherstellung der Betreuung „over time“, die Organisation von „across services“, „Zuwendung“, „Information“, „Beratung“, „Effektivität“ und „Effizienz“ (2009, S. 135). Es wird demnach evident, was im Aufgabenbereich der Case Manager angelegt ist: eine rationalisierte Variante der pflegespezifischen Gefühlsarbeit auf PatientenebeneFootnote 16, für die Maßnahmen der kalkulierten Haushaltung bestimmend sind. Dazu gehören: Einsparung von Kosten auf Systemebene „durch Vermeidung von Über-, Unter- und Fehlversorgung[, um] unnötige Ausgaben zu verhindern und die Qualität, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Versorgung zu sichern“ (2009, S. 136).

5 Fazit und Ausblick: Fürsorgerationalität und ökonomische Rationalität

Die stationäre Krankenpflege ist seit Mitte des 20. Jahrhunderts durch einen ambivalenten Rationalisierungsprozess gekennzeichnet. Wie in der Analyse der Lehrbücher gezeigt werden konnte, wurde das professionelle Selbstverständnis der stationären Pflege nicht nur durch einen deutlichen Professionalisierungsschub geprägt, sondern auch das „Einsickern“ ökonomischer Orientierungen hinterlässt seine Spuren. Die längsschnittliche Analyse der Auflagen von Thiemes Pflege anhand von drei als zentral erachteten Ökonomisierungsprozessen – Verschlankung, Kommodifizierung und Externalisierung – lässt eine schleichende diskursive Entwicklung mit einer klaren Tendenz zutage treten:

Mit Blick auf den Aspekt der Verschlankung zeigt sich eine affirmative Bezugnahme auf die Notwendigkeit eines pflegerischen Unterbaus, welche nicht durch die – in frühen Auflagen geäußerte – Sorge um einen Beziehungsverlust relativiert wird. Gleichzeitig verlieren beruhigende Gespräche mit den Patienten ihren einstigen Stellenwert zugunsten einer standardisierten Information und Kommunikation, was den Kern des Selbstverständnisses professioneller Pflegearbeit berührt.

Parallel dazu zeigt sich – vor dem Hintergrund einer zunehmenden Kommodifizierung –, dass die emotionale Fürsorgearbeit durch zeitliche Restriktionen zusehends an Grenzen stößt und im marktzentrierten Krankenhaus vermehrt unter Legitimationsdruck gerät. Dass dies auch Folgen für die Gefühlsarbeit der Pflegekräfte selbst hat, wurde in anderen Untersuchungen gezeigt (vgl. Becker 2014). Den Pflegekräften wird individuell zur Aufgabe gemacht, ihre Gefühle zu kontrollieren und Selbstsorge zu betreiben, um unter den gegebenen Rahmenbedingungen handlungsfähig zu bleiben. In dem Zusammenhang hält auch eine Nahelegung zweckrationaler Beziehungsgestaltung Einzug, welche nicht nur im Aufgabenzuschnitt des Case Managers aufscheint, sondern auch der Kunden-Metapher inhärent ist.

Die Untersuchung verschiedener Themenfelder in den Lehrbüchern, wie den Pflegeleitbildern oder auch der Pflegequalität, macht deutlich, dass diese mit Bezug auf ökonomische Zwecksetzungen des Dienstleistungsbetriebes bzw. Unternehmens „Krankenhaus“ präsentiert werden. Zweckrational geprägte Kategorien gewinnen in den Lehrbüchern an Bedeutung. Wirtschaftlich rationales Handeln wird gleichsam zu einem eigenständigen Anspruch an die Pflegekräfte. Diese Verschränkung der Pflegepraxis mit ökonomischen Kalkülen zeigt sich auch in einem Trend zur Externalisierung. So erscheint in den neueren Auflagen die Einbeziehung von Angehörigen in den Pflegeprozess im Zusammenhang mit der Möglichkeit zur Kostenreduktion.

Zugleich setzt sich in den Lehrbüchern ein Professionalisierungsanspruch durch, der auf einem breiten Fundus von funktionalen Fertigkeiten und Wissen und auf der Verankerung des Anspruchs berufspolitischer Selbstreflexion basiert. Unter einer professionstheoretischen Perspektive stellt die Infragestellung des Selbstverständnisses von Pflege als Liebesdienst einen Fortschritt dar, wenngleich diesem Selbstverständnis eine bremsende Wirkung gegenüber dem ökonomischen Rationalisierungsdruck zugeschrieben werden kann. Ob der laufende Professionalisierungsdiskurs zu einem autonomen fürsorgerationalen Selbstverständnis beitragen wird, kann hier nicht beantwortet werden (kritisch: Bauer 2007; Friesacher 2009; Kühn 2007). Der in den vorliegenden Untersuchungsergebnissen aufscheinende Transformationsprozess wirft daher nicht zuletzt die (berufs-)politische Frage auf, ob und wie der Kern eines modernen Selbstverständnisses der Pflege – eine dem Hilfebedürftigen angemessene leibseelische Beziehung – gegenüber dem ökonomischen Rationalisierungsdruck verteidigt werden kann. Studien zu jüngeren gewerkschaftlichen Mobilisierungen von Beschäftigten in sozialen Dienstleistungsbereichen betonen, dass der Widerspruch zwischen den hohen professionellen Ansprüchen und den immer stärker an Imperativen der Kapitalverwertung und schlanken Budgets ausgerichteten Arbeitsbedingungen eine zentrale Protestressource darstellt (u. a. Kutlu 2015; Vester und Teiwes Kügler 2013; Held et al. 2011, S. 74 ff.; Dörre et al. 2016, S. 163 ff.; mit Blick auf die Krankenpflege: Wolf 2013; Zender 2014). Dabei scheint das Berufsethos allerdings als mehr oder minder stabile fürsorgliche Orientierung angesehen zu werden.

Unsere Studie zeigt demgegenüber einen Wandel professioneller Diskurse am Beispiel der Krankenpflege und lässt insofern fragen, ob der Widerspruch zwischen fürsorglichem Berufsethos und restriktiven Arbeitsbedingungen auch in Zukunft weiterhin in dem Maße eine Mobilisierungsressource darstellen wird. Die Untersuchung belegt, dass die fürsorgerationale Arbeitslogik in der Pflege unter Druck steht und auf ein von der Professionsökonomik gefordertes „decent minimum“ (Langer 2005, S. 204; vgl. auch Dingwall und Allen 2001) reduziert zu werden droht. Erste Befunde einer Längsschnittbefragung von Pflegekräften deuteten dies bereits wenige Jahre nach Einführung des DRG-Systems an: Nur 49 % stimmten im Jahre 2008 der Aussage voll zu, wirtschaftliche Erwägungen seien nachrangig. Der Aussage, sie legten Wert auf eine würdevolle Behandlung der Patienten, stimmten nur noch 79 % zu (−9 % gegenüber 2003). Nur 66 % bejahten, dass die emotionale und soziale Zuwendung grundsätzlich zur Versorgung der Patienten gehört (−3 % gegenüber 2003) (Braun et al. 2010, S. 14 f.).

In den Lehrbüchern gewinnt – insbesondere ab der 2000er-Auflage, mit der die Ursprungsautorin Juchli die Arbeit am Lehrbuch abgegeben hat – parallel zur ökonomischen Überformung der realen Arbeitsbedingungen eine ökonomische Zweckrationalität deutlich an Boden. Die sukzessive Intrusion der Ökonomie in das Feld der Pflege – wie u. a. von Ullrich Bauer (2007) oder Hartmut Remmers (2010) herausgearbeitet – lässt sich damit auch in einem Kernelement dieses Berufs, dem Ausbildungsmaterial, nachweisen. Dies wurde bisher nur für US-amerikanische Lehrbücher gezeigt (vgl. Goodrick und Reay 2010).

Mit dem Bedeutungsgewinn betriebswirtschaftlicher Orientierungen vollzieht sich allerdings keineswegs ein abrupter Wechsel, es deutet sich vielmehr eine Hybridisierung der Professionsrationalität in der Pflege an, im Zuge dessen sich das konstatierte Dilemma zwischen Qualität und Effizienz aus der Pflegepraxis (vgl. Kirpal 2004; Senghaas-Knobloch 2008) zu einem Intra-Rollen-Konflikt der Beschäftigen entwickelt. Wie in zahlreichen Studien belegt (u. a. Braun et al. 2008; Nock et al. 2013), sehen sich viele Pflegekräfte genötigt, diesem Konflikt durch Abstriche bei der Qualität zu begegnen. So steht zu befürchten, dass die adäquate pflegerische Fürsorge, z. B. in Form angemessener Gefühlsarbeit, zu einer optionalen Dienstleistung wird, die in Patientenhotels oder auf Privatstationen zusätzlich erworben werden kann. Der widersprüchliche Doppelcharakter, der jede Ware und jede Arbeit in kapitalistischen Produktions- und Verwertungsprozessen prägt (Marx 1962), tritt im Zuge der Ökonomisierung des Gesundheitssektors und der Fürsorgearbeit (Bauer 2007) auch im Bereich der Pflegearbeit zunehmend deutlicher zu Tage, sodass inzwischen von einem Doppelcharakter der Pflege gesprochen werden kann. Ihn kennzeichnet einerseits die Orientierung darauf, als fürsorgerationale Arbeit konkret nützlich zu sein, und andererseits die Orientierung auf das Erfordernis, in einem Kosten und Nutzen zu kalkulierenden Produktions- und Verwertungsprozess zu bestehen.