1 Einleitung

Schon vor dem jüngsten Anstieg bei der Flüchtlingszuwanderung stand fest, dass der Bevölkerungsteil mit Migrationshintergrund in Deutschland in den kommenden Jahren deutlich anwachsen wird: Hatten 2014 rund 20 Prozent der Einwohner ausländische Wurzeln (entsprechend der Definition des Statistischen Bundesamtes)Footnote 1, betrug der Anteil unter den Kindern bis fünf Jahren etwa 35 Prozent. Selbst ohne künftige Zuwanderung würde die ethnische Vielfalt in Deutschland daher in einer solchen Größenordnung zunehmen. Die Migrationszahlen der letzten Jahre legen jedoch nahe, dass es dabei nicht bleiben wird. Zwar können künftige Wanderungsraten unmöglich vorhergesagt werden, aber es erscheint vor dem Hintergrund eines Wanderungsgewinns von mehr als 500.000 Menschen im Jahr 2014 – größtenteils aus der EU und noch vor dem verstärkten Zuzug von Asylsuchenden seit Mitte 2015 – zumindest plausibel, dass die Szenarien des Statistischen Bundesamtes (2009), die von einer zukünftigen jährlichen Nettozuwanderung von 100.000 bzw. 200.000 Menschen in der hohen Variante ausgehen, zu niedrig angesetzt sind.

Was dies für das zukünftige Selbstverständnis der Gesellschaft heißt, ist noch ungewiss. Konzepte von nationaler Identität und kultureller Zugehörigkeit können sich verändern, wie etwa die Entwicklung in den Vereinigten Staaten zeigt, wo sich im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts mehrfach gewandelt hat, wer zur „Mehrheitsgesellschaft“ gehört und was die amerikanische Identität ausmacht (Alba 1990). Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass es in den kommenden Jahren eine der zentralen gesellschaftlichen Fragen sein wird, wie der heute als „Mehrheit“ bezeichnete Teil der deutschen Gesellschaft auf den Anstieg der zugewanderten Bevölkerung reagieren wird. Hierbei lässt sich ein empirisches Paradox feststellen, das auch in der öffentlichen Diskussion zum Thema immer wieder Beachtung findet: Einerseits finden viele Studien einen klaren Zusammenhang zwischen einer hohen Zuwanderung und einem Anstieg von Bedrohungsgefühlen gegenüber Zuwanderung, Stimmenanteilen für rechtsgerichtete Parteien und fremdenfeindlichen Gewalttaten vor. Andererseits sind solche Entwicklungen häufig in Gegenden zu beobachten, wo der tatsächliche Zuwandereranteil eher gering ist. In Deutschland sticht in diesem Zusammenhang das immer noch deutliche West-Ost-Gefälle bei der geografischen Verteilung der Zuwanderer hervor und gegenläufig hierzu der überdurchschnittliche Erfolg fremdenfeindlicher Bewegungen und Parteien in den neuen Bundesländern.

Wie lässt sich dieser scheinbare Widerspruch erklären? Dieser Beitrag hebt die Bedeutung der geografischen Ebene, auf der Zuwanderung beobachtet wird, hervor. Ein steigender nationaler Zuwandereranteil kann sich regional und lokal unterschiedlich stark niederschlagen. Dementsprechend können Menschen persönlich unterschiedlich von der steigenden Zuwanderung betroffen, aber demselben öffentlichen Diskurs ausgesetzt sein, der sich vor allem auf nationale Zuwandererzahlen bezieht und auf Veränderungen dieser reagiert. Im öffentlichen Diskurs und damit als Folge nationaler Migrationsraten, so die Argumentation in diesem Aufsatz, werden vor allem Bedrohungsgefühle induziert. Demgegenüber stehen Kontakt- und Gewöhnungseffekte, die in der Forschung als zweite Gruppe kausaler Wirkungsmechanismen beschrieben werden. Diese setzen die geografische Nähe zu Zuwanderern voraus und werden folglich mit den Migrantenzahlen auf regionaler Ebene in Zusammenhang gebracht. Die empirischen Ergebnisse hierzu zeigen in Deutschland auch relativ eindeutig, dass auf der Ebene der rund 400 Landkreise in Deutschland ein höherer Zuwandereranteil mit positiveren Einstellungen zur Zuwanderung korreliert.

Diese Befunde lassen sich jedoch nicht replizieren, wenn man die Betrachtung nochmals eine Ebene tiefer in das unmittelbare Wohnumfeld der Menschen verlagert. Am Beispiel der rund 150 Stadtteile und 300 Wahlbezirke der Stadt Stuttgart zeigt sich im Vergleich, dass in den Vierteln mit mehr Zuwandereranteil die Alternative für Deutschland (AfD) einen größeren Zuspruch findet und Deutsche im Saldo überwiegend fortziehen. Zwar lassen sich diese individuellen Entscheidungen kausal nicht zweifelsfrei auf den kontextuellen Zuwandereranteil zurückführen, aber im Ergebnis sind andere Tendenzen zu beobachten als noch auf der gröber gegliederten regionalen Ebene. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen soll schlussendlich einzuschätzen versucht werden, wie sich die Vorbehalte gegenüber Zuwanderung in Ost und West in den kommenden Jahren vermutlich entwickeln werden.

2 Theoretische Ansätze zur Erklärung von Einstellungen zu Migration

Es besteht in der Forschung keine Einigkeit darüber, ob Ethnozentrismus, also die Unterscheidung zwischen Eigen- und Fremdgruppen sowie die Abwertung letzterer, und damit verwandte Konzepte wie Vorurteile oder Xenophobie als evolutionär bedingte Konstante menschlicher Gesellschaften (z. B. Flohr 1987; Hammond und Axelrod 2006) oder eher als pathologische Ausnahmeerscheinung (z. B. Heitmeyer 2010) angesehen werden sollten. Unstrittig ist dagegen, dass derartige Phänomene zeitliche und räumliche Variationen in der Höhe ihrer Ausprägung aufweisen, was nahelegt, die Ursachen für diese Unterschiede zu erforschen. Warum hat etwa die Wahrnehmung von Migration als Bedrohung in Westeuropa in den vergangenen Jahrzehnten offenbar zugenommen (Semyonov et al. 2006), oder warum erhalten explizit gegen Zuwanderung gerichtete politische Parteien in vielen Ländern in jüngster Zeit starken Zulauf, darunter beispielsweise in den traditionell als liberal und weltoffen geltenden skandinavischen Ländern oder den Niederlanden (vgl. z. B. Green-Pedersen und Kogstrup 2008; Van Heerden et al. 2014)? Neben individualpsychologischen und sozialisationstheoretischen Erklärungen (z. B. Adorno 1973) werden sowohl in der Forschung als auch in der öffentlichen Debatte häufig die tatsächliche Zahl der Migranten bzw. der als „fremd“ wahrgenommenen Personen sowie die Veränderung darin als entscheidende Faktoren angenommen. Während in der Öffentlichkeit oft die Formel „mehr Zuwanderer = mehr Fremdenangst“ kolportiert wird (siehe z. B. die Zitate deutscher Politiker in Wagner et al. 2006, S. 380), liegen in der Forschung konfligierende Theorien und empirische Befunde zu diesem Zusammenhang vor (vgl. z. B. die zusammenfassenden Darstellungen in Bobo und Hutchings 1996; Rippl 2003; Zick et al. 2008; Ceobanu und Escandell 2010; Zamora-Kapoor et al. 2013, Kaufmann und Harris 2015).

Vereinfachend lassen sich zwei Paradigmen unterscheiden. Auf der einen Seite stehen Ansätze, die annehmen, dass ein steigender Migrantenanteil mit zunehmenden Bedrohungsgefühlen seitens der Einheimischen einhergehe. Dabei fühlen sich letztere entweder in ihrer individuellen Situation bedroht (vgl. z. B. Borjas 1994; Mayda 2006), oder sie sehen die relative (z. B. sozioökonomische oder kulturelle) Position ihrer Gruppe in Gefahr (Blumer 1958; Blalock 1967). Letztere Autoren werden häufig als Vertreter der Gruppenbedrohungs- oder ethnischen Konkurrenztheorie zitiert (vgl. z. B. Quilian 1995; Taylor 1998; Scheepers et al. 2002; McLaren 2003; Hjerm 2007). Die Voraussetzung für die „Gruppenbedrohung“ ist, dass sich Individuen überhaupt mit Gruppen identifizieren und Nicht-Mitglieder dieser Gruppen als unterschiedlich oder fremd ansehen (Blumer 1958, S. 3). Deshalb wird dieser Ansatz auch manchmal als komplementär zur Theorie der Sozialen Identität (Tajfel und Turner 1986) bzw. der Selbstkategorisierungstheorie (Turner et al. 1987) angesehen (so z. B. Scheepers et al. 2002; für eine abweichende Ansicht vgl. z. B. Snijderman et al. 2004). Eine Grundannahme im Paradigma der Sozialen Identität ist, dass die reine Unterscheidung zwischen Ingroup und Outgroup zur Bevorteilung von Mitgliedern der eigenen und Diskriminierung gegenüber Mitgliedern der anderen Gruppen führe, unabhängig davon, worauf diese Unterscheidung beruhe und ob mit der Existenz der Outgroup eine real feststellbare Beeinträchtigung einhergehe. Allerdings fühle sich ein Individuum in der Regel vielen Gruppen zugehörig, und die Salienz einer spezifischen Gruppenunterscheidung (wie derjenigen zwischen Einheimischen und Zugewanderten) hänge vom sozialen Kontext ab (Turner et al. 1987, S. 49). Der Kontext kann beispielsweise durch die relative Zahl der Mitglieder der jeweiligen „Fremdgruppe“ beeinflusst worden sein (z. B. Blalock 1967; Quillian 1995). Leben in einem sozialen Kontext wenige Zuwanderer, werden dieser Argumentation zufolge im gesamtgesellschaftlichen Diskurs eher andere Identitäten aktiviert, etwa entlang regionaler, sozioökonomischer oder konfessioneller Spaltungslinien (vgl. Lipset und Rokkan 1967). Im Kontext hoher oder plötzlich gestiegener Zuwanderung kann dagegen die Migrationskategorie besonders salient werden. Die Furcht vor (gruppenspezifischen) Nachteilen wie einer sozioökonomischen Schlechterstellung oder eines Verlustes der Deutungsmacht über Symbole und Rituale in der Gesellschaft wird dann eher anhand der Unterscheidung zwischen Einheimischen und Zugewanderten geäußert als mit Blick auf andere gesellschaftliche Differenzen. Die Argumentationskette lautet hier also wie folgt: Eine größere Zuwandererzahl führt dazu, dass Migranten im öffentlichen Diskurs stärker wahrgenommen werden und ihr Einfluss auf knappe Güter wie Arbeit oder Wohnraum oder auf Kollektivgüter wie Bildung oder Sicherheit stärker diskutiert wird. Dadurch steigt die Salienz der kognitiven Unterscheidung zwischen Einheimischen und Zugewanderten, was laut der Theorie der Sozialen Identität bereits die hinreichende Bedingung für abwertende Einstellungen gegenüber der Outgroup erfüllt. Anderen Autoren zufolge ist es darüber hinaus notwendig, dass das mediale Framing von Zuwanderung auch überwiegend negativ (und nicht etwa neutral oder positiv) ausfällt (vgl. z. B. ter Wal et al. 2005), damit die Einstellungen zum Thema Zuwanderung entsprechend kritischer werden (vgl. etwa Boomgarden und Vliegenthart 2007; Iguarta und Cheng 2009; Schlüter und Davidov 2013). Inwiefern gefühlte Zuwandererzahlen und deren Konsequenzen (vgl. z. B. Strabac 2011; Herda 2013) mit realen Tatsachen korrespondieren müssen, um einen entsprechenden Bedrohungseffekt auszulösen, ist ebenfalls nicht abschließend geklärt.

Auf der anderen Seite stehen Ansätze in der Tradition der Kontakthypothese (Allport 1954; Pettigrew 1998), die auf den vielfach empirisch vorgefundenen positiven Effekt von interethnischen Kontakten auf Einstellungen zu ethnischen Minderheiten (unter bestimmten Voraussetzungen wie Statusgleichheit) aufbauen (z. B. Dixon und Rosenbaum 2004; Stolle et al. 2013). Gerade der Fall Deutschland, wo in den neuen Bundesländern weniger Einwanderer, aber stärkere Vorbehalte gegenüber Einwanderung vorgefunden werden konnten, wurde als Gegenbeispiel zum Gruppenbedrohungsparadigma ins Feld geführt (z. B. Wagner et al. 2006; Weins 2011). Die Argumentation hier lautet, dass ein höherer Anteil an Minderheiten im Wohnumfeld die Chance für interethnische Kontakte (z. B. am Arbeitsplatz, im Sportverein) erhöhe (Petermann und Schönwälder 2014), was wiederum Vorurteile und Bedrohungsgefühle abbauen könne. Allerdings gibt es empirische Hinweise darauf, dass mehr Vielfalt nicht in unbegrenzter Höhe zu mehr Kontakt führt, sodass Bewohner ethnisch stark fraktionalisierter Gebiete wieder in stärkerem Maße innerhalb der eigenen Gruppe verkehren als Menschen in mäßig fraktionalisierten Regionen und der Kontakteffekt dann entsprechend schwindet (Weins 2011).

Schon aus theoretischer Perspektive ist folglich unklar, welche Art von Reaktion innerhalb der Bevölkerung bei einem Anstieg der Zuwanderung vorwiegend zu erwarten ist. Auch die empirische Evidenz ist im europäischen Kontext widersprüchlich. Tab. 1 kategorisiert jüngere Studien aus Westeuropa, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, nach dem Vorzeichen der vorgefundenen Korrelation zwischen Zuwandererzahl oder -anteil und Reaktionen der einheimischen Bevölkerung. Die Reaktionen werden der Einfachheit halber auf in Umfragen bekundete Einstellungen zur Zuwanderung sowie die in Umfragen oder amtlichen Statistiken vorgefundene Unterstützung rechtsgerichteter Parteien beschränkt. Die Ergebnisse gehen hierbei offensichtlich auseinander: Einerseits gibt es eine Reihe von Untersuchungen, die in Ländern oder Regionen mit mehr bzw. gestiegener Zuwanderung negativere Einstellungen gegenüber Zuwanderung (z. B. Semyonov et al. 2006, 2008; Meuleman et al. 2009; Schlüter und Davidov 2013) oder eine größere Unterstützung rechtsextremer Parteien (z. B. Lubbers et al. 2002; Rink et al. 2009; Ford und Goodwin 2010; Rydgren und Ruth 2011) vorfanden. Demgegenüber stehen Studien, die in Kontexten höherer Migrationsraten weniger Vorurteile (Wagner et al. 2006; Hewstone und Schmid 2014) oder eine geringere Unterstützung rechtsextremer Parteien (Biggs und Knaus 2012) feststellten. Eine dritte Gruppe von Studien kann simultan sowohl die Bedrohungs- als auch die Kontakthypothese bestätigen (Schlüter und Wagner 2008; Schlüter und Scheepers 2010; Savelkoul et al. 2011), sodass eine hohe Zuwanderung zwar einen unabhängigen, negativen Einfluss auf Einstellungen zur Zuwanderung ausübe, vermittelt über mehr Kontaktopportunitäten aber auch Vorurteile abbaue. Hier stellt sich dann die Frage, welcher Effekt in der Summe überwiegt. Weins (2011) zufolge fällt der Nettoeffekt bis zu einem gewissen Grad an Zuwanderung positiv aus, sodass mehr Zuwanderung zu weniger Vorurteilen führt, weil die gestiegenen Kontaktmöglichkeiten Vorurteile stärker reduzierten, als der Bedrohungseffekt durch die größere Migrantenzahl sie erhöhe. Wenn allerdings der Zuwandereranteil einen gewissen Schwellenwert übersteige, blieben die ethnischen Gruppen wieder stärker unter sich, der Kontakteffekt nehme ab (so auch Wagner et al. 2006) und Vorurteile nehmen wieder zu (Weins 2011). Allerdings wurde auch schon ein gegenteiliges Muster beschrieben: Höhere Migration führe zunächst zu stärkeren Bedrohungsgefühlen, erst ab einem gewissen Zuwandereranteil nähmen Kontaktopportunitäten und Gewöhnungseffekte dann spürbar zu, und Einstellungen zur Migration kehrten sich wieder ins Positive (Schneider 2008). Eine weitere Komplexität wird durch mehrere Studien eingeführt, die beispielsweise auf kulturell ähnliche Migranten positive, auf Zuwanderer aus nichtwestlichen oder muslimischen Ländern aber negative Reaktionen vorfinden (z. B. Green et al. 2010) oder die negative Reaktionen nur im Zusammenspiel mit Faktoren wie dem sozioökonomischen Kontext (z. B. Hjerm und Nagayoshi 2011) oder einer individuellen Prädisposition für autoritäre Einstellungen (z. B. Manevska und Achterberg 2011) erkennen können. Schlussendlich fanden einige Untersuchungen auch keinerlei Zusammenhang zwischen tatsächlicher Zuwandererzahl und Einstellungen zur Migration (z. B. Semyonov et al. 2004; Hjerm 2007, 2009; Sides und Citrin 2007; Rustenbach 2010).

Tab. 1 Studien zum Einfluss des Zuwandereranteils auf Reaktionen von Einheimischen in Europa

Dieser knappe Überblick legt nahe, dass es keinen über alle Spezifika hinweg generalisierbaren Zusammenhang zwischen der Höhe der Zuwanderung und den Einstellungen zu Migration oder der Unterstützung rechtsgerichteter Parteien gibt. Ein möglicherweise entscheidender Faktor ist, dass sich die in Tab. 1 aufgeführten Studien häufig in ihrer Untersuchungsebene (Nationalstaaten, Regionen, Stadtviertel usw.) unterscheiden. Letzteres Phänomen ist bekannt als das „modifiable areal unit problem“ (Openshaw 1984; Fotheringham und Wong 1991): In räumlichen Kontextanalysen können Unterschiede in Einteilung und Aggregationsgrad geografischer Einheiten zu verschiedenartigen Ergebnissen über einen und denselben Untersuchungsgegenstand führen. Beispielsweise fällt Bowyer (2008) zufolge die Unterstützung für die rechtsgerichtete British National Party in britischen „districts“ mit höherem Minderheitenanteil größer aus, aber auf der feingliedrigeren Ebene von „neighbourhoods“ trifft das Gegenteil zu. Wichtig ist daher, für ein gegebenes Explanandum den „true causally relevant geographic context“ (Kwan 2012) zu beschreiben und mit Blick hierauf ein geeignetes Forschungsdesign zu finden, anstatt umgekehrt die geografische Untersuchungsebene rein nach der Datenverfügbarkeit auszuwählen. So findet Rustenbach (2010) beispielsweise keine empirischen Belege für die Kontakthypothese, aber zur Operationalisierung wurden dort lediglich Daten über Zuwanderung auf Länder- und NUTS-2-Ebene (entspricht z. B. französischen Regionen oder deutschen Regierungsbezirken) herangezogen, ohne Reflexion darüber, ob Nationalstaaten oder auch Regierungsbezirke nicht zu große und in sich variationsreiche Einheiten darstellten, um beim Vergleich dieser Einheiten einen Kontakteffekt vorfinden zu können. Im Folgenden wird zunächst die Konzeptualisierung von Einstellungen zu Migration kritisch diskutiert, bevor der Wirkungsmechanismus und die empirischen Ergebnisse über deren Beeinflussung durch den Zuwandereranteil auf drei geografischen Ebenen (national, regional, lokal) in Deutschland besprochen werden.

3 Konzepte und Messungen von Einstellungen zur Migration

Zur Untersuchung der Reaktionen auf eine gestiegene Zuwanderung innerhalb einer Gesellschaft können verschiedenste Indikatoren herangezogen werden; neben in Umfragen bekundeten Einstellungen zum Thema Migration beispielsweise der Erfolg gegen Zuwanderung gerichteter Parteien und Bewegungen oder das Auftreten fremdenfeindlicher Gewalttaten. Bei Gewaltverbrechen oder Wahlerfolgen fremdenfeindlicher Parteien finden sich zumeist konsensfähige Definitionen und Operationalisierungen, auch wenn in Einzelfällen z. B. die Einstufung bestimmter Parteien umstritten sein mag. Die Messungen von Einstellungen zur Zuwanderung gehen jedoch deutlich stärker auseinander. Häufig hierzu herangezogene latente Konstrukte sind etwa Vorurteile, Bedrohungsgefühle, Xenophobie, Fremdenfeindlichkeit oder Rassismus, welche wiederum mit unterschiedlichen Indikatoren gemessen werden. Schon 1980 beklagte Esser (1980, S. 11) in einem ähnlichem Zusammenhang, dass „eine Vielzahl empirischer Einzelstudien mit meist ad hoc konstruierten Meßinstrumenten produziert [wird]. Die Ergebnisse derartiger Untersuchungen sind meist nur schwer vergleichbar oder widersprüchlich.“ Dementsprechend verwundert es nicht, dass schon rein deskriptive Befunde – in der Öffentlichkeit oft nach der Art „X Prozent der Bevölkerung sind fremdenfeindlich eingestellt“ rezipiert – häufig deutlich auseinandergehen. So berichten beispielsweise Decker et al. (2014, S. 38) einen Anteil ausländerfeindlicher Personen in Deutschland von 18 Prozent, während Zick et al. (2011, S. 62) Werte zwischen 38 und 50 Prozent nennen. Hierbei spielt nicht nur die Frage, welcher Wertebereich einer Skala oder eines Indexes zur Berechnung solcher Prozentwerte herangezogen werden sollte, eine Rolle, oft berühren auch schon die verwendeten Frageformulierungen unterschiedliche Einstellungsdimensionen, was eine sinnvolle Einordnung solcher Zahlen erschwert. Eine konsensfähige Taxonomie von Einstellungen zu Migration wird auch mit diesem Beitrag nicht erreicht werden, aber einige Unterscheidungen haben sich in der empirischen Forschung als bedeutsam erwiesen und sollten daher in entsprechenden Konzepten und Operationalisierungen berücksichtigt werden:

  1. a)

    Einstellungen gegenüber Migration vs. Einstellungen gegenüber Migranten (vgl. Ceobanu und Escandell 2010, S. 313): „Einstellungen gegenüber Migranten“ beziehen sich auf Individuen, denen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit bewertete Eigenschaften zugeschrieben werden. Auf diese Ebene zielen theoretische Konstrukte wie Vorurteile, Fremdenfeindlichkeit oder verallgemeinert „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (Zick et al. 2008; Heitmeyer 2010) ab. Typische Beispiele zur Messung dieser Konzepte stellen etwa die Items aus dem ALLBUS für die Jahre 1996 und 2006 dar (ALLBUS 19802012), die erheben, ob es den Befragten unangenehm wäre, Türken, Italiener, Juden, Aussiedler oder Asylbewerber als Nachbarn oder angeheiratete Familienangehörige zu haben. Über die Gruppenzugehörigkeit hinaus ist nichts über die (hypothetischen) neuen Nachbarn bekannt, wodurch eine Zustimmung zu einem solchen Item recht gut die wörtliche Bedeutung eines „Vorurteils“ einfängt. Dagegen werden unter „Einstellungen gegenüber Migration“ die perzipierten Folgen der Zuwanderung für die Gesamtgesellschaft verstanden, die von der individuellen Ebene abstrahieren und beispielsweise über den wahrgenommenen Einfluss der Zuwanderung auf Wirtschaft oder öffentliche Sicherheit sowie Politikpräferenzen hinsichtlich der Steuerung von Zuwanderung operationalisiert werden können.

  2. b)

    Kognitive, evaluative oder handlungsbezogene Einstellungen: Viele in Umfragen gängige Items zielen auf das „Wissen“ oder zumindest den subjektiven Glauben an die Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung über Zuwanderung ab. Beispielsweise wird im Eurobarometer (71.3, Europäische Kommission 2009) die Zustimmung zu Aussagen wie „Immigranten zahlen mehr an Steuern, als dass sie Gesundheits- und Sozialleistungen in Anspruch nehmen“, oder „Die Anwesenheit von Personen anderer Herkunft oder Abstammung erhöht die Arbeitslosigkeit in Deutschland“ erhoben. Im Prinzip sind solche Behauptungen empirisch überprüfbar, und ein Befragter könnte die „wahre“ Antwort kennen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit hierfür nicht sonderlich hoch ist, da der Wahrheitsgehalt der genannten Aussagen abhängig von weiterer Präzisierung und selbst in der akademischen Forschung umstritten ist (vgl. z. B. die unterschiedlichen Schlussfolgerungen in Nannestad 2007; Rowthorn 2008; D’Amuri et al. 2009 und Glitz 2012). Daher wird hier in der Regel wohl nicht das reine „Wissen“, sondern eine möglicherweise auf einer selektiven Wahrnehmung von Medienberichten oder persönlichen Erlebnissen beruhende Überzeugung abgefragt. Dennoch wird aus Sicht der Befragten einem vermeintlichen „Fakt“ zugestimmt, während andere Items eine deutliche Wertung vornehmen oder Handlungspräferenzen abfragen, etwa die Frage aus dem ALLBUS (19802012), ob man „die in Deutschland lebenden Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken“ soll, wenn Arbeitsplätze knapp werden. Unterschiede zwischen der Wahrnehmung des Status quo und den bevorzugten Konsequenzen daraus sollten zumindest a priori möglich sein, sodass ein Befragter beispielsweise von einer Belastung der Sozialsysteme durch Migranten ausgehen und dennoch weitere Zuwanderung (aus z. B. humanitären Gründen) befürworten könnte.

  3. c)

    Motive bzw. inhaltliche Dimensionen von Einstellungen zur Zuwanderung: Zielen klassische Umfrage-Items zumeist auf wirtschaftliche Aspekte der Zuwanderung (Arbeitsplätze, Sozialstaat) ab, werden in der Literatur häufig auch kulturelle Bedrohungsgefühle diskutiert, die von ökonomischen Überlegungen abgekoppelt sein können (z. B. Stephan et al. 1998; Scheepers et al. 2002; Zárate et al. 2004; McLaren und Johnson 2007; Zamora-Kapoor et al. 2013). Daneben können weitere inhaltliche Dimensionen, z. B. die perzipierte Sicherheit oder Wahrnehmungen des Bildungssystems, Quelle für die Ausbildung von Einstellungen sein.

Verschiedenen der genannten Dimensionen zugeordnete Konstrukte können empirisch korrelieren, müssen es aber prinzipiell nicht. Wenn es eine alle Spezifika übertrumpfende, unterschwellige Disposition zur Zustimmung oder Ablehnung jeglicher Aspekte von Zuwanderung gäbe, wäre mit hohen Korrelationen zu rechnen. So behauptet Hjerm (2007, S. 1260) beispielsweise, dass Menschen „simply do not make a distinction between […] items, […] they are just positive or negative towards immigrants in general“. Andere Studien unterscheiden analytisch zwischen Konzepten wie Gruppenbedrohung, Vorurteilen oder restriktiven Politikpräferenzen. Bei Semyonov et al. (2004) werden beispielsweise Politikpräferenzen zur Zuwanderung (handlungsbezogen) durch perzipierte Gruppenbedrohung (kognitiv/evaluativ) vorhergesagt. Bei Schlüter und Wagner (2008) dient Gruppenbedrohung (auf die Gesamtgesellschaft bezogen) als Prädiktor für Vorurteile (auf Individuen bezogen). Diese Konstrukte sind in den genannten Studien zwar jeweils korreliert, aber bei Weitem nicht so stark, dass die Zusammenfassung zu einem gemeinsamen Index geboten wäre.

Es gibt also Hinweise darauf, dass in Bezug auf Einstellungen zur Zuwanderung nicht alles dasselbe misst, sondern zuweilen starke Unterschiede zwischen den oben aufgeführten Dimensionen bestehen. Dies deutet darauf hin, dass Menschen zwischen verschiedenen Aspekten von Migration differenzieren (können) und nicht notwendigerweise pauschal pro oder kontra Zuwanderung eingestellt sind. Abb. 1 zeigt als Beispiel die Entwicklung von drei seit 1980 im ALLBUS gestellten Fragen zu Zuwanderern über die Zeit. Die Forderung, dass Zuwanderer „unter sich heiraten“ sollten, kann zur Operationalisierung klassisch rassistischer Einstellungskonstrukte (Ablehnung von Vermischung verschiedener Ethnien) herangezogen werden. Die Zustimmung hierzu ist über die Jahre drastisch zurückgegangen, der Durchschnittswert auf der Antwortskala von 1 („Stimme gar nicht zu“) bis 7 („Stimme voll zu“) sank zwischen 1980 und 2012 von 4,0 auf 1,9, und mehr als zwei Drittel der Befragten wählen mittlerweile die am stärksten ablehnende Antwortkategorie. Anders verhält es sich dagegen mit der Forderung, Ausländer sollten sich „mehr anpassen“, die eher auf Bedrohungen durch kulturelle Andersartigkeit abzielt. Hier stiegen die Werte im Vergleich zu den 1980er-Jahren sogar an, und mehr als die Hälfte der Befragten wählten 2012 einen der beiden höchsten Skalenwerte.

Abb. 1
figure 1

Entwicklung der Zustimmung zu Fragen über Zuwanderer. (ALLBUS 19802012)

Auch Perzeptionen, dass sich Zuwanderung negativ auf die Wirtschaft oder die Kriminalitätsrate auswirkt, haben der Längsschnittstudie von Semyonov et al. (2006) zufolge zwischen 1988 und 2000 in Europa, darunter in Deutschland, deutlich zugenommen. Die Forderung, Zuwanderer bei knapper Arbeit wieder auszuweisen, treffen dagegen nur noch die wenigsten Menschen, während dies 1980 noch mehrheitsfähig war (vgl. Abb. 1). Inwieweit eine zurückgehende Zustimmung bei einer solchen Aussage auf veränderte Grundüberzeugungen oder aber auf Veränderungen bei perzipierten Normen der sozialen Erwünschtheit bestimmter Aussagen zurückzuführen ist, sei dahingestellt. Womöglich müssten zur Erörterung dieser Frage beispielsweise „offene“ von „subtilen“ Vorurteilen unterschieden werden (vgl. z. B. Meertens und Pettigrew 1997). Offenkundig ist jedenfalls, dass es beim Antwortverhalten in Bezug auf verschiedene Aussagen zum Teil stark divergierende Trends zu verzeichnen gibt (vgl. auch z. B. Muste 2013). Dies widerspricht deutlich der Annahme, Einstellungen zur Zuwanderung seien eindimensional.

Im Hinblick auf vergleichbare Forschungsbefunde erscheint es daher ratsam, das Untersuchungsobjekt präzise zu definieren und zwischen analytischen und inhaltlichen Dimensionen von Einstellungen zu unterscheiden. Aus den dargelegten Entwicklungen kann die Empfehlung abgeleitet werden, mindestens zwischen (1) perzipierten Folgen der Zuwanderung für die Gesamtgesellschaft (eventuell unterteilt nach ökonomischen, kulturellen oder anderen Bedrohungsgefühlen), (2) Vorurteilen oder Feindseligkeit gegenüber Migranten sowie (3) Politikpräferenzen zur Handhabung von Zuwanderung zu differenzieren. Einer disaggregierten Darstellung von Einzelfragen (wie in Abb. 1) sind prinzipiell sicherlich faktoranalytisch gewonnene Indizes vorzuziehen, die aber jeweils mehrere Items zu einem und demselben präzise abgegrenzten Konstrukt voraussetzen. Selbst bei mittleren bis starken Korrelationen untereinander können sich Zustimmungsraten und insbesondere Koeffizienten von Determinanten (wie z. B. hier: der Einfluss des realen Zuwandereranteils) verschiedener Items und Indizes signifikant unterscheiden. Die Vermengung von wissens- und handlungsbezogenen, auf die Gesamtgesellschaft und auf Individuen bezogenen Aussagen mit verschiedensten inhaltlichen Konnotationen (wie es z. B. in Wagner et al. 2006; Weins 2011; Zick et al. 2011 oder Decker et al. 2014 geschieht) muss daher als problematisch angesehen werden. Beim Zusammenrechnen solch unterschiedlicher Indikatoren zu Indexwerten ist eine sinnvolle Interpretation der resultierenden Statistiken, insbesondere beim Vergleich verschiedener Erhebungen oder über die Zeit, kaum noch möglich.

4 Nationale Zuwanderungszahlen und Reaktionen hierauf

Eine hohe nationale Migrationsrate geht empirisch mit tendenziell negativeren Einstellungen gegenüber Zuwanderung und einer größeren Unterstützung für rechtsgerichtete Parteien einher. Das legt zumindest der Stand der ländervergleichenden Forschung in Europa nahe (vgl. Tab. 1). Die meisten Studien finden in Staaten mit höherer Zuwanderung entweder stärkere oder zumindest gleich starke Bedrohungsgefühle im Vergleich mit Staaten mit geringerer Zuwanderung vor; dass viel Migration zu positiveren Einstellungen führt, wird auf dieser Ebene jedenfalls nicht festgestellt. Als theoretische Erklärung für diesen Befund können Ansätze aus dem Paradigma der Theorie der Sozialen Identität und der Gruppenbedrohungstheorie wie folgt synthetisiert werden: Nationale Zuwandererzahlen – oder Veränderungen hierin – liegen dem öffentlichen Diskurs über Zuwanderung in überregionalen Medien, in nationalen Wahlkämpfen etc. zugrunde. Oft sind auch nur auf der nationalen Ebene Erkenntnisse z. B. über die Höhe des Zuzugs von Zuwanderern, deren Herkunftsländer, Zuzugsgrund (z. B. Asyl, Familiennachzug) oder andere Charakteristika überhaupt hinreichend verlässlich bekannt. Ein Anstieg der nationalen Zuwanderung zieht eine größere Prominenz des Themas im öffentlichen Diskurs nach sich; die Salienz der Gruppenunterscheidung zwischen Einheimischen und Zugewanderten (oder auch Migrantengruppen bestimmter Herkunft oder mit bestimmtem Rechtsstatus) steigt. Gesellschaftliche Probleme wie Arbeitslosigkeit, Wohnungsknappheit oder die Finanzierung des Sozialstaats werden mit größerer Wahrscheinlichkeit mit Zuwanderung in einen Zusammenhang gebracht als im Falle geringerer Migrantenzahlen.

Der Zusammenhang zwischen nationaler Zuwanderung und Salienz des Themas im öffentlichen Diskurs über die Zeit hinweg ist für andere Länder gut belegt (z. B. Duffy 2014; Kaufmann 2014) und auch in Deutschland offensichtlich. Abb. 2 zeigt die Entwicklung des monatlichen Zuzugs von AsylbewerbernFootnote 2 nach Deutschland zwischen Januar 2008 und Dezember 2015 und für denselben Zeitraum den Anteil an Personen, der in der letzten „Politbarometer“-Befragung des jeweiligen Monats das Thema „Ausländer/Integration/Flüchtlinge“ als eines der beiden größten gesellschaftlichen Probleme nannte (Forschungsgruppe Wahlen 2016). Dieses Befragungsitem ist wohlgemerkt von Vorurteilen oder restriktiven Politikpräferenzen zu unterscheiden, kann aber als Indikator für die Präsenz des Themas in den Köpfen der Menschen gelten. Für die Darstellung in Abb. 2 wurden die Daten jeweils z‑standardisiert, die Skalenbeschriftungen der Übersichtlichkeit halber anschließend wieder rücktransformiert. Die beiden Zeitreihen korrelieren mit einem Koeffizienten von r = 0,94, und gängige Tests legen eine Kointegration nahe. Es scheint folglich plausibel, dass ein tatsächlicher Anstieg bei der Zuwanderung zu einer höheren Salienz des Themas im öffentlichen Diskurs und in den Einstellungen der Bürger führt. Dass es Ausnahmen gibt, zeigt der Herbst 2010, als Migration kurzzeitig von relativ vielen Menschen als Problem wahrgenommen wurde, ohne dass sich an den (niedrigen) Zuwandererzahlen viel verändert hätte. Diese Zacke in der Zeitreihe koinzidiert mit der Veröffentlichung von Thilo Sarrazins (2010) Buch Deutschland schafft sich ab und der darauffolgenden öffentlichen Diskussion, die aber schnell wieder abebbte.

Abb. 2
figure 2

Entwicklung des monatlichen Zuzugs von Asylbewerbern nach Deutschland sowie der Zustimmung zum Item „Ausländer/Integration/Flüchtlinge als größtes Problem“. (Forschungsgruppe Wahlen 2016, Eurostat 2016; eigene Darstellung)

Für die Prominenz des Migrationsthemas kann sicherlich auch eine Rolle spielen, wie die tatsächlichen Auswirkungen der Zuwanderung z. B. auf den Arbeitsmarkt ausfallen und wie diese im medialen Diskurs wiedergegeben werden. Meist wird angenommen, dass die mediale Darstellung von Zuwanderung mehrheitlich negativ ausfällt (ter Wal et al. 2005). Andererseits scheint seit der Jahrtausendwende in einigen Ländern auch ein Multikulturalismus-Frame, in dem Migration positiv konnotiert ist, in gewissen Leitmedien an Bedeutung zu gewinnen (Roggenband und Vliegenthart 2007). Der Theorie der Sozialen Identität zufolge sollte aber schon allein die größere Salienz der jeweiligen Gruppenunterscheidung zu verstärkt negativen Einstellungen gegenüber der Outgroup führen. Zudem gehen, wie bereits erwähnt, bei Fragen nach den „tatsächlichen“ gesellschaftlichen Konsequenzen von Zuwanderung auf Wirtschaft oder Sozialstaat zumeist auch die wissenschaftlichen Befunde auseinander. Diese überwiegend ambivalenten Forschungsergebnisse werden in den Medien häufig nicht als solche dargestellt. Als Beispiel kann die Debatte, ob es sich bei dem infolge des Wegfalls der Arbeitsmarktbeschränkungen für Deutschland ab 2014 gestiegenen Zuzug aus Rumänien und Bulgarien um eine den Sozialstaat belastende „Armutszuwanderung“ handele, herhalten (die sich ab Ende 2014 zunehmend auf Asylbewerber verlagerte). Hierzu zitierte Spiegel Online (2014) eine im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstellte Studie (Bonin 2014) unter der Überschrift „Ausländer bringen Deutschland Milliarden“, während kurz darauf ein Beitrag von Hans-Werner Sinn in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (2015) über Daten aus derselben Studie mit der Zwischenüberschrift, die Einwanderung nach Deutschland sei „ein großes Verlustgeschäft“, veröffentlicht wurde. Ähnliche Diskussionen gab es beispielsweise in den USA vor rund 20 Jahren, als etwa das Wall Street Journal eine Studie des National Research Council (NRC) unter der Überschrift „Immigrants bring prosperity“ wiedergab, worauf die an der Studie beteiligten George Borjas und Richard Freeman in der New York Times mit einem mit „Findings we never found“ betitelten Artikel reagierten (zit. nach Teitelbaum 2004, S. 321 f.). Folglich ist nicht gesichert, dass zukünftige signifikante Erkenntnisfortschritte auf diesem Themengebiet auch inhaltlich korrekt in die öffentliche Debatte diffundieren würden. Bislang sind verlässliche empirische Daten zu solchen Fragestellungen zudem meist rar und kennzeichnen häufig vergangene Migrationsprozesse, wo die Übertragbarkeit auf die aktuellen Entwicklungen, die im Falle steigender Zuwanderung im Fokus der öffentlichen Debatten stehen, unklar ist. So beziehen sich etwa momentan verfügbare Zahlen zum Einfluss von Zuwanderern auf Bildung, Arbeitsmarkt oder Sozialsysteme in Deutschland zumeist auf Migranten aus der Türkei, Südeuropa sowie auf „Spätaussiedler“ aus Osteuropa, die in ausreichender Fallzahl in gängigen Erhebungen wie dem Sozio-ökonomischen Panel (SOEP) vertreten sind, und weniger auf den aktuell stark diskutierten Flüchtlingszuzug aus dem Nahen und Mittleren Osten, dem Balkan und Afrika. Die tatsächlichen langfristigen Konsequenzen einer aktuellen Migrationsbewegung mögen daher in der Regel nicht bekannt sein, von einer verstärkten Diskussion darüber im Falle höherer Zuwanderung kann dennoch ausgegangen werden.

Bleibt die Frage, wie lange eine zeitlich begrenzte hohe Neuzuwanderung salient bleibt. Vergleichende Studien betrachten oft den Anteil der schon im jeweiligen Land lebenden Migranten, nicht die Änderung des Anteils oder die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Zugewanderten. Kaufmann (2014) zufolge tritt nach durchschnittlich etwa zehn Jahren eine Gewöhnung an die Neubürger ein. Anderen zufolge hängt dies von Faktoren wie etwa den kulturellen Unterschieden zwischen den Gruppen ab. Bei Differenzen, die in der Regel keine multiple oder hybride Zugehörigkeit zulassen (z. B. Religion), könne die Präsenz der Unterscheidung zwischen Einheimischen und Zugewanderten länger anhalten (Alba 2005). Andererseits lösen auch kulturell ähnliche Zuwanderergruppen oft Bedrohungsgefühle aus, etwa im Falle deutscher Migranten in der Schweiz (Helbling 2011). Kulturelle Unterschiede sind gleichwohl nicht statisch, und insbesondere eine Anpassung der Zuwanderer im Zeitverlauf im Sinne einer Integration oder gar Assimilation wird häufig mit sinkenden Bedrohungsgefühlen aufseiten der Einheimischen in Verbindung gebracht (z. B. Kaufmann 2014). Ob und wie schnell Integration, also das Verschwinden von Zwischen-Gruppenvarianzen in gesellschaftlich salienten Dimensionen, gelingt, hängt gängigen Integrationstheorien zufolge wiederum auch von der Höhe der Zuwanderung ab (vgl. z. B. Esser 2004). In einem sozialen Kontext (z. B. Stadtteil, Schulklasse) mit hohem Migrantenanteil sind Zuwanderer der Kultur der Einheimischen seltener „ausgesetzt“, es ergeben sich weniger Möglichkeiten, die Sprache und Konventionen der Aufnahmegesellschaft zu erlernen, und das Festhalten an der Herkunftskultur ist bei einer größeren Zahl intraethnischer Kontakte lohnenswerter (vgl. Vervoort und Dagevos 2011; Danzer und Yaman 2013). Im Zeitverlauf spielt dabei offensichtlich auch die Höhe der weiteren Neuzuwanderung eine Rolle. So wurde beispielsweise in den USA die starke Zuwanderung aus Süd- und Osteuropa zwischen 1890 und 1920 in den „weißen“ Mainstream integriert, nachdem infolge der Einführung der Quotenregelungen für Migranten nach Herkunftsländern 1921 die Zuwanderung generell niedrig ausfiel und auch nach deren Aufhebung 1965 nur noch wenige Menschen aus diesen Herkunftsregionen kamen (Alba 1990).

5 Regionale Zuwanderungszahlen und Reaktionen hierauf

In Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern scheint es jedenfalls die Ausnahme zu sein, dass gegen Zuwanderung gerichtete Bedrohungsgefühle in Zeiten niedriger Neuzuwanderung und in einem Kontext mit geringem Zuwandereranteil an der Wohnbevölkerung zunehmen. Werden statt der nationalen dagegen die regionalen Zuwandererzahlen betrachtet, gilt dieser Befund nicht: Beim Vergleich von Regionen mit unterschiedlich hohem Zuwandereranteil werden oft größere Vorbehalte in denjenigen Gegenden vorgefunden, in denen der tatsächliche Migrantenanteil eher niedrig ist (z. B. Duffy 2014, S. 263; Kaufmann 2014, S. 270). Manchmal stellt sich die Korrelation zwischen Migrantenanteil und Einstellungen zur Zuwanderung aber auch auf subnationaler Ebene negativ dar (vgl. Tab. 1), und einige Studien stellten simultan negative Bedrohungs- als auch positive Kontakteffekte fest (Schlüter und Wagner 2008; Schlüter und Scheepers 2010; Savelkoul et al. 2011). In Deutschland überwiegt in der Regel aber das Muster, dass in Regionen mit höherem Zuwandereranteil die Einstellungen zu Migration im Schnitt positiver ausfallen (Wagner et al. 2006). Abb. 3 zeigt beispielhaft den tendenziell negativen Zusammenhang zwischen regionalem Einwandereranteil und Zweitstimmen für die rechtsgerichtete Alternative für Deutschland (AfD) bei der Bundestagswahl 2013: Während Zuwanderer vor allem in den westdeutschen Ballungsgebieten leben, bekam die AfD hauptsächlich im Osten überdurchschnittlichen Zuspruch. Zwar lag auch in vielen westdeutschen Wahlkreisen der AfD-Wähleranteil über 5 Prozent, dies aber offenbar eher in der Peripherie um Großstädte wie Hamburg, Frankfurt oder Stuttgart und weniger in den Städten selbst. Die Varianz des AfD-Stimmenanteils war bei dieser Bundestagswahl wohlgemerkt nicht sonderlich hoch, und der rein deskriptive Vergleich sagt noch nichts über kausale Zusammenhänge aus; trotzdem stehen derartige Darstellungen in einem auffallenden Gegensatz zu Beobachtungen auf nationaler Ebene.

Abb. 3
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Regionaler Einwandereranteil und Zweitstimmen für die AfD 2013. (Statistisches Bundesamt 2013a, 2013b; Wahldaten und Shapefile der Karten stammen vom Bundeswahlleiter)

Dass solche Muster nicht nur in Deutschland zu beobachten sind, zeigt beispielsweise der Erfolg der Initiative „Gegen Masseneinwanderung“ bei der Volksabstimmung im Frühjahr 2014 in der Schweiz. Die Mehrheit der Wähler befürwortete den von der Schweizer Volkspartei (SVP) getragenen Vorschlag zur Begrenzung der Zuwanderung, aber in den größten Städten (Zürich, Genf und Basel), wo besonders viele Zuwanderer wohnen, stimmten jeweils über 60 Prozent dagegen (Bundesamt für Statistik 2014). Das bedeutet aber nicht, dass der Erfolg der Initiative nichts mit den realen Zuwanderungszahlen zu tun hätte: Den meisten Beobachtern zufolge spielte die Tatsache, dass sowohl der nationale Ausländeranteil als auch die jährliche Zuzugsrate in die Schweiz weit über dem europäischen Durchschnitt liegen, im Diskurs eine wichtige Rolle (vgl. z. B. Eddy 2014). Dementsprechend war ein gewichtiges Argument der Befürworter der Zuzugsbeschränkung, die Zuwanderung sei zuletzt zehnmal so hoch gewesen wie von der Regierung vor Abschluss der Freizügigkeitsabkommen mit der Europäischen Union (EU) vorhergesagt (so z. B. Köppel 2014). Dieses Argument verfing offensichtlich auch bei denjenigen, die vom gestiegenen Zuzug persönlich weniger betroffen waren. Wäre die nationale Zuwandererzahl geringer gewesen, hätte die Initiative vermutlich weniger Zuspruch gehabt: Im Ländervergleich sind die Bürger in Nationen mit hohem Migrantenanteil Zuwanderung gegenüber skeptischer eingestellt, auch wenn die regionale Ebene mit einbezogen wird und sich dort ein gegenteiliger Effekt zeigt (Weber 2015).

Dass die „Kontakthypothese“ nur auf subnationaler, nicht aber auf nationaler Ebene bestätigt wird, ist plausibel, da Kontaktopportunitäten eine gewisse geografische Nähe zu Zuwanderern voraussetzen. Die „kausal relevanten“ Kontexteinheiten müssen daher einerseits hinreichend klein sein, um die tatsächlichen Kontaktmöglichkeiten abzubilden, andererseits aber auch groß genug, um den durchschnittlichen Bewegungsradius der meisten Menschen im Alltag nicht zu unterschreiten (Grönqvist 2006, S. 371). Die rund 400 im Schnitt etwa 200.000 Einwohner fassenden Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland scheinen eine geeignete Kontextgröße darzustellen, da vermutlich die Mehrheit der Menschen ihren Alltag (Arbeit, Freizeitaktivitäten) für gewöhnlich innerhalb ihres jeweiligen Landkreises verbringt. Je höher der Migrantenanteil auf Landkreisebene, desto höher die Wahrscheinlichkeit, bei der Arbeit, in Vereinen oder auch nur im öffentlichen Nahverkehr mit Migranten in Kontakt zu kommen (vgl. z. B. Petermann 2014).

Wie könnte sich das auf Einstellungen zur Zuwanderung auswirken? Wie oben ausgeführt, kennen die meisten Menschen die „wahren“ Auswirkungen der Migration auf die Gesellschaft wohl nicht. Wahrscheinlich greifen sie daher bei der Ausbildung von Einstellungen auf anekdotische Evidenz zurück. Diese kann entweder aus Medienberichten oder aus persönlichen Erfahrungen mit Zuwanderern stammen. Medienberichte über Gegenden mit hoher Zuwanderung oder Statistiken zur Zuwanderung werden vermutlich häufiger als negative Referenz herangezogen (ter Wal et al. 2005; Roggeband und Vliegenthart 2007). Persönliche Begegnungen (von der flüchtigen Bekanntschaft im Gemüseladen bis zum Arbeitskollegen oder Familienmitglied) werden dagegen wahrscheinlich mehrheitlich positiv evaluiert (vgl. Wagner et al. 2006). Je größer der Zuwandereranteil innerhalb des alltäglichen Bewegungsradius, desto höher die Wahrscheinlichkeit, auf positiv konnotierte anekdotische Evidenzen zur Einschätzung von Fragen z. B. zum Einfluss von Zuwanderern auf den Sozialstaat oder die Kriminalitätsrate zurückgreifen zu können. Aber auch ohne persönlichen Kontakt kann sich durch die Sichtbarkeit von Migranten im Alltag ein Gewöhnungseffekt einstellen, sodass Zuwanderung als normal und legitim empfunden wird (Kaufmann 2014, S. 270).

In Gegenden mit niedrigem Zuwandereranteil überwiegt dagegen der Einfluss des öffentlichen Diskurses über Zuwanderung, der in den Medien (und zunehmend auch in sozialen Online-Netzwerken) geführt wird. Dieser ist, wie oben dargelegt, in hohem Maße sensitiv gegenüber den nationalen Zuwanderungszahlen. In Zeiten hoher Zuwanderung beeinflusst die gestiegene Salienz des Themas in den öffentlichen Debatten auch die Bewohner der Gegenden, in welche kaum Migranten hinziehen. Dadurch kommt es zu dem scheinbaren Paradox, dass bei hoher Zuwanderung negative Reaktionen wie Bedrohungsgefühle oder Erfolge fremdenfeindlicher Parteien oder anderer Gruppierungen zunehmen, aber unterproportional in den Landkreisen, in denen sich die meisten Zuwanderer niederlassen.

Die Bewohner von Regionen mit niedrigerem Zuwandereranteil sind sich wohl meist bewusst, dass sie von der Zuwanderung weniger betroffen sind. Der Nationalstaat als ganzer mit seinen überregional bedeutenden Regionen (z. B. Hauptstadt, andere Großstädte) ist aber offenbar ein wichtiger Bezugspunkt bei der Evaluation der gesellschaftlichen Lage. So verweisen Demonstranten auf Kundgebungen gegen Zuwanderung in Sachsen auf Berlin oder das Ruhrgebiet als Beispiele für die aus ihrer Sicht negativen Konsequenzen der Zuwanderung und geben an, „das nicht hier“ haben zu wollen (zit. in Smale 2014). Die angeblichen Probleme anderswo sind in Zeiten geringerer Zuwanderung weniger präsent im öffentlichen Diskurs, die kognitive Unterscheidung zwischen Einheimischen und Zugewanderten wird seltener aktiviert, zumal in den Gegenden mit einem geringen Migrantenanteil, und in der Regel haben fremdenfeindliche Bewegungen dann auch weniger Zulauf.

Abb. 4 zeigt den Zusammenhang zwischen regionalem Zuwandereranteil und vier Einstellungsitems zur Zuwanderung in Deutschland.Footnote 3 Drei Items können einem Konstrukt „Gruppenbedrohungsgefühl“, definiert als negativ perzipierte Konsequenzen von Zuwanderung für die Gesamtgesellschaft, zugeordnet werden. Inhaltlich werden dabei wirtschaftliche und sicherheitsbezogene Dimensionen berührt. Das vierte Item – die Aussage, es gebe „zu viele Ausländer“ – kann als Präferenz für eine Politik der Beschränkung von Zuwanderung verstanden werden. Datenbasis ist die deutsche Stichprobe aus der European Values Study (2008), mit Kontextdaten zum Zuwandereranteil (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2013a in Verbindung mit Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2013b) sowie der Arbeitslosigkeit (Bundesagentur für Arbeit 2008) und dem Bruttoinlandsprodukt auf Landkreisebene (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2013c) angereichert. Auf der x‑Achse ist der Prozentsatz der im Ausland geborenen BewohnerFootnote 4 auf LandkreisebeneFootnote 5 in Dezilen dargestellt. Im untersten Dezil (1) wohnen weniger als 2,2 Prozent Einwanderer anteilig an der dortigen Bevölkerung, im obersten Zehntel (10) sind mehr als 19,6 Prozent der Bewohner aus dem Ausland zugezogen.

Abb. 4
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Partieller Effekt des regionalen Zuwandereranteils auf Einstellungen zur Zuwanderung in Deutschland (10 = Zustimmung, 1 = Ablehnung). (Eigene Darstellung auf der Grundlage der deutschen Stichprobe aus der European Values Study 2008 in Verbindung mit Kontextdaten zum Zuwandereranteil, Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2013a, 2013b)

Mittels Mehrebenenanalysen (vgl. z. B. de Leeuw und Meijer 2008) mit dem Softwarepaket lme4 (Bates et al. 2015) für R (R Core Team 2015) wurde der Einfluss des regionalen Migrantenanteils sowie einer Reihe von regionalen und individuellen Kontrollvariablen auf die Zustimmung zu den dargestellten Aussagen geschätzt. Um dem Problem der unbekannten Kausalitätsrichtung zumindest teilweise Rechnung zu tragen, wurde danach kontrolliert, ob ein Befragungsteilnehmer seit seiner Kindheit in einen Landkreis mit mehr oder weniger Einwanderern gezogen ist.Footnote 6 Ohne diese Kontrollvariable könnte nicht geklärt werden, ob beispielsweise ein Befragter mit negativen Einstellungen zur Einwanderung, der aber in einer Region mit wenigen Migranten lebt, diese Einstellungen aufgrund mangelnden Kontakts zu Einwanderern in seinem Wohnumfeld entwickelt hat oder aber die ablehnenden Einstellungen zuerst da waren und den Umzug in eine Gegend mit geringerem Migrantenanteil motiviert haben (vgl. z. B. Zamora-Kapoor et al. 2013, S. 311; Kaufmann und Harris 2015). Die weiteren Kontrollvariablen sind Geschlecht, Alter, Bildungsstand, Schichtzugehörigkeit, Migrationshintergrund sowie das regionale Bruttoinlandsprodukt und die Arbeitslosenrate im Landkreis. Diese Variablen wurden mit einbezogen, weil sie gemeinsame Varianzanteile mit sowohl den abhängigen Variablen als auch der unabhängigen Variable von Interesse haben können: Beispielsweise ziehen Migranten tendenziell eher in Kreise mit hoher Wirtschaftskraft, in denen darüber hinaus auch überdurchschnittlich viele junge und höhergebildete Menschen wohnen, deren Einstellungen zu Migration und Migranten wiederum aufgrund von Sozialisations- und anderen Effekten von anderen Bevölkerungsgruppen verschieden sein können (vgl. z. B. Coenders und Scheepers 2003). In Abb. 4 sind folglich die durchschnittlichen Zustimmungswerte (10 = höchste Zustimmung) für Bewohner der jeweiligen Landkreisgruppe dargestellt, wenn die genannten Merkmale (Bildung usw.) konstant gehalten werden.Footnote 7

Bei allen der vier in Abb. 4 dargestellten Items liegt die Zustimmungsrate im Schnitt über dem Skalenmittelwert, ein großer Teil der Bürger bejaht die genannten Aussagen tendenziell. Am höchsten liegen die Durchschnittswerte aber in den Landkreisen mit dem geringsten Migrantenanteil und sinken mit zunehmendem Zuwandereranteil jeweils ab. Der Unterschied zwischen dem obersten und dem untersten Dezil ist bei allen vier Aussagen signifikant auf mindestens dem 95 %-Niveau. Dies bestätigt deskriptive Betrachtungen, wonach negative Reaktionen auf Zuwanderung in Gegenden mit wenigen Migranten häufiger anzutreffen sind, und dies ist offenbar nicht auf die geografische Ungleichverteilung anderer Variablen wie Bildung zurückzuführen.

6 Lokale Zuwanderungszahlen und Reaktionen hierauf

In ethnisch vielfältigeren Landkreisen sind die Einstellungen zur Zuwanderung im Schnitt positiver. Aber lässt sich dies auch auf kleinere geografische Einheiten wie Wohngebiete übertragen? Landkreise und kreisfreie Städte scheinen den Bewegungsradius der meisten Menschen im Alltag recht gut abzudecken, doch innerhalb eines Landkreises gibt es zumeist große Unterschiede beim Zuwandereranteil zwischen Gemeinden oder Stadtvierteln. Menschen können also in einer Stadt mit hohem Migrantenanteil auf dem Weg zur Arbeit, in der Einkaufsmeile oder im Sportverein mit Zuwanderern in Kontakt kommen, während Wohnviertel, Schulklassen oder persönliche Netzwerke dagegen immer noch relativ ethnisch homogen sein können. Die Zuwanderung ist dann zwar im Alltag sichtbarer als in Landkreisen mit weniger Migranten, was positive Kontakt- und Gewöhnungseffekte nach sich ziehen kann, die persönliche Betroffenheit kann hinsichtlich mancher für die Ausprägung von Bedrohungsgefühlen relevanter Aspekte dennoch gering ausfallen.

Bei diesen Fragen stößt die reine Kontextforschung an Grenzen, da sich beispielsweise die ethnische Zusammensetzung von Freundschaftsnetzwerken weniger durch die Diversität auf Stadt- oder Stadtteilsebene erklären lässt als die reinen Kontaktopportunitäten (Petermann und Schönwälder 2014). Trotzdem könnte sich der lokale Zuwandereranteil in einer Art auf Bedrohungsgefühle auswirken, die sich vom regionalen Einfluss unterscheidet. Beispielsweise scheint sich die vieldiskutierte Frage, ob Zuwanderung den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft negativ beeinflusst, am ehesten in Bezug auf nachbarschaftliches Vertrauen innerhalb von Wohnvierteln zu bestätigen (van der Meer und Tolsma 2014). Eine andere, ebenfalls umstrittene Frage betrifft die möglichen Auswirkungen eines hohen Anteils von Schülern mit Migrationshintergrund in Schulklassen auf etwa den Kompetenzerwerb (vgl. Stanat et al. 2010). Wenn Eltern beispielsweise fürchten, dass ihr Nachwuchs in Kindergärten oder Schulen mit hohem Zuwandereranteil eine schlechtere Leistungsentwicklung zeigt oder sich einen unerwünschten Habitus (z. B. Sprachstil) aneignet, werden hohe kontextuelle Zuwanderungszahlen wohl eher als Bedrohung angesehen. Zwar unterscheiden sich Schul- und Wohnort oft, aber bei Grundschulen gilt beispielsweise in vielen Bundesländern in der Regel, dass die zum Wohnort nächstgelegene Schule besucht wird, und ein hoher Zuwandereranteil im Wohnumfeld kann auf solche Weise als negativ empfunden werden.

Im Folgenden wird der Zusammenhang zwischen lokalem Migrantenanteil und Reaktionen darauf anhand des Beispiels der Stadtteile und Wahlbezirke Stuttgarts illustriert. Stuttgart ist mit einem Anteil von Bewohnern mit Migrationshintergrund von über 40 Prozent (und rund 70 Prozent in den jüngsten Alterskohorten) einerseits eine der am stärksten von Zuwanderung geprägten Großstädte in Deutschland. Andererseits gilt die baden-württembergische Landeshauptstadt mit ihrer auch unter Zuwanderern niedrigen Arbeitslosigkeit häufig als Vorbild hinsichtlich Integrationspolitik und -erfolgen (z. B. Soldt 2016). Probleme mit ausländerfeindlichen Bewegungen sind hier weit geringer ausgeprägt als anderswo; im Frühjahr 2015 brachte allein das in den sozialen Medien kursierende Gerücht über eine bevorstehende fremdenfeindliche Demonstration (die dann nicht stattfand) mehr als 20.000 Gegendemonstranten auf die Straße. Positive Reaktionen auf hohe Zuwandererzahlen, wie sie Kontakt- und Gewöhnungstheorien postulieren, sollten also hier eher denn an anderen Orten vorgefunden werden. Zur Operationalisierung von Reaktionen stehen dabei keine Befragungsdaten zu Einstellungen gegenüber Zuwanderern zur Verfügung, stattdessen wird zum einen das Umzugsverhalten von Deutschen in Abhängigkeit des Zuwandereranteils im Stadtbezirk zwischen 1999 und 2013Footnote 8 und zweitens der Stimmenanteil für die rechtsgerichtete AfD bei den Landtagswahlen im März 2016 betrachtet. Diese Makroanalysen müssen ohne individuelle Kontrollvariablen wie Alter oder Geschlecht auskommen und können daher keine abschließenden Erkenntnisse über kausale Zusammenhänge vermitteln. Dennoch wäre aufschlussreich, ob sich das deskriptive Bild, das sich auf regionaler Ebene ergibt – ein höherer Zuwandereranteil geht mit positiveren Reaktionen einher –, auch auf der Stadtteilsebene reproduzieren lässt.

Abb. 5 zeigt den Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund sowie die Netto-Zuzugsrate deutscher Staatsbürger zwischen 1999 und 2013 in 144 Stuttgarter Stadtteilen. Grundsätzlich fällt der Grad ethnischer Segregation geringer aus, als das von Städten aus anderen europäischen Ländern, insbesondere in Großbritannien, bekannt ist (vgl. z. B. Musterd 2005). Es gibt kaum Straßenblocks, in denen fast ausschließlich oder fast gar keine Zuwanderer wohnen. Trotzdem sind substanzielle Unterschiede im Zuwandereranteil offensichtlich. Die Viertel, in denen die Mehrheit der Bewohner aus dem Ausland stammt, befinden sich tendenziell im Norden und Osten der Stadt. Von dort ziehen in der Regel mehr deutsche Bewohner fort als hinzu. Generell ist die Nettozuzugsrate von Deutschen nach Stuttgart niedrig, von den rund 54.000 zwischen 1999 und 2013 netto zugezogenen Menschen hatten lediglich 4400 (8 %) die deutsche und 49.400 (92 %) eine ausländische Staatsbürgerschaft. Die Stadt wächst also vor allem durch Zuzug aus dem Ausland; die unter dem Strich wenigen deutschen Zuzügler lassen sich mehrheitlich in Gegenden mit moderatem oder niedrigem Migrantenanteil nieder.

Abb. 5
figure 5

Anteil der Einwohner mit Migrationshintergrund, Netto-Zuzugsrate deutscher Staatsbürger zwischen 1999 und 2013 und deren Vergleich auf der Ebene von 144 Stuttgarter Stadtteilen. (Eigene Darstellung; Wanderungs-, Struktur- und Wahldaten sowie das Shapefile für die Karten stammen vom Statistischen Amt der Stadt Stuttgart)

Natürlich lässt sich das Fortbleiben bzw. Wegziehen der Deutschen kausal nicht eindeutig auf den Zuwandereranteil in den Wohngebieten zurückführen. Beispielsweise korreliert auf Stadtteilsebene (N = 144) der Anteil der Bewohner mit Migrationshintergrund hoch mit dem Anteil der Hartz-IV-Empfänger (r = 0,74), auf der noch feingliedrigeren Ebene der Wahlbezirke (N = 349) ist der Zusammenhang noch stärker (r = 0,83). Aufgrund dieser starken Korrelation kann nicht unterschieden werden, ob und in welchem Maße Unterschiede in den Fortzugszahlen auf den Zuwandereranteil oder aber auf andere Charakteristika sozial schwacher Wohngebiete zurückgehen. Aber auch hier ist der Unterschied zur gröber gegliederten regionalen Ebene offensichtlich: Im regionalen Vergleich hängen Wirtschaftskraft und Zuwandereranteil positiv zusammen, die reichen Ballungsgebiete um München, Frankfurt oder Stuttgart beherbergen prozentual auch die meisten Migranten. Innerhalb Stuttgarts sind durchschnittliches Einkommen im Stadtteil und Anteil der Bewohner mit Migrationshintergrund demgegenüber stark negativ korreliert (r = −0,76). Die Ausnahmen, bei denen eine starke Internationalität mit sozioökonomisch bessergestellten Einwohnern einhergeht, sind dagegen auch bei Deutschen als Wohngegend beliebt, so etwa das Universitätsviertel im Südwesten.

Abb. 6 zeigt schließlich den Vergleich des Zuwandereranteils mit dem Stimmenanteil für die AfD bei den Landtagswahlen 2016 auf der Ebene von 349 Wahlbezirken. Der bivariate Korrelationskoeffizient beträgt hier r = 0,47; in den Wahlbezirken mit mehrheitlich aus dem Ausland stammender Bevölkerung konnte die AfD im Schnitt die meisten Stimmen holen. In vielen stark von Zuwanderung geprägten Stadtteilen wie Freiberg, Hallschlag, Neugereut oder Zuffenhausen-Rot stimmten jeweils mehr als 20 Prozent der Wähler für die AfD (insgesamt lag der Anteil in Stuttgart bei 11,1 Prozent). Demgegenüber hingen ein hoher Akademikeranteil (bivariate Korrelation r = −0,72) und ein überdurchschnittliches Einkommen (r = −0,58) auf Wahlbezirksebene deutlich negativ mit dem AfD-Wahlerfolg zusammen. Die wenigsten Stimmen bekam die Partei in den zwar international geprägten, aber auch von vielen Akademikern und aus anderen Teilen Deutschlands zum Arbeiten Zugezogenen bewohnten hochpreisigen Stadtbezirken West, Süd und Mitte sowie den einkommensstarken und vergleichsweise weniger von Zuwanderung betroffenen Sillenbuch und Degerloch.

Abb. 6
figure 6

Anteil der Einwohner mit Migrationshintergrund, AfD-Stimmenanteil 2016 und deren Vergleich auf der Ebene von 349 Stuttgarter Wahlbezirken. (Eigene Darstellung; Wahldaten, Strukturdaten und Shapefile für die Karten stammen vom Statistischen Amt der Stadt Stuttgart)

Bei diesen reinen Makroanalysen muss natürlich bedacht werden, dass ungleich verteilte individuelle Charakteristika wie Alter, Bildungsstand oder Migrationshintergrund der Wähler das Bild in die eine oder andere Richtung verzerren können. Kausale Inferenzen sind hier also unmöglich, aber es ist dennoch offenkundig, dass sich die Muster auf lokaler Ebene stark von denen im regionalen Vergleich unterscheiden. Vor allem die Kombination aus vielen Zuwanderern und wenigen Akademikern in der unmittelbaren Nachbarschaft scheint mit negativen Haltungen zur Zuwanderung, hier gemessen als Stimmenabgabe für die AfD, einherzugehen. Neben den vorgeschlagenen Bedrohungsmechanismen, die dem zugrunde liegen könnten, bietet sich auch eine Ad-hoc-Erklärung aus dem Paradigma der Kontakthypothese an. Akademiker und Besserverdiener haben in ihrem Wohnumfeld weniger Kontaktopportunitäten zum „Median-Zuwanderer“, dafür wohl überdurchschnittliche Chancen auf Kontakt zu statushohen Migranten, die sich die hochpreisigen Wohngegenden ebenfalls leisten können oder z. B. die selbe Hochschule besuchen. Daraus resultieren mutmaßlich mehr positiv wahrgenommene Begegnungen als im Falle sozioökonomisch schwächergestellter Personen in Vierteln mit höherem Zuwandereranteil und mehr sozialen Problemen. Das würde dafür sprechen, dass nicht nur die Größe der Outgroup zählt, sondern auch deren Zusammensetzung, die wiederum stark mit der Größe variiert.

7 Fazit und Ausblick

Wie sich eine hohe und steigende Zuwandererzahl auf Einstellungen und Reaktionen in der Bevölkerung niederschlägt, ist eine in Deutschland aktuell viel diskutierte Frage. Theorien und empirische Befunde aus der sozialwissenschaftlichen Forschung geben hierzu widersprüchliche Antworten. Bei systematischer Betrachtung der Forschungslage zeigt sich, dass die Ergebnisse stark mit dem Aggregationsgrad der Beobachtung variieren. Die allgemeine Tendenz stellt sich dabei wie folgt dar: Auf nationaler Ebene und im Ländervergleich scheint eine hohe und steigende Zahl von Zuwanderern in Westeuropa mit verstärkt negativen Einstellungen und Wahlerfolgen für rechtsgerichtete Parteien einherzugehen. Mehr Zuwanderung führt zu einer höheren Prominenz des Themas im öffentlichen Diskurs, wodurch die kognitive Unterscheidung zwischen Einheimischen und Migranten präsenter wird und Bedrohungsgefühle aktiviert werden können. Innerhalb eines Landes jedoch – insbesondere in Deutschland – fallen in den stärker von Migration betroffenen Regionen die Haltungen zur Zuwanderung tendenziell gelassener aus. Dies wird meist mit positiven Kontakt- und Gewöhnungseffekten bei erhöhter Sichtbarkeit von Zuwanderern im alltäglichen Bewegungsradius erklärt.

In der Kombination führt das zu dem scheinbaren Paradox, dass in Zeiten hoher Zuwanderung die Stimmung zum Thema Migration negativer wird, die sichtbaren Zeichen hierfür aber oft in Gegenden mit unterdurchschnittlichem Ausländeranteil auftreten. Innerhalb von Städten oder Landkreisen gibt es aber immer noch eine erhebliche Variation beim Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Auf lokaler Ebene zeigt sich ein anderes Bild als noch im regionalen Vergleich: Beispielsweise fällt in Stuttgarter Stadtteilen mit einem hohen Zuwandereranteil der Wahlerfolg der AfD überdurchschnittlich aus, und Umzugsanalysen legen nahe, dass Deutsche diese Stadtteile tendenziell eher meiden. Am tolerantesten gegenüber Zuwanderung scheinen folglich diejenigen Menschen zu sein, die in der Nähe der, aber nicht unmittelbar selbst in den Wohngegenden leben, die die meisten Zuwanderer beherbergen.

In diesem Forschungsfeld besteht trotz der großen Aufmerksamkeit, die dem Thema zukommt, noch an einigen Stellen Klärungsbedarf. Dies betrifft beispielsweise die Frage nach der für Kontakt- und Gewöhnungseffekte relevanten Kontextgröße, die je nach Individuum und in Abhängigkeit von bestimmten Charakteristika variieren könnte. Auch die qualitativen Wirkungsmechanismen von Kontakt- oder Bedrohungseffekten sind unterbeleuchtet: Auf welche Art verändern kontextuelle Faktoren oder persönliche Erlebnisse die individuelle Haltung zum Thema? Hier kommt erschwerend hinzu, dass Vorurteile, Fremdenfeindlichkeit oder Bedrohungsgefühle häufig als eindimensional aufgefasst werden, ohne zwischen inhaltlichen Aspekten wie Wirtschaft, Kultur, Sicherheit oder Bildung/Erziehung zu differenzieren, in denen der Effekt von Zuwanderung jeweils auf unterschiedliche Weise und auf unterschiedlichen Kontextebenen wirken kann. Schwierig zu erfassen sind bislang auch Wechselwirkungen und Interaktionseffekte, die zwischen sozialem Kontext, Einstellungen und Verhalten auftreten können. Netzwerkanalysen könnten beispielsweise die Koevolution von Bekanntschaftsnetzwerken und Haltungen zur Zuwanderung analysieren. In jüngster Zeit gab es Versuche, die gegenseitige Beeinflussung von Wohnort und Haltungen zur Zuwanderung zu erfassen (z. B. Kaufmann und Harris 2015), die aber aufgrund von Einschränkungen in der Datenverfügbarkeit nicht als abschließend gelten können. Ein weiteres Problemfeld betrifft die Zeitdimension: Wie lange dauert es, bis sich eine Gesellschaft an eine bestimmte Neuzuwanderung gewöhnt hat? Ist dies abhängig von Höhe, Herkunft und Zusammensetzung der Zuwanderung, und welche Rolle spielen politische oder wirtschaftliche Kontextfaktoren?

Trotz dieser Desiderata für die zukünftige Forschung können mittels des hier skizzierten Analyserahmens einige Annahmen über die in naher Zukunft zu erwartenden Entwicklungen in Deutschland getroffen werden. Der Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund wird in den kommenden Jahren höchstwahrscheinlich deutlich zunehmen; das ergäbe sich auch bei zurückgehender Neuzuwanderung aus den Unterschieden in den Altersstrukturen. Da Zuwanderung häufig durch Familien- und Nationalitätsnetzwerke befördert wird, werden ethnische Minderheiten dabei wahrscheinlich vor allem in den Ballungsgebieten anwachsen, in denen sie heute schon stark vertreten sind (vgl. z. B. Massey et al. 1993; Mayda 2010). In diesen Ballungsgebieten haben sich die Menschen in der Regel an ethnische Vielfalt gewöhnt – Widerstand dagegen wird sich vermutlich eher in Landkreisen formieren, die heute und auch in Zukunft wenig von Zuwanderung betroffen sind. In Teilen Deutschlands, vor allem in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Südhessen, wird es solche Gegenden allerdings immer weniger geben, da dort auch in der Peripherie heute schon ein Großteil der Kinder aus Zuwandererfamilien stammt.

Das könnte einerseits dazu führen, dass fremdenfeindliche Bewegungen dort künftig immer geringere Chancen haben werden, weil die Konstellation „hohe nationale, aber geringe regionale Zuwanderung“ kaum mehr vorkommt. Da umgekehrt Landkreise mit wenigen Migranten vorwiegend in den neuen Bundesländern liegen, könnte sich der Ost-West-Gegensatz in den Haltungen zur Zuwanderung im Zuge dessen verstärken. Da das Attribut „Migrationshintergrund“ in westdeutschen Metropolen eher zur Regel als zur Ausnahme wird, ist es auch denkbar, dass dieser Begriff nach und nach an Bedeutung verliert und sich andere Konzepte von Identität oder „Mehrheitsgesellschaft“ durchsetzen.

Andererseits werden durch diese Entwicklung innerhalb der ethnisch vielfältigen Städte und Regionen auf lokaler Ebene Wohngebiete mit einem geringen Zuwandereranteil weniger, und diese werden sich vermutlich zunehmend durch hochpreisige Immobilien und andere Zuzugserschwernisse auszeichnen. Das bedeutet, dass die Konstellation, die momentan zu besonders positiven Haltungen zur Zuwanderung zu führen scheint – viele Zuwanderer im Alltag, aber weniger im direkten Wohnumfeld – in und um Städte wie Frankfurt, München oder Stuttgart quantitativ an Relevanz verlieren wird. Ob dann die positiven regionalen Kontakteffekte die möglichen lokalen Bedrohungseffekte mehrheitlich überwiegen werden, ist noch ungewiss. Hinzu kommt, dass bei einem jetzt schon bei 60 bis 70 Prozent liegenden Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund in diesen Städten Neuzuwanderer und deren Nachwuchs wohl schwieriger in das, was heute noch als „Mehrheitsgesellschaft“ verstanden wird, integriert werden können. Spracherwerb oder das Erlernen kultureller Gepflogenheiten können sich dadurch verzögern, Unterschiede zwischen Zugewanderten und Einheimischen demzufolge länger sichtbar bleiben als noch bei der Eingliederung der in den vergangenen Jahrzehnten zugezogenen Migranten und ihren Kindern.

In Leipzig, Jena und anderen ostdeutschen Städten erreicht der Zuwandereranteil dagegen bald – im bundesweiten Vergleich noch moderate, aber für die neuen Bundesländer zuvor ungekannt hohe – Größenordnungen, die mutmaßlich Kontakt- und Gewöhnungseffekte begünstigen. Hier könnten sich, insbesondere falls das Thema zukünftig wieder national an akuter Relevanz verlieren sollte, die Einstellungen zur Zuwanderung im Zuge dessen verbessern, weil die Präsenz von Personen ausländischer Herkunft zunehmend als normal und legitim angesehen wird und positive persönliche Erfahrungen häufiger werden. Gleichzeitig sind die Zuwandereranteile noch niedrig genug, dass eine schnelle Integration der Neubürger plausibel scheint. Diese Annahmen müssen notwendigerweise spekulativ sein, und angesichts der gehäuften fremdenfeindlichen Vorfälle der letzten Zeit mögen sie auch kontraintuitiv erscheinen, aber es sprechen tatsächlich Argumente dafür, dass in zehn Jahren Dresden oder Erfurt als „Vorzeigekommunen“ in Sachen Integration und interkulturelles Zusammenleben gelten könnten.