1 Einleitung

In der Öffentlichkeit ist der geringere Schulerfolg von Jungen zum viel beachteten Thema geworden. Davon zeugen Thematisierungen von „angeknacksten Helden“ und „Jungenkatastrophe“ (Der Spiegel) sowie „schwächelndem männlichem Nachwuchs“ (Facts). Daran schließt sich eine Reihe bisher empirisch wenig überprüfter Thesen über die Ursachen der Geschlechterunterschiede im Schulerfolg an, die bildungspolitische Kontroversen auslösen. Im Rahmen dieses Beitrags werden fundierte Antworten zum Schul(miss)erfolg der Jungen gesucht. Basis der Analysen ist eine standardisierte schriftliche Befragung von 872 Schülern der 8. Jahrgangsstufe im schweizerischen Kanton Bern im Jahr 2009.

Im wissenschaftlichen Diskurs werden verschiedene Aspekte als Schulerfolg definiert; dazu gehören Bildungszertifikate, Schulnoten oder Leistungstests, wobei für die Sekundarstufe in allen Bereichen Geschlechterunterschiede zu Ungunsten der Jungen festzustellen sind. Im Rahmen unserer Untersuchung bezieht sich Schulerfolg als abhängige Variable auf die Schulnoten, d. h. die subjektiven Leistungsbewertungen durch die Lehrpersonen, die an verschiedenen Maßstäben orientiert sind (Vorgaben des Schulsystems, Leistungsniveau einer Schulklasse etc.). Als Selektionsinstrument sind Schulnoten relevant für den weiteren Bildungsweg, Schulstufenwechsel und schließlich auch für den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt.Footnote 1 Aus subjektiver Sicht der Schüler bilden Schulnoten wesentliche motivations- und verhaltensrelevante Orientierungspunkte. Wenngleich Schulnoten auch mit den Schulleistungen und kognitiven Fähigkeiten konfundiert sind, wie dies vergleichende Leistungstests zu Bildungsstandards (z. B. PISA) zeigen, indizieren sie in erster Linie Erfolg im Sinne von Mannheim (1964). Erfolg kann durch Leistung legitimiert werden, bedarf aber nicht unbedingt einer Leistung (Neckel 2001). In Anlehnung an seine Unterscheidung zwischen Leistung und Erfolg ist Schulerfolg entsprechend Ausdruck der Anerkennung einer Leistung durch die Lehrperson und nicht gleichzusetzen mit objektiven Leistungen.

Ein Kernelement der Untersuchung stellt das Konzept der Schulentfremdung dar. Schulentfremdung wird hier als Ausdruck einer Bildungsmotivation hinsichtlich des intrinsischen Nutzens und nicht im Hinblick auf spätere Bildungserträge (extrinsische Motivation) verstanden. Intrinsische Motivationsmuster, etwa im Sinne von Stimulation innerhalb der Theorie der sozialen Produktionsfunktionen (Ormel et al. 1999), sind für schulerfolgsfördernde Verhaltensweisen, wie etwa das Lernverhalten, bedeutsamer als extrinsische (Cameron und Pierce 1994). Einen weiteren Schwerpunkt bilden Geschlechterrollenvorstellungen als Orientierungen, die Einstellungen, Motivationsstrukturen und Handlungsmuster beeinflussen können und daher relevant für Geschlechterunterschiede im Schulerfolg sind. Als Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit beziehen sich diese Orientierungen auf Erwartungen über geschlechtsspezifische Eigenschaften, Einstellungen und Verhaltensweisen und thematisieren insbesondere Geschlechterverhältnisse im Familien- und Erwerbsleben (Adams et al. 1996; Brogan und Kunter 1976; Coltrane 1998). Ein besonderer Erklärungsfaktor für den Schulerfolg ist zudem die Schuleinstellung der Peergruppe. Die Freundesgruppe wird als soziale Ressource oder soziales Kapital im Sinne von Coleman (1961) verstanden, die eine unterstützende und motivierende Funktion ausübt, da sie definiert, inwieweit schulerfolgsrelevantes Handeln von Schülern erwünscht oder unerwünscht ist.

Der Beitrag ist folgendermaßen aufgebaut: Aufbauend auf den Forschungsstand zum geschlechterdifferentiellen Schulerfolg, theoretischen Überlegungen zu den untersuchten Erklärungsfaktoren und der Beschreibung des Untersuchungsdesigns werden erste deskriptive Ergebnisse und bivariate Zusammenhänge zum geschlechtsspezifischen Schulerfolg (Schulnoten) vorgestellt. Schließlich werden Antworten auf die Forschungsfrage anhand von multivariaten Analyseverfahren gesucht: In Regressionsmodellen wird die Erklärungskraft von Schulentfremdung, Geschlechterrollenvorstellungen, Peergruppe sowie der Unterstützung durch die Lehrperson und der sozialen Herkunft als Kontrollvariablen aufgezeigt. Im Rahmen eines Strukturgleichungsmodells soll schließlich das komplexe Beziehungsgeflecht dieser sozialen Mechanismen für den Schulerfolg betrachtet werden.

2 Theoretischer Rahmen

Die verschiedenen Einflussfaktoren des Schulerfolgs sollen jeweils im Hinblick auf die Theorie der sozialen Produktionsfunktionen von Lindenberg und Frey (1993) und Ormel et al. (1999) betrachtet werden. Das zentrale Ziel menschlichen Handelns ist nach dieser Theorie Wohlbefinden (physisches Wohlbefinden und soziale Anerkennung), das durch die Erfüllung bestimmter instrumenteller Ziele auf Basis spezifischer Ressourcen produziert werden kann (Ormel et al. 1999, S. 67): Stimulation (physische und mentale Anstrengungen), Komfort (Nahrung, Gesundheitsfürsorge, Geld), Status (Bildung, soziale Schicht, besondere Fähigkeiten), Verhaltensbestätigung (soziale Fähigkeiten, Kompetenz) und Affekt (Partner, Empathie, Attraktivität). Inwieweit diese Zwischenziele erreicht werden, hängt von individuell verfügbaren Ressourcen ab. Bezüglich der Motivationslagen und Verhaltensweisen, die Schulerfolg fördern oder verhindern, ist zu fragen, inwieweit die individuelle Produktion instrumenteller Zwischengüter zur Produktion von Wohlbefinden mit schulerfolgsbezogenen Verhaltensweisen in einer positiven oder negativen Beziehung steht. So ist unter anderem zu thematisieren, inwieweit über schulische Aufgaben Stimulation produziert werden kann, welche schulerfolgsrelevante Handlungen geschlechterrollenkonform sind und daher Anerkennung bedeuten sowie ob mit Lernerfolg Peergruppenanerkennung erworben werden kann.

2.1 Der Forschungsstand zum geringeren Schulerfolg der Jungen

Den Ausgangspunkt des sozialwissenschaftlichen Diskurses um dieses Thema stellen die makrosoziologischen Auswertungen zu Ursachen der Überrepräsentation von Jungen in der Hauptschule von Diefenbach und Klein (2002) dar, die eine Assoziation des geringeren Bildungserfolgs der Jungen mit dem Anteil weiblicher Lehrpersonen an Grundschulen und der Arbeitslosenquote aufzeigen. Im Kern vermuten sie, dass Lehrerinnen unbewusst das Jungen-Verhalten im Hinblick auf ihre eigenen weiblichen Sozialisationserfahrungen strenger interpretieren und bewerten sowie Jungen bei einer problematischen wirtschaftlichen Lage von den Herkunftsfamilien gedrängt werden, schneller in den Arbeitsmarkt einzusteigen und zum Familieneinkommen beizutragen. Diese auf Aggregatebenen-Befunden basierenden Thesen können allerdings nicht einfach auf die individuelle Ebene übertragen werden. Studien zeigen, dass weder Schüler noch Schülerinnen durch Lehrpersonen des gleichen Geschlechts einen Vorteil haben (vgl. z. B. Neugebauer et al. 2010). Weitere vermutete Gründe für den Schulmisserfolg der Jungen, die seit dem Beginn der Debatte eine Rolle spielen, sind eine geringere sprachliche Förderung der Jungen in Familie und Schule, ein geringes Interesse am und wenig Übung im Lesen und eine „weiblich“ geprägte Schulkultur (Cornelißen et al. 2002).

Geschlechtstypische Verhaltensweisen deuten sich als eine wesentliche Ursache für den geringeren Schulerfolg der Jungen an. Das Verhalten der Jungen erscheint eher als non-konform gegenüber den in der Schule erwarteten Verhaltensweisen als das Verhalten der Mädchen (vgl. Eagly und Chravala 1986). Jungen zeigen entsprechend häufiger deviante und schulerfolgshemmende Verhaltensweisen, die den schulischen Alltag stören und bei den Lehrpersonen zu einer stärkeren Sanktionierung führen. Nach Hannover (2004, S. 88) hängt der geringere Schulerfolg von Jungen damit zusammen, „dass sie relativ zu Mädchen […] geringere soziale Kompetenzen mitbringen, sich sozial weniger angepasst verhalten und eher dazu neigen, auf Konflikte und Frustrationen im Schulalltag mit Aggressivität zu reagieren.“ Budde (2003) vermutet, dass sich ein Verhaltensvorteil der Jungen, wonach sie sich unangepasster und unabhängiger als Mädchen benehmen dürfen, zu einem Bildungsnachteil entwickelt hat. Jungen sichern sich mit dem „Verhaltensvorteil“ zwar ein hohes Prestige bei der Peergruppe, insbesondere bei Klassenkameraden und teilweise den Lehrpersonen, die „Schattenseiten“ sind jedoch „ein erhebliches Konflikt- und Risikopotenzial“, schlechte Schulnoten und ein „eklatanter Mangel an Handlungsalternativen“ (Budde 2003, S. 96). Weinert und Helmke (1997, S. 199) stellen unterschiedliche Verhaltensweisen von Mädchen und Jungen im Zusammenhang mit dem sogenannten „Faulpelz-Syndrom“ fest: „höhere Anstrengungsvermeidung und geringerer Pflichteifer bei Schülern und das gegenteilige Profil bei Schülerinnen“. In einer Studie von Fend (1997) zur Sekundarstufe erwiesen sich Mädchen als leistungsbereiter, während „die ausgeprägte Distanzierung im Sinne von ‚frechem‘ und ‚faulem‘ Schülerverhalten bei Jungen klarer ausgeprägt ist“ (Fend 1997, S. 178). Während Jungen sich offenbar zunehmend an außerschulischen Erfahrungsbereichen orientieren und sich aus der Schule heraus entwickeln und davon entfremden, wachsen Mädchen stärker in die Schule hinein, indem sie an diesem Ort Erfolgs- und Emanzipationserfahrungen machen.

Ein ebenso mit der Verhaltensebene verknüpfter Bestimmungsfaktor des geringeren Schulerfolgs von Jungen wird in einer erhöhten einseitigen Mediennutzung (Fernsehen, Computerspiele) gesehen. Diese lenkt einerseits von schulerfolgsfördernden Verhaltensweisen wie Lesen oder die intensive Bearbeitung von Hausaufgaben ab, andererseits ist aber auch die kontinuierliche Einübung von Männlichkeitsstereotypen mittels der Inhalte von Computerspielen denkbar, wobei Art und Inhalt der Computerspiele zu berücksichtigen sind. Dies trifft insbesondere auf Jungen aus bildungsfernen Sozialschichten zu, die dann schließlich auch den geringsten Schulerfolg aufweisen (Mößle et al. 2006; Budde 2008).

Drei Faktoren, die für geschlechtstypische Verhaltensmuster sowie schließlich Geschlechterunterschiede im Schulerfolg von Bedeutung sind, sollen im Folgenden detaillierte Betrachtung finden: Geschlechterrollenvorstellungen, die Schuleinstellungen der Peergruppe sowie die Schulentfremdung.

2.2 Geschlechterrollenvorstellungen und Schulerfolg

Theoretische Überlegungen und empirische Befunde weisen darauf hin, dass Jungen nicht per se einen geringeren Schulerfolg haben, sondern dass die Wahrscheinlichkeit auf schlechte Noten steigt, wenn sie traditionellen, patriarchalen Geschlechterrollen anhängen (Cornelißen et al. 2002). Traditionelle Männlichkeitsbilder motivieren nicht zu schulerfolgsbezogenen Handlungen, sondern fördern stattdessen abweichende schulerfolgsmindernde Verhaltensweisen, die in den Bildungsinstitutionen sanktioniert werden. Jungen, die Weiblichkeit abwerten und gegen Männlichkeit scharf abgrenzen, begreifen Bildungsziele vor allem von Lehrerinnen nicht als ihre eigenen. So weisen Cornelißen et al. (2002, S. 229) darauf hin, „dass manche der Männlichkeitsbilder, die Kindern und Jugendlichen in den Medien präsentiert werden, etwa die des Draufgängers, des Abenteurers, des Kämpfers, des Aufrührers und des Kriminellen, Leitbilder darstellen, die die Bereitschaft zur Konzentration auf komplexe Denk- und Sprachleistungen sowie die notwendige Disziplin hierfür nicht eben anspornen.“ Aufgrund von Männlichkeitsnormen, in denen etwa Konformität und Unterordnung als weibliche Eigenschaften erscheinen, wird schulischer Erfolg als unmännlich abgewertet (Budde 2008; Phoenix und Frosh 2005). Diese negativen Einstellungen gegenüber der Schule und die mangelnde Schulmotivation haben ihre Entsprechung auf der Verhaltensebene. King und Flaake (2005) zeigen in ihrer Arbeit die Verschränkung von Schulerfolg und Männlichkeitsvorstellungen sowie die kontextspezifischen Entstehungs- und Reproduktionsbedingungen von Männlichkeiten, zu denen auch schulische Kontexte gehören, auf, wobei sich eine Fokussierung auf peergruppenunterstützte (traditionelle) Männlichkeitsvorstellungen als bildungserfolgsmindernd erweist. Jungen nutzen die Schule als sozialen Raum zur Aufführung von Männlichkeit, wobei die zumeist geschlechterhomogene Peergruppe eine wichtige Zielgruppe dieser Inszenierungen darstellt (Budde 2008, S. 39). Nach britischen Befunden von Phoenix und Frosh (2005) sehen gerade Jungen mit stereotypen Vorstellungen von Männlichkeit gute Leistungen in der Schule als weiblich an und bewerten Schulerfolg entsprechend negativ. Vor allem die akademischen Lernanteile in der Schule werden aus einer solchen Sichtweise gegenüber praktischen Aspekten (z. B. Sport) abgewertet, was eine geringere Schulmotivation oder ausgeprägte Schulentfremdung zur Folge haben kann.Footnote 2

Ein Zusammenhang zwischen Geschlechterrollen und Schulerfolg lässt sich dazu vor dem Hintergrund des Framing-Modells der Social Action Theory (Wikström und Sampson 2006) wie folgt begründen: Werden traditionelle Geschlechterrollenvorstellungen als Handlungsrahmen herangezogen, so reduzieren sich die Handlungsalternativen der Jungen auf typisch männliche, vom „weiblichen“ abgegrenzte Verhaltensweisen, die schulerfolgsmindernd sein können (z. B. Devianz).

Dass Jungen traditionelleren Geschlechterrollen anhängen als Frauen, ist ein vielfach bestätigter Befund (vgl. etwa Ittel et al. 2006). Ursache dafür sind wiederum geschlechtsspezifische Sozialisationsprozesse. Nach der modifizierten Form der Macht-Kontroll-Theorie (vgl. Hadjar et al. 2003, 2007) ist anzunehmen, dass Geschlechterunterschiede auch durch geschlechterdifferenzielle Erziehungspraktiken und Transmissionsprozesse gestützt werden. Jungen bilden offenbar in stärkerem Maße Dominanzideologien aus, zu denen traditionelle Geschlechterrollenvorstellungen gehören. Aus der nutzentheoretischen Sicht erscheint die stärkere Hinwendung der Jungen zu traditionellen Geschlechterstereotypen auch dahingehend plausibel, dass die patriarchale Sichtweise einen Vorteil hinsichtlich Macht und Status suggeriert und andere Geschlechterkonstellationen auf den ersten Blick als weniger rational für Männer erscheinen mögen.

Obgleich die These über den schulerfolgsmindernden Effekt von traditionellen Geschlechterrollen vor allem für Jungen plausibel erscheint, soll eine entsprechende Hypothese gleichermaßen für Schülerinnen postuliert werden. Aus motivationstheoretischer Sicht ist eine solche Annahme sinnvoll, da Mädchen mit traditionellen Geschlechterrollen nur im geringeren Maße (Lern-)Motivation aus Vorstellungen über ihr späteres Erwerbsleben schöpfen können. Für sie scheint eine Investition in Bildung keinen großen Nutzen zu bedeuten, da sie Bildungszertifikate im Rahmen ihrer primären Rolle im familialen Haushalt nicht benötigen.

H 1a: Schüler hängen patriarchalen Geschlechterrollenvorstellungen stärker an.

H 1b: Je patriarchaler die Geschlechterrollenvorstellungen von Jungen und Mädchen

sind, desto geringer ist der Schulerfolg.

2.3 Schulentfremdung und Schulerfolg

Im Anschluss an klassische Konzepte von Marx oder Durkheim wird Entfremdung als ein Defizit an sozialer Bindung und Beteiligung beschrieben (Hascher und Hagenauer 2009; vgl. Dean 1961). Schulentfremdung bedeutet eine mangelnde Schulbindung, eine stark verminderte Identifikation mit Schule und Lernen, eine schrittweise emotionale Abkopplung von akademischen Zielen und Werten (Finn 1989, S. 123) sowie eine Distanz gegenüber schulischen Leistungsanforderungen (Specht 1982). Im Rahmen unserer Analysen soll das Konzept der Schulentfremdung stark motivations- und interessentheoretisch gedeutet werden. Ein Mangel an fachbezogenen Interessen und intrinsischer (Leistungs-)Motivation verringert den Schulerfolg (vgl. Schiefele und Schreyer 1994; Cameron und Pierce 1994). Als intrinsisch gilt eine Lernmotivation, die an einem Fach und den Aufgaben selbst orientiert ist und nicht wie die extrinsische Motivation an Aspekten, die außerhalb des Faches liegen, wie etwa gute Noten zu erhalten, Anerkennung zu erfahren oder später bessere Arbeitsmarktchancen zu haben (vgl. Heckhausen und Heckhausen 2006). Intrinsisch motivierte Handlungen basieren stattdessen auf Neugier, Spontanität, Exploration und Interesse an den unmittelbaren Gegebenheiten der Umwelt. Im Hinblick auf die Theorie der sozialen Produktionsfunktionen (Ormel et al. 1999, S. 67) betrifft intrinsische Motivation somit die Zwischengüter der Stimulation und Aktivation; durch physische und mentale Aktivitäten wird das Erregungsniveau angehoben.

Hinsichtlich der Ursachen von Schulentfremdung kommt Geschlecht, ähnlich wie der sozialen HerkunftFootnote 3, eine besondere Rolle zu. Jungen zeigen sich in empirischen Studien schulentfremdeter als Mädchen (Hendrix et al. 1990; Hascher und Hagenauer 2009). Aus Perspektive der „Stage-Environment-Fit-Theory“ von Eccles und Midgley (1989) werden die Bedürfnisse von Mädchen in der Schule offenbar besser erfüllt und sie können sich besser an die Schulerfordernisse anpassen. Außerdem haben Mädchen eine stärker intrinsische Motivation als Jungen, während Jungen, insbesondere wenn sie traditionellen Geschlechterrollen anhängen, eine eher extrinsische Motivationsstruktur aufweisen (vgl. Kampshoff 2007). Auch aus Sicht der Subkulturtheorie von Cohen (1955) erscheint eine ausgeprägtere Schulentfremdung der Jungen als plausibel, wenn ihre Bedürfnisse in der Schule vernachlässigt werden. Schulentfremdung würde sich dann als Gegenmodell zu schulischen Normen und Werten herausbilden. Ein solcher Mechanismus wird bereits von Willis (1979) thematisiert, der bei Arbeiter-Jungen eine Widerstandskultur zur schulischen Kultur, eine Opposition gegen Autorität, feststellt. Gegenüber der akademischen Mittelklassenkultur der Schule verfolgen Arbeiterjungen ein durch Musik und Motorräder als Symbole geprägtes Lebensmodell, das einen frühen Ausstieg aus dem Schulsystem und einen frühen Einstieg ins Erwerbsleben beinhaltet.

Wesentliche Folgen der Schulentfremdung auf der Verhaltensebene, welche die Relevanz dieser Thematik aufzeigen, sind mangelnde Mitarbeit und Disziplinprobleme (Murdock 1999), die dann schließlich einen geringeren Schulerfolg verursachen. Ein bedeutsamer Mechanismus ist dabei ein emotionaler und physischer Rückzug aus der Schule. Jugendliche, die sich nicht mit der Schule identifizieren, beteiligen sich weniger an schulbezogenen Aktivitäten; bei Rückschlägen fehlt ihnen eine positive Identifikation mit der Schule, um diese zu kompensieren (Finn 1989, S. 133; vgl. Hascher und Hagenauer 2009). Dies kann bis zum Abbruch der Schullaufbahn führen (Vallerand et al. 1997).

H 2a: Bei Schülern ist die Schulentfremdung stärker ausgeprägt als bei Schülerinnen.

H 2b: Je geringer die Schulentfremdung bei Jungen und Mädchen ausgeprägt ist, desto

höher ist der Schulerfolg.

2.4 Peergruppe als soziale Ressource

Die Peergruppe soll als soziale Ressource thematisiert werden, da sie in ihrer Funktion als Bezugsgruppe Orientierung und Unterstützung für Handlungen bieten kann. Jugendliche erwerben in schulischen und außerschulischen Peerumwelten kulturelles und soziales Kapital (Boi-Reymond 2000; Coleman 1961). Die Bedeutsamkeit der Peergruppe ergibt sich im Sinne der Theorie der sozialen Produktionsfunktionen (Ormel et al. 1999) u. a. aus ihrer Rolle als wesentliche Anerkennungsressource, denn über die Beziehungen mit der Freundesgruppe lassen sich insbesondere Verhaltensbestätigung und Affekt produzieren. Die Rolle der Peergruppe bestimmt sich auch über ihre Unterstützungsfunktion, vor allem in motivationaler Hinsicht. Peergruppen definieren die instrumentellen Mittel und Ziele, wie Wohlbefinden produziert werden kann, denn die Anerkennung seitens der Peergruppe ist für Schüler ein wichtiges Ziel. Als besonders bedeutsam erweist sich nun, was von der einzelnen Schülerin oder dem einzelnen Schüler als durch die Freundesgruppe anerkannt wahrgenommen wird, ob schulischer Erfolg oder etwa deviante Verhaltensweisen.

Eine Peergruppe kann der Schule und dem Lernen positiv oder negativ gegenüberstehen und die Einstellungen der Schüler gegenüber der Schule entsprechend prägen. Die Angst, von Peers als Streber stigmatisiert zu werden, kann dazu führen, dass leistungsbezogenes Verhalten unterdrückt wird (Pelkner et al. 2002). Auch frühere Befunde von Juvonen und Murdock (1995) zeigen, dass Schüler der 8. Klasse im Unterschied zu Jüngeren eher weniger über ihr schulisches Leistungsverhalten und gute Schulleistungen sprechen, um nicht in der Popularität bei Gleichaltrigen zu sinken. Auf ein negatives Verhältnis zwischen Schulleistung und Peer-Akzeptanz weisen zudem Ergebnisse von Coleman und Cross (1988) zur sozialen Stigmatisierung von Hochbegabten hin. Die Schulnähe oder Schulentfremdung einer Peergruppe ist als schultyp-, herkunfts- und geschlechtstypisch anzunehmen (Fend 1989).

Als theoretischer Hintergrund zum Einfluss der Peergruppe im Sinne einer Sozialisationsinstanz kann ebenso die Subkulturtheorie von Cohen (1955) dienen. Im Sinne eines wechselseitigen Prozess würden sich, entsprechend dieser Argumentation, besonders in den Peergruppen der Jungen als Reaktion auf Anpassungsprobleme an die in der Schule vorherrschenden Ideologien und Strukturen schulentfremdete Einstellungen und Verhaltensmuster herausbilden. Entsprechend ist anzunehmen, dass die Freundesgruppen der Mädchen eine positivere Einstellung gegenüber der Schule haben.

Hinsichtlich der Peergruppe ergibt sich ein Kausalitätsproblem: Die Frage ist, inwieweit die Peers die Schüler prägen oder umgekehrt. Es ist von einer Wechselwirkung auszugehen, wobei hier der Peergruppeneinfluss auf die Schüler mit Blick auf die Idee der Peergruppe als motivationale Ressource stärker gewichtet wird, denn die Suche nach Freunden im Schulalter verläuft nicht vollkommen offen nach Interessen, sondern eher nach Verfügbarkeit (z. B. im Wohnumfeld oder im Klassenzusammenhang). Zu beachten ist zudem das Thomas-Theorem, nach dem nicht die objektiven Bedingungen handlungsorientierend sind, sondern die subjektive Situation, wie sie sich in den Vorstellungen des Individuums darstellt (Thomas und Thomas 1928, S. 572). Zu fragen ist demnach nicht, welche Einstellung die Peergruppe hat, sondern wie diese Einstellung durch die Person, die sich an der Peergruppe orientiert, wahrgenommen wird.

H 3a: Schüler nehmen bei ihren Peergruppen eine negativere Schuleinstellung wahr als

Schülerinnen bei ihren Peergruppen.

H 3b: Je positiver die Schuleinstellung der Peergruppe von Jungen und Mädchen

wahrgenommen wird, desto höher ist der Schulerfolg.

2.5 Nicht-geschlechterdifferentielle Kontrollvariablen

Schließlich werden in die Modelle zur Erklärung des Schulerfolgs die soziale Herkunft sowie die Unterstützung durch die Lehrperson aufgenommen, da diese Variablen vielfältige Einflüsse auf verschiedene Erklärungsfaktoren des Schulerfolgs und den Schulerfolg selbst ausüben und daher kontrolliert werden müssen.

Herkunftsspezifische Bildungsungleichheiten im Schulerfolg können in erster Linie mit primären Herkunftseffekten, d. h. schichtspezifischen Ressourcen und Defiziten (Boudon 1974) verknüpft werden. Ressourcendifferenzen beziehen sich auf Aspekte wie das Bildungsniveau der Eltern, die monetären Ressourcen des Elternhauses, soziale Unterstützung durch das Elternhaus, aber auch das Wissen über Bildungsmöglichkeiten und schulerfolgsrelevante schichtspezifische kulturelle Orientierungen und entsprechende Aktivitäten des Elternhauses (Grundmann 2001, S. 219; Helsper 1989, S. 169; Coradi Vellacott und Wolter 2002), im Sinne eines schichtspezifischen Habitus (Bourdieu 1983). Defizite bei den niedrigen Schichten zeigen sich etwa in einer mangelnden Hausaufgabenunterstützung, geringen finanziellen Möglichkeiten für Nachhilfestunden und Unterrichtsmaterialien oder auch motivationale Unterstützung. Während der statusbezogene Aspekt im Rahmen unserer Studie anhand der formalen Bildungsabschlüsse der Eltern betrachtet wird, bezieht sich ein ebenso untersuchter kultureller Aspekt der sozialen Herkunft auf bildungsnahe, ästhetisch-kulturelle Freizeitaktivitäten (Diskussionen, klassische Musik, etc.).

Der Schulerfolg ist insbesondere auch von der Unterstützung durch die Lehrperson abhängig. Diese kann als soziale Ressource betrachtet werden, da sie im Unterricht und darüber hinaus das Lernen der Schüler unterstützt und motiviert. Coleman (1988) folgend, ist auch eine Deutung der Lehrperson als soziales Kapital möglich, denn sie stellt eine Ressource dar, die zur Verwirklichung eigener Interessen, hier: des Bildungserwerbs, genutzt wird.Footnote 4 In die folgenden Analysen wird die Kontrollvariable „autoritativer Unterrichtsstil“ integriert, da sich autoritative Stile, gekennzeichnet durch einen hohen Grad an Kontrolle sowie einen ebenso hohen Grad an Akzeptanz durch die Erziehenden (Baumrind 1991), besonders positiv auf die Entwicklung von Kompetenzen auswirken.

2.6 Zusammenhänge zwischen den Erklärungsvariablen: Hypothetisches Szenario

Wie bereits an verschiedenen Querverbindungen in den theoretischen Überlegungen deutlich wurde, sind Verknüpfungen zwischen den Erklärungsfaktoren anzunehmen. In Vorbereitung der Betrachtungen im Rahmen eines Strukturgleichungsmodells soll nun in einem hypothetischen Szenario auf diese Wechselwirkungen eingegangen werden, ohne die Annahmen in einzelne Hypothesen zu fassen.

Schulentfremdung ist besonders auch vom Elternhaus, der Peergruppe und der Lehrperson abhängig (Legault et al. 2006). Entsprechend den bereits referierten Annahmen und Befunden zur Schulentfremdung (etwa Willis 1979 oder Murdock 1999) ist davon auszugehen, dass benachteiligte Herkunftsschichten eine ausgeprägtere Schulentfremdung aufweisen als bildungsnahe Schichten, denn geringe Bildungsaspirationen, Normen und Werthaltungen, die der Schule keinen hohen Stellenwert einräumen, fördern die Schulentfremdung von Schülern. Gleiches sollte auch für die Schuleinstellung der Peers gelten: Eine negative Peereinstellung zur Schule, d. h. ein schulentfremdetes Peerumfeld sollte mit einer höheren Schulentfremdung assoziiert sein. Die Unterstützung durch die Lehrperson, die Fairness der Lehrpersonen und damit der Stil der Lehrperson sind ebenso von besonderer Bedeutung für die Schulentfremdung (Newman 1992). Ob eine Lehrperson unterstützend ist oder nicht hat einen Einfluss auf die sozialen Erfahrungen in der Schule im Hinblick auf kognitive Aspekte (Leistung), soziale Aspekte (Integration in die Klasse) und emotionale Aspekte (Umgang mit schulischen Rückschlägen oder Versagen; vgl. Trustey und Dooley-Dickey 1993). Es kann angenommen werden, dass mangelnde Unterstützung und mangelndes Interesse der Lehrperson auch zu Schulentfremdung führen.

Für die soziale Herkunft sind weitere Effekte denkbar. Die Schuleinstellung der Peergruppe sollte auch von der sozialen Herkunft abhängen, da die Zusammensetzung der Peergruppe entsprechend der Subkulturtheorie (Cohen 1955) auch mit der sozialen Herkunft sowie dem Schulmilieu verbunden ist, dessen Zusammensetzung ebenso schichtspezifisch ist: Schüler aus bildungsnahen Schichten sollten in ihrem Peerumfeld eine positivere Einstellung gegenüber der Schule wahrnehmen. Auch die Geschlechterrollenvorstellungen sollten sich nach Bildungsnähe unterscheiden. Zieht man den Ansatz der kognitiven Mobilisierung (z. B. Inglehart 1989) heran, werden in einem bildungsnäheren Elternhaus modernere Geschlechterrollenvorstellungen geteilt, weil hier bessere Reflexionsfähigkeiten vorhanden sind und moderne (postmaterialistische) Werthaltungen geteilt werden.

Ein Zusammenhang zwischen traditionellen Geschlechterrollenvorstellungen und Schulentfremdung erscheint ebenso als plausibel (Cornelissen et al. 2002; Phoenix und Frosh 2005). Interessen als intrinsische Motivation hängen „im Ausprägungsgrad stark von der jeweils akzeptierten Geschlechtsrolle“ (Todt 1978, S. 206) ab. Jungen mit traditionellen Geschlechterrollen sollten sich danach eher für „männliche“ Fächer (Mathematik, Sport) interessieren, während Jungen mit egalitären Geschlechterrollen ein breiteres (akademisches) Interessenspektrum haben und daher letztlich in der Summe weniger schulentfremdet sein sollten.

3 Datenbasis und Messinstrumente

Die Analysen zum Geschlechterunterschied im Schulerfolg erfolgen im Rahmen des Projekts „Faule Jungs und strebsame Mädchen“ der Universität Bern, Abteilung Bildungssoziologie und der Pädagogischen Hochschule Bern, Schweiz (2008–2010).

3.1 Datenbasis und Stichprobe

Für die Schülerstichprobe wurden 19 Schulen mittels eines geschichteten Zufallsverfahren (nach Schulgröße) auf Basis einer Schulliste aller öffentlichen und teilprivaten Schulen im Kanton Bern, an denen 8. Klassen unterrichtet werden, gezogen. Es wurde im Hinblick auf die ausgewählten Schulen eine Vollerhebung der Schüler der 8. Klasse angestrebt. Um Verzerrungen durch soziale Erwünschtheit zu vermeiden, wurde den Schülern das Thema der Untersuchung nicht mitgeteilt, auf dem Fragebogen war als Untersuchungsziel die Verbesserung der Qualität von Schulen und Unterricht angegeben. Insgesamt konnten so 19 Schulen, 49 Klassen und insgesamt 872 Schüler schriftlich im Klassenzimmer befragt werden.

Das Schulsystem im Kanton Bern teilt die Schüler ab der 7. Klasse in drei verschiedene Schulzüge auf. Das niedrigste Niveau ist das Realschul-Niveau (Grundansprüche). Das mittlere Niveau, welches die meisten Schüler besuchen, ist das Sekundarschulniveau (erweiterte Ansprüche). Dazu gibt es noch einen dritten Zug, der sich Spezial-Sekundar nennt und das höchste Niveau aufweist.Footnote 5 Die Heterogenität des Schulsystems bezüglich Klassen- und Schulstrukturen im Kanton Bern ist ein Grund dafür, warum die hierarchische Stichprobe, Schulebene, Klassenebene, in den Analysen keine Berücksichtigung finden wird. Eine eindeutige Zuordnung nach Lehrperson (wie es etwa im Hinblick auf die Noten Sinn machen würde) ist genauso wenig möglich wie nach Klasse. In den Hauptfächern werden die Klassen häufig aufgeteilt auf verschiedene Niveaus, einzelne Schüler besuchen in einzelnen Fächern unterschiedliche Niveaus bei unterschiedlichen Lehrpersonen. Daher ist bei den Analyseergebnissen mit Verzerrungen zu rechnen, die durch die Nicht-Berücksichtigung der, wenn auch eben nicht systematisch, gruppierten Stichprobe entstehen. Diese Verzerrungen sind aber gering, wie eigene Analysen hinsichtlich der Abweichungen zwischen Ergebnissen aus OLS-Regressionsmodellen und aus Mehrebenenmodellen zeigen (Hadjar et al. 2008).

In unserer Stichprobe sind 34,5 % der Schüler auf dem Real-Niveau, 49,9 % auf dem Sekundar-Niveau und 15,6 % besuchen Spezial-Sekundar-Klassen. Dabei nahmen 51,1 % Mädchen und entsprechend 48,9 % Jungen an der Umfrage teil. Das Durchschnittsalter der Befragten in der Mitte des 8. Schuljahres beträgt 14,9 Jahre,

3.2 Messinstrumente

Schulerfolg als abhängige Variable wird durch einen Mittelwertindex von sieben erfassten Schulnoten gemessen.Footnote 6 Die Schulnoten entstammen den Akten der Lehrpersonen. Dabei wurde ein Codierungssystem verwendet, um die Noten anonym dem jeweiligen Fragebogen zuordnen zu können.

Die Geschlechterrollenorientierung, d. h. inwieweit die Schüler traditionellen Geschlechterbildern anhängen, wurde mit sieben Items (Cronbachs α = 0,85) gemessen; z. B. „In einer Gruppe mit weiblichen und männlichen Mitgliedern sollte ein Mann die Führungsposition innehaben.“ Die verwendeten Items entstammen Skalen zu Geschlechterrollen von Athenstaedt (2000), Krampen (1979) und Brogan und Kunter (1976) und beinhalten sowohl Überzeugungen als auch Bewertungen.

Des Weiteren wurde ein übergeordnetes Konstrukt zweiter Ordnung mit dem Namen Schulentfremdung entwickelt, welches aus den drei Dimensionen „negative Einstellung zur Schule“, „mangelnde Aufgabenorientierung“ und „mangelnde intrinsische Lernmotivation“ besteht (Cronbachs α  = 0,66). Die Validität des Konstrukts „Schulentfremdung“ wurde mit Hilfe einer Faktorenanalyse überprüft.Footnote 7 Die drei Kontrukte erster Ordnung wurden wie folgt gemessen: Negative Einstellung zur Schule wurde mit drei Items gemessen (Cronbachs α  = 0,59), welche unterschiedliche Aspekte und Gründe erfassen sollen (z. B. „Die Schule ist reine Zeitverschwendung“). Die Aufgabenorientierung wurde von Nicholls (1984) als Teil eines größeren Konzeptes der Zielorientierung konzipiert und erfasst, inwieweit sich Schüler mit Lerninhalten auseinandersetzten, d. h. inwieweit sie konzentriert und erfolgreich an Aufgaben arbeiten. Sechs Items einer deutschsprachigen Adaption wurden in den Fragebogen aufgenommen (Cronbachs α = 0,73) und für das Konzept der „Schulentfremdung“ negiert, um die Nichtidentifikation mit schulischen Inhalten aufzeigen zu können. Ein Beispiel-Item lautet „Ich fühle mich in der Schule wirklich zufrieden, wenn mich das Gelernte dazu bringt, mehr über das Thema zu erfahren zu wollen.“ Die intrinsische Lernmotivation wurde über zwei Items (Cronbachs α = 0,73) erfasst. Die Befragten hatten u. a. die Aussage „Ich lerne, weil mir das Lernen Spaß macht“ hinsichtlich ihrer Zustimmung zu bewerten. Auch diese wurden, um geringe intrinsische Motivation erfassen zu können, für die Konstruktbildung rekodiert.

Der Aspekt der (bildungsnahen) Peers wurde mit einer Skala zur positiven Schuleinstellung der Peers erhoben. Diese Skala besteht aus vier Items, z. B. „Meine Freunde finden es gut, wenn man für die Schule lernt“ (Cronbachs α = 0,77), die erstmals im Rahmen einer Studie von Hadjar und Baier (2004) zur Anwendung kamen.

Die soziale Herkunft als Kontrollvariable wurde einerseits über das höchste Bildungsniveau der Eltern (Angabe der Schüler) erfasst, das wegen der starken Assoziation mit der Schichtzugehörigkeit hier als sozioökonomische Variable gedeutet werden soll.Footnote 8 Für die Variable „Bildungsniveau der Eltern“ wurde diese Variable in Bildungsjahre umgerechnet (s. dazu Jann 2003) und nur der höchste Bildungsabschluss, den einer der beiden Elternteile erworben hat, verwendet. Diese Strategie hat den Vorteil, dass Ein-Eltern-Familien berücksichtigt werden und der Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit entsprochen wird (vgl. Hadjar 2004; Sørensen 1986). Andererseits wurde das inkorporierte kulturelle Kapital (Bourdieu 1983) im Sinne kultureller Orientierungen bei Grundmann (2001) oder kultureller Aktivitäten in der PISA-Studie (Stanat und Schneider 2004) in der Familie erfasst. Die hier als bildungsnahe Aktivitäten bezeichnete Skala (Summenindex) enthält drei Items im Hinblick auf a) die Häufigkeit der Diskussionen über politische und soziale Fragen, b) die Häufigkeit der Diskussionen über Bücher, Filme und Fernsehsendungen und schließlich c) die Häufigkeit der Rezeption klassischer Musik (Kunter et al. 2002).

Der Faktor der autoritativen Unterstützung der Lehrpersonen als weitere Kontrollvariable enthält fünf Items aus der PISA-Studie (Cronbachs α = 0,80), z. B. „Wenn ich zusätzliche Hilfe brauche, bekomme ich sie von meinen Lehrern/Lehrerinnen“ (Kunter et al. 2002).Footnote 9

4 Der Geschlechterunterschied im Schulerfolg aus empirischer Sicht

Zunächst werden die Unterschiede im Schulerfolg zwischen Mädchen und Jungen betrachtet, danach die Mittelwerte der hier betrachteten schulerfolgsrelevanten Variablen bei Mädchen und Jungen verglichen. Schließlich wird der Kernfrage, wodurch sich der Geschlechterunterschied im Schulerfolg erklären lässt, im Rahmen bivariater und multivariater Analysen (OLS-Regression, Strukturgleichungsmodell) auf den Grund gegangen.

4.1 Deskriptive Ergebnisse zu Geschlechterunterschieden

In Abb. 1 sind die Geschlechterunterschiede in den Schulnoten für jedes Schulniveau aufgezeigt. Abgetragen ist die Differenz zwischen den durchschnittlichen Schulnoten in den verschiedenen Fächern. Positive Werte bedeuten einen Unterschied zu Gunsten der Mädchen. In den Ergebnissen manifestiert sich die Grundannahme dieser Untersuchung, dass Jungen einen geringeren Schulerfolg haben. Während Mädchen in den sprachlichen Fächern (Deutsch, Französisch, Englisch) sowie in Musik über alle drei Schulniveaus hinweg signifikant bessere Noten als Jungen haben, sind Jungen in keinem der übrigen Fächer, auch nicht in Mathematik, signifikant besser als Mädchen. Damit ergibt sich im Durchschnitt ein Vorsprung im Schulerfolg für Mädchen. Werden die Fächer zusammengefasst, die als Hauptfächer ein besonderes Gewicht bei der Einstufung der Schüler im Hinblick auf ihre weitere Bildungslaufbahn haben, erweisen sich Mädchen ebenfalls als besser.Footnote 10

Abb. 1
figure 1

Unterschiede in den Schulnoten zwischen Mädchen und Jungen

In einem nächsten Schritt sollen Geschlechterunterschiede in der abhängigen Variable Schulerfolg (Mittelwertsindex Schulnoten) und in den Erklärungsfaktoren von Schulerfolg betrachtet werden (Tab. 1). Sowohl in Realklassen als auch in Sekundar- und Spezial-Sekundarklassen bzw. bei Schülern auf den entsprechenden Schulniveaus zeigen sich signifikante Unterschiede: Jungen haben schlechtere Noten und damit einen geringeren Schulerfolg als Mädchen. Hinsichtlich der Erklärungsfaktoren von Schulerfolg bestehen signifikante Geschlechterunterscheide bei der Ausprägung traditioneller Geschlechterrollen und der Schulentfremdung: Jungen hängen in Übereinstimmung mit Hypothese 1a signifikant stärker traditionellen, d. h. patriarchalen Geschlechterrollen an, und sind ebenso, wie in Hypothese 2a postuliert, signifikant stärker schulentfremdet. Auch bei der Wahrnehmung der Schuleinstellung der Peers zeigen sich die erwarteten Unterschiede (Hypothese 3a): In den Peergruppen der Mädchen finden schulerfolgsrelevante Verhaltensweisen eine stärkere Unterstützung als in denen der Jungen. Dies lässt ein tendenziell stärker schulentfremdetes Peerumfeld bei den männlichen Schülern vermuten.Footnote 11

Tab. 1 Geschlechterunterschiede im Schulerfolg und schulerfolgsrelevanten Variablen

4.2 Analysen zur Erklärung des Geschlechterunterschieds im Schulerfolg

Zur Erklärung des Schulerfolgs, hier Schulnoten, werden zunächst bivariate Zusammenhänge zwischen Erklärungsfaktoren und Schulerfolg berechnet, dann schrittweise OLS-Regressions-Modelle geschätzt, danach die erklärenden Mechanismen der Schulentfremdung in einem Strukturgleichungsmodell dargestellt.

4.2.1 Bestimmungsfaktoren des Schulerfolgs

Zunächst erfolgt ein Blick auf die bivariaten Korrelationen zwischen schulerfolgsrelevanten Variablen und Schulerfolg (Tab. 2). Traditionelle Geschlechterrollen gehen entsprechend Hypothese 1b mit einem geringeren Schulerfolg einher. Auch der angenommene Zusammenhang zwischen Schulentfremdung und Schulerfolg, dass also eine höhere Schulentfremdung mit geringeren Schulnoten einhergeht (Hypothese 2b), zeigt sich in der bivariaten Betrachtung. Eine positive Schuleinstellung der Freundesgruppe fördert, in Übereinstimmung mit den Hypothesen 3b, offenbar den Schulerfolg. Bei den Kontrollvariablen der Ressource Lehrperson und der sozialen Herkunft (Bildungsniveau der Eltern, bildungsnahe Aktivitäten) zeigen sich die erwarteten positiven Effekte für den Schulerfolg.

Tab. 2 Bivariate Korrelationen: Erklärungsfaktoren des Schulerfolgs

Wenngleich die Richtung der Geschlechterunterschiede in den deskriptiven Betrachtungen sowie die bivariaten Analysen erste Hinweise auf die Ursachen des geschlechtstypischen Schulerfolgs und die Geltung der Annahmen zu den Erklärungsfaktoren von Schulerfolg geben, kann die Wirkung der sozialen Mechanismen nur im Rahmen der folgenden multivariaten Analysen untersucht werden.

In Tab. 3 finden sich die Modelle zur Erklärung des Schulerfolgs, die schrittweise geschätzt und jeweils um weitere Erklärvariablen ergänzt werden. Die Ergebnisse in Modell 1, in dem die Effekte der Geschlechterzugehörigkeit und der Kontrollvariablen simultan geschätzt werden, weisen darauf hin, dass die Geschlechterzugehörigkeit einen profunden Einflussfaktor auf den Schulerfolg darstellt, Mädchen haben den besseren Notendurchschnitt. In Modell 2 wurden zusätzlich die Aspekte der Peers und der traditionellen Geschlechterrollenvorstellungen integriert, wobei der Geschlechtereffekt substanziell an Varianzaufklärung, ca. 30 %, verliert, wenngleich er nicht gänzlich verschwindet. Traditionelle Geschlechterrollen senken den Schulerfolg. Die Schuleinstellung der Peergruppe hat hingegen keinen Einfluss. In Modell 3 wurde der Faktor der Schulentfremdung integriert, der den Geschlechtereffekt in geringem Ausmaß sinken lässt und zudem auch die Erklärleistung der sozialen Herkunft und der Unterstützung durch die Lehrperson schwächer werden lässt. In Modell 4 unter Berücksichtigung aller thematisierten Erklärungsfaktoren erweist sich die Schulentfremdung als stärkster Prädiktor des Schulerfolgs, der allein fast die Hälfte der an der abhängigen Variable aufklärten Varianz erklärt. Je schulentfremdeter eine Person ist, desto geringer ist der Schulerfolg. Interessant ist ein Suppressionseffekt, der zu Tage tritt, wenn Schulentfremdung simultan modelliert wird: Erst hier zeigt sich ein signifikanter Effekt der Schuleinstellung der Peergruppe, wenngleich unerwartet negativ. Die Ursache dafür ist, dass dieser Effekt offenbar stark mit der Schulentfremdung in Beziehung steht. Eine mögliche Interpretation wäre, dass Personen mit einer hohen Schulentfremdung selbst bei einer vergleichsweise höheren positiven Schuleinstellung der Peers keinen höheren Schulerfolg erzielen können.

Tab. 3 OLS-Regression zur Erklärung des Schulerfolgs

Aufgrund der Beziehungen zwischen den unabhängigen, den Schulerfolg erklärenden Variablen, die bereits im Rahmen eines hypothetischen Szenario thematisiert wurden und die untereinander in starken Beziehungen stehen, ist ein Strukturgleichungsmodell notwendig, um die Effekte abschließend zu bewerten.

4.2.2 Bestimmungsfaktoren der Schulentfremdung und des Schulerfolgs

Im Rahmen eines Strukturgleichungsmodells, das nicht nur direkte, sondern auch indirekte Effekte (Mediator-Variablen) sichtbar machen kann, werden nun der soziale Mechanismus der Schulentfremdung, die sich bei beiden Geschlechtern als stärkster Erklärungsfaktor des Schulerfolgs erwiesen hat, und die Interdependenzen zwischen den Erklärungsvariablen näher beleuchtet. In Abb. 2 sind die Resultate eines Strukturgleichungsmodells, das getrennt für Jungen und Mädchen jeweils auf Basis einer Korrelationsmatrix (Maximum-Likelihood-Schätzmethode) geschätzt wurde, dargestellt. Die Anpassungsgüte des hypothetischen Modells an die Daten ist als gut einzuschätzen, denn keiner der „Cutoff“-Werte der so genannten Fit-Indices wird unter- oder überschritten (vgl. Hu und Bentler 1999). Der c2-Anpassungstest weist darauf hin, dass sich das hypothetische Modell nicht signifikant vom empirischen Modell unterscheidet.

Abb. 2
figure 2

Strukturgleichungsmodell zur Erklärung von Schulentfremdung. (Model Fit: N = Mädchen 430/Jungen 413, c2 = 15,046, df = 14, p = 0,375, GFI = 0,995, AGFI = 0,980, RMR = 0,017, RMSEA = 0,009; SRMR = 0,022. Standardisierte Pfadkoeffizienten: Jungen/Mädchen; *p ≤ 0,05)

Die unabhängigen Variablen, die alle bereits in den OLS-Regressionsmodellen verwendet wurden, erklären, direkte und indirekte Effekte zusammengenommen, 28 % der Varianz der Schulentfremdung bei den Jungen und 41 % bei den Mädchen. Die Variation im Schulerfolg wird im Modell bei den Schülern zu 14 und bei den Schülerinnen zu 11 % erklärt. Der substanziellste Einflussfaktor des Schulerfolgs ist die Schulentfremdung, die sowohl bei Schülerinnen als auch bei Schülern niedrigere Schulnoten zur Folge hat. Somit wird Hypothese 2b bestätigt. Einen geringeren, aber sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen vorzufindenden Effekt weisen traditionelle Geschlechterrollenvorstellungen auf: Entsprechend der Annahme in Hypothese 1b sind auch im komplexen Modell patriarchale Vorstellungen mit einem geringeren Schulerfolg verbunden.

Interessant ist, dass die Schulnoten nur bei Jungen direkt von der sozialen Herkunft, d. h. den bildungsnahen Aktivitäten im Elternhaus, sowie der autoritativen Unterstützung durch die Lehrperson positiv beeinflusst werden. Auch die positive Schuleinstellung der Peers ist nur bei Jungen direkt mit dem Schulerfolg assoziiert, allerdings in Widerspruch zu Hypothese 3b negativ. Dieser unerwartete Effekt der positiven Schuleinstellung der Peers auf den Schulerfolg ist unter Berücksichtigung des indirekten Effekts über die Schulentfremdung zu interpretieren: Offenbar haben Jungen einen noch geringeren Schulerfolg als dies unter Berücksichtigung der ausgeprägten Schulentfremdung zu erwarten wäre.

Generell wird die Rolle der Schulentfremdung als Mediatorvariable für schulerfolgsrelevante Erklärungsfaktoren deutlich. Diese Erklärungsfaktoren sind nicht per se mit einem geringeren oder höheren Schulerfolg verbunden, sondern führen zunächst zu Schulentfremdung, die dann den wichtigsten Prädiktor des Schulerfolgs darstellt. Unter Berücksichtigung dieses Faktors lässt sich auch die Hypothese 3b für Mädchen und Jungen bestätigen: Eine als negativer wahrgenommene Einstellung der Peergruppe zur Schule geht mit einer höheren Schulentfremdung und schließlich einem geringeren Schulerfolg einher. Einzig der Effekt der Geschlechterrollen auf den Schulerfolg wird, im Gegensatz zu der Annahme innerhalb des hypothetischen Szenarios, nicht über die Schulentfremdung vermittelt.

Betrachtet man die Bestimmungsfaktoren der Schulentfremdung etwas detaillierter, zeigt sich, dass diese gleichermaßen stark durch eine autoritative Unterstützung der Lehrperson und durch eine positive Schuleinstellung der Peergruppe erklärt wird: Offenbar kann eine Lehrperson, die autoritativ-unterstützend agiert, die Schulentfremdung genauso reduzieren, wie dies auch eine positive Schuleinstellung der Peers vermag. Je negativer die Peergruppe gegenüber der Schule eingestellt ist, was insbesondere bei den Freunden der männlichen Schüler der Fall ist, desto ausgeprägter ist die Schulentfremdung der Schüler. Sowohl bildungsnahe Aktivitäten (Kulturkapital) als auch das Bildungsniveau des Elternhauses haben einen negativen Effekt auf das Ausmaß der Schulentfremdung, wobei wiederum die bildungsnahen Aktivitäten einen stärkeren Einfluss besitzen. Dies gilt insbesondere für Mädchen.

Die Wahrnehmung eines eher bildungsnahen, d. h. gegenüber der Schule positiv eingestellten Freundeskreises (Peergruppe) geht stark mit der Bildungsnähe der Eltern (häufige bildungsnahe Aktivitäten mit den Eltern) einher. Dieser Befund erscheint als plausibel, da Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern mit einer größeren Wahrscheinlichkeit in ähnlichen Milieus Freunde und Freundinnen finden, was sicher auch durch ein eher bildungsnahes Wohn- und Schulumfeld gefördert wird. Schülern, die ihre Peergruppe als bildungsnah wahrnehmen, geben zudem auch eine stärkere Unterstützung durch die Lehrperson an. Es kann angenommen werden, dass Schüler mit bildungsnahen Peers ein besseres Verhältnis zur Lehrperson haben oder diese zumindest stärker als Ressource wahrnehmen.

5 Zusammenfassung und Diskussion

Die Ergebnisse der Untersuchung weisen darauf hin, dass die Schulentfremdung, und damit eine geringe intrinsische Motivation, eine negative Schuleinstellung und eine geringe Aufgabenorientierung, den wichtigsten Erklärungsfaktor des geringeren Schulerfolgs der Jungen darstellt. Die Schulentfremdung ist in besonderem Maße von der Einstellung der Peergruppen gegenüber Schule abhängig. Somit ist der geringere Schulerfolg der Jungen insbesondere auf ein relativ schulentfremdetes Peerumfeld der Jungen zurückzuführen, in dem gute Noten und die Beschäftigung mit schulischen Angelegenheiten keine soziale Anerkennung bringen. Darüber hinaus ist das Handeln der Lehrpersonen mit Schulentfremdung verknüpft; durch autoritativ-unterstützendes Handeln gegenüber Schülern kann sie Schulentfremdung, und darüber vermittelt einem geringen Schulerfolg, entgegenwirken. Auch traditionelle Geschlechterrollenvorstellungen, denen Jungen verstärkt anhängen, haben einen eigenständigen negativen Einfluss auf den Schulerfolg. Schließlich ist auf das Elternhaus zu verweisen, das im Hinblick auf das Bildungsniveau und bildungsnahe Aktivitäten einen Einfluss auf den Grad der Schulentfremdung hat. Schüler aus bildungsnäheren Familien sind im geringeren Ausmaß schulentfremdet und haben einen entsprechend höheren Schulerfolg.

Interessant erscheint, dass traditionell-patriarchale Geschlechterrollenvorstellungen zwar, wie angenommen, einen negativen Effekt auf den Schulerfolg haben, aber keinen direkten Einfluss auf die Schulentfremdung (vgl. Abb. 2). Eigentlich würde sich die Erklärung anbieten, dass patriarchale Geschlechterrollen zu einer Abwendung und Entfremdung von der als weiblich wahrgenommenen Institution „Schule“ führen sollten. Vermutlich verläuft der Zusammenhang zwischen Geschlechterrollen und Schulerfolg weniger über die Schulentfremdung, als vielmehr über Verhaltensweisen, das Ausleben traditioneller Männlichkeit, die im Schulumfeld nicht erwünscht sind, entsprechend sanktioniert werden und zudem vom erfolgreichen Lernen abhalten.

Im Folgenden sollen inhaltliche und methodische Limitierungen der Analysen betrachtet werden. Diskussionswürdig erscheint zunächst die Messung des Schulerfolgs. Schulnoten spiegeln die Leistungen von Schülern nur sehr begrenzt wider, daher wurde im Rahmen dieses Beitrags, wie bereits zu Beginn diskutiert, von Schulerfolg gesprochen. Es ist zu beachten, dass Schulnoten zwar im Kontext einer Schulklasse Leistungsunterschiede erfassen können, aber problematisch sind, wenn Leistungen über Klassen, Schulen und Schulformen hinweg verglichen werden, da verschiedene Verzerrungs- und Validitätsproblematiken auftreten (Ziegenspeck 1999; Baumert et al. 2003). Die Notengebung ist insbesondere von einer sozialen Bezugsnorm abhängig, d. h. dem Vergleich der Leistung des einzelnen Schülers mit der Bezugsgruppe, den Leistungen der anderen Mitglieder der Schulklasse. Dahingehend erschiene es sinnvoll, ein Mehrebenen-Design unter Berücksichtigung einer Ebene der Schulklasse anzuwenden. Dies ist jedoch aus den bereits oben erwähnten Gründen nur eingeschränkt möglich, da die Klassenverbände im Kanton Bern nicht eindeutig abgegrenzt werden können. Zudem wurden in der vorliegenden Studie keine Leistungen im Sinne eines Leistungstests wie bei PISA, TIMSS oder PIRLS gemessen.

Die Ergebnisse der Analyse basieren auf Querschnittsanalysen, was die Formulierbarkeit kausaler Aussagen stark einschränkt. Es kann statistisch nicht bestimmt werden, ob kausale Zusammenhänge im Sinne von Ursache-Wirkungs-Beziehungen bestehen. So ist etwa nicht abschließend zu klären, ob ein schulentfremdetes Peerumfeld die Schulentfremdung verstärkt oder umgekehrt sich schulentfremdete Schüler in ein entsprechendes Umfeld integrieren. Es ist sicher von einer Wechselwirkung auszugehen. Wie bereits theoretisch diskutiert, erscheint jedoch die stärkere Gewichtung der Lesart, dass Peergruppen eine prägende Wirkung haben, als plausibel, weil Schüler eher nach Verfügbarkeit Freundschaften schließen. Für eine dynamische Sicht auf Geschlechterunterschiede im Schulerfolg werden Paneldaten über die Entwicklung der Schulleistungen und des Schulerfolgs benötigt, wie sie demnächst etwa das Nationale Bildungspanel in Deutschland liefern wird.

Im Rahmen der Analysen wurde auf die Variablen Geschlechterrollen, Schulentfremdung und Peergruppe fokussiert. Die erklärte Varianz des Schulerfolgs könnte in zukünftigen Studien durch den Einbezug weiterer Einflussvariablen gesteigert werden, die den Geschlechtereffekt sowie den Effekt der Geschlechterrollen auf den Schulerfolg erklären, wie die tatsächlichen Fähigkeiten, schulerfolgsfördernde Verhaltensweisen und diskriminierende Bewertungen und Handlungen durch die Lehrperson.

Trotz des gravierenden Problems des geringeren Schulerfolgs der Jungen ist darauf zu verweisen, dass „Mädchen ihre besseren Schulleistungen nicht in entsprechende Positionen auf dem Arbeitsmarkt ummünzen können“ (Cornelißen et al. 2002, S. 230). Bereits im Verlauf der nachobligatorischen Ausbildung zeigt das Phänomen der „leaky pipeline“, dass Frauen mit jeder Ausbildungsstufe stärker ausscheiden, sodass auf den obersten Stufen der Ausbildung und der beruflichen Positionen nur noch eine weibliche Minderheit übrig bleibt.

Dennoch ist die Dramatik des Schul(miss)erfolgs der Jungen und der ausgeprägten Schulentfremdung, insbesondere bei Jungen aus niedrigen Schichten, nicht zu relativieren, sondern stellt ein drängendes soziales Problem dar. Es kann entsprechend unserer Ergebnisse etwas gemildert werden, wenn es gelingt, in den Peerumwelten der Jungen eine kritische Reflektion der dort verankerten Sichtweisen auf Bildung und Schule sowie traditionellen Geschlechterrollenvorstellungen und geschlechtsspezifischen Verhaltensmustern anzuregen. Lehrpersonen und Eltern könnten einen Beitrag dazu leisten, aber auch weitere Bereiche der Gesellschaft. So sollte dahingehend sensibilisiert werden, welche Rollenbilder etwa in Medien und Werbung reproduziert werden.