Die Analyse gesellschaftlicher Kommunikation gehört zum Kernbestand der Soziologie. Die diesbezüglich vorliegenden Ansätze, von den Varianten der Diskursanalyse über Hermeneutik und Semiotik bis hin zu den Formen der öffentlichkeitssoziologisch inspirierten Inhaltsanalyse, sind mittlerweile mannigfaltig, speisen sich aus einer Vielzahl theoretischer Traditionen und weisen Affinitäten zu verschiedenen methodischen Schulen auf.

Umgekehrt verfügen sie aber auch über eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Erstens beschäftigen sie sich meist mit öffentlicher (im Gegensatz zu privater) Kommunikation, bei der die Angelegenheiten eines Kollektivs unter der Beobachtung eines mehr oder minder großen Publikums verhandelt wurden (vgl. Peters 1994: 44). Zweitens stellen sie nicht selten die Massenmedien in den Mittelpunkt ihrer Analysen, da diese die gesellschaftliche Kommunikation über viele Themen mittlerweile nahezu monopolisiert haben. Schließlich erfahren die meisten Menschen über viele Themen, wie beispielsweise den Verlauf von Sitzungen des Bundeskabinetts, neueste Erkenntnisse der Elementarteilchenphysik oder Eheprobleme von Paul McCartney, nur aus den Massenmedien und haben keine Möglichkeit, massenmediale Informationen an eigenen Erfahrungen zu überprüfen. Pointiert formuliert: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ (Luhmann 1995: 9). Drittens eint die genannten Ansätze, spätestens seit der „konstruktivistischen Wende“ (vgl. Kepplinger 1993; Merten 1993: 52f.), die basale Annahme, dass Medienberichterstattung die Wirklichkeit nicht simpel abbildet, sondern eine sozial geprägte Konstruktion darstellt, die eine medienspezifische Variante der Realität konstruiert.

Unter den Ansätzen, die in der Soziologie auf Massenmedien in Anschlag gebracht werden, stechen zwei besonders hervor: die Diskursanalyse und eine öffentlichkeitssoziologische Tradition, die von den Autoren des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) geprägt wurde. Diese Ansätze waren in der Vergangenheit außergewöhnlich einflussreich und fruchtbar in dem Sinne, dass sie in einer Vielzahl einschlägiger Studien verwendet und auf gesellschaftliche und massenmediale Kommunikation angewendet wurden. Beide Ansätze werden in der entsprechenden Literatur bislang allerdings eher als voneinander unabhängig oder gar als konkurrierend verstanden, was ihre theoretischen und empirisch-methodischen Prämissen angeht. Entsprechend finden sich bisher keine Versuche, sie miteinander zu verbinden.

Eine solche Verbindung beider Theorietraditionen scheint aber nicht ausgeschlossen und ist entsprechend das Anliegen dieses Artikels. Denn die Grundideen von Diskursanalysen in der Tradition Michel Foucaults und der Öffentlichkeitsthoerie des WZB sind durchaus nicht unvereinbar. Sie weisen theoretische Analogien auf, die zunächst in Kapitel 1 dargelegt werden. Diese Analogien und die komplementären Stärken und Schwächen beider Theorietraditionen lassen sich m. E. zudem unter einem Dach zusammenführen: In Kapitel 2 wird das Konzept der „Diskurskoalitionen“ eingeführt und dessen Untersuchung mittels eines spezifischen statistischen Verfahrens, der multiplen Korrespondenzanalyse, vorgeschlagen. Anschließend wird dieser Vorschlag an empirischen Beispielen exemplifiziert: Für die Berichterstattung über zwei biowissenschaftliche Themen werden massenmediale Diskurskoalitionen rekonstruiert. Dazu werden in Kapitel 3 die verwendeten Daten und Methoden vorgestellt. In Kapitel 4 werden die Ergebnisse für die Medienberichterstattung über Humangenomforschung und Stammzellforschung präsentiert. Abschließend werden die konkreten Analysen und die generalisierbaren theoretischen und empirischen Erträge in Kapitel 5 resümiert.

1. Diskursanalyse und die Öffentlichkeitstheorie des WZB

In der Folge sollen zunächst die Grundideen, Stärken und Schwächen der zwei wohl einfluss- und ertragreichsten Ansätze zur soziologischen Analyse gesellschaftlicher Kommunikation vorgestellt werden: die der vornehmlich von Michel Foucault geprägten Diskursanalyse und die der zu Beginn der 1990er Jahre am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) entwickelten Öffentlichkeitstheorie.

1.1 Die Diskursanalyse im Anschluss an Michel Foucault

In Michel Foucaults historisch-epistemologisch angelegten, auch in den Sozialwissenschaften sehr breit rezipierten Schriften (vgl. Foucault 1971, 1973, 1993; einführend zudem Dreyfus/Rabinow 1987; Fox 1998) haben „Diskurse“ eine zentrale Stellung.Footnote 1 Darunter werden Aussagepraktiken verstanden, die Teil historisch entstandener Regelsysteme für die praktische Hervorbringung von Regeln in sozialen Kollektiven und Feldern sind. Foucault spricht daher auch von diskursiver Praxis. Ein Produkt dieser diskursiven Praxis sind die vorherrschenden Wirklichkeits- und Wahrheitsdefinitionen von Gesellschaften, die in unterschiedlichen sozialen Kontexten zu finden sind und sich in den dort verwendeten Aussageformen (z. B. in Sprache) sowie in Institutionen niederschlagen. Diskurse sind bei Foucault als überindividuell angelegte Aussagensysteme gedacht und werden eher sozialen Kollektiven als Individuen zugerechnet (vgl. Diaz-Bone et al. 2007). Sie können sich aber umgekehrt in massiver Weise auf Menschen auswirken, ihr Handeln, Denken und Selbstverständnis stark prägen und letztlich zu ihrer gesellschaftlichen Einpassung, ihrer „Subjektivierung“ (z. B. Foucault 1999: 161) führen.

Dies verweist bereits auf ein erstes Charakteristikum von Diskursanalysen in der Tradition Foucaults: Diskurse werden dort stets in enger Verbindung zu gesellschaftlichen Machtverteilungen gesehen, auf denen sie einerseits beruhen und die sie andererseits reproduzieren (vgl. Bublitz et al. 1999b: 11f.; Seier 1999: 75ff.). In Diskursen regeln diese Machtstrukturen, was als „Wahrheit“ gilt, welche Aspekte von Themen in welcher Form angesprochen werden dürfen und welche nicht, und beeinflussen auf diese Weise die gesellschaftliche Wahrnehmung von Themen und das diesbezügliche Handeln (z. B. Foucault 1999: 29, 54ff.).

Diskursanalysen zeichnen sich zudem durch drei weitere Charakteristika aus: Erstens beschreiben sie nicht nur, und nicht einmal vordergründig, die in den Diskursen handelnden Akteure, sondern sie stellen verschiedene und sehr unterschiedliche diskursive Elemente in den Mittelpunkt. Neben Akteuren analysieren sie ebenso inhaltliche Machtstrukturen, also die vorherrschenden Definitionen des „jeweils Sagbaren“, hegemoniale Perspektiven, geteilte „Kollektivsymbole“, „kulturelle Stereotypen“ und dergleichen (vgl. Jäger 2001a: 83ff.). Der diskursanalytische Analysefokus ist entsprechend recht weit und kann prinzipiell viele sehr unterschiedliche Elemente inkludieren. Zweitens zielen Diskursanalysen auf die Beschreibung von Kombinationen dieser unterschiedlichen Elemente. Sie versuchen weniger, einzelne Bausteine aus Diskursen herauszulösen und isolierend zu beschreiben oder Diskurse analytisch zu dimensionieren. Sondern sie streben danach, typische diskursive Konstellationen zu rekonstruieren und deren Wirkungen, im Diskurs und darüber hinaus, nachzuvollziehen. Drittens weisen Foucault und Autoren in seiner Tradition stets auf die themenübergreifende, historische Komponente von Diskursen hin. Sie machen deutlich, dass sich diskursive Konstellationen und auch diskursive Macht nicht für jedes gesellschaftlich auftretende Thema gänzlich neu manifestieren, sondern dass es stets ein „historisches apriori“ (Foucault 1999: 78) gibt, dass bei neuen Themen also diskursive „Archive“ (vgl. statt anderer Foucault 1973, 1999: 77ff.) abgerufen werden können. Dies kann dazu führen, dass ähnliche Konstellationen und Machtverhältnisse auch recht unterschiedlichen Themen zugrunde liegen.

Derartige Diskursanalysen liegen zu unterschiedlichen Diskursebenen vor, eine beträchtliche Zahl davon auch zur massenmedialen Kommunikation (z. B. Hogan 2006; Keller 1998; Sturm 2002; Viehöver 2004). Dies geht durchaus mit Foucault konform: Massenmedien werden von ihm selbst zwar nicht in extenso thematisiert, aber doch explizit als eine relevante Diskursebene und als Teil der umfassenderen gesellschaftlichen Diskurse verstanden (vgl. Foucault 1999). Zudem hat eine Reihe von Foucault maßgeblich beeinflusster Autoren seine Prämissen explizit auf Massenmedien übertragen, etwa die Vertreter der interdisziplinären „discourse studies“ oder der „kritischen Diskursanalyse“ (z. B. Jäger/Jäger 2000; Jäger et al. 1997; Link/Jäger 1993; die Aufsätze in van Dijk 1997; für einen Überblick zur Entwicklung der Diskursanalyse nach Foucault vgl. Diaz-Bone et al. 2007).

Autoren, die empirische Analysen in dieser Theorietradition vorgelegt haben, versuchen entsprechend, in den Massenmedien einige oder alle der geschilderten Elemente des Foucault’schen Entwurfs sichtbar zu machen: Sie beschreiben die diskursiven Konstellationen und Machtverteilungen, die sich für konkrete Themen in massenmedialen Diskursen zeigen. Dazu werden die Definitionen des jeweils Sagbaren und die Konstruktionen gültigen Wissens oft in Form von Argumenten und deren diskursiver Legitimität beschrieben sowie die relevant scheinenden Symbole, Metaphern, Analogien und deren Implikationen herausgearbeitet. Dabei werden sowohl Akteure als auch inhaltliche Diskurselemente identifiziert, typische Konstellationen derselben rekonstruiert und teilweise in ihrer historischen Gewordenheit präsentiert.

1.2. Die Öffentlichkeitstheorie des WZB

Die Öffentlichkeitstheorie des WZB, die v. a. von Jürgen Gerhards und Friedhelm Neidhardt geprägt wurde (vgl. Gerhards 1992, 1993, 1994; Gerhards/Neidhardt 1991; Neidhardt 1994c), steht in einer anderen Traditionslinie. Einen ersten wesentlichen theoretischen Einfluss stellt die Luhmann’sche Systemtheorie dar. Aus dieser wird die Annahme übernommen, dass heutige Gesellschaften als funktional differenzierte Gesellschaften zu verstehen sind, die aus prinzipiell gleichrangigen, sich zunehmend differenzierenden und ihre Komplexität steigernden Teilsystemen bestehen. Öffentlichkeit respektive MassenmedienFootnote 2 wird in diesem Zusammenhang, und dies im Einklang mit Luhmann (v. a. 1995), die Aufgabe zugeschrieben, die Selbstbeobachtung der Gesellschaft zu ermöglichen: Sie beobachten alle anderen, zunehmend komplexer werdenden Teilsysteme, wählen daraus diejenigen Beobachtungen aus, die sie aufgrund eigener Programme und Kriterien für teilsystemübergreifend relevant halten und stellen diese allen anderen Teilsystemen wiederum zur Verfügung. Die anderen Teilsysteme werden dadurch entlastet und können in Folge dessen ihre eigenen Umweltbeobachtungen n zugunsten der Beobachtung von Öffentlichkeit und Massenmedien reduzieren. Eine zweite einflussreiche Wurzel des WZB-Modells war die Forschung zu den Konstitutionsbedingungen, Organisationsformen und Erfolgen (neuer) sozialer Bewegungen als spezifischer Form kollektiver Akteure (vgl. Rucht 1994). Daraus entnommen wurde u. a. die Betonung des Stellenwerts von Massenmedien, denn gerade über diese konnten soziale Bewegungen mitunter enorme Mobilisierungen erreichen (vgl. Gerhards 1992).

Die auf Basis beider theoretischer Einflüsse entwickelten Prämissen der Öffentlichkeitstheorie des WZB weisen durchaus Anknüpfungspunkte zur Diskursanalyse im Anschluss an Foucault auf. Gerhards, Neidhardt u. a. beschäftigen sich ebenfalls mit unterschiedlichen Orten gesellschaftlicher Kommunikation, die von ihnen „Öffentlichkeitsforen“ (z. B. Neidhardt 1994b: 7) genannt werden. Unter diesen gelten ihnen allerdings die Massenmedien als zentrales bzw. „Masterforum“ (z. B. Ferree et al. 2002: 9ff.). Denn nur deren Entstehung und die Tatsache, dass sie gesellschaftliche Kommunikation teilsystem- und themenübergreifend auf Dauer stellten, habe die Ausdifferenzierung der Öffentlichkeit zu einem gesellschaftlichen Teilsystems überhaupt ermöglicht (Gerhards 1994: 84).

Aus der system- und akteurstheoretisch beschriebenen Fundierung der WZB-Öffentlichkeitstheorie ergibt sich zudem, dass Massenmedien als ein Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzungen verstanden werden, an dem unterschiedliche und miteinander konkurrierende Akteure und Inhalte aufeinander treffen und um die Deutungshoheit zu bestimmten Themen ringen (Gerhards/Neidhardt 1991: 58). Massenmediale Kommunikation wird dementsprechend als typischerweise konflikthaltig verstanden (z. B. Gerhards/Neidhardt 1991: 47).Footnote 3 Ähnlich wie die Autoren in der Tradition Foucaults setzen sich die Autoren des WZB-Modells damit von optimistischen Erwartungshaltungen und allzu starken Hoffnungen auf öffentliche und massenmediale Konsensbildungen ab, wie man sie etwa bei Jürgen Habermas (v. a. 1990) findet. Statt dessen gehen sie davon aus, dass in massenmedialen Debatten kommunikative Konstellationen erzeugt werden, die nicht konsensuell zustande kommen müssen, möglicherweise auch nicht die, wie auch immer gemessene, vorherrschende Meinung der Bürger abbilden, aber dennoch die gesellschaftliche Wahrnehmung von Themen nachhaltig beeinflussen können. Im Extremfall kann die massenmediale Kommunikation zu einem Thema daher soogar klar von einer bestimmten Konstellation bestimmt werden, so dass man von einer einseitigen „öffentlichen Hegemonie“ sprechen muss (Gerhards/Schäfer 2006, 2007).

Derartige Konstellationen müssen – auch diese Annahme ist eine Parallele zur Diskursanalyse – nicht in jeder öffentlichen und massenmedialen Debatte neu generiert werden, sondern sie können auch historisch angelegt bzw. „vorstrukturiert“ (Gerhards/Schäfer 2006: 37ff.) sein, entweder durch beständige außermediale Akteurskonstellationen oder durch zeitlich vorangegangene Debatten. Derartige Vorstrukturierungen sind von einem Thema auf andere, zumindest auf inhaltlich verwandte Themen übertragbar: Bestehende kollektive Akteure und auch Deutungen können in Debatten über neue Themen wieder mobilisiert werden.

Die grundsätzliche Annahme einflussreicher massenmedialer Wirklichkeitskonstruktionen die die Theorie des WZB vorlegt, weist also recht deutliche Parallelen zur Konzeption von Diskursen und diskursiver Macht bei Foucault auf. Methodisch werden diese Konstellationen von den Autoren des WZB jedoch anders als bei Foucault erfasst, in einerseits klarerer, andererseits aber auch begrenzterer Weise, nämlich mittels dreier Dimensionen, von denen angenommen wird, dass sie die wesentlichen Dimensionen massenmedialer Konkurrenzen abbilden (Gerhards et al. 1998; Gerhards/Rucht 2000; Gerhards/Schäfer 2006; vgl. Ferree et al. 2002): Erstens wird vermutet, dass Akteure versuchen, selbst in den Massenmedien zu Wort zu kommen, um sich auf diese Weise als grundsätzlich legitime Akteure darzustellen („Standing“-Dimension). Zweitens wird antizipiert, dass Akteure versuchen, die inhaltliche Ausrichtung der Berichterstattung zu beeinflussen, d. h. ihre Bewertungen der jeweiligen Themen möglichst stark zur Geltung zu bringen („Positionierung“) und zudem, drittens, ihre Deutungen der Themen (das „Framing“) zu möglichst hegemonialen Deutungen zu machen. Denn auf diese Weise, so die Annahme, gelinge es Akteuren, die öffentliche Meinung zu prägen und damit der Gesellschaft bestimmte, ihnen zupass kommende Wahrnehmungen und Handlungsmöglichkeiten nahe zu legen und andere in den Hintergrund zu drängen. Dies macht auch deutlich, dass hierbei Akteure und deren Handeln als wesentliche Triebkraft gesellschaftlicher Kommunikation gesehen werden und angenommen wird, dass v. a. sie es sind, die Themen und Sichtweisen in den Massenmedien platzieren, die dort stattfindenden Diskurse ordnen und damit die gesellschaftliche Wahrnehmung beeinflussen.

1.3 Vergleich beider Theorien

Beide Theorietraditionen weisen auf relevante Aspekte hin, die bei einer Analyse gesellschaftlicher und massenmedialer Kommunikation beachtet werden sollten. Dennoch existieren sie in der einschlägigen Literatur bislang weitgehend unverbunden nebeneinander. Dabei stehen sie sich in einigen ihrer basalen Prämissen durchaus nicht diametral gegenüber, sondern weisen im Gegenteil eine Reihe von Parallelen auf: Die Diskursanalyse und die WZB-Öffentlichkeitstheorie eint die Annahme, dass öffentliche und massenmediale Debatten zentrale und einflussreiche Felder moderner Gesellschaften sind. Sie nehmen darüber hinaus gleichermaßen an, dass öffentliche und massenmediale Debatten durch Konkurrenzen von unterschiedlichen Akteuren und/oder Inhalten gekennzeichnet und fundamental konflikthaft sind. Das Ergebnis dieser Konkurrenzen können, auch darin gleichen sich die Annahmen beider Ansätze, machtvolle kommunikative respektive „diskursive“ Konstellationen sein, die die gesellschaftliche Wahrnehmung von Themen nachhaltig prägen.

Darüber hinaus jedoch haben beide Theorien unterschiedliche Stärken und Schwächen. Die grundsätzliche Stärke der Foucault’schen Diskursanalyse und ihrer Weiterentwicklungen liegt darin, dass sie die Machtstrukturen in und die gesamtgesellschaftlichen Wirkungen von Diskursen beschreiben will und dabei den Blick für diskursive Konstellationen schärft, die von unterschiedlichen Diskurselementen geprägt werden: von Akteuren, Bewertungen und Deutungen, aber auch von Symbolen, Stereotypen, Metaphern usw. Hier findet sich also keine Sonderstellung von individuellen oder kollektiven Akteuren; diese werden nicht als zentrale Konstrukteure von Diskursen verstanden, sondern Diskurse können auch nur aus inhaltlichen Elementen wie Argumenten, Bewertungen, Symbolen, Metaphern usw. bestehen. Zudem wird in der Analyse dauerhaft nach diskursiven Konstellationen Ausschau gehalten, typische Diskurszusammenhänge werden also gezielt rekonstruiert und verschwinden nicht hinter kleinteiligen analytischen Dimensionierungen. Umgekehrt sind mit diesem theoretischen Verständnis aber auch einige Probleme verbunden, die sich primär in seiner empirischen Umsetzung zeigen: Erstens bleibt in konkreten Diskursanalysen teilweise unklar, wie die beschriebenen diskursiven Konstellationen genau aussehen und aus welchen Elementen sie bestehen. Zweitens wird in diesen Zusammenhängen das methodische Vorgehen mitunter nicht präzise genug dargelegt. Gerade die Identifikation diskursiver Elemente und die Trennschärfe der differenzierten Elemente werden oftmals nicht deutlich – eine Unschärfe, die wohl auch mit den nicht immer klar ausformulierten und sich im Zeitverlauf verändernden theoretischen und methodischen Darlegungen Foucaults zusammenhängt (vgl. Keller 2004: 42). Drittens schließlich ist die Generalisierbarkeit des „überwiegend durch qualitative Verfahren“ (Keller et al. 2004a: 11) gekennzeichneten diskursanalytischen Vorgehens nicht in allen vorliegenden Arbeiten deutlich und nachvollziehbar (vgl. z. B. Lösch 2001).

Der Verdienst der Öffentlichkeitstheorie des WZB liegt demgegenüber einerseits darin, den schillernden Begriff der Öffentlichkeit systematisiert und ein theoretisch abgeleitetes Öffentlichkeitsmodell vorgelegt zu haben, das an eine Reihe soziologischer und auch kommunikationswissenschaftlicher Arbeiten anschlussfähig ist. Darüber hinaus ist diese Theorie aufgrund ihrer klaren Dimensionierung als Grundlage empirischer Analysen gut geeignet und wird entsprechend häufig in inhaltsanalytischen Arbeiten verwendet. Andererseits weist auch sie einige Probleme auf: Ein erstes solches Problem liegt in der geschilderten Akteurszentrierung, die in der Theorie angelegt ist und sich in den einschlägigen empirischen Studien deutlich niederschlägt: Da Akteure als zentrale Konstrukteure diskursiver Wirklichkeit gelten, besteht die Gefahr, dass diskursive Zusammenhänge zu kurz kommen, die nicht von den identifizierbaren Akteuren einer konkreten Debatte organisiert werden, sondern im wesentlichen oder ausschließlich aus inhaltlichen Elementen wie Deutungen, Bewertungen o.ä. bestehen. Das zweite Manko hängt damit zusammen und wird ebenfalls in erster Linie in der Umsetzung der Theorie in empirischen Studien deutlich: Dort werden die theoretisch vorgeschlagenen drei Teildimensionen zur Beschreibung massenmedialer Berichterstattung – Akteure, Bewertungen und Deutungen – oft (zu) isoliert voneinander betrachtet. Dabei geraten umfassendere diskursive Zusammenhänge, auf die ja Diskursanalysen in der Tradition Foucaults hinweisen und die sich gerade durch die Kombination unterschiedlicher Elemente auszeichnen, mitunter aus dem Blick.

2. Die Darstellung von Diskurskoalitionen mittels multipler Korrespondenzanalyse

Ziel dieses Artikels ist es, auf den gemeinsamen Prämissen beider Forschungstraditionen aufzubauen und zugleich einige ihrer Schwächen auszuräumen. Dazu wird einerseits ein theoretischer Ansatz zum Tragen kommen, der in der Tradition Foucaults steht, der aber eine Brücke zur Öffentlichkeitstheorie des WZB schlagen kann: der Ansatz der „Diskurskoalitionen“. Andererseits wird mit diesem Ansatz ein statistisches Verfahren kombiniert, das in der Lage ist, inhaltsanalytisch erhobene Informationen, z. B. zu den beschriebenen drei Dimensionen der WZB-Öffentlichkeitstheorie, so in einer Darstellung zu kombinieren, dass kommunikative Konstellationen wie Diskurskoalitionen deutlich werden: die multiple Korrespondenzanalyse. Die Kombination dieser beiden Bausteine ist es, die einen substanziellen Beitrag zur theoretischen und methodischen Fortentwicklung an der Schnittstelle von Diskursanalysen und inhaltsanalytisch arbeitender Öffentlichkeitssoziologie leisten kann.

2.1 Diskurskoalitionen

Das Konzept der Diskurskoalitionen oder „discourse coalitions“ hat der niederländische Politikwissenschaftler Maarten A. Hajer in seinen Analysen zu Auseinandersetzungen über sauren Regen vorgelegt (Hajer 1993, 1995, 2004a, 2004b). Er stellt sich damit explizit in die Tradition von Foucault (Hajer 1995: 5) und versucht, spezifische Zusammenhänge zu beschreiben, die sich in gesellschaftlichen Diskursen entwickeln und durchsetzen (vgl. Hajer 1993: 46). Footnote 4

Interessant für den hier vorgelegten Artikel ist, dass Hajers Diskurskoalitionen sowohl gesellschaftliche Akteure als auch inhaltliche Elemente unter einem konzeptionellen Dach vereinen: Hajer definiert eine Diskurskoalition als „a group of actors who share a social construct“ (Hajer 1993: 45), als „the ensemble of a set of story lines, the actors that utter these story lines, and the practices that conform to these story lines“ (Hajer 1993: 47, vgl. 1995, 2004b). Diese Definition kann mehr sein als ein Vorschlag zur Spezifikation der Diskursanalyse in der Tradition Foucaults. Denn sie ist mit der Öffentlichkeitstheorie des WZB grundsätzlich vereinbar und erlaubt es, dessen drei Analysedimensionen in Diskurskoalitionen zusammenzufassen. Diskurskoalitionen lassen sich dann als typische Kombinationen von Akteuren (Standing) mit spezifischen Bewertungen (Positionierung) und bestimmten Deutungen (Framing) eines Themas verstehen, wobei gerade in Anlehnung an Foucault darauf hinzuweisen ist, dass Diskurskoalitionen nicht Elemente aller drei Dimensionen enthalten müssen, sondern z. B. auch nur aus Deutungen bestehen können.Footnote 5

2.2 Die statistische Darstellung von Diskurskoalitionen

Zudem kann man Diskurskoalitionen auch als methodischen Anknüpfungspunkt nutzen. Zwar plädiert Hajer selbst, v. a. in seinen späteren Arbeiten zur Rekonstruktion von Diskurskoalitionen, für eine qualitativ angelegte, in Grundzügen der Grounded Theory ähnelnde „Argumentative Diskursanalyse“ (Hajer 2004a: bes. 305ff., 2004b). Aber jenseits dieses Vorschlages lassen sich auch andere Verfahren mit seinem Konzept verbinden; nicht zuletzt statistische Verfahren, die zur Analyse inhaltsanalytischer Daten und damit auch umfänglicher Textmengen geeignet sind. Eine solche statistische Deskription von Diskurskoalitionen macht ein multivariat beschreibendes, strukturentdeckendes Verfahren notwendig. Ein Verfahren, das für diese Zwecke sehr gut geeignet ist und hier in der Folge zum Einsatz kommen wird, ist die multiple Korrespondenzanalyse (vgl. einführend Blasius 2001; Clausen 1998; Greenacre 1984, 1993). Diese hat, möglicherweise weil sie nicht der Kausalanalyse dient (Diaz-Bone/Hahn 2007: 93), eine Randstellung unter den sozialwissenschaftlich verwendeten statistischen Verfahren inne und ist in der (zumal deutschen) Soziologie v. a. durch die Arbeiten Pierre Bourdieus (u. a. 1994, 1988) bekannt geworden. Die Vorteile dieser Analyse sind, dass sie mit nominal skalierten Variablen arbeiten kann (wie sie bei Inhaltsanalysen oft vorliegen), dass sie auch mit schwach besetzten Matrizen umgehen kann, dass sie dabei die bivariaten Effekte „von jeder Variablen auf jede andere Variable berücksichtigt“ (Blasius 2001: 7) und die Zusammenhänge dieser Variablen grafisch darstellt.Footnote 6 Die Verteilung der Ausprägungen unterschiedlicher nominaler Variablen wird dabei in eine zweidimensionale Grafik projiziert, so „dass die Kategorien, die relativ häufig miteinander kombiniert auftreten, nahe beieinander und die Kategorien, die relativ selten kombiniert auftreten, weit auseinander geplottet werden“ (Diaz-Bone 2006: 259; vgl. Blasius 2001: 81; Clausen 1998: 25). Mit Hilfe der multiplen Korrespondenzanalyse ist es also möglich, unterschiedliche Charakteristika eines Gegenstands im gleichen grafischen Raum zu visualisieren. Bourdieu (1994) stellt in dieser Weise u. a. die sozialstrukturellen Positionen und kulturellen Präferenzen der französischen Bevölkerung dar. Für Mediendebatten lassen sich mittels einer derartigen Auswertung Kombinationen von verschiedenen Charakteristika darstellen; auch aus Akteuren, Bewertungen und Deutungen bestehende Diskurskoalitionen, die sich in der multiplen Korrespondenzanalyse als Gruppen nahe beieinander liegender Ausprägungen zeigen müssten.

Eine solche Beschreibung massenmedialer Diskurskoalitionen mit korrespondenzanalytischen Verfahren soll in diesem Artikel präsentiert werden. Es wird rekonstruiert, welche Konstellationen von Akteuren, Bewertungen und Deutungen in den Massenmedien zu finden sind.Footnote 7 Darüber hinaus soll die diskursive „Macht“ dieser Koalitionen gemessen werden. Diese wird operationalisiert durch die Häufigkeit des Auftretens der unterschiedlichen Akteure, Bewertungen und Deutungen. Dazu werden die Darstellungen der Korrespondenzanalyse flankiert durch die Präsentation der univariaten Verteilungen der Ausprägungen in den drei untersuchten Dimensionen, mit deren Hilfe es möglich ist, auch das Gewicht der Bestandteile unterschiedlicher Diskurskoalitionen in der Debatte einzuschätzen. Dieses lässt sich als Indikator der relativen „Macht“ einzelner Ausprägungen oder ganzer Diskurskoalitionen interpretieren.

3. Analysegegenstand, Daten und Methoden

Die zwei Themen, an deren Beispiel hier eine korrespondenzanalytische Rekonstruktion von Diskurskoalitionen präsentiert werden soll, entstammen den Biowissenschaften. Die Auswahl zweier Themen hat einerseits den Vorteil, dass zusätzlich zur Darstellung von Diskurskoalitionen in einzelnen Debatten untersucht werden kann, ob sich bei ähnlichen Themen themenübergreifende Strukturierungen finden lassen. Diese ließen sich als Hinweise darauf deuten, dass in den entsprechenden Diskursen „Archive“ oder „Vorstrukturierungen“ zum Tragen kommen.

Andererseits sind biowissenschaftliche Themen für eine Analyse von Diskurskoalitionen aus unterschiedlichen Gründen besonders geeignet: Erstens handelt es sich um wissenschaftliche Themen, die zwar gesellschaftlich hochrelevant, aber zugleich alltagsfern sind und zu denen die meisten Menschen keinen lebensweltlichen Zugang haben. Bei derartigen Themen sind massenmediale Auseinandersetzungen von besonders großer Bedeutung, weil sie die nahezu einzige diesbezügliche Informationsquelle für die breite Öffentlichkeit darstellen (vgl. Schenk/Sonje 1998: 9). Zweitens handelt es sich um Themen, die in den Massenmedien in hohem Maße präsent waren und bei denen viele Akteure daran interessiert waren, sich zu Wort zu melden und ihre Positionen und Deutungen möglichst prominent zu platzieren (vgl. Gerhards/Schäfer 2006: 194ff.; Schäfer 2007: 190ff.). Daher lassen sich für diese Themen differenzierte Debatten vermuten, in denen sich möglicherweise Diskurskoalitionen aufzeigen lassen. Drittens wurden biowissenschaftliche Themen bereits mehrfach vor dem Hintergrund der beiden eingeführten Theorietraditionen untersucht. Im Kontext der Foucault’schen Diskursanalyse gelten sie als prädestinierte Beispiele für die Untersuchung von diskursiven (und darüber hinaus gehenden) Machtkonstellationen. Denn dort wird angenommen, dass „Biomacht“ (vgl. z.B. Foucault 1977: 163ff.; sowie Agamben 2002) einen wesentlichen, neuartigen Disziplinierungsmodus moderner Gesellschaften darstellt. Diese Form der Macht normiere die Bevölkerung, so die Annahme, indem sie ihre Fortpflanzung, Gesundheit, Lebenschancen usw. kontrolliere. Autoren wie Margret Jäger et al. (1997) oder Andreas Lösch (2001) haben vor diesem Hintergrund daher bereits massenmediale Diskurse über Biowissenschaften untersucht. Auch aus der Tradition der WZB-Öffentlichkeitstheorie liegen mehrere Arbeiten vor, die Medienberichterstattung über biowissenschaftliche (z. B. Gerhards/Schäfer 2006; Rödder 2005; Schäfer 2007) oder biowissenschaftsnahe Themen wie Abtreibung (Ferree et al. 2002; Gerhards et al. 1998) untersuchen. Hier bestand ein zentraler Analyseimpuls in der Tatsache, dass diese Themen intensive Debatten auslösten, deren Charakteristika und Dynamiken sich analytisch gut nachzeichnen ließen, und dass die entsprechenden Debatten in unterschiedlichen Ländern virulent waren, was wiederum ländervergleichende Analysen ermöglichte.

Für diesen Artikel wurden aus den genannte Gründen zwei konkrete biowissenschaftliche Themen zur Analyse ausgewählt: die Humangenomforschung und die Stammzellforschung.

Unter Humangenomforschung wird die Totalsequenzierung des menschlichen Genoms, also die Beschreibung der korrekten Reihenfolge aller 3,2 Mrd. Basen in der menschlichen DNA verstanden. Die Bedeutung des Genoms liegt darin, dass es genetische Informationen codiert, die auch über den Aufbau unterschiedlicher Proteine und damit unterschiedlicher Körperzellen und -gewebe entscheiden. Damit beeinflusst es die Heraus-bildung phänotypischer menschlicher Eigenschaften ebenso wie die Entstehung von Krankheiten. Gerade die letztere, medizinische Motivation hat die sequenzierende Humangenomforschung wesentlich vorangetrieben. Sowohl das öffentlich geförderte internationale Human Genome Project, an dem Deutschland ab 1995 mit dem Deutschen Humangenomprojekt beteiligt war, als auch die US-Firma Celera Genomics versuchten seit den 1990er Jahren, das Erbgut komplett zu sequenzieren. Die Sequenzierungsarbeiten endeten offiziell 2003. Heute wird, beispielsweise im deutschen Nationalen Genomforschungsnetz, zur Struktur und zu den Funktionen unterschiedlicher Genomabschnitte geforscht (vgl. zur Historie der Humangenomforschung Davies 2001; zu technischen Grundlagen Cook-Deegan 1995: bes. 13ff.; Fischer 2002).

Unter Stammzellforschung wird die Gewinnung von und Forschung an embryonalen oder adulten menschlichen Stammzellen verstanden. Stammzellen sind Körperzellen in einem noch unentwickelten Frühstadium, aus denen sich abhängig vom biologischen Milieu, in das sie verpflanzt werden, unterschiedliche Tochterzellen entwickeln können. Vor allem embryonale Stammzellen zeichnen sich durch eine hohe entwicklungsbiologische Flexibilität aus, je nach dem Stadium ihrer Gewinnung können sich aus ihnen noch alle („Totipotenz“) oder fast alle („Pluripotenz“) menschlichen Zelltypen entwickeln. Man kann sie aus „überzähligen“ Eizellen von In-Vitro-Fertilisationen („Reagenzglasbefruchtungen“), aus zu früh „abgegangenen“ Embryonen und aus eigens zur Stammzellentnahme „therapeutisch“ geklonten Embryonen entnehmen. Problematisch bei all diesen Varianten ist, dass „noch kein Verfahren entwickelt [wurde], das es erlaubt, [embryonale Stammzellen] zu gewinnen und gleichzeitig die Integrität und Entwicklungsfähigkeit des Embryos zu erhalten“ (Hillebrandt/Püttmann 2004: Teil I) der Embryo wird, wenn man so will, „getötet“. Dies ist bei adulten Stammzellen, die nach der Geburt aus Nabelschnurblut oder Organgewebe gewonnen werden können, nicht so; allerdings sind diese in geringerem Maße entwicklungsfähig und damit vermeintlich nur für einige spezifische Forschungsbereiche eine Alternative. Das Forschungsinteresse an Stammzellen ist, wohl noch stärker als bei der Humangenomforschung, medizinisch. Es wird vermutet, dass embryonale Stammzellen bspw. bei Rückenmarksverletzungen, Herzinfarkten oder Gehirntumoren eingesetzt werden können, um beschädigte Zellen zu ersetzen. Auf diese Weise erhofft man sich Therapien für Krankheiten wie Morbus Parkinson oder Diabetes Typ 1 (zu Grundlagen und Forschungsstand der Stammzellforschung vgl. Nature 2006; Hauskeller 2001; Wobus et al. 2006).

Akteure, Bewertungen und Deutungen der massenmedialen Berichterstattung über beide Themen wurden mit einer qualitativen und einer quantitativen Inhaltsanalyse erfasst. Der qualitativen Inhaltsanalyse lag eine Vielzahl heterogener Dokumente zugrunde, mit denen alle existierenden Deutungen der zwei Themen abgebildet werden sollten: Medienartikel ebenso wie Pressemeldungen, Positionspapiere und andere Dokumente wissenschaftlicher, wirtschaftlicher, politischer und zivilgesellschaftlicher Akteure (wie Kirchen, NGOs, Patienten- und Behindertenverbände). Aus diesen Texten wurde das Framing der Debatte rekonstruiert. Sinnidentische Textbausteine wurden dazu interpretativ in Deutungsrahmen, so genannten „Frames“, zusammengefasst, mit denen die untersuchten Themen interpretiert wurden und die möglichst den gesamten Deutungshorizont der Themen abbilden sollten. Grundsätzlich wurden vier Gruppen von Deutungsrahmen unterschieden (vgl. detaillierter Schäfer 2007: 79ff.):

  • wissenschaftliche Deutungen, bei denen es a) um die Beschreibung (vermeintlicher) wissenschaftlicher Fakten, b) um Fragen der Forschungsförderung, c) um normative Grundlagen wissenschaftlicher Forschung, wie ihre Gemeinwohlorientierung und ihre grundsätzliche Forschungsfreiheit, d) um den wissenschaftlichen bzw. e) um den medizinischen Stellenwert einzelner Forschungsergebnisse sowie f) um die Notwendigkeit und Möglichkeiten der innerwissenschaftlichen Regulierung von biowissenschaftlicher Forschung ging,

  • wirtschaftliche Deutungen, mit denen a) betriebs- und b) volkswirtschaftliche (eher gesamtgesellschaftliche) Folgen der Forschung erörtert wurden,

  • politische Deutungen, in denen die a) externe, v. a. politisch-legislative Regulierung von Wissenschaft und b) die gesellschaftliche Partizipation an dieser Regulierung im Vordergrund standen,

  • ethische und soziale Deutungen, denen a) das grundlegende Menschenbild und die Lebensdefinitionen der jeweiligen Biowissenschaften, b) die mögliche Diskriminierung von Menschen auf Basis biowissenschaftlicher Befunde, c) Fragen von Eigentumsrechten und der Patentierung genetischer Daten und d) Erörterungen der Ethik des konkreten Forschungshandelns zugeordnet wurden.

Die Datenbasis der darauf folgenden quantitativen Inhaltsanalyse war die komplette einschlägige Berichterstattung der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) über, je nach Thema unterschiedliche, mehrjährige Zeiträume zwischen 1994 und 2003. Diese Zeitungen wurden gewählt, weil sie die auflagenstärksten überregionalen Qualitäts-Tageszeitungen sind, oft von Eliten und Meinungsführern rezipiert und von Journalisten als wichtige Einflüsse für die eigene Arbeit genannt warden (vgl. statt anderer Wilke 1999).

Mit einer Schlagwortsuche in den CD-ROM-Archiven beider Zeitungen wurden insgesamt ca. 3.600 Artikel zu den ausgewählten Themen identifiziert, die von einem fünfköpfigen Team codiert wurden.Footnote 8 Dabei wurden, neben strukturellen Charakteristika der Artikel (Tag und Ressort der Veröffentlichung, Autor usw.),umfangreiche Informationen über alle zu Wort kommenden, d. h. direkt oder indirekt zum Thema zitierten Akteure (Name, institutionelle Zuordnung, Herkunft, Geschlecht usw.), über die Bewertung des jeweiligen Themas durch den Akteur und über die von den Akteuren verwendeten Deutungen erhoben. Es wurden also Standing-, Positionierungs- und Framing-Informationen erfasst (vgl. zu diesem Vorgehen Gerhards/Schäfer 2006: 67ff.; O’Mahony/Schäfer 2005; Schäfer 2007: 77ff.).

Zur multivariaten Auswertung der Daten wurde im Wesentlichen die SPSS-Routine „HOMALS“ verwendet; eine Homogenitätsanalyse, die der multiplen Korrespondenzanalyse äquivalente Ergebnisse erbringt (Gifi 1990; vgl. Universitäts-Rechenzentrum Trier 1997, 1998). Während mit korrespondenzanalytischen Verfahren prinzipiell eine Vielzahl von Achsen extrahierbar istFootnote 9,wurden hier zweidimensionale Lösungen akzeptiert, die mehr als 70 Prozent der Gesamtstreuung aller Variablen erfassen. Dies ist in der Literatur üblich; meist werden zwei, selten auch drei Achsen extrahiert. Für diese zweidimensionalen Lösungen wurde dann zusätzlich das von Phillippe van Kerm (Universität Namur, Belgien) programmierte „Multiple Correspondence Analysis (MCA)“-Modul in STATA 8.0 zur Berechnung einiger Kennziffern verwendet. So wurde beispielsweise für jedes Thema geprüft, ob die zwei dargestellten Achsen in den jeweiligen Lösungen einen ausreichend großen Teil der statistischen Informationen über die Verteilung aller Variablenausprägungen darstellen und entsprechend interpretierbar sind. Das Ergebnis ist ein Plot, auf dem die Ausprägungen der einbezogenen Variablen entlang von – in diesem Fall zwei – Achsen dargestellt sind. Dieser Plot ist unterschiedlich interpretierbar: Einerseits kann man sich auf die Deutung der Achsen konzentrieren, die den Raum aufspannen und sie als Hauptprinzipien der Ordnung des untersuchten Feldes interpretieren (vgl. Le Roux/Rouanet 1998). Andererseits ist es möglich, die Nähen und Distanzen zwischen den dargestellten Ausprägungen und die dadurch gebildeten Gruppierungen zu interpretieren (vgl. Diaz-Bone/Hahn 2007: 96). In diesem Artikel werden beide Wege beschritten, im Mittelpunkt steht jedoch letztere Variante, da diese für eine Interpretation von Diskurskoalitionen geeigneter ist.

4. Diskurskoalitionen in den Massenmedien

4.1 Das Beispiel der Humangenomforschung

Die Berichterstattung von „SZ“ und „FAZ“ über die Sequenzierung des menschlichen Erbguts wurde über zehn Jahre untersucht: von 1994, ein Jahr vor der Gründung des Deutschen Humangenomprojekts, bis 2003, als die Sequenzierung des menschlichen Genoms offiziell für abgeschlossen erklärt wurde. In diesem Zeitraum wurden 1.428 einschlägige Artikel publiziert, in denen 2.111 Deutungen des Themas enthalten waren. Diese Deutungen und die mit ihnen jeweils verknüpften Bewertungen und Akteure bildeten die Grundlage der korrespondenzanalytischen Auswertung.

Die Betrachtung der univariaten Verteilung der repräsentierten Akteure (Tabelle 1 ) macht zunächst deutlich, dass zum Thema Humangenomforschung in erster Linie Naturwissenschaftler (46 Prozent) und unter diesen wiederum weit überwiegend Humangenomforscher und Kollegen eng verwandter Disziplinen zu Wort kamen. Deutlich seltener zu finden waren drei weitere, etwa gleich starke Akteursgruppen: Wirtschaftsvertreter (11 Prozent), Sozial- und Geisteswissenschaftler (10 Prozent) und Repräsentanten der politischen Exekutive Deutschlands und der USA, von denen die Humangenomforschung gefördert wurde (9 Prozent). Alle weiteren Akteure, auch Vertreter der Zivilgesellschaft, zu denen bspw. Kirchen, Patienten- und Behindertenverbände und NGOs gezählt wurden, blieben randständig.

Tabelle 1: Verteilung von Standing, Positionierungen und Framing in der Berichterstattung über Humangenomforschung (in %)

Was die Bewertungen angeht, so wurde die Humangenomforschung in 39 Prozent der Aussagen befürwortet. Etwa je ein Viertel blieb neutral (25 Prozent) oder ambivalent (26 Prozent). Nur in jeder zehnten Aussage (10 Prozent) wurde die Forschung abgelehnt.

Gedeutet wurde die Humangenomforschung überwiegend hinsichtlich ihrer medizinischen und wissenschaftlichen Relevanz. Mehr als ein Viertel aller Deutungen (28 Prozent) thematisierte das medizinische, v.a. diagnostische Potenzial des sequenzierten menschlichen Erbguts, das u. a. zur genetischen Verortung und Diagnose von verschiedenen Krebstypen und anderen verbreiteten Erkrankungen dienen könne. Ebenfalls oft verwendet wurden wissenschaftliche Deutungen, vornehmlich die Erörterung der finanziellen und infrastrukturellen Förderung der Humangenomforschung und seiner Kosten (13 Prozent) sowie die Erläuterung wissenschaftlicher Fakten (Wie umfangreich ist das Genom? Welche Informationen enthält es? Welche Methoden werden zu seiner Beschreibung verwendet? usw., insgesamt 12 Prozent).

An anderer Stelle wurden diese deskriptiven Befunde bereits als „Hegemonie der Befürworter“ (Gerhards/Schäfer 2007) der Humangenomforschung interpretiert: Es kommen Naturwissenschaftler zu Wort, die Forschung wird eher positiv bewertet, und es werden überwiegend medizinisch-wissenschaftliche Deutungen verwendet. Mit der multiplen Korrespondenzanalyse lässt sich nun prüfen, ob sich diese Hegemonie auch als Diskurskoalition abbilden lässt und ob sich weitere Diskurskoalitionen finden lassen. Der Rekurs auf die dargestellten univariaten Verteilungen lässt zudem Rückschlüsse auf das relative Gewicht der aufgefundenen Koalitionen, wenn man so will, auf ihre Diskursmacht, zu.

Bei der Betrachtung des zweidimensionalen Raumes, den die multiple Korrespondenzanalyse erzeugt, lassen sich zunächst dessen Achsen interpretieren Abbildung 1. Die x-Achse kann man als Konfliktlinie zwischen Pro und Kontra hinsichtlich der Humangenomforschung deuten. Von links nach rechts geordnet finden sich auf ihr zunächst eher negative Deutungen und tendenziell skeptische Akteure wie die Vertreter der Zivilgesellschaft und Sozial- und Geisteswissenschaftler, danach neutrale und ambivalente Bewertungen und (Medien-)Akteure und schließlich positive Bewertungen und Akteure, die die Humangenomforschung entweder selbst ausüben oder ihr nahe stehen (Naturwissenschaftler), sie finanziell fördern (politische Exekutive, Wissenschaftsadministration) oder von ihr zu profitieren hoffen (Wirtschaftsvertreter). Das der y-Achse zugrunde liegende Prinzip scheint dagegen die Intensität der Meinungen und Positionen hinsichtlich der Humangenomforschung zu sein. Neutrale Positionen, (vermeintlich) objektive Faktenbeschreibungen und Medienakteure liegen im unteren Bereich des Plots und klar positive oder negative Positionierungen und Stakeholder unterschiedlicher Couleur im oberen Bereich. Der zweidimensionale Raum wird dabei primär durch die zu Wort kommenden Akteure und durch die Bewertungen des Themas aufgespannt, die die Außenpositionen besetzen. Im Gegensatz dazu diskriminieren die ebenfalls einbezogenen Deutungen nicht stark, sie sind eher in der Mitte des Raumes um das Achsenkreuz konzentriert.Footnote 10

In diesem Plot lassen sich nunmehr Diskurskoalitionen ausmachen, mithin Gruppierungen von Akteuren und/oder Positionierungen und/oder Deutungen, die dicht beieinander liegen. Abbildung 1.

Abbildung 1:
figure 1

Ergebnisplot der multiplen Korrespondenzanalyse für die Humangenomforschung

Die dafür notwendig zu klärende Frage, wie viele Diskurskoalitionen sich aus einem Plot ablesen lassen, lässt sich auf zweierlei Weise beantworten. Entweder lässt sich die Zahl der Koalitionen aus einer Theorie ableiten – dies ist hier nicht der Fall. Oder die Zahl der Koalitionen wird nur aus dem Plot abgelesen – wie es in dieser, explorativ angelegten Studie geschehen soll. Dann hängt es aber von der Abstraktion der gewählten Perspektive ab, wie viele Koalitionen in der Darstellung erkannt werden. Hier wird versucht, aus dem Plot die deutlichsten Zusammenhänge zu entnehmen und diese als Diskurskoalitionen zu begreifen. Drei derartige Koalitionen lassen sich identifizieren.Footnote 11

Die erste Koalition lässt sich mit „Realisierung und Verwertung der Humangenomforschung“ überschreiben. In ihr finden sich typischerweise Natur- und Biowissenschaftler, unter denen ja dominant Humangenomforscher zu finden sind, zusammen mit ihren Förderern aus der Wissenschaftsadministration (wie der DFG), der politischen Exekutive (dem BMBF) und auch aus der Wirtschaft. Zudem zeichnet sich die Koalition durch positive Bewertungen der Forschung aus. Die Deutungsmuster, die ihr am nächsten stehen, fokussieren den wissenschaftlichen Stellenwert der Humangenomforschung, ihr medizinisch nutzbares Potenzial, ihre wirtschaftlichen Verwertungschancen und Fragen der Förderung dieser Forschung. Die Koalition ist, dies macht ein Abgleich mit den dargestellten univariaten Verteilungen deutlich, ein diskursives Schwergewicht: Ihr zugehörig sind die dominanten Akteure (Bio- und Naturwissenschaftler), die stärkste Positionierung (positiv) und ihr stehen die meistgenutzten Deutungen nahe. Es ist offensichtlich diese Koalition, die die anderorts beschriebene „Hegemonie der Befürworter“ ausmacht.

Die zweite Koalition zeichnet sich eher durch eine „neutrale Beobachtung“ der Humangenomforschung aus. Sie besteht aus Medienvertretern und neutralen, die Forschung nicht bewertenden Positionen. Zudem finden sich hier keine spezifischen Deutungen, sondern vornehmlich wissenschaftliche Faktenbehauptungen, mithin vermeintlich „objektive“, „wertfreie“ Erklärungen von Begriffen, Verfahren und Ergebnissen der Forschung. Diese Koalition ist von mittlerer Größe, in ihr zusammengefasst sind zwar keine stark vertretenen Akteure oder stark repräsentierten Deutungen, aber mit den neutralen Bewertungen ein nennenswerter Anteil der Positionierungen.

In einer dritten Diskurskoalition, die man „Ethisch-soziale Kritik“ nennen könnte, sind vornehmlich Vertreter der Zivilgesellschaft und Sozial- und Geisteswissenschaftler subsumiert (die, allerdings wenigen, Vertreter der politischen Ethikräte ordnen sich ebenfalls in der Nähe ein). Diese Akteure gruppieren sich um negative Bewertungen der Humangenomforschung. Die Deutungsmuster, die dabei am nächsten liegen, betonen die potenziell problematischen ethischen und sozialen Folgen der Forschung: Sie thematisieren z. B., dass auf ihrer Basis unterschiedliche Formen der Diskriminierung kranker und behinderter Menschen, aber auch von Menschen mit genetischen Risikoprofilen denkbar sind. Diese Koalition hat allerdings kaum diskursives Gewicht; ihre Akteure, Bewertungen und auch die nahe liegenden Deutungen sind nur selten in den untersuchten Texten vertreten.

4.2 Das Beispiel der Stammzellforschung

Die Berichterstattung über Stammzellforschung wurde für einen Zeitraum von sieben Jahren erhoben: von 1997, einem Jahr vor der ersten Isolation embryonaler Stammzellen, bis 2003, als die bundesdeutsche Exekutive die ersten fünf Importgenehmigungen für embryonale Stammzellen aussprach. In diesem Zeitraum veröffentlichten „SZ“ und „FAZ“ 2.234 Artikel, in denen Stammzellforschung erwähnt wurde und in denen sich 2.353 Deutungen der Forschung finden.

Auch bei diesem Thema stellen Naturwissenschaftler die stärkste Akteursgruppe (21 Prozent Tabelle 2). Allerdings folgen Vertreter der politischen Exekutive (14 Prozent) und Legislative (13 Prozent) auf dem Fuße, auch politische Parteien (9 Prozent) sind recht stark vertreten. Die Berichterstattung wird also deutlich stärker als bei der Humangenomforschung von politischen Akteuren bestimmt. Dies wird noch dadurch unterstrichen, dass hier auch Repräsentanten der Zivilgesellschaft, die Habermas (1992: 399 ff.) als Peripherie des politischen Systems interpretiert, stärker vertreten sind (9 Prozent). Dagegen spielen bspw. Wirtschaftsvertreter (4 Prozent) kaum eine Rolle.

Die Bewertungen der Stammzellforschung sind insgesamt etwas skeptischer als bei der Humangenomforschung. Auch hier überwiegen zwar positive oder neutrale Deutungen. Es beziehen aber mehr Aussagen (17 Prozent) Stellung gegen die Forschung.

Die Deutungen des Themas sind, auch dies ähnelt der Humangenomforschung, überwiegend wissenschaftlich-medizinisch. Dabei wird die Forschung an Stammzellen ausführlicher zu erklären versucht als die Sequenzierung des Genoms. Wissenschaftliche Faktenaussagen, beispielsweise zum Entwicklungspotenzial von Stammzellen oder zu den relativen Vorteilen von embryonalen gegenüber adulten Stammzellen, nehmen einen großen Stellenwert ein. Darüber hinaus werden oft die medizinischen Potenziale der Forschung sowie Varianten ihrer Förderung diskutiert. Demgegenüber werden aber auch problematische Aspekte erörtert: zum einen die als „Menschenbild“ codierte Frage, wann menschliches Leben beginnt, ob Embryonen dazu zählen und wie sie zu schützen sind.Zum anderen wird die Regulierung der Forschung ausgiebig thematisiert: sowohl politische und juristische Formen der Regulierung (18 Prozent) und die gesellschaftliche Partizipation daran (4 Prozent) als auch die normativen Grundlagen der Wissenschaft selbst (2 Prozent) und die Möglichkeiten ihrer internen, innerwissenschaftlichen Regulierung (2 Prozent). Tabelle 2

Tabelle 2: Verteilung von Standing, Positionierungen und Framing in der Berichterstattung über Stammzellforschung (in %)

Stammzellforschung ist also Gegenstand einer pluralisierteren und kontroverseren Debatte als die Humangenomforschung. Zu Wort kommen neben naturwissenschaftlichen auch viele politische Akteure und, obwohl die Forschung überwiegend positiv bewertet wird, findet sich zu ihr doch ein vergleichsweise hoher Anteil kritischer Äußerungen. Die verwendeten Deutungen thematisieren überwiegend medizinische und wissenschaftliche Fragen, oft aber auch die Regulierung der Forschung.

Die Frage ist nun, ob sich dabei unterschiedliche Diskurskoalitionen zeigen lassen, welche dies gegebenenfalls sind und welches Gewicht bzw. welche Macht sie in der Debatte haben. Zunächst einmal lassen sich die Achsen des korrespondenzanalytischen Plots ähnlich wie bei der Humangenomforschung deuten: Auch bei der Stammzellforschung scheint die x-Achse die Konfliktlinie zwischen Pro und Kontra abzubilden, während die y-Achse die Intensität der Positionen hinsichtlich der Forschung repräsentiert Abbildung 2. Bei der Stammzellforschung wird der zweidimensionale Raum zudem nicht nur von Akteuren und Bewertungen, sondern auch von den Deutungen aufgespannt. Dies zeigt noch einmal, dass die Debatte auch inhaltlich polarisierter ist.Footnote 12 Bestimmte Deutungen wie etwa Fragen der Diskriminierung sind bei diesem Thema am Rande des Plots zu finden und in Diskurskoalitionen eingebunden. Abbildung 2.

Abbildung 2:
figure 2

Ergebnisplot der multiplen Korrespondenzanalyse für die Stammzellforschung

Bei der Stammzellforschung lassen sich ebenfalls drei Diskurskoalitionen unterscheiden. Die erste gruppiert sich um die positiven Bewertungen der Stammzellforschung und entspricht der „Realisierung und Verwertung“-Koalition der Humangenomforschung. Ihr sind typischerweise Vertreter der Bio- und Naturwissenschaft und der Wirtschaft sowie der Wissenschaftsadministration zuzurechnen. Die Deutungen, die dieser Koalition angehören, beziehen sich überwiegend auf den medizinischen Nutzen der Stammzellforschung, auf ihre volkswirtschaftlichen Folgen für den Standort Deutschland und auf Fragen ihrer Förderung. In dieser Diskurskoalition sind damit einige der umfangreichsten Akteursgruppen, die stärkste Bewertungsausprägung (positiv) und schwergewichtige Deutungen versammelt. Sie kann als besonders mächtig interpretiert werden.

Die zweite Diskurskoalition befürwortet eher eine möglichst „neutrale Regulierung“, ist also der Forschung nicht gänzlich abgeneigt, sieht aber die Notwendigkeit ihrer Kontrolle, Regulierung und gegebenenfalls Lenkung. Sie beinhaltet typischerweise Sozial- und Geisteswissenschaftler und neutrale, die Forschung nicht bewertende Positionierungen. Die Deutungen, die hier geäußert werden, beziehen sich auf existierende und eingeforderte politische und juristische Regulierungen der Forschung und auf die Frage der Eigentumsrechte an Stammzellen. Diese Diskurskoalition ist von mittlerer Stärke: Ihr zugeordnet sind keine stark repräsentierten Akteure, aber etwas stärker vertretene Positionierungen (neutral) und Deutungen.

Drittens schließlich findet sich eine wiederum klar von den anderen abgesetzte Diskurskoalition, die wie schon bei der Humangenomforschung eine „Ethisch-soziale Kritik“ an der Stammzellforschung äußert. Ihr gehören negative Bewertungen der Forschung an, die wesentlichen Akteure sind Vertreter der Zivilgesellschaft; und die zentralen Deutungen betreffen die mögliche Diskriminierung und Selektion von Menschen durch die Stammzellforschung. Diese Akteure, Bewertungen und Deutungen sind nur wenig in der Debatte vertreten, es handelt sich daher um eine kleine, wenig mächtige Diskurskoalition.Footnote 13

4.3 Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse

Vergleicht man die beiden Themen miteinander, dann zeigen sich Parallelen, aber auch Unterschiede. In der Berichterstattung über Humangenomforschung wurden drei Diskurskoalitionen gefunden, die, den univariaten Verteilungen der entsprechenden Variablen zufolge, unterschiedliches Gewicht bzw. unterschiedliche Macht haben. Als besonders mächtig erwies sich eine Diskurskoalition, die die „Realisierung und Verwertung der Humangenomforschung“ thematisierte und bereits andernorts als „Hegemonie der Befürworter“ beschrieben wurde (Gerhards/Schäfer 2007). Daneben konnten aber– hier zeigt sich der Mehrwert der multiplen Korrespondenzanalyse– zwei weitere Koalitionen aufgezeigt werden, die sich durch eine „neutrale Betrachtung“ der Forschung respektive durch eine „ethisch-soziale Kritik“ an ihr auszeichnen und deutlich weniger diskursives Gewicht haben als die erstgenannte. Tabelle 3.

Tabelle 3: Diskurskoalitionen im Überblick

In der Berichterstattung über Stammzellforschung zeigten sich ebenfalls drei Koalitionen, u. a. ebenfalls eine dominierende, mit der „Realisierung und Verwertung“ der Forschung befasste Koalition sowie zwei kleinere, weniger mächtige Koalitionen, die aus neutraler Perspektive Fragen der Regulierung oder aus kritischer Perspektive Fragen der ethischen und sozialen Folgen der Stammzellforschung thematisieren.

Grundsätzlich ist es also bei beiden Themen möglich, plausibel interpretierbare Diskurskoalitionen zu identifizieren, und diese Koalitionen ähneln sich teilweise: Es kann jeweils eine schwergewichtige respektive mächtige „Realisierung und Verwertung“-Koalition ausgemacht werden, die typischerweise Naturwissenschaftler der betreffenden Felder, Vertreter der Wissenschaftsadministration, der Wirtschaft und der politischen Exekutive enthält, in der die Forschung befürwortet und hinsichtlich ihrer medizinischen und wirtschaftlichen Verwertungschancen und möglichen Förderung gedeutet wird. Demgegenüber finden sich, ebenfalls bei beiden Themen, entgegengesetzte Diskurskoalitionen, in denen die jeweiligen Themen negativ bewertet werden, typischerweise von Vertretern der Zivilgesellschaft und mit Deutungen, in denen mögliche Diskriminierungsformen auf biowissenschaftlicher Basis diskutiert werden. Dazwischen liegt je eine Diskurskoalition, die neutral positioniert ist.

Es lassen sich folglich einige themenübergreifende Parallelen zwischen beiden Fällen erkennen: etwa die starke Repräsentanz von Wissenschaftlern und Vertretern der politischen Exekutive, deren Befürwortung sowohl der Humangenom- als auch der Stammzellforschung, und die starke Betonung medizinischer Verwertungen in beiden Debatten. Diese Parallelen lassen sich als „Querbezüge“ (Graumann 2002: 23) zwischen beiden Themen verstehen. Dabei waren es vermutlich die Konstellationen der zeitlich etwas vorgelagerten Debatte über Humangenomforschung, die sich auf die Debatte über Stammzellforschung ausgewirkt haben. Darüber hinaus lassen sich in der Debatte über Stammzellforschung auch andersartige Vorstrukturierungen zeigen, die nicht von der Auseinandersetzung über Humangenomforschung, sondern von anderen, früher debattierten Themen ausgehen: Sowohl in den Akteurskonstellationen als auch in den Bewertungen der Forschung und in ihren konkreten Deutungen lassen sich klare Spuren der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über Abtreibung finden (vgl. ausführlicher Schäfer 2008).Hier zeigen sich Formen kommunikativer Vorstrukturierung bzw. der Wirksamkeit diskursiver „Archive“.

Umgekehrt gibt es auch Aspekte der dargestellten Fälle, die nicht in dieser Weise als Kontinuitäten anderer Debatten oder Diskurse gedeutet werden können. Die stark regulativ-legislative Ausrichtung der Debatte beim Thema Stammzellforschung, die intensive Beteiligung politischer Akteure und die Infragestellung wissenschaftlicher Grundnormen ist für die öffentliche Behandlung eines wissenschaftlichen Thema durchaus unüblich, und stellt eine Novität dieser spezifischen Debatte dar.

5. Zusammenfassung und Ausblick

Zu Beginn dieses Artikels wurden die beiden wohl zentralen Theorien geschildert, die in der Soziologie auf die Analyse massenmedialer Kommunikation Anwendung finden: die Diskursanalyse und die Öffentlichkeitstheorie des WZB. Es wurde gezeigt, dass beide fruchtbare Ausgangspunkte der Forschung mit jeweils spezifischen Perspektiven darstellen. Es wurde weiterhin argumentiert, dass beide Theorien in der einschlägigen Literatur kaum miteinander verbunden werden, obwohl dies angesichts ihrer jeweiligen theoretischen Prämissen durchaus möglich scheint.

Denn sowohl die in der Tradition Foucaults stehenden Diskursanalysen als auch die Theorie des WZB begreifen Massenmedien als Teil umfassenderer gesellschaftlicher Kommunikation bzw. Diskurse. In diesen Diskursen, und eben auch in Massenmedien, werden beiden Theorien zufolge unterschiedlich mächtige Konstellationen von Akteuren, Bewertungen und Inhalten erzeugt, die die Wahrnehmungs- und Handlungsoptionen von Gesellschaften beeinflussen. Die Stärken der Foucault’schen Perspektive liegen dabei v. a. darin, dass sie unterschiedliche Diskurselemente wie Akteure, Inhalte usw. grundsätzlich als gleichberechtigt versteht und dass sie nach typischen Konstellationen dieser Elemente sucht. Ihr Nachteil ist, dass diese Zusammenhänge in einschlägigen Studien oft nicht klar beschrieben werden. Die Stärke der Theorie des WZB liegt demgegenüber primär in ihrer luziden Konzeption von Öffentlichkeit und in ihrer klaren Dimensionierung massenmedialer Debatten in eine Akteurs-, eine Bewertungs- und eine Deutungs-Dimension. Allerdings werden diese Dimensionen in der meist inhaltsanalytischen Forschungspraxis oft zu isoliert voneinander beschrieben, so dass bspw. die von Foucault betonten diskursiven Konstellationen dabei nicht immer deutlich werden.

Dieser Artikel hatte das Ziel, auf den geteilten Prämissen beider Theorien aufbauend Verbindungen deutlich zu machen und dadurch zugleich ihre Schwächen abzubauen. Dabei diente das Konzept der Diskurskoalitionen der Verbindung beider Theorien, da es in der Tradition Foucaults auf die Bedeutung diskursiver Zusammenhänge verweist, diese aber auf eine Weise definiert, die mit der Dimensionierung des WZB kompatibel ist. Entsprechend wurde hier versucht, Diskurskoalitionen in den Massenmedien zu beschreiben. Dazu wurde mit der multiplen Korrespondenzanalyse ein strukturentdeckendes statistisches Verfahren eingesetzt, mit dem kommunikative Konstellationen darstellbar sind. Zudem wurde durch die Kombination dieses Verfahrens mit univariaten Verteilungen versucht, über die Bestandteile von Diskurskoalitionen hinaus auch deren relatives Gewicht in der Debatte – interpretiert als ihre diskursive Macht – zu bestimmen.

Der Artikel sollte damit einerseits der Konzept- und Methodenentwicklung im Bereich von Medienanalysen dienen. Andererseits sollte er exemplarisch empirische Informationen über die Diskurskoalitionen und Machtverteilungen in der Berichterstattung über zwei konkrete Themen, nämlich über Humangenomforschung und Stammzellforschung, liefern. Für diese beiden Themen wurde die Berichterstattung deutscher Leit-Printmedien untersucht. In diesen wurden für beide Fälle Diskurskoalitionen festgestellt, d. h. abgrenzbare Gruppierungen von Akteuren, Bewertungen und Deutungen. Diese Koalitionen wiesen einige themenübergreifende Parallelen auf: Bei beiden Themen gab es eine Koalition, die die Forschung befürwortete, auf ihre Verwertungspotenziale verwies und zugleich die umfänglichste respektive mächtigste Koalition war. Daneben existierte jeweils eine neutrale Koalition, mit etwas unterschiedlichen Ausrichtungen bei beiden Themen, sowie eine klar von allen anderen Gruppierungen abgegrenzte kritische Koalition.

Die Kombination des theoretischen Konzepts der Diskurskoalitionen mit der multiplen Korrespondenzanalyse erwies sich dabei als fruchtbare Erweiterung bestehender mediensoziologischer und kommunikationswissenschaftlicher Vorgehensweisen. Denn auf diese Weise werden in Mediendebatten auftretende Akteure, Bewertungen und Deutungen (und darüber hinaus potenziell auch weitere Charakteristika massenmedialer und öffentlicher Debatten) nicht isoliert voneinander, sondern in kommunikativen Konstellationen beschrieben. Dabei geht die korrespondenzanalytische Darstellung über die oftmals vorzufindende Deskription in Kreuztabellen hinaus, da sie multivariate Verbindungen deutlich macht und zusätzlich eine leicht zugängliche, grafische Darstellung ermöglicht. In Verknüpfung mit zusätzlichen Informationen über die Verteilung der einbezogenen Variablenausprägungen kann außerdem das diskursive Gewicht dieser Konstellationen bestimmt werden, das wiederum als Indikator für die Diskursmacht der entsprechenden Koalitionen dienen kann. Zudem ist es möglich, mit der Korrespondenzanalyse auch ähnliche Diskurskoalitionen bei unterschiedlichen Themen darzustellen. Auf diese Weise könnten sich, diskursanalytisch mit Foucault interpretiert, die Wirkungen diskursiver „Archive“ zeigen lassen respektive – mit einem Begriff aus der Tradition des WZB – die „Vorstrukturierungen“ von Debatten.

Die Rekonstruktion von Diskurskoalitionen mittels multipler Korrespondenzanalysen liefert damit einen informativen Mehrwert, der über bisherige Studien hinausgeht. Sie macht die im Anschluss an Foucault entstandene Diskursanalyse in anderer Weise zugänglich, weil sie dazu befähigt, mit Mitteln quantitativer Sozialforschung diskursive Zusammenhänge und Machtverteilungen deutlich zu machen und dabei (auch große Mengen an) inhaltsanalytisch erhobenen Daten in instruktiver Weise zu kombinieren. Im Vergleich zu den Studien in der Tradition der WZB-Öffentlichkeitstheorie wird deutlich, dass die Beschreibung von Diskurskoalitionen durchaus ein sinnvoller, Standing-, Positionierungs- und Framing-Dimensionen verbindender Weg zur Beschreibung öffentlicher und massenmedialer Debatten sein kann.

Der hier unterbreitete Analysevorschlag ist sicherlich nicht der Königsweg jeglicher weiterer Forschung zu massenmedialen Debatten. Aber es scheint sinnvoll, das vorgeschlagene Instrumentarium dem Repertoire des entsprechenden Forschungsfeldes hinzuzufügen. Mit seiner Hilfe könnte man bspw. mehr als die hier analysierten Medien und/oder mehr als die hier einbezogenen Variablen analysieren. Es wäre zuden denkbar, mit der multiplen Korrespondenzanalyse nicht nur Themenvergleiche zu realisieren, sondern auch Länder- oder Zeitvergleiche. Man könnte bspw. Berichterstattungsphasen eines Themas unterscheiden, korrespondenzanalytisch darstellen und auf diese Weise Verschiebungen in den Zusammensetzungen und im Gewicht von Diskurskoalitionen im Zeitverlauf aufzuzeigen.

Für weitere derartige Anwendungen wären allerdings auch einige methodische Weiterentwicklungen und Verbesserungen wünschenswert, die über die hier vorgestellte, explorativ angelegte Arbeit hinausgehen müssten. So wäre es erstens vorteilhaft, wenn eine Antwort auf die Frage gefunden würde, wann sich Diskurskoalitionen statistisch auch als solche identifizieren lassen, wann Ausprägungen im Plot der Korrespondenzanalyse also dicht genug beisammen liegen, um in einem übergeordneten Konstrukt zusammengefasst zu werden. Dies konnte hier nicht beantwortet werden und wird beispielsweise auch bei Bourdieu nicht geklärt. Zweitens wäre eine statistische Ergänzung sinnvoll. Die multiple Korrespondenzanalyse bezieht nur die Interaktionseffekte der betreffenden Variablen auf der ersten Ebene ein (d. h. die Interaktion von je einer Variable mit genau einer anderen). Hier wäre eine Ergänzung mit log-linearen Analysen, die auch Interaktionen höherer Ordnung einbeziehen, wünschenswert (vgl. z. B. Blasius 2001: 173; van der Heijden/De Leeuw 1985). Derartige Weiterentwicklungen können hier allerdings nicht mehr vorgenommen werden, sondern müssen künftigen Studien vorbehalten bleiben.