1. Soziale Ungleichheit beim Hochschulzugang

In Deutschland sind Arbeiterkinder beim Zugang zur akademischen Ausbildung trotz gestiegener Bildungsgelegenheiten weiterhin im Nachteil (Becker/ Hecken 2007; Müller/ Pollak 2007; Becker 2006; Mayer et al. 2007; Müller et al. 2002; Allmendinger/ Aisenbrey 2002). Zwar stiegen im Zuge der Bildungsexpansion für Arbeiterkinder die Chancen, auf das Gymnasium zu wechseln und mit dem Abitur abzuschließen (Becker 2003; Schimpl-Neimanns 2000; Müller/Haun 1994). Aber dennoch setzen sie in einem geringeren Maße als Kinder aus Dienstklassen ihre Ausbildung mit einem Studium an Hochschulen fort. Somit sind die Institutionen, die zu höheren Bildungsabschlüssen führen, weiterhin hauptsächlich dem Nachwuchs aus den Dienstklassen vorbehalten (Blossfeld /Shavit 1993: 49; Mayer 2003: 609).

Als einen gewichtigen Grund für diese dauerhafte soziale Ungleichheit beim Hochschulzugang führen Müller und Pollak (2007) in Anlehnung an Shavit (1989) institutionelle Strukturen und Regelungen des Bildungssystems an, welche die Bildungsentscheidungen von Individuen und Familien kanalisieren (Mayer et al. 2007; Shavit/Müller 2000; Müller/Karle 1993). Dazu trägt neben der hochgradigen Segmentierung und Stratifizierung, der rigiden Selektionswirkungen des „tracking“ nach dem Übergang von der Grundschule auf die Sekundarstufe I sowie des darauf folgenden Übergangs in die Sekundarstufe II und der marginalen Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Schultypen schließlich das breite Angebot alternativer Bildungswege bei.

Erstens führen bereits frühe, kaum revidierbare und für den weiteren Bildungsverlauf entscheidende Weichenstellungen am Ende der Primarschulzeit vor allem Arbeiterkinder vom (späteren) Zugang zu höherer Bildung weg. Denn in der Regel entscheiden sich Familien aus den Arbeiterklassen eher für kürzere und weniger anspruchsvolle Bildungsgänge, die den späteren Zugang zur akademischen Ausbildung erschweren oder versperren (Stockè 2007).

Zweitens lenken berufsbildende Komponenten des deutschen Bildungssystems bei späteren Weichenstellungen am Ende der Sekundarstufe I wiederum vor allem Arbeiterkinder vom Weg zur Hochschulreife und in die Hochschulen ab. „Die Aussicht, nach der Haupt- oder Realschule eine qualifizierende Berufsausbildung aufnehmen zu können, wird sowohl die Wahl des Schultyps am Ende der Grundschule beeinflussen als auch am Ende von Haupt- oder Realschule die Entscheidung, ob doch noch in einem zweiten Anlauf der Weg zum Abitur versucht wird oder ob durch berufliche Bildung der Eintritt in das Erwerbsleben vorbereitet wird“ (Müller/Pollak 2007: 308).

Schließlich werden drittens die Arbeiterkinder, die bis dahin im Schulsystem verblieben sind, auch nach dem Erwerb der Studienberechtigung vom Zugang zur Universität abgelenkt. So stellt das duale Berufsausbildungssystem für sie weitere attraktive und kostengünstigere Alternativen zur tertiären Bildungslaufbahn bereit: „Mit nichttertiären Berufsausbildungen und Fachhochschulstudium existieren (…) zwar weniger ertragreiche, aber auch weniger riskante und weniger aufwändige Alternativen zur Universität, die durch ihre spezifische Anreizstruktur selbst studienbegabte Abiturientinnen und Abiturienten aus der Arbeiterklasse von der Universität ablenken können. Es sind deshalb selbst nach dem Abitur ausgeprägte herkunftsbedingte Unterschiede in der weiteren Bildungsbeteiligung zu erwarten“ (Müller/Pollak 2007: 311).

Zu Recht weisen Müller und Pollak (2007: 311) darauf hin, dass es bislang noch keine empirische Überprüfung dieser Ablenkungsmechanismen am Ende der Sekundarstufe II gibt. Diese Lücke versuchen wir in theoretischer und empirischer Hinsicht für Deutschland zu schließen, indem wir folgender Fragestellung nachgehen: Warum werden Arbeiterkinder in hochgradig stratifizierten, segmentierten und viele Bildungsentscheidungen abverlangenden Bildungssystemen vom Studium an Universitäten abgelenkt? Wenn wir davon ausgehen, dass die Ablenkung der Arbeiterkinder von Universitäten vornehmlich das Resultat individueller Bildungsentscheidungen bei gegebenen Bildungsangeboten darstellt, dann ergibt sich eine weitere zu klärende Frage: Welche Mechanismen individueller Bildungsentscheidungen sind entscheidend dafür dass Arbeiterkinder vom Universitätsstudium abgelenkt werden?

Um diese Fragen beantworten zu können, diskutieren wir in Abschnitt 2 einen entscheidungs- und handlungstheoretischen Ansatz, aus dem empirisch überprüfbare Hypothesen abgeleitet werden können. Die Beschreibung der Datenbasis, Variablen und statistischen Verfahren bildet den Abschnitt 3. Empirische Befunde werden im Abschnitt 4 dargestellt und eine zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse bildet den Abschluss des vorliegenden Beitrages (Abschnitt 5).

2. Theoretische Erklärungsansätze

2.1 Das Grundmodell

Das werterwartungstheoretische Entscheidungsmodell von Esser (1999) ist ein empirisch bewährter Ansatz, welcher die Ablenkung von Arbeiterkindern von Universitäten als Ergebnis von Bildungsentscheidungen, die in Abhängigkeit von den ökonomischen Ressourcen des Elternhauses deutlich zwischen den sozialen Klassen variieren, zu erklären vermag.Footnote 1 Dieses Modell schließt Überlegungen früherer Erklärungsansätze wie etwa von Breen und Goldthorpe (1997) oder von Erikson und Jonsson (1996), ein (Stockè 2007; Becker 2000a). An Boudon (1974) anknüpfend gehen diese Ansätze davon aus, dass der Erhalt des sozialen Status in der Abfolge von Generationen ein instrumenteller Zweck von Bildungserwerb ist. Daher sind insbesondere die (oberen) Dienstklassen bestrebt, Statusverluste infolge suboptimaler Bildungsinvestitionen zu vermeiden (Keller/Zavalloni 1969). Individuelle Entscheidungen von Bildungsinvestitionen, d.h. die Auswahl eines Bildungsweges von mehreren möglichen Alternativen, die durch das Bildungssystem vorgegeben werden, erfolgen in Abhängigkeit verfügbarer Ressourcen, die für die Ausbildung mobilisiert werden können. So entscheiden sich Individuen (und ihre Familien) für diejenige Ausbildung, die ihnen am vorteilhaftesten erscheint, um den Statuserhalt sicher und kostengünstig zu realisieren.Footnote 2

Frühe Entscheidungen, die zum Erwerb der Studienberechtigung führen, und auch die Entscheidung für ein Hochschulstudium nach Abschluss der allgemein bildenden Schule,gehören für Dienstklassen zur Strategie, dieses Ziel direkt zu erreichen. Würden höhere Dienstklassen auf ein Studium ihrer Kinder verzichten, dann wären Statusverluste nicht nur groß, sondern auch sehr wahrscheinlich. Lassen die Ausbildungskosten oder die ungünstige schulische Performanz ein Studium als untragbar oder riskant erscheinen, wählen sie, um den sozialen Status abzusichern, den nächsten niedrigeren Bildungsweg, der auch die Option für ein späteres Studium offen hält.

Für die Arbeiterklassen hingegen ist ein Studium nicht zwingend notwendig für den Statuserhalt. Für sie reicht, — auch wenn sie die Studienberechtigung erworben haben, die nichtakademische Berufsausbildunaus, um den Sozialstatus zu erhalten. In Bezug auf die Studienentscheidung wird für die Arbeiterklassen daher die Bildungsmotivation, d.h. vor allem der Statuserhalt, keine markante Rolle spielen, da für sie deutliche und sichere Statusabstiege unwahrscheinlich sind, wenn sie auf ein Hochschulstudium verzichten. Vielmehr sehen sie das Abitur als ein Patent an, das alle anderen Optionen für eine Ausbildungsentscheidung garantiert.Footnote 3 Diese können eingelöst werden, sofern es die Erfolgswahrscheinlichkeiten und die mobilisierbaren Finanzressourcen zulassen. Von Arbeiterklassen wird der Erwerb einer Studienberechtigung vor allem als eine Möglichkeit gesehen, im Wettbewerb um Ausbildungsplätze im dualen Berufsbildungssystem bestehen zu können. Aus Sicht von Hillmert und Jacob (2003) trägt diese Möglichkeit dazu bei, geeignete potenzielle Studierende aus den Arbeiterklassen „umzulenken“ und von der Entscheidung für ein sofortiges Studium abzubringen. Jedoch schließt ein Abitur auch die Option ein, nach absolvierter Lehre ein späteres Studium zu beginnen. Diese Kombination von Lehre und Studium wählen wiederum leistungsschwächere und risikoaverse Abiturienten als eine „Versicherungsstrategie“ (Helberger/Büchel 1995): „Empirisch hingegen ist die Aufnahme eines Studiums nach Beendigung der beruflichen Ausbildung oft keine von vornherein feste Absicht, die unverrückbar beibehalten wird (…). Verschiebungen zwischen anfänglicher Studienabsicht und den Plänen nach Beendigung der beruflichen Ausbildung bedeuten, dass während oder nach der Lehre eine ‚zweite Entscheidungsphase‛ angenommen werden kann, in der die Zweckmäßigkeit der bisherigen Pläne überprüft wird“ (Hillmert/Jacob 2002: 7).

In Bezug auf die Ausbildungsentscheidung spielen für die Arbeiterklassen die möglichen Investitionsrisiken, d.h. das Verhältnis zwischen subjektiv bewerteten Ausbildungskosten (einschließlich der Opportunitäts- und Transaktionskosten) und subjektiven Erfolgserwartungen, eine zentrale Rolle (Becker/Hecken 2007; Nordli/Hansen 1997). Für die Arbeiterklasse bedeutet das Hochschulstudium nicht nur vergleichsweise hohe Kosten, sondern aufgrund der Kopplung von niedriger Schicht und geringen Erfolgschancen auch ein hohes Risiko in anspruchsvollen Berufsausbildungen zu scheitern. Hingegen birgt die nichtakademische Berufsausbildung für sie geringe Investitionsrisiken, da nicht nur geringere Ausbildungskosten anfallen, sondern bei der selektiven Auswahl leistungsstärkerer Arbeiterkinder unter den Abiturienten hohe Erfolgschancen gegeben sind.

Während dieselben Bildungsinvestitionen für Dienstklassen relativ sichere Renditen versprechen, erscheint für Arbeiterklassen ein Hochschulstudium weitaus riskanter, weil die Bildungserträge als weniger sicher eingeschätzt werden. Ausbildungs- und vor allem Opportunitätskosten erscheinen dann viel höher als für die Dienstklassen, und somit verzichten Arbeiterklassen auf ein Hochschulstudium zu Gunsten alternativer Ausbildungen. Da es für Angehörige aus den Arbeiterklassen auch nach Erwerb der Studienberechtigung eine institutionelle Alternative gibt, die Ausbildung außerhalb der Hochschulen fortzusetzen, wirken sich die Investitionsrisiken in besonderer Weise aus. Die Nachfrage nach höherer Bildung ist folglich bei den Arbeiterklassen geringer als bei den höheren Sozialschichten.

2.2 Die Zeithorizonte – das erweiterte Entscheidungsmodell

Wenn die Individuen in der Lage sind, ihre Investitionen in Hinblick auf spätere Bildungsrenditen zu kalkulieren, dann ist bei einer Kosten-Nutzenabwägung alternativer Bildungswege davon auszugehen, dass der Zeithorizont von der materiellen Situation der Herkunftsfamilie abhängt (Hillmert/Jacob 2003). Wenn der Zeithorizont auf sozial selektiv wirkenden Ausbildungsanreizen für Studienberechtigte basiert, dann ist zu erwarten, dass Individuen aus den Arbeiterklassen einen kürzeren Zeithorizont aufweisen, weil für sie die sofort anfallenden Kosten schwerer wiegen, aber die späteren Renditen vergleichsweise unsicherer erscheinen. Weil bei Abiturienten aus einkommensschwächeren Familien der Zeithorizont der Kosten-Ertrags-Kalkulation kürzer als bei solchen aus reicheren Familien ist, „lenken berufsbildende Alternativen vor allem Abiturienten vom Studium ab, die bei einer mittleren Erfolgserwartung eine geringe zeitliche Toleranz für die Kompensation der Ausbildungskosten haben, also vor allem für ein Studium hinreichend begabte Kinder aus ressourcenarmen Elternhäusern“ (Müller/Pollak 2007: 310).

Hingegen entscheiden sich Personen mit geringen Erfolgserwartungen nach dem Abitur zunächst für eine Berufsausbildung mit der Option für ein späteres Studium, wenn sie sich einen langen Zeithorizont für die Kompensation der Ausbildungskosten leisten können. Demnach tendieren „vornehmlich risikoaverse und/oder leistungsschwächere Abiturienten dazu, zunächst eine Ausbildung in Form der Lehre zu realisieren und ein darauf folgendes Studium in Erwägung zu ziehen“ (Büchel/Helberger 1995: 35). In der Regel stammen diese Absolventen aus höheren Sozialschichten. Arbeiterkinder werden bei diesen Bildungsentscheidungen in doppelter Hinsicht im Nachteil sein. Denn für sie gibt es zwei entscheidende Ablenkungsmechanismen: Erstens erzwingt bei ihnen der Kostendruck einen kurzen Zeithorizont, wodurch sie von einer längeren Ausbildung an Universitäten abgelenkt werden. Zweitens schränken geringe Erfolgswahrscheinlichkeiten den Zeithorizont auf kürzere und weniger anspruchsvolle Bildungswege ein. Diese Ablenkungsmechanismen bilden im Grunde genommen die Wirkung von Investitionsrisiken auf Bildungsentscheidungen nach Erwerb der Studienberechtigung ab.

2.3 Zwischenfazit

In der empirischen Analyse sind zumnächst für den Bildungsübergang von Studienberechtigten am Ende ihrer Schulzeit die einzelnen, zwischen den sozialen Klassen variierenden Determinanten der theoretisch modellierten Ausbildungsentscheidungen nachzuweisen. Tragen individuelle, zwischen den sozialen Klassen variierende Evaluationen von Kosten der tertiären Ausbildung einerseits und des möglichen Studienerfolgs andererseits zur Ablenkung von Arbeiterkindern vom Studium bei? Sind Arbeiterkinder in doppelter Hinsicht benachteiligt, dass wegen der anfallenden Kosten für ein Universitätsstudium auch die dafür hinreichend begabten Absolventen darauf verzichten, zu studieren? Wie gesehen, gibt es für Studienberechtigte die Option, auch später nach einer nichtakademischen Berufsausbildung an der Universität zu studieren. Sind es dann vor allem die leistungsschwächeren Absolventen aus höheren Klassenlagen, die sich dafür entscheiden, nach einer beruflichen Lehre oder Ausbildung an der Berufsakademie zu studieren? Oder halten sich vornehmlich diejenigen Abiturienten aus den Arbeiterklassen kosten- und erfolgsbedingt die Option offen, nach Lehrabschluss ein Universitätsstudium zu beginnen?

3. Datenbasis, Variablen und statistisches Verfahren

3.1 Datenbasis

Für die empirischen Analysen greifen wir auf Umfragedaten zurück, die von Andrä Wolter und Karl Lenz im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus jeweils zu Beginn 2000, 2002, 2004 und 2006 in den sächsischen Regionalschulbezirken (Bautzen, Chemnitz, Dresden, Leipzig und Zwickau) erhoben und uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurden (Wolter et al. 2000; Wolter et al. 2002; Wolter et al. 2004, 2006). Jeweils 10 Prozent der Schüler und Schülerinnen in den Abschlussklassen von zufällig ausgewählten Schulen (allgemein bildende Gymnasien, berufliche Gymnasien und Fachoberschulen) wurden schriftlich mit einem standardisierten Fragebogen befragt. Für die einzelnen Erhebungszeitpunkte liegen Informationen für jeweils rund 2 000 Personen in der 12. bzw. 13. Klassenstufe vor.

Für die Analysen werden nur Befragte berücksichtigt, die eine eindeutige Entscheidung über ihren weiteren Bildungs- und Berufsverlauf getroffen haben. Fast ein Fünftel der Befragten (1 307 von 7 175 auswertbaren Fällen) waren sich zum Befragungszeitpunkt unsicher, was sie unmittelbar nach dem Abitur (und gegebenenfalls nach Ableistung des Zivil- oder Militärdienstes) tun werden, und werden ausgeschlossen. Wegen schichtspezifischer Vertrautheit mit höherer Bildung sind systematische Unterschiede zwischen den sozialen Klassen in der Entschlossenheit von Bildungsentscheidungen zu erwarten. Die Folge wäre daher ein sozial selektiver Verbleib in der Analysestichprobe und ein „sample selection bias“ bei den multivariaten Schätzungen (vgl. Heckman 1979).

Diese Vermutung bestätigt sich teilweise (Tabelle A-1 im Anhang). Es gibt für die Befragten keine signifikanten Schichteffekte für ihre Unentschlossenheit bei der Bildungsentscheidung. Allenfalls gibt es Indizien dafür, dass Arbeiterkinder zum Befragungszeitpunkt eher unentschlossen sind als Angehörige der oberen Dienstklasse. Des Weiteren gilt für alle Absolventen: Je höherwertig ihr Bildungszertifikat ist (Gymnasium, Berufsgymnasium oder Fachoberschule), desto eher haben sie bereits eine Bildungsentscheidung getroffen. Vor allem die Absolventen an allgemein bildenden Gymnasien haben eher eine Berufs- und Bildungsentscheidung getroffen als diejenigen an Berufsgymnasien oder Fachoberschulen. Dass sich Gymnasiasten in der Regel früh und eindeutig entscheiden, ihre Ausbildung mit höherwertigeren Bildungswegen fortzusetzen, verweist auf zweierlei: erstens auf die Bedeutung kontingenter Bildungsentscheidungen (Breen/Jonsson 2000), also darauf, dass bereits frühzeitig bestimmte Bildungswege und Bildungszertifikate ins Auge gefasst werden, und zweitens auch auf die langfristige Bedeutung der Ablenkung an den Gelenkstellen des stratifizierten Bildungssystems.

Tabelle A-1 Verteilung von Determinanten der Ausbildungsentscheidung nach sozialer Herkunft (odds ratios, geschätzt mit multinomialer und binärer logistischer Regression)

Es gibt nunmehr verschiedene Möglichkeiten, diese Stichprobenselektivität zu korrigieren. Eine davon ist das von Heckman (1979) vorgeschlagene zweistufige Verfahren. In unserem Fall haben wir, wie in Tabelle A-1 dokumentiert, eine zu geringe Anzahl geeigneter Variablen, um die Unentschlossenheit der Befragten hinreichend gut zu modellieren. Dazu kommt noch die Schwierigkeit, dass diese Variablen für die Modellierung der Bildungsentscheidung selbst benötigt werden, so dass infolge von Multikollinearität zusätzliche Probleme auftreten würden. Daher nehmen wir mangels Alternativen keine explizite Korrektur von Stichprobenselektivität vor, sondern belassen es bei einer Kontrolle des früheren Bildungsverlaufs.

Eine bedeutsame Beschränkung unserer Datenbasis liegt in ihrem Querschnittscharakter. Das aktuelle Ergebnis der Ausbildungsentscheidung wird zeitgleich mit erklärenden Faktoren gemessen. Dieser Umstand erschwert eine prozessbezogene und damit auch eine ursächliche Erklärung, wie und warum die Studienberechtigten sich für eine bestimmte Ausbildung entscheiden. Möglicherweise fällt dieser Umstand nicht so sehr ins Gewicht, wenn man davon ausgeht, dass sich die Ausprägungen erklärender Faktoren in zeitlicher Nähe zur Ausbildungsentscheidung und ihrer Umsetzung kaum verändern (Maaz 2006). So verbleibt hauptsächlich noch das Problem der Rechtszensierung infolge noch nicht getroffener Ausbildungsentscheidung. Dass dieses mit der Kontingenz des Bildungsverlaufs korreliert, verweist darauf, dass Ausbildungsentscheidungen dynamische Prozesse in der Zeit darstellen, und diese deswegen im Längsschnitt, d.h. im ereignisorientierten Erhebungsdesign, erfasst werden sollten. Insofern sind unsere Ergebnisse wie alle sozialwissenschaftlichen Befunde vorläufig, bis sie mit Längsschnittdaten gestützt oder verworfen werden.

3.2 Abhängige und unabhängige Variablen

Die abhängige Variable ist die Entscheidung, nach Erwerb der Studienberechtigung an einer Fachhochschule oder Universität zu studieren oder eine höhere Berufsausbildung (in Sachsen: Berufsakademie mit Beschäftigung im Ausbildungsbetrieb) zu beginnen oder die Ausbildung mit einer beruflichen Lehre fortzusetzen. Die Referenzkategorie ist die Entscheidung für eine berufliche Lehre. Des Weiteren wird noch danach unterschieden, ob diejenigen Personen, die sich für eine berufliche Lehre entschieden haben, beabsichtigen, nach Ausbildungsabschluss zu studieren. Weil nur ein geringer Prozentsatz von maximal 4 Prozent der Absolventen vor hat, sofort ohne weitere Berufsausbildung erwerbstätig zu werden, wurde diese Entscheidungsalternative nicht weiter in Betracht gezogen.

Wie dies oftmals bei Sekundäranalysen der Fall ist, können die unabhängigen Variablen, insbesondere die einzelnen Bestandteile des Entscheidungsprozesses, nicht in der gewünschten Weise operationalisiert werden. Extensive Überprüfungen bürgen jedoch für eine ausreichende Validität der herangezogenen und modifizierten Proxies. Zudem haben sich die vorliegenden Operationalisierungen für andere Fragestellungen bewährt (Maaz 2006; Becker/Hecken 2007). Analysen des Zusammenhangs von Klassenlage und Ausprägung dieser Proxies dokumentieren plausible und allseits bekannte Befunde (Tabelle A-2 im Anhang). Dennoch schränkt die indirekte Operationalisierung des Entscheidungsprozesses die Aussagekraft unserer Ergebnisse ein, so dass angesichts dieser methodischen Problematik eine zurückhaltende Interpretation der Befunde angebracht ist.

Tabelle A-2 Verteilung von Determinanten der Ausbildungsentscheidung nach sozialer Herkunft (OLS-Regression; Beta-Koeffizienten)

Als eine Nutzenkomponente für dieses Modell wird zunächst der subjektiv erwartete Bildungsnutzen U berücksichtigt. Er bemisst sich daran, wie günstig die allgemeinen Berufsaussichten für Akademiker von den befragten Abiturienten beurteilt werden: „Wie schätzen Sie die Berufsaussichten für Akademiker allgemein ein?“. Die Antwortmöglichkeiten bewegen sich im Bereich von 1 für „sehr gut“ bis 5 für „sehr schlecht“.

Zentral für die Entscheidung zugunsten eines Hochschulstudiums ist der Betrag des Statusverlusts SV infolge suboptimaler Bildungsentscheidung. Es wird mit der subjektiven Einschätzung allgemeiner Berufsaussichten für Absolventen beruflicher Ausbildungswege ohne Studium operationalisiert („Wie schätzen Sie ganz allgemein die Berufsaussichten für Absolventen beruflicher Ausbildungswege ohne Studium ein?“). Die Antworten reichen von 1 für „sehr schlecht“ bis 5 für „sehr gut“. Für die statistischen Auswertungen wurde die Skala umgepolt.

Die Messung der Wahrscheinlichkeit für einen Statusverlust c, die bei einem Verzicht auf ein Hochschulstudium erwartet wird, erfolgt anhand der Einschätzung, ob die Befragten selbst bei einer Berufsausbildung in Verbindung mit beruflicher Weiterbildung die gleichen beruflichen Chancen sehen wie mit einem Studienabschluss. Grundlage für die Operationalisierung ist die Frage: „Glauben Sie, dass Sie bei einer Berufsausbildung in Verbindung mit beruflicher Weiterbildung die gleichen beruflichen Chancen haben wie mit einem Studienabschluss?“ Der Wertebereich der Antwort reicht von 1 für „auf gar keinen Fall“ bis 5 für „voll und ganz“. Auch für diese Proxy-Variable wurde die Skala umgepolt.

Der Einfluss subjektiv erwarteter Kosten C für ein Hochschulstudium wird anhand folgender Frage gemessen: „Haben die Kosten des Studiums Einfluss auf Ihre Entscheidung für oder gegen ein Studium?“ Die Antworten reichen von 1 für „keinen Einfluss“ bis 5 für „sehr großen Einfluss“. Abgesehen davon, dass unklar ist, in welcher Richtung die Kosten die Studienentscheidung beeinflusst, könnte man zudem bei dieser Operationalisierung von Kosten argumentieren, dass nicht die erwarteten Kosten im Sinne des werterwartungstheoretischen Ansatzes gemessen werden, sondern retrospektiv die Auswirkung von Kosten auf die Entscheidung. Allerdings korreliert, wie theoretisch angenommen, dieser Faktor signifikant mit der sozialen Herkunft (r = -0,126), so dass diese Variable durchaus in sinnvoller Weise verwendet werden kann, um die Kostenerwartungen abzubilden.

Aufgrund dieses Messproblems werden die zu erwartenden Kosten mangels alternativer Operationalisierungen im Datensatz zusätzlich anhand der sozialen Distanz SD kontrolliert, die – gemessen am Bildungsniveau der Eltern – für den Hochschulzugang zurückgelegt werden muss (vgl. Boudon 1974). Je niedriger das Bildungsniveau der Eltern ist, umso mehr Bildungshürden müssen bis zum Hochschulzugang überwunden werden und desto größer sind für statusniedrige Sozialgruppen die sozialen Distanzen für Statusgewinne über den Erwerb eines Universitätsdiploms. Diese zu überwindenden Distanzen stellen deswegen Kosten dar, weil sie neben direkten Ausbildungskosten auch zu erwartende Opportunitäts- und Transaktionskosten bedeuten, deren Höhe wiederum im Verhältnis zur klassenspezifischen Verfügung über Ressourcen steht, um eine bestimmte Bildungsstufe zu erreichen.

Es gilt, dass die tatsächlichen Bildungskosten für statusniedrigere Sozialgruppen höher sind, weil sie einen vergleichsweise größeren Anteil am verfügbaren Haushaltseinkommen einnehmen. Unseres Erachtens ist die Interpretation der anhand des elterlichen Bildungsniveaus gemessenen sozialen Distanz aus zweierlei Gründen sinnvoll. Zum einen ist sie ein integraler Bestandteil der herangezogenen Theorien der subjektiven Werterwartung und rationalen Bildungsentscheidung. Zum anderen gibt es einen oftmals empirisch belegten Zusammenhang zwischen Bildung, Klassenlage, Einkommen und Sozialprestige. In Bezug auf Bildungsentscheidungen ist die Bildung der Eltern eines der besten Indikatoren für objektiv verfügbare Ressourcen und subjektiv eingeschätzte Kosten (Becker 2006). Die soziale Distanz SD wird als Abstand zwischen dem höchsten beruflichen Bildungsabschluss eines Elternteils und der Hochschule gemessen: „4“ für keinen beruflichen Abschluss, „3“ für Lehre bzw. Facharbeiterabschluss, „2“ für Meisterprüfung, „1“ für Abschluss einer Fachschule bzw. Ingenieurschule und schließlich „0“ für Abschluss einer Hochschule bzw. Fachhochschule. SD korreliert mit dem vorherigen Indikator für erwartete Kosten C signifikant (r = 0,135).

In einem weiteren Schritt wird aus den beiden Indikatoren Kosten C und soziale SD ein gewichteter Kostenterm gebildet. Kosten Cw ist das gerundete Ergebnis der Wurzel aus dem Produkt von C und SD. Auch dieser Indikator, der ebenfalls hoch und negativ mit der Klassenlage korreliert (r = -0,34), stellt einen Kompromiss für suboptimale Operationalisierungen der herangezogenen Variablen dar.

Des Weiteren spielt die subjektiv erwartete Erfolgswahrscheinlichkeit p eine besondere Rolle für diese Bildungsentscheidung. Die individuell eingeschätzte Erfolgschance ergibt sich aus der Frage: „Fühlen Sie sich aufgrund Ihrer schulischen Vorbildung in der Lage, ein Studium erfolgreich durchzuführen?“. Die Antwort „Ja“ ist mit „2“, „Nein“ mit „1“ und „Weiß nicht“ mit „0“ kodiert.

Die subjektive Bewertung der schulischen Leistung, die sich als primärer Herkunftseffekt auf die Ausbildungsentscheidung auswirken kann (Boudon 1974), wird anhand folgender Frage gemessen: „Wenn Sie Ihren schulischen Leistungsstand einschätzen, wie würden Sie sich einordnen?“. Die Antworten von „sehr guter Schüler“ bis „sehr schlechter Schüler“ wurden absteigend mit den Werten von „4ß bis „1ß kodiert.

In stratifizierten Bildungssystemen mit vielen alternativen Bildungsangeboten spielt die Kontingenz des Bildungsverlaufs eine große Rolle für darauf folgende Bildungsübergänge. Um die Kontingenz vorheriger Bildungsentscheidungen abzubilden, wird der Schultyp, auf dem die Studienberechtigung erworben wurde, berücksichtigt. Die Fachoberschule ist die Referenzkategorie zu allgemein bildendes oder berufliches Gymnasium.Footnote 4

Die soziale Herkunft der Befragten wird anhand der beruflichen Stellung des Haushaltsvorstands gemessen. In Orientierung an das von Erikson und Goldthorpe (1992) vorgeschlagene Klassenschema und die theoretische Modellierungen von Esser (1999) wird zwischen drei sozialen Klassen unterschieden. Die Arbeiterklasse umfasst un- und angelernte Arbeiter sowie Facharbeiter, Vorarbeiter und Meister. Die Mittelschichten (untere Dienstklasse) umfassen Angestellte mit einfacher Tätigkeit (z.B. Verkaufsberufe), Angestellte mit qualifizierter Tätigkeit (z.B. Sachbearbeiter), Beamte im einfachen und mittleren Dienst sowie Selbständige. Die obere Dienstklasse schließt Angestellte mit hochqualifizierter Tätigkeit oder Leitungsfunktion (z.B. Prokurist), Angestellte mit Führungsaufgaben (z.B. Geschäftsführer), Beamte im gehobenen Dienst, Beamte im höheren Dienst (bzw. Richter) und Akademische bzw. freie Berufe (z.B. Arzt mit eigener Praxis, Rechtsanwalt) ein.

In Tabelle 1 sind die Verteilungen der erklärenden Variablen differenziert nach der sozialen Herkunft dargestellt. Wie nach Boudon (1974) theoretisch erwartet, liegen deutliche primäre Herkunftseffekte vor. So schätzen sich Abiturienten aus den Arbeiterklassen im Durchschnitt gesehen als schlechtere Schüler ein als diejenigen aus den beiden Dienstklassen. Diese Unterschiede sind signifikant. In den Tabelle A-1 und A-2 wird dokumentiert, dass bei Kontrolle der Kontingenz des Bildungsverlaufs die schichtspezifischen Differenzen zwischen der oberen Dienstklasse und den anderen Sozialklassen signifikant sind. Diese klassenspezifischen Unterscheide gelten für alle anderen Determinanten der individuellen Bildungsentscheidung, außer für den beruflichen Bildungsertrag. So unterscheiden sich, wie von Esser (1999) angenommen, die Mittelwerte für die subjektive Einschätzung des beruflichen Bildungsertrags U nicht zwischen den einzelnen sozialen Klassen. Hingegen unterscheiden sich gemäß den erwartungstheoretischen Ansätzen die Arbeiter- von den Dienstklassen in der subjektiven Erwartung von Wahrscheinlichkeiten und Beträge von Statusabstiegen infolge eines Verzichts auf ein Universitätsstudium. Ebenso deutliche klassenspezifische Disparitäten – die Trennlinie besteht wiederum zwischen den Arbeiterklassen auf der einen Seite und den Dienstklassen auf der anderen Seite-, liegen für die subjektive Einschätzung vor, das Studium erfolgreich zu bewältigen. In der Logik der Klassenstruktur erfolgt auch die subjektive Einschätzung der Kosten für ein Studium: Absolventen aus den Arbeiterklassen schätzen die Kosten höher ein als diejenigen aus den unteren Dienstklassen, während diese wiederum die (ungewichteten wie mit der sozialen Distanz gewichteten) Kosten höher einschätzen als Abiturienten aus der oberen Dienstklasse.

Tabelle 1 Verteilung von Determinanten der Ausbildungsentscheidung nach sozialer Herkunft (Mittelwert und in Klammern: Standardabweichung)

Ingesamt entsprechen die Zusammenhänge dieser Variablen mit der Klassenlage den theoretischen Aussagen von Boudon (1974) zu primären und sekundären Herkunftseffekten. Auch dessen Annahmen über die soziale Distanz werden durch unsere Daten gestützt. So steigt, nicht zuletzt wegen der engen Korrelation von Bildung und Klassenlage, die am Bildungsniveau der Eltern festgemachte soziale Distanz mit der Positionierung des Elternhauses in der Klassenstruktur. Für die obere Dienstklasse ist die soziale Distanz zur Universität deutlich geringer als für die Arbeiterklassen. Allerdings sind die Standardabweichungen für die soziale Distanz bei den Dienstklassen deutlich größer als bei den Arbeiterklassen. Dieses Faktum spiegelt das große Ausmaß der Statusinkonsistenz in der Sozialstruktur von Studienberechtigten wider.

3.3 Statistische Verfahren

Für die statistische Modellierung des Entscheidungsprozesses wird in Anlehnung an die Kritik von Breen und Jonsson (2000), Schimpl-Neimanns (2000) und Becker (2000a) an der von Mare (1980) vorgeschlagenen statistischen Modellierung von Bildungschancen die multinomiale logistische Regression angewandt (Long 1997). Zusammenhänge der Determinanten des Entscheidungsprozesses mit der sozialen Herkunft werden mittels OLS-Regression und mit der logistischen Regression aufzudecken versucht.

Aus Platzgründen werden für die binären und multinomialen logistischen Regressionen ausschließlich die odds ratios dokumentiert. Sie geben jeweils das Chancenverhältnis für die miteinander verglichenen Gruppen wieder, einen bestimmten Zustand aufzuweisen oder ein Ereignis zu erfahren. Werte von 1 besagen, dass es keinen Zusammenhang zwischen unabhängiger und abhängiger Variablen gibt. Bei Werten größer als 1 liegen positive, und bei Werten kleiner als 1 liegen negative Einflüsse erklärender Variablen auf die abhängige Variable vor.

4. Empirische Befunde

4.1 Empirische Überprüfung des werterwartungstheoretischen Modells

Auch wenn wir eine sozial selektive Gruppe von Absolventen betrachten, die bis zum Erwerb der Studienberechtigung im Schulsystem verblieben ist, sind, wie von Müller und Pollak (2007: 311) prognostiziert, nach dem Abitur ausgeprägte herkunftsbedingte Unterschiede in der weiteren Bildungsbeteiligung offensichtlich (Tabelle 2 ).Footnote 5 Deren Struktur belegt wiederum, dass die Arbeiterkinder vom Studium und insbesondere von den Universitäten abgelenkt werden. So weisen Angehörige der oberen Dienstklasse unter den Abiturienten eine rund 2,3 Mal höhere Chance und Personen aus den Mittelschichten eine rund 1,4 Mal höhere Chance auf, sich für ein universitäres Studium zu entscheiden, als diejenigen aus den Arbeiterklassen.

Tabelle 2 Determinanten der Ausbildungsentscheidung sächsischer Abiturientinnen und Abiturienten (odds ratios, geschätzt mit multinomialer Logit-Regression)

Die Klassendifferenzen bei dieser Bildungsentscheidung werden noch offensichtlicher, wenn man bedenkt, dass Abiturienten in allgemein bildenden Gymnasien sich eher für das Studium an der Universität entscheiden. Diese Abiturienten stammen vornehmlich aus der oberen Dienstklasse, die eher auf direktem Wege an die Universität streben als Arbeiterkinder. Zudem sehen Abiturienten aus höheren Sozialschichten das Abitur eher als Studienberechtigung an als Arbeiterkinder (Tabelle A-1 im Anhang). Auch in der Bewertung von Bildungszertifikaten werden die unterschiedlichen Strategien, welche die einzelnen Sozialschichten verfolgen, offensichtlich. Dies sind weitere Indizien dafür, dass sich Angehörige aus höheren Sozialschichten seltener vom Universitätsstudium ablenken lassen und den Erwerb der Studienberechtigung zielstrebig wie instrumentell verfolgen.

Ebenso ziehen Abiturienten aus der oberen Dienstklasse eher als Angehörige anderer Klassen die Berufsakademie der beruflichen Lehre vor. Explorative Analysen haben ergeben, dass es sich dabei vornehmlich um leistungsschwächere Abiturienten handelt. Wie bereits mehrfach mit amtlichen Daten belegt, wird hierbei ersichtlich, dass sich Kinder aus oberen Sozialschichten seltener vom Studium ablenken lassen als Arbeiterkinder. Allerdings ist, gemessen am konservativen Pseudo-R2-Wert nach McFadden, der Erklärungswert des Reproduktionsmodells recht gering.

Tabelle 3 Determinanten der Ausbildungsentscheidung sächsischer Abiturientinnen und Abiturienten ∓ reduziertes Entscheidungsmodell (odds ratios, geschätzt mit multinomialer Regression; in Klammern: standardisierte Effektkoeffizienten)

Daher untersuchen wir den Erklärungsbeitrag der Theorie subjektiver Werterwartung (SEU für subjective expected utility). Bei Kontrolle des Bildungsverlaufs und schulischen Leistungsniveaus entsprechen die Schätzergebnisse den Annahmen des werterwartungstheoretischen Modells (Tabelle 2 ).Footnote 6 Für den Entscheidungsprozess können die theoretisch erwarteten Mechanismen nachgewiesen werden: Je höher der allgemeine Bildungsertrag, je sicherer die Erfolgswahrscheinlichkeiten und je geringer die erwarteten Investitionskosten für ein Studium erscheinen, desto eher entscheiden sich Absolventen für ein Universitätsstudium. Schließlich beeinflussen subjektiv erwartete Statusverluste infolge suboptimaler Bildungsentscheidungen die Ablenkung vom Universitätsstudium. Je höher der Betrag eines Statusverlusts und je wahrscheinlicher dieser eingeschätzt wird, wenn auf ein Studium verzichtet wird, desto eher entscheiden sich die Studienberechtigten für ein Studium an der Universität. Ohne Kontrolle der sozialen Herkunft dieser entscheidenden Akteure, erklärt dieses sparsame wie komplexitätsreduzierende Modell statistisch bei einem Pseudo-R²-Wert von 0,211 deutlich mehr Varianz als das einfache sozialstrukturelle Reproduktionsmodell.

Neben der schulischen Leistung, die sehr hoch mit der Erfolgswahrscheinlichkeit, d.h. den subjektiv beurteilten Chancen, das Studium erfolgreich bewältigen zu können, korreliert und zudem zwischen den Sozialschichten variiert, stellen vor allem die erwarteten Kosten eine sozialstrukturelle Trennlinie zwischen Hochschulstudium (Universität und Fachhochschule) und nichttertiärer Berufsausbildung dar. Diese werden von den Arbeiterkindern am höchsten und von den Absolventen an allgemein bildenden Gymnasien am niedrigsten eingeschätzt (Tabelle A-2 ).

Schließlich werden, wie theoretisch erwartet, die Chancen, das Studium erfolgreich abschließen zu können, eher von den Arbeiterkindern als von den Dienstklassen als ungünstig eingeschätzt. Wie theoretisch angenommen, erwarten eher Abiturienten aus den höheren Sozialschichten bei einer suboptimalen Bildungsentscheidung einen Statusverlust als die Arbeiterkinder. In Entsprechung zur werterwartungstheoretischen Erklärung von Esser (1999) bewerten die Abiturienten aus den Mittelschichten die Beträge von Statusverlusten infolge des Verzichts auf ein Hochschulstudium deutlich höher als diejenigen aus den Arbeiterklassen oder der oberen Dienstklasse. Hingegen unterscheiden sich, ebenfalls der Theorie von Esser (1999) entsprechend, die Sozialschichten nicht in der Beurteilung des beruflichen Bildungsertrags höherer Bildung (Tabelle A-2 ).

4.2 Soziale Disparitäten der Bildungsentscheidung

Ob subjektiv erwartete Erfolgswahrscheinlichkeiten und Studienkosten eine sozialstrukturelle Trennlinie zwischen Hochschulstudium (Universität und Fachhochschule) und nichttertiärer Berufsausbildung darstellen und Arbeiterkinder vom Studium an der Universität ablenken, soll in einem weiteren Schritt genauer untersucht werden. Aufgrund technischer Schätzprobleme, die mit Interaktionen von Klassenlage mit anderen erklärenden Variablen auftauchen, werden die Analysen separat für die drei Klassen vorgenommen.Footnote 7 Da nunmehr nur die Einflüsse des erwarteten Studienerfolgs und der Kosten von Interesse sind, kommt ein reduziertes Erklärungsmodell zum Einsatz.

Tabelle A-3 Determinanten der Ausbildungsentscheidung sächsischer Abiturientinnen und Abiturienten (odds ratios, geschätzt mit multinomialer Logit-Regression)

In Tabelle 3 ist bei Kontrolle selbst eingeschätzter schulischer Leistungen und des vorherigen Bildungsverlaufs ersichtlich, dass für alle Sozialschichten die erwarteten Kosten und Erfolgserwartungen in bedeutsamer Weise die Studienentscheidung bestimmen. Sie stellen auch quantitativ gesehen zentrale Ablenkungsmechanismen dar, welche vor allem Arbeiterkinder vom Hochschulstudium ablenken. Im Vergleich zu den Abiturienten aus anderen Sozialschichten, muss zum einen bei den Arbeiterkindern eine deutlich höhere Erfolgserwartung vorhanden sein, damit sie sich für das Universitätsstudium entscheiden. Es sind bei Kontrolle erwarteter Kosten für das Studium dann vor allem diejenigen Arbeiterkinder, die sich geringere Chancen ausrechnen, ein Studium erfolgreich bewältigen zu können, und sich infolgedessen vom Studium ablenken lassen. Offensichtlich präferieren sie in diesem Fall eine vergleichsweise sicher erscheinende nichtakademische Berufsausbildung.

Zum anderen besteht unter den Arbeiterkindern ein Kostendruck, der sie von Universitäten und in einem geringeren Maße auch von Fachhochschulen ablenkt. So reicht bereits bei Arbeiterkindern eine- angesichts des relativ hohen Mittelwertes und der geringen Streuung der subjektiv eingeschätzten Kosten- vergleichsweise geringere Kostenerwartung aus, dass sie sich vom Universitätsstudium ablenken lassen und stattdessen eine kostengünstiger erscheinende Berufsausbildung wählen.Footnote 8 Oder anders ausgedrückt: Auch bei gleich großen Kosteneffekten wiegt aufgrund der nachteiligen Finanzausstattung bei den Arbeiterkindern die finanzielle Belastung durch das Studium schwerer als bei den Abiturienten aus den Dienstklassen. Trotz der für alle identischen nominalen Studienkosten sind für Arbeiterkinder die relativen Aufwendungen für das Studium proportional höher als für die Abiturienten aus einkommensstärkeren Klassen.

Allerdings beeinflusst bei den Arbeiterkindern im Unterschied zu den Abiturienten aus den Dienstklassen- betrachtet man die standardisierten Effektkoeffizienten- der erwartete Studienerfolg eher die Studienentscheidung als die erwarteten Kosten. Im Unterschied zu den Abiturienten aus anderen Sozialschichten, lassen sich Arbeiterkinder eher von den Erfolgschancen als von den erwarteten Kosten vom Hochschulstudium ablenken. Ob dann ein im Vergleich zu Abiturienten aus höheren Sozialschichten geringeres Selbstvertrauen, im Sinne von „self-efficacy“ in die eigene Leistungsfähigkeit als Studierende, die Arbeiterkinder von den Universitäten ablenkt, kann mit den verfügbaren Daten nicht überprüft werden. So wäre es interessant zu untersuchen, ob in der allgemein bildenden Schule erfolgreiche Arbeiterkinder trotz Erwerb der Studienberechtigung eine geringere primäre Kontrollerwartung und internale Kontrollüberzeugung als Angehörige der Dienstklassen aufweisen (vgl. Diewald et al. 1996).

4.3 Berufliche Lehre mit anschließendem Studium als Ausweg aus Entscheidungsdilemmata?

In einem abschließenden Schritt untersuchen wir zum einen die Frage, ob leistungsstärkere Arbeiterkinder aus Kostengründen zwar zunächst auf ein Hochschulstudium verzichten, aber für die Zeit nach der beruflichen Lehre ein Studium ins Auge fassen wollen. Die gleiche Fragestellung verfolgen wir zum anderen für die leis-tungsschwächeren Abiturienten aus einkommensstärkeren Elternhäusern, die wegen geringer Erfolgsaussichten zunächst von einem Studium absehen, aber es sich aufgrund ihrer privilegierten Herkunft leisten könnten, nach einer beruflichen Lehre ein Studium zu beginnen.

In Tabelle 4 ist zunächst in Entsprechung zu den vorherigen Analysen ersichtlich, dass sich Arbeiterkinder eher als Abiturienten aus den Dienstklassen für eine Lehre oder für die Berufsakademie entscheiden. Werden jedoch die Mechanismen des Entscheidungsprozesses kontrolliert, so sind Herkunftseffekte nur noch für die Berufsausbildung ohne anschließendes Studium signifikant. Abgesehen davon, dass offensichtlich für die Ausbildungsentscheidung bedeutsame Einflüsse (wie etwa Wahrnehmung von Entwicklungen auf dem Arbeits- oder Lehrstellenmarkt) noch nicht kontrolliert sind, lässt sich die Entscheidungsstruktur neben primären Herkunftseffekten und Motivation für Statuserhalt vor allem durch den erwarteten Studienerfolg und die erwarteten Kosten „erklären“.

Tabelle 4 Determinanten der Entscheidung für eine Doppelqualifikation: Zuerst Berufsausbildung, dann Studium (odds ratios, geschätzt mit multinomialer Logit-Regression)

Wie von Hillmert und Jacob (2002, 2003) theoretisch modelliert, sind es bei Berücksichtigung der Einflüsse subjektiv erwarteter Kosten für ein Studium vor allem unsichere Erfolgserwartungen, welche Abiturienten zunächst vom Hochschulstudium ablenken. Je ungünstiger die schulische Performanz und die Aussichten, ein Studium erfolgreich bewältigen zu können, von den Abiturienten beurteilt werden, desto eher verzichten sie endgültig auf ein Studium. Hierbei gibt es Indizien dafür, dass die Erfolgsaussichten nicht allzu günstig sein dürfen, damit die Abiturienten (mit vornehmlich mittelmäßiger Schulleistung) nach abgeschlossener Lehre nicht doch noch ein Hochschulstudium beabsichtigen.

Um dieses Faktum und damit auch die Frage noch präziser klären zu können, ob vor allem leis-tungsschwächere Abiturienten aus einkommensstärkeren Elternhäusern erst nach einer Lehre studieren wollen, wird die folgende Analyse separat für die drei Klassen vorgenommen (Tabelle 5 ).Footnote 9 Als Erklärungsfaktoren für eine Doppelqualifikation „erst Berufsausbildung, dann Studium“ werden nur noch die subjektiv eingeschätzten Kosten und die subjektive Beurteilung schulischer Performanz herangezogen. Unterschieden werden vier Leistungsniveaus und die Referenzkategorie ist die Selbstattestierung als sehr gute Schülerin bzw. sehr guter Schüler. Bei Kontrolle des schulischen Leistungsniveaus sind es vor allem die Arbeiterkinder, die sich zunächst aufgrund der Kosten für ein Studium vom sofortigen Studium ablenken ließen, und nach der beruflichen Lehre beabsichtigen zu studieren. Gleichzeitig verzichten aufgrund des Kostendrucks auch leistungsstärkere Arbeiterkinder, die sich als gute Schüler bezeichnen und gute Erfolgschancen hätten, zunächst auf ein Studium, um nach einer beruflichen Lehre doch noch zu studieren.

Tabelle 5 Entscheidung für Doppelqualifikation: Erst Berufsausbildung, dann Studium (odds ratios, geschätzt mit multinomialer Logit-Regression)

Bei den Abiturienten aus den Mittelschichten beabsichtigen zum einen diejenigen, erst nach einer beruflichen Lehre zu studieren, denen die Kosten für ein Studium zu hoch erscheinen. Zum anderen sind es, wie von Hillmert und Jacob (2003) prognostiziert und in Tabelle 5 anhand der kursiv gesetzten odds ratios belegt, die Mittelschichtkinder mit einer mittleren Erfolgserwartung, die aufgrund ihres herkunftsbedingt längeren Zeithorizonts ein späteres Studium in Betracht ziehen. Noch eindeutiger kosten- und leis-tungs-bezo-gen ist der Entscheidungsprozess bei Angehörigen der oberen Dienstklasse. Diejenigen mit einem mittelmäßigen Leistungsniveau entscheiden sich dafür, erst nach einer beruflichen Lehre oder nach Abschluss der Berufsakademie zu studieren. Wie bei den Arbeiter- und Mittelschichtkindern ist auch bei den Abiturienten aus der oberen Dienstklasse der Einfluss der erwarteten Studienkosten deutlich geringer als der Einfluss der selbst eingeschätzten Leistungsfähigkeiten. Dieser wiederum wird in der Logik primärer Herkunftseffekte jeweils geringer, je höher das Elternhaus in der Hierarchie der gesellschaftlichen Schichtung positioniert ist.

5. Zusammenfassung

Ziel des vorliegenden Beitrags war es, die Frage empirisch zu klären, warum so wenige Arbeiterkinder an Universitäten studieren. Ausgangspunkt der Analysen ist die zuletzt von Müller und Pollak (2007) vertretene These, dass in stratifizierten und segmentierten Bildungssystemen mit ausgeprägten Angeboten nichtakademischer Berufsbildung vor allem Arbeiterkinder vom Studium abgelenkt werden. Mittels eines werterwartungstheoretischen Modells sowie Daten für sächsische Abiturientinnen und Abiturienten konnten zudem auch die von Hillmert und Jacob (2003) angeführten Ablenkungsmechanismen empirisch hinreichend gut belegt werden. Insbesondere das zwischen den sozialen Klassen variierende Investitionsrisiko, d.h. das Verhältnis zwischen subjektiv erwarteten Studienkosten und Erfolgschancen, trägt entscheidend zur Ablenkung von Arbeiterkindern vom Studium bei. Zudem bestimmt die Kontingenz vorangegangener Bildungsentscheidungen am Ende der Sekundarstufe II die Entscheidung für eine akademische oder nichtakademische Ausbildung. Gemessen an früheren Bildungschancen, an Ausbildungskosten und an Erfolgschancen sind die Arbeiterkinder in mehrfacher Hinsicht im Nachteil beim Hochschulzugang. Hingegen verzichten aus den Dienstklassen stammende Abiturienten bei einem mittleren Leistungsniveau zunächst auf ein Studium, halten sich aber die Option offen, nach einer nichtakademischen Berufsausbildung zu studieren. Somit nutzen sie die berufliche Lehre oder Ausbildung an der Berufsakademie als ein „Sicherheitsnetz“ (Shavit/Müller 2000: 446), um dann zu einem späteren Zeitpunkt ein Studium zu beginnen. So gesehen, sind sie in der privilegierten Situation, zusätzlich zu herkunftsbedingten Vorteilen auch institutionelle Möglichkeiten für sichere Bildungschancen zu nutzen.

Mit der direkten empirischen Überprüfung von Determinanten und Mechanismen dieser Bildungsentscheidungen und ihren Folgen sollte ein weiterer Beitrag zur Erklärung sozialer Ungleichheit beim Hochschulzugang geleistet werden. In Anlehnung an Manski (2004) waren wir bestrebt, individuelle Erwartungen direkt zu messen, und für alle sozialen Klassen die Entscheidungsstruktur möglichst detailliert zu modellieren. Zwei Sachverhalte sind hierbei zu berücksichtigen, die wir aufgrund fehlender Datenbasis noch nicht überprüfen konnten. Zum einen ist davon auszugehen, dass nicht nur – wie bereits empirisch belegt – die Prozesse der Definition der sozialen Situation deutlich zwischen den Sozialschichten differieren, sondern auch die der Evaluation von höherer Bildung und des Entscheidens selbst. Weil höhere Sozialschichten im Allgemeinen und Akademikerfamilien im Besonderen mit Hochschulbildung vertraut sind und möglicherweise eine entsprechende Bildungstradition über Generationen hinweg vorweisen können, werden sie im Unterschied zu den Arbeiterklassen solche an Konsequenzen reiche und mit Unsicherheiten behaftete Bildungsentscheidungen kaum im Sinne wohlüberlegter und kalkulierter Abwägungen von Vor- und Nachteilen eines Hochschulstudiums im Vergleich zu alternativen Ausbildungen treffen. Eher werden in diesen Sozialschichten mit Hilfe bereits vorhandener „frames“ und „habits“, die sich in der Vergangenheit immer bewährt haben, sichere wie „automatische Entscheidungen“ zu Gunsten des Hochschulstudiums gefällt, weil höchstwahrscheinlich nur ein minimalistischer Handlungsset ohne wirkliche Alternativen zum Studium wahrgenommen wird (Esser 1999). Dieser Umstand würde auch erklären, warum Dienstklassen ihre Ausbildungsentscheidung im Unterschied zu den Arbeiterklassen weitgehend unabhängig von Arbeitsmarktentwicklungen vornehmen (Becker 2000b). In dieser Hinsicht sind die Modelle für die obere Dienstklasse überspezifiziert.

Zum anderen sind sie unterspezifiziert, wenn in Rechnung gestellt wird, dass für Angehörige der oberen Dienstklasse noch weitere Nutzen und Kosten eine Rolle spielen, die in den empirischen Analysen nicht weiter berücksichtigt wurden. Selbst wenn die Chancen für ein erfolgreiches Studium für ihre Kinder gering erscheinen, dürfte der Einfluss dritter Personen in den Bezugsgruppen das Statuserhaltmotiv in besonderer Weise bestärken. Beispielsweise verweist Meulemann (1985) auf soziale Anforderungen, die durch das soziale Netzwerk der Familien in oberen Dienstklassen entstehen, welche die Eltern auch bei geringen Erfolgsaussichten angesichts der schulischen Leistungen ihrer Kinder dazu bringen, die für den Statuserhalt geforderten Bildungsziele hartnäckig zu verfolgen. Mangelnder Bildungserfolg würde bei Familien in oberen Dienstklassen sowohl psychische Kosten durch Dissonanzen erzeugen als auch informelle Kosten wegen „Stigmatisierung“ durch die Bezugsgruppen und Prestigeverlust verursachen. Indirekte Indizien hierfür konnten wir aufzeigen: So versuchen Dienstklassen, ihre Kinder in den Fachhochschulen und notfalls auch noch in den Berufsakademien unterzubringen, wenn es für die Universität nicht reicht, da diese Bildungsinstitutionen immer noch prestigeträchtiger sind als die berufliche Lehre.

In empirischer Hinsicht sind ebenfalls noch Fragen offen geblieben. Wie spiegeln sich soziale Ungleichheiten sozioökonomischer Ressourcen und Klassenstrukturen in der sozialen Ungleichheit des Hochschulzugangs wider? In den von uns vorgelegten empirischen Analysen wurde deutlich, dass die sozialstrukturelle Trennlinie bei den Bildungschancen und den Ausprägungen der Determinanten von Bildungsevaluationen und -entscheidungen zwischen den Arbeiterklassen und den Dienstklassen liegen, während die Unterschiede zwischen der unteren und oberen Dienstklasse gering waren. Dieses Faktum lässt sich, da wir Daten für Sachsen verwendet haben, sicherlich mit der Entwicklung der Sozialstruktur in der DDR und der besonderen Klassenstruktur ostdeutscher Bundesländer erklären (Becker 2000b). Aufschluss darüber erhält man über einen nationalen und internationalen Vergleich, in dem untersucht wird, wie sich die Varianz sozialer Ungleichheiten auf Ausbildungsentscheidungen auswirkt (Erikson 1996; Becker 2006).

Wie lassen sich verbleibende Herkunftseffekte in unseren Analysen erklären? Zum einen sind, wie bereits erwähnt, nicht alle Determinanten der Studienentscheidung in gewünschter Weise operationalisiert (Stockè 2007). Diese methodische Schwierigkeit trägt ebenso dazu bei wie die latente soziale Selektivität der Analysestichprobe, dass nicht alle Herkunftseffekte statistisch kontrolliert werden. Zum anderen müssen die recht einfachen Überprüfungen der zur Familie der Rational-Choice-Theorien zugehörigen Modelle realistischer modelliert werden. Dazu müssten Arbeitsmarktentwicklungen, Entwicklungen im Generationen- und Familienzyklus sowie Entwicklungen in der Sozialstruktur berücksichtigt werden.