Kurze Hinführung zum Thema

Mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention im Deutschen Bundestag im Jahr 2002 ist die Perspektive von Kindern in allen Politikbereichen stärker in das Bewusstsein gerückt, und auch in der empirischen Forschung soll die Sichtweise von Kindern stärkeres Gewicht bekommen [4]. Der direkte Einbezug von Grundschulkindern in der Gesundheitsforschung ist bislang aber unüblich, nicht zuletzt, weil die Validität der Kinderangaben ungeklärt ist. Der Beitrag skizziert die methodischen Herausforderungen und präsentiert Ergebnisse zur Übereinstimmung von Eltern- und Kinderangaben zu Bewegung, Ernährung und Wohlbefinden von Grundschulkindern, die mit standardisierten Fragebögen erhoben wurden.

Hintergrund

Seit den 1990er-Jahren werden vor allem in der Wohlbefindens- und Lebensqualitätsforschung Kinder auch vor dem zehnten Lebensjahr als Auskunftgeber zu ihren Lebenswelten stärker einbezogen [3, 7, 8, 11]. Die Übereinstimmung der Daten mit Proxy-Angaben ist hier häufig nur mäßig, woraus viele Autorinnen und Autoren den Schluss ziehen, dass beide Perspektiven einen je eigenen Informationsgehalt haben [3, 21, 23]. In anderen Bereichen der Gesundheitsforschung ist die eigenständige Befragung von Kindern im Grundschulalter noch unüblich. Im Rahmen quantitativer Studien zur Evaluation von Gesundheitsförderungsangeboten sollten Instrumente mit geprüfter Güte eingesetzt werden. Für Proxy-Angaben liegen hier meist erprobte Instrumente vor, dies gilt jedoch bislang nicht für Kinderbefragungen. Dabei ist es naheliegend, dass diese besser als Außenstehende über ihr subjektives Erleben und Befinden berichten können, während dies für objektive Gegebenheiten wie dem sichtbaren Verhalten weniger offensichtlich ist.

Studien zur Ergebnisevaluation gesundheitsbezogener Interventionen stützen sich vorwiegend auf quantitative Daten. Diese ermöglichen durch den Vergleich standardisierter Maße zwischen Gruppen und/oder Zeitpunkten eindeutige Aussagen über die Veränderung von Zielgrößen. Voraussetzung ist dabei, dass die Daten Anforderungen an Zuverlässigkeit und Validität erfüllen. Dies unterscheidet Interventionsstudien von anderen Forschungsfeldern, in denen z. B. mit qualitativen Verfahren die Erlebenswelten von Kindern erfasst werden können. Die Fragen, ab wann Kinder überhaupt standardisiert befragt werden können, welche methodischen Zugänge für welche Altersgruppe passend sind und wie zuverlässig die Angaben von Kindern sind, sind ungeklärt (für einen Überblick siehe [3]). In Wohlbefindensstudien werden Kinder frühestens ab dem Alter von 6 Jahren standardisiert befragt, in der Regel persönlich-mündlich. Schriftliche Befragungen erfolgen, wie z. B. in der KiGGS-Studie, erst ab dem 11. Lebensjahr [17].

Für die standardisierte Befragung von Kindern werden folgende Voraussetzungen formuliert [6, 10, 15, 19]:

  • Kinder müssen ausreichende Lese- und Schreibkenntnisse haben.

  • Fragen und Antwortmöglichkeiten müssen möglichst konkret formuliert sein (einfache, kurze und verständliche Satzkonstruktionen) und auf die kindliche Erfahrungswelt Bezug nehmen.

  • Antwortalternativen sollten visualisiert werden.

  • Items dürfen Kinder weder sprachlich-kognitiv noch emotional-affektiv überfordern. Nicht eindeutig differenzierbare Antwortvorgaben (z. B. „manchmal“, „oft“) sollten vermieden werden.

  • Die Aufmerksamkeitsspanne muss berücksichtigt werden. Über die mögliche Länge von Befragungen herrscht allerdings Uneinigkeit.

  • Die Neigung von Kindern, Antworten zu geben, die den eigenen Wünschen entsprechen oder als sozial erwünscht interpretiert werden, ist zu berücksichtigen.

Ziel der Arbeit/Fragestellung

Der folgende Beitrag geht der Frage nach, wie gut die Angaben von Eltern und Grundschulkindern zu Zielvariablen eines schulischen Gesundheitsförderungsprogramms (Ernährung, Bewegung, Entspannungsfähigkeit sowie Wohlbefinden und Sozialverhalten im Klassenkontext) übereinstimmen und wie sich der Grad der Übereinstimmung zwischen dem ersten und letzten Erhebungszeitpunkt verändert. Die Elternangaben werden hier als Validierungskriterium verwendet, da sie auf erprobten Fragebögen basieren, die in vergleichbaren Studien eingesetzt werden. Eine hohe Übereinstimmung lässt sich als Nachweis für die Validität der Angaben interpretieren, eine geringe Übereinstimmung weist darauf hin, dass die Kinderangaben nicht die gleichen Sachverhalte oder aber diese nur ungenau erfassen. Unter der Prämisse, dass die Eltern zutreffende Angaben machen, muss die Verwertbarkeit der Kinderangaben aus messtheoretischer Sicht in diesem Fall kritisch gesehen werden.

Die Daten wurden im Rahmen der Evaluationsstudie Klasse2000 erhoben [14]. Da der Fragebogen sowohl Fragen zu Merkmalen enthält, die von den Eltern direkt beobachtet werden können (z. B. aktiver Schulweg) als auch solche, die der direkten Beobachtung durch Eltern entzogen sind (z. B. Gewalt und Wohlbefinden im Schulkontext), wird angenommen, dass die Übereinstimmung bei beobachtbaren Verhaltensweisen größer ist.

Material und Methoden

Studiendesign und Stichprobe

Zur Evaluation des Programms Klasse2000 wurden sowohl Eltern als auch Kinder zu mehreren Messzeitpunkten (t0: vor Intervention, Mitte erstes Schuljahr; t3: Ende drittes Schuljahr) im Rahmen einer randomisierten Studie befragt [14]. In die Auswertung gehen alle vollständigen Eltern-Kind-Dyaden zu t0 und t3 ein, unabhängig davon, ob sie der Interventions- oder Kontrollgruppe zugeordnet waren.

Operationalisierung der Variablen und Design des Kinderfragebogens

Beim Entwurf des Fragebogens für Kinder wurden die oben genannten Kriterien so weit wie möglich berücksichtig. Dies hat zur Folge, dass die Itemformulierungen und Antwortvorgaben für Eltern und Kinder nicht identisch sind.

Der Fragebogen umfasste in seiner finalen Version 26 Fragen, die auf 14 Seiten angeordnet waren. Zur visuellen Unterstützung wurde jede Frage durch ein Bild illustriert. Auch die Antwortmöglichkeiten wurden zusätzlich durch Bilder und Symbole voneinander abgegrenzt.

Der Fragebogen für Eltern war deutlich umfangreicher und umfasste auch Angaben, die bei den Kindern nicht erhoben wurden, wie auch Zielparameter zu Bewegung, Ernährung und Sozialverhalten, die mit umfangreicheren Fragebatterien erhoben wurden. Hierzu wurden validierte Instrumente eingesetzt, z. B. ein Food Frequency Questionnaire [20, 22] und Fragen zur Aktivität [16] aus der KiGGS-Studie, der Netherlands Physical Activity Questionnaire for Young Children—NPAQ [12] sowie Fragen zum Sozialverhalten, zum Wohlbefinden in der Schule und zum Gewaltverhalten aus dem AMVE-Projekt [13].

Im Folgenden werden die Variablen analysiert, die sowohl bei Eltern wie auch Kindern erhoben wurden. Tab. 1 gibt einen Überblick über die Fragen und Antwortvorgaben, die ggf. für die Überprüfung der Übereinstimmung zusammengefasst wurden.

Tab. 1 Items des Kinder- und Elternfragebogens

Datenerhebung

Die Eltern bearbeiteten den Fragebogen zuhause und gaben ihn dem Kind in einem verschlossenen Umschlag in die Schule mit. Die Kinder füllten den Fragebogen im Klassenverband selbstständig aus. Jede Frage wurde separat an die Wand projiziert und vorgelesen. Kinder konnten Verständnisfragen stellen, ehe sie die Frage beantworteten. Der Studie lag ein umfangreiches Datenschutzkonzept zugrunde. Die Teilnahme war für Kinder und Eltern freiwillig.

Pretest des Kinderfragebogens

Es wurde ein Pretest in 3 Grundschulen durchgeführt. Schulkinder wurden gebeten, sich bei Fragen oder Unklarheiten zu melden. Im Anschluss wurden weitere Rückmeldungen der Kinder eingeholt. Auf dieser Grundlage wurde der Fragebogen gekürzt und einzelne Items wurden umformuliert.

Datenanalyse

Da i. d. R. die Fragen für die Kinder einfacher formuliert und dabei insbesondere weniger Antwortkategorien vorgegeben wurden, konnte das Ziel nicht sein, die absolute Übereinstimmung zu untersuchen. Daher wurde i. d. R. die Übereinstimmung der Rangfolge von Kinder- und Elternurteilen bestimmt, sofern ordinalskalierte Antworten für beide vorlagen. Geeignete Maße sind dabei Rangkorrelationskoeffizienten ([24]; hier: Spearman’s ρ[Rho]).

In einigen Fällen wurden die Angaben der Eltern dichotomisiert (Angabe zum Schulweg), um einen inhaltlich sinnvollen Vergleich zu ermöglichen.

Zur Ermittlung der Übereinstimmung dichotomer Werte wurde Cohen’s κ (Kappa) verwendet. Der Koeffizient als Maß für die Übereinstimmung zweier Rater bei kategorialen Werten lässt sich als prozentuale Übereinstimmung nach Korrektur für zufällige Übereinstimmung interpretieren.

Der Zusammenhang dichotomer Antworten mit rangskalierten Angaben wurde über die biseriale Rangkorrelation nach Glass [9] berechnet. Der Signifikanzwert beruht dabei auf dem Vergleich der Rangwerte der Eltern zwischen beiden Kategorien der Kinderangaben mittels Mann-Whitney-U-Test. Zur Ermittlung der Korrelation wird die Differenz der mittleren Ränge verwendet und auf den Wertebereich einer Korrelation normiert.

Die Übereinstimmung wurde jeweils für alle gültigen Wertepaare der t0- sowie der t3-Messung ermittelt. Da nicht immer alle Fragen von Eltern und Kind beantwortet wurden, variiert die genaue Fallzahl dabei.

Ergebnisse

Beschreibung der Stichprobe

Zu t0 lagen Fragebögen von 1561 Eltern-Kind-Dyaden vor, zu t3 konnten 1014 Dyaden ausgewertet werden. Tab. 2 gibt einen Überblick über die Zusammensetzung der Stichprobe.

Tab. 2 Zusammensetzung der Stichprobe zu t0 (Angaben in %)

Übereinstimmung Eltern‑/Kindangaben

Für die Ernährungsvariablen zeigt sich eine insgesamt geringe Übereinstimmung zwischen Eltern und Kindern, die zu t3 aber höher ausfällt als zu t0 (siehe Tab. 3). Auch die Übereinstimmung in Bezug auf den Getränkekonsum ist gering. Die Übereinstimmungsmaße liegen auch hier zu t3 höher, fallen aber weiterhin nur mäßig aus.

Tab. 3 Übereinstimmung der Eltern- und Kinderantworten (t0: n = 1483 bis 1540; t3: n = 968 bis 1007)

In Bezug auf Bewegung lässt sich festhalten, dass die Übereinstimmung der Einschätzung objektiver und leicht einzuschätzender Sachverhalte wie die Mitgliedschaft in einem Sportverein und aktivem vs. passivem Schulweg vergleichsweise hoch ausfällt und zu t3 ansteigt. Die Einschätzung der durch die Eltern nur indirekt zu beurteilenden Bewegungsfreude fällt zu t3 dagegen gering aus. Gleiches gilt für die Entspannungsfähigkeit.

Auch für die Items, die sich auf das Wohlbefinden und das Sozialverhalten im Klassenkontext beziehen, finden sich nur geringe Übereinstimmungen. Sie erreichen im Maximum einen Wert von ρ = 0,326 (t0) bzw. ρ = 0,395 (t3) für die Gewalterfahrung als Täter.

Diskussion

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Übereinstimmung der Angaben zwischen Eltern und Kindern überwiegend gering bis mäßig ausfällt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der nicht identisch formulierten Fragen und Beurteilungskategorien sowie z. T. unterschiedlicher zeitlicher Bezüge keine perfekte Übereinstimmung erwartet werden konnte. Die Unterschiedlichkeit der Antwortformate war jedoch notwendig, um einen altersgerechten Kinderfragebogen zu erstellen. Für eindeutig zu beobachtende und – anders als beim Ernährungsverhalten – relativ einfach einzuschätzende Verhaltensweisen (Schulweg, Vereinsmitgliedschaft) finden sich die höchsten Übereinstimmungsmaße.

Festzuhalten ist auch, dass sich die Übereinstimmung für fast alle Items von der ersten bis zur dritten Klassenstufe verbessert. Dies könnte auf ein besseres Verständnis der Fragen vor dem Hintergrund kognitiver Entwicklung der Kinder zurückgeführt werden.

Die Bestimmung der Validität einer Messung durch Korrelation mit einem Außenkriterium (hier der Elternfragebogen) setzt jedoch voraus, dass dieses Kriterium selbst valide ist. Dies muss hier zum Teil offen bleiben.

In Bezug auf verhaltensbezogene Items geht es um prinzipiell objektiv gegebene, aber subjektiv nicht leicht einzuschätzende Tatsachen. Die Messung von Gesundheitsverhalten wie Bewegung und Ernährung über Selbstauskünfte, insbesondere mit standardisierten Fragebögen, ist zwar in vielen Studien die praktikabelste Lösung. Jedoch ist auch bekannt, dass diese nicht immer die gewünschte Genauigkeit erreichen. So zeigen auch Studien mit Eltern-Befragungen zum Bewegungsausmaß jüngerer Kinder, dass die Übereinstimmung zwischen objektiven Maßen und Fragebogenangaben insgesamt eher gering ist [1]. Livingston et al. [18] fanden, dass die Erfassung des Ernährungsverhaltens über Selbstauskünfte bei Erwachsenen wie bei Kindern ungenau und fehlerbehaftet ist. Ob dabei Eltern oder Kinder genauere Angaben liefern, ist ungeklärt. Zwar zeigen einige Autoren, dass Selbstauskünfte von Grundschulkindern über ihre Ernährung unzuverlässig sind (z. B. [2]), andere weisen dagegen darauf hin, dass Kinder ihre Ernährung sogar besser einschätzen können als Mütter oder Väter [5].

Dort, wo es um das subjektive Erleben geht, welches von Außenstehenden nur indirekt erschlossen werden kann, scheint es sinnvoll zu sein, die Kinder eigenständig zu befragen. Inwiefern die standardisierte Befragung der Kinder hier valide Angaben liefern, müsste durch weitere Studien geklärt werden, indem mit anderen methodischen Zugängen (z. B. Interviews) die Angaben validiert werden. In diesem Zusammenhang wäre auch die Frage interessant, welche Rolle der Befragungskontext spielt. Eine Studie, in der derselbe Fragebogen in unterschiedlichen Kontexten in derselben Stichprobe eingesetzt wird, könnte hier Aufschluss geben.

Der Wunsch nach einem Einbezug von Kindern in die empirische Forschung ist vor dem Hintergrund der UN-Kinderrechtskonvention nachvollziehbar. Die Art der Partizipation von jüngeren Kindern als Studienteilnehmern ist aber an das Ziel der jeweiligen Studie anzupassen. Wenn es um die Erfassung subjektiver Einschätzungen geht, scheint die Auskunft der Kinder unverzichtbar, und die standardisierte Befragung mag ein probates Instrument sein, vor allem in Evaluationsstudien. Entsprechende Instrumente sollten gezielt weiterentwickelt werden. Für die Erfassung von objektiv gegebenen Verhaltensweisen (jenseits eindeutig zu beurteilender Sachverhalte), wie der genauen Ernährungsweise oder des Bewegungsausmaßes, die häufige Ergebnisse der Prävention darstellen und recht differenzierte Einschätzungen erfordern, ist dies jedoch wenig vielversprechend – allein aufgrund der einfach zu haltenden Fragen an die Kinder. Hier sind generell eher die Möglichkeiten objektiver Messverfahren auszuloten. Um präzisere Empfehlungen auszusprechen, ist die gezielte Forschung zu Methoden in der Kindergesundheitsforschung auszubauen. Nicht zuletzt wäre es auch hier relevant, die Sichtweise von Kindern einzubeziehen.

Fazit für die Praxis

  • Der Einbezug von Grundschulkindern als Auskunftgeber in der empirischen Forschung wird durch die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) gefordert.

  • Eine Selbstauskunft scheint prinzipiell bei Sachverhalten sinnvoll, die sich auf die subjektive Wahrnehmung beziehen. Hier sollten kindgerechte Maße in weiteren methodischen Studien systematisch validiert werden

  • Für die Erfassung komplexerer prinzipiell beobachtbarer Sachverhalte liefern Proxys möglicherweise validere Daten, sofern es Gründe gibt, keine objektiven Daten zu erheben.

  • Je nach Forschungsfrage sind andere methodische Zugänge zur Partizipation von Grundschulkindern zu prüfen, z. B. auch bei der Ausgestaltung von Interventionen.