Eine Patientenverfügung (PV) ist nach geltendem Recht auch für die ärztlichen und nichtärztlichen Mitarbeiter des Rettungsdienstes grundsätzlich verbindlich, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, was bisher jedoch aller Erfahrung nach im Notfall nur selten der Fall ist. Einerseits reicht also die Gesetzgebung aus, Patientenverfügungen im Rettungsdienst potenziell relevant werden zu lassen, andererseits ändert sie aber nichts daran, dass sie in der Regel fehlen oder für den Rettungsdienst unbrauchbar sind. Was muss sich dementsprechend ändern, damit die Rettungsdienstmitarbeiter nicht länger genötigt sind, Entscheidungen über lebensverlängernde Behandlungen in Unkenntnis des Patientenwillens entsprechend dem Imperativ des Machbaren („in dubio pro vita“) zu treffen und sich auch noch dafür zu rechtfertigen, dass sie evtl. vorliegende „Patientenverfügungen“ wegen Irrelevanz ignorieren mussten? Internationale Erfahrungen legen eine neue Lösung nahe: Ärztlich (mit)verantwortete, regional standardisierte Notfallbögen in Verbindung mit einer regionalen Advance-Care-Planning- (ACP-) Initiative, die insbesondere Zielgruppen wie chronisch kranken Senioren mit eingeschränkter Mobilität eine individuelle gesundheitliche Vorausplanung mit professioneller Gesprächsbegleitung ermöglicht.

Die Diskussion über Patientenverfügungen und ihre fragliche Relevanz nicht nur in Notfallsituationen wird im Grunde seit 4 Jahrzehnten geführt und ermüdet zunehmend durch einen zirkulären Charakter. Die immer gleichen formalen und inhaltlichen Einwände, so überzeugend sie auch vorgetragen sein mögen [3], münden in die immer gleiche Erkenntnis aus der Praxis, dass es ohne Patientenverfügungen auch nicht geht, wenn wir Menschen nicht regelmäßig invasiven und belastenden Prozeduren der Lebensverlängerung unterwerfen wollen, deren Erfolgsaussichten mit zunehmender Morbidität immer geringer werden und die ihrem Willen in vielen Fällen nicht entsprechen ([18]; vgl. die Analyse im vorausgegangenen Artikel „Patientenverfügungen im Rettungsdienst (Teil 1). Geklärte und offene Fragen nach Verabschiedung des Patientenverfügungsgesetzes“ in dieser Ausgabe von Notfall + Rettungsmedizin [10]).

Damit stellt sich die Frage, ob nicht – zum Nutzen aller Beteiligten – Strukturen denkbar sind und entwickelt werden können, aus denen Patientenverfügungen eines neuen Typs und in einem veränderten Kontext hervorgehen, welche den mit guten Gründen immer wiederkehrenden Einwänden gegen Patientenverfügungen den Boden entziehen und nicht zuletzt den besonderen Anforderungen des Rettungsdienstes Rechnung tragen.

Advance Care Planning

Tatsächlich existiert ein noch wenig verbreitetes, in den USA entwickeltes Konzept, das seit einigen Jahren international an Bedeutung gewinnt und den Anspruch verfolgt, eine PV in vielerlei Hinsicht auf eine neue Grundlage zu stellen und ihre Umsetzung auch im Notfall zu gewährleisten [7, 17]. Den Namen dieses Konzepts, Advance Care Planning (ACP), übersetzen wir mit „Gesundheitliche Vorausplanung in der Region“ [9].

ACP hat zum Ziel, dass Patienten auch dann nach ihren Wünschen und gemäß ihrem Willen behandelt werden, wenn sie diese nicht mehr äußern können, und beruht im wesentlichen auf 2 Prämissen oder Erkenntnissen:

Qualifiziert begleiteter Entwicklungsprozess

Wenn eine PV situativ brauchbar, aussagekräftig und valide sein soll, dann muss ihrer Niederschrift notwendig ein umfassender, qualifiziert begleiteter Entwicklungsprozess vorausgehen und die Dokumentation der geklärten Behandlungspräferenzen sollte mit professioneller Unterstützung sowie auf regional einheitlichen Formularen erfolgen. Dabei sind im Vergleich zu einfachen akutmedizinischen Einwilligungen nicht – wie bisher – geringere, sondern eher höhere Anforderungen an das Aufklärungsniveau zu stellen, weil die PV komplizierte, nämlich künftige hypothetische und ggf. folgenreiche Behandlungsentscheidungen zu regeln versucht, mit Blick auf mögliche, risikobehaftete gesundheitliche Krisen oder Verläufe, von denen die meisten Laien bisher keine nähere Vorstellung haben. Und da Menschen älter und im Laufe ihres Lebens häufig kränker und fragiler werden, ist diese Vorausplanung als ein selbstverständlicher, lebenslanger Prozess anzusehen. Dieser sollte zu gegebener Zeit immer wieder in eine Überprüfung und ggf. Konkretisierung oder Anpassung der in der PV festgelegten Präferenzen münden. Vertrauenspersonen, insbesondere designierte Vertreter, sind grundsätzlich in diese Planungen mit einzubeziehen, damit sie sich bei Interpretationsbedarf der PV an ihrer selbst erlebten Anschauung des Denkens und Wollens des Betroffenen orientieren können. Kurz: Es ist Aufgabe des Systems, eine professionelle Begleitung der Entstehung und Weiterentwicklung individueller Patientenverfügungen zu gewährleisten.

Veränderung der Strukturen

Damit des Weiteren solcherart entstandene Planungen, die konzeptionell mit den in Deutschland überwiegend kursierenden Formularen nicht mehr viel gemein haben, im Anwendungsfall auch umgesetzt werden, bedarf es einer grundlegenden Veränderung und daher systemischen Intervention in den regionalen Gesundheitsstrukturen. Diese müssen zum einen Ressourcen verfügbar machen, um den vorgenannten Entwicklungs- und Beratungsprozess zu unterstützen, zum anderen müssen durchgreifende Änderungen in den Köpfen sowie zahlreicher Standards und Arbeitsroutinen bewirken, dass Patientenverfügungen umfassende Beachtung finden und befolgt werden. Dies erfordert komplexe Informations-, Schulungs- und Steuerungsprozesse auf zahlreichen Ebenen.

Umsetzung

So schlicht und in der Sache nahe liegend diese Erkenntnisse, so umwälzend sind ihre Konsequenzen gemessen an dem, was vielerorts bis heute Realität ist. Um ACP in einer Region einzuführen, bedarf es einer Initiative, einer konzertierten Aktion mit komplexem Vorgehen – in den USA spricht man von einem ACP-Programm.

Solche ACP-Programme sind in den USA an manchen Orten entwickelt worden, um der zirkulären, schon lange fruchtlosen Debatte über die PV, die auch für Deutschland kennzeichnend ist, durch eine neue Perspektive zu begegnen. Ein wesentliches Merkmal dieser Programme sind die Qualifizierung und der regional flächendeckende Einsatz von nichtärztlichem Personal, als „facilitators“ bezeichnet (von uns mit „Begleiter“ übersetzt), das geschult wird, den individuellen Entscheidungsfindungsprozess zu unterstützen. Die ebenfalls spezifisch für ACP fortgebildeten Ärzte werden dadurch wesentlich entlastet, da sie den meist mehrstündigen Entwicklungs- oder Planungsprozess (das Konzept einer „Beratung“ wird bei ACP bewusst vermieden) nur noch gezielt unterstützen und überprüfen müssen. Zuletzt attestieren sie durch ihre Unterschrift Einwilligungsfähigkeit und das Verständnis der mit den getroffenen Festlegungen einhergehenden Implikationen.

Patientenverfügungen müssen auf allen Ebenen der gesundheitlichen Versorgung strikte Beachtung finden

Das andere wesentliche Merkmal von ACP-Programmen ist die multifacettierte systemische Intervention in einer Region, die in einem mehrjährigen Prozess dazu führt, dass Patientenverfügungen weiteste Verbreitung und auf allen Ebenen der gesundheitlichen Versorgung strikte Beachtung finden. Exemplarisch verweisen wir für nähere Informationen auf das nach unserer Einschätzung am weitesten entwickelte und empirisch am besten untersuchte ACP-Programm Respecting Choices® [5, 6], das bereits mehrfach andernorts (u. a. in Australien [2]) adaptiert worden ist, sowie auf das von uns entwickelte regionale Modellprojekt beizeiten begleiten® [11, 12].

Ärztliche Anordnungen für den Notfall

Aus der Perspektive von ACP ist es unabdingbar und eine Selbstverständlichkeit, dass der gründlich reflektierte Patientenwille auch und gerade dann Richtschnur der Behandlung zu sein hat, wenn eine gesundheitliche Krise notfallmäßiges Handeln und rasches Entscheiden erforderlich macht. Konsequenterweise wird daraus geschlossen, dass gerade Notfallsituationen einer besonders sorgfältigen Vorausplanung bedürfen, deren Eckpfeiler so zu dokumentieren sind, dass sie im Notfall von Ärzten und nichtärztlichem Personal uneingeschränkte Beachtung finden können.

Hierfür bedarf es einer konzeptionellen und materiellen Brücke zwischen dem Prozess einer ausführlichen individuellen Vorausplanung auf der einen und der Notwendigkeit für klare Anweisungen auf der anderen Seite: der (haus)ärztlichen Anordnung für den Notfall. Da ausführliche Patientenverfügungen mit ihren prognose-konditionierten Wenn-dann-Aussagen für Notfälle nicht geeignet sind, sollte es Teil jeder Vorausplanung sein, das Vorgehen in einem aus aktuellem Zustand heraus auftretenden Notfall zu reflektieren, zu entscheiden und zu dokumentieren, und zwar auf einem separaten Notfallbogen in Form von möglichst reduzierten und eindeutigen, d. h. prognoseunabhängigen Handlungsanweisungen. Nachhaltige Zustandsveränderungen müssen demzufolge eine Überprüfung und ggf. Anpassung des Notfallbogens nach sich ziehen.

Wenn Patienten längerfristig nicht mehr einwilligungsfähig sind, gewinnt dieser Notfallbogen eine besondere Bedeutung. Dann ist es Aufgabe des Vertreters, den Notfallbogen in Absprache mit dem Arzt so auszufüllen, wie der betroffene Patient dies entweder (idealiter) in seiner PV für den nunmehr eingetretenen Fall festgelegt hat oder aber mutmaßlich gewollt hätte. Das in § 1901b des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geforderte dialogische Prinzip lässt sich (nur) auf diese Weise auch für den Notfall gewährleisten, indem nämlich die Entscheidung im Vorfeld angemessen erwogen und erörtert wurde. Der Notfallbogen ist dann im Krisenfall mindestens so lange handlungsrelevant, bis der Vertreter hinzugezogen werden und das weitere Prozedere in einem aktuellen Dialog mit dem Arzt erörtern kann.

Natürlich können Patienten einen formalrechtlich beachtlichen Notfallbogen auch allein erstellen, am sinn- und wirkungsvollsten ist er aber in Form einer ärztlichen Anordnung, möglichst des Hausarztes [13]. Dies gibt dem Arzt zunächst die Möglichkeit, in Absprache mit dem Patienten oder seinem Vertreter Behandlungsoptionen auszuschließen, die medizinisch nicht mehr indiziert (weil für das gegebene Behandlungsziel nicht mehr Erfolg versprechend) sind: Bei schwer chronisch kranken und/oder chronisch immobilen Menschen ist dies häufig z. B. bei der Reanimation der Fall [1], bei fortgeschrittener terminaler Erkrankung wird u. U. allein aus Indikationsgründen auf dem Notfallbogen jegliche Behandlung mit dem Ziel der Lebensverlängerung auszuschließen und statt dessen ein palliatives Therapieziel festzulegen sein [18, 20]. Darüber hinaus berücksichtigt der Arzt in seiner Anordnung die vom Patienten (bzw. vom Vertreter im Namen des Patienten) festgelegten Behandlungsgrenzen, die im Notfall gelten sollen.

Rechtlich entscheidend für die Gültigkeit einer PV in Gestalt der ärztlichen Anordnung für den Notfall im Sinne des Patientenverfügungsgesetzes ist die Unterschrift des Patienten bzw. Vertreters. Die Unterschrift des behandelnden Arztes – in der Regel des Hausarztes – attestiert für den in der Krisensituation weiterbehandelnden (not-)ärztlichen Kollegen Einwilligungsfähigkeit und Verständnis der Implikationen seitens des Patienten, somit die Validität der Verfügung. Die Form einer ärztlichen Anordnung stellt darüber hinaus eine professionelle Verantwortlichkeit her und erleichtert somit die strikte Befolgung der getroffenen Festlegungen durch nichtärztliches Personal von Pflege- und/oder Rettungsdienst, welches dadurch von der – wie oben erörtert – zwar formal zulässigen, aber für manche nicht einfachen selbständigen Bewertung einer Patientenverfügung entlastet wird.

Die Unterschrift des behandelnden Arztes attestiert die Validität der Verfügung

Um Missverständnisse zu vermeiden, die sich trotz gemeinsamer Kriterien aus unterschiedlichen Formularen (mit unterschiedlichen Reihenfolgen, Optionen, sprachlichen und graphischen Konstruktionen etc.) ergeben können, empfehlen sich regional einheitliche Formulare für die PV und insbesondere die ärztliche Anordnung für den Notfall. Diese Formulare müssen allen relevanten Akteuren der gesundheitlichen Versorgung vertraut sein; dies gilt mit Blick auf die Anordnung für den Notfall in besonderer Weise für die Mitarbeiter des Rettungsdiensts.

Solche ärztlich verantworteten Notfallbögen sind unseres Wissens erstmals in Oregon, USA, entwickelt worden und werden in den USA überwiegend als Physician Orders for Life-Sustaining Treatment (POLST) bezeichnet [8, 15]. Sie finden in den Bundesstaaten der USA mit jeweils amtlichem (!) Formular rasch zunehmende Verbreitung (vgl. www.polst.org mit ausführlichen Angaben und Nachweisen).

Notfallbögen in der Palliativmedizin

Auftrieb erhält die Idee eines Notfallbogens in Deutschland derzeit durch die Palliativmedizin. Neben dem 2008 publizierten „Göttinger Palliativkrisenbogen“ [19] wird aktuell auch in Essen ein Notfallbogen implementiert (vgl. den Beitrag von M. Kloke et al. in diesem Heft).

Es ist sicherlich sinnvoll und vielfach sogar erforderlich, bei der ambulanten palliativmedizinischen Betreuung Patienten zu einer Vorausplanung einschließlich der Planung von Notfallsituationen zu ermutigen und letztere in Notfallbögen festzuhalten. Ohne eine solche Vorausplanung kann es z. B. geschehen, dass Angehörige bei Zustandsverschlechterungen den Rettungsdienst alarmieren, weil sie mit der Situation überfordert sind. Dabei sollte jedoch klar sein, dass ein großer Bereich der palliativen Vorausplanung einschließlich Erstellung eines Notfallbogens v. a. mit einfühlsamer (ärztlicher) Aufklärung über die (wenigen) verbleibenden medizinischen Optionen zur lebensverlängernden Therapie – statt dessen aber mit den gegebenen palliativmedizinischen Möglichkeiten – zu tun hat. Dagegen spielt die Autonomie des Patienten bei infauster Prognose hinsichtlich notfallmedizinischer Behandlungsfragen meist eine untergeordnete Rolle.

Die Entwicklung von Notfallbögen speziell für palliativmedizinische Settings oder Situationen ist daher einerseits nachvollziehbar und berechtigt. Andererseits kann sie zur Folge haben, dass die fehlende medizinische Indikation für lebensverlängernde Maßnahmen in der Praxis als Ausdruck von Patientenautonomie missverstanden wird.

Diese Gefahr eines Missverständnisses lässt sich exemplarisch an der aktuellen Entwicklung einer „präklinischen Notfall-Patientenverfügung“ durch ein intensivmedizinisch erfahrenes Autorenteam [4] demonstrieren: Der erkennbar an den POLST-Formularen orientierte PALMA-Notfallbogen nennt sich zwar „Patienten-Anweisung für lebenserhaltende Maßnahmen“ und eröffnet die Möglichkeit, maximaler Intensivtherapie bis zur Reanimation zuzustimmen, wird aber im Untertitel auf „Patienten in einer palliativen Situation“ beschränkt. Doch ist die Reanimation tatsächlich eine ärztlich vertretbare medizinische Option für Patienten in einer „palliativen Situation“ [20]?

Konzeptionell muss klar bleiben und vor allem dem Patienten zur Entlastung vermittelt werden, dass der arztseitige Ausschluss bestimmter lebensverlängernder Maßnahmen aufgrund fehlender Indikation oder Aussichtslosigkeit („futility“; [16]) keine Entscheidung des Patienten ist, auch wenn dieser und seine Angehörigen sie unter Umständen im Rahmen einer palliativen Vorausplanung kennen lernen und verstehen sollten. Umgekehrt spielt die autonome Ablehnung lebensverlängernder Therapie gerade dann eine Rolle, wenn die medizinische Indikation, also eine realistische Erfolgschance (noch) gegeben wäre, die Behandlung aber dennoch nicht gewünscht wird. Dies kommt nach eigenen Erfahrungen auch bei rüstigen Senioren vor und ist gerade bei hochbetagten und/oder chronisch multimorbiden Senioren häufig.

Notfallbögen für Senioren

Senioren und insbesondere hochbetagte, chronisch kranke oder in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen haben meist eine unbestimmte, potenziell mehrjährige Lebenserwartung, sodass sie der Palliativmedizin nicht zuzurechnen sind. Zu Hause und insbesondere, wenn sie in Senioreneinrichtungen leben, gelten für sie unausgesprochen akutmedizinische, ggf. institutionelle Behandlungsstandards. Diese sind im individuellen Fall teils medizinisch fragwürdig, teils würden sie von den Bewohnern, wenn man sie fragen würde, abgelehnt werden, obwohl aus medizinischer Perspektive quoad vitam „Erfolg versprechend“. Notfallbögen für Senioren können somit zwar auch für palliativmedizinische Situationen verwendet werden, decken jedoch einen weit darüber hinausgehenden Bereich ab.

Im Rahmen des Münsteraner Modellprojekts LIMITS, das „die Weiterentwicklung der schon bestehenden Angebote und die strukturelle Absicherung einer »humanen Sterbekultur« in Seniorenheimen wie im häuslichen Kontext“ anstrebte, wurde nach Kenntnis der Autoren erstmals in Deutschland ein regionaler Notfallbogen entwickelt ([14]: vgl. auch http://modellprojekt-limits.de) und zu einem bemerkenswert frühen Zeitpunkt umfassend theoretisch begründet [13]. Der LIMITS-Notfallbogen ist jedoch ausdrücklich auf die Frage der Reanimation reduziert und beantwortet daher wesentliche andere Fragen, die sich in der Rettungs- und Notfallmedizin stellen können, nicht – namentlich die Frage der stationären Einweisung zur lebensverlängernden Therapie. Das dazu im Text der zitierten Webseite angeführte Argument, Antworten auf andere Fragen ließen sich aus der ausführlichen PV herauslesen, lässt die rettungsdienstliche Realität unberücksichtigt, in der „ausführliche Patientenverfügungen“ häufig unklar bleiben und Abwägungen verlangen, die zur Unzeit und in Ermangelung eines greifbaren Vertreters sowie u. U. von nichtärztlichem Personal nicht geleistet werden können. Inwieweit das Modellprojekt eine umfassende professionelle Begleitung im Sinne eines ACP-Prozesses gewährleistete und ob es nachhaltig implementiert werden konnte, lässt sich den zitierten Veröffentlichungen und der genannten Webseite (letzter Eintrag bei Zugriff am 13.03.11: 2004) nicht entnehmen.

Eine umfassende Vorausplanung wird den Bewohnern von Seniorenheimen des mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung entstandenen regionalen Modellprojekts beizeiten begleiten® [11, 12] angeboten, von dem in Kürze empirische Ergebnisse zu erwarten sind. Hier wurden sowohl ausgewählte Mitarbeiter von 3 Senioreneinrichtungen einer Stadt nach einer aufwendigen Schulung als „Begleiter“ zertifiziert als auch die in den Senioreneinrichtungen aktiven Hausärzte fortgebildet. Die zertifizierten Mitarbeiter bieten den Bewohnern der Einrichtungen und ihren Angehörigen bzw. Vertretern seither mehrzeitige, meist mehrstündige Gespräche an, sog. „Begleitungen“, die in eine ausführliche PV und einen separaten, möglichst vom Hausarzt verantworteten Notfallbogen münden, der „Hausärztlichen Anordnung für den Notfall“ (HAnNo, s. unten). Mit seiner Unterschrift attestiert der – ebenfalls zertifizierte – Hausarzt Einwilligungsfähigkeit und Verständnis der dokumentierten Implikationen durch ein abschließendes Gespräch. Eine komplexe Intervention in der Region hat zum Ziel, dass die HAnNo den Patienten bei Transfers verlässlich begleitet und dem Personal der Einrichtungen, des Rettungsdienstes und des regionalen Krankenhauses bekannt ist sowie von ihnen befolgt wird.

Nach unserer Auffassung ist das Konzept des Notfallbogens nur im Rahmen eines solchen ACP-Programms Erfolg versprechend und ethisch vertretbar. Dies ermöglicht zum einen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung der Betroffenen durch eine spezifisch qualifizierte Begleitung und fördert zum anderen die Akzeptanz entsprechender Verfügungen in der gesamten Versorgungskette durch gezielte Informationsveranstaltungen und Vereinbarungen.

Hausärztliche Anordnung für den Notfall

Der für das vorstehend skizzierte Modellprojekt beizeiten begleiten® entwickelte Notfallbogen (Abb. 1) ist in Anlehnung an den US-amerikanischen Notfallbogen (POLST) entstanden, weicht jedoch auch in einigen wesentlichen Punkten davon ab. Anders als die US-amerikanische POLST, welche an den meisten Orten auch ohne das Vorliegen einer Patientenverfügung und ohne definierten Gesprächsprozess erstellt werden kann, ist die HAnNo integraler Bestandteil der im Rahmen eines qualifizierten Gesprächsprozesses entwickelten Patientenverfügung.

Abb. 1
figure 1a

Notfallbogen „Hausärztliche Anordnung für den Notfall“ des Projekts beizeiten begleiten®. a Vorderseite, b Rückseite mit Erläuterungen

Abb. 1
figure 1b

Fortsetzung

Damit ist auch der entscheidende Unterschied zu herkömmlichen „Ankreuz-Formularen“ benannt: Eine HAnNo entsteht ausnahmslos am Ende eines mehrzeitigen und meist mehrstündigen Gesprächsprozesses, der durch einen beizeiten begleiten® zertifizierten Begleiter moderiert wurde und an dessen Abschluss der Hausarzt prüfend und ggf. ergänzend oder revidierend beteiligt war. Das „Kreuzchen“ repräsentiert also eine (Nicht-)Einwilligung gemäß dem Standard des „informed consent“. Anwender in Pflege, Rettungsdienst und Krankenhaus einer Region, in der beizeiten begleiten® etabliert ist, können sich auf diesen Gesprächsqualitätsstandard der Entstehung von PV und HAnNo verlassen. Darüber hinaus sind sie darin geschult worden, das Formular HAnNo zu verstehen, adäquat zu archivieren, bei Patiententransfers mitzugeben und, „last but not least“, zu befolgen. Daher wird (vom Markenschutz des Logos einmal abgesehen) an dieser Stelle auch ausdrücklich davon abgeraten und davor gewarnt, Nachahmungen des abgebildeten Musterformulars ohne eine solche regionale Implementierung eines Advance-Care-Planning-Programms zu verwenden, weil damit ganz erhebliche Systemrisiken einhergehen, auf die hier nicht näher einzugehen ist.

Eine „Hausärztliche Anordnung für den Notfall“ entsteht am Ende eines aufwendigen, professionell begleiteten Gesprächsprozesses

Während fast alle im Kammerbereich Nordrhein verbreiteten Formulare den Fall einer plötzlichen gesundheitlichen Krise bei bis dato gegebener Einwilligungsfähigkeit unerwähnt und entsprechend ungeregelt lassen, stellt die Frage des Vorgehens in diesem Szenario einen Schwerpunkt der im Rahmen einer qualifizierten Begleitung geführten Gespräche dar. Denn nur so entsteht Klarheit darüber, mit welchem Behandlungsziel und unter Inkaufnahme welcher Belastungen und Risiken nach dem Willen dieses Patienten eine Behandlung im Notfall erfolgen darf und soll. Die Dokumentation der dabei entwickelten Entscheidungen und Festlegungen muss so erfolgen, dass die relevanten Fragen im Notfall eindeutig und innerhalb von Sekunden Beantwortung finden. Dazu dient das HAnNo-Formular, das die notfallrelevanten Entscheidungen entsprechend konzentriert und präzise auf einem separaten Bogen abbildet, gleichzeitig aber erkennbar Teil der umfassenden PV-Dokumentation ist (vgl. den untersten Textabsatz auf der HAnNo-Vorderseite; Abb. 1).

Die HAnNo kommt (wie jede PV) nur zur Anwendung, wenn der Betroffene aktuell nicht selbst entscheiden kann. Sie regelt explizit nur das notfallmäßige Vorgehen im Fall einer lebensbedrohlichen Krise. Für elektive Entscheidungen sind die ausführliche PV und ggf. der Vertreter (Bevollmächtigter bzw. Betreuer) heranzuziehen. Aus diesem Grund werden in der HAnNo – anders als in den POLST-Formularen mehrerer US-Staaten – u. a. weder die Frage einer PEG-Sonde (perkutane endoskopische Gastrostomie) noch die Gabe von Antibiotika behandelt.

Inhalte und Formalia

Der Optionsteil zeichnet sich in formaler Hinsicht dadurch aus, dass (anders als in den gängigen US-POLST-Formularen) nur genau ein Kreuz gesetzt werden kann. Dadurch werden auf POLST- und manchen deutschen Notfallbögen mögliche, aber klinisch unsinnige Kombinationen (z. B. Reanimation ja, aber Krankenhauseinweisung nein) ausgeschlossen. Inhaltlich gibt es 3 Kategorien (A, B und C), die am Therapieziel und, im Fall von (B), darüber hinaus an den Belastungen und Risiken von klinisch relevanten Behandlungsoptionen orientiert sind. Das farbliche Ampelschema (grün-rot) erleichtert visuell das Verständnis:

  • Option A entspricht dem uneingeschränkten Einsatz aller medizinisch vertretbaren Mittel zur Erreichung des Therapieziels der Lebensverlängerung und damit dem gängigen akutmedizinischen Standard, der grundsätzlich auch dann zur Anwendung kommt, wenn keine Vorausverfügung vorliegt.

  • Option B bejaht ebenfalls die Orientierung am Therapieziel der Lebensverlängerung, jedoch „nicht um jeden Preis“. Vielmehr besteht die Möglichkeit, 4 klinisch besonders relevante Maßnahmen kumulativ auszuschließen, die durch spezielle, im Voraus gut zu würdigende Risiken bzw. qualitative Prognosesprünge gekennzeichnet sind:

    • die kardiopulmonale Reanimation (B0),

    • zusätzlich die Tubusbeatmung (mit einer im Unterschied zur von diesem Ausschluss unberührten nichtinvasiven Beatmung deutlich schlechteren Prognose – B1),

    • zusätzlich die Behandlung auf einer Intensivstation (B2) und schließlich

    • zusätzlich jegliche stationäre Einweisung mit dem Ziel der Lebensverlängerung (B3).

  • Option C unterscheidet sich grundsätzlich von den beiden vorgenannten Optionen, indem das Therapieziel der Lebensverlängerung explizit verneint wird. Patienten haben hiermit die Möglichkeit festzulegen, dass künftige gesundheitliche Krisen ausschließlich palliativ behandelt werden sollen.

Da beizeiten begleiten® im Sinne des Gesetzes dem Prinzip der Patientenautonomie verpflichtet ist und daher in Gesprächsbegleitung und Umsetzung keine offene oder verdeckte „Reichweitenbeschränkung“ praktiziert, steht die Option (C) nicht nur klassischen „Palliativpatienten“ offen, denen ärztlicherseits ohnehin nichts anderes mehr zu empfehlen wäre. Sie besteht auch für Menschen, bei denen eine Krisenbehandlung aus medizinischer Sicht durchaus noch Erfolg versprechend schiene, die dies aber – nach entsprechend sorgfältig und auch kritisch begleiteter Reflektion – nicht mehr wollen, z. B. weil sie auf den Tod warten und eine Verlängerung ihres Lebens als nicht mehr als erstrebenswert ansehen. Entsprechend könnten individuelle Gründe z. B. für die Ablehnung einer Tubusbeatmung (B1) einschlägige Vorerfahrungen (Langzeitbeatmung) bei chronischer Lungenerkrankung sein. Oder die Ablehnung jeglicher erneuten stationären Behandlung mit dem Ziel der Lebensverlängerung (B3) kann vom Vertreter eines demenziell erkrankten Menschen angesichts kognitiv katastrophaler Auswirkungen der letzten stationären Aufenthalte verfügt werden, ungeachtet aus organischer Sicht auch künftig guter Erfolgsprognose; eine (auch ehrgeizige) ambulante Behandlung mit dem Ziel der Lebensverlängerung bleibt – im Unterschied zu Option C – von diesem Ausschluss unberührt. Umgekehrt stehen auch schwerst eingeschränkten Patienten alle Optionen der Lebensverlängerung offen, solange sie im ärztlichen Urteil noch medizinisch vertretbar (nicht aussichtslos) erscheinen und die Betreffenden dies wünschen. Medizinisch aussichtslose Behandlungsoptionen – wie z. B. ein Reanimationsversuch bei aufgrund von höchstgradiger Demenz chronisch bettlägerigen Patienten – sind seitens des „Begleiters“ und/oder Hausarztes mit entsprechender Erklärung für den Betroffenen bzw. Vertreter auszuschließen.

Als singuläres Dokument löst das HAnNo-Formular natürlich nicht das heute zu beobachtende Dilemma von Patientenverfügungen, das nicht auf Vorhandensein, Aussagekraft und Validität von Schriftstücken beschränkt ist, sondern sich vielmehr auch ganz wesentlich auf Archivierung, Zugriff, Transfer zu anderen Behandlern sowie adäquate Aktualisierung dieser Dokumente erstreckt. Diese und andere Schritte sind daher unverzichtbarer Gegenstand regionaler ACP-Programme wie beizeiten begleiten®, bei denen diese Fragen weitgehend bereits durch Standards geklärt sind.

In diesem Rahmen kann nur kurz angerissen werden, dass die regionale Implementierung eines ACP-Programms einen tief greifenden Eingriff in die medizinische Versorgungskultur („cultural change“) bedeutet, der über kurz oder lang unweigerlich Anregungen und Veränderungen in benachbarten Bereichen nach sich ziehen wird. Hier ist in erster Linie an Strukturen der ambulanten palliativmedizinischen Versorgung zu denken, denn die bisherige Praxis der stationären Einweisung mancher sterbenskranker Menschen kann auch unter dem Aspekt eines strukturellen Defizits in diesem Bereich betrachtet werden. Welches ärztliche System (Hausarzt, Bereitschaftsdienst, Rettungsdienst) darf eine Altenpflegerin für einen Patienten mit hoch symptomatischem Lungenödem alarmieren, wenn eine „HAnNo C“ vorliegt? Über welche Kompetenzen und Möglichkeiten verfügt der Herbeigerufene für die dann gebotene ambulante palliativmedizinische Versorgung? Zu den hierdurch aufgeworfenen Fragen zählen neben der Erreichbarkeit von Hausärzten außerhalb der Sprechstunde und der Qualifikation sowie fallbezogenen Informiertheit von Bereitschaftsärzten nicht zuletzt ein palliativmedizinisches Konzept für den Rettungsdienst, wie es bereits Gegenstand aktueller Forschung ist [20], sowie dessen Würdigung im Rahmen der bisher meist einseitig auf das Therapieziel der Lebensrettung fokussierten Rettungsdienstgesetze der Länder.

Die Implementierung eines ACP-Programms bedeutet einen tief greifenden Eingriff in die medizinische Versorgungskultur

Die HAnNo muss die Unterschriften von Hausarzt und Betroffenem (bzw. dessen Vertreter, falls dauerhaft nicht einwilligungsfähig) tragen, um gültig zu sein. Die (meist unleserliche) hausärztliche Unterschrift wird durch den Arztstempel bestmöglich validiert. In der Regel wird die HAnNo darüber hinaus vom „Begleiter“ sowie bei einwilligungsfähigem Betroffenen zusätzlich vom nach Möglichkeit einbezogenen designierten Vertreter (Bevollmächtigten) unterschrieben sein. Sie erhält dadurch – wie ihr US-amerikanisches Vorbild – eine Doppelfunktion:

  • Zum einen ist sie eine besondere Form der PV im Sinne von § 1901a, Absatz 1 BGB (bzw. bei dauerhaft nicht einwilligungsfähigem Patienten eine im Voraus schriftlich getroffene Entscheidung des Vertreters gemäß den Behandlungswünschen oder dem mutmaßlichen Behandlungswillen des Betroffenen gemäß § 1901a, Absatz 2). Sie ist durch die Unterschrift des Betroffenen bzw. Vertreters, wie oben ausgeführt, für alle im Ereignisfall beteiligten Behandler bindend, denen überdies in Form der zusätzlichen ärztlichen Unterschrift ein Beleg für die Validität der PV vorliegt.

  • Zum anderen ist sie eine ärztliche, durch Unterschrift und Stempel validierte Anordnung und konkrete Handlungsanweisung, die an nichtärztliches Personal adressiert ist und dadurch dessen in der Praxis gegebene (obschon rechtlich im Fall eines eindeutigen Notfallbogens nicht begründete) Unsicherheiten bei der Interpretation einer traditionellen Patientenverfügung umgeht.

Einschränkungen

Das Erstellen einer HAnNo im Projekt beizeiten begleiten® setzt Vorhandensein, Kooperationsbereitschaft und Zertifizierung eines Hausarztes voraus. Bei Bewohnern von Seniorenheimen darf in der Regel davon ausgegangen werden, dass ein Hausarzt existiert. Doch es ist damit zu rechnen, dass nicht alle in den Einrichtungen aktiven Hausärzte an dem Projekt teilnehmen. Während langfristig anzustreben ist, dass möglichst alle regionalen Partner das Projekt unterstützen, bestehen kurz- und mittelfristig (minderwertige) Alternativen zur Beteiligung des Hausarztes: So kann nur für den Zweck der gesundheitlichen Vorausplanung ein anderer, mit dem Projekt kooperierender Hausarzt hinzugezogen werden. Alternativ wird eine „Patientenverfügung für den Notfall“ bzw. „Vertreterverfügung für den Notfall“ erstellt, die graphisch und inhaltlich ähnlich aufgebaut ist wie die HAnNo, aber eben ohne Beteiligung des Hausarztes, sodass die ärztliche Bestätigung der Validität sowie der oben beschriebene „Anordnungscharakter“ des Dokuments wegfallen.

Die Autoren halten es für unmöglich, einen Notfallbogen zu kreieren, der jeden (konstruierten) Fall vollständig abdeckt, und erheben diesen Anspruch auch nicht für die HAnNo. Auch haben wir die Erfahrung gemacht, dass selbst dieser Bogen nicht „selbsterklärend“ ist, sondern regional eingeführt und allen Beteiligten vorab bekannt gemacht werden muss, wenn ein reibungsloser Ablauf gewährleistet werden soll. Ein Notfallbogen kann folglich nur so gut bzw. erfolgreich sein wie die regionale Implementierung des ACP-Programms, dessen Teil er ist, und das bedeutet: wie die Schulung und Mitwirkung aller beteiligten Akteure, insbesondere der „Begleiter“ und in der Folge der von ihnen moderierte Gesprächsprozess.

Auch lässt das Formular, das naturgemäß einen Mittelweg zwischen Prägnanz und Vollständigkeit zu suchen hat, manche Lücken, für deren Diskussion hier kein Raum gegeben ist. Exemplarisch sei an dieser Stelle das hoch sensible, in der Literatur zu Patientenverfügungen praktisch noch nicht berührte Thema einer iatrogenen Komplikation genannt, deren notfallmäßige Behebung mit der Festlegung in der HAnNo (oder allgemeiner: in der PV) in Konflikt zu stehen scheint. Auch liegt auf der Hand, dass für die einvernehmliche Durchführung elektiver Eingriffe wie Herzkatheter oder Cholezystektomie gesonderte Absprachen für die peri-interventionelle bzw. -operative Phase getroffen werden müssen.

Grundsätzlich gilt auch hier wieder wie im Zusammenhang mit den Überprüfungspflichten des Notarztes hinsichtlich der Gültigkeit der Patientenunterschrift: Es ist grundrechtlich verbrieft und der erkennbare Wille des Gesetzgebers, dass Patienten die Grenzen ihrer Behandlungen selbst bestimmen können – auch für den Fall künftiger gesundheitlicher Krisen. Extremfälle oder spezielle Situationen können Anreiz sein, bestehende Regelungen zu verbessern und Lücken zu schließen, dürfen jedoch nicht dazu missbraucht werden, praktikable Regelungen zu verhindern, mit denen die Beachtung des Patientenwillens im Regelfall sehr viel besser als bisher ermöglicht werden können.

Relevanz für den Rettungsdienst

Im Beitrag „Patientenverfügungen im Rettungsdienst (Teil 1). Geklärte und offene Fragen nach Verabschiedung des Patientenverfügungsgesetzes“ in dieser Ausgabe von Notfall + Rettungsmedizin wurde geklärt, dass Patientenverfügungen für den Rettungsdienst normativ verbindlich und jedenfalls dann relevant sind, wenn sie eine konkrete, auf die Situation zutreffende Behandlungspräferenz formulieren. Dringlich wünschenswert wäre darüber hinaus eine unter Notfallbedingungen nachvollziehbare Validität durch ärztliche Unterschrift. Im vorliegenden Artikel wurde nun über internationale Erfahrungen und erste Ansätze in Deutschland berichtet, welche zeigen, dass ACP-Programme realisierbar sind und regionale Strukturen herzustellen erlauben, in denen u. a. ärztlich mitverantwortete Notfallbögen entstehen, welche die gebotenen Anforderungen an Eindeutigkeit und Verlässlichkeit erfüllen. Es liegt in der Hand der regionalen Akteure des Gesundheitswesens, durch Einführung solcher regionaler ACP-Programme und Notfallbögen Voraussetzungen für eine wirksame gesundheitliche Vorausplanung zu schaffen, die sich auch im Krisenfall bewährt.

Fazit für die Praxis

  • Patientenverfügungen sind für ärztliche und nichtärztliche Mitglieder des Rettungsdienstes grundsätzlich verbindlich. Dazu müssen sie eine Reihe von Bedingungen erfüllen, was in der Praxis bisher nicht häufig der Fall ist.

  • „Hausärztliche Anordnungen für den Notfall“ in Verbindung mit Advance Care Planning stehen für eine tief greifende strukturelle Veränderung in der Region unter Einbindung aller relevanten Versorgungsebenen und Professionen, die dem vorausverfügten Patientenwillen auch im Rettungsdienst regelhaft praktische Relevanz verleihen kann.

  • Das Rettungsdienstteam trifft hier auf einen regional standardisierten, also allseits eingeführten Notfallbogen, der vom Hausarzt, vom Patienten selbst bzw. dessen Vertreter sowie von einem für diese Gesprächsführung zertifizierten nichtärztlichen „Begleiter“ unterzeichnet worden ist.

  • Diese Unterschriften gewährleisten, dass die individuell präzise festgelegten notfallrelevanten Behandlungsgrenzen aus einem validen, d. h. den Bedingungen des „informed consent“ genügenden Gesprächsprozess hervorgegangen sind und den (mutmaßlichen) Willen des Betroffenen bestmöglich wiedergeben.